L 10 U 1645/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 2199/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 1645/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 21.03.2011 und der Bescheid vom 30.09.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.05.2009 aufgehoben und über das Teilanerkenntnis vom 16.03.2011 hinaus als weitere Unfallfolge eine chronisch schmerzhafte Funktionsstörung der rechten Schulter festgestellt.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Feststellung weiterer Unfallfolgen nach einem Arbeitsunfall des Klägers.

Der 1953 geborene Kläger, von Beruf Schlosser, war am 29.04.2008 als angestellter Leiharbeitnehmer damit beschäftigt, bei einem Lebensmitteldiscounter den Rammschutz für die Wände auszumessen. Dabei trat er mit dem rechten Fuß auf ein Stück Karton, das auf dem Boden lag. Unter diesem Karton befand sich ein Schacht, der etwa 1,2 m lang, etwa 0,8 m breit und etwa 1,0 m tief war. In diesen - für den Kläger wegen des Kartons nicht erkennbaren - Schacht stürzte er mit dem rechten Fuß voran nach unten. Dabei konnte er sich noch reflexartig am Rande des Schachtes mit dem nach vorne oben ausgestreckten rechten Arm und dem nach hinten ausgestreckten linken Bein abstützen und einen Sturz in die Grube verhindern (vgl. die ausführliche Unfallschilderung des Klägers im Rahmen der Begutachtung durch den orthopädischen Sachverständigen Dr. H. , Bl. 97 LSG-Akte). Der Durchgangsarztbericht des Unfallchirurgen Prof. Dr. O. vom selben Tag beschrieb - bei Angaben des Klägers über eine aktive Unbeweglichkeit des rechten Armes - eine initiale Hypästhesie im Bereich der Finger rechts und ziehende Schmerzen des Deltoideus. Rotatorenmanschettentests seien nicht möglich gewesen, die Abduktion ab 36 Grad schmerzhaft. Der Durchgangsarzt diagnostizierte eine Prellung/Zerrung der rechten Schulter (Bl. 1 VA).

Eine erste kernspintomographische Untersuchung der rechten Schulter am 07.05.2008 dokumentierte eine Tendinopathie der Sehne des Musculus subscapularis, eine Tendinopathie der Supraspintatussehne ohne Ruptur, eine AC-Gelenksarthrose mit resultierender subacromialer Enge sowie eine Mehrsklerosierung im Bereich der Rotatorenmanschettenansätze am Humerus (Bl. 21 VA). Eine zweite kernspintomographische Untersuchung am 03.07.2008 ergab im Vergleich zur Voraufnahme eine Rückbildung der posttraumatischen Veränderungen; unverändert zeigte sich die AC-Gelenksarthrose und die Tendinopathie der Supraspinatus- und Subscapularissehne. Anhaltspunkte für eine Ruptur der Rotatorenmanschette oder des Labrums ergaben sich nicht (Bl. 20 Rs. VA).

Die Beklagte zog im Rahmen ihrer Ermittlungen u.a. das Vorerkrankungsverzeichnis über die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers von 1994 bis 2008 bei, in dem im Bereich der linken Schulter 2005 eine Schulterläsion und 1994 ein Bizepssehnensyndrom dokumentiert ist. Im Bereich der rechten Schulter fanden im August und September 1998 Behandlungen wegen einer Schulterarthritis sowie wegen einer Schultergelenksentzündung statt (Bl. 4 ff. VA).

Auf Grund weiter anhaltender Beschwerden des Klägers erfolgte am 14.08.2008 ein erster operativer Eingriff im Bereich seiner rechten Schulter. Die dabei festgestellte Teilruptur der Supraspinatussehne wurde über eine Naht refixiert und das (degenerativ veränderte) AC-Gelenk wurde dekomprimiert; außerdem wurde eine Tenodese der (teileingerissenen) Bizepssehne vorgenommen (Bl. 19 VA).

Nachdem Prof. Dr. O. der Beklagten im Zwischenbericht über eine Nachuntersuchung vom 16.09.2008 ohne weitergehende Begründung mitgeteilt hatte, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von einem wertigen degenerativen Vorschaden im Bereich der rechten Schulter auszugehen sei (Bl. 18 VA), informierte die Beklagte den Kläger entsprechend und führte mit Bescheid vom 30.09.2008 gleichzeitig aus, die weitere Behandlung erfolge zu Lasten seiner Krankenkasse (Bl. 55 VA). Den Widerspruch des Klägers (Bl. 81 VA), wonach im Bereich der rechten Schulter keine relevanten Vorschäden vorgelegen hätten, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.05.2009 und der Begründung zurück, dass Entschädigungsleistungen über den 16.09.2008 hinaus nicht zu erbringen seien (Bl. 118 VA). Denn es seien - so die Beklagte - Vorschäden im Bereich der rechten Schulter im Sinne von degenerativen Erkrankungen durch die Behandlungen im Jahr 1998 belegt. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Klägervertreter am 05.06.2009 zugestellt.

Mit seiner am Montag, den 06.07.2009, beim Sozialgericht Mannheim erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung von Gesundheitsschäden in der rechten Schulter als Folge des Arbeitsunfalls vom 29.04.2008 begehrt.

Am 29.07.2009 ist ein zweiter operativer Eingriff in Gestalt einer Bursektomie und partiellen Synovektomie durchgeführt worden (Bl. 40 ff. SG-Akte), der nach Angaben des Klägers eine gewisse Beschwerdelinderung erbracht habe (ohne Besserung der Beweglichkeit; Bl. 99, 106 LSG-Akte).

Das Sozialgericht hat ein Gutachten bei Prof. Dr. L. , seinerzeit Leiter der Sektion obere Extremität, Schulter-, Ellenbogen- und Handchirurgie der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg, eingeholt (Bl. 45 ff. SG-Akte). Auf orthopädischem Fachgebiet hat der Sachverständige nach Untersuchung des Klägers im September 2009 im Bereich der oberen Gliedmaßen folgende Funktions- und Gesundheitsstörungen festgestellt: Narbenbildung, Druckschmerzen, Bewegungsschmerzen, mittelgradige aktive und endgradige passive Bewegungseinschränkung und Kraftminderung der rechten Schulter bei Zustand nach zweimaliger Operation nach Teilriss der Obergrätensehne und Schultereckgelenksarthrose (Bl. 62 SG-Akte). Diese Gesundheitsstörungen seien - so Prof. Dr. L. - allesamt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf Alterungs- und verschleißbedingte Veränderungen zurückzuführen und nicht zumindest annähernd gleichwertig durch den Unfall vom 29.04.2008 verursacht (Bl. 62 f. SG-Akte). Für einen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 29.04.2008 und der später diagnostizierten Rotatorenmanschettenläsion sprächen nach Beurteilung durch den Sachverständigen das Eintreten der Beschwerden unmittelbar nach dem Sturz, die hochgradige Bewegungseinschränkung im Rahmen der Erstuntersuchung, die nach dem Ereignis über Monate anhaltenden Beschwerden sowie der Gelenk- und Schleimbeutelerguss im Rahmen der Kernspintomographie vom 07.05.2008 (Bl. 74 LSG-Akte). Gegen einen Zusammenhang und für das Vorliegen alterungs- und verschleißbedingter Veränderungen als Ursache für die Läsion sprächen die im Vorerkrankungsverzeichnis dokumentierten vorbestehenden Beschwerden im Bereich beider Schultergelenke, der für eine Schädigung der Rotatorenmanschette nicht geeignete Verletzungsmechanismus, das Fehlen äußerer Verletzungszeichen im Rahmen der Erstuntersuchung, das Vorliegen einer Schultereckgelenksarthrose als Schadensanlage, die verletzungsuntypischen Veränderungen im Rahmen der Kernspintomographie vom 07.05.2008 sowie der verletzungsuntypische Operationsbefund (Bl. 74 f. LSG-Akte). Deshalb hat Prof. Dr. L. angenommen, der Kläger habe sich bei dem Sturz am 29.04.2008 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine schwere Prellung der rechten Schulter zugezogen, in deren Rahmen es zu einem Bluterguss im Schleimbeutel unter dem Schulterdach gekommen sei. Eine strukturelle Schädigung der Rotatorenmanschette, insbesondere der Obergrätensehne und der langen Bizepssehne, sei durch die Gewalteinwirkung wahrscheinlich nicht verursacht worden (Bl. 75 SG-Akte).

Auf dieser Grundlage hat die Beklagte im Rahmen eines Teilanerkenntnisses als Unfallfolge eine Prellung der rechten Schulter mit Bluterguss im Schleimbeutel unter dem Schulterdach anerkannt (Bl. 79 SG-Akte). Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis am 16.03.2011 angenommen und im Übrigen an seiner Klage auf Feststellung weiterer Unfallfolgen festgehalten (Bl. 137 SG-Akte).

Das Sozialgericht Mannheim hat die Klage auf der Grundlage des Gutachtens von Prof. Dr. L. mit Gerichtsbescheid vom 21.03.2011 abgewiesen. Die noch bestehenden Gesundheitsstörungen der rechten Schulter seien - so das Sozialgericht - nicht Folge des Arbeitsunfalls vom 29.04.2008, da sie nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit dem Unfallgeschehen zugeordnet werden könnten. Es sprächen überwiegende Gesichtspunkte dafür, dass die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen degenerativer Natur seien.

Mit seiner am 21.04.2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegten Berufung begehrt der Kläger die Feststellung weiterer Gesundheitsstörungen im Bereich des rechten Schultergelenks als Unfallfolgen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 21.03.2011 sowie den Bescheid vom 30.09.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.05.2009 aufzuheben und über das Teilanerkenntnis vom 16.03.2011 hinaus als weitere Unfallfolge eine chronisch schmerzhafte Funktionsstörung der rechten Schulter festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Universitätsklinikum Mannheim hat auf Nachfrage des Senats mitgeteilt, es seien anlässlich der beiden Schulteroperationen keine histologischen Untersuchungen vorgenommen worden (Bl. 28 f. LSG-Akte). Außerdem hat der Senat mit Blick auf mögliche Vorschädigungen zahlreiche sachverständige Zeugenauskünfte bei früher behandelnden Ärzten eingeholt. In diesem Zusammenhang hat der Allgemeinmediziner R. mitgeteilt, den Kläger im August und September 1998 wegen Schmerzen im Bereich der rechten Schulter behandelt zu haben (Bl. 63 LSG-Akte); von einer Behandlung im September 1998 hat auch der Internist Dr. G. berichtet (Bl. 71 f. LSG-Akte). Der Orthopäde Dr. S. hat Belastungs- und Bewegungsschmerzen der rechten Schulter mit Bewegungseinschränkungen erwähnt, die eine Arbeitsunfähigkeit vom 28.09.1998 bis 31.12.1998 nach sich gezogen hätten; eine Röntgenaufnahme habe einen Normalbefund gezeigt, bei einer Ultraschalluntersuchung habe er keine Bursitis festgestellt (Bl. 67 LSG-Akte). Nach einer Strahlenbehandlung der Periarthritis humeroscapularis durch den Radiologen Dr. S. (Bl. 69 LSG-Akte) und einer Kortisonbehandlung sei zum 01.01.1999 wieder Arbeitsfähigkeit eigetreten (Bl. 68 LSG-Akte).

Auf dieser Grundlage hat der Senat eine weitere Begutachtung bei dem Orthopäden Dr. H. veranlasst (Bl. 93 ff. LSG-Akte). Der Sachverständige hat die Schultergelenksbeweglichkeit auf der rechten Seite bei der Untersuchung im April 2012 als deutlich eingeschränkt (Beugung/Streckung rechts 100-0-30, links 160-0-40; Abspreizen/Heranführen rechts 50-0-20, links 160-0-40; Auswärts-/Einwärtsdrehen rechts 30-0-40, links 50-0-70) und endgradig schmerzhaft beschrieben. Bei der Beweglichkeitsprüfung rechts hätten sich reproduzierbar immer wieder Reibegeräusche bzw. Knackphänomene gefunden (Bl. 102 LSG-Akte). Diese rechtsseitigen funktionellen Beeinträchtigungen hat der Sachverständige als chronische schmerzhafte Funktionsstörung der rechten Schulter nach Unfall bezeichnet, die mit Wahrscheinlichkeit und in wesentlicher Weise durch den Arbeitsunfall vom 29.04.2008 verursacht seien (Bl. 112 LSG-Akte); er hat dies mit dem zeitlichen Zusammenhang sowie den nachweisbaren körperlichen Unfallschäden begründet (Bl. 111 f. LSG-Akte).

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß der §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 21.03.2011 ist aufzuheben. Denn der Bescheid vom 30.09.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.05.2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten, als er über das Teilanerkenntnis vom 16.03.2011 hinaus Anspruch auf Feststellung einer chronisch schmerzhaften Funktionsstörung der rechten Schulter als weiterer Folge des Arbeitsunfalls vom 29.04.2008 hat.

Die hier vorliegende kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist zulässig. Mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG begehrt der Kläger die Aufhebung der die weitere Heilbehandlung ablehnenden Verwaltungsentscheidungen - weil diese andernfalls bei einer Feststellung weiterer Unfallfolgen einer künftigen Leistungsgewährung entgegenstünden - sowie - nachdem die Beklagte die Gewährung von Heilbehandlung für die Zukunft ablehnte, weil keine Unfallfolgen verblieben seien (Bl. 118 VA) - die gerichtliche Feststellung fortbestehender über das Teilanerkenntnis vom 16.03.2011 hinausgehender Unfallfolgen.

Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG kann mit der Klage die Feststellung begehrt werden, ob eine Gesundheitsstörung die Folge eines Arbeitsunfalls ist. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Vorliegend ist zwischen den Beteiligten - jedenfalls nach Annahme des Teilanerkenntnisses vom 16.03.2011 - unstreitig, dass der Kläger am 29.04.2008 einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII erlitt. Ebenfalls unstreitig ist zwischenzeitlich unter den Beteiligten, dass der Kläger bei diesem Arbeitsunfall eine Prellung der rechten Schulter mit Bluterguss im Schleimbeutel unter dem Schulterdach erlitt. Streitig ist zwischen den Beteiligten allerdings noch, ob nach Ausheilung der Prellung und des Blutergusses weitere Gesundheitsschäden bestehen, die ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sind. Entgegen der Auffassung der Beklagten, dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. L. und der Entscheidung des Sozialgerichts ist hier als weitere Unfallfolge auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Dr. H. eine chronische schmerzhafte Funktionsstörung der rechten Schulter festzustellen.

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Kann dagegen das Unfallereignis nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Gesundheitsschaden entfiele (conditio sine qua non), ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden - ggf. auch vor dem Hintergrund anderer, unfallunabhängiger Ursachen im naturwissenschaftlichen Sinn - wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

Die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung müssen erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O. auch zum Nachfolgenden). Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Es genügt nicht, wenn der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Denn es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Es reicht daher zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, gegen diesen Zusammenhang sprechende Umstände auszuschließen.

Vorliegend ist es zumindest wahrscheinlich, dass der Sturz des Klägers am 29.04.2008 naturwissenschaftliche Ursache für die rechtsseitig zu objektivierende endgradig schmerzhafte und deutlich eingeschränkte Schultergelenksbeweglichkeit mit Reibegeräuschen und Knackphänomene ist (Bl. 102 LSG-Akte), die Dr. H. als chronische schmerzhafte Funktionsstörung des rechten Schultergelenks bezeichnet (Bl. 111 LSG-Akte). Denn der Arbeitsunfall vom 29.04.2008 kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass die beschriebenen Funktionseinschränkungen im Bereich der rechten Schulter entfielen. So kam es beim Kläger in unmittelbarem Anschluss an den Sturz zu einer massiven Schmerzsituation mit erheblichen Bewegungseinschränkungen, die ihn veranlassten, innerhalb weniger Stunden den Durchgangsarzt Prof. Dr. O. aufzusuchen. Trotz der von diesem veranlassten Behandlung, die ihrerseits keine maßgebliche Verbesserung der Beschwerdesituation erbrachte, und trotz der deshalb nachfolgend zunächst im August 2008 durchgeführten arthroskopischen Behandlung und der - angesichts fehlender Besserung - dann im Juli 2009 erfolgten weiteren Arthroskopie ist es bei dem von dem Sachverständigen Dr. H. zuletzt beschriebenen Beschwerdezustand im Bereich der rechten Schulter geblieben, die sich vor dem Unfall über viele Jahre hinweg funktionell unbeeinträchtigt zeigte und es dem Kläger ermöglichte seine Tätigkeit als Schlosser zu verrichten. Schließlich zeigen auch die im Anschluss an den Arbeitsunfall aufgenommenen Kernspintomographie-Bilder vom 07.05.2008 und vom 03.07.2008 unfalltypische und im zeitlichen Verlauf rückläufige Flüssigkeitsansammlungen im Knochen und im Gelenk (Bl. 20 f. VA), was - so der Sachverständige Dr. H. (Bl. 108 LSG-Akte) - als zuverlässiger Indikator für eine Unfallschädigung spricht. Auch der Durchgangsarzt Prof. Dr. O. diagnostizierte im Anschluss an das Unfallereignis noch am selben Tag eine Prellung/Zerrung der rechten Schulter (Bl. 1 VA); von einer schweren Prellung geht auch der Sachverständige Prof. Dr. L. aus (Bl. 75 SG-Akte). Angesichts dessen ist - bei fehlenden Hinweisen auf eine anderweitige Schädigung und bei durchgehend vorhandener und nicht wesentlich veränderter Beschwerdesituation - ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang als wahrscheinlich anzunehmen.

Im Rahmen der zweiten Stufe der Kausalitätsprüfung hält der Senat das Unfallereignis auch wesentlich für die fortbestehende chronische schmerzhafte Funktionsstörung der rechten Schulter. Zwar kann es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, auch zum gesamten Nachfolgenden). Sozialrechtlich ist jedoch allein relevant, ob (auch) das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. Wesentlich ist nicht gleichzusetzen mit gleichwertig oder annähernd gleichwertig. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange keine andere Ursache überragende Bedeutung hat. Ist jedoch eine Ursache gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist nur die erstgenannte Ursache wesentlich und damit Ursache im Sinne des Sozialrechts.

Auf dieser Grundlage wurde vorliegend die schmerzhafte Funktionsstörung der rechten Schulter wesentlich durch den Arbeitsunfall verursacht. Der Senat stützt sich dabei auf die Beurteilung durch den Sachverständigen Dr. H. , der nachvollziehbar und überzeugend dargelegt hat, dass für die dauerhafte Funktionsstörung im Bereich der rechten Schulter nicht nur der anlässlich der im August 2008 erfolgten Arthroskopie objektivierte Rotatorenmanschettendefekt in Betracht kommt - worauf Prof. Dr. L. die Problemstellung reduziert -, es daneben vielmehr zahlreiche andere Möglichkeiten gibt, wie es durch den Unfall zu einer schmerzhaften Funktionsstörung der Schulter kommen konnte. Dabei überzeugt es den Senat, wenn er die anhaltenden Beschwerden und Funktionsstörungen mit Wahrscheinlichkeit auf eine im Anschluss an den Arbeitsunfall entstandene Entzündung im Bereich der Gelenkkapsel der rechten Schulter ("Frozen Shoulder") zurückführt (Bl. 113 LSG-Akte). Wörtlich formuliert Dr. H. , dass das Krankheitsbild der "Frozen Shoulder" "sehr viel geeigneter" sei, die Funktionsstörungen in der rechten Schulter zu erklären (Bl. 113 LSG-Akte), als die Strukturunterbrechung im Bereich der Rotatorenmanschette. Entgegen der Stellungnahme der Beklagten (Bl. 134 LSG-Akte) begründet Dr. H. mit dieser Formulierung nicht lediglich einen möglichen, sondern vielmehr einen wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang.

Nicht überzeugend ist demgegenüber die Annahme Prof. Dr. L. s, die fortbestehenden Beschwerden des Klägers nach Abheilung der Prellung und des Blutergusses seien allein auf einen vorbestehenden und damit unfallunabhängigen degenerativen Rotatorenmanschettenschaden zurückzuführen (Bl. 75 SG-Akte). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang zwar, dass ein Vorschaden im Bereich der rechten Schulter (Periarthritis humeroscapularis) im Jahr 1998 nachgewiesen ist, allerdings zeigte diese Erkrankung zumindest seit 1999 keine Symptome, was auch daran deutlich wird, dass der Kläger jahrelang in der Lage war, seine Tätigkeit als Schlosser ohne Beeinträchtigungen auszuüben. Angesichts dessen ist der Senat ausgehend von einem enttäuschenden Therapieerfolg der ersten Operation im August 2008 und unter Berufung auf die Ausführungen des Dr. H. - und damit gleichzeitig entgegen der Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. L. - nicht davon überzeugt, dass die vom Operateur beschriebene Teilrissbildung der Supraspinatussehne irgend eine bedeutsame Rolle im Zusammenhang mit der anhaltenden schmerzhaften Bewegungseinschränkung der rechten Schulter des Klägers nach dem Unfall spielt (Bl. 109 LSG-Akte). Mit Blick auf die Bildgebung erscheint - so Dr. H. - bereits eine massive Rissbildung in der Rotatorenmanschette in Anbetracht der beiden kernspintomographischen Befunde eher unwahrscheinlich (Bl. 108, 109 LSG-Akte). Zwar ist nach Dr. H. prinzipiell denkbar, dass beim Kläger degenerative Rückbildungsprozesse in der Rotatorenmanschette einsetzten, die sich ausgerechnet in den Tagen und Wochen nach dem bedeutsamen Unfallereignis als unfallunabhängige degenerative Beschwerden entwickelten, allerdings hält der Senat mit dem Sachverständigen eine solche Interpretation für extrem unwahrscheinlich (Bl. 110, 114 LSG-Akte). Extrem unwahrscheinlich ist dies deshalb - so wiederum Dr. H. , der einen solchen Ursachenwechsel als Spekulation (Bl. 112 LSG-Akte) und "wundersam" bezeichnet (Bl. 114 LSG-Akte) -, da die Beschwerden und Funktionsstörungen des Klägers einige Wochen nach dem Unfall aus der Sicht des Klägers identisch waren und sich im Vergleich zum Zeitraum unmittelbar nach dem Unfall nicht veränderten. Dr. H. begründet seine Einschätzung schließlich überzeugend auch damit, dass es für den Fall, dass Rissbildungen in der Supraspinatussehne für die anhaltenden Beschwerden in der rechten Schulter des Klägers verantwortlich gewesen wären, doch unerklärlich bliebe, warum der operative Verschluss der Teilrissbildung im Rahmen der ersten Operation in Bezug auf die Beschwerdesituation erfolglos blieb (Bl. 110 f. LSG-Akte) und sich gerade keine Besserung der Schulterbeschwerden einstellte. Eine Antwort auf diese Frage bleibt Prof. Dr. L. schuldig, indem er die anhaltenden Beschwerden des Klägers allein auf dem Boden eines degenerativen Rotatorenmanschettenschadens erklärt (Bl. 75 SG-Akte); darauf weist auch Dr. H. zu Recht hin (Bl. 110 f., 114 LSG-Akte).

Angesichts dessen spricht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. H. (Bl. 109 LSG-Akte) - und insbesondere in Anbetracht des relativen Erfolges der zweiten Operation - mehr dafür als dagegen, dass lokale Entzündungsphänomene im Anschluss an die als Unfallfolge festgestellte schwere Prellung/Zerrung eine maßgebende Rolle beim Fortbestehen der Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers spielten (und ggf. weiter spielen). Dies könne - so Dr. H. (Bl. 108 LSG-Akte) - auch erklären, dass im Anschluss an den zweiten operativen Eingriff 2009, der sich darauf beschränkte, weiteres Schleimbeutelgewebe zu entfernen und eine entzündlich veränderte Gelenkhaut im Schultergelenk abzutragen (Bl. 99, 106 LSG-Akte), eine gewisse Besserung der Schmerzsymptomatik eintrat. Der Bewertung des Sachverständigen Prof. Dr. L. ist vor diesem Hintergrund nicht zu folgen, da dieser sich bei der Kausalitätsbeurteilung der fortbestehenden Funktionsstörungen der rechten Schulter allein auf einen strukturellen (degenerativen) Defekt der Rotatorenmanschette konzentriert (so auch Dr. H. , Bl. 112 f. LSG-Akte) und alternative unfallabhängige Ursachen nicht in Erwägung zieht, obwohl ihm die zweite Operation und der dazugehörige Entlassbrief bei seiner Begutachtung bekannt gewesen sind (Bl. 50 SG-Akte).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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