Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 1366/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 689/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts M. vom 16.01.2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin macht einen Anspruch auf Gewährung einer vollstationären Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems geltend.
Die Klägerin ist am 24.05.1966 geboren. Am 20.06.2011 beantragte sie über den behandelnden Arzt PD Dr. F. (Klinik für Dermatologie, Universitätsklinikum M.) die Durchführung einer Liposuktion. Beigefügt war eine Bescheinigung von PD Dr. F. vom 10.05.2011, in welchem ein Lipödem-Syndrom der Beine beidseits (ICD 10 R60.0) diagnostiziert wird. Bei der Klägerin sei seit dem 33. Lebensjahr eine zunehmende, teil schmerzhafte Vermehrung des Fettgewebes an den Beinen aufgetreten. Seit mehreren Jahren trage sie Kompressionsstrümpfe, welche die Beschwerden nicht verbessert hätten. Manuelle und maschinelle Lymphdrainagen seien ohne Erfolg geblieben. Es bestehe ein deutlicher Ruheschmerz und eine Druckdolenz in den betroffenen Regionen. Die Durchführung einer Liposuktion in Tumeszenz-Lokalanästhesie könne in 5 bis 6 Sitzungen ambulant durchgeführt werden. Es handle sich nicht um eine vertragsärztliche Leistung. Die Kosten beliefen sich auf ca 2.604,- EUR je Sitzung. Im Interesse der Patientin werde um Zusage der Kostenübernahme gebeten.
Die Beklagte veranlasste eine sozialmedizinische Begutachtung nach Aktenlage beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Im Gutachten vom 28.06.2011 wies Dr. S. darauf hin, dass es sich bei der beantragten Liposuktion um eine nichtvertragsärztliche Behandlung handle. Ein Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) liege nicht vor. Eine lebensbedrohliche, notstandsähnliche Situation sei nicht gegeben. Eine Kostenübernahme komme daher nicht in Betracht. An Behandlungsmethoden seien zu nennen: Tragen von Kompressionsstrümpfen, Lymphdrainage. Mit Schreiben vom 04.07.2011 (Bl 29 Verwaltungsakte) lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war dem Schreiben nicht beigefügt.
In einem weiteren als "Widerspruchs-Attest" bezeichneten Schreiben vom 20.09.2011 (Bl 53 Verwaltungsakte) führte PD Dr. F. aus, dass die begehrte Liposuktion aus seiner Sicht wirtschaftlich und zweckmäßig sei.
Die Beklagte veranlasste erneut eine sozialmedizinische Begutachtung nach Aktenlage beim MDK. Dr. W. wies unter dem 14.11.2011 (Bl 60 Verwaltungsakte) darauf hin, dass bei einer Körpergröße von 159 cm und einem Gewicht von 98,6 kg ein massives Übergewicht (BMI 39, adipositas per magna) vorliege. Bei der begehrten Liposuktion handle es sich um ein in der kosmetisch-ästhetischen Chirurgie etabliertes Behandlungsverfahren, das in der Regel bei Fettverteilungsstörungen im kosmetischen Bereich angewandt werde. Der GBA habe die beantragte Methode bislang nicht beraten, ein Antrag liege nicht vor. Risiken der Behandlung seien Blutergüsse, anaphylaktische Reaktionen auf das Lokalanästhetikum, kardiale Nebenwirkungen durch die toxische Wirkung des Lokalanästhetikums, Auftreten von Schwellungen, Infektionen und Konturunregelmäßigkeiten der Haut. In der Literatur würden folgende Komplikationen angegeben: ischämische Optikusneuropathie, nekrotisierende Faszitis, Schocksyndrom, Lundenödem, Fettembolie. Hinzu komme, dass es durch Verletzungen der kleinen Lymphbahnen postoperativ zu einem Lymphödem der Beine kommen könne, welches dann weiterer Kompressionstherapie bedürfe. Im ersten Antrag sei angegeben worden, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, sportliche Tätigkeiten auszuüben. Im Widerspruchsattest werde das Gegenteil angeführt, nämlich regelmäßige sportliche Betätigung. Angaben zu Bewegungseinschränkungen mit Dokumentation der Bewegungsumfangsmaße sowie der Umfangsmaße der Extremitäten würden nicht gemacht. Es stünden ausreichende vertragsärztliche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Eine Kostenübernahme für die begehrte Liposuktion könne nicht empfohlen werden. In erster Linie seien bei der Klägerin Maßnahmen zur Gewichtsreduktion erforderlich. Regelmäßig sollten Kompressionsstrümpfe der Klasse 2 bis 3 getragen werden. Insgesamt sei ein komplexes therapeutisches Vorgehen, begonnen mit Ernährungsumstellung, Gewichtsreduktion, sportlicher Betätigung, regelmäßiges Tragen der Kompressionsstrümpfe, manuelle Lymphdrainage und bei Bedarf auch eine Entstauungsbehandlung angezeigt.
Mit Bescheid vom 12.12.2011 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab (Bl 61 Verwaltungsakte).
Der hiergegen am 10.01.2012 erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2012 als unbegründet zurückgewiesen. Die streitige Behandlung sei keine Vertragsarztleistung und dürfe zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur abgerechnet werden, wenn der GBA in Richtlinien Empfehlungen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens abgegeben habe. Eine solche Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses liege nicht vor.
Hiergegen hat die Klägerin am 26.04.2012 Klage zum Sozialgericht M. (SG) erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine ambulante Liposuktion zu übernehmen. Zur Begründung hat die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Ausweislich der vorgelegten Atteste von PD Dr. F. vom 10.05. und 20.09.2011 komme eine andere Behandlungsmethode nicht in Betracht. Es liege eine dringende Behandlungsbedürftigkeit vor. Die bisherige Behandlung habe die Symptome nicht nachhaltig gebessert. Im Übrigen seien die Kompressionsstrümpfe im Vergleich zu der beantragten Behandlung langfristig kostenintensiver. Aufgrund der Gesamtsituation sei zwischenzeitlich auch ihre psychische Verfassung problematisch.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide Bezug genommen.
Mit Gerichtsbescheid vom 16.01.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Es bestehe kein Anspruch auf Durchführung der Liposuktion zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Therapeutische Maßnahmen, zu denen keine Empfehlung des GBA vorliege, könnten im Rahmen der ambulanten vertragsärztlichen Behandlung nicht erbracht bzw nicht vergütet werden. Lediglich für schwere, regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankungen, könne nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwas anderes gelten. Ein solcher Fall liege aber hier nicht vor.
Gegen den ihrer Prozessbevollmächtigen am 18.01.2013 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 15.02.2013 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Sie hat dabei - zunächst – weiterhin einen Anspruch auf Gewährung einer ambulanten Liposuktion geltend gemacht. Das SG habe sich nicht ausreichend mit der aktuellen gesundheitlichen Situation der Klägerin befasst. Der Gesundheitszustand habe sich weiter verschlechtert. Sie hat ein Attest der allgemeinmedizinischen Praxis Dres. S. ua vom 11.04.2013 vorgelegt (Bl 24 Senatsakte).
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 30.09.2014 hat die Klägerin dann erstmals den Antrag gestellt, die Liposuktion als vollstationäre Behandlung zu gewähren. Eine ambulant durchgeführte Liposuktion scheide im Hinblick auf ihren schlechten Gesundheitszustand aus.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts M. vom 16.01.2013 und die Bescheide der Beklagten vom 04.07.2011 und 12.12.2011, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine stationäre Liposuktion als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide und die Ausführungen des SG Bezug.
Auf Antrag der Patientenvertretung nach § 140f SGB V vom 20.03.2014 auf Bewertung der Liposuktion gemäß § 135 Abs 1 und § 137c SGB V hat der GBA das diesbezügliche Beratungsverfahren eingeleitet (Beschluss des GBA vom 22.05.2014), welches noch nicht abgeschlossen ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin verfolgt ihr Begehren zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage. Auch der Anspruch auf Gewährung einer Sachleistung ist mit der Leistungsklage geltend zu machen (vgl BSG 17.06.201, B 3 KR 7/09 R, BSGE 106, 173).
Der Senat hat das Schreiben der Beklagten vom 04.07.2011, ausgehend vom Grundsatz der Meistbegünstigung, in den klägerischen Antrag mit einbezogen. Dieses Schreiben enthält bereits die konkrete Einzelfallentscheidung der Ablehnung der begehrten Sachleistung und stellt einen Verwaltungsakt dar, der mit Bescheid vom 12.12.2011 von der Beklagten nochmals wiederholt wurde. Der Bescheid vom 04.07.2011 ist von der Klägerin innerhalb der einjährigen Widerspruchsfrist (mangels Rechtsbehelfsbelehrung gilt § 66 Abs 2 Satz 1 SGG) auch angefochten worden. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 04.04.2012 hat die Beklagte insgesamt über das Begehren der Klägerin, welches sich gegen die Bescheide vom 04.07.2011 und 12.12.2011 richtete, entschieden. Der Senat geht ferner zu Gunsten der Klägerin davon aus, dass die jetzt begehrte stationäre Liposuktion zulässiger Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist, obwohl zunächst nur eine ambulante Leistung verlangt wurde und für beide Leistungsformen unterschiedliche rechtliche Voraussetzungen gelten. Die streitgegenständliche Liposuktion gehört sowohl als ambulante als auch als stationäre Behandlung nicht zu den von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu erbringenden Leistungen.
Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr 5 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung ua auch die Krankenhausbehandlung. Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (§ 39 Abs 2 SGB V). Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung unterliegt nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB V den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er erfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.
Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V (ambulante Versorgung) nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 135 Abs 1 SGB V wird nämlich nach der ständigen Rechtsprechung nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zulasten der Krankenkasse erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistung verbindlich festgelegt (BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190, SozR 4-2500 § 27 Nr 12). Die ambulante Liposuktion ist eine neue Behandlungsmethode, weil sie nicht als abrechenbare Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßmaßstab enthalten ist. Eine positive Empfehlung des GBA liegt nicht vor, weshalb ein Anspruch auf diese Leistung nicht besteht.
Auch ein Anspruch auf eine stationär durchgeführte Liposuktion steht der Klägerin nicht zu. Allein der Umstand, dass eine Liposuktion im ambulanten Bereich nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, genügt nicht, um diese nunmehr stationär zu erbringen. Es ist in jedem Falle zu prüfen, ob Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit besteht (vgl BSG vom 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 19). Der Senat entnimmt der Bescheinigung des PD Dr. F. vom 10.05.2011, dass die Liposuktion ambulant durchgeführt werden kann und deshalb aus medizinischen Gründen keine Krankenhausbehandlung erforderlich ist. Auf die Bitte des (früheren) Berichterstatters vom März 2013, einen aktuellen Bericht des behandelnden Arztes vorzulegen, erwiderte die Klägerin, dass sie erst im August 2013 einen Termin in der Hautambulanz des Klinikums M. erhalten habe. Ein aktueller Bericht ist auch in der Folge nicht vorgelegt worden.
Unabhängig davon, besteht eine Anspruch auf Krankenhausbehandlung auch deshalb nicht, weil nach der neueren Rechtsprechung des BSG bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden auch in stationären Bereich eine positive Empfehlung des GBA erforderlich ist und es nicht mehr ausreicht, dass kein negatives Votum vorliegt. § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V gibt vor, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB V umfasst daher nur solche Leistungen, deren Qualität und Wirksamkeit diesen wissenschaftlichen Anforderungen entspricht.
Eine nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlungsmethode kann im Krankenhaus auch dann nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, wenn der GBA kein Negativvotum zu ihr abgegeben hat (BSG 21.03.2013, B 3 KR 2/12 R, BSGE 113, 167, SozR 4-2500 § 137c Nr 6). Neue Verfahren, die nicht ausreichend erprobt sind, oder Außenseitermethoden, die zwar bekannt sind, aber sich nicht bewährt haben, lösen keine Leistungspflicht der Krankenkasse aus (vgl zur stationären Liposuktion aufgrund eines Lipödems eingehend LSG Baden-Württemberg 27.04.2012, L 4 KR 595/11, in juris). Es ist nicht Aufgabe der Krankenkassen, die medizinische Forschung zu finanzieren (so ausdrücklich BT-Drs 11/2237, S 157). Die einzige Ausnahme bilden nach § 137c Abs 2 Satz 2 SGB V die Durchführung klinischer Studien. Behandlungen im Rahmen solcher Studien waren und sind daher zur Förderung des medizinischen Fortschritts stets zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechenbar. Außerhalb klinischer Studien muss es zu Qualität und Wirksamkeit einer Behandlungsmethode grundsätzlich zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen geben. Entsprechend der auch durch den GBA für seine Entscheidungen zugrunde gelegten Maßstäbe der evidenzbasierten Medizin ist dabei eine Sichtung und qualitative Bewertung der über eine Behandlungsmethode vorhandenen wissenschaftlichen Publikationen und Expertisen vorzunehmen (BSG 01.03.2011, B 1 KR 7/10 R, BSGE 107, 261, SozR 4-2500 § 35 Nr 5; 12.08.2009, B 3 KR 10/07 R, SozR 4-2500 § 139 Nr 4). Erforderlich ist mithin, dass der Erfolg der Behandlungsmethode objektivierbar, also in einer ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist (vgl zB BSG 18.05.2004, B 1 KR 21/02 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 1 Rn 7 mwN). Die höchste Beweiskraft haben danach direkte Vergleichsstudien mit anderen Behandlungsmethoden, also Studien der Evidenzklasse I (vgl zur Arzneimitteltherapie BSG 01.03.2011, B 1 KR 7/10 R aaO). Nur soweit derartige Studien nicht existieren, kann im Einzelfall auf andere, hinreichend aussage- und beweiskräftige Studien ausgewichen werden (LSG Baden-Württemberg 27.04.2012, L 4 KR 595/11, in juris).
Die Methode der Liposuktion zur Therapie des Lipödems ist derzeit noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion und es sind weitere randomisierte Studien erforderlich, um sie zu einer den Kriterien der evidenzbasierten Medizin entsprechenden Behandlungsmethode qualifizieren zu können (vgl LSG Baden-Württemberg 27.04.2012, L 4 KR 595/11, in juris). Der Antrag der Patientenvertretung nach § 140f SGB V vom 20.03.2014 auf Bewertung der Liposuktion erstreckt sich daher folgerichtig auch auf die Behandlung im Krankenhaus (§ 137c SGB V); der GBA hat das diesbezügliche Beratungsverfahren eingeleitet (Beschluss des GBA vom 22.05.2014). § 137c SGB V setzt die Geltung des Qualitätsgebots auch im stationären Bereich nicht außer Kraft (BSG 21.03.2013, B 3 KR 2/12 R, BSGE 113, 167, SozR 4-2500 § 137c Nr 6).
Eine davon abweichende Betrachtung gebietet der konkrete Fall der Klägerin nicht. Trotz bislang nicht hinreichend erwiesener Wirksamkeit der Liposuktion zur Behandlung von Lipödemen ist der Klägerin eine Behandlung mittels Liposuktion nicht aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zu gewähren. Der Senat stützt sich hierbei auf das Gutachten Dr. W. vom MDK vom 14.11.2011. Der Gutachter hat einerseits auf erhebliche Risiken (Blutergüsse, anaphylaktische Reaktionen auf das Lokalanästhetikum, kardiale Nebenwirkungen durch die toxische Wirkung des Lokalanästhetikums, Auftreten von Schwellungen, Infektionen und Konturunregelmäßigkeiten der Haut) und in der Literatur genannte mögliche Komplikationen (ischämische Optikusneuropathie, nekrotisierende Faszitis, Schocksyndrom, Lundenödem, Fettembolie, postoperatives Lymphödem der Beine) der Behandlung hingewiesen. Er hat überdies dargelegt, dass im Falle der Klägerin ein komplexes therapeutisches Vorgehen, begonnen mit Ernährungsumstellung, Gewichtsreduktion, sportlicher Betätigung, regelmäßiges Tragen der Kompressionsstrümpfe, manuelle Lymphdrainage und bei Bedarf auch eine Entstauungsbehandlung angezeigt ist.
Ein Leistungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Systemmangels (so für die Liposuktion bereits LSG Baden-Württemberg 01.03.2013, L 4 KR 3517/11 sowie Urteil des Senats vom 24.03.2009, L 11 KR 4438/06; LSG Rheinland-Pfalz 07.02.2013, L 5 KR 9/12; Thüringer LSG 29.08.2012, L 6 KR 49/12 B; Hessisches LSG 25.08.2011, L 1 KR 250/10). Danach kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde ("Systemversagen"). Ein derartiger Systemmangel wird angenommen, wenn das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde (vgl BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/05 R - in juris). Auf Antrag der Patientenvertretung vom März 2014 hat der GBA mit Beschluss vom Mai 2014 das Bewertungsverfahren begonnen. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass dieses Bewertungsverfahren nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt wird.
Die Klägerin kann sich auch nicht auf § 2 Abs 1a SGB V, eingefügt durch Art 1 Nr 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG) vom 22.12.2011 (BGBl. I, S. 2983), mit Wirkung vom 01.01.2012, berufen. Diese Vorschrift setzt die Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 06.12.2005, 1 BvR 347/98 aaO) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG (zB BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R; 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R - alle in juris) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden, die Untersuchungsmethoden einschließen würden, in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung um. Der vom BVerfG entwickelte Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden, die durch den zuständigen GBA bisher nicht anerkannt sind, setzt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung voraus (BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R; 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, aaO).
Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use formuliert ist. Gerechtfertigt ist hiernach eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen ua nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb überschaubaren Zeitraums mit Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird; Ähnliches kann für den nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten. Einen solchen Schweregrad erreicht die Erkrankung der Klägerin nicht, wie sich aus dem Attest der Dres. S. et al. vom 11.04.2013 ergibt. Auch nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine wertungsmäßig einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbare Krankheit bei schmerzhaften Lipödemen regelmäßig nicht vor (BSG 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R aaO; ebenso Thüringer LSG 06.08.2014, L 6 KR 645/14 B, juris). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob konservative Therapien für die Klägerin als allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlungen erfolgsversprechend zur Verfügung gestanden haben und stehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin macht einen Anspruch auf Gewährung einer vollstationären Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems geltend.
Die Klägerin ist am 24.05.1966 geboren. Am 20.06.2011 beantragte sie über den behandelnden Arzt PD Dr. F. (Klinik für Dermatologie, Universitätsklinikum M.) die Durchführung einer Liposuktion. Beigefügt war eine Bescheinigung von PD Dr. F. vom 10.05.2011, in welchem ein Lipödem-Syndrom der Beine beidseits (ICD 10 R60.0) diagnostiziert wird. Bei der Klägerin sei seit dem 33. Lebensjahr eine zunehmende, teil schmerzhafte Vermehrung des Fettgewebes an den Beinen aufgetreten. Seit mehreren Jahren trage sie Kompressionsstrümpfe, welche die Beschwerden nicht verbessert hätten. Manuelle und maschinelle Lymphdrainagen seien ohne Erfolg geblieben. Es bestehe ein deutlicher Ruheschmerz und eine Druckdolenz in den betroffenen Regionen. Die Durchführung einer Liposuktion in Tumeszenz-Lokalanästhesie könne in 5 bis 6 Sitzungen ambulant durchgeführt werden. Es handle sich nicht um eine vertragsärztliche Leistung. Die Kosten beliefen sich auf ca 2.604,- EUR je Sitzung. Im Interesse der Patientin werde um Zusage der Kostenübernahme gebeten.
Die Beklagte veranlasste eine sozialmedizinische Begutachtung nach Aktenlage beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Im Gutachten vom 28.06.2011 wies Dr. S. darauf hin, dass es sich bei der beantragten Liposuktion um eine nichtvertragsärztliche Behandlung handle. Ein Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) liege nicht vor. Eine lebensbedrohliche, notstandsähnliche Situation sei nicht gegeben. Eine Kostenübernahme komme daher nicht in Betracht. An Behandlungsmethoden seien zu nennen: Tragen von Kompressionsstrümpfen, Lymphdrainage. Mit Schreiben vom 04.07.2011 (Bl 29 Verwaltungsakte) lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war dem Schreiben nicht beigefügt.
In einem weiteren als "Widerspruchs-Attest" bezeichneten Schreiben vom 20.09.2011 (Bl 53 Verwaltungsakte) führte PD Dr. F. aus, dass die begehrte Liposuktion aus seiner Sicht wirtschaftlich und zweckmäßig sei.
Die Beklagte veranlasste erneut eine sozialmedizinische Begutachtung nach Aktenlage beim MDK. Dr. W. wies unter dem 14.11.2011 (Bl 60 Verwaltungsakte) darauf hin, dass bei einer Körpergröße von 159 cm und einem Gewicht von 98,6 kg ein massives Übergewicht (BMI 39, adipositas per magna) vorliege. Bei der begehrten Liposuktion handle es sich um ein in der kosmetisch-ästhetischen Chirurgie etabliertes Behandlungsverfahren, das in der Regel bei Fettverteilungsstörungen im kosmetischen Bereich angewandt werde. Der GBA habe die beantragte Methode bislang nicht beraten, ein Antrag liege nicht vor. Risiken der Behandlung seien Blutergüsse, anaphylaktische Reaktionen auf das Lokalanästhetikum, kardiale Nebenwirkungen durch die toxische Wirkung des Lokalanästhetikums, Auftreten von Schwellungen, Infektionen und Konturunregelmäßigkeiten der Haut. In der Literatur würden folgende Komplikationen angegeben: ischämische Optikusneuropathie, nekrotisierende Faszitis, Schocksyndrom, Lundenödem, Fettembolie. Hinzu komme, dass es durch Verletzungen der kleinen Lymphbahnen postoperativ zu einem Lymphödem der Beine kommen könne, welches dann weiterer Kompressionstherapie bedürfe. Im ersten Antrag sei angegeben worden, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, sportliche Tätigkeiten auszuüben. Im Widerspruchsattest werde das Gegenteil angeführt, nämlich regelmäßige sportliche Betätigung. Angaben zu Bewegungseinschränkungen mit Dokumentation der Bewegungsumfangsmaße sowie der Umfangsmaße der Extremitäten würden nicht gemacht. Es stünden ausreichende vertragsärztliche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Eine Kostenübernahme für die begehrte Liposuktion könne nicht empfohlen werden. In erster Linie seien bei der Klägerin Maßnahmen zur Gewichtsreduktion erforderlich. Regelmäßig sollten Kompressionsstrümpfe der Klasse 2 bis 3 getragen werden. Insgesamt sei ein komplexes therapeutisches Vorgehen, begonnen mit Ernährungsumstellung, Gewichtsreduktion, sportlicher Betätigung, regelmäßiges Tragen der Kompressionsstrümpfe, manuelle Lymphdrainage und bei Bedarf auch eine Entstauungsbehandlung angezeigt.
Mit Bescheid vom 12.12.2011 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab (Bl 61 Verwaltungsakte).
Der hiergegen am 10.01.2012 erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2012 als unbegründet zurückgewiesen. Die streitige Behandlung sei keine Vertragsarztleistung und dürfe zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur abgerechnet werden, wenn der GBA in Richtlinien Empfehlungen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens abgegeben habe. Eine solche Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses liege nicht vor.
Hiergegen hat die Klägerin am 26.04.2012 Klage zum Sozialgericht M. (SG) erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine ambulante Liposuktion zu übernehmen. Zur Begründung hat die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Ausweislich der vorgelegten Atteste von PD Dr. F. vom 10.05. und 20.09.2011 komme eine andere Behandlungsmethode nicht in Betracht. Es liege eine dringende Behandlungsbedürftigkeit vor. Die bisherige Behandlung habe die Symptome nicht nachhaltig gebessert. Im Übrigen seien die Kompressionsstrümpfe im Vergleich zu der beantragten Behandlung langfristig kostenintensiver. Aufgrund der Gesamtsituation sei zwischenzeitlich auch ihre psychische Verfassung problematisch.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide Bezug genommen.
Mit Gerichtsbescheid vom 16.01.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Es bestehe kein Anspruch auf Durchführung der Liposuktion zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Therapeutische Maßnahmen, zu denen keine Empfehlung des GBA vorliege, könnten im Rahmen der ambulanten vertragsärztlichen Behandlung nicht erbracht bzw nicht vergütet werden. Lediglich für schwere, regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankungen, könne nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwas anderes gelten. Ein solcher Fall liege aber hier nicht vor.
Gegen den ihrer Prozessbevollmächtigen am 18.01.2013 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 15.02.2013 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Sie hat dabei - zunächst – weiterhin einen Anspruch auf Gewährung einer ambulanten Liposuktion geltend gemacht. Das SG habe sich nicht ausreichend mit der aktuellen gesundheitlichen Situation der Klägerin befasst. Der Gesundheitszustand habe sich weiter verschlechtert. Sie hat ein Attest der allgemeinmedizinischen Praxis Dres. S. ua vom 11.04.2013 vorgelegt (Bl 24 Senatsakte).
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 30.09.2014 hat die Klägerin dann erstmals den Antrag gestellt, die Liposuktion als vollstationäre Behandlung zu gewähren. Eine ambulant durchgeführte Liposuktion scheide im Hinblick auf ihren schlechten Gesundheitszustand aus.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts M. vom 16.01.2013 und die Bescheide der Beklagten vom 04.07.2011 und 12.12.2011, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine stationäre Liposuktion als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide und die Ausführungen des SG Bezug.
Auf Antrag der Patientenvertretung nach § 140f SGB V vom 20.03.2014 auf Bewertung der Liposuktion gemäß § 135 Abs 1 und § 137c SGB V hat der GBA das diesbezügliche Beratungsverfahren eingeleitet (Beschluss des GBA vom 22.05.2014), welches noch nicht abgeschlossen ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin verfolgt ihr Begehren zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage. Auch der Anspruch auf Gewährung einer Sachleistung ist mit der Leistungsklage geltend zu machen (vgl BSG 17.06.201, B 3 KR 7/09 R, BSGE 106, 173).
Der Senat hat das Schreiben der Beklagten vom 04.07.2011, ausgehend vom Grundsatz der Meistbegünstigung, in den klägerischen Antrag mit einbezogen. Dieses Schreiben enthält bereits die konkrete Einzelfallentscheidung der Ablehnung der begehrten Sachleistung und stellt einen Verwaltungsakt dar, der mit Bescheid vom 12.12.2011 von der Beklagten nochmals wiederholt wurde. Der Bescheid vom 04.07.2011 ist von der Klägerin innerhalb der einjährigen Widerspruchsfrist (mangels Rechtsbehelfsbelehrung gilt § 66 Abs 2 Satz 1 SGG) auch angefochten worden. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 04.04.2012 hat die Beklagte insgesamt über das Begehren der Klägerin, welches sich gegen die Bescheide vom 04.07.2011 und 12.12.2011 richtete, entschieden. Der Senat geht ferner zu Gunsten der Klägerin davon aus, dass die jetzt begehrte stationäre Liposuktion zulässiger Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist, obwohl zunächst nur eine ambulante Leistung verlangt wurde und für beide Leistungsformen unterschiedliche rechtliche Voraussetzungen gelten. Die streitgegenständliche Liposuktion gehört sowohl als ambulante als auch als stationäre Behandlung nicht zu den von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu erbringenden Leistungen.
Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr 5 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung ua auch die Krankenhausbehandlung. Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (§ 39 Abs 2 SGB V). Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung unterliegt nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB V den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er erfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.
Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V (ambulante Versorgung) nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 135 Abs 1 SGB V wird nämlich nach der ständigen Rechtsprechung nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zulasten der Krankenkasse erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistung verbindlich festgelegt (BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190, SozR 4-2500 § 27 Nr 12). Die ambulante Liposuktion ist eine neue Behandlungsmethode, weil sie nicht als abrechenbare Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßmaßstab enthalten ist. Eine positive Empfehlung des GBA liegt nicht vor, weshalb ein Anspruch auf diese Leistung nicht besteht.
Auch ein Anspruch auf eine stationär durchgeführte Liposuktion steht der Klägerin nicht zu. Allein der Umstand, dass eine Liposuktion im ambulanten Bereich nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, genügt nicht, um diese nunmehr stationär zu erbringen. Es ist in jedem Falle zu prüfen, ob Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit besteht (vgl BSG vom 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 19). Der Senat entnimmt der Bescheinigung des PD Dr. F. vom 10.05.2011, dass die Liposuktion ambulant durchgeführt werden kann und deshalb aus medizinischen Gründen keine Krankenhausbehandlung erforderlich ist. Auf die Bitte des (früheren) Berichterstatters vom März 2013, einen aktuellen Bericht des behandelnden Arztes vorzulegen, erwiderte die Klägerin, dass sie erst im August 2013 einen Termin in der Hautambulanz des Klinikums M. erhalten habe. Ein aktueller Bericht ist auch in der Folge nicht vorgelegt worden.
Unabhängig davon, besteht eine Anspruch auf Krankenhausbehandlung auch deshalb nicht, weil nach der neueren Rechtsprechung des BSG bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden auch in stationären Bereich eine positive Empfehlung des GBA erforderlich ist und es nicht mehr ausreicht, dass kein negatives Votum vorliegt. § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V gibt vor, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB V umfasst daher nur solche Leistungen, deren Qualität und Wirksamkeit diesen wissenschaftlichen Anforderungen entspricht.
Eine nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlungsmethode kann im Krankenhaus auch dann nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, wenn der GBA kein Negativvotum zu ihr abgegeben hat (BSG 21.03.2013, B 3 KR 2/12 R, BSGE 113, 167, SozR 4-2500 § 137c Nr 6). Neue Verfahren, die nicht ausreichend erprobt sind, oder Außenseitermethoden, die zwar bekannt sind, aber sich nicht bewährt haben, lösen keine Leistungspflicht der Krankenkasse aus (vgl zur stationären Liposuktion aufgrund eines Lipödems eingehend LSG Baden-Württemberg 27.04.2012, L 4 KR 595/11, in juris). Es ist nicht Aufgabe der Krankenkassen, die medizinische Forschung zu finanzieren (so ausdrücklich BT-Drs 11/2237, S 157). Die einzige Ausnahme bilden nach § 137c Abs 2 Satz 2 SGB V die Durchführung klinischer Studien. Behandlungen im Rahmen solcher Studien waren und sind daher zur Förderung des medizinischen Fortschritts stets zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechenbar. Außerhalb klinischer Studien muss es zu Qualität und Wirksamkeit einer Behandlungsmethode grundsätzlich zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen geben. Entsprechend der auch durch den GBA für seine Entscheidungen zugrunde gelegten Maßstäbe der evidenzbasierten Medizin ist dabei eine Sichtung und qualitative Bewertung der über eine Behandlungsmethode vorhandenen wissenschaftlichen Publikationen und Expertisen vorzunehmen (BSG 01.03.2011, B 1 KR 7/10 R, BSGE 107, 261, SozR 4-2500 § 35 Nr 5; 12.08.2009, B 3 KR 10/07 R, SozR 4-2500 § 139 Nr 4). Erforderlich ist mithin, dass der Erfolg der Behandlungsmethode objektivierbar, also in einer ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist (vgl zB BSG 18.05.2004, B 1 KR 21/02 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 1 Rn 7 mwN). Die höchste Beweiskraft haben danach direkte Vergleichsstudien mit anderen Behandlungsmethoden, also Studien der Evidenzklasse I (vgl zur Arzneimitteltherapie BSG 01.03.2011, B 1 KR 7/10 R aaO). Nur soweit derartige Studien nicht existieren, kann im Einzelfall auf andere, hinreichend aussage- und beweiskräftige Studien ausgewichen werden (LSG Baden-Württemberg 27.04.2012, L 4 KR 595/11, in juris).
Die Methode der Liposuktion zur Therapie des Lipödems ist derzeit noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion und es sind weitere randomisierte Studien erforderlich, um sie zu einer den Kriterien der evidenzbasierten Medizin entsprechenden Behandlungsmethode qualifizieren zu können (vgl LSG Baden-Württemberg 27.04.2012, L 4 KR 595/11, in juris). Der Antrag der Patientenvertretung nach § 140f SGB V vom 20.03.2014 auf Bewertung der Liposuktion erstreckt sich daher folgerichtig auch auf die Behandlung im Krankenhaus (§ 137c SGB V); der GBA hat das diesbezügliche Beratungsverfahren eingeleitet (Beschluss des GBA vom 22.05.2014). § 137c SGB V setzt die Geltung des Qualitätsgebots auch im stationären Bereich nicht außer Kraft (BSG 21.03.2013, B 3 KR 2/12 R, BSGE 113, 167, SozR 4-2500 § 137c Nr 6).
Eine davon abweichende Betrachtung gebietet der konkrete Fall der Klägerin nicht. Trotz bislang nicht hinreichend erwiesener Wirksamkeit der Liposuktion zur Behandlung von Lipödemen ist der Klägerin eine Behandlung mittels Liposuktion nicht aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zu gewähren. Der Senat stützt sich hierbei auf das Gutachten Dr. W. vom MDK vom 14.11.2011. Der Gutachter hat einerseits auf erhebliche Risiken (Blutergüsse, anaphylaktische Reaktionen auf das Lokalanästhetikum, kardiale Nebenwirkungen durch die toxische Wirkung des Lokalanästhetikums, Auftreten von Schwellungen, Infektionen und Konturunregelmäßigkeiten der Haut) und in der Literatur genannte mögliche Komplikationen (ischämische Optikusneuropathie, nekrotisierende Faszitis, Schocksyndrom, Lundenödem, Fettembolie, postoperatives Lymphödem der Beine) der Behandlung hingewiesen. Er hat überdies dargelegt, dass im Falle der Klägerin ein komplexes therapeutisches Vorgehen, begonnen mit Ernährungsumstellung, Gewichtsreduktion, sportlicher Betätigung, regelmäßiges Tragen der Kompressionsstrümpfe, manuelle Lymphdrainage und bei Bedarf auch eine Entstauungsbehandlung angezeigt ist.
Ein Leistungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Systemmangels (so für die Liposuktion bereits LSG Baden-Württemberg 01.03.2013, L 4 KR 3517/11 sowie Urteil des Senats vom 24.03.2009, L 11 KR 4438/06; LSG Rheinland-Pfalz 07.02.2013, L 5 KR 9/12; Thüringer LSG 29.08.2012, L 6 KR 49/12 B; Hessisches LSG 25.08.2011, L 1 KR 250/10). Danach kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde ("Systemversagen"). Ein derartiger Systemmangel wird angenommen, wenn das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde (vgl BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/05 R - in juris). Auf Antrag der Patientenvertretung vom März 2014 hat der GBA mit Beschluss vom Mai 2014 das Bewertungsverfahren begonnen. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass dieses Bewertungsverfahren nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt wird.
Die Klägerin kann sich auch nicht auf § 2 Abs 1a SGB V, eingefügt durch Art 1 Nr 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG) vom 22.12.2011 (BGBl. I, S. 2983), mit Wirkung vom 01.01.2012, berufen. Diese Vorschrift setzt die Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 06.12.2005, 1 BvR 347/98 aaO) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG (zB BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R; 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R - alle in juris) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden, die Untersuchungsmethoden einschließen würden, in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung um. Der vom BVerfG entwickelte Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden, die durch den zuständigen GBA bisher nicht anerkannt sind, setzt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung voraus (BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R; 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, aaO).
Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use formuliert ist. Gerechtfertigt ist hiernach eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen ua nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb überschaubaren Zeitraums mit Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird; Ähnliches kann für den nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten. Einen solchen Schweregrad erreicht die Erkrankung der Klägerin nicht, wie sich aus dem Attest der Dres. S. et al. vom 11.04.2013 ergibt. Auch nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine wertungsmäßig einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbare Krankheit bei schmerzhaften Lipödemen regelmäßig nicht vor (BSG 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R aaO; ebenso Thüringer LSG 06.08.2014, L 6 KR 645/14 B, juris). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob konservative Therapien für die Klägerin als allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlungen erfolgsversprechend zur Verfügung gestanden haben und stehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved