L 12 AS 462/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 462/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 12 AS 3246/11 durch angenommenes Teilanerkenntnis und Urteil vom 13. September 2012 erledigt ist.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Fortsetzung des Verfahrens L 12 AS 3246/11.

Im Verfahren L 12 AS 3246/11 fand am 13. September 2012 ein Termin zur mündlichen Verhandlung statt. In diesem Termin wies der Vorsitzende darauf hin, "dass der vom Beklagten vorgenommene Abzug einer Warmwasserpauschale der Höhe nach von den in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Beträgen abweichen dürfte, im Juni 2008 um 27 Cent, in den Monaten Juli bis November 2008 um 20 Cent und im Dezember 2008 um 30 Cent. Bei Berücksichtigung dieser geringeren Pauschalen ergäben sich Leistungen für Unterkunft und Heizung für Juni 2008 in Höhe von 371,74 Euro und für Juli bis Dezember 2008 in Höhe von 371,67 Euro monatlich. Soweit man diese Beträge runde, ergäben sich Nachzahlungsbeträge für Juni bis November 2008 in Höhe von 53 Cent monatlich und für Dezember 2008 in Höhe von 63 Cent. In der Summe ergäbe sich dabei eine Nachzahlung von 3,81 Euro."

Gemäß der den Beteiligten mit Schreiben vom 29. September 2012 übersandten Niederschrift gab die Vertreterin der Beklagten ein Teilanerkenntnis ab, das wie folgt lautete: "Der Beklagte verpflichtet sich, unter Abänderung des Bewilligungsbescheids vom 16. Mai 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 18. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Juli 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 14. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. September 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22. Juni 2009 sowie unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 20. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 22. Juli 2009 verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 1. bis 30. November 2008 weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 0,53 Euro monatlich und für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 2008 in Höhe von 0,63 Euro jeweils zuzüglich Zinsen in gesetzlicher Höhe zu gewähren." Der Niederschrift ist weiterhin zu entnehmen, dass die Klägerin erklärt hatte, dass das Teilanerkenntnis zur teilweisen Erledigung des Rechtsstreits angenommen werde. Die verbliebene Klage wurde mit Urteil vom gleichen Tag abgewiesen, auf den Tatbestand dieses Urteil wird verwiesen.

Am 9. Oktober überwies die Beklagte der Klägerin einen Betrag von 4,41 EUR. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2012 mahnte die Klägerin den aus ihrer Sicht fehlenden Betrag von 0,53 EUR für November 2008 sowie die fehlende Verzinsung – insgesamt 11,90 EUR – an. Mit Bescheid vom 12. November 2012 lehnte die Beklagte weitere Leistungen ab. Der Klägerin stünden aus dem Teilanerkenntnis einschließlich Zinsen insgesamt 4,29 EUR zu, der Klägerin sei jedoch ein Betrag von 4,41 EUR überwiesen worden, der zu Unrecht gezahlte Betrag von 0,12 EUR werde jedoch nicht zurückgefordert. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 14. November 2012 Widerspruch. Die seitens der Beklagten vorgenommene gesetzlich vorgeschriebene Rundung widerspreche den kaufmännischen Grundregeln, ein Betrag von 3,81 EUR wäre auf 4,00 EUR aufzurunden. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. In der mündlichen Verhandlung habe man sich verpflichtet für die Monate Juni bis November 2008 jeweils 0,53 EUR nachzuzahlen und für Dezember 2008 0,63 EUR. Die Verzinsung beginne nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Antragsabgabe, somit ab November 2008. Zu verzinsen sei ein Betrag von 3,18 EUR (gerundet 3 EUR) für die Zeit von November 2008 bis April 2009, ergebe sich eine Verzinsung von 0,06 EUR. Für den Monat Dezember 2008 beginne die Verzinsung ab Mai 2009, so dass ab Mai 2009 für die Zeit von Mai 2009 bis Oktober 2012 (1260 Kalendertage) 3,81 EUR (gerundet 3 EUR) zu verszinsen seien, hieraus ergebe sich ein Zinsbetrag von 0,42 EUR. Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrer Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG). Dieser Fragenkomplex ist Gegenstand des Verfahrens L 12 AS 2062/13 NZB (S 14 AS 4518/12).

Mit Schreiben vom 4. Januar 2013 hörte der Vorsitzende die Beteiligten zu einer geplanten Protokollberichtigung an. Es sei beabsichtigt, die Worte: "des Änderungsbescheides vom 22. Juli 2009 verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 1. bis 30. November 2008 weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 0,53 Euro monatlich und für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 2008 in Höhe von 0,63 Euro jeweils zuzüglich Zinsen in gesetzlicher Höhe zu gewähren." zu ersetzen durch: "des Änderungsbescheids vom 22. Juni 2009, der Klägerin für die Zeit vom 1. Juni 2008 bis 30. November 2008 weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 0,53 Euro monatlich und für die Zeit vom 1. bis 31. Dezember 2008 in Höhe von 0,63 Euro jeweils zuzüglich Zinsen in gesetzlicher Höhe zu gewähren."

Die Klägerin hat der Berichtigung mit Schreiben vom 9. Januar 2013 widersprochen und die Fortsetzung des Termins wegen Unwirksamkeit des Teilanerkenntnisses beantragt. Das SGG gehe bei einem Anerkenntnis im Gegensatz zur ZPO von einer vergleichsweisen Regelung aus, der so geschlossene Vergleich werde als unwirksam gerügt. Die Protokollberichtigung halte sie für unzulässig, da es sich nicht um eine bloße Berichtigung handle, vielmehr ließen die Berechnung und Beträge erkennen, dass der Rechenvorgang nicht korrekt sei. Darüber hinaus sei der Vergleich unwirksam, da ein Einigungsmangel vorliege, da über die Auslegung des § 44 SGB I unterschiedliche Auffassungen bestanden hätten. Auch sei der Vergleich nichtig, da er gegen §§ 134, 138 BGB verstoße, da sie den Abzug der Warmwasserkosten von der Regelleistung für unzulässig halte. Außerdem werde die Anfechtung des Vergleichs erklärt, da dass LSG deutlich gemacht habe, dass hinsichtlich der Warmwasserkosten über die Teilbeträge hinaus keine andere Behandlung zu erwarten gewesen sei, trotz entgegenstehender neuester Rechtsprechung.

Mit Beschluss vom 29. Januar 2013 hat der Senat die Niederschrift wie angekündigt berichtigt, da das Anerkenntnis wie berichtigt abgegeben worden sei und die zunächst übersandte Reinschrift auf einem Übertragungsfehler beruhe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren S 14 AS 3422/08, L 12 AS 3246/11 und L 12 AS 462/13 sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Begehren der Klägerin auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 12 AS 3246/11 und damit Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsverfahren L 12 AS 3246/11 ist aufgrund des von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 13. September 2013 abgegebenen Teilanerkenntnisses, das von der Klägerin angenommen wurde, sowie durch Urteil vom gleichen Tag in der Hauptsache vollständig erledigt.

Das Teilanerkenntnis wurde wie aus der berichtigten Fassung der Niederschrift ersichtlich abgegeben (1.). Eine Anfechtung der Annahme des Anerkenntnisses ist nicht möglich (2.). Ferner ist kein wirksamer Widerruf der Erklärung erfolgt (3.).

1. Wortlaut des Anerkenntnisses

Das Teilanerkenntnis hat folgenden Wortlaut: Der Beklagte verpflichtet sich, unter Abänderung des Bewilligungsbescheids vom 16. Mai 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 18. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Juli 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 14. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. September 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22. Juni 2009 sowie unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 20. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2009 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22. Juni 2009, der Klägerin für die Zeit vom 1. Juni 2008 bis 30. November 2008 weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 0,53 Euro monatlich und für die Zeit vom 1. bis 31. Dezember 2008 in Höhe von 0,63 Euro jeweils zuzüglich Zinsen in gesetzlicher Höhe zu gewähren."

Das Teilanerkenntnis wurde in der mündlichen Verhandlung mit diesem Wortlaut erklärt und auch mit diesem Wortlaut protokolliert, vorgelesen und von der Beklagtenvertreterin genehmigt. Dies ergibt sich aus Blatt 57 der Gerichtsakte im Verfahren L 12 AS 3246/11. Die Abweichungen in der vom Vorsitzenden unterschriebenen und zuerst übersandten Reinschrift beruhen auf Übertragungsfehlern. Die Niederschrift war deshalb unrichtig und folglich gemäß § 122 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 164 der Zivilprozessordnung (ZPO) zu berichtigen.

2. Keine Anfechtbarkeit der Prozesserklärung "Annahme des Teilanerkenntnisses"

Die Annahme des Teilanerkenntnisses stellt eine Prozesserklärung dar. Prozesserklärungen unterliegen nicht der Anfechtung nach den §§ 119 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Weder das Sozialgerichtsgesetz noch die nach § 202 SGG sinngemäß anwendbare Zivilprozessordnung (ZPO) enthält den bürgerlich- rechtlichen Anfechtungsregelungen entsprechende Vorschriften. Auch eine analoge Anwendung der für privatrechtliche Willenserklärungen geltenden Anfechtungsregeln verbietet sich, weil die Interessenlage im Prozessrechtsverhältnis anders zu bewerten ist als in Rechtsbeziehungen im rein privaten Rechtskreis (BVerwG, Beschluss vom 7. August 1998 – 4 B 75/98 –, juris unter Verweis auf die obergerichtliche Rechtsprechung; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, vor § 60 Rn. 12).

3. Kein wirksamer Widerruf

In Betracht käme einzig ein Widerruf der Prozesserklärung. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass Prozesshandlungen unter bestimmten Umständen widerrufen werden können. Ein Widerruf kommt insbesondere in Betracht, wenn ein Restitutionsgrund im Sinne des § 580 ZPO vorliegt. Denn lässt der Gesetzgeber es nach Maßgabe der §§ 578 ff. ZPO, die nach § 179 SGG auch im Sozialgerichtsprozess anwendbar sind, ausdrücklich zu, sich selbst von der Bindung an ein rechtskräftiges Urteil zu lösen, so entspricht es seinem Regelungswillen, die von ihm gezogenen Konsequenzen unter den in § 580 ZPO genannten Tatbestandsvoraussetzungen auch dann zu ziehen, wenn ein Verfahren anderweitig beendet worden ist (BVerwG, Beschluss vom 7. August 1998 – 4 B 75/98 –, juris unter Verweis auf die obergerichtliche Rechtsprechung; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, vor § 60 Rn. 12a).

Ein Wiederaufnahmegrund in diesem Sinne liegt nicht vor. § 580 ZPO sieht eine Wiederaufnahme vor, 1. wenn der Gegner durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat; 2. wenn eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht war; 3. wenn bei einem Zeugnis oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat; 4. wenn das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist; 5. wenn ein Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat; 6. wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist; 7. wenn die Partei a) ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder b) eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde; 8. wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht. Keiner dieser Gründe wird von der Klägerin geltend gemacht. Sie macht lediglich geltend, dass ein Einigungsmangel vorliege, dass das Anerkenntnis gegen die guten Sitten oder ein gesetzliches Verbot verstoße und dass sie sich im Irrtum befunden habe.

Ein Widerruf kommt ferner dann in Betracht, wenn es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben, der das gesamte Recht unter Einschluss des Sozialgerichtsgesetzes beherrscht, unvereinbar wäre, einen Beteiligten an einer von ihm vorgenommenen Prozesshandlung festzuhalten (BVerwG, Beschluss vom 7. August 1998 – 4 B 75/98 –, juris unter Verweis auf die obergerichtliche Rechtsprechung; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, vor § 60 Rn. 12a). In diesem Zusammenhang kann auch eine Rolle spielen, ob der Betroffene durch eine richterliche Belehrung oder Empfehlung zu einer bestimmten prozessualen Erklärung bewogen worden ist (BVerwG, Beschluss vom 7. August 1998 – 4 B 75/98 –, juris unter Verweis auf die obergerichtliche Rechtsprechung; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, vor § 60 Rn. 12a). Soweit die Klägerin vorträgt, durch den Hinweis des Vorsitzenden arglistig getäuscht worden zu sein, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Der Vorsitzende hat gemäß § 106 Absatz 1 SGG einen Hinweis erteilt, der die vorläufige Einschätzung vor der abschließenden Urteilsberatung wiedergab. Dass es sich um einen solchen Hinweis handelte, war für die Klägerin, eine studierte und prozesserfahrene Juristin, auch erkennbar. Durch den Hinweis sollte die Klägerin nicht zu einer bestimmten Prozesshandlung bewegt werden.

Nach alldem liegt eine wirksame, den Prozess teilweise beendende Annahme eines (Teil-)Aner-kenntnisses vor.

Über den restlichen geltend gemachten Anspruch hat der Senat durch Urteil vom 13. September 2012 entschieden, so dass das Verfahren insgesamt beendet ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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