L 13 AS 2242/14 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AS 2152/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 2242/14 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers Ziff. 2 wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. April 2014 abgeändert. Der Antragsgegner wird vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller Ziff. 2 vom 3. April 2014 bis 14. Mai 2014 Kosten der Unterkunft und Heizung und 80 vom Hundert des Regelbedarfes als Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsteller zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin Ziff. 1 die außergerichtlichen Kosten für das erstinstanzliche Verfahren zur Hälfte zu erstatten; Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller Ziff. 2 die außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zur Hälfte zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsteller ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (vgl. §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Beschwerde des Antragstellers Ziff. 2 ist auch teilweise - soweit ihr der Senat stattgegeben hat - begründet. Die Beschwerde der Antragstellerin Ziff. 1 ist unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Ist ein Erfolg in der Hauptsache nur möglich, ist im Wege einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Antragsteller zu entscheiden, wenn schwere, über einen wesentlichen Nachteil hinausgehende Beeinträchtigungen drohen (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 3. Auflage, Rdnr. 359 ff. m.w.N auf die Rechtsprechung des BVerfG.). Dies gilt auch im Falle einer komplexen Rechtslage (BVerfG, z.B. Beschlüsse vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05 und 22. November 2002, 1 BvR 1586/02, veröffentlicht in Juris). Um eine vollständige Vorwegnahme der Hauptsache zu vermeiden, ist es dann aber möglich und hier geboten, die Leistung mit einem Abschlag zuzusprechen (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, a.a.O.; Lüdtke, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, § 86b SGG Rdnr. 46; Breitkreuz/Fichte, Kommentar zum SGG, 2. Auflage, § 86b SGG Rdnr. 71; wohl auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, § 86b Rdnr. 35d).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind dem Antragsteller Ziff. 2 im Wege der Folgenabwägung vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zur Gewährleistung des Existenzminimums dem Grunde nach mit einem Abschlag zuzusprechen.

Der Antragsteller Ziff. 2 erfüllt die grundsätzlichen materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen für die begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II hinsichtlich der Altersgrenze, ist hilfebedürftig und hat seit 19. Januar 2014 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.

Der Anspruch ist nach der Gesetzeslage allerdings nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen, wonach vom grundsätzlich anspruchsberechtigten Personenkreis diejenigen Ausländer ausgeschlossen sind, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche (s. hierzu Blatt 29 -33 der Gerichtsakten des Landessozialgerichts Baden-Württemberg) ergibt.

Allerdings ist die Rechtslage komplex (s. auch den angefochtenen Beschluss) und es besteht im Hinblick auf die Vorlageentscheidung des BSG (Beschluss vom 12. Dezember 2013, B 4 AS 9/13 R) trotz des Schlussantrages des Generalanwaltes in der Rechtssache C-333/13 vor dem EuGH die Möglichkeit, dass der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelte Ausschluss von Unionsbürgern von Leistungen nicht europarechtskonform ist (vgl. auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 21. Juni 2013, L 12 AS 1432/13 ER-B und 5. März 2014, L 2 AS 486/14 ER-B; so auch Beschlüsse des erkennenden Senats vom 13. März 2014, L 13 AS 1121/14 ER-B; 21. März 2014, L 13 AS 994/14 ER-B und 5. Mai 2014, L 13 AS 1746/14 ER-B Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 20. Dezember 2013, L 12 AS 2265/13 B ER und L 12 AS 2266/13 B, sowie 10. Oktober 2013, L 19 AS 129/13; a. A. u. a. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30. Januar 2014, L 13 AS 266/13 B ER). Angesichts dessen, dass der Antragsteller ohne Vermögen und Einkommen ist, die Existenz hierdurch bedroht ist, gelangt der Senat im Wege der Folgenabwägung zu dem Ergebnis, dass dem Antragsteller Ziff. 2 vorläufig Leistungen zu zahlen sind. Nach Auffassung des Senates ändert sich an dieser Folgenabwägung auch nichts deshalb, weil die Prüfung innerhalb eines Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X erfolgt. Da der Erfolg aber nur möglich erscheint, hält es der Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens für sachgerecht, den Regelbedarf mit einem Abschlag zuzusprechen, um eine vollständige Vorwegnahme zu vermeiden. Dem Senat erscheint es gerechtfertigt, einen Abschlag von 20 vom Hundert vorzunehmen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass bei einer Absenkung sogar von 30 vom Hundert (so die Rechtsfolge einer Pflichtverletzung gem. § 31a SGB II) eine Existenzgefährdung ausgeschlossen ist (s. auch § 31a Abs. 3 SGB II). Für die Vornahme eines Abschlags spricht u.a. der Gesichtspunkt, dass in den Grundsicherungsleistungen u. a. Ansparbeträge (s. hierzu Zeitschrift für das Fürsorgewesen, 2014, S. 1 ff) enthalten sind, die nicht zur unmittelbaren Existenzsicherung erforderlich sind (BVerfG, Beschluss v. 12. Mai 2005, a.a.O.). Damit wird dem Antragsteller Ziff. 2 jedenfalls das zum Lebensunterhalt Unerlässliche zur Verfügung gestellt. Ferner hat der Senat die Leistungen auf die Zeit bis zum Auszug aus der mütterlichen Wohnung am 14. Mai 2014 begrenzt. Der Antragsteller Ziff. 2 hat nicht glaubhaft gemacht, dass er auch existenzgefährdet ist, seitdem er wohl (s. Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 25. Juni 2014) bei seinem Vater wohnt.

Die Beschwerde der Antragstellerin Ziff. 1 ist unbegründet. Die Beschwerde der Antragstellerin Ziff. 1 ist mit Schriftsatz vom 25. Juni 2014 nur noch hilfsweise für den Fall gestellt worden, dass der Beschwerde des Antragsteller Ziff. 2 nicht vollumfänglich entsprochen wird. Da aber dem Antragsteller Ziff. 2 die Leistungen nicht vollumfänglich zuerkannt worden sind (s.o.), war über die Beschwerde der Antragstellerin Ziff. 1 zu entscheiden. Nachdem der Antragstellerin Ziff. 1 nach dem Auszug des Antragstellers Ziff. 2 die gesamten Kosten der Unterkunft bewilligt worden sind (Bescheid vom 26. Mai 2014), ihr der gesamte Regelbedarf ausbezahlt wird -wozu bereits das SG verpflichtet hat- die Kosten der Unterkunft auch vor dem Auszug durch die Entscheidung des Senates gedeckt sind, ist ein Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) nicht mehr gegeben.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG. Der Senat hat im Rahmen seines ihm zustehenden Ermessens für maßgeblich erachtet, dass die Antragsteller nur teilweise Erfolg hatten.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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