L 4 R 5498/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 3568/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 5498/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16. November 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für den Zeitraum vom 1. Oktober 2007 bis 31. Dezember 2012.

Die am 1952 geborene Klägerin absolvierte keine Berufsausbildung. Von August 1967 bis Juni 1971 war sie als Bürogehilfin, von Juli 1971 bis September 1978 als Sachbearbeiterin beschäftigt. Eine Tätigkeit als kaufmännische Angestellte übte sie von Januar 1998 bis August 2000 und von August 2000 bis zu ihrer Kündigung im September 2005 bei einer gesetzlichen Krankenkasse aus. Anschließend bezog die Klägerin von Januar 2006 bis einschließlich Juli 2009 Leistungen der Arbeitsverwaltung oder Krankengeld. Seit 1. Januar 2013 bezieht die Klägerin eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen (Bescheid vom 26. November 2012).

Am 17. Oktober 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Sie gab an, sich seit 2003 wegen Rückenschmerzen und Problemen mit den Bandscheiben für erwerbsgemindert zu halten. Je nach Befinden sei sie in der Lage, noch leichte Arbeiten zu verrichten. Die Beklagte veranlasste eine Untersuchung und Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin Dr. B ... Dieser führte in seinem Gutachten vom 13. November 2007 aus, die Klägerin leide an einem degenerativen Lendenwirbelsäulensyndrom, einer beginnenden Coxarthrose beidseits sowie einer Gonarthrose rechts. Im Ergebnis gelangte er zu der Einschätzung, die Klägerin sei sowohl in der Lage, ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Büroangestellte als auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, überwiegend im Sitzen, sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Mit Bescheid vom 4. Dezember 2007 lehnte die Beklagte daraufhin den Rentenantrag der Klägerin ab.

Hiergegen erhob die Klägerin unter Vorlage eines ärztlichen Attests des sie behandelnden Arztes für Innere Medizin Dr. F. vom 15. Februar 2008 sowie eines Arztbriefes des Facharztes für psychotherapeutische Medizin, Neurologie/Psychiatrie/Psychotherapie Dr. G. vom 11. Februar 2008 Widerspruch. Die Beklagte ließ die Klägerin anschließend durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Mi. untersuchen. In seinem Gutachten vom 4. Juli 2008 führte dieser aus, die Klägerin leide an einer mittelgradigen depressiven Episode sowie einem Lendenwirbelsäulensyndrom mit fraglicher radikulärer L5/S1-Symptomatik. Wegen der depressiven Verstimmung mit Schlafstörungen sei die Belastbarkeit der Klägerin zur Zeit etwas herabgesetzt, lasse sich aber durch optimale medikamentöse und nervenärztliche Behandlung wieder bessern. Wegen der orthopädischen Veränderungen seien Arbeiten mit häufigem Bücken, Heben und Tragen von schweren Lasten und Zwangshaltungen nicht durchführbar. Die Leistungsfähigkeit für den zuletzt ausgeübten Beruf sei vor allem durch die Schlafstörungen und die depressive Symptomatik gefährdet. Allerdings sei bislang keine adäquate medikamentöse und keine ausreichend intensive nervenärztliche Behandlung erfolgt. Zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes der Klägerin diene eine stationäre psychosomatisch/orthopädisch ausgerichtete Rehabilitationsmaßnahme. Unter der Voraussetzung, dass eine optimale orthopädische und nervenärztliche Behandlung durchgeführt werde, bleibe die Klägerin für ihre letzte Tätigkeit als Büroangestellte vollschichtig leistungsfähig. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne sie unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen noch sechs Stunden und mehr täglich ausüben. Der von der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss wies den Widerspruch der Klägerin daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 16. September 2008 zurück.

Die Klägerin erhob am 10. Oktober 2008 Klage vor dem Sozialgericht Reutlingen (SG). Zur Begründung führte sie aus, der Grad ihrer Behinderung (GdB) betrage mittlerweile 60. Insgesamt sei sie nicht mehr in der Lage, mehr als drei Stunden täglich zu arbeiten und könne auch ihren ausgeübten Beruf als kaufmännische Angestellte nicht mehr verrichten. Seit 2005 leide sie unter degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit Ausstrahlung in das rechte Bein. Infolge dieser Schmerzen leide sie zusätzlich an einer anhaltenden gravierenden Insomnie, einem Schmerzsyndrom und schwerer Nervosität. Nach der im November 2008 erfolgten Implantation einer Knie-Totalendoprothese (TEP) rechts mit anschließender stationärer Rehabilitationsmaßnahme in der B.-Klinik Ü. am Bodensee sei sie nicht mehr in der Lage, selbständig eine Wegstrecke von mehr als 500 Metern zurückzulegen. Zudem seien massive Beschwerden am ebenfalls operierten linken Knie (Implantation einer Knie-TEP links im Oktober 2009) vorhanden. Des Weiteren sei eine Arthrose an der rechten Hand festgestellt worden, sodass sie diese nur noch eingeschränkt gebrauchen könne. Ferner sei sie im Dickdarmbereich sowie an der Schilddrüse operiert worden. Insoweit verwies sie auf den Bericht des Nuklearmediziners Dr. La. vom 23. September 2010 sowie die Entlassbriefe des Prof. Dr. R., Klinik für Allgemein-, Fisceral- und Kinderchirurgie, vom 9. Februar und 25. März 2011.

Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage mehrerer Stellungnahmen ihres Beratungsarztes Ni. sowie des Berichts über die stationäre Rehabilitationsmaßnahme der Klägerin in der B.-Klinik Ü. vom 10. Dezember bis 31. Dezember 2008 entgegen. Chefarzt Dr. E., Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie, hatte in seinem Entlassungsbericht vom 2. Januar 2009 ausgeführt, die Klägerin leide an einer Gonarthrose rechts (Zustand nach Implantation einer Knie-TEP rechts, 24. November 2008), einer beginnenden Gonarthrose links (anamnestisch), leichtem Übergewicht, einer arteriellen Hypertonie sowie einer Hypercholesterinämie. Sie sei in der Lage, sechs Stunden und mehr täglich eine Tätigkeit als kaufmännische Angestellte und körperliche leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Hierbei sollten Gang- und Standsicherheit beachtet werden sowie Zwangshaltungen, Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über fünf Kilogramm, Erschütterungen, Vibrationen und Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr vermieden werden. In einer hierzu abgegebenen ärztlichen Stellungnahme führte der Beratungsarzt Ni. aus, auf orthopädischem Gebiet sei eine passagere Verschlechterung seit der Begutachtung im November 2007 nicht auszuschließen. Eine sozialmedizinische Relevanz liege jedoch nicht vor. Denn nach den Ausführungen im Entlassungsbericht vom 2. Januar 2009 sei zwar eine Operation des rechten Kniegelenks erforderlich geworden, da sich die schmerzfreie Gehstrecke auf zehn Minuten verringert habe; allerdings habe die Klägerin einen PKW, mit dem sie die Wege zur Arbeit zurücklegen könne. Nach dem Entlassungsbericht sei von einem günstigen Heilungsverlauf auszugehen, sodass ca. acht bis zwölf Wochen postoperativ wieder mit Arbeitsfähigkeit gerechnet werden könne.

Das SG hörte die die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Dr. B. teilte mit, er habe die Klägerin lediglich einmal anlässlich der Begutachtung im Auftrag der Beklagten im November 2007 untersucht und begutachtet (Auskunft vom 5. Februar 2009). Dr. F. legte dar, im Vordergrund des Krankheitsgeschehens stehe der Zustand nach Knie-TEP rechts sowie Gonarthrose links. Aus internistischer Sicht liege seit 2002 eine Hypertonie vor, die einer antihypertensiven Behandlung bedürfe. Dennoch schwankten die Blutdruckwerte je nach psychischer Situation stark. Des Weiteren leide die Klägerin an einer Depression. Eine Erwerbsminderung auf Grund der internistischen Erkrankungen sei nicht gegeben. Auch im Hinblick auf die depressive Stimmungslage könnten leichtere körperliche Tätigkeiten noch ausgeübt werden (Auskunft vom 13. Februar 2009). Dr. G. führte unter dem 5. März 2009 aus, die Klägerin leide an einer anhaltenden gravierenden Insomnie und einer Depression bei festgefügtem Schmerzsyndrom. Dem läge eine gravierende Verdrängungshaltung mit massiv überhöhten Ansprüchen an die eigene Person zugrunde. Es bestehe ein lediglich unter sechsstündiges Leistungsvermögen. Facharzt für Chirurgie Dr. Brugger legte dar (Auskunft vom 6. März 2009), aufgrund der stark eingeschränkten Belastbarkeit des rechten Kniegelenks, der zunehmenden Schmerzen im linken Kniegelenk und des degenerativen Lendenwirbelsäulen-Syndroms sei die Klägerin nicht in der Lage, sechs Stunden täglich leichte Arbeitstätigkeiten zu verrichten. Da die Implantation der Knie-TEP jedoch erst drei Monate zurückliege, sei noch eine Funktionsverbesserung zu erwarten, sodass zunächst eine zeitlich befristete Erwerbsunfähigkeitsberentung indiziert sei.

Anschließend betraute das SG Dr. E. von der B.-Klinik Ü. mit der Begutachtung der Klägerin. In seinem Gutachten vom 15. Mai 2009 legte er dar, die Klägerin leide an einer Varusgonarthrose beidseits bei Zustand nach Implantation einer Knieendoprothese rechts mit guter Beweglichkeit, ausgeprägter Gonarthrose links mit retropatellarem Druckschmerz und Verschiebeschmerz sowie Druckschmerz über dem medialen Kniegelenkspalt, und einer sehr diskreten Coxarthrose beidseits, klinisch nicht relevant. Ferner bestehe bei der Klägerin eine diskrete subchondrale Sklerosierung der Ileosacralgelenke als Zeichen eines beginnenden Verschleißes und eine degenerative Veränderung der Lendenwirbelsäule, insgesamt geringen Ausmaßes. Des Weiteren leide sie an einer Arthrose des rechten Acromioclaviculargelenks mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks und einem Zustand nach Operation eines Ganglions der rechten Hand mit endgradigem Streckdefizit des betroffenen Fingers im frischen postoperativen Stadium. Anamnestisch bestehe bei der Klägerin eine depressive Episode bei chronischer Schmerzsymptomatik. Letztlich leide sie noch an einer bekannten Cholelithiasis und einer klinisch unbedeutenden Zyste in der Leber. Im Ergebnis bestehe ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen der Klägerin. Die Tätigkeit sollte zeitweise im Gehen und Stehen, überwiegend im Sitzen ausgeübt werden. Heben, Tragen von Lasten ohne Hilfsmittel mit mehr als 15 Kilogramm, öfter als fünfmal pro Stunde, sollten dabei vermieden werden. Häufiges Bücken sowie Arbeiten in nach vorne geneigter Zwangshaltung, die mehr als 30 % des Arbeitszeitraums beinhalteten, sollten vermieden werden. Dies gelte auch für Akkord- und Fließbandarbeiten. Wegen der bestehenden Schlafstörungen sollte die Klägerin auf Tätigkeiten in Nachtschicht verzichten. Dies gelte auch für die verstärkte Exposition von Kälte, Zugluft und Nässe. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Von Seiten des rechten Kniegelenks bestehe derzeit keine wesentliche Minderung der beruflichen Leistungsfähigkeit; am linken Kniegelenk bestehe jedoch eine deutliche Instabilität. Es sei eine Operationsindikation gegeben. Wegen der Acromioclavicular-Gelenksarthrose rechts könnten noch Überkopfarbeiten nur gelegentlich durchgeführt werden.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) veranlasste das SG eine Begutachtung durch den Orthopäden Dr. He. und Dr. G ...

In seinem Gutachten vom 21. Januar 2010 gab Dr. He. an, die Klägerin leide an einer schmerzhaften Funktionsstörung beider Kniegelenke nach Kniegelenksersatz rechts im November 2008 und links im Oktober 2009. Des Weiteren bestehe bei der Klägerin eine diskrete schmerzhafte Funktionsstörung des rechten Schultergelenks ohne Anzeichen einer gravierenden Strukturschädigung des Gelenks selbst bzw. der umgebenden Weichteile. Auch leide die Klägerin an belastungsunabhängigen, bezüglich ihrer Ursache unklaren, krampfartigen Schmerzen in den unteren Gliedmaßen ohne dauerhafte Muskelschwächen oder gar Lähmungen oder anhaltende Gefühlsstörungen in den unteren Gliedmaßen. Im Ergebnis sei die Klägerin in der Lage, eine Erwerbstätigkeit mindestens sechs Stunden arbeitstäglich auszuüben. Zu vermeiden seien Arbeiten mit sehr umfangreichem Treppensteigen oder gar Besteigen von Leitern und Gerüsten und mit Sprungbelastungen, häufigem Stehen und Gehen auf sehr unebenem, rutschigem Gelände sowie mit der Erforderlichkeit einer Kniebeugung von mehr als 90 bis 100 Grad (Arbeiten im Knien oder in Hockstellung, Arbeiten auf sehr niedrigen Sitzmöbeln). Ebenfalls sollte die Klägerin Arbeiten in nasser und kalter Umgebung ohne geeignete Schutzkleidung, mechanisch anspruchsvolle Überkopfarbeiten mit der rechten Hand, nicht nur gelegentliches Heben und Tragen von Lasten bis fünfzehn Kilogramm in stabilisierter aufrechter Rumpfhaltung bzw. bis acht Kilogramm im Rumpfvor- oder -seitneigung sowie langes Verharren in Zwangshaltung der Lendenwirbelsäule nicht mehr ausüben. Die Körperhaltung sollte während der Arbeit immer wieder verändert werden können, wobei Steh- und Gehphasen von 15 bis 30 Minuten Dauer mittelfristig (nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit ca. drei bis vier Monate nach dem letzten operativen Eingriff) zumutbar erscheinen. Dies gelte auch für Sitzphasen von einer bis zwei Stunden Dauer. Die Klägerin sei mit Hilfe von Unterarmgehstützen viermal arbeitstäglich in der Lage, im Zeitpunkt der Begutachtung eine Wegstrecke von 500 Metern in zumutbarem Zeitaufwand zurückzulegen. Mit einer weiteren Besserung der Gehfähigkeit sei in den nächsten sechs bis zwölf Wochen zu rechnen.

Der die Klägerin behandelnde Dr. G. führte in seinem Gutachten vom 30. Juli 2010 aus, die Klägerin leide an einer anhaltenden gravierenden Depression und Insomnie bei festgefügtem Schmerzsyndrom. Des Weiteren bestehe bei ihr eine zugrundeliegende gravierende Verdrängungshaltung mit massiv überhöhten Ansprüchen an die eigene Person. Auch sei die Klägerin mit einer Endoprothese an beiden Kniegelenken bei Arthrose versorgt worden. Ferner leide sie an einer zunehmend durchdringenden psychischen Überlastung mit sukzessiv progredienter erheblicher Leistungseinschränkung. Die Leistungskapazität der Klägerin sei infolge der ausgeprägten psychischen Überlagerung mit ausgeprägten sensitiven Elementen, Verbitterung, Antriebsminderung, Grübeln und vor allem zunehmender Reduzierung von Konzentrations- und Merkfähigkeit, sukzessiv verstärkter Erschöpfung sowie völliger Müdigkeit und Konzentrationsabbruch lediglich noch in der Lage, "drei bis sechs Stunden" täglich einer Beschäftigung nachzugehen. Ergänzend legte er unter dem 15. November 2010 dar, er halte die Klägerin für in der Lage "zwischen drei bis unter sechs Stunden täglich" eine Erwerbstätigkeit auszuüben.

Anschließend erhob das SG Beweis durch die Einholung eines Gutachtens von Amts wegen durch den Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Krankenhäuser Landkreis Freudenstadt Dr. De ... Dieser legte in seinem Gutachten vom 17. April 2011 dar, auf psychiatrischem Gebiet liege eine depressive Entwicklung im Sinne einer leichtgradigen depressiven Episode vor. Die Klägerin leide an einem Schmerzsyndrom mit Chronifizierungstendenz, dem mäßig starker Krankheitswert zukomme und das in erster Linie auf Gesundheitsstörungen des orthopädischen Gebiets, vor allem der Kniearthrose mit dem Einsatz von Kniegelenksprothesen, zurückzuführen sei. Eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sei demgegenüber nicht gegeben. Die Diagnose könne allenfalls als Verdachtsdiagnose formuliert werden. Aus psychiatrischer Sicht lägen wesentliche qualitativer Einschränkungen nicht vor und die Klägerin könne zumindest leichte körperliche Arbeiten (ggf. auch mittelschwere) in einem täglichen Umfang von mindestens sechs Stunden ausüben. Die vom Sachverständigen Dr. G. beschriebene ausgeprägte Gedrücktheit, gravierende Verbitterung, massive Selbstzweifel, Versagens- und Insuffizienzvorstellungen mit entsprechend ausgeprägter Reduzierung von Durchhaltevermögen, Frustrations- und Angsttoleranz sowie psychischer Belastbarkeit könne er nicht bestätigen.

Mit Urteil vom 16. November 2011 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin sei zur Überzeugung der Kammer noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr als sechs Stunden täglich zu verrichten. Das SG schloss sich hinsichtlich der festgestellten Diagnosen den Gutachtern Dr. E., Dr. De., Dr. B. und Dr. Mi. an. Die Schilderungen der Klägerin (gegenüber dem Sachverständigen Dr. De.) zum Tagesablauf, zu ihrer Persönlichkeit und zu ihren Hobbies ließen erkennen, dass sie noch über Ressourcen verfüge, die sie auch bei der Erwerbstätigkeit einsetzen könne. Demgegenüber sei der Leistungsbeurteilung im Gutachten des Dr. G. nicht zu folgen. Es sei nicht schlüssig belegt, dass psychische Störungen im Ausprägungsgrad, wie von Dr. G. beschrieben, vorlägen. Dieser sei zudem in ein Patienten-Betreuungs-Verhältnis eingebunden, sodass er die Klägerin nicht von einem neutralen Standpunkt aus begutachten könne, wie dies bei einem nicht in die Behandlung eingebundenen Sachverständigen möglich sei. Darüber hinaus sei keine Einschränkung der Wegefähigkeit gegeben. Auch läge eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkung nicht vor. Die Klägerin sei auch nicht berufsunfähig. Im Hinblick auf ihre zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Erwerbstätigkeit als angelernte Büromitarbeiterin in einer Krankenkasse sei die Klägerin über sechs Stunden täglich in der Lage, in einem Büro sowie beispielsweise als Mitarbeiterin am Empfang oder an Informationsstellen oder im Rahmen einer Tätigkeit an der Nebenpforte eines Unternehmens über sechs Stunden täglich tätig zu werden.

Gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 30. November 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14. Dezember 2011 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Seit Rentenantragstellung im Oktober 2007 sei sie ständig arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Sie habe sich diversen Operationen und Rehabilitationsmaßnahmen unterziehen müssen. Die Beklagte habe ihr daher zumindest eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit zu gewähren. Dies ergebe sich aus dem mit Schriftsatz vom 6. Juni 2013 als Anlage vorgelegter Leistungsübersicht der BKK Gildemeister Seidensicker (vgl. hierzu Anlage zu Blatt 42 der LSG-Akte).

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16. November 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. September 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Oktober 2007 bis 31. Dezember 2012 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Sie hat der Klägerin mit Bescheid vom 26. November 2012 eine Altersrente wegen Schwerbehinderung mit Rentenbeginn ab 1. Januar 2013 gewährt.

Im Rahmen eines am 16. Juni 2013 durchgeführten Erörterungstermins haben die Beteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akten des SG sowie von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Abs. 2 SGG statthafte und zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung auch nicht wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Oktober 2007 bis 31. Dezember 2012.

1. Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 [BGBl. I, S. 554]), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Nach diesen Maßstäben war die Klägerin, im Zeitraum vom 1. Oktober 2007 bis 31. Dezember 2012 weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen der Beklagten im Verwaltungsverfahren sowie der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum in der Lage war, zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Senat entnimmt dies den bereits im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des Dr. B. vom 13. November 2007 und des Dr. Mi. vom 4. Juni 2008, dem Reha-Entlassungsbericht des Dr. E. vom 2. Januar 2009, der im Verfahren vor dem SG eingeholten sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. F. vom 13. Februar 2009 sowie den im SG-Verfahren von Dr. E., Dr. He. und Dr. De. erstatteten Gutachten vom 15. Mai 2009, 21. Januar 2010 und 17. April 2011.

a) Auf orthopädischem Fachgebiet leidet die Klägerin an einer Varusgonarthrose beidseits (Zustand nach Implantation einer Knieendoprothese rechts am 24. November 2008 und links am 5. Oktober 2009 mit guter Beweglichkeit, ausgeprägte Gonarthrose links mit retropatellarem Druckschmerz und Verschiebeschmerz sowie Druckschmerz über dem medialen Kniegelenkspalt), einer sehr diskreten Coxarthrose beidseits (klinisch nicht relevant) und einer diskreten subchondralen Sklerosierung der Iliosacralgelenke als Zeichen eines beginnenden Verschleißes. Ferner liegen bei der Klägerin degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule (insgesamt geringen Ausmaßes) sowie eine Arthrose des rechten Acromioclaviculargelenkes mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenkes vor. Des Weiteren besteht ein Zustand nach Operation eines Ganglions der rechten Hand mit endgradigem Streckdefizit des betroffenen Fingers im frischen postoperativen Stadium. Dies entnimmt der Senat den bereits im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren erstatteten Gutachten des Dr. B. vom 13. November 2007 und des Dr. Mi. vom 4. Juli 2008 sowie den im Verfahren vor dem SG tätig gewordenen Sachverständigen Dr. E. und Dr. He. in deren Gutachten vom 15. Mai 2009 und 21. Januar 2010.

Internistischerseits liegen bei der Klägerin ein Gallensteinleiden, klinisch unbedeutende Zysten in der Leber, eine Schilddrüsenproblematik sowie eine serratierte Adenome Colon ascendens und transversum vor. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. E. vom 15. Mai 2009 sowie dem Entlassbrief des Prof. Dr. Dr. R. vom 25. März 2011 und des Dr. La. vom 23. September 2010.

Schließlich leidet die Klägerin an einer depressiven Entwicklung, zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. De. im Sinne einer leichtgradigen depressiven Episode. Insoweit stützt sich der Senat auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. De. in seinem Gutachten vom 17. April 2011. Im Rahmen der Erhebung des psychischen Befundes fanden sich insoweit Hinweise für ein leichtgradiges depressives Syndrom mit subdepressiver Grundstimmung, etwas gedämpfter affektiver Ressourcen und leicht bis mäßig eingeschränkter affektiver Schwingungsfähigkeit. Während der ausführlichen Befragung und körperlichen Untersuchung der Klägerin fanden sich bei der fast über drei Stunden andauernden Untersuchung keine Hinweise für relevante Konzentrationsstörungen oder Mängel in der Durchhaltefähigkeit. Mimik und Gestik der Klägerin waren, korrespondierend zum Affekt, leidend. Das Ausdrucksverhalten war gebremst, ohne dass allerdings eine eindeutige Antriebsminderung vorgelegen hätte. Zusammenfassend stellt Dr. De. nachvollziehbar fest, die Klägerin leide vornehmlich unter einem Schmerzsyndrom mit Chronifizierungstendenz, das im Wesentlichen auf die Kniearthrosen mit Einsatz von Kniegelenksprothesen im November 2008 und Oktober 2009 zurückzuführen ist. Die insoweit von der Klägerin geschilderten vorhandenen körperlichen Erkrankungen reichen aus, um den Schmerz der Klägerin zu erklären. Eine psychische Störung im engen Sinn, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, liegt demgegenüber jedoch nicht vor (vgl. Bl. 228 der LSG-Akte, Gutachten des Dr. De. vom 17. April 2011). Zwar war die Klägerin möglicherweise bereits zuvor teilweise auch an mittelgradigen depressiven Episoden erkrankt (vgl. hierzu die Ausführungen des Dr. Mi. in seinem Gutachten vom 4. Juli 2008). Allerdings wies die Klägerin im Rahmen der Begutachtung durch Dr. De. darauf hin, sich eine Tätigkeit im Büro, ähnlich wie ihre frühere Tätigkeit, vorstellen zu können.

b) Aus den bei der Klägerin als rentenrelevant zu berücksichtigenden Gesundheitsstörungen ergeben sich nach Überzeugung des Senats qualitative Leistungseinschränkungen. Die Klägerin sollte auf Grund ihrer orthopädischen Beeinträchtigungen eine Tätigkeit zeitweise im Gehen und Stehen, überwiegend im Sitzen ausüben. Zu vermeiden sind dabei das Heben und Tragen von Lasten ohne Hilfsmittel über 15 Kilogramm öfter als fünfmal pro Stunde sowie häufiges Bücken. Gleichzeitig sollten Arbeiten in nach vorne geneigter Zwangshaltung, die mehr als 30 % des Arbeitszeitrahmens beinhalten sowie Akkord und Fließbandarbeiten, Tätigkeiten in Nachschicht und unter Einfluss von Kälte, Zugluft und Nässe vermieden werden. Bei einer Erwerbstätigkeit sollte zudem Gang- und Standsicherheit beachtet werden sowie Erschütterungen, Vibrationen und Tätigkeit mit erhöhter Unfallgefahr vermieden werden. Auch mechanisch anspruchsvolle Überkopfarbeiten mit der rechten Hand sollte die Klägerin nicht mehr ausüben. Arbeiten mit sehr umfangreichem Treppensteigen oder dem Besteigen von Leitern und Gerüsten und mit Sprungbelastung sowie mit der Erforderlichkeit einer Kniebeugung von mehr als 90 bis 100 Grad kann die Klägerin ebenfalls nicht mehr ausüben. Dies entnimmt der Senat den Gutachten des Dr. He. vom 21. Januar 2010 und des Dr. E. vom 15. Mai 2009 und dessen Ausführungen im Reha-Entlassungsbericht vom 2. Januar 2009.

Die bei der Klägerin zu berücksichtigenden Gesundheitsstörungen führen nach Überzeugung des Senats im streitgegenständlichen Zeitraum zu keiner Einschränkung des Leistungsvermögens in quantitativer Hinsicht. Die Klägerin war in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit den genannten qualitativen Leistungseinschränkungen in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Senat schließt sich dabei den Beurteilungen des Dr. B. vom 13. November 2007, des Dr. Mi. vom 4. Juli 2008, des Dr. E. vom 2. Januar 2009 und 15. Mai 2009, des Dr. He. vom 21. Januar 2010 und des Dr. De. vom 17. April 2011 und des Dr. F. vom 13. Februar 2009 an.

Im Hinblick auf die überzeugenden und übereinstimmenden Ausführungen dieser Ärzte, vermochte sich der Senat der abweichenden Einschätzung des Dr. G. in dessen Gutachten vom 30. Juli 2010 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15. November 2010 nicht anzuschließen. Der die Klägerin behandelnde Nervenarzt hatte bei der Klägerin eine anhaltende gravierende Depression und Insomnie bei festgefügtem Schmerzsyndrom, eine zugrundeliegende gravierende Verdrängungshaltung mit massiv überhöhten Ansprüchen an die eigene Person und eine zunehmend durchdringende psychische Überlastung mit sukzessiv progredienter erheblicher Leistungseinschränkung festgestellt. Wie das SG hierzu zutreffend ausgeführt hat, ist Dr. G. als behandelnder Nervenarzt in ein Patienten-Betreuungs-Verhältnis eingebunden, weshalb er die Klägerin nicht von einem neutralem Standpunkt aus begutachten konnte, wie dies bei einem nicht in die Behandlung eingebundenen Gutachter möglich ist. Nicht zu beanstanden ist insoweit ferner, dass das SG Dr. G. nicht zur mündlichen Verhandlung geladen hatte, damit dieser sein Gutachten erläutern kann. Denn eine solche Ladung steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Für die Entscheidung ist dabei insbesondere von Bedeutung, ob das Gutachten unklar oder sonst ergänzungsbedürftig ist und ein entsprechender Antrag rechtzeitig mit Benennung eines entsprechenden Beweisthemas gestellt wird. (vgl. Keller in: Meyer-Lade-wig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 118 RdNr. 12c ff.). Diese Voraussetzungen lagen nicht vor, da Dr. G. und Dr. De. bei im Wesentlichen ähnlicher Befundung lediglich in der Leistungsbeurteilung voneinander abweichen. Auch fehlt dem Gutachten des Dr. G. im Rahmen der Anamnese jegliche Schilderung des Tagesablaufs der Klägerin. Demgegenüber hatte Dr. De. ausführlich auf den Tagesablauf der Klägerin hingewiesen und hieraus nachvollziehbar und schlüssig abgeleitet, dass sie noch über Ressourcen verfügt, die sie im Rahmen einer Erwerbstätigkeit einsetzen könnte. So stand die Klägerin im streitigen Zeitraum zwischen 7:00 und 7:30 Uhr auf, richtete in der Regel das Frühstück und nahm es anschließend ein. An den Vormittagen machte sie Arztbesuche, tätigte Einkäufe und machte manchmal auch Besuche. Im Haushalt wusch, bügelte, kochte sie und erstellte Pläne für die Einkäufe. Ihr Partner, mit dem sie nach ihrer Scheidung von ihrem Ehemann in einer gemeinsamen Wohnung lebt, saugte Staub und trug die schweren Dinge bei Einkäufen und war im Garten aktiv. Auch erledigte die Klägerin leichte Gartenarbeiten. Ferner schaute sie nach ihrer Mutter, die fünf Kilometer von ihr entfernt wohnt. Nach dem gemeinsamen Abendessen gegen 18 Uhr fanden gelegentliche gemeinsame Spaziergänge mit dem Partner statt und anschließend schaute sie mit diesem Fern. Die Klägerin hatte ein großen Freundeskreis, den sie auch pflegte. Ebenso konnte sie sich am Besuch ihres Enkels erfreuen. Im Hinblick hierauf und in Ermangelung einer hochfrequenten psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung ist die von Dr. G. vorgenommene Leistungsbeurteilung von drei bis unter sechs Stunden täglich für den Senat nicht nachvollziehbar. Dies gilt auch in Hinblick darauf, dass bereits Dr. Mi. in seinem Gutachten von 4. Juli 2008 unter Zugrundelegung einer mittelgradigen depressiven Episode ein über sechsstündiges Leistungsvermögen der Klägerin angenommen hat.

Eine abweichende Leistungsbeurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Klägerin, eine quantitative Leistungsminderung lasse sich schon aus dem Erfordernis der Durchführung von Operationen und dem Absolvieren von Rehabilitationsmaßnahmen im streitigen Zeitraum ableiten. Denn Maßnahmen der genannten Ärzte führen nicht zur Erfüllung der Voraussetzung für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, sondern dienen vielmehr der Verbesserung der Gesundheitszustand der betroffenen Person.

c) Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz vermittelt werden konnte oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Restleistungsvermögen im streitigen Zeitraum - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - in der Lage war, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, sie also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 13 R 78/09 R - in juris). Dies bejaht der Senat wie zuvor dargelegt.

d) Eine konkrete Verweisungstätigkeit müsste der Klägerin nur benannt werden, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorgelegen hätte (BSG a.a.O.). In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten. Dies war im streitgegenständlichen Zeitraum nicht der Fall. Bei der Klägerin lagen zwar - wie dargelegt - einige qualitative Leistungseinschränkungen vor, diese waren jedoch nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände - beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R -; in juris m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen war bei der Klägerin vorhanden.

e) Auch die Wegefähigkeit der Klägerin ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit zwar auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 13. Juli 1988 - 5/4a RJ 57/87 -, in juris). Wegefähigkeit setzt darüber hinausgehend auch voraus, dass solche Wege in noch zumutbarer Zeit bewältigt werden können (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 - 13/5 RJ 73/90 -, in juris). Das BSG hat hierzu ausgeführt, dass für die Beurteilung dieses Zeitfaktors ein generalisierender Maßstab anzuwenden ist. Dabei kann von dem nach der Rechtsprechung des BSG zum Schwerbehindertenrecht noch üblichen Zeitaufwand von 30 Minuten für zwei km ausgegangen werden, der bereits kurze Wartezeiten und Zeiten des Herumstehens einbezieht. Umgerechnet auf 500 Meter ergibt sich so eine normale Gehzeit von 7,5 Minuten. Der Bereich des Zumutbaren wird dann verlassen, wenn der Gehbehinderte für 500 Meter mehr als das Doppelte dieser Zeit, also etwa 20 Minuten benötigt (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991, a.a.O.; zum Ganzen siehe zuletzt auch BSG, Urteile vom 12. Dezember 2011 - B 13 R 21/10 R und B 13 R 79/11 R -; beide in juris).

Nach diesem Maßstab ist eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit nicht gegeben. Eine Gehstrecke von 500 m zu Fuß ist der Klägerin aber in adäquater Zeit möglich, sie kann auch öffentliche Verkehrsmittel zur Hauptverkehrszeit benutzen und einen Pkw in einem Radius von 50 km fahren. Zwar wurde noch im Reha-Entlassungsbericht des Dr. E. vom 2. Januar 2009 von einer Verminderung der Gehstrecke auf 10 Minuten vor Durchführung der Knie-TEP rechts im November 2008 ausgegangen; allerdings war die Einschränkung der Wegefähigkeit bereits im Zeitpunkt der Begutachtung des Dr. E. wieder aufgehoben. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. E. vom 15. Mai 2009. Bestätigt wird dies durch die Ausführungen des Dr. He. in dessen Gutachten vom 21. Januar 2010. Im Rahmen der Begutachtung hatte die Klägerin angegeben, mit einiger Mühe 500 bis 600 m weit ohne längere Pause gehen zu können. Dr. He. hatte anschließend die Wegefähigkeit der Klägerin bejaht und eine weitere Besserung für die nachfolgenden sechs bis zwölf Wochen avisiert. Im Übrigen hatte die Klägerin bereits im Rahmen der Arbeits- und Berufsanamnese während der Reha-Maßnahme in der B.-Klinik im Dezember 2008 angegeben, die Entfernung zum Arbeitsplatz mit dem PKW zurückzulegen.

2. Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit haben nach § 240 Abs. 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Art. 1 Nr. 61 RV-Altergrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554) auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderung ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum nicht berufsunfähig.

Ausgangspunkt der Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist der bisherige Beruf. Bisheriger Beruf im Sinne des § 240 SGB VI ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit (z.B. BSG, Urteil vom 29. März 1994 - 13 RJ 35/93 -; Urteil vom 18. Februar 1998 - B 5 RJ 34/97 R -; Urteil vom 20. Juli 2005 - B 13 RJ 19/04 R -; jeweils in juris). Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG (vgl. z.B. Urteil vom 29. März 1994 - 13 RJ 35/93 -; Urteil vom 25. Juli 2001 - B 8 KN 14/00 R -; jeweils in juris) die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Entsprechend diesem so genannten Mehrstufenschema werden die Arbeiterberufe durch Gruppen mit den Leitberufen des Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert. Innerhalb der Gruppe der angelernten Arbeiter differenziert das BSG nochmals hinsichtlich der Versicherten, die der oberen und unteren Gruppe der Angelernten angehören. Dem unteren Bereich sind alle Tätigkeiten mit einer regelmäßigen, auch betrieblichen Ausbildungs- und Anlernzeit von drei bis zwölf Monaten und dem oberen Bereich dementsprechend die Tätigkeiten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu 24 Monaten zuzuordnen (BSG, Urteil vom 29. März 1994 - 13 RJ 35/93 -; in juris). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an. Eine Verweisung kann nur auf einen Beruf derselben qualitativen Stufe oder der nächst niedrigeren erfolgen (BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 - B 4 RA 5/04 R -; in juris).

Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin zuletzt zumindest keine Tätigkeit ausgeübt, die eine Anlern- oder Ausbildungszeit von mehr als zwölf Monaten voraussetzt. Gegenteiliges hat die Klägerin zu keinem Zeitpunkt behauptet und die vorliegenden Akten geben hierfür keine Anhaltspunkte.

Da die Klägerin allenfalls zum unteren Bereich der angelernten Arbeiter gehört, konnte unabhängig von der Frage, ob Sie ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als angelernte Büromitarbeiterin noch ausüben konnte sie grundsätzlich auf alle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorkommenden Tätigkeiten verwiesen werden. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist in diesen Fällen regelmäßig nicht erforderlich, weil auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung steht, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist (z.B. BSG, Urteil vom 14. September 1995 - 5 RJ 50/94 ; in juris).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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