L 4 R 3355/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 4036/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 3355/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt, ihr eine bis 30. Juni 2008 gezahlte Rente wegen voller Erwerbsminderung weiterzuzahlen.

Die am 1960 geborene Klägerin absolvierte von August 1977 bis Juli 1980 eine Ausbildung als Friseurin und war zunächst bis 1980 in diesem Beruf, danach als Montagearbeiterin und in der Registratur einer Verwaltung bis 1985 versicherungspflichtig beschäftigt. Die Landesversicherungsanstalt Württemberg, eine Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich Beklagte), bewilligte ihr Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit vom 26. April 1995 bis 30. Juni 1999. Von 1999 bis 2003 war sie als Bandarbeiterin im Dreischichtdienst versicherungspflichtig beschäftigt. Sie war ab 23. Juli 2003 arbeitslos, ab 15. Januar 2004 arbeitsunfähig und bezog vom 26. Februar 2004 bis 23. April 2005 Krankengeld, danach bis 16. Dezember 2005 Leistungen wegen Arbeitslosigkeit.

Den von der Klägerin am 4. Oktober 2004 gestellten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 15. Oktober 2004 und Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2005). Die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Die Klägerin erhob hiergegen beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage (S 10 R 314/05). Internist W. nannte in seiner Auskunft als sachverständiger Zeuge vom 13. April 2005 als Diagnosen eine seit etwa 1990 bestehende chronische Polyarthritis mit hoher Krankheitsaktivität, die zu ausgeprägten Funktionseinschränkungen der Fingergrundgelenke und der Handgelenke sowie weniger ausgeprägten Gelenksentzündungen auch an den Sprunggelenken führe, sowie ein seit mehreren Jahren bestehendes Anfallsleiden (Epilepsie). Über rezidivierende Schwellungen in den Gelenken sowie Schmerzen berichteten auch Internistin Dr. R. (Auskunft vom 12. April 2005) und Arzt für Allgemeinmedizin Dr. S.-E., Letzterer auch über einen erneuten Grand-Mal-Anfall im Dezember 2004, der eine medikamentöse Dauertherapie zur Anfallsprophylaxe erforderlich mache (Auskunft vom 12. Mai 2005). Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. J. gab an, ein cerebrales Anfallsleiden liege seit 15 Jahren vor. Das letzte Anfallereignis sei am 26. Januar 2005 dokumentiert (Auskunft vom 30. August 2005). Prof. Dr. F., Ärztlicher Leiter der Rheumatologie des Rheumazentrums B.-B., erstattete aufgrund einer Untersuchung am 2. Dezember 2005 das Gutachten vom 14. Dezember 2005. Aktuelle Beschwerden bestünden vor allem im Bereich beider Handgelenke und aller Fingergelenke mit einer Morgensteifigkeit von 60 Minuten, einem Faustschlussdefizit morgens von 8 cm sowie starken Schmerzen. Klinisch zeige sich eine deutlich aktive rheumatoide Arthritis mit akuten Arthritiden im Bereich des proximalen Interphalangealgelenks des Ringfingers links sowie des Kniegelenks links. Derzeit erfolge eine Therapie der entzündlichen-rheumatischen Erkrankung mit Steroiden. Es sei nur eine Arbeitstätigkeit von maximal drei bis vier Stunden möglich. Eine Gehstrecke von 500 m viermal täglich sei derzeit nicht möglich. Der jetzige Gesundheitszustand bestehe nach Angaben der Klägerin seit ca. einem halben Jahr. Es habe sich unter Berücksichtigung des (im Widerspruchsverfahren erhobenen) Gutachtens des Orthopäden Dr. T. (vom 16. Dezember 2004) der Gesundheitszustand sowie wegen der zunehmenden entzündlichen Aktivität das Leistungsvermögen seit dem Rentenantrag im Jahr 2004 langsam progredient verschlechtert. Im gerichtlichen Vergleich vom 15. August 2006 anerkannte die Beklagte den Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ausgehend von einem Leistungsfall mit Untersuchung durch Prof. Dr. F. für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. Juni 2008 an. Aufgrund dieses Vergleichs bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 5. September 2006 der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung für diesen Zeitraum. Der Grad der Behinderung beträgt 80 seit 6. Oktober 2008 und es ist das Merkzeichen G festgestellt (Bescheid des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis vom 19. Januar 2009).

Die Klägerin beantragte am 17. Januar 2008, die Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30. Juni 2008 hinaus zu zahlen. Im Befundbericht vom 13. Februar 2008 nannte Neurologe und Psychiater E. gelegentliche Grand-Mal-Anfälle, zuletzt am 13. Mai 2007, sowie eine anhaltende depressive Störung mit Chronifizierung. Prof. Dr. F. berichtete in den von der Klägerin eingereichten Arztbriefen vom 12. Februar und 28. April 2008, seit Oktober 2007 erfolge keine Basistherapie mehr. Darunter hätten die Beschwerden, vor allem der linken Schulter, der Hände, der oberen Sprunggelenke und im rechten Knie zugenommen. Die rheumatoide Arthritis sei hoch aktiv. Unter der am 8. Februar 2008 begonnenen TNF-alpha-Hemmer-Therapie sei es nicht zu einer Aktivitätsabnahme der Arthritis gekommen. Empfohlen werde die Umstellung auf eine andere Biologika-Therapie.

Internist und Rheumatologe Dr. L. diagnostizierte in seinem Zusatzgutachten vom 13. Mai 2008 ein entzündliches Gelenkrheuma, dessen derzeitiger und auch langfristiger Aktivitätsgrad sich geringer darstelle als im Gutachten (des Prof. Dr. F.) vom 14. Dezember 2005. Der Ausprägungsgrad sowohl der Schwellungen als auch insbesondere der radiologisch nachgewiesenen Destruktionen sei insgesamt gering. Dies spreche bei mehrjährigem Verlauf der Erkrankung gegen einen aggressiven Verlauf der entzündlichen Erkrankung, was mit den geringfügigen laborchemisch nachweisbaren Entzündungszeichen in Einklang stehe. Das (von der Klägerin) vorgeführte Gangbild mit Belastung vorwiegend des rechten Kniegelenks sei in keiner Weise nachvollziehbar gewesen, zumal sonografisch lediglich in diesem Gelenk ein Erguss nachzuweisen gewesen sei. Am Untersuchungstag habe sie das Cortison-Präparat nicht eingenommen. Weder eine quantitative Reduktion des Leistungsvermögens hinsichtlich geeigneter leichter Tätigkeiten noch eine relevante Einschränkung der Wegefähigkeit sei derzeit aus sozialmedizinischer rheumatologischer Sicht begründbar.

Orthopäde Dr. Sc. führte in seinem Zusatzgutachten vom 14. Mai 2008 aus, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule verursachten zurzeit keine wesentlichen Beschwerden und nur leichte Bewegungseinschränkungen. Im Vordergrund stehe eine rheumatische Polyarthritis. Die entzündliche Aktivität sei derzeit nur gering. An den Händen seien eine Arthrose und Subluxation der Daumengrundgelenke mit jeweiliger Streckhemmung sowie eine leichte Beugeeinschränkung des 2. bis 5. Fingers beidseits eingetreten. An den Kniegelenken bestehe eine Arthrose mit leichter, jedoch schmerzhafter Beugeeinschränkung, die jedoch funktionell nur eine untergeordnete Bedeutung besitze. Wegen rheumatisch verursachter Deformierung der Zehen sei das rechte Großzehengrundgelenk operativ versteift, was wesentliche Ursache der vorliegenden Gehbehinderung sei. Die Gehfähigkeit sei beeinträchtigt, wenn auch nicht in einem Umfang, der demonstrierend in der Untersuchungssituation dargeboten werde. Keine gesundheitlichen Bedenken bestünden gegen leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts. Die tägliche Arbeitszeit müsse nicht auf weniger als sechs Stunden eingeschränkt werden. Die Klägerin könne viermal 500 m in einer Zeit etwa 20 Minuten zurücklegen.

Arzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch. legte in seinem (Zusatz-)Gutachten vom 13. Mai 2008 dar, im neurologischen Untersuchungsbefund hätten sich keine signifikanten Ausfälle gezeigt. Der psychopathologische Befund sei mit einem ängstlich-depressiven Syndrom vereinbar, vor allem aber mit reaktiver Komponente bedingt durch die somatische Erkrankung des Rheumaleidens und auch mitbedingt durch den Tod der Mutter im Jahre 2007. Es hätten sich keine Hinweise auf eine so genannte endogene depressive Störung, eine tiefergehende depressive Symptomatik und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung ergeben. In Zusammenschau der Befunde stelle er auf psychiatrischem Gebiet die Diagnose von Angst und depressiver Störung gemischt. Anamnestisch bestehe eine Epilepsie mit Grand-Mal-Anfällen in niedrigerer Frequenz, zuletzt im Mai 2007. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht sei die Klägerin durchaus in der Lage, eine Arbeitstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Tagesschicht und zu ebener Erde ohne vermehrte geistig-psychische Belastungen sowie Gefährdungs- und Belastungsfaktoren wie Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr und häufig wechselnden Arbeitszeiten vollschichtig aufzunehmen.

Internist Dr. Müller führte in seinem Gutachten vom 30. Juni 2008 aus, auf internistischem Gebiet bestehe außer der rheumatoiden Arthritis eine medikamentös regelrecht eingestellte Bluthochdruckerkrankung. Zusammenfassend sei festzustellen, dass das Leistungsvermögen der Klägerin aufgrund einer rheumatoiden Arthritis mit nur geringgradigen Funktionseinschränkungen, einer anamnestisch bekannten Epilepsie, einer reaktiven Angst und Depression sowie einer Bluthochdruckerkrankung qualitativ, aber nicht quantitativ eingeschränkt sei.

Mit Bescheid vom 14. Juli 2008 lehnte die Beklagte es ab, die Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30. Juni 2008 hinaus weiterzuzahlen. Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie legte u.a. die ärztlichen Atteste des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie E. vom 13. August 2008 und des Prof. Dr. F. vom 19. August 2008 vor, die beide die Auffassung vertraten, eine vollschichtige Leistungsfähigkeit der Klägerin sei nicht gegeben. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 2008). Volle oder teilweise Erwerbsminderung über den 30. Juni 2008 hinaus liege nicht vor. Die Beurteilung des Leistungsvermögens der Klägerin durch den Sozialmedizinischen Dienst sei schlüssig und nachvollziehbar. Die Klägerin sei auch nicht berufsunfähig. Die zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung als Metallarbeiterin sei dem Leitberuf des ungelernten Arbeiters zuzuordnen, so dass sich die Klägerin auf sämtliche ungelernten Tätigkeiten verweisen lassen müsse. Derartige Tätigkeiten seien ihr noch mindestens sechs Stunden täglich zumutbar.

Die Klägerin erhob am 9. Dezember 2008 Klage beim SG. Sie begehrte, die Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30. Juni 2008 hinaus weiter zu gewähren, und verwies auf die im Widerspruchsverfahren vorgelegten Atteste des Arztes E. und des Prof. Dr. F ...

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie legte die sozialmedizinische Stellungnahme des Dr. L. vom 22. April 2009 vor. Aus den Befunden des Prof. Dr. F. lasse sich eine insgesamt unter Therapie leicht entzündliche Aktivität der Erkrankung ableiten. Das Krankheitsbild spreche nicht gegen die quantitativ uneingeschränkte Verrichtung einer geeigneten leichten Tätigkeit. Auch eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit sei nicht abzuleiten.

Das SG hörte die Klägerin behandelnde Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. S.-E. (Auskunft vom 20. Februar 2009) verwies auf die Behandlung bei Prof. Dr. F. und dessen ihm zugegangener Arztbriefe. Arzt Er. (Auskunft vom 24. Februar 2009) hielt das Leistungsvermögen der Klägerin auf unter drei Stunden täglich abgesunken, weil eine mangelnde emotionale Belastbarkeit aufgrund der chronifizierten depressiven Störung bestehe. Prof. Dr. F. (Auskunft vom 9. März 2009) berichtete über die seit Januar 2008 erfolgten ambulanten und stationären Behandlungen. Die Klägerin leide an einer hoch aktiven rheumatoiden Arthritis mit laborchemischen Entzündungswerten und erosiven Veränderungen der Gelenke als Zeichen der destruierenden Aktivität der Erkrankung. Die Besonderheit sei, dass die Erkrankung mit geringen laborchemischen Entzündungswerten einhergehe und auch die Schwellung der Gelenke für rheumatologisch unerfahrene Kollegen als gering angesehen werden könnte. Trotz intensiver Therapie mit verschiedenen eigentlich sonst hoch wirksamen Medikamenten sei eine Verschlechterung des Gesundheitszustands eingetreten und die Klägerin könne (auch) seit 1. Juli 2008 keine leichte körperliche Arbeit von mindestens drei Stunden täglich verrichten.

Auf Veranlassung des SG erstattete Privatdozent Dr. Ro., u.a. Arzt für Orthopädie und Rheumatologie, sein Gutachten vom 19. Oktober 2009. Er diagnostizierte eine seronegative rheumatoide Arthritis mit langsam progredientem Verlauf mit Beteiligung beider Hände, insbesondere der Daumengrundgelenke, des linken Schultergelenks, beider Kniegelenke, des linken Sprunggelenks und beider Füße, insbesondere der Großzehenendgelenke mit aufgrund der körperlichen und radiologischen Gelenksbefunde und der Entzündungswerte aktuell eher geringer entzündlicher Aktivität sowie mit geringen bis mäßigen Funktionseinschränkungen, weiter ein schmerzhaftes Syndrom der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und Fehlhaltung mit geringen Funktionseinschränkungen, eine Epilepsie mit geringer Anfallfrequenz sowie den Verdacht auf eine psychische Gesundheitsstörung. Eindeutige Hinweise auf eine Fibromyalgie hätten sich nicht ergeben, jedoch wiederholt Hinweise auf diskrepante Angaben und Befunde, eine Aggravation sowie eine begrenzte Compliance. Durch psychische Gesundheitsstörungen könnte ein Teil der Diskrepanz zwischen den sehr schwer angegebenen Schmerzen und Behinderungen und der eher geringer ausfallenden objektiven Befunde bei der körperlichen Untersuchung eventuell erklärt werden. Das Verhalten während der Befragung und Untersuchung, der weitgehend strukturierte Tagesablauf und die noch möglichen täglichen Aktivitäten sprächen allerdings eher gegen schwerwiegende psychische Gesundheitsstörungen. Bei erheblichen qualitativen Einschränkungen könnten Tätigkeiten noch ganzschichtig, ca. sechs bis acht Stunden täglich verrichtet werden. Möglich seien noch leichte körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis 5 kg, Treppensteigen in beschränktem Umfang von ungefähr einer Etage mehrmals täglich, im Freien mit Schutzkleidung bei ungünstiger Witterung, mit normaler Beanspruchung des Gehörs oder des Sehvermögens, mit Publikumsverkehr sowie Arbeiten an Tastengeräten, Schreibmaschinen und Büromaschinen mit einzelnen Eingaben ohne rasches Schreiben von Fließtexten. Die Gehfähigkeit sei mäßig eingeschränkt, jedoch seien Wegstrecken von 1.000 m möglich und 500 m könnten viermal täglich innerhalb jeweils 20 Minuten zurückgelegt werden. Ein progredienter Verlauf der Erkrankung sei möglich, so dass nach Ablauf von zwei bis drei Jahren eine erneute rheumatologische Begutachtung erfolgen solle.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattete Arzt für Innere Medizin und Rheumatologie Prof. Dr. Lo. sein beim SG am 15. April 2010 eingegangenes Gutachten (ohne Datum). Die aktuellen Beschwerden der Klägerin mit Schmerzen am gesamten Körper, insbesondere bei Berührung, seien nicht mehr primär durch die rheumatoide Arthritis (differenzialdiagnostisch Psoriasisarthritis) bedingt, da die aktuell durchgeführten bildgebenden, klinischen und laborchemischen Untersuchungen keine Aktivitätszeichen dieser Erkrankung nachweisen ließen. Statt dessen stehe - abweichend von der Einschätzung des Privatdozent Dr. Ro. - derzeit ein sekundäres, nicht behandeltes Fibromyalgie-Syndrom auf dem Boden der chronischen Arthritis im Vordergrund. Durch die generalisierte Schmerzsymptomatik und die daraus resultierenden psychischen Belastungen sei die Klägerin im momentanen Zustand weiterhin nicht in der Lage, eine regelmäßige Tätigkeit bis drei Stunden täglich durchzuführen.

Zu diesem Gutachten legte die Beklagte die weitere sozialmedizinische Stellungnahme des Dr. L. vom 29. April 2010 vor. Der sehr knapp gehaltene körperliche Untersuchungsbefund ermögliche nicht eine umfassende funktionelle Beurteilung des Bewegungssystems. Insgesamt sei die Ableitung eines quantitativ leistungsgeminderten Ausprägungsgrades der Schmerzerkrankung nicht möglich.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 11. Juni 2010 ab. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne die Klägerin zur Zeit noch leichte körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis 5 kg in wechselnder Körperhaltung täglich sechs Stunden verrichten. Diese Einschätzung basiere im Wesentlichen auf den Feststellungen des Sachverständigen Privatdozent Dr. Ro ... Dessen Einschätzung hinsichtlich der rheumatoiden Arthritis werde durch das Gutachten des Prof. Dr. Lo. bestätigt. Die Untersuchung durch Prof. Dr. Lo. habe ergeben, dass jetzt keine Aktivitätszeichen der rheumatoiden Arthritis nachweisbar seien und deshalb diese Erkrankung zurzeit nicht im Vordergrund stehe. Bei dieser übereinstimmenden Beurteilung der Sachverständigen sei der Einschätzung von Prof. Dr. F., trotz geringer laborchemischer Entzündungswerte bestehe eine schwere rheumatoide Arthritis, nicht zu folgen. Ob die von Prof. Dr. Lo. in den Mittelpunkt gestellte Diagnose eines sekundären Fibromyalgiesyndroms auf dem Boden der abgelaufenen, derzeit aber nicht als aktiv zu bewertenden rheumatoiden Arthritis als gesichert angesehen werden könne, erscheine zweifelhaft. Privatdozent Dr. Ro. habe eine wesentlich differenziertere Diagnostik hinsichtlich eines Fibromyalgiesyndroms mit manueller Untersuchung vorgenommen und danach die Diagnose einer Fibromyalgie nicht eindeutig stellen können. Grundsätzlich sage die Diagnose einer Fibromyalgie oder auch eines chronischen Schmerzsyndroms auch noch nichts über die quantitative Leistungsfähigkeit aus. Prof. Dr. Lo. habe noch keine verlässliche Einschätzung vermitteln können, von welchem Leistungsvermögen derzeit bei der Klägerin auszugehen sei.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 16. Juni 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Juli 2010 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, aufgrund der rheumatoiden Arthritis erwerbsgemindert zu sein. Sie hat eingereicht: • Mehrere Arztbriefe des Prof. Dr. F. über die durchgeführten Behandlungen, der zuletzt im Arztbrief vom 17. Februar 2014 über eine erneute Umstellung der Therapie berichtet hat, • Befundberichte eines Radiologischen Zentrums vom 31. Juli 2010 und 24. September 2013 über eine jeweils am selben Tag durchgeführte Kernspintomographie des rechten Handgelenks und vom 20. August 2010 über die am selben Tag durchgeführte Dreiphasen-Szintigraphie des ganzen Körpers (sich zeigende Anreicherung seien prinzipiell mit entzündlich bedingten Gelenk- oder Skelettveränderungen zu vereinbaren), • Arztbriefe des Hals-Nasen-Ohrenarztes Dr. Schi. vom 16. Februar, 8. März und 4. Juni 2012 (Diagnose: Sacculusneuropathie rechts, Morbus Menière rechts), • den Arztbrief des Augenarztes Prof. Dr. He. vom 25. Mai 2012 (medikamentöse Therapie wegen behaupteter Doppelbilder abends beim Fernsehen), • den Arztbrief des Arztes E. vom 22. Juni 2012 (höhere antiepileptische Medikation wegen eines Grand-Mal-Anfalls vor ca. vier Wochen) sowie dessen Bescheinigung vom 13. März 2014 mit der (ohne nähere Angabe von Befunden) geäußerten Auffassung, die Klägerin sei nur für Tätigkeiten von unter drei Stunden täglich belastbar, • mehrere Arztbriefe des Prof. Dr. B. wegen der Behandlung bei 4-Etagen-Venenthrombose des linken Beins am 15. August 2012 mit Thrombektomie und Implantation von Stents sowie einer Wundheilungsstörung im Bereich der linken Leiste, • die ärztliche Bescheinigung des Dr. S.-E. vom 25. März 2014 (aufgrund der deutlichen Verschlechterung des rheumatologischen Krankheitsbildes sowie hinzugekommener Erkrankungen sei die Klägerin nicht arbeitsfähig), • den Arztbrief des Neurologen und Psychiater Se. vom 29. Juli 2014 (er gehe von einer manifesten Depression aus, der klinisch-neurologische Untersuchungsbefund sei im Wesentlichen unauffällig; die Klägerin sei weiterhin erwerbsunfähig).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11. Juni 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr auch ab 1. Juli 2008 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen und hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie hat die weiteren sozialmedizinischen Stellungnahmen des Dr. L. vom 27. Juli 2011 und 27. März 2013 vorgelegt. Aus den vorgelegten Berichten könne weder eine entsprechende Schubdauer oder -frequenz noch eine entsprechende schwere funktionelle Beeinträchtigung abgeleitet werden.

Der Senat hat Arzt E. als sachverständigen Zeugen gehört. Er hat angegeben (Auskunft vom 23. Februar 2013), er habe die Klägerin seit 24. Februar 2009 wegen einer Epilepsie mit der Verordnung von Antiepileptika und einer rezidivierenden depressiven Störung mit der Verordnung von Antidepressiva behandelt.

Im auf Veranlassung des Senats erstatteten internistischen-rheumatologischen Gutachten vom 6. Dezember 2013 hat Prof. Dr. Ha., Direktor der Medizinischen Klinik I des Städtischen Klinikums K., ausgeführt, es bestehe eine derzeit klinisch wenig aktive seronegative rheumatoide Arthritis mit Kniegelenksergüssen rechts mehr als links sowie radiologisch nachgewiesenen erosiven Veränderungen der Handwurzelknochen und des Handgelenks rechts mit Synovialitis beidseits. Die Therapie erfolge seit Dezember 2012 mit Etanercept, obgleich bislang keine ausreichende Besserung der Beschwerden hierunter eingetreten sei. Des Weiteren bestünden ein Fibromyalgie-Syndrom mit spontanen Schmerzen in allen Körperregionen, vor allem der Unterarme, mit Druckschmerzhaftigkeit über 16 von 18 Tenderpoints und einer Schlafstörung, begleitend eine deutliche depressive Stimmungslage, eine arterielle Hypertonie, die unter antihypertensiver Medikation gut eingestellt sei, sowie ein Linksschenkelblock, der derzeit keine Beschwerden im Sinne einer Herzinsuffizienz verursache. Die feinmotorische Bewegung der Hände sei schmerzbedingt nur eingeschränkt möglich. Auch fehle es der Klägerin an der nötigen Kraft, Dinge fest zu umgreifen und schwere Gegenstände zu tragen. Wegen der rezidivierenden Kniegelenksergüsse sei das zumutbare Gewicht zu tragender Lasten vermindert. Vor dem Hintergrund des bestehenden Fibromyalgie-Syndroms und der depressiven Grundstimmung bestehe eine Einschränkung hinsichtlich der Stressresistenz und die Klägerin sollte nicht in Arbeitsbereichen mit erhöhter Arbeitsgeschwindigkeit und Verwertungsdurchlauf eingesetzt werden. Angesichts der doch deutlichen psychosomatischen Komponente der Erkrankung mit eingeschränkter Fähigkeit zur Stressbewältigung sei eine Tätigkeit in Vollzeit derzeit nicht möglich. Möglich seien im Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten in regelmäßig wechselnder Körperhaltung zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, vornehmlich in sitzender Körperhaltung und mit lediglich eingeschränkter Belastung der Hände, das gelegentliche Heben und Tragen von Lasten bis 5 kg, das Bedienen eines Telefons und einer Computertastatur ohne rasches Schreiben von Fließtexten, jeweils mit ergonomisch angepassten Gerätschaften mit vergrößerten Bedienfeldern sowie das Treppensteigen in beschränktem Umfang von ungefähr einer Etage mehrmals täglich. Auszuschließen seien häufiges Bücken und Knien, feinmotorische Arbeiten, monotone Bewegungsabläufe, das Verharren in Zwangshaltungen, Band- und Akkordarbeit in vorgegebenem Takt, das Besteigen von Leitern oder Gerüsten sowie Arbeiten in Zugluft, Feuchtigkeit, Temperaturen unter Raumtemperatur, unter Einfluss von Staub, Gasen oder Dämpfen, mit erhöhtem Publikumsverkehr, mit vermehrtem Kundenaufkommen und in Nacht- oder Schichtarbeiten. Pausen von jeweils 15 Minuten sollten in dreistündigem Abstand eingerichtet werden. Die Gehstrecke von 500 m könne viermal täglich innerhalb weniger als 20 Minuten zurückgelegt werden und es könnten öffentliche Verkehrsmittel zweimal täglich genutzt werden. Der Vergleich der vorliegenden Gutachten begonnen mit dem von Prof. Dr. F. vom Dezember 2005 ergebe ein ähnliches klinisches Bild wie es heute vorliege. Der derzeit bestehende Gesundheitszustand sei seit dem 1. Juli 2008 im Wesentlichen stabil und habe sich vor dem Hintergrund der Therapie der Begleiterkrankungen wie auch der ausführlichen Physiotherapie tendenziell gebessert. Im Rahmen der vermehrten seelischen Symptombelastung sei auch zur Vermeidung eines sekundären Krankheitsgewinnes mit der Gefahr einer teufelskreisähnlichen Dynamik eine aktivierende Beschäftigung zu empfehlen.

Zu dem Gutachten hat die Beklagte die sozialmedizinische Stellungnahme des Arztes für Chirurgie/Sozialmedizin Dr. Schl. vom 25. Februar 2014 vorgelegt. Prof. Dr. Ha. beschreibe ein stabiles Krankheitsbild seit 2008, so dass sich diesbezüglich eine Absenkung des quantitativen Leistungsvermögens auf weniger als sechs Stunden nicht rechtfertigen lasse. Seine abweichende Auffassung vom Gutachten des Privatdozent Dr. Ro. begründe er mit einer jetzt seiner Meinung nach stärkeren "psychosomatischen Komponente", die aber angesichts des von ihm mitgeteilten psychischen Befundes unter Schilderung des Tagesablaufs in Kombination mit der sachverständigen Zeugenaussage des Arztes E. nicht nachvollzogen werden könne, zumindest nicht bezüglich einer Einschränkung auf weniger als sechs Stunden.

Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherpeutische Medizin Ma. hat das Gutachten vom 2. Juli 2014 nach Untersuchung am 24. Juni 2014 erstattet. Auf nervenärztlichem Gebiet hat er eine Angst und depressive Störung gemischt, anamnestisch eine Epilepsie mit seltenen (maximal in zwei- bis dreijährigen Abständen) Grand-Mal-Anfällen (nach Angaben der Klägerin gegenüber dem Sachverständigen letzter Anfall vor vier oder sechs Wochen, ohne in ärztliche Behandlung gegangen zu sein) sowie eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren diagnostiziert. Von Anamnese und Befund her finde sich eine leichte ausgeprägte ängstliche depressive Symptomatik, die nicht so schwerwiegend sei, dass sie die Diagnose einer spezifischen Angststörung oder einer depressiven Episode rechtfertige. Eine höherwertige depressive Symptomatik ergebe sich nicht. Die depressive Komponente dieser Störung habe sich offensichtlich seit Begutachtung durch Dr. Sch. gebessert. Die Schmerzsymptomatik müsse überwiegend rheumatologisch im Hinblick auf die chronische Polyarthritis beurteilt werden, die psychosomatische Komponente sei eher gering ausgeprägt. Es bestehe in der Untersuchungssituation eine gewisse aggravatorische Darstellung. Die Bestimmung des Serumsspiegels bestätige die Einnahme des Schmerzmittels Tramadol, das Antidepressivum Mirtazapin sei nicht nachweisbar. Nicht mehr zumutbar seien wegen der Epilepsie Tätigkeiten auf Leitern oder Gerüsten oder an einem Arbeitsplatz mit erhöhter Unfallgefährdung, wegen der Schmerzstörung Tätigkeiten in Kälte, Nässe oder im Freien, mit häufigem Bücken sowie Heben und Tragen von Lasten über 5 kg sowie wegen der Neigung zu psychosomatischer Symptombildung mit verminderter Stressbelastbarkeit Akkord-, Fließband-, Schicht- oder Nachtarbeit. Seitens des nervenärztlichen Fachgebiets sei unter Berücksichtigung der genannten qualitativen Einschränkungen davon auszugehen, dass die Klägerin weiterhin auch mehr als sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche einer körperlich leichten Tätigkeit nachgehen könne, ohne dass besondere Arbeitsbedingungen erforderlich seien. Wegen der Epilepsie könne die Klägerin derzeit und zumindest für das nächste Jahr selbst keinen PKW lenken, sei allerdings weiterhin in der Lage, eine Gehstrecke von 500 m viermal täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akten des SG (S 10 R 314/05 und S 4 R 4036/08) sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Die Klägerin hat die Berufung form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung bedurfte nicht nach § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung. Denn die Klägerin begehrt Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Zu entscheiden ist allein darüber, ob der Klägerin die bis 30. Juni 2008 gezahlte Rente wegen voller Erwerbsminderung über diesen Zeitpunkt hinaus weiterzuzahlen ist. Nur dies beantragte die Klägerin bei der Beklagten und auch in der Begründung ihrer Klage vom 11. Februar 2009.

Da die frühere Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung bis 30. Juni 2008 befristet war, endete sie kraft Gesetzes nach § 102 Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) an diesem Tag. Im Hinblick auf den Verlängerungsantrag der Klägerin am 17. Januar 2008 ist der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit ab 1. Juli 2008 originär zu prüfen, ohne dass es des Nachweises einer wesentlichen Besserung des Gesundheitszustands der Klägerin und ihres Leistungsvermögens ab 1. Juli 2008 im Sinne des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bedarf.

3. Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat für die Zeit ab 1. Juli 2008 keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Art. 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voraussetzung ist, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

a) An rentenrelevanten Gesundheitsstörungen bestehen folgende Erkrankungen:

aa) Bei der Klägerin besteht eine rheumatoide Arthritis. Diese Erkrankung ist wenig aktiv und seit 2008 stabil. Es bestehen keine starke Entzündungsaktivität und keine stärkeren Schwellungen an den Gelenken sowie nur eine geringe Einschränkung der Beweglichkeit der Gelenke, insbesondere der Finger und Hände. Dies ergibt sich übereinstimmend aus den Gutachten der Sachverständigen Privatdozent Dr. Ro., Prof. Dr. Lo. und Prof. Dr. Ha. sowie der Gutachter Dr. L. und Dr. Müller. Die von den genannten Sachverständigen erhobenen Befunde stimmen überein. Die geringe Entzündungsaktivität belegt das Ergebnis der laborchemischen Untersuchung des Prof. Dr. Ha ... Er fand eine in der Norm liegende Blutsenkungsgeschwindigkeit und ein in der Norm liegendes C-reaktives Protein. Auch die Seromarker für eine rheumatoide Arthritis (Rheumafaktor und die Antikörper des cyklischen citrullinierten Peptid [Anti-CCP]) waren negativ. Prof. Dr. Ha. spricht sogar von einer tendenziellen Besserung der Erkrankung. Aus den von Prof. Dr. F. erhobenen Befunden lässt sich nichts anderes ableiten. Auch er beschreibt allenfalls leichte Schwellungen und keine Entzündungen (Attest vom 19. August 2008: Schwellungen der Gelenke dezent; Arztbrief vom 23. Oktober 2008: Leichte Schwellung und Druckschmerz im rechten Handgelenk; Arztbrief vom 14. Januar 2009: Röntgenbefund, leichte ulnarseitige Weichteilschwellung beidseits im Bereich der Handgelenke; Arztbrief vom 28. Januar 2009: Keine ausgeprägten gelenksbezogenen Schwellungen; Arztbrief vom 30. März 2009: Immer relativ wenig Schwellungen, keine laborchemische Entzündungskonstellation, aber nachvollziehbar starke Schmerzen; Arztbrief vom 21. Juni 2011: Wenig entzündliche Aktivität; Arztbrief vom 2. Juli 2012: Keine entzündlichen Schwellungen; Arztbrief vom 31. Dezember 2012: Keine eindeutige Schwellung in den Hand- und Fingergelenken; Arztbrief vom 17. Februar 2014: Verweis auf vorangegangene Arztbriefe, laborchemisch Rheumafaktor und Anti-CCP negativ).

bb) Bei der Klägerin besteht ferner ein Anfallleiden, das seit Jahren, auch bereits in den 1990-Jahren, medikamentös behandelt wird (z.B. Befundbericht des Arztes E. vom 13. Februar 2008; sachverständige Zeugenauskunft desselben Arztes vom 23. Januar 2013). Anfallereignisse treten nur in größeren Zeitabständen auf, am 26. Januar 2005 (sachverständige Zeugenauskunft des Dr. J. vom 30. August 2005), 13. Mai 2007 (sachverständige Zeugenauskunft des Arztes E. vom 24. Februar 2009) sowie nach den Angaben der Klägerin im Mai 2012 (sachverständige Zeugenauskunft des Arztes E. vom 23. Januar 2013) und etwa vier oder sechs Wochen vor der Untersuchung durch den Sachverständigen Ma. am 24. Juni 2014. Bei dem zuletzt angegebenen Anfall begab sich die Klägerin nicht in ärztliche Behandlung, so dass es sich nicht um einen schweren Anfall handelte. Eindeutige, dem Anfall vorausgehende Symptome im Sinne einer epileptischen Aura konnte der Sachverständige Ma. nicht erfragen. Der Senat geht von der genannten Anzahl der Anfälle aus, obgleich die Klägerin gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. Ha. angab, im Jahr 2007 sei es zu einem einmaligen Krampfanfall gekommen, weshalb sie seither Medikamente einnehme, und weitere Krampfanfälle seien seither nicht aufgetreten.

cc) Des Weiteren besteht bei der Klägerin eine Angst und depressive Störung gemischt. Diese Störung ist allenfalls als leicht einzustufen. Dies ergibt sich für den Senat aus dem Gutachten des Sachverständigen Ma ... Unter Auswertung der Arztbriefe des Arztes E. hat er dies schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Die Behandlungsfrequenz bei Arzt E. sowie das Fehlen einer psychotherapeutischen Behandlung und stationärer psychiatrischer oder psychosomatischer Behandlungen in den letzten 20 Jahren weisen nicht auf eine schwerer wiegende ängstlich depressive Störung hin. Hierfür spricht auch, dass bei der vom Sachverständigen Ma. durchgeführten Bestimmung des Serumspiegels im Blut das nach Angaben der Klägerin eingenommene Antidepressivum Mirtazapin nicht nachweisbar war. Etwas anderes lässt sich nicht aus dem Arztbrief des Arztes Se. vom 29. Juli 2014 entnehmen. Er nennt eine "manifeste" Depression und empfiehlt, die bisherige Behandlung mit Mirtazapin abends fortzusetzen, aber keine darüber hinaus gehende Behandlung.

dd) Ferner besteht bei der Klägerin eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, die hauptsächlich auf die rheumatoide Arthritis zurückgeht. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Sachverständigen Ma ... Die von Prof. Dr. Lo. gestellte Diagnose einer Fibromyalgie vermag im Hinblick auf das Gutachten des Sachverständigen Ma. nicht zu überzeugen, zumal auch keiner der die Klägerin behandelnden Ärzte eine solche Diagnose stellte.

ee) Schließlich leidet die Klägerin an einer Bluthochdruckerkrankung, die medikamentös eingestellt ist. Zudem trat im August 2012 eine Beckenvenenthrombose links auf. Wegen dieser Erkrankung erfolgt eine Behandlung mit Marcumar.

b) Wegen dieser Erkrankungen kann die Klägerin nur noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen verrichten. Zu vermeiden sind Tätigkeiten mit erhöhter Belastbarkeit der Hände, häufigem Bücken, Heben und Tragen von Lasten über 5 kg, häufigem Treppensteigen, Zwangshaltungen, Akkord- Fließband-, Schicht- oder Nachtarbeit und erhöhtem Publikumsverkehr, auf Leitern oder Gerüsten sowie in Kälte, Nässe oder im Freien. Diese qualitativen Leistungseinschränkungen haben die Sachverständigen übereinstimmend dargelegt.

c) Die rentenrelevanten Erkrankungen führen seit 1. Juli 2008 nicht zu einer quantitativen Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts auf weniger als sechs Stunden täglich.

aa) Aus der stabilen rheumatoiden Arthritis mit geringen Entzündungszeichen und Schwellungen lässt sich eine quantitative Leistungseinschränkung nicht ableiten. Der Senat folgt insoweit der Leistungsbeurteilung der Sachverständigen Privatdozent Dr. Ro. und des Gutachters Dr. Müller, nicht jedoch der Beurteilung des quantitativen Leistungsvermögens durch Prof. Dr. Ha. und Prof. Dr. Lo ... Im Hinblick auf die geringe Entzündungsaktivität und die geringen Schwellungen ist es für den Senat nachvollziehbar, dass allenfalls qualitative Leistungseinschränkungen vorliegen. Die Grundlagen, auf die Privatdozent Dr. Ro. seine Beurteilung der qualitativen Leistungsfähigkeit der Klägerin stützte, sind unverändert, wie insbesondere das Gutachten des Prof. Dr. Ha. zeigt. Privatdozent Dr. Ro. legte für den Senat nachvollziehbar dar, dass durch die objektiven Befunde bei der körperlich orientierten orthopädisch-rheumatologischen Untersuchung die von der Klägerin geäußerten Beschwerden nicht vollständig zu erklären sind. Bemerkenswert ist, dass die Klägerin trotz der Angabe, Gegenstände fielen ihr regelmäßig aus der Hand, bisher keine ergotherapeutische Beratung und Behandlung aufsuchte sowie über viele Jahre eine konsequente antirheumatische medikamentöse Behandlung abgelehnt hatte mit der Begründung eines Kinderwunsches und auch Medikamente, die mit einem Kinderwunsch vereinbar gewesen wären, nicht regelmäßig einnahm.

Der Leistungsbeurteilung des Prof. Dr. Ha. folgt der Senat nicht, weil sie nicht schlüssig ist. Wie dargelegt sind die Befunde hinsichtlich der rheumatoiden Arthritis seit Jahren unverändert. Nach Auffassung des Prof. Dr. Ha. soll sich die Erkrankung sogar tendenziell gebessert haben. Prof. Dr. Ha. stützt seine Leistungsbeurteilung maßgeblich auch auf eine depressive Stimmungslage mit Antriebsminderung und der eingeschränkten Fähigkeit zur Stressbewältigung. Dies vermag jedoch unter Berücksichtigung des Gutachtens des Sachverständigen Ma. nicht zu überzeugen (dazu sogleich). Zudem beschrieb Prof. Dr. Ha. den von ihm erhobenen psychischen Befund nur sehr knapp und gab auch an, die Stimmung der Klägerin sei auslenkbar. Dr. Schl. verwies in seiner von der Beklagten vorgelegten sozialmedizinischen Stellungnahme vom 25. Februar 2014 insoweit zutreffend darauf, dass sich deshalb eine quantitative Leistungseinschränkung nicht ableiten lasse.

Ebenso wenig folgt der Senat der Beurteilung des quantitativen Leistungsvermögens der Klägerin durch Prof. Dr. Lo ... Er stellte ebenfalls nur eine geringe Ausprägung der rheumatoiden Arthritis fest, geht aber von ausgeprägten Beschwerden der Klägerin aus, ohne allerdings Ausführungen dazu zu machen, inwieweit diese Beschwerden glaubhaft sind. Hierzu hätte Veranlassung bestanden. Denn Dr. L. in seinem Gutachten vom 13. Mai 2008 und der Sachverständige Privatdozent Dr. Ro. in seinem Gutachten vom 19. Oktober 2009, deren Gutachten dem Sachverständigen Prof. Dr. Lo. vorlagen, haben hinsichtlich der Angaben der Klägerin zu Schmerzen und Beschwerden Vorbehalte gemacht. Ebenso wiesen die im Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen auf erkennbare gelegentliche Aggravationstendenzen (Prof. Dr. Ha.) und eine gewisse aggravatorische Darstellung in der Untersuchungssituation (Sachverständiger Ma.) hin. Zudem gab Prof. Dr. Lo. nur eine vorläufige Beurteilung ab. Denn er hielt die Klägerin aufgrund des Zustandes zum Zeitpunkt seiner Untersuchung wegen der von ihm als führend eingeschätzten, bislang nicht behandelte Fibromyalgie für nicht arbeitsfähig.

bb) Eine quantitative Leistungseinschränkung für eine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts auf weniger als sechs Stunden täglich ergibt sich auch nicht wegen der Erkrankungen des psychiatrischen und/oder neurologischen Gebiets. Der Senat stützt sich insoweit auf die für ihn schlüssige Leistungsbeurteilung des Sachverständigen Ma ... Das Anfallsleiden führt - wie dargelegt und vom Sachverständigen Ma. auch seiner Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin zu Grunde gelegt - nur zu wenigen Anfällen in größeren zeitlichen Abständen und es ist mit der seit Jahren genommenen antiepileptischen Medikamenten gut beherrschbar. Dies wird durch den Umstand belegt, dass dieses Anfallsleiden auch bereits in den 1990-Jahren bestand und die Klägerin nach Ende der bis 30. Juni 1999 bewilligten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit trotz dieses Anfallsleidens eine versicherungspflichtige Tätigkeit bis 2003 wieder ausüben konnte. Die ängstlich depressive Störung kann aufgrund ihrer Einordnung als leichte Störung nicht eine quantitative Leistungsbeurteilung begründen. Der Sachverständige Ma. konnte, auch unter Auswertung der Arztbriefe und Angaben des Arztes E., keine Befunde erheben, die auf eine schwerer wiegend verlaufende depressive Störung hinweisen würden. Insbesondere ergaben sich keine eindeutigen Beeinträchtigungen im Alltag, der Tagesablauf ist geordnet und das Interessevermögen nicht eingeschränkt. Die Schmerzsymptomatik geht hauptsächlich auf die rheumatoide Arthritis zurück, wie der Sachverständige Ma. für den Senat schlüssig und nachvollziehbar unter Hinweis auf widersprüchliche Angaben der Klägerin beim Befragen und im sonstigen Eindruck außerhalb der direkten Befragung nach Druckschmerzhaftigkeit darlegte. Auch konnte der Sachverständige Ma. in der Untersuchungssituation kein Schonverhalten der Klägerin wegen Schmerzen beobachten.

cc) Eine quantitative Leistungseinschränkung wegen der im Jahre 2012 aufgetretenen Beckenvenenthrombose besteht nicht. Der Sachverständige Prof. Dr. Ha. nannte solche nicht, was auch seine Bestätigung darin findet, dass er die Diagnose eines Zustandes nach der Beinvenenthrombose nannte. Dasselbe gilt für den medikamentös eingestellten Bluthochdruck.

d) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung liegt nicht vor. Bei der Klägerin bestehen zwar zahlreiche qualitative Leistungseinschränkungen, die jedoch nicht als ungewöhnlich anzusehen sind, sondern denen für leichte körperliche Tätigkeiten entsprechen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände - beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R -; in juris m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei der Klägerin vorhanden.

e) Auch die Wegefähigkeit der Klägerin war und ist in der Zeit seit 1. Juli 2008 gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteile vom 17. Dezember 1991 - 13/5 RJ 73/90 - sowie 12. Dezember 2011 - B 13 R 21/10 R und B 13 R 79/11 R -; alle in juris). Der Senat geht zwar davon aus, dass die Klägerin wegen des Anfallsleidens, wie dies der Sachverständige Ma. darlegte, sowie wegen der Einnahme des Schmerzmittels Tramadol, wie dies der Sachverständige Prof. Dr. Ha. darlegte, einen Pkw nicht führen kann. Sie ist allerdings in der Lage, eine Gehstrecke von 500 m viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Die Sachverständigen haben keine Befunde erhoben, die für eine den genannten Maßstäben eingeschränkte Gehfähigkeit der Klägerin sprechen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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