Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 1665/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1009/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 07. Februar 2012 abgeändert. Der Beklagte wird unter weiterer Abänderung des Bescheids vom 31. Juli 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Juni 2010 verurteilt, bei dem Kläger ab dem 06. Mai 2009 einen Grad der Behinderung von 50 (fünfzig) festzustellen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Der Beklagte erstattet dem Kläger zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten beider Instanzen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Zuerkennung (behördliche Feststellung) eines Grades der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 und damit der Eigenschaft eines schwerbehinderten Menschen.
Der am 01.02.1950 geborene Kläger ist türkischer Staatsbürger mit dauerhaftem Aufenthalt im Inland. Mit Bescheid vom 10.02.2004 erkannte ihm das damals zuständige Versorgungsamt Ravensburg einen GdB von 20 zu. Dem lagen als Funktionsbeeinträchtigungen und Einzel-GdB eine koronare Herzkrankheit mit abgelaufenem Herzinfarkt im Juni 2003 und Koronardilatation (20) sowie Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und beider Hüftgelenke (10) zu Grunde. Ein anschließendes Widerspruchs- und Klageverfahren blieben erfolglos (Rücknahme der Berufung in dem Verfahren L 8 SB 3182/05 vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg [LSG] am 07.10.2005).
Am 06.05.2009 beantragte der Kläger die Zuerkennung eines höheren GdB. Er legte u.a. das Gutachten des Internisten Dr. K. vom 25.08.2008 aus einem Berufungsverfahren in einer Rentenstreitsache vor dem LSG (L 13 R 162/08) vor, das eine Einschränkung der ergometrischen Leistungsfähigkeit auf etwa 100 Watt (W) ergeben hatte. Ferner gelangte das Attest des behandelnden Internisten Dr. E. vom 11.02.2009 zu den Akten, das u.a. ein Schmerzsyndrom und eine anhaltende mittelgradige depressive Episode diagnostizierte. Unter Auswertung dieser und weiterer ärztlicher Unterlagen (zu den orthopädischen Beschwerden) schlug Versorgungsarzt Dr. Z. unter dem 17.06.2009 vor, den Einzel-GdB für die koronare Herzerkrankung und damit den Gesamt-GdB auf 30 anzuheben. Diesen GdB stellte sodann das inzwischen als Versorgungsamt zuständige Landratsamt B. (LRA) mit Bescheid vom 31.07.2009 ab Antragstellung fest.
Im Widerspruchsverfahren zog das LRA weiterhin das Gutachten von Prof. Dr. S. vom 23.02.2009 aus dem genannten Rentenstreitverfahren bei. Hiernach bestand bei koronarer 3-Gefäß-Erkrankung mit Z.n. (Zustand nach) Myokardinfarkt ein gutes Langzeitergebnis, ergometrisch hätten sich auch bei Belastung keine Ischämien gezeigt, die linksventrikuläre Funktion liege im Normbereich. Kardial sei die Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt, jedoch bestehe ab 2 Stockwerken bzw. 75 Watt eine Belastungsdyspnoe, diese beruhe aber auf einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und dem Nikotinabusus. Eine "psychische Belastung" wurde nicht festgestellt (S. 6 GA). Ferner reichte der Neurologe und Psychiater Dr. K. Befundberichte eines CT vom 09.03.2010 für die HWS ("in der Zusammenschau unauffällige Befunde an der HWS bis auf einen paravertebralen Hartspann mit Steilstellung"), die LWS ("bei Zeichen einer Osteoporose und leichter bis mäßiger Osteochondrose kein wesentlicher pathologischer Befund auf Höhe L3 bis S1") und den Schädel ("Hinweise auf eine frühkindliche Hirnschädigung") zur Akte. Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. E. vom 06.05.2010 wies sodann das Regierungspräsidium Stuttgart als Landesversorgungsamt den Widerspruch mit Bescheid vom 10.06.2010 zurück, wobei es zusätzlich eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung als Behinderung mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigte, die jedoch nicht den Gesamt-GdB erhöhe.
Hiergegen hat der Kläger am 08.07.2010 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben.
Am 06.08.2010 ging bei dem LRA der bereits im Vorverfahren angeforderte Befundbericht von Dr. K. vom 04.08.2010 ein. Dieser gab eine nicht adäquat behandelte Postherzinfarkt-Depression mit anhaltenden, z.T. mehrere Monate andauernden depressiven Episoden und ein chronifiziertes generalisiertes Schmerzsyndrom psychogener Art bei unauffälligen bildgebenden Befunden an. Daraufhin bot der Beklagte unter dem 03.05.2011 im Vergleichswege die Zuerkennung eines Gesamt-GdB von 40 ab Antragstellung an. Zu Grunde lag die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Franke vom 26.04.2011, die zusätzlich einen Einzel-GdB von 30 für eine seelische Störung und ein chronisches Schmerzsyndrom vorschlug.
Mit der schriftlichen Zeugenaussage von Dr. E. vom 15.08.2011 (keine wesentliche Befund-änderung) sind noch das Attest des Pneumologen Dr. P. vom 12.01.2011 (Zunahme der Atembeschwerden, regelmäßiger Husten mit Auswurf, weiter 15 Zigaretten/Tag, respiratorische Partialinsuffizienz, IVC [Vitalkapazität] bei 64 % und FEV1 [Einsekundenkapazität] bei 49 % der Sollwerte) sowie die urologischen Arztbriefe von Dr. R. vom 28.01.2010 (Harnröhrenstriktur, Z.n. Prostatatitis, erektile Dysfunktion u.a.) und von Dr. R., H.-Spital Ü., vom 02.11.2010 (Urethrotomia interna [Harnröhrenschlitzung] am 18.10.2010) zur Akte gelangt. Ferner hat das SG Dr. K. selbst als Zeugen vernommen. Dieser hat unter dem 11.10.2011 ergänzend mitgeteilt, der Kläger sei des Deutschen nicht hinreichend mächtig, es beständen eine rezidivierende mittelgradige depressive Episode seit dem Herzinfarkt 2003, ein Migrationshintergrund mit geistiger Behinderung zumindest mittelgradiger Ausprägung bei u.a. fehlender Krankheitseinsicht, ein chronifiziertes psychogenes Schmerzsyndrom und körperlich/neurologisch Zeichen einer leichten Polyneuropathie ohne wesentliche Beeinträchtigung des Gleichgewichts- und des Lagesinns. Diese ärztlichen Unterlagen waren Gegenstand der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 13.12.2011, der zur Lungenerkrankung ausführte, der fortgesetzte Nikotinmissbrauch spreche gegen einen erhöhten Leidensdruck, im Übrigen sei der weitere Verlauf der Therapie abzuwarten; bei den anderen Behinderungen ergäben sich keine Hinweise auf eine abweichende Beurteilung.
Mit Gerichtsbescheid vom 07.02.2012 hat das SG der Klage teilweise stattgegeben und den Beklagten unter Abänderung der anders lautenden Bescheide verurteilt, bei dem Kläger ab dem 06.05.2009 einen GdB von 40 festzustellen. Zur Begründung stützte sich das SG u.a. auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 26.04.2011 und 13.12.2011.
Das LRA führte den Gerichtsbescheid mit Bescheid vom 20.02.2012 aus.
Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger am 07.03.2012 Berufung zum LSG erhoben. Er trägt vor, die Lungenerkrankung, die Folgen des abgelaufenen Herzinfarkts und die psychische Erkrankung seien zu niedrig bewertet. Er legt hierzu das Attest von Dr. K. vom 27.02.2012 vor (Postherzinfarktdepression, Anpassungsstörung, mittelgradige Dysthymie, andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung).
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 07. Februar 2012 abzuändern und den Beklagten unter weiterer Abänderung des Bescheids vom 31. Juli 2009 und des Widerspruchsbescheids vom 10. Juni 2010 zu verurteilen, bei ihm ab dem 06. Mai 2009 einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen.
Der Senat hat von Amts wegen das psychiatrisch-schmerzpsychologische Gutachten des Facharztes für Psychiatrie Dr. B. vom 17.12.2013 über den Kläger erhoben, das mit Hilfe eines Dolmetschers erstellt worden ist. Der Sachverständige hat bekundet, auf seinem, dem psychiatrischem Fachgebiet, handle es sich bei dem Kläger um eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F62.0 nach ICD-10) mit phänomenologisch im Vordergrund stehender mittelschwerer depressiver Symptomatik (F38.8) und ein chronifiziertes Schmerzsyndrom nach Gerbershagen Stadium II (R52). Die Persönlichkeitsänderung habe nach dem als lebensbedrohlich empfundenen Herzinfarkt eingesetzt. Es spiele dafür keine Rolle, dass die internistische Situation derzeit stabil sei. Phänomenologisch äußere sich die Persönlichkeitsänderung in depressiven Episoden. Parallel liege ein chronifiziertes Schmerzsyndrom vor, das gekoppelt sei an die orthopädischen Aufbraucherscheinungen in Wirbelsäule und großen Gelenken, nach den Empfindungen des Klägers vor allem auch in den Hüftgelenken. Auf psychiatrischem Gebiet bestehe ein GdB von 60. Die stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit beruhe darauf, dass der Kläger wegen seines Schmerzsyndroms an einem kontinuierlichen Tagesablauf gehindert sei, er benötige oft Pausen, der Antrieb sei verloren gegangen, es beständen Konzentrationsstörungen und ein ängstlicher Verarbeitungsmodus mit häufigem Grübeln und Katastrophisieren. Der Gesamt-GdB unter Einbeziehung der einschränkenden und behindernden Störungen auf anderen Fachgebieten, so Dr. B. abschließend, betrage mindestens 80, wobei es Überlappungen gebe.
Der Beklagte hat zu dem Gutachten die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 25.03.2014 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, die Belastungsdyspnoe sei bei guter linksventrikulärer Herzfunktion nicht durch die Herzinsuffizienz, sondern durch die chronische Bronchitis und den Nikotinmissbrauch bedingt. Die Koronarerkrankung sei deshalb eigentlich nur mit einem GdB von 10 zu bewerten. Der Einschätzung von Dr. B. könne nicht gefolgt werden. In der Medikation finde sich kein einziges Schmerzmittel. Der Alltag des Klägers sei strukturiert, vermehrte familiäre Probleme seien nicht erkennbar. Zwei Wochen vor der Begutachtung sei der Kläger im Urlaub im Ausland gewesen. Für die gedrückte Stimmung und die etwas eingeengte Schwingungsfähigkeit sei ein GdB von 30 leidensgerecht. Soziale Anpassungsstörungen mindestens mittelgradiger Art, die für einen GdB von 50 vonnöten seien, seien nicht erkennbar. Medizinisch betrachtet liege nur ein Gesamt-GdB von 30 vor.
Der Berichterstatter des Senats hat den Kläger persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 08.05.2014 verwiesen.
Im Nachgang hierzu hat der Senat Dr. K. schriftlich als sachverständigen Zeugen vernommen. Er hat unter dem 20.05.2014 u.a. mitgeteilt, bei einer Ergometrie am 27.02.2014 habe der Kläger bis 75 W belastet werden können, der Abbruch habe auf peripherer Erschöpfung und Kraftlosigkeit beruht, Zeichen für eine Angina pectoris oder Ischämien seien nicht geäußert bzw. festgestellt worden.
Sachverständiger Dr. B. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.08.2014 ausgeführt: Die andauernde Persönlichkeitsveränderung bedinge für sich einen GdB von 20 bis 30. In Summation mit den depressiven Symptomen habe sie prägenden Einfluss auf den GdB auf psychiatrischem Fachgebiet. Man könne auf diesem Gebiet sicher auch einen GdB von 50 rechtfertigen. Es sei (jedenfalls) in der Zusammenschau wegen des den Tag prägenden Schmerzsyndroms eine mittelgradige Anpassungsstörung gegeben. Die Auswirkungen der depressiven Erkrankung, insbesondere die deutliche Antriebsverminderung, seien erheblich. Der gesamte Tagesablauf sei durch Schmerzen und Schmerzspitzen geprägt.
Wegen der weiteren Feststellungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen wird auf das Gutachten und die Stellungnahme Bezug genommen.
Der Kläger hat sich unter dem 14.08.2014, der Beklagte mit Schriftsatz vom 13.08.2014 mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
1. Der Senat entscheidet nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einvernehmen mit beiden Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
2. Die Berufung des Klägers ist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 SGG statthaft, da Ausschlussgründe nach § 144 Abs. 1 SGG nicht vorliegen. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere frist- und formgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben.
3. Die Berufung ist auch teilweise begründet. Der Senat kommt nach einer Überprüfung aller ärztlicher Unterlagen zu dem Schluss, dass dem Kläger ab Eingang des Änderungsantrags ein GdB von 50 zuzuerkennen ist. Von einem höheren GdB konnte sich der Senat dagegen nicht überzeugen.
a) Die rechtlichen Voraussetzungen an die Zuerkennung eines GdB nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und die Feststellung einzelner GdB für bestimmte Behinderungen nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), der Anlage zu § 2 der nach § 30 Abs. 16 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV), hat das SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid zutreffend erläutert. Darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Hervorzuheben ist auch an dieser Stelle, dass rechtlich bindend allein der "Gesamt"-GdB ist und interne Feststellungen einzelner Behinderungen und ihrer "Einzel"-GdB-Werte weder den Beklagten noch die Gerichte bei der Überprüfung binden.
b) Vor diesem Hintergrund bewertet der Senat die einzelnen Behinderungen des Klägers und ihre Einzel-GdB umfassend. Er kommt dabei auch angesichts der Multimorbidität des Klägers zu dem Schluss, dass ein Gesamt-GdB von 50 ab Antragstellung angenommen werden kann.
aa) Die Herzerkrankung des Klägers ist im Einklang mit der letzten versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. vom 25.03.2014 nur (noch) mit einem GdB von 10 zu bewerten.
Einschränkungen der Herzleistung sind nach Teil B Nr. 9.1.1 VG nach dem Ausmaß der Leistungsbeeinträchtigungen in Ruhe und bei unterschiedlich starker Belastung zu bewerten. Dabei bedingt eine Einschränkung der Herzleistung ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung einen GdB von 0 bis 10, erst bei Leistungsbeeinträchtigungen bei mittelschwerer Belastung kommt ein GdB von 20 bis 40 in Betracht.
Bei dem Kläger nun bestehen zwar Leistungsbeeinträchtigungen, wie sie hier in den VMG beschrieben sind. Diese haben aber ganz überwiegend keine kardialen Ursachen (mehr). Bereits das kardiologische Gutachten von Prof. Dr. S. vom 23.02.2009 beschrieb eine normale Funktion des Herzens mit unauffälliger Echokardiographie. Bereits dort wurde das Belastungs-EKG nicht aus kardialen Gründen abgebrochen, sondern wegen peripherer Erschöpfung. Ein ähnliches Bild zeigt die aktuelle Zeugenaussage von Dr. K. vom 20.05.2014. Auch dieser Zeuge berichtet, dass ein Belastungs-EKG am 27.02.2014 bei 75 W abgebrochen worden sei, jedoch ebenfalls wegen peripherer Erschöpfung, ohne dass dabei - nicht einmal subjektiv geäußerte - Anzeichen für eine Angina pectoris (Enge oder Schmerzgefühl in der Brust) oder eine Ischämie (Minderdurchblutung, hier des Herzmuskels) festgestellt worden wären. Auf kardiologischem Gebiet kann daher nicht von einer Leistungsbeeinträchtigung gesprochen werden. Es verbleibt die schwache Einschränkung der Herzleistung als Folge des Infarkts 2003, die der Senat in den oberen Bereich der dafür vorgesehen Spanne einordnet.
bb) Wie ausgeführt, ist gleichwohl auch die körperliche Leistungsfähigkeit des Klägers eingeschränkt, allerdings aus pneumonalen Gründen. Diese Funktionsbeeinträchtigung bewertet der Senat mit einem GdB von 30:
Nach Teil B Nr. 8.3 VG bedingen Krankheiten der Atmungsorgane mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion geringen Grades einen GdB von 20 bis 40; ein solcher geringer Grad liegt vor, wenn eine das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bereits bei mittelschwerer Belastung (forsches Gehen mit 5 bis 6 km/h oder mittelschwerer Arbeit) auftritt und die statischen und dynamischen Messwerte der Lungenfunktionsprüfung um höchstens 1/3 erniedrigt sind, aber die Blutgaswerte im Normbereich liegen. Dagegen beträgt der GdB 50 bis 70 bei einer Einschränkung der Lungenfunktion mittleren Grades; diese liegt vor, wenn die genannte Atemnot bereits bei alltäglicher leichter Belastung (Spazierengehen mit 3 bis 4 km/h, Treppensteigen bis zu einem Stockwerk oder leichter körperlicher Arbeit) auftritt, die statischen und dynamischen Messwerte um mehr als 1/3, höchstens aber 2/3, erniedrigt sind und außerdem eine respiratorische Partialinsuffizienz (Abfall - nur - der Sauerstoffsättigung des Blutes) vorliegt.
Bei dem Kläger besteht eine Krankheit der Atmungsorgane. Es handelt sich um eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Diese ist in das Stadium II nach Gold einzuordnen. Diese Diagnose hatte schon Prof. Dr. S. in dem genannten Gutachten vom 23.02.2009 gestellt, sie wird bestätigt durch den Arztbrief des Pneumologen Dr. P. vom 12.01.2011. Beide Ärzte nennen auch Leistungseinschränkungen, vor allem festgemacht an den Ergebnissen der ergometrischen Untersuchungen. Dr. P. beschreibt sogar eine Zunahme der Beschwerden 2011. Bereits die Zeitspanne zwischen den Diagnosen beider Ärzte zeigt, dass es sich um eine Dauererkrankung handelt, die länger als sechs Monate (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) andauert und daher eine Behinderung darstellt. Der Grund für die Erkrankung, etwa ein Nikotinmissbrauch, ist unerheblich.
Bei Antragstellung bedingte diese Lungenerkrankung noch einen GdB von 30: Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. im Jahre 2009 lag der statische Messwert (VC) noch bei 67 % des Sollwerts in Ruhe und 77 % nach Belastung, während der dynamische (FEV1) mit 50 % bzw. 61 % (Tiffeneau-Index in Ruhe 74 %) bereits um mehr als ein Drittel verringert war. Eine respiratorische Partial- oder gar Globalinsuffizienz bestand noch nicht: der O2-Partialdruck im Blut betrug nach Belastung noch 77,93 mmHg. Eine Atemnot bereits bei alltäglicher leichter Belastung, wie sie eine Lungenfunktionseinschränkung mittleren Grades voraussetzt, ergibt sich aus Prof. Dr. S. Gutachten nicht. Vielmehr gibt das damalige Gutachten eine Belastungsdyspnoe - erst - ab zwei Stockwerken und nicht schon ab einem an, basierend auf der Belastbarkeit des Klägers bis zu 75 W bei den ergometrischen Untersuchungen. Für die damalige Zeit geht der Senat daher von einem GdB von 30, mithin dem Mittelwert aus der Spanne für geringgradige Lungenfunktionseinschränkungen, aus.
Spätestens ab Beginn des Jahres 2011 lagen dann zumindest die Messwerte allesamt im Bereich einer Lungenfunktionseinschränkung mittleren Grades: Bei der Untersuchung durch Dr. P. im Januar 2011 wurden nur noch eine VC von 64 % und eine FEV1 von 49 % des jeweiligen Sollwerts gemessen und außerdem eine respiratorische Partialinsuffizienz (O2-Partialdruck nur noch 61 mmHg) gemessen und diagnostiziert. Dr. P. hat in seinem Arztbrief auch von einer erheblichen Zunahme der Atembeschwerden gesprochen. Jedoch konnte der Senat nicht feststellen, dass die Atemnot des Klägers bereits bei alltäglicher, leichter Belastung eintritt. Dr. P. hatte z.B. die Stockwerksfähigkeit nicht getestet. Vielmehr spricht z.B. die Zeugenaussage von Dr. K., der bei der ergometrischen Untersuchung am 27.02.2014 eine unveränderte Belastbarkeit bis 75 W ermittelt hat, dagegen, dass in diesem Punkt eine Verschlimmerung eingetreten ist. Dies deckt sich mit dem Eindruck vom Kläger und seinen Angaben. Er stellt eine Atemnot nicht in den Vordergrund seiner Beeinträchtigungen und hat auch das Rauchen nicht aufgegeben, was in der Tat auf einen geringen Leidensdruck hinweist. Atemnot tritt danach noch nicht bei leichter Belastung auf, sondern allenfalls bei mittelschwerer. So hat der Kläger auch bei seiner persönlichen Anhörung am 08.05.2014 angegeben, er gehe jeden Tag 500 bis 600 m spazieren, er suche seinen (Klein)garten auf und arbeite dort auch (Gemüse anbauen, Jäten), er könne zu Hause bis zu 3 min den Fahrradhometrainer benutzen. Aus diesen Gründen geht der Senat noch von einer geringgradigen Lungenfunktionseinschränkung aus, die aber nunmehr in den oberen Bereich der dafür vorgesehenen Spanne einzuordnen ist und daher einen GdB von 40 bedingt. Mit dieser Maßgabe ist Dr. R. darin zu folgen, dass die weitere Entwicklung abgewartet werden muss.
cc) Auf urologischem Gebiet bestehen keine Behinderungen, die einen GdB von 10 bedingen könnten. Der Kläger hat selbst keine Beeinträchtigungen auf diesem Gebiet bekundet. Der Entlassbericht des H.-Spitals Ü., Dr. R., vom 02.11.2010, hat angegeben, dass die vorbestehende Harnröhrenstriktur, die nach dem Arztbrief von Dr. R. vom 28.01.2010 womöglich Beschwerden beim Wasserlassen verursacht hatte, im Oktober 2010 operiert worden ist. Nachdem danach auch keine weiteren ärztlichen Unterlagen auf urologischem Gebiet bekannt geworden sind, geht der Senat davon aus, dass die Operation erfolgreich war.
dd) Auf orthopädischem Gebiet bewertet der Senat die Beeinträchtigungen des Klägers an der Wirbelsäule und den unteren Gliedmaßen jeweils mit einem GdB von 10. Es liegen zwar z.T. erhebliche Beweglichkeitseinschränkungen vor: so beträgt der FBA (Finger-Boden-Abstand) 50 cm, die Gangformen können nur eingeschränkt dargestellt werden, das Treppensteigen ist nur mühsam möglich. Diese Punkte hat auch Dr. B. ermittelt, sie decken sich mit den Angaben des letzten behandelnden Orthopäden Dr. B. vom 13.02.2009. Es bestehen wenig Zweifel am Bestehen dieser Einschränkungen. Dr. B. hat zwar eine leichte Aggravation nicht ausgeschlossen. Aber Dr. B. hat z.B. eine ungleichmäßige Abnutzung beider Schuhe festgestellt, was tatsächlich auf ein hinkendes oder sonst eingeschränktes Gangbild hindeutet. Beide, sowohl der Gutachter als auch der behandelnde Orthopäde, können diese Einschränkungen nicht organisch erklären. Dies deckt sich mit der Einschätzung auch des behandelnden Psychiaters Dr. K., dass eine somatoforme Störung, mindestens im Sinne einer somatoformen Beschwerdeverstärkung vorliegt. Dann aber sind die Beeinträchtigungen nicht hier, sondern im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" i.S.v. Teil A Nr. 2 lit. e Satz 2 VG zu bewerten.
ee) Die Beeinträchtigungen des Klägers in diesem Funktionssystem - also auf psychiatrischem Gebiet - bewertet der Senat in Übereinstimmung mit einem GdB von 30.
(1) Die Auswirkungen neurotischer Erkrankungen und von Persönlichkeitsstörungen einschließlich Persönlichkeitsänderungen auf die Teilhabe am sozialen Leben sind nach Teil B Nr. 3.7 VG zu bewerten. Danach bedingen stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive [ ] Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40. Ein GdB von 50 und mehr kommt erst bei schweren Störungen (z.B. schweren Zwangskrankheiten) mit mindestens mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten in Betracht. Bei der Beurteilung sind auch die Auswirkungen von Schmerzerkrankungen einzubeziehen, zumindest wenn es sich um psychogen bedingte Schmerzen handelt. Soweit es sich um die "üblichen" Schmerzen handelt, die mit der Grunderkrankung üblicherweise verbunden sind, erhöhen sie nicht den GdB (vgl. Teil A Nr. 2 lit. i Sätze 1 bis 3 VG). Soweit dagegen eine gesonderte Schmerzerkrankung auf psychiatrischem Gebiet diagnostiziert worden ist, ist diese zwar gesondert zu bewerten, allerdings entsprechend ihren funktionellen Auswirkungen (vgl. Teil B Nr. 18.4 VMG), sodass sie in der GdB-Bewertung auf psychischem Gebiet aufgeht, diese aber ggfs. beeinflussen kann.
(2) Die genaue Diagnose der psychischen Erkrankungen ist für die schwerbehindertenrechtliche Beurteilung nicht relevant, da es - wie ausgeführt - nur auf die Funktionsbeeinträchtigungen ankommt.
Es kann daher letztlich offen bleiben, ob bei dem Kläger eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F62.0) vorliegt, wie Dr. B. diagnostiziert hat, ober aber eine - selbstständige - depressive Erkrankung, wie sie Dr. K. in seinem Arztbrief vom 27.02.2012 als mittelgradige depressive Episode codiert (F32.1) hat. Dr. B. hat im Wesentlichen depressive Auswirkungen gesehen, und Dr. K. hat die Erkrankung ebenfalls auf den Herzinfarkt zurückgeführt ("Postherzinfarkt-Depression"). Die Ärzte unterscheiden sich insoweit nur geringfügig. Die Symptome, die für die Diagnose einer (rezidivierenden) mittelschweren Depression (F33.1) oder einer andauernden Persönlichkeitsveränderung (F62.0) vorliegen müssen, können bei dem Kläger bejaht werden. Das Erlebnis eines Herzinfarkts ist geeignet, eine extreme Belastung mit Auswirkung auf die Persönlichkeit im Sinne der Beschreibung zu Nr. F62.0 der ICD-10 (dt. Ausgabe 2014, S. 209) zu sein. Von den Symptomen, die hier und bei den depressiven Erkrankungen (Vorspann zu F32.) beschrieben sind, liegen mehrere bei dem Kläger vor (sozialer Rückzug, Gefühl der Leere/Antriebslosigkeit, Anspannungs- und Entfremdungsgefühle). Dies hat Dr. Bielitz ermittelt, es deckt sich auch mit dem Eindruck, den der Senat bei der Anhörung am 08.05.2014 gewinnen konnte. Der Kläger hat dort bekundet, er gehe zwar z.B. in seinen Garten, er halte sich dort auch lange auf, sitze aber viel nur umher. Der Antriebsverlust scheint merklich zu sein, auch im Vergleich zur früheren Berufstätigkeit des Klägers. Anzeichen für Simulation oder Aggravation bestehen nicht, diesen Punkt hat Dr. B. mit dem RMT getestet.
Ebenso kann es letztlich auf diagnostischer Ebene offen bleiben, ob zusätzlich eine Schmerzerkrankung, etwa ein chronifiziertes Schmerzsyndrom, wie Dr. B. angibt ("R52, gemeint wohl R52.1 oder R52.2), oder eine somatoforme Störung im Sinne von F45.- der ICD-10 vorliegt. Auch die Auswirkungen einer Schmerzerkrankung sind im Rahmen der Gesamtbewertung nach Teil B Nr. 3.7 VMG zu bewerten.
(3) Bei einer Zusammenfassung aller Funktionsbeeinträchtigungen einschließlich der Schmerzen kommt der Senat zu der Ansicht, dass - noch - eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vorliegt, aber nicht von mindestens mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen gesprochen werden kann. Die physische Leidensdimension ist mittelgradig ausgeprägt. Es sind Schmerzen und Missempfindungen vorhanden; der Kläger empfindet sie vor allem an Wirbelsäule, Hüften und in den Beinen. Daraus folgen auch Einschränkungen des Gehvermögens und der Beweglichkeit der Wirbelsäule, die - wie ausgeführt - z.T. erheblich sind. Aber andererseits findet eine medikamentöse Schmerztherapie nicht statt, worauf Dr. W. und Dr. R. zutreffend hingewiesen haben. Der Kläger benutzt nur "Aspirin protect", in dieser Form wird Aspirin aber als Blutverdünner und nicht zur Schmerzbehandlung eingesetzt. Das weitere Mittel, das der Kläger in dem Erörterungstermin als Schmerzmittel bezeichnet hat ("Ranetta" = Ralnea) ist dagegen ein Neurologikum zur Behandlung der Missempfindungen in den Füßen. Insoweit ist davon auszugehen, dass der Kläger die Schmerzen noch als erträglich empfindet. Etwas ausgeprägter ist die psychische Leidensdimension. Hier ist vor allem die Angst des Klägers vor einem neuen Herzinfarkt zu nennen. Auf diesen Punkt hat der Kläger bei seiner Anhörung mehrfach hingewiesen. Dass er weiterhin raucht, also selbst die Gefahr eines neuen Infarkts erhöht, spricht nicht gegen eine gleichwohl empfundene Angst, da insoweit von Nikotinabhängigkeit auszugehen ist. Die Luftnot wird als erhebliche Einschränkung empfunden. Auch ist der Kläger mit seiner Lage unzufrieden, zumindest zum Teil, was die frühe Aufgabe der Berufstätigkeit und sein Ansehen in Familie und Bekanntenkreis angeht. Dagegen kaum beeinträchtigt ist die soziale Dimension: das Familienleben ist intakt, der Kläger führt einen geregelten Tagesablauf mit Besuchen in seinem Garten, es bestehen vielfältige soziale Kontakte zu Kindern und Enkeln, aber auch außerhalb der Familie (Freunde, Moscheebesuche), der Kläger war kurz vor der Begutachtung im Auslandsurlaub. Die Interaktion mit anderen Menschen ist nicht beeinträchtigt, wie auch das Auftreten im Erörterungstermin gezeigt hat, sodass von sozialen Anpassungsschwierigkeiten nicht gesprochen werden kann.
(4) Vor diesem Hintergrund folgt der Senat der früheren Einschätzung des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten, es bestehe ein GdB von 30. Auf einfachem Niveau ist der Tagesablauf des Klägers strukturiert, größere Einschränkungen in der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft durch die von Dr. B. beschriebenen Schmerzen ergeben sich nicht.
ff) Für die Zeit etwa ab Beginn des Jahres 2011 ergibt sich nach den Grundsätzen aus Teil A Nr. 3 lit. b und c VG aus diesen Behinderungen ohne Weiteres ein Gesamt-GdB von 50. Zu berücksichtigen sind insoweit ein Einzel-GdB von 40 auf lungenfachärztlichem und ein solcher von 30 auf psychiatrischem Gebiet. Aber auch für die Zeit zuvor ab Antragstellung ist es vertretbar, aus den insoweit relevanten zwei GdB von 30 einen Gesamt-GdB von 50 zu bilden. Die beiden relevanten Funktionsbeeinträchtigungen (Atemorgane und Psyche) überlappen sich nicht. Eine psychogen verstärkte Beeinträchtigung beschreiben die Ärzte nur für die Schmerzen, während die Atemproblematik - wie ausgeführt - auch subjektiv das Alltagsleben des Klägers wenig beeinflusst. Für beide Zeiträume können die weiteren GdB von jeweils 10 den Gesamt-GdB nicht mehr erhöhen (Teil A Nr. 3 lit. d Doppelbuchstabe ee Satz 1 VG).
4. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen folgt aus § 193 SGG. Nachdem der Kläger seinen Antrag auf einen GdB von "mindestens" 50 gerichtet hatte, kam eine volle Kostenerstattung nicht in Betracht, andererseits hat er mit der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch das wesentliche Klageziel erreicht.
5. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Der Beklagte erstattet dem Kläger zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten beider Instanzen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Zuerkennung (behördliche Feststellung) eines Grades der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 und damit der Eigenschaft eines schwerbehinderten Menschen.
Der am 01.02.1950 geborene Kläger ist türkischer Staatsbürger mit dauerhaftem Aufenthalt im Inland. Mit Bescheid vom 10.02.2004 erkannte ihm das damals zuständige Versorgungsamt Ravensburg einen GdB von 20 zu. Dem lagen als Funktionsbeeinträchtigungen und Einzel-GdB eine koronare Herzkrankheit mit abgelaufenem Herzinfarkt im Juni 2003 und Koronardilatation (20) sowie Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und beider Hüftgelenke (10) zu Grunde. Ein anschließendes Widerspruchs- und Klageverfahren blieben erfolglos (Rücknahme der Berufung in dem Verfahren L 8 SB 3182/05 vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg [LSG] am 07.10.2005).
Am 06.05.2009 beantragte der Kläger die Zuerkennung eines höheren GdB. Er legte u.a. das Gutachten des Internisten Dr. K. vom 25.08.2008 aus einem Berufungsverfahren in einer Rentenstreitsache vor dem LSG (L 13 R 162/08) vor, das eine Einschränkung der ergometrischen Leistungsfähigkeit auf etwa 100 Watt (W) ergeben hatte. Ferner gelangte das Attest des behandelnden Internisten Dr. E. vom 11.02.2009 zu den Akten, das u.a. ein Schmerzsyndrom und eine anhaltende mittelgradige depressive Episode diagnostizierte. Unter Auswertung dieser und weiterer ärztlicher Unterlagen (zu den orthopädischen Beschwerden) schlug Versorgungsarzt Dr. Z. unter dem 17.06.2009 vor, den Einzel-GdB für die koronare Herzerkrankung und damit den Gesamt-GdB auf 30 anzuheben. Diesen GdB stellte sodann das inzwischen als Versorgungsamt zuständige Landratsamt B. (LRA) mit Bescheid vom 31.07.2009 ab Antragstellung fest.
Im Widerspruchsverfahren zog das LRA weiterhin das Gutachten von Prof. Dr. S. vom 23.02.2009 aus dem genannten Rentenstreitverfahren bei. Hiernach bestand bei koronarer 3-Gefäß-Erkrankung mit Z.n. (Zustand nach) Myokardinfarkt ein gutes Langzeitergebnis, ergometrisch hätten sich auch bei Belastung keine Ischämien gezeigt, die linksventrikuläre Funktion liege im Normbereich. Kardial sei die Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt, jedoch bestehe ab 2 Stockwerken bzw. 75 Watt eine Belastungsdyspnoe, diese beruhe aber auf einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und dem Nikotinabusus. Eine "psychische Belastung" wurde nicht festgestellt (S. 6 GA). Ferner reichte der Neurologe und Psychiater Dr. K. Befundberichte eines CT vom 09.03.2010 für die HWS ("in der Zusammenschau unauffällige Befunde an der HWS bis auf einen paravertebralen Hartspann mit Steilstellung"), die LWS ("bei Zeichen einer Osteoporose und leichter bis mäßiger Osteochondrose kein wesentlicher pathologischer Befund auf Höhe L3 bis S1") und den Schädel ("Hinweise auf eine frühkindliche Hirnschädigung") zur Akte. Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. E. vom 06.05.2010 wies sodann das Regierungspräsidium Stuttgart als Landesversorgungsamt den Widerspruch mit Bescheid vom 10.06.2010 zurück, wobei es zusätzlich eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung als Behinderung mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigte, die jedoch nicht den Gesamt-GdB erhöhe.
Hiergegen hat der Kläger am 08.07.2010 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben.
Am 06.08.2010 ging bei dem LRA der bereits im Vorverfahren angeforderte Befundbericht von Dr. K. vom 04.08.2010 ein. Dieser gab eine nicht adäquat behandelte Postherzinfarkt-Depression mit anhaltenden, z.T. mehrere Monate andauernden depressiven Episoden und ein chronifiziertes generalisiertes Schmerzsyndrom psychogener Art bei unauffälligen bildgebenden Befunden an. Daraufhin bot der Beklagte unter dem 03.05.2011 im Vergleichswege die Zuerkennung eines Gesamt-GdB von 40 ab Antragstellung an. Zu Grunde lag die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Franke vom 26.04.2011, die zusätzlich einen Einzel-GdB von 30 für eine seelische Störung und ein chronisches Schmerzsyndrom vorschlug.
Mit der schriftlichen Zeugenaussage von Dr. E. vom 15.08.2011 (keine wesentliche Befund-änderung) sind noch das Attest des Pneumologen Dr. P. vom 12.01.2011 (Zunahme der Atembeschwerden, regelmäßiger Husten mit Auswurf, weiter 15 Zigaretten/Tag, respiratorische Partialinsuffizienz, IVC [Vitalkapazität] bei 64 % und FEV1 [Einsekundenkapazität] bei 49 % der Sollwerte) sowie die urologischen Arztbriefe von Dr. R. vom 28.01.2010 (Harnröhrenstriktur, Z.n. Prostatatitis, erektile Dysfunktion u.a.) und von Dr. R., H.-Spital Ü., vom 02.11.2010 (Urethrotomia interna [Harnröhrenschlitzung] am 18.10.2010) zur Akte gelangt. Ferner hat das SG Dr. K. selbst als Zeugen vernommen. Dieser hat unter dem 11.10.2011 ergänzend mitgeteilt, der Kläger sei des Deutschen nicht hinreichend mächtig, es beständen eine rezidivierende mittelgradige depressive Episode seit dem Herzinfarkt 2003, ein Migrationshintergrund mit geistiger Behinderung zumindest mittelgradiger Ausprägung bei u.a. fehlender Krankheitseinsicht, ein chronifiziertes psychogenes Schmerzsyndrom und körperlich/neurologisch Zeichen einer leichten Polyneuropathie ohne wesentliche Beeinträchtigung des Gleichgewichts- und des Lagesinns. Diese ärztlichen Unterlagen waren Gegenstand der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 13.12.2011, der zur Lungenerkrankung ausführte, der fortgesetzte Nikotinmissbrauch spreche gegen einen erhöhten Leidensdruck, im Übrigen sei der weitere Verlauf der Therapie abzuwarten; bei den anderen Behinderungen ergäben sich keine Hinweise auf eine abweichende Beurteilung.
Mit Gerichtsbescheid vom 07.02.2012 hat das SG der Klage teilweise stattgegeben und den Beklagten unter Abänderung der anders lautenden Bescheide verurteilt, bei dem Kläger ab dem 06.05.2009 einen GdB von 40 festzustellen. Zur Begründung stützte sich das SG u.a. auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 26.04.2011 und 13.12.2011.
Das LRA führte den Gerichtsbescheid mit Bescheid vom 20.02.2012 aus.
Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger am 07.03.2012 Berufung zum LSG erhoben. Er trägt vor, die Lungenerkrankung, die Folgen des abgelaufenen Herzinfarkts und die psychische Erkrankung seien zu niedrig bewertet. Er legt hierzu das Attest von Dr. K. vom 27.02.2012 vor (Postherzinfarktdepression, Anpassungsstörung, mittelgradige Dysthymie, andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung).
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 07. Februar 2012 abzuändern und den Beklagten unter weiterer Abänderung des Bescheids vom 31. Juli 2009 und des Widerspruchsbescheids vom 10. Juni 2010 zu verurteilen, bei ihm ab dem 06. Mai 2009 einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen.
Der Senat hat von Amts wegen das psychiatrisch-schmerzpsychologische Gutachten des Facharztes für Psychiatrie Dr. B. vom 17.12.2013 über den Kläger erhoben, das mit Hilfe eines Dolmetschers erstellt worden ist. Der Sachverständige hat bekundet, auf seinem, dem psychiatrischem Fachgebiet, handle es sich bei dem Kläger um eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F62.0 nach ICD-10) mit phänomenologisch im Vordergrund stehender mittelschwerer depressiver Symptomatik (F38.8) und ein chronifiziertes Schmerzsyndrom nach Gerbershagen Stadium II (R52). Die Persönlichkeitsänderung habe nach dem als lebensbedrohlich empfundenen Herzinfarkt eingesetzt. Es spiele dafür keine Rolle, dass die internistische Situation derzeit stabil sei. Phänomenologisch äußere sich die Persönlichkeitsänderung in depressiven Episoden. Parallel liege ein chronifiziertes Schmerzsyndrom vor, das gekoppelt sei an die orthopädischen Aufbraucherscheinungen in Wirbelsäule und großen Gelenken, nach den Empfindungen des Klägers vor allem auch in den Hüftgelenken. Auf psychiatrischem Gebiet bestehe ein GdB von 60. Die stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit beruhe darauf, dass der Kläger wegen seines Schmerzsyndroms an einem kontinuierlichen Tagesablauf gehindert sei, er benötige oft Pausen, der Antrieb sei verloren gegangen, es beständen Konzentrationsstörungen und ein ängstlicher Verarbeitungsmodus mit häufigem Grübeln und Katastrophisieren. Der Gesamt-GdB unter Einbeziehung der einschränkenden und behindernden Störungen auf anderen Fachgebieten, so Dr. B. abschließend, betrage mindestens 80, wobei es Überlappungen gebe.
Der Beklagte hat zu dem Gutachten die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 25.03.2014 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, die Belastungsdyspnoe sei bei guter linksventrikulärer Herzfunktion nicht durch die Herzinsuffizienz, sondern durch die chronische Bronchitis und den Nikotinmissbrauch bedingt. Die Koronarerkrankung sei deshalb eigentlich nur mit einem GdB von 10 zu bewerten. Der Einschätzung von Dr. B. könne nicht gefolgt werden. In der Medikation finde sich kein einziges Schmerzmittel. Der Alltag des Klägers sei strukturiert, vermehrte familiäre Probleme seien nicht erkennbar. Zwei Wochen vor der Begutachtung sei der Kläger im Urlaub im Ausland gewesen. Für die gedrückte Stimmung und die etwas eingeengte Schwingungsfähigkeit sei ein GdB von 30 leidensgerecht. Soziale Anpassungsstörungen mindestens mittelgradiger Art, die für einen GdB von 50 vonnöten seien, seien nicht erkennbar. Medizinisch betrachtet liege nur ein Gesamt-GdB von 30 vor.
Der Berichterstatter des Senats hat den Kläger persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 08.05.2014 verwiesen.
Im Nachgang hierzu hat der Senat Dr. K. schriftlich als sachverständigen Zeugen vernommen. Er hat unter dem 20.05.2014 u.a. mitgeteilt, bei einer Ergometrie am 27.02.2014 habe der Kläger bis 75 W belastet werden können, der Abbruch habe auf peripherer Erschöpfung und Kraftlosigkeit beruht, Zeichen für eine Angina pectoris oder Ischämien seien nicht geäußert bzw. festgestellt worden.
Sachverständiger Dr. B. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.08.2014 ausgeführt: Die andauernde Persönlichkeitsveränderung bedinge für sich einen GdB von 20 bis 30. In Summation mit den depressiven Symptomen habe sie prägenden Einfluss auf den GdB auf psychiatrischem Fachgebiet. Man könne auf diesem Gebiet sicher auch einen GdB von 50 rechtfertigen. Es sei (jedenfalls) in der Zusammenschau wegen des den Tag prägenden Schmerzsyndroms eine mittelgradige Anpassungsstörung gegeben. Die Auswirkungen der depressiven Erkrankung, insbesondere die deutliche Antriebsverminderung, seien erheblich. Der gesamte Tagesablauf sei durch Schmerzen und Schmerzspitzen geprägt.
Wegen der weiteren Feststellungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen wird auf das Gutachten und die Stellungnahme Bezug genommen.
Der Kläger hat sich unter dem 14.08.2014, der Beklagte mit Schriftsatz vom 13.08.2014 mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
1. Der Senat entscheidet nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einvernehmen mit beiden Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
2. Die Berufung des Klägers ist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 SGG statthaft, da Ausschlussgründe nach § 144 Abs. 1 SGG nicht vorliegen. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere frist- und formgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben.
3. Die Berufung ist auch teilweise begründet. Der Senat kommt nach einer Überprüfung aller ärztlicher Unterlagen zu dem Schluss, dass dem Kläger ab Eingang des Änderungsantrags ein GdB von 50 zuzuerkennen ist. Von einem höheren GdB konnte sich der Senat dagegen nicht überzeugen.
a) Die rechtlichen Voraussetzungen an die Zuerkennung eines GdB nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und die Feststellung einzelner GdB für bestimmte Behinderungen nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), der Anlage zu § 2 der nach § 30 Abs. 16 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV), hat das SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid zutreffend erläutert. Darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Hervorzuheben ist auch an dieser Stelle, dass rechtlich bindend allein der "Gesamt"-GdB ist und interne Feststellungen einzelner Behinderungen und ihrer "Einzel"-GdB-Werte weder den Beklagten noch die Gerichte bei der Überprüfung binden.
b) Vor diesem Hintergrund bewertet der Senat die einzelnen Behinderungen des Klägers und ihre Einzel-GdB umfassend. Er kommt dabei auch angesichts der Multimorbidität des Klägers zu dem Schluss, dass ein Gesamt-GdB von 50 ab Antragstellung angenommen werden kann.
aa) Die Herzerkrankung des Klägers ist im Einklang mit der letzten versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. vom 25.03.2014 nur (noch) mit einem GdB von 10 zu bewerten.
Einschränkungen der Herzleistung sind nach Teil B Nr. 9.1.1 VG nach dem Ausmaß der Leistungsbeeinträchtigungen in Ruhe und bei unterschiedlich starker Belastung zu bewerten. Dabei bedingt eine Einschränkung der Herzleistung ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung einen GdB von 0 bis 10, erst bei Leistungsbeeinträchtigungen bei mittelschwerer Belastung kommt ein GdB von 20 bis 40 in Betracht.
Bei dem Kläger nun bestehen zwar Leistungsbeeinträchtigungen, wie sie hier in den VMG beschrieben sind. Diese haben aber ganz überwiegend keine kardialen Ursachen (mehr). Bereits das kardiologische Gutachten von Prof. Dr. S. vom 23.02.2009 beschrieb eine normale Funktion des Herzens mit unauffälliger Echokardiographie. Bereits dort wurde das Belastungs-EKG nicht aus kardialen Gründen abgebrochen, sondern wegen peripherer Erschöpfung. Ein ähnliches Bild zeigt die aktuelle Zeugenaussage von Dr. K. vom 20.05.2014. Auch dieser Zeuge berichtet, dass ein Belastungs-EKG am 27.02.2014 bei 75 W abgebrochen worden sei, jedoch ebenfalls wegen peripherer Erschöpfung, ohne dass dabei - nicht einmal subjektiv geäußerte - Anzeichen für eine Angina pectoris (Enge oder Schmerzgefühl in der Brust) oder eine Ischämie (Minderdurchblutung, hier des Herzmuskels) festgestellt worden wären. Auf kardiologischem Gebiet kann daher nicht von einer Leistungsbeeinträchtigung gesprochen werden. Es verbleibt die schwache Einschränkung der Herzleistung als Folge des Infarkts 2003, die der Senat in den oberen Bereich der dafür vorgesehen Spanne einordnet.
bb) Wie ausgeführt, ist gleichwohl auch die körperliche Leistungsfähigkeit des Klägers eingeschränkt, allerdings aus pneumonalen Gründen. Diese Funktionsbeeinträchtigung bewertet der Senat mit einem GdB von 30:
Nach Teil B Nr. 8.3 VG bedingen Krankheiten der Atmungsorgane mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion geringen Grades einen GdB von 20 bis 40; ein solcher geringer Grad liegt vor, wenn eine das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bereits bei mittelschwerer Belastung (forsches Gehen mit 5 bis 6 km/h oder mittelschwerer Arbeit) auftritt und die statischen und dynamischen Messwerte der Lungenfunktionsprüfung um höchstens 1/3 erniedrigt sind, aber die Blutgaswerte im Normbereich liegen. Dagegen beträgt der GdB 50 bis 70 bei einer Einschränkung der Lungenfunktion mittleren Grades; diese liegt vor, wenn die genannte Atemnot bereits bei alltäglicher leichter Belastung (Spazierengehen mit 3 bis 4 km/h, Treppensteigen bis zu einem Stockwerk oder leichter körperlicher Arbeit) auftritt, die statischen und dynamischen Messwerte um mehr als 1/3, höchstens aber 2/3, erniedrigt sind und außerdem eine respiratorische Partialinsuffizienz (Abfall - nur - der Sauerstoffsättigung des Blutes) vorliegt.
Bei dem Kläger besteht eine Krankheit der Atmungsorgane. Es handelt sich um eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Diese ist in das Stadium II nach Gold einzuordnen. Diese Diagnose hatte schon Prof. Dr. S. in dem genannten Gutachten vom 23.02.2009 gestellt, sie wird bestätigt durch den Arztbrief des Pneumologen Dr. P. vom 12.01.2011. Beide Ärzte nennen auch Leistungseinschränkungen, vor allem festgemacht an den Ergebnissen der ergometrischen Untersuchungen. Dr. P. beschreibt sogar eine Zunahme der Beschwerden 2011. Bereits die Zeitspanne zwischen den Diagnosen beider Ärzte zeigt, dass es sich um eine Dauererkrankung handelt, die länger als sechs Monate (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) andauert und daher eine Behinderung darstellt. Der Grund für die Erkrankung, etwa ein Nikotinmissbrauch, ist unerheblich.
Bei Antragstellung bedingte diese Lungenerkrankung noch einen GdB von 30: Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. im Jahre 2009 lag der statische Messwert (VC) noch bei 67 % des Sollwerts in Ruhe und 77 % nach Belastung, während der dynamische (FEV1) mit 50 % bzw. 61 % (Tiffeneau-Index in Ruhe 74 %) bereits um mehr als ein Drittel verringert war. Eine respiratorische Partial- oder gar Globalinsuffizienz bestand noch nicht: der O2-Partialdruck im Blut betrug nach Belastung noch 77,93 mmHg. Eine Atemnot bereits bei alltäglicher leichter Belastung, wie sie eine Lungenfunktionseinschränkung mittleren Grades voraussetzt, ergibt sich aus Prof. Dr. S. Gutachten nicht. Vielmehr gibt das damalige Gutachten eine Belastungsdyspnoe - erst - ab zwei Stockwerken und nicht schon ab einem an, basierend auf der Belastbarkeit des Klägers bis zu 75 W bei den ergometrischen Untersuchungen. Für die damalige Zeit geht der Senat daher von einem GdB von 30, mithin dem Mittelwert aus der Spanne für geringgradige Lungenfunktionseinschränkungen, aus.
Spätestens ab Beginn des Jahres 2011 lagen dann zumindest die Messwerte allesamt im Bereich einer Lungenfunktionseinschränkung mittleren Grades: Bei der Untersuchung durch Dr. P. im Januar 2011 wurden nur noch eine VC von 64 % und eine FEV1 von 49 % des jeweiligen Sollwerts gemessen und außerdem eine respiratorische Partialinsuffizienz (O2-Partialdruck nur noch 61 mmHg) gemessen und diagnostiziert. Dr. P. hat in seinem Arztbrief auch von einer erheblichen Zunahme der Atembeschwerden gesprochen. Jedoch konnte der Senat nicht feststellen, dass die Atemnot des Klägers bereits bei alltäglicher, leichter Belastung eintritt. Dr. P. hatte z.B. die Stockwerksfähigkeit nicht getestet. Vielmehr spricht z.B. die Zeugenaussage von Dr. K., der bei der ergometrischen Untersuchung am 27.02.2014 eine unveränderte Belastbarkeit bis 75 W ermittelt hat, dagegen, dass in diesem Punkt eine Verschlimmerung eingetreten ist. Dies deckt sich mit dem Eindruck vom Kläger und seinen Angaben. Er stellt eine Atemnot nicht in den Vordergrund seiner Beeinträchtigungen und hat auch das Rauchen nicht aufgegeben, was in der Tat auf einen geringen Leidensdruck hinweist. Atemnot tritt danach noch nicht bei leichter Belastung auf, sondern allenfalls bei mittelschwerer. So hat der Kläger auch bei seiner persönlichen Anhörung am 08.05.2014 angegeben, er gehe jeden Tag 500 bis 600 m spazieren, er suche seinen (Klein)garten auf und arbeite dort auch (Gemüse anbauen, Jäten), er könne zu Hause bis zu 3 min den Fahrradhometrainer benutzen. Aus diesen Gründen geht der Senat noch von einer geringgradigen Lungenfunktionseinschränkung aus, die aber nunmehr in den oberen Bereich der dafür vorgesehenen Spanne einzuordnen ist und daher einen GdB von 40 bedingt. Mit dieser Maßgabe ist Dr. R. darin zu folgen, dass die weitere Entwicklung abgewartet werden muss.
cc) Auf urologischem Gebiet bestehen keine Behinderungen, die einen GdB von 10 bedingen könnten. Der Kläger hat selbst keine Beeinträchtigungen auf diesem Gebiet bekundet. Der Entlassbericht des H.-Spitals Ü., Dr. R., vom 02.11.2010, hat angegeben, dass die vorbestehende Harnröhrenstriktur, die nach dem Arztbrief von Dr. R. vom 28.01.2010 womöglich Beschwerden beim Wasserlassen verursacht hatte, im Oktober 2010 operiert worden ist. Nachdem danach auch keine weiteren ärztlichen Unterlagen auf urologischem Gebiet bekannt geworden sind, geht der Senat davon aus, dass die Operation erfolgreich war.
dd) Auf orthopädischem Gebiet bewertet der Senat die Beeinträchtigungen des Klägers an der Wirbelsäule und den unteren Gliedmaßen jeweils mit einem GdB von 10. Es liegen zwar z.T. erhebliche Beweglichkeitseinschränkungen vor: so beträgt der FBA (Finger-Boden-Abstand) 50 cm, die Gangformen können nur eingeschränkt dargestellt werden, das Treppensteigen ist nur mühsam möglich. Diese Punkte hat auch Dr. B. ermittelt, sie decken sich mit den Angaben des letzten behandelnden Orthopäden Dr. B. vom 13.02.2009. Es bestehen wenig Zweifel am Bestehen dieser Einschränkungen. Dr. B. hat zwar eine leichte Aggravation nicht ausgeschlossen. Aber Dr. B. hat z.B. eine ungleichmäßige Abnutzung beider Schuhe festgestellt, was tatsächlich auf ein hinkendes oder sonst eingeschränktes Gangbild hindeutet. Beide, sowohl der Gutachter als auch der behandelnde Orthopäde, können diese Einschränkungen nicht organisch erklären. Dies deckt sich mit der Einschätzung auch des behandelnden Psychiaters Dr. K., dass eine somatoforme Störung, mindestens im Sinne einer somatoformen Beschwerdeverstärkung vorliegt. Dann aber sind die Beeinträchtigungen nicht hier, sondern im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" i.S.v. Teil A Nr. 2 lit. e Satz 2 VG zu bewerten.
ee) Die Beeinträchtigungen des Klägers in diesem Funktionssystem - also auf psychiatrischem Gebiet - bewertet der Senat in Übereinstimmung mit einem GdB von 30.
(1) Die Auswirkungen neurotischer Erkrankungen und von Persönlichkeitsstörungen einschließlich Persönlichkeitsänderungen auf die Teilhabe am sozialen Leben sind nach Teil B Nr. 3.7 VG zu bewerten. Danach bedingen stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive [ ] Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40. Ein GdB von 50 und mehr kommt erst bei schweren Störungen (z.B. schweren Zwangskrankheiten) mit mindestens mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten in Betracht. Bei der Beurteilung sind auch die Auswirkungen von Schmerzerkrankungen einzubeziehen, zumindest wenn es sich um psychogen bedingte Schmerzen handelt. Soweit es sich um die "üblichen" Schmerzen handelt, die mit der Grunderkrankung üblicherweise verbunden sind, erhöhen sie nicht den GdB (vgl. Teil A Nr. 2 lit. i Sätze 1 bis 3 VG). Soweit dagegen eine gesonderte Schmerzerkrankung auf psychiatrischem Gebiet diagnostiziert worden ist, ist diese zwar gesondert zu bewerten, allerdings entsprechend ihren funktionellen Auswirkungen (vgl. Teil B Nr. 18.4 VMG), sodass sie in der GdB-Bewertung auf psychischem Gebiet aufgeht, diese aber ggfs. beeinflussen kann.
(2) Die genaue Diagnose der psychischen Erkrankungen ist für die schwerbehindertenrechtliche Beurteilung nicht relevant, da es - wie ausgeführt - nur auf die Funktionsbeeinträchtigungen ankommt.
Es kann daher letztlich offen bleiben, ob bei dem Kläger eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F62.0) vorliegt, wie Dr. B. diagnostiziert hat, ober aber eine - selbstständige - depressive Erkrankung, wie sie Dr. K. in seinem Arztbrief vom 27.02.2012 als mittelgradige depressive Episode codiert (F32.1) hat. Dr. B. hat im Wesentlichen depressive Auswirkungen gesehen, und Dr. K. hat die Erkrankung ebenfalls auf den Herzinfarkt zurückgeführt ("Postherzinfarkt-Depression"). Die Ärzte unterscheiden sich insoweit nur geringfügig. Die Symptome, die für die Diagnose einer (rezidivierenden) mittelschweren Depression (F33.1) oder einer andauernden Persönlichkeitsveränderung (F62.0) vorliegen müssen, können bei dem Kläger bejaht werden. Das Erlebnis eines Herzinfarkts ist geeignet, eine extreme Belastung mit Auswirkung auf die Persönlichkeit im Sinne der Beschreibung zu Nr. F62.0 der ICD-10 (dt. Ausgabe 2014, S. 209) zu sein. Von den Symptomen, die hier und bei den depressiven Erkrankungen (Vorspann zu F32.) beschrieben sind, liegen mehrere bei dem Kläger vor (sozialer Rückzug, Gefühl der Leere/Antriebslosigkeit, Anspannungs- und Entfremdungsgefühle). Dies hat Dr. Bielitz ermittelt, es deckt sich auch mit dem Eindruck, den der Senat bei der Anhörung am 08.05.2014 gewinnen konnte. Der Kläger hat dort bekundet, er gehe zwar z.B. in seinen Garten, er halte sich dort auch lange auf, sitze aber viel nur umher. Der Antriebsverlust scheint merklich zu sein, auch im Vergleich zur früheren Berufstätigkeit des Klägers. Anzeichen für Simulation oder Aggravation bestehen nicht, diesen Punkt hat Dr. B. mit dem RMT getestet.
Ebenso kann es letztlich auf diagnostischer Ebene offen bleiben, ob zusätzlich eine Schmerzerkrankung, etwa ein chronifiziertes Schmerzsyndrom, wie Dr. B. angibt ("R52, gemeint wohl R52.1 oder R52.2), oder eine somatoforme Störung im Sinne von F45.- der ICD-10 vorliegt. Auch die Auswirkungen einer Schmerzerkrankung sind im Rahmen der Gesamtbewertung nach Teil B Nr. 3.7 VMG zu bewerten.
(3) Bei einer Zusammenfassung aller Funktionsbeeinträchtigungen einschließlich der Schmerzen kommt der Senat zu der Ansicht, dass - noch - eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vorliegt, aber nicht von mindestens mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen gesprochen werden kann. Die physische Leidensdimension ist mittelgradig ausgeprägt. Es sind Schmerzen und Missempfindungen vorhanden; der Kläger empfindet sie vor allem an Wirbelsäule, Hüften und in den Beinen. Daraus folgen auch Einschränkungen des Gehvermögens und der Beweglichkeit der Wirbelsäule, die - wie ausgeführt - z.T. erheblich sind. Aber andererseits findet eine medikamentöse Schmerztherapie nicht statt, worauf Dr. W. und Dr. R. zutreffend hingewiesen haben. Der Kläger benutzt nur "Aspirin protect", in dieser Form wird Aspirin aber als Blutverdünner und nicht zur Schmerzbehandlung eingesetzt. Das weitere Mittel, das der Kläger in dem Erörterungstermin als Schmerzmittel bezeichnet hat ("Ranetta" = Ralnea) ist dagegen ein Neurologikum zur Behandlung der Missempfindungen in den Füßen. Insoweit ist davon auszugehen, dass der Kläger die Schmerzen noch als erträglich empfindet. Etwas ausgeprägter ist die psychische Leidensdimension. Hier ist vor allem die Angst des Klägers vor einem neuen Herzinfarkt zu nennen. Auf diesen Punkt hat der Kläger bei seiner Anhörung mehrfach hingewiesen. Dass er weiterhin raucht, also selbst die Gefahr eines neuen Infarkts erhöht, spricht nicht gegen eine gleichwohl empfundene Angst, da insoweit von Nikotinabhängigkeit auszugehen ist. Die Luftnot wird als erhebliche Einschränkung empfunden. Auch ist der Kläger mit seiner Lage unzufrieden, zumindest zum Teil, was die frühe Aufgabe der Berufstätigkeit und sein Ansehen in Familie und Bekanntenkreis angeht. Dagegen kaum beeinträchtigt ist die soziale Dimension: das Familienleben ist intakt, der Kläger führt einen geregelten Tagesablauf mit Besuchen in seinem Garten, es bestehen vielfältige soziale Kontakte zu Kindern und Enkeln, aber auch außerhalb der Familie (Freunde, Moscheebesuche), der Kläger war kurz vor der Begutachtung im Auslandsurlaub. Die Interaktion mit anderen Menschen ist nicht beeinträchtigt, wie auch das Auftreten im Erörterungstermin gezeigt hat, sodass von sozialen Anpassungsschwierigkeiten nicht gesprochen werden kann.
(4) Vor diesem Hintergrund folgt der Senat der früheren Einschätzung des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten, es bestehe ein GdB von 30. Auf einfachem Niveau ist der Tagesablauf des Klägers strukturiert, größere Einschränkungen in der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft durch die von Dr. B. beschriebenen Schmerzen ergeben sich nicht.
ff) Für die Zeit etwa ab Beginn des Jahres 2011 ergibt sich nach den Grundsätzen aus Teil A Nr. 3 lit. b und c VG aus diesen Behinderungen ohne Weiteres ein Gesamt-GdB von 50. Zu berücksichtigen sind insoweit ein Einzel-GdB von 40 auf lungenfachärztlichem und ein solcher von 30 auf psychiatrischem Gebiet. Aber auch für die Zeit zuvor ab Antragstellung ist es vertretbar, aus den insoweit relevanten zwei GdB von 30 einen Gesamt-GdB von 50 zu bilden. Die beiden relevanten Funktionsbeeinträchtigungen (Atemorgane und Psyche) überlappen sich nicht. Eine psychogen verstärkte Beeinträchtigung beschreiben die Ärzte nur für die Schmerzen, während die Atemproblematik - wie ausgeführt - auch subjektiv das Alltagsleben des Klägers wenig beeinflusst. Für beide Zeiträume können die weiteren GdB von jeweils 10 den Gesamt-GdB nicht mehr erhöhen (Teil A Nr. 3 lit. d Doppelbuchstabe ee Satz 1 VG).
4. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen folgt aus § 193 SGG. Nachdem der Kläger seinen Antrag auf einen GdB von "mindestens" 50 gerichtet hatte, kam eine volle Kostenerstattung nicht in Betracht, andererseits hat er mit der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch das wesentliche Klageziel erreicht.
5. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.
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