Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 142/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 369/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 04.01.2013 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten auch im Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand:
Der Beklagte und Berufungskläger wendet sich gegen einen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg (SG), mit dem er zur Zahlung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) verurteilt worden war.
Der 1977 geborene erwerbsfähige und mittellose Kläger befand sich vom 27.07.2006 bis 24.09.2009 im Zentrum für P. E. zur Therapie, dort erfolgte eine stationäre Unterbringung, Kostenträger war das Sozialministerium Baden-Württemberg. Ab dem 25.09.2009 lebte der Kläger in einer Einrichtung der C.-T.-W. S. e.V. in E ... Für die Zeit vom 25.09.2009 bis 31.10.2010 bewilligte das L. R.-N.-K. mit Bescheid vom 14.10.2009 Hilfe zur Überwindung sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 ff. des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII), die anfallenden Kosten im stationären Bereich würden übernommen, in den Maßnahmekosten sei auch ein Betrag für den persönlichen Bedarf in Höhe von 96,93 EUR enthalten. Die Maßnahme wurde im Anschluss daran mehrfach verlängert, zuletzt mit Bescheid vom 10.01.2012 bis 30.06.2012. Am 10.02.2012 verzog der Kläger nach F ...
Am 21.10.2009 beantragte der Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende beim Beklagten.
Mit nicht datiertem Bescheid lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab. Da der Kläger in einer vollstationären Einrichtung untergebracht sei, lägen die Voraussetzungen des SGB II nicht vor.
Mit Schreiben vom 04.12.2009, eingegangen am 08.12.2009, legte der Kläger Widerspruch ein. Der Begriff der Einrichtung in § 7 Absatz 4 SGB II sei danach zu bestimmen, ob durch die Unterbringung in der Einrichtung die Fähigkeit zur Aufnahme einer mindestens 3-stündigen täglichen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen sei. Das Konzept der Einrichtung sehe vor, dass Klienten trotz ihrer Unterbringung in einer vollstationären Einrichtung möglichst auf dem freien Arbeitsmarkt Fuß fassen können sollen.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2009 zurück. Da der Kläger in einer vollstationären Einrichtung lebe, könnten Leistungen nach § 7 Absatz 4 Satz 3 Nummer 2 SGB II nur ausnahmsweise gewährt werden, wenn der Kläger 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig sei. Der Kläger gehe jedoch keiner Erwerbstätigkeit nach.
Am 08.01.2010 hat der Kläger Klage zum SG erhoben. Ergänzend zu den Ausführungen im Widerspruch hat er zur Begründung vorgebracht, nach der Entscheidung des BSG komme es nicht auf die individuelle Leistungsfähigkeit bzw. Erwerbsfähigkeit des Hilfsbedürftigen an, sondern auf die objektive Struktur und Art der Einrichtung. Wenn die Einrichtung so strukturiert sei, dass eine Erwerbstätigkeit möglich sei, die den zeitlichen Kriterien das § 8 Absatz 1 SGB II genüge, so seien Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.
Auf eine Anfrage des SG hat die C.-T.-W. S. e.V. mit Schreiben vom 04.05.2012 mitgeteilt, dass dort dem Klienten genügend Raum für Entwicklungsmöglichkeiten und Wünsche geboten werde. Wenn ein Klient gesundheitlich in der Lage sei, sich auf dem freien Arbeitsmarkt zu bewerben, werde dies grundsätzlich unterstützt. Die tagesstrukturierenden Maßnahmen würden umstrukturiert und die Betreuung verlagere sich. Man leiste Hilfe bei Bewerbungsschreiben und die Mitarbeiter stünden den Klienten auch während eines zustande gekommenen Arbeitsverhältnisses zur Verfügung. Mit dem Kläger sei man von Anfang an auf Arbeitsuche gewesen. Solange kein Arbeitsverhältnis bestanden habe, habe der Kläger an folgender Tagesstruktur teilnehmen müssen: Montag bis Donnerstag 9:00-13:00 Uhr Arbeitstherapie Montag ab 16:00 Uhr Gespräch Dienstag ab 16:00 Uhr Kochgruppe und Gespräch Mittwoch ab 16:00 Uhr gemeinsame Putzgruppe Freitag ab 15:30 Uhr Kaffeegruppe und Wochengruppenbesprechung
Mit Gerichtsbescheid vom 04.01.2013 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009 verurteilt, dem Kläger vom 23.10.2009 bis 09.02.2012 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, und die Klage im Übrigen abgewiesen, da der Kläger ab 10.02.2012 nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des Beklagten lebe.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 22.01.2013 Berufung eingelegt. Der Kläger habe sich in einer vollstationären Einrichtung befunden. Die C.-T.-W. S. e.V. bezeichne sich selbst als eine solche. § 7 Absatz 4 SGB II ziele genau auf Fälle wie denjenigen des Klägers ab. Erst im Falle der Erwerbstätigkeit und auch nur dann bestehe ein Anspruch nach dem SGB II.
Der Beklagte beantragt (sinngemäß), den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 04.01.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat sich nicht geäußert.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 f. und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet.
Zur Überprüfung steht der Bescheid des Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009, mit dem der Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab dem 23.10.2009 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum erstreckt sich in Fällen ablehnender Verwaltungsentscheidungen grundsätzlich bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R – BSGE 97, 265-279; Urteile vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 59/06 R – und 15.04.2008 – B 14/7b AS 52/06 R – (beide juris)). Da das SG jedoch nur bis zum 09.02.2012 zugesprochen hat und der Kläger hiergegen keine Berufung eingelegt hat, ist der Streitgegenstand auf diesen Zeitraum beschränkt.
Das SG hat den Beklagten zu Recht zu Leistungen nach dem SGB II verurteilt. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Nach § 7 Absatz 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben; (2.) erwerbsfähig sind, (3.) hilfebedürftig sind und (4.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Der Kläger war zu Beginn des streitigen Zeitraums 31 Jahre alt, er hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und ist hilfebedürftig. Hilfebedürftig ist nach § 9 Absatz 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem (1.) nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, (2.) aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Absatz 1 SGB II in der vom 01.08.2006 bis 31.12.2010 geltenden Fassung; anders formuliert, aber ohne rechtliche Änderung die ab 01.01.2011 geltende Fassung). Der Kläger hatte im streitigen Zeitraum weder Einkommen, noch verfügte er über anzurechnendes Vermögen i.S.v. § 12 SGB II, er erhielt lediglich Leistungen vom R.-N.-K. nach §§ 67 ff. SGB XII (Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten). Diese Leistungen schließen jedoch Ansprüche nach dem SGB II auf Sicherung des Lebensunterhalts nicht aus (§ 5 Absatz 2 SGB II, § 21 Satz 1 SGB XII). Der Kläger war auch erwerbsfähig. Nach § 8 Absatz 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Tatsachen, die gegen eine Erwerbsfähigkeit des Klägers sprechen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich, so dass der Senat keinen Grund hat, an der Erwerbsfähigkeit des Klägers zu zweifeln.
Dem Anspruch des Klägers steht, wie das SG zutreffend entschieden hat, § 7 Absatz 4 Satz 1 SGB II (in der hier anwendbaren ab 01.01.2008 geltenden Fassung) nicht entgegen. Danach erhält Leistungen nicht, wer u.a. in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. Abweichend davon erhält Leistungen nach dem SGB II, (1.) wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) untergebracht ist oder (2.) wer in einer stationären Einrichtung untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist (§ 7 Absatz 4 Satz 3 SGB II). Die C.-T.-W. S. e.V. stellt im vorliegenden Fall jedoch keine stationäre Einrichtung in o.g. Sinne dar.
§ 7 Absatz 4 SGB II enthält eine gesetzliche Fiktion, wonach der eigentlich erwerbsfähige Hilfebedürftige als erwerbsunfähig anzusehen und vom Leistungsbezug nach dem SGB II auszuschließen ist (BSG, Urteile vom 06.09.2007 – B 14/7b 16/07 R – BSGE 99, 88 ff. und vom 07.05.2009 – B 14 AS 16/08 R – juris; Spellbrink/Becker, in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 7 Rn. 118). Diese gesetzliche Fiktion kann nur durch Aufnahme einer mindestens 15 Wochenstunden umfassenden Erwerbstätigkeit zu regulären Arbeitsmarktbedingungen widerlegt werden (§ 7 Absatz 4 Satz 3 SGB II). Durch die Fiktion des in einer Einrichtung Untergebrachten als erwerbsunfähig wird zugleich der Leistungsausschluss im Rahmen der Sozialhilfe vermieden (§§ 5 Absatz 2 SGB II, 21 SGB XII). Nach der Rechtsprechung des BSG kommt es insoweit ausschließlich auf die objektive Struktur und Art der Einrichtung an. Ist die Einrichtung so strukturiert und gestaltet, dass es dem dort Untergebrachten nicht möglich ist, aus der Einrichtung heraus eine Erwerbstätigkeit auszuüben, die den zeitlichen Kriterien des § 8 SGB II genügt, ist der Hilfebedürftige dem SGB XII zugewiesen. Maßgebend für eine solche Systementscheidung ist insoweit die Annahme, dass der in einer Einrichtung Untergebrachte aufgrund der Vollversorgung und der Einbindung in die Tagesabläufe der Einrichtung räumlich und zeitlich so weitgehend fremdbestimmt ist, dass er für die für das SGB II im Vordergrund stehenden Integrationsbemühungen nicht ausreichend zur Verfügung steht (BSG, a.a.O). Nach alledem ist der Begriff der Einrichtung danach zu bestimmen, ob durch die Unterbringung in der Einrichtung die Fähigkeit zur Aufnahme einer mindestens dreistündigen täglichen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist. Im Rahmen des § 7 Absatz 4 SGB II wird der sozialhilferechtliche Einrichtungsbegriff daher unter dem Gesichtspunkt der Erwerbsfähigkeit zeitlich objektiviert (BSG, a.a.O.).
Nach der Stellungnahme der C.-T.-W. S. e.V. im Verfahren vor dem SG steht fest, dass es dem Kläger ohne weiteres möglich gewesen wäre, eine 15 Wochenstunden umfassende Erwerbstätigkeit außerhalb der C.-T.-W. S. e.V. aufzunehmen. Zwar hatte der Kläger nach Auskunft der C.-T.-W. S. e.V. feste tagesstrukturierende Termine, diese wären jedoch, wenn der Kläger eine Arbeit aufgenommen hätte, weggefallen bzw. anders gelegt worden. Die Termine wären nach der Auskunft der C.-T.-W. S. e.V. einer Beschäftigung auf dem freien Arbeitsmarkt untergeordnet worden, da sie nur "solange" durchgeführt würden, wie der Kläger keiner Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgeht. Sinn und Zweck der Maßnahme war es mithin gerade, den Kläger wieder dem allgemeinen Arbeitsmarkt anzunähern bzw. diesen in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Hierzu wurden bereits im Vorfeld tagesstrukturierende Maßnahme durchgeführt. Soweit der Beklagte vorbringt, § 7 Absatz 4 SGB II ziele gerade auf Fälle wie den vorliegenden ab, so verkennt sie, dass die C.-T.-W. S.e.V. gerade eine Erwerbstätigkeit ermöglichen soll, während dies bei den stationären Einrichtungen nach § 7 Absatz 4 SGB II grundsätzlich gerade nicht des Fall ist. Im Übrigen wird nach § 153 Absatz 2 SGG auf die überzeugenden Ausführungen des SG Bezug genommen.
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten auch im Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand:
Der Beklagte und Berufungskläger wendet sich gegen einen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg (SG), mit dem er zur Zahlung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) verurteilt worden war.
Der 1977 geborene erwerbsfähige und mittellose Kläger befand sich vom 27.07.2006 bis 24.09.2009 im Zentrum für P. E. zur Therapie, dort erfolgte eine stationäre Unterbringung, Kostenträger war das Sozialministerium Baden-Württemberg. Ab dem 25.09.2009 lebte der Kläger in einer Einrichtung der C.-T.-W. S. e.V. in E ... Für die Zeit vom 25.09.2009 bis 31.10.2010 bewilligte das L. R.-N.-K. mit Bescheid vom 14.10.2009 Hilfe zur Überwindung sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 ff. des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII), die anfallenden Kosten im stationären Bereich würden übernommen, in den Maßnahmekosten sei auch ein Betrag für den persönlichen Bedarf in Höhe von 96,93 EUR enthalten. Die Maßnahme wurde im Anschluss daran mehrfach verlängert, zuletzt mit Bescheid vom 10.01.2012 bis 30.06.2012. Am 10.02.2012 verzog der Kläger nach F ...
Am 21.10.2009 beantragte der Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende beim Beklagten.
Mit nicht datiertem Bescheid lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab. Da der Kläger in einer vollstationären Einrichtung untergebracht sei, lägen die Voraussetzungen des SGB II nicht vor.
Mit Schreiben vom 04.12.2009, eingegangen am 08.12.2009, legte der Kläger Widerspruch ein. Der Begriff der Einrichtung in § 7 Absatz 4 SGB II sei danach zu bestimmen, ob durch die Unterbringung in der Einrichtung die Fähigkeit zur Aufnahme einer mindestens 3-stündigen täglichen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen sei. Das Konzept der Einrichtung sehe vor, dass Klienten trotz ihrer Unterbringung in einer vollstationären Einrichtung möglichst auf dem freien Arbeitsmarkt Fuß fassen können sollen.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2009 zurück. Da der Kläger in einer vollstationären Einrichtung lebe, könnten Leistungen nach § 7 Absatz 4 Satz 3 Nummer 2 SGB II nur ausnahmsweise gewährt werden, wenn der Kläger 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig sei. Der Kläger gehe jedoch keiner Erwerbstätigkeit nach.
Am 08.01.2010 hat der Kläger Klage zum SG erhoben. Ergänzend zu den Ausführungen im Widerspruch hat er zur Begründung vorgebracht, nach der Entscheidung des BSG komme es nicht auf die individuelle Leistungsfähigkeit bzw. Erwerbsfähigkeit des Hilfsbedürftigen an, sondern auf die objektive Struktur und Art der Einrichtung. Wenn die Einrichtung so strukturiert sei, dass eine Erwerbstätigkeit möglich sei, die den zeitlichen Kriterien das § 8 Absatz 1 SGB II genüge, so seien Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.
Auf eine Anfrage des SG hat die C.-T.-W. S. e.V. mit Schreiben vom 04.05.2012 mitgeteilt, dass dort dem Klienten genügend Raum für Entwicklungsmöglichkeiten und Wünsche geboten werde. Wenn ein Klient gesundheitlich in der Lage sei, sich auf dem freien Arbeitsmarkt zu bewerben, werde dies grundsätzlich unterstützt. Die tagesstrukturierenden Maßnahmen würden umstrukturiert und die Betreuung verlagere sich. Man leiste Hilfe bei Bewerbungsschreiben und die Mitarbeiter stünden den Klienten auch während eines zustande gekommenen Arbeitsverhältnisses zur Verfügung. Mit dem Kläger sei man von Anfang an auf Arbeitsuche gewesen. Solange kein Arbeitsverhältnis bestanden habe, habe der Kläger an folgender Tagesstruktur teilnehmen müssen: Montag bis Donnerstag 9:00-13:00 Uhr Arbeitstherapie Montag ab 16:00 Uhr Gespräch Dienstag ab 16:00 Uhr Kochgruppe und Gespräch Mittwoch ab 16:00 Uhr gemeinsame Putzgruppe Freitag ab 15:30 Uhr Kaffeegruppe und Wochengruppenbesprechung
Mit Gerichtsbescheid vom 04.01.2013 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009 verurteilt, dem Kläger vom 23.10.2009 bis 09.02.2012 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, und die Klage im Übrigen abgewiesen, da der Kläger ab 10.02.2012 nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des Beklagten lebe.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 22.01.2013 Berufung eingelegt. Der Kläger habe sich in einer vollstationären Einrichtung befunden. Die C.-T.-W. S. e.V. bezeichne sich selbst als eine solche. § 7 Absatz 4 SGB II ziele genau auf Fälle wie denjenigen des Klägers ab. Erst im Falle der Erwerbstätigkeit und auch nur dann bestehe ein Anspruch nach dem SGB II.
Der Beklagte beantragt (sinngemäß), den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 04.01.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat sich nicht geäußert.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 f. und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet.
Zur Überprüfung steht der Bescheid des Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009, mit dem der Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab dem 23.10.2009 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum erstreckt sich in Fällen ablehnender Verwaltungsentscheidungen grundsätzlich bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R – BSGE 97, 265-279; Urteile vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 59/06 R – und 15.04.2008 – B 14/7b AS 52/06 R – (beide juris)). Da das SG jedoch nur bis zum 09.02.2012 zugesprochen hat und der Kläger hiergegen keine Berufung eingelegt hat, ist der Streitgegenstand auf diesen Zeitraum beschränkt.
Das SG hat den Beklagten zu Recht zu Leistungen nach dem SGB II verurteilt. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Nach § 7 Absatz 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben; (2.) erwerbsfähig sind, (3.) hilfebedürftig sind und (4.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Der Kläger war zu Beginn des streitigen Zeitraums 31 Jahre alt, er hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und ist hilfebedürftig. Hilfebedürftig ist nach § 9 Absatz 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem (1.) nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, (2.) aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Absatz 1 SGB II in der vom 01.08.2006 bis 31.12.2010 geltenden Fassung; anders formuliert, aber ohne rechtliche Änderung die ab 01.01.2011 geltende Fassung). Der Kläger hatte im streitigen Zeitraum weder Einkommen, noch verfügte er über anzurechnendes Vermögen i.S.v. § 12 SGB II, er erhielt lediglich Leistungen vom R.-N.-K. nach §§ 67 ff. SGB XII (Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten). Diese Leistungen schließen jedoch Ansprüche nach dem SGB II auf Sicherung des Lebensunterhalts nicht aus (§ 5 Absatz 2 SGB II, § 21 Satz 1 SGB XII). Der Kläger war auch erwerbsfähig. Nach § 8 Absatz 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Tatsachen, die gegen eine Erwerbsfähigkeit des Klägers sprechen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich, so dass der Senat keinen Grund hat, an der Erwerbsfähigkeit des Klägers zu zweifeln.
Dem Anspruch des Klägers steht, wie das SG zutreffend entschieden hat, § 7 Absatz 4 Satz 1 SGB II (in der hier anwendbaren ab 01.01.2008 geltenden Fassung) nicht entgegen. Danach erhält Leistungen nicht, wer u.a. in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. Abweichend davon erhält Leistungen nach dem SGB II, (1.) wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) untergebracht ist oder (2.) wer in einer stationären Einrichtung untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist (§ 7 Absatz 4 Satz 3 SGB II). Die C.-T.-W. S. e.V. stellt im vorliegenden Fall jedoch keine stationäre Einrichtung in o.g. Sinne dar.
§ 7 Absatz 4 SGB II enthält eine gesetzliche Fiktion, wonach der eigentlich erwerbsfähige Hilfebedürftige als erwerbsunfähig anzusehen und vom Leistungsbezug nach dem SGB II auszuschließen ist (BSG, Urteile vom 06.09.2007 – B 14/7b 16/07 R – BSGE 99, 88 ff. und vom 07.05.2009 – B 14 AS 16/08 R – juris; Spellbrink/Becker, in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 7 Rn. 118). Diese gesetzliche Fiktion kann nur durch Aufnahme einer mindestens 15 Wochenstunden umfassenden Erwerbstätigkeit zu regulären Arbeitsmarktbedingungen widerlegt werden (§ 7 Absatz 4 Satz 3 SGB II). Durch die Fiktion des in einer Einrichtung Untergebrachten als erwerbsunfähig wird zugleich der Leistungsausschluss im Rahmen der Sozialhilfe vermieden (§§ 5 Absatz 2 SGB II, 21 SGB XII). Nach der Rechtsprechung des BSG kommt es insoweit ausschließlich auf die objektive Struktur und Art der Einrichtung an. Ist die Einrichtung so strukturiert und gestaltet, dass es dem dort Untergebrachten nicht möglich ist, aus der Einrichtung heraus eine Erwerbstätigkeit auszuüben, die den zeitlichen Kriterien des § 8 SGB II genügt, ist der Hilfebedürftige dem SGB XII zugewiesen. Maßgebend für eine solche Systementscheidung ist insoweit die Annahme, dass der in einer Einrichtung Untergebrachte aufgrund der Vollversorgung und der Einbindung in die Tagesabläufe der Einrichtung räumlich und zeitlich so weitgehend fremdbestimmt ist, dass er für die für das SGB II im Vordergrund stehenden Integrationsbemühungen nicht ausreichend zur Verfügung steht (BSG, a.a.O). Nach alledem ist der Begriff der Einrichtung danach zu bestimmen, ob durch die Unterbringung in der Einrichtung die Fähigkeit zur Aufnahme einer mindestens dreistündigen täglichen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist. Im Rahmen des § 7 Absatz 4 SGB II wird der sozialhilferechtliche Einrichtungsbegriff daher unter dem Gesichtspunkt der Erwerbsfähigkeit zeitlich objektiviert (BSG, a.a.O.).
Nach der Stellungnahme der C.-T.-W. S. e.V. im Verfahren vor dem SG steht fest, dass es dem Kläger ohne weiteres möglich gewesen wäre, eine 15 Wochenstunden umfassende Erwerbstätigkeit außerhalb der C.-T.-W. S. e.V. aufzunehmen. Zwar hatte der Kläger nach Auskunft der C.-T.-W. S. e.V. feste tagesstrukturierende Termine, diese wären jedoch, wenn der Kläger eine Arbeit aufgenommen hätte, weggefallen bzw. anders gelegt worden. Die Termine wären nach der Auskunft der C.-T.-W. S. e.V. einer Beschäftigung auf dem freien Arbeitsmarkt untergeordnet worden, da sie nur "solange" durchgeführt würden, wie der Kläger keiner Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgeht. Sinn und Zweck der Maßnahme war es mithin gerade, den Kläger wieder dem allgemeinen Arbeitsmarkt anzunähern bzw. diesen in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Hierzu wurden bereits im Vorfeld tagesstrukturierende Maßnahme durchgeführt. Soweit der Beklagte vorbringt, § 7 Absatz 4 SGB II ziele gerade auf Fälle wie den vorliegenden ab, so verkennt sie, dass die C.-T.-W. S.e.V. gerade eine Erwerbstätigkeit ermöglichen soll, während dies bei den stationären Einrichtungen nach § 7 Absatz 4 SGB II grundsätzlich gerade nicht des Fall ist. Im Übrigen wird nach § 153 Absatz 2 SGG auf die überzeugenden Ausführungen des SG Bezug genommen.
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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