Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SB 4468/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 3525/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 13. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei dem Kläger die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch festzustellen ist.
Der 1966 geborene Kläger beantragte am 21.02.2011 beim Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis -Versorgungsamt - die Feststellung des Vorliegens einer Behinderung und des Grades der Behinderung (GdB) (Erstantrag nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX -). Hierbei gab er an, an massiven Knorpelschäden beider Kniegelenke, an Hüftgelenksschäden beidseits und an einer Wirbelsäulenverkrümmung zu leiden. In Auswertung der dem Antrag beigefügten medizinischen Unterlagen berücksichtigte Dr. M. in der gutachtlichen Stellungnahme vom 11.07.2011 degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 20 sowie Funktionsbehinderungen beider Hüft- und Kniegelenke und Knorpelschäden am rechten Kniegelenk ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 und bewertete den Gesamt-GdB mit 30. Hierauf gestützt stellte das Landratsamt R.-Kreis mit Bescheid vom 12.08.2011 den GdB des Klägers mit 30 seit 21.02.2011 fest.
Der Kläger erhob dagegen Widerspruch mit der Begründung, die Knorpelschäden am linken Kniegelenk seien nicht berücksichtigt worden.
In der gutachtlichen Stellungnahme vom 11.09.2011 führte Dr. W. hierzu aus, der geltend gemachte Gelenkschaden des linken Kniegelenks sei zu berücksichtigen, eine Änderung des Gesamt-GdB ergebe sich daraus jedoch nicht. Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2011 zurück.
Hiergegen hat sich die am 29.12.2011 zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobene Klage gerichtet. Der zwischenzeitlich anwaltlich vertretene Kläger hat vortragen lassen, die Erkrankungen an beiden Kniegelenken beeinflussten sich so ungünstig, dass dadurch das Laufen nahezu unmöglich werde. Er könne sich nur noch an zwei Krücken fortbewegen, sodass insgesamt ein GdB von 50 gerechtfertigt sei.
Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat auf die angefochtenen Bescheide verwiesen.
Das SG hat sodann von Amts wegen Dr. W. mit der Erstattung eines orthopädischen Gutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 20.04.2012 ist dieser unter Auswertung der Kernspinberichte des Radiologischen Zentrums E. vom 07.12.2011 (betreffend linkes Kniegelenk) und vom 09.02.2012 (betreffend rechtes Kniegelenk) sowie des Arthroskopieberichtes der V.-Klinik vom 29.12.2011 (betreffend linkes Kniegelenk) zu dem Ergebnis gelangt, die Knorpelschäden an beiden Kniegelenken ohne Bewegungseinschränkungen seien mit einem Einzel-GdB von 20, das leichte Lendenwirbelsäulensyndrom ohne Nervenwurzelreizerscheinungen und ohne Bewegungseinschränkung bei gut ausgebildeter Rumpfmuskulatur sei mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Eine Funktionsbehinderung der Hüftgelenke bestehe nicht, diese seien schmerzfrei beweglich und wiesen ein gutes Bewegungsmaß auf. Den Gesamt-GdB hat er mit 20 eingeschätzt.
Mit Gerichtsbescheid vom 13.07.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Behinderungen des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet begründeten einen Gesamt-GdB von jedenfalls nicht mehr als 30. Die Knorpelschäden im Bereich der Kniegelenke rechtfertigten einen GdB von 20. Die Untersuchung der Kniegelenke durch Dr. W. habe ergeben, dass diese schmerzfrei uneingeschränkt beweglich seien und Zeichen anhaltender Reizerscheinungen fehlten. Auch die Bandführung beider Kniegelenke sei stabil. Das Wirbelsäulensyndrom an der LWS begründe einen GdB von 10, sodass der Gesamt-GdB 20 betrage. Soweit der Beklagte eine Funktionsbehinderung der Hüften in die Bewertung einbezogen habe, habe die Begutachtung durch Dr. W. eine solche Behinderung nicht bestätigen können.
Gegen den ihm am 18.07.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 16.08.2012 Berufung eingelegt und vorgetragen, aufgrund der Knorpelschäden beidseits könnten Wegstrecken, Steigungen und Treppen nur unter erheblichen Schmerzen und mit Einsatz von Krücken zurückgelegt werden, sodass der GdB hierfür mit 40 einzuschätzen sei. Im Übrigen seien vom Beklagten bindend Einzel-GdB-Werte von jeweils 20 für den Wirbelsäulenschaden und die Funktionsbehinderung im Bereich der Hüften festgestellt worden, sodass insgesamt ein GdB von 50 gerechtfertigt sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 13. Juli 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2011 zu verurteilen, den Grad der Behinderung ab 21. Februar 2011 mit 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Zu den klägerischen Einwendungen im Hinblick auf eine Bestandskraft der vorgenommenen Einzel-GdB-Bewertungen hat er ausgeführt, dass diese Auffassung durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht bestätigt werde und auf die Urteile vom 05.05.1993 - 9/9a RVs 2/92 und vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - (jeweils veröffentlich in Juris) verwiesen.
Der Senat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein orthopädisches Gutachten bei Dr. H. eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 06.06.2013 ausgeführt, beim Kläger bestehe eine schmerzhafte Funktionsstörung beider Kniegelenke bei mäßiggradigem Gelenkknorpelverschleiß hinter beiden Kniescheiben ohne chronisch entzündliche Reizerscheinungen bei freier Beweglichkeit beider Kniegelenke. Ferner lägen vorübergehende wiederkehrende Schmerzen in der unteren Lendenwirbelsäule ohne Nachweis eines altersuntypischen degenerativen Strukturschadens in diesem Wirbelsäulenabschnitt vor. Er schätze den GdB für die Funktionsstörungen im Bereich der Kniegelenke mit 20, für diejenigen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit 10 sowie den Gesamt-GdB mit 20 seit Februar 2011 ein. Ergänzend hat er ausgeführt, es hätten sich Hinweise auf eine offenbar eher geringfügige Hörminderung ergeben. Im Rahmen der Begutachtung sei eine Unterhaltung in normaler Tonlautstärke in einem ruhigen Raum problemlos möglich gewesen. Ferner hätten sich klinische Hinweise auf eine arterielle Durchblutungsstörung der Beine ergeben.
Daraufhin hat der Senat den Arzt für Chirurgie, Unfallchirurgie Wagner als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat am 16.08.2013 bekundet, er habe den Kläger zuletzt im Juli 2013 behandelt; Hinweise auf eine arterielle Verschlusskrankheit hätten sich nicht ergeben. Dr. P. hat in seinem ebenfalls auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachten vom 15.05.2014 ausgeführt, beim Kläger bestünden Knorpelschäden der Kniescheibengelenkfläche beidseits mit belastungsabhängigen Beschwerden ohne Entzündungszeichen. Eine Bewegungseinschränkung in Rückenlage ohne Belastung sei nicht vorhanden; eine Bewegungseinschränkung bestehe demgegenüber bei dem Versuch, die Kniebeuge einzunehmen. Da im täglichen Leben die Funktion der Kniegelenke unter Belastung maßgebender sei als die Beweglichkeit in Rückenlage im entlasteten Zustand und die Knorpelschäden in beiden Kniegelenken bestünden, könne der Einzel-GdB mit 30 bewertet werden. Wirbelsäulenschäden im engeren Sinne bestünden bei dem Kläger nicht. Um den lang dauernden bzw. immer wiederkehrenden Rückenbeschwerden Rechnung zu tragen, ließen sich diese mit einem Einzel-GdB von 10 einordnen. Der Gesamt-GdB betrage 30.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagten-Akten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG) ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Durch diesen Verweis auf die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe stellt § 69 SGB IX auf das versorgungsrechtliche Bewertungssystem ab, dessen Ausgangspunkt die "Mindestvomhundertsätze" für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden i.S. der Nr. 5 Allgemeine Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG sind. Von diesem leiten sich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und Schwerbehindertenrecht (AHP) ab. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX wird zusätzlich auf die aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassene Rechtsverordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) Bezug genommen, so dass ab dem 01.01.2009 die VersMedV vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I 2904), 14.07.2010 (BGBl. I 928), 17.12.2010 (BGBl. I 2124), 28.10.2011 (BGBl. I 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I 2122) geändert worden ist, Grundlage für die Feststellung des GdB ist (BSG, Urteil v. 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R - juris Rn. 16 f.). Als Anlage zu § 2 VersMedV sind "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) veröffentlicht worden, in denen u.a. die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) i.S. des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden sind. Diese sind auch für die Feststellung der GdB maßgebend (vgl. Teil A Nr. 2 VG). Die VG stellen - ebenso wie die zuvor maßgeblichen Anhaltspunkte für die gutachterliche Tätigkeit - ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar (BSG, Urteil v. 24.04.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 9 Rn. 25 m.w.N.), die nicht nur die Regelung des § 69 SGB IX konkretisieren, sondern auch den Behinderungsbegriff der "Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit und Behinderung" (deren Weiterentwicklung wurde im Mai 2001 von der Weltgesundheitsorganisation als ICF verabschiedet) als Grundlage des Bewertungssystems berücksichtigen. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die GdB-Bewertung auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (vgl. BSG, a.a.O.). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen (vgl. § 2 Abs. 1 SGB IX) und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB (vgl. Teil A Nr. 3 Buchst. a) VG) - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind (vgl. Teil A Nr. 3 Buchst. b) VG; vgl. auch BSG, Urteil v. 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R - juris Rn. 18; BSG, Urteil v. 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris Rn. 29). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30. 1. Die Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich beider Kniegelenke sind mit einem GdB von 20 ausreichend bewertet. Hierbei folgt der Senat der Beurteilung von Dr. W., die im Einklang mit den VG steht. Dr. H. hat sich dieser Bewertung angeschlossen. Für Gesundheitsstörungen im Bereich des Kniegelenks gelten nach den Teil B Nr. 18.14 VG folgende GdB-Werte: Einseitige Bewegungseinschränkung im Kniegelenk geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0/0/90 Grad) GdB 0 bis 10, mittleren Grades (z. B. Streckung/Beugung 0/10/90 Grad) GdB 20 und stärkeren Grades (z. B. Streckung/Beugung 0/30/90 Grad) GdB 30; einseitige ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z. B. Chondromalacia patellae Stadium II bis IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen ohne Bewegungseinschränkung GdB 10 bis 30 und mit Bewegungseinschränkung GdB 20 bis 40.
Der Kläger leidet an einem Gelenkknorpelverschleiß hinter beiden Kniescheiben, der links kernspintomographisch mit Grad III bis IV und rechts ohne weitere Spezifizierung als fortgeschritten beschrieben wurde. Insoweit liegen zwar ausgeprägte Knorpelschäden im Sinne von Teil B Nr. 18.14 VG vor. Allerdings hat Dr. W. bei seiner Untersuchung weder einen Kniegelenkserguss noch Zeichen von Rötungen und Übererwärmung finden können. Ebenso wenig zeigte die Oberschenkelmuskulatur eine auffällige Verschmächtigung als indirekter Hinweis auf eine massive anhaltende Struktur- oder Funktionsstörung der Kniegelenke. Hierzu passt auch, dass eine Kniegelenkspunktion bislang nicht erforderlich wurde. Die Meniskuszeichen waren ebenfalls negativ, ferner zeigte sich der Bandapparat stabil. Weitergehende GdB-relevante Befunde hat auch Dr. H. nicht erhoben. Da beim Kläger weder eine Bewegungseinschränkung noch eine anhaltende Reizerscheinung an mindestens einem Kniegelenk besteht, kommt ein höherer GdB als 20 nicht in Betracht.
Angesichts des vorbeschriebenen reizlosen Zustandes beider Kniegelenke gibt es auch keine plausible medizinische Begründung dafür, dass der Kläger auf längeren Strecken nur noch mit zwei Unterarmgehstützen mobil sein soll und permanent Kniebandagen mit Scharnieren benötigt.
Soweit Dr. P. einen Einzel-GdB von 30 vorgeschlagen hat, vermag der Senat dieser Einschätzung nicht zu folgen. Auch er hat den reizlosen und entzündungsfreien Zustand der Kniegelenke bestätigt und eine freie Beweglichkeit mit Bewegungsmaßen von 0/0/140 Grad gemessen. Die von ihm beschriebene Beeinträchtigung unter Belastung, so beim Versuch die Kniebeuge einzunehmen oder - wie zum Beispiel von Dr. H. beschrieben - beim Treppensteigen über mehr als zwei oder drei Stockwerke, ist mit einem GdB von 20 ausreichend erfasst.
2. Das Wirbelsäulenleiden ist mit einem GdB von 10 angemessen bewertet. Die vom Kläger angegebenen LWS-Beschwerden beruhen auf einer muskulären Rumpfinsuffizienz; röntgenologisch haben sich lediglich leichtgradige degenerative Veränderungen im Bereich der LWS ergeben, die altersentsprechend sind. Die Beweglichkeit zeigte sich ebenfalls nicht eingeschränkt.
Auch die zuletzt von Dr. P. durchgeführte Untersuchung ergab freie Wirbelsäulenbewegungen. Die Rumpfvorbeugung gelang bis Fingerspitzen-Fußboden-Berührung ohne Angabe von Schmerzen. Die Aufrichtung aus der Rumpfbeuge erfolgte ebenfalls zügig und schmerzfrei. Auch die passive Seitenneigung und Rotation des Rumpfes war ausgiebig möglich und ebenfalls ohne Angabe von Schmerzen. Damit liegen lediglich Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionelle Auswirkungen im Sinne von kurz dauernd auftretenden leichten Wirbelsäulensyndromen gemäß Teil B Nr. 18.9 VG vor, die - entgegen der bisherigen Einschätzung des Beklagten - mit einem GdB von 10 zu bewerten sind. Erst Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem GdB von 20 zu bewerten. Nach den von Dr. W., Dr. H. und Dr. P. erhobenen Befunden liegen solche Funktionsstörungen nicht vor. Entgegen der Beurteilung des Beklagten kann demnach ein GdB von 20 nicht angenommen werden.
Anders als der Kläger meint kommt dem für die Festsetzung des Gesamt-GdB im Bescheid vom 12.08.2011 zugrunde gelegten Einzel-GdB von 20 für das Wirbelsäulenleiden keine rechtliche Bedeutung zu. Weder die einzelnen Behinderungen, welche ihrerseits nicht zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides gehören, noch die zugrunde gelegten Einzel-GdB-Sätze erwachsen in Bindungswirkung gemäß § 77 SGG (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96, juris Rn. 15). Hierbei handelt es sich nur um Bewertungsfaktoren, mit denen die Einschätzung des (Gesamt-)GdB einerseits vorbereitet, andererseits nachvollziehbar begründet und damit überprüfbar gemacht wird. Darin erschöpft sich die Bedeutung des Einzel-GdB (BSG, a.a.O)
3. Eine Funktionsbeeinträchtigung der Hüftgelenke besteht nicht. Die Hüftgelenke zeigten sich in den Begutachtungen von Dr. W., Dr. H. und Dr. P. schmerzfrei und gut beweglich. Äußere Entzündungszeichen fanden sich ebenfalls nicht. Röntgenologisch fanden sich zwar eine leichte Steilstellung der Hüftpfannen (ohne Krankheitswert) und geringe degenerative Veränderungen, jedoch noch keine Hinweise auf eine Hüftgelenksarthrose. Angesichts dieses Befundes lässt sich bereits ein GdB von 10 nicht begründen.
4. Weitere GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen sind nicht vorhanden. Die von Dr. H. für möglich erachtete arterielle Verschlusskrankheit hat der Arzt für Chirurgie, Unfallchirurgie Wagner in seiner sachverständigen Zeugenauskunft verneint. Weitere medizinische Ermittlungen waren auch mit Blick auf die von Dr. H. für möglich erachtete geringfügige Hörstörung nicht angezeigt, nachdem im Rahmen seiner Begutachtung eine Unterhaltung in normaler Tonlautstärke in einem ruhigen Raum problemlos möglich war und der Kläger selbst weder HNO-ärztliche Behandlungen angegeben noch über eine Hörminderung geklagt hat.
Die Berufung des Klägers war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei dem Kläger die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch festzustellen ist.
Der 1966 geborene Kläger beantragte am 21.02.2011 beim Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis -Versorgungsamt - die Feststellung des Vorliegens einer Behinderung und des Grades der Behinderung (GdB) (Erstantrag nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX -). Hierbei gab er an, an massiven Knorpelschäden beider Kniegelenke, an Hüftgelenksschäden beidseits und an einer Wirbelsäulenverkrümmung zu leiden. In Auswertung der dem Antrag beigefügten medizinischen Unterlagen berücksichtigte Dr. M. in der gutachtlichen Stellungnahme vom 11.07.2011 degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 20 sowie Funktionsbehinderungen beider Hüft- und Kniegelenke und Knorpelschäden am rechten Kniegelenk ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 und bewertete den Gesamt-GdB mit 30. Hierauf gestützt stellte das Landratsamt R.-Kreis mit Bescheid vom 12.08.2011 den GdB des Klägers mit 30 seit 21.02.2011 fest.
Der Kläger erhob dagegen Widerspruch mit der Begründung, die Knorpelschäden am linken Kniegelenk seien nicht berücksichtigt worden.
In der gutachtlichen Stellungnahme vom 11.09.2011 führte Dr. W. hierzu aus, der geltend gemachte Gelenkschaden des linken Kniegelenks sei zu berücksichtigen, eine Änderung des Gesamt-GdB ergebe sich daraus jedoch nicht. Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2011 zurück.
Hiergegen hat sich die am 29.12.2011 zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobene Klage gerichtet. Der zwischenzeitlich anwaltlich vertretene Kläger hat vortragen lassen, die Erkrankungen an beiden Kniegelenken beeinflussten sich so ungünstig, dass dadurch das Laufen nahezu unmöglich werde. Er könne sich nur noch an zwei Krücken fortbewegen, sodass insgesamt ein GdB von 50 gerechtfertigt sei.
Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat auf die angefochtenen Bescheide verwiesen.
Das SG hat sodann von Amts wegen Dr. W. mit der Erstattung eines orthopädischen Gutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 20.04.2012 ist dieser unter Auswertung der Kernspinberichte des Radiologischen Zentrums E. vom 07.12.2011 (betreffend linkes Kniegelenk) und vom 09.02.2012 (betreffend rechtes Kniegelenk) sowie des Arthroskopieberichtes der V.-Klinik vom 29.12.2011 (betreffend linkes Kniegelenk) zu dem Ergebnis gelangt, die Knorpelschäden an beiden Kniegelenken ohne Bewegungseinschränkungen seien mit einem Einzel-GdB von 20, das leichte Lendenwirbelsäulensyndrom ohne Nervenwurzelreizerscheinungen und ohne Bewegungseinschränkung bei gut ausgebildeter Rumpfmuskulatur sei mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Eine Funktionsbehinderung der Hüftgelenke bestehe nicht, diese seien schmerzfrei beweglich und wiesen ein gutes Bewegungsmaß auf. Den Gesamt-GdB hat er mit 20 eingeschätzt.
Mit Gerichtsbescheid vom 13.07.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Behinderungen des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet begründeten einen Gesamt-GdB von jedenfalls nicht mehr als 30. Die Knorpelschäden im Bereich der Kniegelenke rechtfertigten einen GdB von 20. Die Untersuchung der Kniegelenke durch Dr. W. habe ergeben, dass diese schmerzfrei uneingeschränkt beweglich seien und Zeichen anhaltender Reizerscheinungen fehlten. Auch die Bandführung beider Kniegelenke sei stabil. Das Wirbelsäulensyndrom an der LWS begründe einen GdB von 10, sodass der Gesamt-GdB 20 betrage. Soweit der Beklagte eine Funktionsbehinderung der Hüften in die Bewertung einbezogen habe, habe die Begutachtung durch Dr. W. eine solche Behinderung nicht bestätigen können.
Gegen den ihm am 18.07.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 16.08.2012 Berufung eingelegt und vorgetragen, aufgrund der Knorpelschäden beidseits könnten Wegstrecken, Steigungen und Treppen nur unter erheblichen Schmerzen und mit Einsatz von Krücken zurückgelegt werden, sodass der GdB hierfür mit 40 einzuschätzen sei. Im Übrigen seien vom Beklagten bindend Einzel-GdB-Werte von jeweils 20 für den Wirbelsäulenschaden und die Funktionsbehinderung im Bereich der Hüften festgestellt worden, sodass insgesamt ein GdB von 50 gerechtfertigt sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 13. Juli 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2011 zu verurteilen, den Grad der Behinderung ab 21. Februar 2011 mit 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Zu den klägerischen Einwendungen im Hinblick auf eine Bestandskraft der vorgenommenen Einzel-GdB-Bewertungen hat er ausgeführt, dass diese Auffassung durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht bestätigt werde und auf die Urteile vom 05.05.1993 - 9/9a RVs 2/92 und vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - (jeweils veröffentlich in Juris) verwiesen.
Der Senat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein orthopädisches Gutachten bei Dr. H. eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 06.06.2013 ausgeführt, beim Kläger bestehe eine schmerzhafte Funktionsstörung beider Kniegelenke bei mäßiggradigem Gelenkknorpelverschleiß hinter beiden Kniescheiben ohne chronisch entzündliche Reizerscheinungen bei freier Beweglichkeit beider Kniegelenke. Ferner lägen vorübergehende wiederkehrende Schmerzen in der unteren Lendenwirbelsäule ohne Nachweis eines altersuntypischen degenerativen Strukturschadens in diesem Wirbelsäulenabschnitt vor. Er schätze den GdB für die Funktionsstörungen im Bereich der Kniegelenke mit 20, für diejenigen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit 10 sowie den Gesamt-GdB mit 20 seit Februar 2011 ein. Ergänzend hat er ausgeführt, es hätten sich Hinweise auf eine offenbar eher geringfügige Hörminderung ergeben. Im Rahmen der Begutachtung sei eine Unterhaltung in normaler Tonlautstärke in einem ruhigen Raum problemlos möglich gewesen. Ferner hätten sich klinische Hinweise auf eine arterielle Durchblutungsstörung der Beine ergeben.
Daraufhin hat der Senat den Arzt für Chirurgie, Unfallchirurgie Wagner als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat am 16.08.2013 bekundet, er habe den Kläger zuletzt im Juli 2013 behandelt; Hinweise auf eine arterielle Verschlusskrankheit hätten sich nicht ergeben. Dr. P. hat in seinem ebenfalls auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachten vom 15.05.2014 ausgeführt, beim Kläger bestünden Knorpelschäden der Kniescheibengelenkfläche beidseits mit belastungsabhängigen Beschwerden ohne Entzündungszeichen. Eine Bewegungseinschränkung in Rückenlage ohne Belastung sei nicht vorhanden; eine Bewegungseinschränkung bestehe demgegenüber bei dem Versuch, die Kniebeuge einzunehmen. Da im täglichen Leben die Funktion der Kniegelenke unter Belastung maßgebender sei als die Beweglichkeit in Rückenlage im entlasteten Zustand und die Knorpelschäden in beiden Kniegelenken bestünden, könne der Einzel-GdB mit 30 bewertet werden. Wirbelsäulenschäden im engeren Sinne bestünden bei dem Kläger nicht. Um den lang dauernden bzw. immer wiederkehrenden Rückenbeschwerden Rechnung zu tragen, ließen sich diese mit einem Einzel-GdB von 10 einordnen. Der Gesamt-GdB betrage 30.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagten-Akten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG) ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Durch diesen Verweis auf die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe stellt § 69 SGB IX auf das versorgungsrechtliche Bewertungssystem ab, dessen Ausgangspunkt die "Mindestvomhundertsätze" für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden i.S. der Nr. 5 Allgemeine Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG sind. Von diesem leiten sich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und Schwerbehindertenrecht (AHP) ab. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX wird zusätzlich auf die aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassene Rechtsverordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) Bezug genommen, so dass ab dem 01.01.2009 die VersMedV vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I 2904), 14.07.2010 (BGBl. I 928), 17.12.2010 (BGBl. I 2124), 28.10.2011 (BGBl. I 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I 2122) geändert worden ist, Grundlage für die Feststellung des GdB ist (BSG, Urteil v. 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R - juris Rn. 16 f.). Als Anlage zu § 2 VersMedV sind "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) veröffentlicht worden, in denen u.a. die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) i.S. des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden sind. Diese sind auch für die Feststellung der GdB maßgebend (vgl. Teil A Nr. 2 VG). Die VG stellen - ebenso wie die zuvor maßgeblichen Anhaltspunkte für die gutachterliche Tätigkeit - ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar (BSG, Urteil v. 24.04.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 9 Rn. 25 m.w.N.), die nicht nur die Regelung des § 69 SGB IX konkretisieren, sondern auch den Behinderungsbegriff der "Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit und Behinderung" (deren Weiterentwicklung wurde im Mai 2001 von der Weltgesundheitsorganisation als ICF verabschiedet) als Grundlage des Bewertungssystems berücksichtigen. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die GdB-Bewertung auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (vgl. BSG, a.a.O.). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen (vgl. § 2 Abs. 1 SGB IX) und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB (vgl. Teil A Nr. 3 Buchst. a) VG) - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind (vgl. Teil A Nr. 3 Buchst. b) VG; vgl. auch BSG, Urteil v. 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R - juris Rn. 18; BSG, Urteil v. 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris Rn. 29). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30. 1. Die Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich beider Kniegelenke sind mit einem GdB von 20 ausreichend bewertet. Hierbei folgt der Senat der Beurteilung von Dr. W., die im Einklang mit den VG steht. Dr. H. hat sich dieser Bewertung angeschlossen. Für Gesundheitsstörungen im Bereich des Kniegelenks gelten nach den Teil B Nr. 18.14 VG folgende GdB-Werte: Einseitige Bewegungseinschränkung im Kniegelenk geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0/0/90 Grad) GdB 0 bis 10, mittleren Grades (z. B. Streckung/Beugung 0/10/90 Grad) GdB 20 und stärkeren Grades (z. B. Streckung/Beugung 0/30/90 Grad) GdB 30; einseitige ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z. B. Chondromalacia patellae Stadium II bis IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen ohne Bewegungseinschränkung GdB 10 bis 30 und mit Bewegungseinschränkung GdB 20 bis 40.
Der Kläger leidet an einem Gelenkknorpelverschleiß hinter beiden Kniescheiben, der links kernspintomographisch mit Grad III bis IV und rechts ohne weitere Spezifizierung als fortgeschritten beschrieben wurde. Insoweit liegen zwar ausgeprägte Knorpelschäden im Sinne von Teil B Nr. 18.14 VG vor. Allerdings hat Dr. W. bei seiner Untersuchung weder einen Kniegelenkserguss noch Zeichen von Rötungen und Übererwärmung finden können. Ebenso wenig zeigte die Oberschenkelmuskulatur eine auffällige Verschmächtigung als indirekter Hinweis auf eine massive anhaltende Struktur- oder Funktionsstörung der Kniegelenke. Hierzu passt auch, dass eine Kniegelenkspunktion bislang nicht erforderlich wurde. Die Meniskuszeichen waren ebenfalls negativ, ferner zeigte sich der Bandapparat stabil. Weitergehende GdB-relevante Befunde hat auch Dr. H. nicht erhoben. Da beim Kläger weder eine Bewegungseinschränkung noch eine anhaltende Reizerscheinung an mindestens einem Kniegelenk besteht, kommt ein höherer GdB als 20 nicht in Betracht.
Angesichts des vorbeschriebenen reizlosen Zustandes beider Kniegelenke gibt es auch keine plausible medizinische Begründung dafür, dass der Kläger auf längeren Strecken nur noch mit zwei Unterarmgehstützen mobil sein soll und permanent Kniebandagen mit Scharnieren benötigt.
Soweit Dr. P. einen Einzel-GdB von 30 vorgeschlagen hat, vermag der Senat dieser Einschätzung nicht zu folgen. Auch er hat den reizlosen und entzündungsfreien Zustand der Kniegelenke bestätigt und eine freie Beweglichkeit mit Bewegungsmaßen von 0/0/140 Grad gemessen. Die von ihm beschriebene Beeinträchtigung unter Belastung, so beim Versuch die Kniebeuge einzunehmen oder - wie zum Beispiel von Dr. H. beschrieben - beim Treppensteigen über mehr als zwei oder drei Stockwerke, ist mit einem GdB von 20 ausreichend erfasst.
2. Das Wirbelsäulenleiden ist mit einem GdB von 10 angemessen bewertet. Die vom Kläger angegebenen LWS-Beschwerden beruhen auf einer muskulären Rumpfinsuffizienz; röntgenologisch haben sich lediglich leichtgradige degenerative Veränderungen im Bereich der LWS ergeben, die altersentsprechend sind. Die Beweglichkeit zeigte sich ebenfalls nicht eingeschränkt.
Auch die zuletzt von Dr. P. durchgeführte Untersuchung ergab freie Wirbelsäulenbewegungen. Die Rumpfvorbeugung gelang bis Fingerspitzen-Fußboden-Berührung ohne Angabe von Schmerzen. Die Aufrichtung aus der Rumpfbeuge erfolgte ebenfalls zügig und schmerzfrei. Auch die passive Seitenneigung und Rotation des Rumpfes war ausgiebig möglich und ebenfalls ohne Angabe von Schmerzen. Damit liegen lediglich Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionelle Auswirkungen im Sinne von kurz dauernd auftretenden leichten Wirbelsäulensyndromen gemäß Teil B Nr. 18.9 VG vor, die - entgegen der bisherigen Einschätzung des Beklagten - mit einem GdB von 10 zu bewerten sind. Erst Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem GdB von 20 zu bewerten. Nach den von Dr. W., Dr. H. und Dr. P. erhobenen Befunden liegen solche Funktionsstörungen nicht vor. Entgegen der Beurteilung des Beklagten kann demnach ein GdB von 20 nicht angenommen werden.
Anders als der Kläger meint kommt dem für die Festsetzung des Gesamt-GdB im Bescheid vom 12.08.2011 zugrunde gelegten Einzel-GdB von 20 für das Wirbelsäulenleiden keine rechtliche Bedeutung zu. Weder die einzelnen Behinderungen, welche ihrerseits nicht zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides gehören, noch die zugrunde gelegten Einzel-GdB-Sätze erwachsen in Bindungswirkung gemäß § 77 SGG (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96, juris Rn. 15). Hierbei handelt es sich nur um Bewertungsfaktoren, mit denen die Einschätzung des (Gesamt-)GdB einerseits vorbereitet, andererseits nachvollziehbar begründet und damit überprüfbar gemacht wird. Darin erschöpft sich die Bedeutung des Einzel-GdB (BSG, a.a.O)
3. Eine Funktionsbeeinträchtigung der Hüftgelenke besteht nicht. Die Hüftgelenke zeigten sich in den Begutachtungen von Dr. W., Dr. H. und Dr. P. schmerzfrei und gut beweglich. Äußere Entzündungszeichen fanden sich ebenfalls nicht. Röntgenologisch fanden sich zwar eine leichte Steilstellung der Hüftpfannen (ohne Krankheitswert) und geringe degenerative Veränderungen, jedoch noch keine Hinweise auf eine Hüftgelenksarthrose. Angesichts dieses Befundes lässt sich bereits ein GdB von 10 nicht begründen.
4. Weitere GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen sind nicht vorhanden. Die von Dr. H. für möglich erachtete arterielle Verschlusskrankheit hat der Arzt für Chirurgie, Unfallchirurgie Wagner in seiner sachverständigen Zeugenauskunft verneint. Weitere medizinische Ermittlungen waren auch mit Blick auf die von Dr. H. für möglich erachtete geringfügige Hörstörung nicht angezeigt, nachdem im Rahmen seiner Begutachtung eine Unterhaltung in normaler Tonlautstärke in einem ruhigen Raum problemlos möglich war und der Kläger selbst weder HNO-ärztliche Behandlungen angegeben noch über eine Hörminderung geklagt hat.
Die Berufung des Klägers war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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