Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 KR 1602/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3292/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19.06.2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 15.305,59 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rückerstattung eines Betrags iHv 15.305,59 EUR gemäß § 112 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).
Die klagende Berufsgenossenschaft ist die Rechtsnachfolgerin der BG Chemie. Am 05.01.2005 unterrichtete diese die Rechtsvorgängerin der Beklagten – die Bayer BKK - über die Einleitung eines Berufskrankheiten-Feststellungsverfahrens wegen der obstruktiven Atemwegserkrankung des H. R. (im Folgenden: Versicherter) und mit Schreiben vom 02.01.2006 über die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 4302 der Anlage der Berufskrankheiten-Verordnung informiert.
Mit Schreiben vom 02.02.2006, bei der Klägerin eingegangen am 06.02.2006, machte die Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Erstattungsanspruch iHv 17.761,29 EUR geltend, den sie mit Schreiben vom 29.03.2006 auf den Betrag von 16.270,65 EUR korrigierte (zu den Einzelheiten wird auf Bl 6 und Bl 181 der SG-Akte Bezug genommen). Mit Schreiben vom 22.08.2007, bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin eingegangen am 28.08.2007, begehrte die Rechtsvorgängerin der Beklagten eine weitere Erstattung für Arztbehandlungskosten, die in der Zeit vom 23.03.2004 bis 29.09.2005 iHv 320,60 EUR erbracht wurden (vgl Bl 183f der SG-Akte). Die Klägerin beglich die von der Rechtsvorgängerin der Beklagten geltend gemachten Erstattungsansprüche am 05.04.2006 und 03.09.2007.
Mit Schreiben vom 12.10.2010 wies die Klägerin auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.03.2010 (B 2 U 4/09 R) hin und machte einen Rückerstattungsanspruch iHv 15.145,75 EUR bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten geltend. Die Erstattung von Leistungen, die vor dem 06.02.2005 erbracht worden seien, sei ausgeschlossen. Es hätten daher nur Kosten iHv 1.124,90 EUR erstattet werden können. Die Beklagte bestätigte den Eingang des Schreibens der Klägerin und verzichtete auf die Einrede der Verjährung (Schreiben vom 09.11.2010). Mit Schreiben vom 21.10.2011 setzte die Beklagte der Klägerin eine Frist bis zum 30.11.2011 zur Begleichung des Rückerstattungsanspruchs.
Mit ihrer am 18.05.2012 zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren iHv 15.305,59 EUR fort. Sie beruft sich dabei auf die Entscheidung des BSG vom 16.03.2010 (B 2 U 4/09 R). Danach sei erstmalig eine Anmeldung der Erstattungsforderung der Beklagten vom 07.01.2008 erfolgt. Wegen Fristablauf sei zu diesem Zeitpunkt die Erstattung folgender Leistungen, die die Beklagte bis zum 16.02.2005 erbracht habe, nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen gewesen:
- anteilige Medikamente (16.270,65 EUR - 1.124,90 EUR) 15.145,75 EUR - anteilige Arztkosten (vom 23.03.2004 bis 07.12.2004) 159,84 EUR insgesamt 15.305,59 EUR.
Mit Urteil vom 19.06.2013 hat das SG der Klage stattgegeben. In der Geltendmachung des Rückerstattungsanspruchs sei keine unzulässige Rechtsausübung zu erkennen. Auch die Voraussetzungen einer Verwirkung des Anspruchs seien nicht erfüllt. Das Urteil wurde der Beklagten mittels Empfangsbekenntnis am 15.07.2013 zugestellt.
Am 09.08.2013 hat die Beklagte hiergegen Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben. Zwar sei der Rückforderungsanspruch grundsätzlich begründet. Es stehe ihm jedoch der Einwand der Verwirkung entgegen. Sämtliche Erstattungsansprüche, welche Leistungsfälle ab dem Jahr 2001 beträfen, seien von der Klägerin beglichen worden, obwohl sie nach dem BSG-Urteil vom 06.03.2010 verspätet angemeldet worden seien. Das Vertrauen der Beklagten gegenüber der Klägerin, dass diese bereits vorgenommene Erstattungen nicht zurückfordern würde, sei schutzwürdig. Die Zahl der Verdachtsfälle der tatsächlich anzuerkennenden Berufskrankheit sowie der zwischen den Parteien zu klärenden Einzelfälle sei überdurchschnittlich hoch gewesen. Eine Vereinfachung des Erstattungsverfahrens habe daher als sinnvoll erschienen. Beide Parteien hätten deshalb die Gesetzesänderung vom 01.01.2001 begrüßt, weil sie von beiden Seiten dahingehend verstanden worden sei, dass eine Anmeldung des Erstattungsanspruchs als rechtzeitig zu werten sei, wenn sie innerhalb eines Jahres nach der Entscheidung der Beklagten über ihre Leistungspflicht erfolge. Hierdurch sei der Beklagten die regelmäßige Anmeldung von Ansprüchen erspart worden. Aus dieser beidseitigen (unzutreffenden) Auslegung von § 111 Satz 2 SGB X habe sich über die Dauer von mehr als 10 Jahren eine beidseitige Verwaltungspraxis entwickelt, wonach die Klägerin ihre Ansprüche entsprechend angemeldet und die Beklagte diese anstandslos reguliert habe. Die Klägerin habe niemals einen Erstattungsanspruch wegen Verspätung zurückgewiesen, niemals einen Vorbehalt der Rückforderung geltend gemacht oder sonst auch nur ansatzweise ein Zeichen dafür gesetzt, dass die Beklagte mit einer Rückforderung rechnen müsse. § 112 SGB X betreffe nur Fälle der irrtümlichen Erstattung. Er könne nicht Fälle betreffen, in denen die Erstattung wissentlich und in Übereinstimmung der Beteiligten massenhaft erfolgt sei. Das BSG habe in der genannten Entscheidung die relativ kurze Ausschlussfrist des § 111 SGB X mit der Planungssicherheit des materiell zuständigen Trägers begründet. Diese Planungssicherheit würde für die Beklagte konterkariert, wenn der erstattungsverpflichtete Träger sämtliche Erstattungen, die er einvernehmlich über Jahre hinweg geleistet habe, wegen Fristversäumnisse zurückfordern könne. Immerhin sei das Volumen der in dieser Weise zwischen den Parteien strittigen Fälle auf inzwischen knapp 2.000.000 EUR angewachsen. Daher müsse die Rechtsprechung des BSG zur Nachforderung von Vergütung von Krankenhausbehandlungen auf die vorliegenden Fälle übertragen werden. Das zwischen den Prozessbeteiligten bestehende Treueverhältnis sei vergleichbar. Aus der genannten Rechtsprechung könne daher abgeleitet werden, dass Nachforderungen bzw Rückforderungen nur für eine begrenzte Zeitspanne geltend gemacht werden könnten und dabei auf das laufende Haushaltsjahr bzw auf das der Abrechnung der Leistung folgende Kalenderjahr beschränkt seien.
Die Beklagte beantragt daher,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19.06.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Schreiben vom 18.08.2014 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Klägerin Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 15.305,59 EUR verurteilt.
Gemäß § 112 SGB X sind gezahlte Beiträge zurückzuerstatten, soweit eine Erstattung zu Unrecht erfolgt ist. Bei § 112 SGB X handelt es sich um eine spezialgesetzliche Ausprägung des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs (Leopold in, juris PK - SGB X, § 112 SGB X Rdnr 8). Voraussetzungen für die Geltendmachung des Rückerstattungsanspruchs gemäß § 112 SGB X ist zunächst ein durchgeführter Erstattungsvorgang. Insoweit hat die Klägerin der Beklagten am 08.02.2008 einen Betrag von insgesamt 16.430,49 EUR erstattet. Diese Erstattung ist iHv 15.305,59 EUR auch rechtsgrundlos erfolgt. Zu Unrecht ist eine Erstattung dann erfolgt, wenn der in Rede stehende Erstattungsanspruch entweder von Anfang an gar nicht bzw nicht in voller Höhe bestand oder zu einem späteren Zeitpunkt weggefallen ist (Leopold in, juris PK - SGB X, § 112 SGB X Rdnr 25). Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Erstattungsanspruch aufgrund des § 111 SGB X erloschen ist (Mutschler in: juris PK SGB X, § 111 SGB X Rdnr 5). Dies ist immer dann der Fall, wenn die Ausschlussfrist abgelaufen war. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist in diesen Fällen nicht möglich (Mutschler in, juris PK - SGB X, § 111 SGB X Rdnr 43).
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin einen Betrag iHv 15.305,59 EUR erstattet, obgleich hinsichtlich dieses Betrags die Ausschlussfrist des § 111 SGB X abgelaufen war, sodass eine zu Unrecht erfolgte Erstattung vorliegt, die nach § 112 SGB X rückabzuwickeln ist.
Gemäß § 111 Satz 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens 12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Bei Anwendung des § 111 Satz 1 SGB X war im vorliegenden Fall eine Erstattung von Leistungen, die vor dem 06.02.2005 erbracht wurden, ausgeschlossen, da die Beklagte ihren Erstattungsanspruch erst am 06.02.2006 bei der Klägerin geltend machte. Aus diesem Grund erfolgte die Erstattung der Arztkosten für den Zeitraum vom 23.03.2004 bis 29.09.2005 iHv 159,84 EUR sowie der Medikamente vor dem 06.02.2005 iHv 15.145,75 EUR durch die Klägerin zu Unrecht, so dass dieser ein Anspruch auf Rückerstattung gemäß § 112 SGB X iHv 15.305,59 EUR zusteht.
§ 111 Satz 2 SGB X ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG (BSG 16.03.2010, B 2 U 4/09 R) nicht anwendbar. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung und Urteilsbildung der Rechtsprechung des BSG vom 10.05.2007 vollumfänglich an. Gemäß § 111 Satz 2 SGB X beginnt der Lauf der Frist des § 111 Satz 1 SGB X frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungsberechtigten Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Da freilich die Feststellung eines Versicherungsfalls und der oder ggfs den Entscheidungen über die aufgrund dieses Versicherungsfalls zu gewährenden Leistungen nach §§ 226 ff SGB VII, den sogenannten Leistungsfällen, zu unterscheiden ist, kann allein die Anerkennung der BK 1301 bei dem Versicherten im vorliegenden Fall nicht zur Anwendbarkeit des § 111 Satz 2 SGB X führen. Da auch eine anderweitige Entscheidung über die einzelnen Leistungsfälle des Unfallversicherungsträgers nicht vorliegt, scheidet die Anwendbarkeit des § 111 Satz 2 SGB X insgesamt aus.
Nach dem vorliegenden Sachverhalt sieht der Senat auch keine Anhaltspunkte wonach die Beklagte der Klägerin den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenhalten kann.
Die in § 111 Satz 1 SGB X normierte Frist ist eine materielle Ausschlussfrist, die von Amts wegen zu beachten ist (BT-Drucks 9/95 S 96 f). Der Erstattungsanspruch, der nicht innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht worden ist, ist nach Ablauf der Frist erloschen (BSG SozR 1300 § 111 Nr 1 und 4). Das Erlöschen des Erstattungsanspruchs wegen Versäumung der Ausschlussfrist ist von Amts wegen zu beachten, also nicht nur wie das Leistungsverweigerungsrecht der Verjährung (§ 214 Abs 1 BGB) nach § 113 SGB X nur auf die im pflichtgemäßen Ermessen des verpflichteten Leistungsträgers stehende Einrede zu berücksichtigen (BSG, 06.12.1989, 2 RU 30/89). Nach Ablauf der Frist darf der erstattungspflichtige Leistungsträger nicht mehr erstatten und der erstattungsberechtigte Leistungsträger die Zahlung nicht mehr annehmen. Eine dennoch erfolgte Zahlung ist zurückzuerstatten. Ein Verzicht auf den Ausschluss ist nicht möglich. Das Erlöschen des Erstattungsanspruchs führt nicht dazu, dass sich der erstattungsberechtigte Träger nunmehr an den Leistungsberechtigten halten könnte.
Einwendungen gegen die Fristversäumung scheitern grundsätzlich am geschlossenen Regelsystem der §§ 102 bis 114 SGB X, das abschließend sämtliche Ausgleichsansprüche umfasst (BSGE 86, 78, 83 ff, SozR 3-1300 § 111 Nr 8). Außerdem steht die Konzeption der Frist des § 111 SGB X als materielle Ausschlussfrist Einwendungen entgegen, die sich aus dem Verhalten der beteiligten Sozialleistungsträger ergeben; weder erfordert die Ausschlusswirkung, dass ein Erstattungsanspruch überhaupt geltend gemacht wird, noch ist vorgesehen, dass der durch Fristversäumung untergegangene Anspruch fortbesteht oder wieder aufleben kann (Kater in Kasseler Kommentar, § 111 SGB X Rdnr 47 ff).
Sich gegen Fristversäumung auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen zu können, ist daher nur für bestimmte Fallkonstellationen in Betracht zu ziehen, zB wenn der Erstattungsberechtigte absichtlich davon abgehalten wird, den Anspruch rechtzeitig geltend zu machen (BSGE 86, 78, 83), wenn die eingetretene Verzögerung auf einer offensichtlich mangelhaften Organisation von Arbeitsabläufen beruht oder wenn die Fristversäumung auf ein grob rechtswidriges, zB vorsätzlichen Verhalten dessen zurückzuführen ist, der durch die Ausschlussfrist begünstigt wird. Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung findet dabei nicht nur im Verhältnis zwischen Versichertem und Versicherungsträger, sondern auch im Verhältnis zwischen Sozialversicherungsträger Anwendung. Diese trifft eine Pflicht zu enger Zusammenarbeit untereinander (§ 86 ff SGB X); bei deren Verletzung besteht ein Beanstandungsrecht, bei groben Verletzungen sogar ein "Herstellungsanspruch" (BSGE 57, 146, 150; SozR 1300 § 103 Nr 2 S 6; BSG DRV 1985, 566, 568; Seewald in SGb 1986, 1133, 1135 f; derselbe in Kasseler Kommentar, § 86 SGB X Rdnr 112 ff).
Vorliegend steht fest, dass die Klägerin die Beklagte über das laufende Verfahren hinsichtlich der Anerkennung einer Berufskrankheit informiert hat. So hat die Klägerin mit Schreiben vom 28.11.2006 der Rechtsvorgängerin der Beklagten die Einleitung eines Berufskrankheiten-Feststellungsverfahrens mitgeteilt. Hätte die Beklagte daraufhin ihren Erstattungsanspruch vorsorglich angemeldet, hätte sie eine vollständige und vollumfängliche Erstattung beanspruchen können. Demensprechend beruft sich die Beklagte im vorliegenden Fall auch nicht auf eine Fehlinformation, sondern trägt zur Begründung ihres Gedankens der unzulässigen Rechtsausübung vor, dass die mehrjährige Verwaltungspraxis dem Rückerstattungsanspruch entgegenstehe.
Zur Überzeugung des Senats kann in einer solchen Verwaltungspraxis jedoch kein ausreichender Grund für eine unzulässige Rechtsausübung gesehen werden. Insoweit ist zum einen zu beachten, dass die Beteiligten übereinstimmend fahrlässig von einer falschen Rechtsinterpretation des § 111 SGB X ausgingen. Dieser Sachverhalt ist mit einem grob rechtswidrigen Verhalten der Klägerin nicht gleichzusetzen. Im Übrigen gilt es aber auch zu beachten, dass die Ausschlussfrist des § 111 SGB X eine materielle ist und nicht zur Disposition der Beteiligten steht. Dies bedeutet, dass die Ausschlussfrist des § 111 SGB X weder durch eine förmliche Vereinbarung noch durch eine entsprechende Verwaltungspraxis abgeändert werden kann.
Soweit sich die Beklagte im Übrigen darauf beruft, dass der Erstattungsanspruch verwirkt sei, greift auch dieser Einwand zur Überzeugung des Senats im vorliegenden Fall nicht durch. Unabhängig vom Ausschluss nach § 111 SGB X kann der Erstattungsanspruch verwirkt werden, wenn der Erstattungsberechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles das verspätete geltend machen des Anspruchs nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen (BSGE 35, 91, 95; 47, 194 f). Solche Umstände liegen vor, wenn 1.) der Verpflichtete infolge bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen dürfte, dass 2.) dieser den Anspruch nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), 3.) der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass der Anspruch nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und 4.) sich deshalb in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihn 5.) durch die verspätete Durchsetzung des Anspruchs ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG 01.04.1993, 1 RK 16/92 mwN). Bloße Untätigkeit, insbesondere infolge Verkennung der Rechtslage, stellt dabei kein Verwirkungsverhalten dar (Kater in Kasseler Kommentar § 111 SGB X Rdnr 52).
Da durch die Begleichung der Erstattungsforderung entgegen § 111 SGB X ein Anspruch nach § 112 SGB X auf Rückerstattung erst entsteht, kann allein in der Zahlung des Klägers an die Beklagten noch kein entsprechendes Verwirkungsverhalten gesehen werden. Soweit die Beklagte sich im vorliegenden Fall im Übrigen auf den Zeitablauf beruft, verkennt sie, dass ein entsprechendes Verwirkungsverhalten grundsätzliche Voraussetzung für den Tatbestand der Verwirkung ist. Damit könnte allenfalls in der vergleichbaren Behandlung verschiedener Fälle im weiteren Ablauf ein Verwirkungsverhalten gesehen werden. Dies würde aber letztlich zu der oben genannten Problematik führen, dass die Vorschrift des § 111 SGB X zur Disposition der Beteiligten gestellt würde, was den Sinn und Zweck der Regelung widerspräche. Daher ist auch die von der Beklagten angeführte Rechtsprechung des BSG zum Kassenarztrecht auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Im Übrigen würde die Übertragung der Rechtsprechung dazu führen, dass die vom Gesetz vorgesehene Verjährungsfrist des § 113 SGB X letztlich leer liefe. Im Hinblick auf das geschlossene Regelungssystem der §§ 102 ff SGB X ist daher der von der Beklagten gezogenen Schluss nicht zulässig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Gerichtskostengesetz. Die Höhe des Streitwerts entspricht dem geforderten Betrag.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 15.305,59 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rückerstattung eines Betrags iHv 15.305,59 EUR gemäß § 112 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).
Die klagende Berufsgenossenschaft ist die Rechtsnachfolgerin der BG Chemie. Am 05.01.2005 unterrichtete diese die Rechtsvorgängerin der Beklagten – die Bayer BKK - über die Einleitung eines Berufskrankheiten-Feststellungsverfahrens wegen der obstruktiven Atemwegserkrankung des H. R. (im Folgenden: Versicherter) und mit Schreiben vom 02.01.2006 über die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 4302 der Anlage der Berufskrankheiten-Verordnung informiert.
Mit Schreiben vom 02.02.2006, bei der Klägerin eingegangen am 06.02.2006, machte die Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Erstattungsanspruch iHv 17.761,29 EUR geltend, den sie mit Schreiben vom 29.03.2006 auf den Betrag von 16.270,65 EUR korrigierte (zu den Einzelheiten wird auf Bl 6 und Bl 181 der SG-Akte Bezug genommen). Mit Schreiben vom 22.08.2007, bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin eingegangen am 28.08.2007, begehrte die Rechtsvorgängerin der Beklagten eine weitere Erstattung für Arztbehandlungskosten, die in der Zeit vom 23.03.2004 bis 29.09.2005 iHv 320,60 EUR erbracht wurden (vgl Bl 183f der SG-Akte). Die Klägerin beglich die von der Rechtsvorgängerin der Beklagten geltend gemachten Erstattungsansprüche am 05.04.2006 und 03.09.2007.
Mit Schreiben vom 12.10.2010 wies die Klägerin auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.03.2010 (B 2 U 4/09 R) hin und machte einen Rückerstattungsanspruch iHv 15.145,75 EUR bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten geltend. Die Erstattung von Leistungen, die vor dem 06.02.2005 erbracht worden seien, sei ausgeschlossen. Es hätten daher nur Kosten iHv 1.124,90 EUR erstattet werden können. Die Beklagte bestätigte den Eingang des Schreibens der Klägerin und verzichtete auf die Einrede der Verjährung (Schreiben vom 09.11.2010). Mit Schreiben vom 21.10.2011 setzte die Beklagte der Klägerin eine Frist bis zum 30.11.2011 zur Begleichung des Rückerstattungsanspruchs.
Mit ihrer am 18.05.2012 zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren iHv 15.305,59 EUR fort. Sie beruft sich dabei auf die Entscheidung des BSG vom 16.03.2010 (B 2 U 4/09 R). Danach sei erstmalig eine Anmeldung der Erstattungsforderung der Beklagten vom 07.01.2008 erfolgt. Wegen Fristablauf sei zu diesem Zeitpunkt die Erstattung folgender Leistungen, die die Beklagte bis zum 16.02.2005 erbracht habe, nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen gewesen:
- anteilige Medikamente (16.270,65 EUR - 1.124,90 EUR) 15.145,75 EUR - anteilige Arztkosten (vom 23.03.2004 bis 07.12.2004) 159,84 EUR insgesamt 15.305,59 EUR.
Mit Urteil vom 19.06.2013 hat das SG der Klage stattgegeben. In der Geltendmachung des Rückerstattungsanspruchs sei keine unzulässige Rechtsausübung zu erkennen. Auch die Voraussetzungen einer Verwirkung des Anspruchs seien nicht erfüllt. Das Urteil wurde der Beklagten mittels Empfangsbekenntnis am 15.07.2013 zugestellt.
Am 09.08.2013 hat die Beklagte hiergegen Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben. Zwar sei der Rückforderungsanspruch grundsätzlich begründet. Es stehe ihm jedoch der Einwand der Verwirkung entgegen. Sämtliche Erstattungsansprüche, welche Leistungsfälle ab dem Jahr 2001 beträfen, seien von der Klägerin beglichen worden, obwohl sie nach dem BSG-Urteil vom 06.03.2010 verspätet angemeldet worden seien. Das Vertrauen der Beklagten gegenüber der Klägerin, dass diese bereits vorgenommene Erstattungen nicht zurückfordern würde, sei schutzwürdig. Die Zahl der Verdachtsfälle der tatsächlich anzuerkennenden Berufskrankheit sowie der zwischen den Parteien zu klärenden Einzelfälle sei überdurchschnittlich hoch gewesen. Eine Vereinfachung des Erstattungsverfahrens habe daher als sinnvoll erschienen. Beide Parteien hätten deshalb die Gesetzesänderung vom 01.01.2001 begrüßt, weil sie von beiden Seiten dahingehend verstanden worden sei, dass eine Anmeldung des Erstattungsanspruchs als rechtzeitig zu werten sei, wenn sie innerhalb eines Jahres nach der Entscheidung der Beklagten über ihre Leistungspflicht erfolge. Hierdurch sei der Beklagten die regelmäßige Anmeldung von Ansprüchen erspart worden. Aus dieser beidseitigen (unzutreffenden) Auslegung von § 111 Satz 2 SGB X habe sich über die Dauer von mehr als 10 Jahren eine beidseitige Verwaltungspraxis entwickelt, wonach die Klägerin ihre Ansprüche entsprechend angemeldet und die Beklagte diese anstandslos reguliert habe. Die Klägerin habe niemals einen Erstattungsanspruch wegen Verspätung zurückgewiesen, niemals einen Vorbehalt der Rückforderung geltend gemacht oder sonst auch nur ansatzweise ein Zeichen dafür gesetzt, dass die Beklagte mit einer Rückforderung rechnen müsse. § 112 SGB X betreffe nur Fälle der irrtümlichen Erstattung. Er könne nicht Fälle betreffen, in denen die Erstattung wissentlich und in Übereinstimmung der Beteiligten massenhaft erfolgt sei. Das BSG habe in der genannten Entscheidung die relativ kurze Ausschlussfrist des § 111 SGB X mit der Planungssicherheit des materiell zuständigen Trägers begründet. Diese Planungssicherheit würde für die Beklagte konterkariert, wenn der erstattungsverpflichtete Träger sämtliche Erstattungen, die er einvernehmlich über Jahre hinweg geleistet habe, wegen Fristversäumnisse zurückfordern könne. Immerhin sei das Volumen der in dieser Weise zwischen den Parteien strittigen Fälle auf inzwischen knapp 2.000.000 EUR angewachsen. Daher müsse die Rechtsprechung des BSG zur Nachforderung von Vergütung von Krankenhausbehandlungen auf die vorliegenden Fälle übertragen werden. Das zwischen den Prozessbeteiligten bestehende Treueverhältnis sei vergleichbar. Aus der genannten Rechtsprechung könne daher abgeleitet werden, dass Nachforderungen bzw Rückforderungen nur für eine begrenzte Zeitspanne geltend gemacht werden könnten und dabei auf das laufende Haushaltsjahr bzw auf das der Abrechnung der Leistung folgende Kalenderjahr beschränkt seien.
Die Beklagte beantragt daher,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19.06.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Schreiben vom 18.08.2014 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Klägerin Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 15.305,59 EUR verurteilt.
Gemäß § 112 SGB X sind gezahlte Beiträge zurückzuerstatten, soweit eine Erstattung zu Unrecht erfolgt ist. Bei § 112 SGB X handelt es sich um eine spezialgesetzliche Ausprägung des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs (Leopold in, juris PK - SGB X, § 112 SGB X Rdnr 8). Voraussetzungen für die Geltendmachung des Rückerstattungsanspruchs gemäß § 112 SGB X ist zunächst ein durchgeführter Erstattungsvorgang. Insoweit hat die Klägerin der Beklagten am 08.02.2008 einen Betrag von insgesamt 16.430,49 EUR erstattet. Diese Erstattung ist iHv 15.305,59 EUR auch rechtsgrundlos erfolgt. Zu Unrecht ist eine Erstattung dann erfolgt, wenn der in Rede stehende Erstattungsanspruch entweder von Anfang an gar nicht bzw nicht in voller Höhe bestand oder zu einem späteren Zeitpunkt weggefallen ist (Leopold in, juris PK - SGB X, § 112 SGB X Rdnr 25). Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Erstattungsanspruch aufgrund des § 111 SGB X erloschen ist (Mutschler in: juris PK SGB X, § 111 SGB X Rdnr 5). Dies ist immer dann der Fall, wenn die Ausschlussfrist abgelaufen war. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist in diesen Fällen nicht möglich (Mutschler in, juris PK - SGB X, § 111 SGB X Rdnr 43).
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin einen Betrag iHv 15.305,59 EUR erstattet, obgleich hinsichtlich dieses Betrags die Ausschlussfrist des § 111 SGB X abgelaufen war, sodass eine zu Unrecht erfolgte Erstattung vorliegt, die nach § 112 SGB X rückabzuwickeln ist.
Gemäß § 111 Satz 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens 12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Bei Anwendung des § 111 Satz 1 SGB X war im vorliegenden Fall eine Erstattung von Leistungen, die vor dem 06.02.2005 erbracht wurden, ausgeschlossen, da die Beklagte ihren Erstattungsanspruch erst am 06.02.2006 bei der Klägerin geltend machte. Aus diesem Grund erfolgte die Erstattung der Arztkosten für den Zeitraum vom 23.03.2004 bis 29.09.2005 iHv 159,84 EUR sowie der Medikamente vor dem 06.02.2005 iHv 15.145,75 EUR durch die Klägerin zu Unrecht, so dass dieser ein Anspruch auf Rückerstattung gemäß § 112 SGB X iHv 15.305,59 EUR zusteht.
§ 111 Satz 2 SGB X ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG (BSG 16.03.2010, B 2 U 4/09 R) nicht anwendbar. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung und Urteilsbildung der Rechtsprechung des BSG vom 10.05.2007 vollumfänglich an. Gemäß § 111 Satz 2 SGB X beginnt der Lauf der Frist des § 111 Satz 1 SGB X frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungsberechtigten Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Da freilich die Feststellung eines Versicherungsfalls und der oder ggfs den Entscheidungen über die aufgrund dieses Versicherungsfalls zu gewährenden Leistungen nach §§ 226 ff SGB VII, den sogenannten Leistungsfällen, zu unterscheiden ist, kann allein die Anerkennung der BK 1301 bei dem Versicherten im vorliegenden Fall nicht zur Anwendbarkeit des § 111 Satz 2 SGB X führen. Da auch eine anderweitige Entscheidung über die einzelnen Leistungsfälle des Unfallversicherungsträgers nicht vorliegt, scheidet die Anwendbarkeit des § 111 Satz 2 SGB X insgesamt aus.
Nach dem vorliegenden Sachverhalt sieht der Senat auch keine Anhaltspunkte wonach die Beklagte der Klägerin den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenhalten kann.
Die in § 111 Satz 1 SGB X normierte Frist ist eine materielle Ausschlussfrist, die von Amts wegen zu beachten ist (BT-Drucks 9/95 S 96 f). Der Erstattungsanspruch, der nicht innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht worden ist, ist nach Ablauf der Frist erloschen (BSG SozR 1300 § 111 Nr 1 und 4). Das Erlöschen des Erstattungsanspruchs wegen Versäumung der Ausschlussfrist ist von Amts wegen zu beachten, also nicht nur wie das Leistungsverweigerungsrecht der Verjährung (§ 214 Abs 1 BGB) nach § 113 SGB X nur auf die im pflichtgemäßen Ermessen des verpflichteten Leistungsträgers stehende Einrede zu berücksichtigen (BSG, 06.12.1989, 2 RU 30/89). Nach Ablauf der Frist darf der erstattungspflichtige Leistungsträger nicht mehr erstatten und der erstattungsberechtigte Leistungsträger die Zahlung nicht mehr annehmen. Eine dennoch erfolgte Zahlung ist zurückzuerstatten. Ein Verzicht auf den Ausschluss ist nicht möglich. Das Erlöschen des Erstattungsanspruchs führt nicht dazu, dass sich der erstattungsberechtigte Träger nunmehr an den Leistungsberechtigten halten könnte.
Einwendungen gegen die Fristversäumung scheitern grundsätzlich am geschlossenen Regelsystem der §§ 102 bis 114 SGB X, das abschließend sämtliche Ausgleichsansprüche umfasst (BSGE 86, 78, 83 ff, SozR 3-1300 § 111 Nr 8). Außerdem steht die Konzeption der Frist des § 111 SGB X als materielle Ausschlussfrist Einwendungen entgegen, die sich aus dem Verhalten der beteiligten Sozialleistungsträger ergeben; weder erfordert die Ausschlusswirkung, dass ein Erstattungsanspruch überhaupt geltend gemacht wird, noch ist vorgesehen, dass der durch Fristversäumung untergegangene Anspruch fortbesteht oder wieder aufleben kann (Kater in Kasseler Kommentar, § 111 SGB X Rdnr 47 ff).
Sich gegen Fristversäumung auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen zu können, ist daher nur für bestimmte Fallkonstellationen in Betracht zu ziehen, zB wenn der Erstattungsberechtigte absichtlich davon abgehalten wird, den Anspruch rechtzeitig geltend zu machen (BSGE 86, 78, 83), wenn die eingetretene Verzögerung auf einer offensichtlich mangelhaften Organisation von Arbeitsabläufen beruht oder wenn die Fristversäumung auf ein grob rechtswidriges, zB vorsätzlichen Verhalten dessen zurückzuführen ist, der durch die Ausschlussfrist begünstigt wird. Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung findet dabei nicht nur im Verhältnis zwischen Versichertem und Versicherungsträger, sondern auch im Verhältnis zwischen Sozialversicherungsträger Anwendung. Diese trifft eine Pflicht zu enger Zusammenarbeit untereinander (§ 86 ff SGB X); bei deren Verletzung besteht ein Beanstandungsrecht, bei groben Verletzungen sogar ein "Herstellungsanspruch" (BSGE 57, 146, 150; SozR 1300 § 103 Nr 2 S 6; BSG DRV 1985, 566, 568; Seewald in SGb 1986, 1133, 1135 f; derselbe in Kasseler Kommentar, § 86 SGB X Rdnr 112 ff).
Vorliegend steht fest, dass die Klägerin die Beklagte über das laufende Verfahren hinsichtlich der Anerkennung einer Berufskrankheit informiert hat. So hat die Klägerin mit Schreiben vom 28.11.2006 der Rechtsvorgängerin der Beklagten die Einleitung eines Berufskrankheiten-Feststellungsverfahrens mitgeteilt. Hätte die Beklagte daraufhin ihren Erstattungsanspruch vorsorglich angemeldet, hätte sie eine vollständige und vollumfängliche Erstattung beanspruchen können. Demensprechend beruft sich die Beklagte im vorliegenden Fall auch nicht auf eine Fehlinformation, sondern trägt zur Begründung ihres Gedankens der unzulässigen Rechtsausübung vor, dass die mehrjährige Verwaltungspraxis dem Rückerstattungsanspruch entgegenstehe.
Zur Überzeugung des Senats kann in einer solchen Verwaltungspraxis jedoch kein ausreichender Grund für eine unzulässige Rechtsausübung gesehen werden. Insoweit ist zum einen zu beachten, dass die Beteiligten übereinstimmend fahrlässig von einer falschen Rechtsinterpretation des § 111 SGB X ausgingen. Dieser Sachverhalt ist mit einem grob rechtswidrigen Verhalten der Klägerin nicht gleichzusetzen. Im Übrigen gilt es aber auch zu beachten, dass die Ausschlussfrist des § 111 SGB X eine materielle ist und nicht zur Disposition der Beteiligten steht. Dies bedeutet, dass die Ausschlussfrist des § 111 SGB X weder durch eine förmliche Vereinbarung noch durch eine entsprechende Verwaltungspraxis abgeändert werden kann.
Soweit sich die Beklagte im Übrigen darauf beruft, dass der Erstattungsanspruch verwirkt sei, greift auch dieser Einwand zur Überzeugung des Senats im vorliegenden Fall nicht durch. Unabhängig vom Ausschluss nach § 111 SGB X kann der Erstattungsanspruch verwirkt werden, wenn der Erstattungsberechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles das verspätete geltend machen des Anspruchs nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen (BSGE 35, 91, 95; 47, 194 f). Solche Umstände liegen vor, wenn 1.) der Verpflichtete infolge bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen dürfte, dass 2.) dieser den Anspruch nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), 3.) der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass der Anspruch nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und 4.) sich deshalb in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihn 5.) durch die verspätete Durchsetzung des Anspruchs ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG 01.04.1993, 1 RK 16/92 mwN). Bloße Untätigkeit, insbesondere infolge Verkennung der Rechtslage, stellt dabei kein Verwirkungsverhalten dar (Kater in Kasseler Kommentar § 111 SGB X Rdnr 52).
Da durch die Begleichung der Erstattungsforderung entgegen § 111 SGB X ein Anspruch nach § 112 SGB X auf Rückerstattung erst entsteht, kann allein in der Zahlung des Klägers an die Beklagten noch kein entsprechendes Verwirkungsverhalten gesehen werden. Soweit die Beklagte sich im vorliegenden Fall im Übrigen auf den Zeitablauf beruft, verkennt sie, dass ein entsprechendes Verwirkungsverhalten grundsätzliche Voraussetzung für den Tatbestand der Verwirkung ist. Damit könnte allenfalls in der vergleichbaren Behandlung verschiedener Fälle im weiteren Ablauf ein Verwirkungsverhalten gesehen werden. Dies würde aber letztlich zu der oben genannten Problematik führen, dass die Vorschrift des § 111 SGB X zur Disposition der Beteiligten gestellt würde, was den Sinn und Zweck der Regelung widerspräche. Daher ist auch die von der Beklagten angeführte Rechtsprechung des BSG zum Kassenarztrecht auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Im Übrigen würde die Übertragung der Rechtsprechung dazu führen, dass die vom Gesetz vorgesehene Verjährungsfrist des § 113 SGB X letztlich leer liefe. Im Hinblick auf das geschlossene Regelungssystem der §§ 102 ff SGB X ist daher der von der Beklagten gezogenen Schluss nicht zulässig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Gerichtskostengesetz. Die Höhe des Streitwerts entspricht dem geforderten Betrag.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
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