L 11 KR 125/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KR 1996/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 125/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 21.11.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung der Nichtigkeit von Beitragsfestsetzungen aus Kapitalzahlungen zur betrieblichen Altersversorgung.

Der 1942 geborene Kläger ist Rentner und seit dem 01.05.2005 in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) bei der Beklagten versichert.

Der Kläger arbeitete in der Zeit von 1987 bis zum 01.09.1993 bei der Firma D. GmbH. Dort schloss er am 12.08.1987 mit der Firma D. GmbH eine zusätzliche Vereinbarung zum Arbeitsvertrag/Anstellungsvertrag über den Abschluss einer Direktversicherung bei der H. Lebensversicherung AG ab (Vertragsnummer: GV 7 ..., Teilversicherung Nr. 1 ...). Versicherungsnehmer war der Arbeitgeber. Als Beginn wurde der 01.12.1987 vereinbart. Die Jahresbeiträge beliefen sich auf 3.000,- - DM bzw 1.533,88 EUR. Am 01.09.1993 erfolgte der Firmenwechsel von der Firma D. GmbH zu der Firma M./Di. GmbH & Co, O ... Mit dieser schloss der Kläger eine gleichlautende Vereinbarung über den Abschluss einer Direktversicherung zu den gleichen Konditionen wie der Firma D. GmbH bei der V. Lebensversicherung AG ab (Vertragsnummer: GV 5 ..., Teilversicherung Nr. 2 ...). Das Arbeitsverhältnis endete zum 30.06.1995. Die Gruppenversicherung endete zum 01.11.1995. Sie wurde ab diesem Zeitpunkt als eine Lebensversicherung unter der Vertragsnummer T ... bei der V. Lebensversicherung AG fortgeführt. Versicherungsnehmer war der nunmehr selbständig tätige Kläger. Am 01.11.2007 wurde dem Kläger aus der Versicherung ein Betrag in Höhe von 48.201,87 EUR ausgezahlt.

Mit Beitragsbescheid vom 02.11.2007 setzte die Beklagte zu 1) - auch im Namen der Beklagten zu 2) - Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 01.12.2007 in Höhe von 68,29 EUR (Krankenversicherungsbeitrag [KV]: 61,46 EUR; Pflegeversicherungsbeitrag [PV]: 6,83 EUR) fest. Zur Begründung führte die Beklagte zu 1) aus, dass für die Beitragsbemessung 1/120 dieser Leistung (401,68 EUR) als monatlicher Zahlbetrag gelte, dh die Kapitalleistung werde vom 01.12.2007 bis 30.11.2017 auf 10 Jahre umgelegt.

Hiergegen legte der Kläger am 21.01.2008 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er vor, dass die Zahlung der Viktoria Lebensversicherung AG von 48.201,87 EUR am 01.11.2007 weder eine Kapitalleistung noch ein Versorgungsbezug gewesen sei, sondern eine Auszahlung der fälligen Versicherungsleistung seiner privaten kapitalbildenden fälligen beitragsfreien Lebensversicherung T ...2. Es sei lediglich der Wert des in der Direktversicherung gebildeten Kapitals zum 01.11.1995 auf die neue Lebensversicherung übertragen worden, nicht hingegen Erträge. Der Gesamtbetrag ergebe sich dabei aus ca 34.000,- EUR geleisteten eigenen Beiträgen und ca 14.000,- EUR Gewinnanteilen. Ansprüche aus einer betrieblichen Direktversicherung seien bis zu seinem Ausscheiden aus dieser Versicherung zum 01.11.1995 entstanden. Die dort seit 1987 ausschließlich von ihm selbst geleisteten Beiträge (ca 13.000,- EUR) und verzinslichen Gewinnanteile (ca 2.500,-EUR) seien bei gleichzeitigem Erlöschen aller Anrechte aus diesem Vertrag auf die oben benannte Lebensversicherung übertragen worden. Die Direktversicherung sei im Jahr 1995 deshalb beendet worden, weil er seit seinem Ausscheiden bei der Firma M./Di. ausschließlich freiberuflich tätig gewesen und kein abhängiges Arbeitsverhältnis mehr eingegangen sei. Die zunächst mit dem Arbeitgeber vereinbarte Direktversicherung sei mit der Übertragung des gebildeten Kapitals auf die private Lebensversicherung gesetzlich erloschen. Zudem wies er in mehreren nachfolgenden Schreiben darauf hin, dass der in dem Bescheid vom 02.11.2007 behauptete Vorgang nachweislich nicht existiere, weswegen der Bescheid nichtig und damit unwirksam und die Beklagte zur Rücknahme verpflichtet sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2009 wiesen die Beklagten den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, dass der von dem Kläger erworbene Anspruch ursprünglich aus einer so genannten Direktversicherung stamme und damit zu den beitragspflichtigen Versorgungsbezügen zähle. Es sei unerheblich, dass im Anschluss an das Beschäftigungsverhältnis die Versicherungsbeiträge von dem Kläger selbst entrichtet worden seien. Die erhaltene Kapitalleistung sei nach § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V in der ab dem 01.01.2004 geltenden Fassung auf 1/120 aufzuteilen.

Mit zahlreichen Schreiben wies der Kläger nachfolgend darauf hin, dass seines Erachtens von den Beklagten ein nicht existierender Sachverhalt zugrunde gelegt worden sei, weswegen der Bescheid nichtig und unwirksam sei. Die pflichtwidrige Verweigerung der Rücknahme bleibe ohne Einfluss auf die bereits gegebene Nichtigkeit und Unwirksamkeit.

Mit weiteren Schreiben beantragte der Kläger erneut die Rücknahme des Beitragsbescheides, ua unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 28.09.2010 zum Az 1 BvR 1660/08 und des seiner Ansicht nach unwahren zugrunde gelegten Sachverhaltes. Zudem wies er auch darauf hin, dass die V. Lebensversicherung AG bestätigt habe, dass in Wahrheit die Versicherungssumme seiner privaten Lebensversicherung ausbezahlt worden sei.

Auf Anfrage der Beklagten zu 1) teilte die E. Versicherung AG (ehemals V. Lebensversicherung AG) mit Schreiben vom 16.05.2011 mit, dass der Vertrag LV ... am 01.11.1995 auf den Kläger übertragen und danach mit eigenen Beiträgen fortgeführt worden sei. Aus den bis zum 01.11.1995 gezahlten Beiträgen hätten sich für den Kläger Ansprüche in Höhe von 12.928,73 EUR ergeben.

Mit Beitragsänderungsbescheid vom 21.07.2011 setzte die Beklagte zu 1) die Beträge wie folgt fest:

Zeitraum Höhe Kapitalleistung KV-Beitrag PV-Beitrag gesamt - 01.12.2007 - 30.06.2008: 107,74 EUR 16,48 EUR 1,83 EUR 18,31 EUR - 01.07.2008 - 31.12.2008: 107,74 EUR 16,48 EUR 2,10 EUR 18,58 EUR - 01.01.2009 - 30.06.2009: 107,74 EUR 16,70 EUR 2,10 EUR 18,80 EUR - 01.07.2009 - 31.12.2010: 107,74 EUR 16,05 EUR 2,10 EUR 18,15 EUR - 01.01.2011 lfd 107,74 EUR 16,70 EUR 2,10 EUR 18,80 EUR.

Zur Begründung führte sie aus, dass der durch den Arbeitgeber finanzierte Anteil 12.928,72 EUR betrage. Diese Einkünfte seien in voller Höhe beitragspflichtig. Säumniszuschläge seien storniert worden. Die Mahngebühr von insgesamt 30,- EUR sei mit dem Guthaben verrechnet worden. Das BVerfG habe am 28.09.2010 - 1 BvR 1660/08 - entschieden, dass nur noch der durch den Arbeitgeber finanzierte Anteil der Beitragspflicht unterliege, sofern der Vertrag privatrechtlich auf den Begünstigten übertragen worden sei. Durch die Änderung der Beitragspflicht aus dem Versorgungsbezug LV ... entstehe ein Beitragsguthaben in Höhe von 1.992,28 EUR.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 19.08.2011, welches die Beklagten als Widerspruch auslegten. Hierin führte der Kläger aus, dass der Beschluss des BVerfG die Beklagte zur Rücknahme ihrer nichtigen Forderung vom 02.11.2007 verpflichte. Die neu erhobene Geldforderung sei ebenfalls gegenstandslos. Mit seinem vorzeitigen Ausscheiden sei die Teilversicherung Nr 2 ... des Gruppenvertrages GV 5 ... erloschen. An die Stelle der Ansprüche aus dem öffentlich-rechtlichen Versicherungsverhältnis sei die zu erbringende Versicherungsleistung des privatrechtlichen Vertrages T ..., auf den die Anwartschaften übertragen worden seien, getreten. Es werde daher angemahnt, die Nichtigkeit der Beitragsforderung (in der Gestalt des sogenannten Erstbescheids vom 02.11.2007, des sogenannten Widerspruchsbescheids vom 19.02.2009 sowie der sogenannten Änderungsmitteilung vom 21.07.2011) gem § 40 SGB X festzustellen und alle zu Unrecht vereinnahmten Forderungen, Mahngebühren, Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten gem. § 28 Abs 2 SGB IV verzinst zu erstatten.

Am 31.07.2012 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und die Feststellung der Nichtigkeit der Beitragsfestsetzungen gem § 55 Abs 1 Nr 4 SGG beantragt. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass die Beitragsbescheide nicht die Anforderungen der Vorschrift des § 35 SGB X erfüllten, die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe seien für die Beitragsnachforderung anzugeben. Die Beklagte unterdrücke willkürlich die ihr vorliegenden Tatsachen und Beweismittel und spiegele unwahre Tatsachenbehauptungen als tatsächliche Gründe vor. 1987 habe er beschlossen, seine bisherige Vorsorge der gesetzlichen Rentenversicherung durch eine mit privaten Mitteln finanzierte Lebensversicherung zu ergänzen. Aufgrund dessen habe er den Abschluss einer Direktversicherung mit seinem Arbeitgeber beschlossen. Die Vereinbarung habe den Arbeitgeber dazu verpflichtet, eine Direktversicherung für den Arbeitnehmer als Bezugsberechtigten abzuschließen und die ausschließlich von diesem zu finanzierenden Beitragsleistungen aus dessen Bezüge an die Versicherungsgesellschaft abzuführen. Die Vereinbarung sei auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers limitiert worden. Im Falle des vorzeitigen Ausscheidens würde der Arbeitnehmer Versicherungsnehmer einer privaten Lebensversicherung werden, die an die Stelle der mit dem Ausscheiden erlöschenden Direktversicherung träte. Die Vereinbarung habe keinen Bezug zu der betrieblichen Versorgung gehabt. Die vereinbarte Versicherungsleistung sei weder nach Eintreten des Versicherungsfalles an die Stelle der Versorgungsbezüge getreten noch sei sie vor Eintreten des Versicherungsfalls als solche Leistung vereinbart worden. Es habe auch keine Versorgungsabsicht bestanden. Es seien auch keine Versorgungsleistungen des Arbeitgebers vereinbart worden, sondern der Arbeitgeber habe ihm in treuhänderischer Weise ermöglicht, die Versicherungsleistung zu den Konditionen seines mit der Versicherung bestehenden Gruppenversicherungsvertrages zu erwerben. Zum 31.06.1995 sei er vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Die Versicherung habe ihm das Ausscheiden aus der Gruppenversicherung zum 01.11.1995 bestätigt. An die Stelle der Ansprüche aus diesem Vertrag sei die Versicherungsleistung einer zunächst beitragsfreien privaten Lebensversicherung getreten, die dann mit Wirkung zum 01.11.1995 durch eine weiterhin mit Beiträgen belegte Lebensversicherung ersetzt worden sei. Mit dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis sei der Gruppenversicherungs-Teilvertrag beendet worden und das dadurch begründete Schuldverhältnis erloschen. Die an die Stelle seiner Ansprüche aus dem erloschenen Schuldverhältnis getretene Versicherungsleistung begründe ein neues Vertragsverhältnis zwischen ihm und der Versicherungsgesellschaft, auf das der Wert des in der Direktversicherung gebildeten Kapitals gem § 4 Abs 5 BetrAVG übertragen worden sei. Er sei durch diese gesetzliche Vorschrift so gestellt worden, als ob die private Lebensversicherung von Anfang an bestanden habe, da aus dem öffentlich-rechtlichen Vertragsverhältnis keine Leistungen mehr geschuldet seien. Bei Vertragsgestaltungen der Art, dass "Versicherungsverträge übertragen" würden oder der Arbeitnehmer "in die Stellung des Versicherungsnehmer einrücke", handele es sich nicht um Direktversicherungen nach Maßgabe des BetrAVG. Die Beklagte umgehe das Erlöschen des öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses zum 01.11.1995 und unterdrücke somit wesentliche Besonderheiten gegenüber den Fällen, die in den von der Beklagten angeführten Gerichtsurteilen behandelt worden seien. Dort habe die Beitragserhebung nach § 229 SGB X idF vom 01.01.2004 eine verfassungsrechtlich zulässige unechte Rückwirkung entfaltet, da sie mit Wirkung für die Zukunft in ein bestehendes öffentlich-rechtliches Versicherungsverhältnis eingegriffen habe. Der Gesetzgeber habe bei der Regelung der Beitragspflicht für Versorgungsbezüge die Versicherungsleistung aus dieser von ihm geförderten Eigenvorsorge, mit denen die Beitragspflicht für Betriebsrenten nicht umgangen worden seien, klar von den beitragspflichtigen Leistungen aus betrieblicher Versorgung unterschieden. Mit der Neufassung des § 180 Abs 8 Satz 4 RVO zum 01.01.1983 seien sowohl Renten der betrieblichen Altersversorgung als auch an deren Stelle vereinbarte nicht regelmäßig wiederkehrende Leistungen in die Beitragsbemessung einbezogen worden. Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung vom 18.12.1984, Az B 12 KR 36/84, bei den nicht regelmäßig wiederkehrenden Leistungen unterschieden, ob die Vereinbarung über die Art der späteren Versorgung (laufende oder einmalige Leistungen) nach oder vor Eintritt des Versorgungsfalles getroffen worden seien und dahingehend gedeutet, dass der Gesetzgeber sich offenbar zunächst dafür entschieden habe, die letztgenannte Fallgruppe beitragsfrei zu lassen, sich aber eine Änderung seiner Entscheidung über die Beitragsfreiheit vorbehalten habe. Während Personen dieser letztgenannten Fallgruppe also nicht uneingeschränkt auf den Fortbestand der sie privilegierenden Rechtslage vertrauen konnten, sei er von der neuen Gesetzeslage und der Ausdeutung dieses gesetzlichen Rahmens nicht betroffen, da seine Direktversicherung ohne Bezug zu seiner Betriebsrente vereinbart worden sei und die Beitragspflicht für diese nicht berühre. Auch im Zuge der Änderung des § 229 SGB V zum 01.01.2004 habe der Gesetzgeber den Vertrauensschutz konsequent gewahrt. Die Beklagte verstoße somit gegen Artikel 20 Abs 3 GG und Artikel 3 Abs 1 GG.

Im laufenden Widerspruchsverfahren hat die Beklagte zu 1) nochmals die E. AG um Auskunft gebeten. Am 25.06.2013 hat die Beklagte zu 1) - auch im Namen der Beklagten zu 2) - daraufhin einen weiteren Änderungsbescheid erlassen, wonach der Bescheid vom 21.07.2011 für die Zukunft zurückgenommen werde, da die korrekte Beitragsbemessungsgrundlage aus der Kapitalleistung monatlich 160,67 EUR betrage. Danach ergäben sich ab 01.07.2013 folgende Beiträge:

Beiträge zur Krankenversicherung: 24,90 EUR Beiträge zur Pflegeversicherung: 3,29 EUR monatlicher Beitrag ab 01.07.2013: 28,19 EUR

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2013 hat die Beklagte zu 1) - auch im Namen der Beklagten zu 2) - sodann den Widerspruch gegen den Bescheid zurückgewiesen.

Der Kläger hat insoweit im Klageverfahren ergänzend vorgetragen, dass auch in dem neuen Bescheid vom 25.06.2013 die Beklagten die vorliegenden Tatsachen des wahren Sachverhaltes unterdrücke und unwahre Tatsachenbehauptungen als "tatsächliche Gründe" vorspiegele. Insoweit unterscheide sich der neue Bescheid von dem vorherigen Bescheid lediglich durch eine andere Berechnungsmethode. Der Widerspruchsbescheid vom 04.09.2013 werde ebenfalls als nichtiger Verwaltungsakt zurückgewiesen, da die angefochtenen Angaben zum Sachverhalt weder abgeändert noch ersetzt worden seien. Der Widerspruchsausschuss sei daher mit weiteren unwahren Angaben getäuscht worden.

Mit Schriftsätzen vom 17.10.2013 und 02.11.2013 hat der Kläger nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Streitgegenstand der Klage die Behauptung unwahrer Angaben der Beklagten zum Sachverhalt und damit die Nichtigkeit des Erstbescheides und aller davon abgeleiteten Bescheide sei. Streitgegenstand der Klage sei nicht die Höhe der Beitragspflicht.

Mit Urteil vom 21.11.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Streitgegenstand sei im vorliegenden Fall allein die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheids vom 02.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.02.2009 sowie des Änderungsbescheids vom 21.07.2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 25.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.09.2013. Der Kläger habe in seinem Schreiben vom 17.10.2013 und 02.11.2013 sowie nach richterlichem Hinweis ausdrücklich erklärt, dass er nicht die Überprüfung der Rechtmäßigkeit begehre, sondern ausschließlich die Feststellung der Nichtigkeit der genannten Bescheide. Die zulässigen Feststellungsklagen seien jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen des § 40 SGB X seien nicht gegeben. Die Voraussetzungen der in § 40 Abs 2 SGB X abschließend geregelten Ziffern 1 bis 5 lägen ersichtlich nicht vor. Insbesondere würden die Verwaltungsakte nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Die Nichtigkeit des Verwaltungsaktes lasse sich auch nicht mit § 40 Abs 1 SGB X begründen. Für das Gericht sei bereits nicht ersichtlich, dass die Beklagte willkürlich vorliegende Tatsachen und Beweismittel unterdrückt und unwahre Tatsachenbehauptungen als "tatsächliche" Gründe vorgespiegelt habe. Die Beklagte habe den Sachverhalt ausreichend ermittelt und ihn in den Bescheiden korrekt wiedergegeben. Soweit der Kläger wiederholt sein vorzeitiges Ausscheiden aus einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis und das damit verbundene Erlöschen seiner Gruppenversicherung anbringe bzw die Auszahlung einer betrieblichen Altersvorsorge durch den Arbeitgeber verneine, handele es sich um eine rechtliche Wertungsfrage, die keine Nichtigkeit der Verwaltungsakte begründen könne. Auch die Fragen, ob die Höhe der Beiträge richtig berechnet worden sei und mit der Beitragserhebung gegen Artikel 20 Abs 3 GG und Artikel 3 GG und/oder das Rückwirkungsverbot und den Vertrauensschutz verstoßen werde, sei im Rahmen der Rechtsmäßigkeit zu prüfen und führe nicht zu einer Nichtigkeit der Bescheide.

Gegen das dem Kläger am 03.12.2013 mittels Postzustellungsurkunde bekanntgegebene Urteil hat der Kläger am 03.01.2014 beim SG Konstanz Berufung eingelegt, welche am 10.01.2014 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingegangen ist. Zur Begründung führt er aus, dass das SG Konstanz maßgebliche Umstände der Klage nicht vollständig gewürdigt und wesentliche Anteile rechtlichen Gehörs verweigert habe. Das SG habe den Sachverhalt insbesondere sinnumkehrend verändert und die gestellten Anträge sowie den Streitgegenstand verändert. Unzutreffend sei das SG auch davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 40 SGB X nicht vorlägen.

Der Kläger beantragt daher,

1.) Es wird festgestellt, dass der Beitragsbescheid der Beklagten in der Gestalt - des Erstbescheids vom 02.11.2007 - des Widerspruchsbescheids vom 19.02.2009 - des Schreibens zur Änderung der Beitragspflicht vom 21.07.2011 - des Schreibens zur Anpassung der Beitragsbemessungsgrenze vom 25.06.2013 - des Widerspruchsbescheids vom 04.09.2013

nichtig ist.

2.) Die Beklagte wird verpflichtet, die Unwirksamkeit des Bescheids nach § 39 Abs 3 SGB X zu bestätigen, soweit dieser nicht durch die Feststellung gemäß 1. oben kassiert wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Rahmen des Erörterungstermins am 15.04.2014 wurde darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, das Verfahren durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 SGG zu entscheiden. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Der Senat entscheidet über die Berufung gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu der beabsichtigten Verfahrensweise im Rahmen des Erörterungstermins am 15.04.2014 angehört worden. Die Ausführungen des Klägers in seinem Schreiben vom 06.05.2014 erfordern nicht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Der Kläger erläutert darin seinen Antrag und begründet seine Rechtsauffassung, er macht aber nicht geltend, dass er eine mündliche Verhandlung wünscht oder für notwendig erachtet.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind nicht nichtig. Das angefochtene Urteil des SG ist daher nicht zu beanstanden.

Das Passivrubrum war dahingehend zu berichtigen, dass nicht nur die Beklagte zu 1), sondern auch die Beklagte zu 2) Beteiligte des Rechtsstreits ist (§ 69 Nr 2 SGG). Denn der Kläger hat sich sowohl im Klage- als auch im Berufungsverfahren gegen die Bescheide in ihrer Gesamtheit gewandt. Sowohl in den Bescheiden vom 02.11.2007 und 25.06.2007 als auch in den Widerspruchsbescheiden hat die Beklagte zu 1) zudem zum Ausdruck gebracht, auch im Namen der Pflegekasse zu handeln (zur Zulässigkeit vgl § 46 Abs 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - SGB XI -).

Streitgegenstand ist vorliegend allein die Feststellung der Nichtigkeit der Bescheide vom 02.11.2007 sowie des Widerspruchsbescheids vom 19.02.2009 sowie des Änderungsbescheids vom 21.07.2011, des Änderungsbescheids vom 25.06.2013 sowie des Widerspruchsbescheids vom 04.09.2013. Der Kläger hat nicht nur in dem Verfahren vor dem SG mehrfach und nach richterlichem Hinweis ausdrücklich erklärt, dass er nicht die Überprüfung der Rechtmäßigkeit begehrt, sondern ausschließlich die Feststellung der Nichtigkeit der obengenannten Bescheide. Auch in dem Erörterungstermin vor dem Berichterstatter hat er nach ausführlicher Erläuterung an seinem Klagebegehren festgehalten und deutlich gemacht, dass er lediglich die Feststellung der Nichtigkeit der Bescheide beantrage und nur diese Klageart seinem Klageziel gerecht werde. Insoweit hat er erklärt, dass er sich nach Durchführung des vorliegenden Klageverfahrens vorbehält, zu einem späteren Zeitpunkt ein Antrag gemäß § 44 SGB X zu stellen und hierin sodann die Rechtswidrigkeit der Bescheide prüfen zu lassen. Dies jedoch nur für den Fall, dass er nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel mit dem vorliegenden Klagebegehren der Nichtigkeit nicht durchzudringen vermag.

Gemäß § 40 Abs 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist (§ 40 Abs 1 SGB X). Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 40 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt gem § 40 Abs 2 SGB X nichtig, der

1.) schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt, 2.) der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt, 3.) den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann, 4.) der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die ein Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, 5.) der gegen die guten Sitten verstößt.

Die Voraussetzungen der in Abs 2 geregelten Ziffern 1 bis 5 liegen nicht vor. Auf die zutreffenden Gründe des SG wird insoweit Bezug genommen (§ 153 Abs 2 SGG). Lediglich ergänzend ist auszuführen, dass § 40 Abs 2 Nr 5 SGB X die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts regelt, der gegen die guten Sitten verstößt, also das Anstandsgefühl aller billigen und gerecht Denkenden verletzt (BSG SozR 3-1300 § 40 Nr 2 S 18). Im vorliegenden Fall verstößt die Regelungswirkung des Verwaltungsaktes nicht hiergegen, da in einer Beitragsfestsetzung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen kein entsprechender Verstoß zu sehen ist. Auch sonst liegen keine Anhaltspunkte für einen entsprechenden Verstoß vor.

Die Nichtigkeit des Verwaltungsaktes ergibt sich auch nicht aus § 40 Abs 1 SGB X. Diese gegenüber § 40 Abs 2 SGB X subsidiäre Vorschrift enthält eine Generalklausel für besonders schwerwiegende Fehler. Der Fehler muss in seiner Schwere denen des Abs 2 entsprechen und denjenigen nach Abs 3 überschreiten (BT-Drucks 7/910 S 64; Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand Juli 2011 § 40 SGB X Rdnr 12 mwN). Besonders schwerwiegend sind dabei solche materiellen Fehler, die deshalb mit der Rechtsordnung unter keinen Umständen vereinbar sein können, weil sie tragenden Verfassungsprinzipien oder den der Rechtsordnung immanenten Wertvorstellungen widersprechen (BVerwGE NJW 1985, 2658). Zur Nichtigkeit führt ebenso, wenn ein Bescheid seiner Art oder seines Inhalts schlechterdings nicht vorstellbar ist. Aber auch unterhalb dieser Schwelle kann Nichtigkeit vorliegen, etwa bei solchen Fällen, die zwar eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 38 bewirken, bei denen jedoch die eigentlich gewollte Entscheidung nicht ebenso offenbar ist. Gleichermaßen nichtig ist ein Bescheid, der - auch nach dem Versuch einer Auslegung - völlig unklar, unverständlich, unsinnig und widersprüchlich ist bzw nicht erkennen lässt, von wem was verlangt wird. Für eine Nichtigkeit reicht demgegenüber weder die bloße Abweichung vom Gesetz noch eine Fehlerhäufung. Selbst eine Gesetzlosigkeit, also das Fehlen jeglicher gesetzlicher Grundlagen, führt grundsätzlich noch nicht zur Nichtigkeit. Ebensowenig nichtig ist ein Verwaltungsakt, nur weil er auf einer vorgreiflichen Gesetzesanwendung beruht, sich zB auf ein noch nicht im Bundesgesetzblatt verkündete Vorschrift stützt. Auch ein Verwaltungsakt, der aufgrund eines verfassungswidrigen Gesetzes ergangen ist, ist nicht bereits deshalb nichtig. Daneben können auch Verfahrens-, insbesondere Form und Zuständigkeitsfehler gemäß § 40 Abs 1 SGB X zur Nichtigkeit führen. Aus § 40 Abs 2 SGB X ist allerdings zu schließen, dass das Fehlen der vorgeschriebenen Schriftform oder einer Unterschrift im Verwaltungsakt nicht als solchen bereits nichtig macht (Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand Juli 2011, SGB I, § 40 RdNr 13 ff).

Zur besonderen Schwere des Fehlers muss nach Abs 1 noch dessen Offensichtlichkeit hinzutreten. Aus dem Merkmal "offensichtlich" folgt dabei, dass es nicht nur auf die Erkennbarkeit des Fehlers für den Adressaten ankommen kann. Ebensowenig ist auf die Erkennbarkeit der Schwere des Fehlers für einen juristisch Vorgebildeten abzustellen, vielmehr darauf, ob ein "besonnener Mensch" von einem besonders schwerwiegenden Fehler überzeugt sein muss, ob der Fehler einem "urteilsfähigen", einem "aufmerksamen und verständigen Staatsbürger" oder einen "verständigen Durchschnittsadressaten" ohne weiteres erkennbar war, ob ein solcher ohne weiteres zu dem Schluss kommen musste, dass der Verwaltungsakt unmöglich rechtens sein kann (Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand Juli 2011, SGB I, § 40 RdNr 16 mwN).

Nach diesen Maßstäben lässt sich die Nichtigkeit der angegriffenen Verwaltungsakte nicht feststellen. Auch insoweit hat das SG zutreffend festgestellt, dass kein besonders schwerwiegender und offenkundiger Fehler vorliegt und die Beklagte insbesondere keine Tatsachen und Beweismittel unterdrückt und unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt oder vorgespiegelt hat. Die Beklagte hat vielmehr den Sachverhalt ausreichend ermittelt und ihn in den Bescheiden zugrundegelegt. Auch insoweit nimmt der Senat auf die Entscheidungsgründe des SG gemäß § 153 Abs 2 SGG Bezug. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Beklagte nach den vorliegenden Unterlagen der Viktoria Versicherung und des Vertrags mit dem ehemaligen Arbeitgeber zutreffend von einer Übertragung der Direktversicherung auf den Arbeitnehmer ausgeht. So geht der zwischen dem Arbeitgeber und der Versicherung vorliegende Vertrag gerade davon aus, dass im Fall des Ausscheidens des Arbeitsnehmers eine Übertragung auf den Arbeitnehmer erfolgt. Dementsprechend geht auch die Bestätigung der Viktoria Lebensversicherung davon aus, dass die Versicherung auf den Kläger übertragen wurde.

Soweit der Kläger darüber hinaus eine Verfassungswidrigkeit der streitgegenständlichen Bescheide annimmt und hieraus die Nichtigkeit ableitet, hat auch hierzu das SG zutreffend ausgeführt, dass insoweit weder ein besonders schwerwiegender Fehler vorgetragen wurde noch ein solcher offensichtlich ist. Vielmehr ist gerade darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht die maßgebliche Regelungen des § 229 SGB V für verfassungsgemäß gehalten hat.

Da die im Übrigen gerügte nicht ausreichende oder gar fehlerhafte Begründung allenfalls zur Rechtswidrigkeit führen könnte, aber nicht zur Nichtigkeit führt, ist das angegriffene Urteil des SG insgesamt nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger hilfsweise eine Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung begehrt, ist bereits fraglich, inwieweit es sich hierbei um einen selbständigen Antrag handelt. Dieser Antrag wäre jedoch zumindest unbegründet, da nach den obigen Ausführungen keine Nichtigkeit vorliegt. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved