Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AS 1911/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 3957/14 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. August 2014 abgeändert. Der Antragsgegner wird vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 31. Juli 2014 bis zur Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 2. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2014, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2014, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung in gesetzlicher Höhe und 80 vom Hundert des Regelbedarfes zu zahlen. Im Übrigen wird der Antrag des Antragstellers abgelehnt und die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Rechtszüge zu zwei Drittel zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, aber nur zum Teil begründet. Der Antragsteller hat Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, aber nicht im beantragten Umfang.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Ist ein Erfolg in der Hauptsache nur möglich, ist im Wege einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Antragsteller zu entscheiden, wenn schwere, über einen wesentlichen Nachteil hinausgehende Beeinträchtigungen drohen (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 3. Auflage, Rdnr. 359 ff. m.w.N auf die Rechtsprechung des BVerfG.). Dies gilt auch im Falle einer komplexen Rechtslage (BVerfG, z.B. Beschlüsse vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05 und 22. November 2002, 1 BvR 1586/02, veröffentlicht in Juris). Um eine vollständige Vorwegnahme der Hauptsache zu vermeiden, ist es dann aber möglich und hier geboten, die Leistung mit einem Abschlag zuzusprechen (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, a.a.O.; Lüdtke, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, § 86b SGG Rdnr. 46; Breitkreuz/Fichte, Kommentar zum SGG, 2. Auflage, § 86b SGG Rdnr. 71; wohl auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, § 86b Rdnr. 35d).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind dem Antragsteller im Wege der Folgenabwägung vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zur Gewährleistung des Existenzminimums dem Grunde nach mit einem Abschlag zuzusprechen.
Der Antragsteller erfüllt die grundsätzlichen materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen für die begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II; er erfüllt die Altersvorgaben, ist nach derzeitiger Lage der Akten erwerbsfähig und hilfebedürftig und hat seit 2011 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Anspruch ist nach der Gesetzeslage allerdings nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen, wonach vom grundsätzlich anspruchsberechtigten Personenkreis diejenigen Ausländer (und deren Familienangehörige) ausgeschlossen sind, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.
Allerdings ist die Rechtslage komplex (s. auch den angefochtenen Beschluss) und es besteht im Hinblick auf die Vorlageentscheidung des BSG (Beschluss vom 12. Dezember 2013, B 4 AS 9/13 R) die Möglichkeit, dass der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelte Ausschluss von Unionsbürgern von Leistungen nicht europarechtskonform ist (vgl. auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 21. Juni 2013, L 12 AS 1432/13 ER-B und 5. März 2014, L 2 AS 486/14 ER-B; so auch Beschlüsse des erkennenden Senats vom 13. März 2014, L 13 AS 1121/14 ER-B; 21. März 2014, L 13 AS 994/14 ER-B und 5. Mai 2014, L 13 AS 1746/14 ER-B Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 20. Dezember 2013, L 12 AS 2265/13 B ER und L 12 AS 2266/13 B, sowie 10. Oktober 2013, L 19 AS 129/13; a. A. u. a. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30. Januar 2014, L 13 AS 266/13 B ER). Etwas anderes ergibt sich auch (noch) nicht aus dem Schlussantrag des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Mai 2014, nachdem die Entscheidung dieses Gerichts noch nicht ergangen ist.
Der Antragsteller verfügt nicht über verwertbares Vermögen und hat kein Einkommen, um seinen Bedarf zu decken. Angesichts dessen, dass ohne Hilfeleistungen die Existenz des Antragstellers bedroht ist, gelangt der Senat - ebenso wie das Sozialgericht - im Wege der Folgenabwägung zu dem Ergebnis, dass dem Antragsteller vorläufig Leistungen zu zahlen sind. Da der Erfolg aber nur möglich erscheint, hält es der Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens für sachgerecht, den Regelbedarf mit einem Abschlag zuzusprechen, um eine vollständige Vorwegnahme zu vermeiden. Dem Senat erscheint es gerechtfertigt, einen Abschlag von 20 vom Hundert vorzunehmen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass bei einer Absenkung von sogar 30 vom Hundert (so die Rechtsfolge einer Pflichtverletzung gem. § 31a SGB II) eine Existenzgefährdung ausgeschlossen ist (s. auch § 31a Abs. 3 SGB II). Für die Vornahme eines Abschlags spricht u.a. der Gesichtspunkt, dass in den Grundsicherungsleistungen u. a. Ansparbeträge (s. hierzu Zeitschrift für das Fürsorgewesen, 2014, S. 1 ff) enthalten sind, die nicht zur unmittelbaren Existenzsicherung erforderlich sind (BVerfG, Beschluss v. 12. Mai 2005, a.a.O.). Damit wird dem Antragsteller jedenfalls das zum Lebensunterhalt Unerlässliche zur Verfügung gestellt.
Ferner hat der Senat entsprechend der Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes von der Möglichkeit, die Leistungen zeitlich zu begrenzen, Gebrauch gemacht, damit eine vollständige Vorwegnahme verhindert und möglichen Änderungen Rechnung getragen werden kann. Der Antrag war daher auch deswegen teilweise zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG. Der Senat hat im Rahmen seines ihm zustehenden Ermessens für maßgeblich erachtet, dass die Antragsteller zeitlich und in der Höhe des Regelbedarfes nur teilweise Erfolg hatten.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Rechtszüge zu zwei Drittel zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, aber nur zum Teil begründet. Der Antragsteller hat Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, aber nicht im beantragten Umfang.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Ist ein Erfolg in der Hauptsache nur möglich, ist im Wege einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Antragsteller zu entscheiden, wenn schwere, über einen wesentlichen Nachteil hinausgehende Beeinträchtigungen drohen (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 3. Auflage, Rdnr. 359 ff. m.w.N auf die Rechtsprechung des BVerfG.). Dies gilt auch im Falle einer komplexen Rechtslage (BVerfG, z.B. Beschlüsse vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05 und 22. November 2002, 1 BvR 1586/02, veröffentlicht in Juris). Um eine vollständige Vorwegnahme der Hauptsache zu vermeiden, ist es dann aber möglich und hier geboten, die Leistung mit einem Abschlag zuzusprechen (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, a.a.O.; Lüdtke, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, § 86b SGG Rdnr. 46; Breitkreuz/Fichte, Kommentar zum SGG, 2. Auflage, § 86b SGG Rdnr. 71; wohl auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, § 86b Rdnr. 35d).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind dem Antragsteller im Wege der Folgenabwägung vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zur Gewährleistung des Existenzminimums dem Grunde nach mit einem Abschlag zuzusprechen.
Der Antragsteller erfüllt die grundsätzlichen materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen für die begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II; er erfüllt die Altersvorgaben, ist nach derzeitiger Lage der Akten erwerbsfähig und hilfebedürftig und hat seit 2011 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Anspruch ist nach der Gesetzeslage allerdings nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen, wonach vom grundsätzlich anspruchsberechtigten Personenkreis diejenigen Ausländer (und deren Familienangehörige) ausgeschlossen sind, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.
Allerdings ist die Rechtslage komplex (s. auch den angefochtenen Beschluss) und es besteht im Hinblick auf die Vorlageentscheidung des BSG (Beschluss vom 12. Dezember 2013, B 4 AS 9/13 R) die Möglichkeit, dass der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelte Ausschluss von Unionsbürgern von Leistungen nicht europarechtskonform ist (vgl. auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 21. Juni 2013, L 12 AS 1432/13 ER-B und 5. März 2014, L 2 AS 486/14 ER-B; so auch Beschlüsse des erkennenden Senats vom 13. März 2014, L 13 AS 1121/14 ER-B; 21. März 2014, L 13 AS 994/14 ER-B und 5. Mai 2014, L 13 AS 1746/14 ER-B Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 20. Dezember 2013, L 12 AS 2265/13 B ER und L 12 AS 2266/13 B, sowie 10. Oktober 2013, L 19 AS 129/13; a. A. u. a. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30. Januar 2014, L 13 AS 266/13 B ER). Etwas anderes ergibt sich auch (noch) nicht aus dem Schlussantrag des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Mai 2014, nachdem die Entscheidung dieses Gerichts noch nicht ergangen ist.
Der Antragsteller verfügt nicht über verwertbares Vermögen und hat kein Einkommen, um seinen Bedarf zu decken. Angesichts dessen, dass ohne Hilfeleistungen die Existenz des Antragstellers bedroht ist, gelangt der Senat - ebenso wie das Sozialgericht - im Wege der Folgenabwägung zu dem Ergebnis, dass dem Antragsteller vorläufig Leistungen zu zahlen sind. Da der Erfolg aber nur möglich erscheint, hält es der Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens für sachgerecht, den Regelbedarf mit einem Abschlag zuzusprechen, um eine vollständige Vorwegnahme zu vermeiden. Dem Senat erscheint es gerechtfertigt, einen Abschlag von 20 vom Hundert vorzunehmen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass bei einer Absenkung von sogar 30 vom Hundert (so die Rechtsfolge einer Pflichtverletzung gem. § 31a SGB II) eine Existenzgefährdung ausgeschlossen ist (s. auch § 31a Abs. 3 SGB II). Für die Vornahme eines Abschlags spricht u.a. der Gesichtspunkt, dass in den Grundsicherungsleistungen u. a. Ansparbeträge (s. hierzu Zeitschrift für das Fürsorgewesen, 2014, S. 1 ff) enthalten sind, die nicht zur unmittelbaren Existenzsicherung erforderlich sind (BVerfG, Beschluss v. 12. Mai 2005, a.a.O.). Damit wird dem Antragsteller jedenfalls das zum Lebensunterhalt Unerlässliche zur Verfügung gestellt.
Ferner hat der Senat entsprechend der Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes von der Möglichkeit, die Leistungen zeitlich zu begrenzen, Gebrauch gemacht, damit eine vollständige Vorwegnahme verhindert und möglichen Änderungen Rechnung getragen werden kann. Der Antrag war daher auch deswegen teilweise zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG. Der Senat hat im Rahmen seines ihm zustehenden Ermessens für maßgeblich erachtet, dass die Antragsteller zeitlich und in der Höhe des Regelbedarfes nur teilweise Erfolg hatten.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
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