L 3 AL 1993/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AL 3109/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 1993/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 13. März 2014 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung eines Gründungszuschusses (GZ).

Die 1984 geborene Klägerin ist gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin. Bis zum 30.06.2011 war sie in einem Krankenhaus angestellt. Sie kündigte Ihren Arbeitsvertrag am 23.05.2011 und meldete sich bei der Beklagten am 24.05.2011 zum 01.07.2011 arbeitslos. Mit Bescheid vom 30.06.2011 wurde der Klägerin Arbeitslosengeld (Alg) für 360 Kalendertage ab dem 01.07.2011 bewilligt; zugleich stellte die Beklagte in einem weiteren Bescheid eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe vom 01.07.2011 bis zum 22.09.2011 fest und minderte die Anspruchsdauer des Alg um 90 Tage. Mit Bescheid vom 04.07.2011 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg auf, da die Klägerin seit dem 02.07.2011 "eine selbstständige Tätigkeit als Krankenschwester" ausübe.

Wegen dieser Tätigkeit hatte die Klägerin bereits am 20.06.2011 mündlich GZ beantragt. Dabei gab sie an, bun¬desweit als Springer/Vertreter für die Dauer von 2 Wochen bis 3 Monaten an unterschiedlichen Kliniken arbeiten zu wollen. In ihrem schriftlichen Antrag auf GZ vom 01.07.2011 gab sie zusätzlich an, sie nehme eine Vermittlungsplattform in Anspruch, sie müsse sich an Arbeitszeiten, stationsspezifische Richtlinien und Inhalte halten, ebenso sei sie für die gebuchte Zeit örtlich gebunden. Sie könne die Tätigkeit jederzeit beenden und beziehe kein festes Gehalt von einem Arbeitgeber, sondern von mehreren. Sie müsse sich ihre Aufträge selbst besorgen und trage das Existenzrisiko. Zum Antrag legte sie neben einem Business-Plan die Kopie der Bescheinigung vom 15.04.2010 über eine erfolgreich abgeschlossene Weiterbildung und bestandene Abschluss¬prüfung als Praxisanleiterin bei.

Am 27.06.2011 meldete die Klägerin beim Finanzamt S. eine selbstständige Tätigkeit als freiberufliche Krankenschwester an. Ferner legte sie eine Mitteilung der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund vom 11.07.2011 vor, wonach die Selbstständigkeit lediglich anhand des einzel¬nen Vertragsverhältnisses geprüft werden könne. Darin wurden Merkmale der Tätigkeit, die für eine Selbstständigkeit, und solche, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen, aufgeführt. Die DRV kam darin zu dem Ergebnis, dass "wohl eine abhängige Beschäftigung vorliegen würde".

Mit Bescheid vom 16.08.2011 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf GZ ab. Es liege keine selbststän¬dige Tätigkeit vor.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch mit Schreiben vom 23.08.2011. Sie sei beim Finanz¬amt und bei der Krankenkasse als Selbstständige gemeldet. Sie verwies auch auf ein Statusfeststellungsverfahren bei der DRV Bund.

Die DRV Bund teilte der Beklagten unter dem 30.09.2011 mit, sie werde kein Statusfeststellungsverfahren führen. Das Schreiben vom 11.07.2011 sei kein verbindlicher Bescheid. Die Beklagte könne eigenverantwortlich für ihren Bereich über die Frage der Selbstständigkeit entscheiden.

Im weiteren Vorverfahren teilte die Klägerin mit, sie sei vorrangig in der Intensivmedizin tätig. Sie habe keine Verträge mit Krankenhäusern, sondern bediene sich zweier Vermittler. Sie teile online ihre freien Zeiten mit und werde ggfs. gebucht. Konditionen seien verhandelbar. Vor Ort spreche sie mit der Pflegedienstleitung über ihre Aufgaben. Auf Nachfrage legte die Klägerin sodann die Allgemeinen Ge¬schäfts¬bedingungen der Firma "Auftrags- und Freiberuflerbörse M.” sowie den Ausdruck einer online-Buchung ihrer Dienste durch die "H. Vermittlungsdienst für Freiberufler & Selbstständige" vor. In den AGB war geregelt, dass der Auftraggeber (Vermittlungsdienst) nicht gegenüber dem Auftragnehmer weisungsbefugt sei, dass die Hilfsmittel, Werkzeuge und Materialien vom Auftragnehmer zu stellen seien und der Auftragnehmer eigene Dienstkleidung nutzen werde. Vom Auftragnehmer solle wöchentlich eine Rechnung gestellt werden. Die Kündigung sei jederzeit ohne Einhaltung von Fristen möglich. Auf Nachfrage der Beklagten, was ihre Tätigkeit von der einer angestellten Krankenschwester unterscheide, teilte die Klägerin noch mit, sie könne jederzeit und mit sofortiger Wirkung gehen, wenn ihr die Voraussetzungen nicht gefielen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2011 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückge-wiesen. In der Gesamtbetrachtung würden die Umstände überwiegen, die für eine abhängige Be-schäftigung der Klägerin sprächen.

Am 08.11.2011 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Sie hat vorgetragen, die Beklagte habe nicht ausreichend abgewogen. Die von ihr – der Klägerin – beabsichtigte Dozententätigkeit neben ihrer Arbeit als Krankenschwester sei nicht berücksichtigt worden. Diese sei keine abhängige Beschäftigung. Das gelte auch für die Arbeit als Krankenschwester. Bei dieser Beurteilung sei nicht auf Arbeitszeit, Arbeitsort und Weisungsrecht abzustellen. Bei der alten Tätigkeit sei Krankheit durch Lohnfortzahlung abgesichert gewesen. Es habe ein Anspruch auf Urlaub bestanden. Sie habe einen festen Lohn erhalten. Damit sei die Klägerin stets finanziell versorgt gewesen. Nunmehr sei sie selbstständig, fungiere als Krankenschwester in Krankenhäusern, versorge auch Patienten außerhalb des Krankenhauses. Sie trage das Unternehmerrisiko. Sie könne sich ihre Kunden, den Zeitraum und die Ge¬genleistung aussuchen. Es bestehe eine persönliche Haftung mit dem gesamten Vermögen. Es seien auch Rechnungen im eigenen Namen ausgestellt worden. In den Krankenhäusern müsse sie nicht an Sitzungen, Fortbildungen oder Schulungen teilnehmen und auch die Ideologie des Hauses nicht weitergeben. Ihr werde eine Anzahl von Patienten zugewiesen und es bestehe die Verpflichtung, die Station an die folgende Schicht zu übergeben. Später hat sie noch vorgetragen, seit dem 01.11.2011 sei sie auch Arbeitgeberin, da sie die Büroarbeiten nicht mehr alleine bewältigen könne; sie haben ihren Ehemann eingestellt. Die Klägerin hat Rechnungen über Einsätze in Klinken, zahlreiche Weiterbildungsbescheinigungen und den Bescheid der DRV Bund vom 23.12.2011 über eine versicherungspflichtige Beschäftigung ihres Ehemannes zur Akte gegeben. Ferner hat sie das "Besprechungsergebnis des G.-Spitzenverbandes, der DRV Bund und der Bundesagentur für Arbeit über die versicherungsrechtliche Beurteilung von zeitlich begrenzt einge¬setzten Pflegepersonen in Krankenhäusern, Alten- oder Pflegeheimen" vom 08./09.05.2012 sowie eine Stellungnahme des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe über die freiberufliche Berufsausübung von Pflegefachpersonen vom August 2012 vorgelegt.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat vorgetragen, der GZ sei nur für eine Tätigkeit als Krankenschwester, nicht für eine solche als Dozentin, beantragt worden. Auch die etwaige Beschäftigung ihres Ehemannes mache ihre eigene Tätigkeit als Krankenschwester nicht zu einer selbstständigen.

Mit Beschluss vom 10.01.2012 hat das SG die DRV Bund und die B. als die für die Klägerin zuständige Krankenkasse (Einzugsstelle) zum Verfahren beigeladen. Beide haben sich den Ausführungen der Beklagten angeschlossen. Die Bg. 2 hat noch mitgeteilt, die Klägerin sei bei ihr zwar als Selbstständige freiwillig versichert, eine versicherungsrechtliche Prüfung habe sie – die Bg. 2 – jedoch nicht vorgenommen.

In der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2014 hat das SG die Klägerin persönlich angehört. Diese hat dort unter anderem mitgeteilt, sie sei schwanger und beziehe keine Einkünfte mehr, müsse aber weiterhin Vorauszahlungen an das Finanzamt und Beiträge an die Bg. 2 abführen. Zu ihren Einsätzen hat sie angegeben, die Vermittlungsplattformen stellten den Kontakt zu nachfragenden Kliniken her. Mit diesen werde über die Arbeitszeiten und das Honorar verhandelt. Sie stelle sich dann im Krankenhaus vor, z.T. kenne sie die Pflegedienstleitungen auch schon, und sie – die Klägerin – suche sich dann die Patienten aus, die sie betreuen wolle bzw. sie werde gefragt, ob es in Ordnung sei, wenn sie bestimmte Patienten versorge. Sie dürfe auf den Intensivstationen aus hygienischen Gründen kein eigenes Material mitbringen und auch außer Schuhen keine eigene Kleidung tragen. Sie habe z.T. für mehrere Kliniken gleichzeitig gearbeitet, z.B. in der Frühschicht in der einen und in der Spätschicht in der anderen. Später habe sie sich auch direkt bei Kliniken vorgestellt. In den Dienstplänen sei allenfalls ein Hinweis auf sie genannt worden. Bei eigener Krankheit sei erwartet worden, dass sie sich melde. Regress könne die Klinik dann – wegen ihrer, der Klägerin, AGB – nicht nehmen, die Klinik müsse vielmehr selbst Ersatz suchen. Sie habe auch jemanden schicken können, sofern die Qualifikation übereingestimmt habe.

Mit Urteil von jenem Tage, dem 13.03.2014, hat das SG die Klage abgewiesen. Nach der bei Antragstellung noch geltenden Fassung der Anspruchsgrundlage für GZ habe kein Ermessen bestanden. Die geförderte Tätigkeit habe jedoch selbstständig sein müssen. Dies sei nicht der Fall, in ihrer insoweit maßgeblichen Tätigkeit als Krankenschwester – auf eine Tätigkeit als Dozentin habe sich der Antrag nicht erstreckt – sei die Klägerin abhängig beschäftigt. Beschäftigung liege vor, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung der Arbeit umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliege. Selbstständigkeit sei demgegenüber vorrangig durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Arbeitszeit gekennzeichnet. Die Einstufung hänge davon ab, welche Merkmale überwögen. Bei der Klägerin seien dies die Merkmale einer Beschäftigung. Sie sei in den Betrieb der Intensivstationen eingegliedert. Die Kliniken stellten alle erforderlichen Verbrauchsmaterialien und den Pflegebedarf sowie die Arbeitskleidung. Die Klägerin setze ausschließlich ihre eigene Arbeitskraft ein, aber kein eigenes Kapital. Auch wenn sie grundsätzlich allein Patienten betreue, so sei sie z.B. in Notfällen doch auf die Hilfe anderer Pfleger oder der Ärzte angewiesen. Es könne auch unterstellt werden, dass bei einer kurzfristigen Pause die angestellten Pflegekräfte auf der Station auch die Patienten der Klägerin überwachten. Die Klägerin behandle auch nur im Rahmen der ärztlichen Anordnungen. Ferner müsse sie sich an die jeweiligen Richtlinien der Klinik halten, woraus sich ergebe, dass sie zumindest teilweise weisungsgebunden sei. Dies gelte trotz des Umstandes, dass sie hinsichtlich der Ausführung der Pflege im Einzelnen keine Weisungen erhalte. Bei einer erfahrenen und gut ausgebildeten Pflegekraft wie der Klägerin könne das Weisungsrecht auch auf ein Mindestmaß beschränkt sein, und zwar – wie üblich bei Diensten höherer Art – zu einer "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess". Dass die Klägerin ihre Einsätze absprechen könne, ändere nichts an der Weisungsgebundenheit während dieser Einsätze. Auch Arbeitnehmer träfen mit ihren Arbeitgebern Vereinbarungen über die Lage der Arbeitszeit. Die jederzeitige Kündigungsmöglichkeit der Klägerin ohne Einhaltung von Fristen spreche zwar für eine Selbstständigkeit. Dagegen führten die Umstände, dass die Klägerin keine Entgeltfortzahlung und keinen Urlaub erhalte, nicht zu der Annahme, dass sie selbstständig tätig sei, denn die gesetzlichen Grundlagen hierfür setzten Wartezeiten voraus, die die Klägerin mit ihren kurzen Einsätzen nicht erreiche. Auch nach der Verkehrsanschauung sei die Klägerin als Krankenschwester in einer Klinik abhängig beschäftigt; auch führe sie die selben Arbeiten durch wie ihre fest angestellten Kolleginnen. Letztlich, so das SG, führe auch nicht die Beschäftigung des Ehemannes zu einer Selbstständigkeit, denn auch Arbeitnehmer könnten ihrerseits Arbeitnehmer beschäftigen, auch wenn beide Ebenen möglicherweise zusammenhingen.

Gegen dieses Urteil, ihrem Prozessbevollmächtigten am 04.04.2014 zugestellt, hat die Klägerin am Montag, dem 05.05.2014, Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Sie verweist darauf, dass sie für mehrere Auftraggeber tätig sein könne, keinem Weisungsrecht unterliege und berechtigt sei, die Aufträge durch Dritte ausführen zu lassen. Sie trage auch das Risiko, keine Aufträge zu bekommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 13. März 2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. August 2011 und des Widerspruchsbescheids vom 20. Oktober 2011 zu verurteilen, ihr für ihre Tätigkeit als Krankenschwester ab dem 02. Juli 2011 Gründungszuschuss nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, ein Anspruch auf GZ habe die Klägerin unabhängig von der Einstufung ihrer Tätigkeit nicht. Zum einen habe die Aufnahme dieser Tätigkeit keine Arbeitslosigkeit beendet. Die Klägerin sei zuvor nicht arbeitslos gewesen. Sie sei nämlich vom 01.07.2011 an nicht bereit gewesen, eine zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Sie habe bereits bei ihrer Vorsprache am 20.06.2011 zum Ausdruck gebracht, eine selbstständige Tätigkeit als Springerin/Vertreterin bundesweit an Krankenhäusern aufnehmen zu wollen, sie habe ihre selbstständige Tätigkeit auch schon am 27.06.2011 beim Finanzamt angemeldet. Zum anderen habe der Klägerin auch nicht, wie es der Anspruch auf GZ vorausgesetzt habe, bei Aufnahme der Tätigkeit ein Anspruch a¬uf Entgeltersatzleistungen gegen die Beklagte zugestanden. Ihr Anspruch auf Alg habe nämlich am 01.07.2011 wegen der Sperrzeit geruht (Verweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urt. v. 24.06.1993, 11 RAr 1/92, Juris Rn.17).

Die Beigeladenen haben keine eigenen Anträge gestellt. Beide haben auf Anfrage des Gerichts mitgeteilt, es gebe gegenwärtig einige Rechtsstreitigkeiten bundesweit zur Einstufung vermeintlich selbstständig tätiger Kranken- und Altenpflegekräfte bei Tätigkeiten in Kliniken und stationären Pflegeeinrichtungen. Sie haben dazu Urteile mehrerer Sozial- und Landessozialgerichte vorgelegt.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einen vorformulierten "Honorarvertrag über freiberufliche Dienstleistungen" zur Akte gegeben und hierzu vorgetragen, diesen Vertrag schließe sie jeweils mit den Kliniken, die sie beauftragten. Auf den Inhalt dieses Vertragsmusters wird verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung der Klägerin ist statthaft (§ 143 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, da die Klägerin aus dem erstinstanzlichen Urteil um mehr als EUR 750,00 beschwert ist. Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG).

2. Sie ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG gegen die Beklagte abgewiesen. Die Klägerin hat für ihre Tätigkeit als Krankenschwester ab dem 02.07.2011 keinen Anspruch auf GZ gegen die Beklagte. Daher erweisen sich die angefochtenen Bescheide als rechtmäßig.

a) Nach § 57 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl I S. 1706), die auf den Antrag der Klägerin vom 20.06.2011 noch anwendbar war, hatten Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Le¬bensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen (nicht ermessensabhängigen) Anspruch auf einen Gründungszuschuss. Der Anspruch setzte nach § 57 Abs. 2 S. 1 SGB III a.F. u.a. voraus, dass der Versicherte bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III hatte oder eine Beschäftigung ausgeübt hatte, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach diesem Buche gefördert worden war. Hinzu kamen weitere Voraussetzungen, die hier nicht streitig sind.

b) Bei der Klägerin fehlte es, worauf die Beklagte in ihrem letzten Schriftsatz vom 25.09.2014 zutreffend hingewiesen hat, schon an der Voraussetzung des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 lit. a SGB III a.F. Am Tag vor der Aufnahme der selbstständigen Beschäftigung, also am 01.07.2011, hatte sie keinen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III gegen die Beklagte.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, dass der Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dieser Vorschrift zumindest für einen Tag dem Grunde nach entstanden sein muss und auch nicht geruht haben darf, d.h., die Entgeltersatzleistung muss für mindestens einen Tag vor der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit tatsächlich zu zahlen sein (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 16.04.2014, L 9 AL 297/13, Juris Rn. 45; Jüttner, in: NK-SGB III, 5. Aufl. 2013, § 93 Rn. 19; Winkler, in: Gagel, SGB III, § 93 Rn. 25, Stand: April 2012). Das BSG hat hierzu – noch zum früheren Überbrückungsgeld – ausgeführt, ein "Anspruch" auf Alg bzw. eine andere Entgeltersatzleistung i.S.v. § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III liege vor, wenn die materiellen Voraussetzungen eines konkreten Zahlungsanspruchs auf die jeweilige Entgeltersatzleistung gegeben sind. Ein bloßes Stammrecht reiche nicht aus (BSG, Urteil vom 05.05.2010, B 11 AL 11/09 R, Juris Rn. 16). Daher genügt ein bloß ruhender Anspruch nicht. Dies gilt auch bei einem Ruhen wegen einer Sperrzeit. Denn der Zweck des Gründungszuschusses, der darin besteht, den Lebensunterhalt zu sichern und insoweit das infolge der Existenzgründung wegfallende Alg zu kompensieren (vgl. BT-Drucks. 16/1696 S. 30, zu § 57 Abs. 1), kann nicht erreicht werden, wenn ein Zahlungsanspruch auf Alg nicht bestand.

Der Anspruch der Klägerin auf Alg ruhte auf Grund des Bescheids vom 30.06.2011 ab dem ersten Tag der angegebenen Arbeitslosigkeit, dem 01.07.2011, für die Dauer von zwölf Wochen. Er ruhte damit auch unmittelbar vor Aufnahme der möglicherweise selbstständigen Tätigkeit am 02.07.2011. Dass ein möglicher Anspruch der Klägerin auf GZ später, nach dem Ende der Sperrzeit und einem anschließenden tatsächlichen Bezug von Alg, jedenfalls nicht an dieser Voraussetzung gescheitert wäre, ändert an der Entscheidung nichts, denn die konkrete Tätigkeit war am 02.07.2011 aufgenommen worden; im Anschluss hatte die Beklagte die Alg-Bewilligung im Ganzen aufgehoben.

c) Ferner meint auch der Senat - wie das SG -, dass bei der Klägerin bereits die Eingangsvoraussetzung für die Gewährung von GZ gefehlt hat. Ihre Arbeit als Krankenschwester ab dem 02.07.2011 war keine selbstständige Tätigkeit, sondern eine abhängige Beschäftigung.

aa) Beschäftigung ist nach § 7 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Die Beschäftigung ist unter anderem von einer selbstständigen Tätigkeit abzugrenzen: Selbstständig ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (§ 84 Abs. 1 Satz 2 Handelsgesetzbuch [HGB]). Eine selbstständige Tätigkeit ist vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit Bundesverfassungsgericht [BVerfG] SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (vgl. BSG SozR 4-2400 § 7 Nr. 7 Rn. 16).

bb) Bei der Klägerin überwiegen in diesem Sinne deutlich die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung: So kann sie ihre Tätigkeit nicht frei gestalten: Sie ist in einen fremden Betrieb eingegliedert und weisungsunterworfen (§ 315 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]), denn sie muss sich an Behandlungspläne und andere Vorgaben für die Pflege halten, die ärztlicherseits oder durch die Pflegedienstleitung vorgegeben werden. Sie kann weder Zeit noch Ort ihrer Arbeit frei bestimmen: Sobald sie sich für einen bestimmten Auftrag vertraglich gebunden hat, ist sie auf jene Schicht oder Schichten beschränkt, die das Krankenhaus vorgibt. Sie muss ihren Dienst dann auf der Station erbringen, auf der die Patienten liegen und kann die Patienten nicht an anderer Stelle betreuen. Insofern fehlt auch eine eigene Betriebsstätte. Die Klägerin setzt auch nur ihre eigenen Arbeitskraft ein, aber kein eigenes Kapital, sie geht nicht in Vorleistungen und trägt auch nicht das Risiko finanzieller Verluste (also Einbußen an schon vorhandenem eigenem Vermögen) auf Grund der Entwicklungen des Marktes. Insofern fehlt das notwendige Unternehmerrisiko. Daran ändert auch die umfassende Haftung der Klägerin für Schäden nichts. Der Begriff des Unternehmerrisikos ist nicht beschränkt auf die Schadensersatzhaftung, denn diese trifft grundsätzlich auch Arbeitnehmer, sondern meint die Gefahr, bereits eingesetztes Kapital zu verlieren, also mit der Geschäftstätigkeit "Verluste zu machen".

cc) Für eine selbstständige Tätigkeit spricht allenfalls, dass die Klägerin - allerdings eben nur vor Vertragsschluss - einzelne Ein¬sätze ablehnen kann.

dd) Die weiteren Argumente, die die Klägerin für eine selbstständige Tätigkeit vorbringt, überzeugen den Senat nicht:

So trifft es z.B. nicht zu, dass sie "jederzeit" kündigen und ihre Arbeit einstellen könne, wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nochmals gemeint hat. Zum einen enthalten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), die sie selbst verwendet und die sie als Teil ihres Mustervertrags in der mündlichen Verhandlung zur Akte gereicht hat, in jedem Falle eine Kündigungsfrist von 10 Tagen (§ 10 Satz 1). Damit ist die Klägerin auf Grund ihrer eigenen Verträge nicht wesentlich freier als ein Arbeitnehmer, der in einer entsprechenden Situation binnen 14 Tagen kündigen kann (vgl. § 622 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) und sogar noch weitergehend gebunden als ein anderer - möglicherweise ebenfalls als Beschäftigter einzustufender - Dienstverpflichteter, der unter Umständen sogar tageweise kündigen kann (§ 621 Nr. 1 BGB). Zum anderen wäre es der Klägerin selbst dann, wenn sie ihre Tätigkeit als Selbstständige erbrächte, nach § 675 Abs. 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 671 Abs. 2 Satz 1 BGB verboten, zur Unzeit zu kündigen. Auch ein selbstständig tätiger Dienstverpflichteter oder Werkunternehmer muss solange weiterarbeiten, bis der Berechtigte bzw. Besteller eine Ersatzkraft gefunden hat. Dies ist gerade in einer Tätigkeit wie jener der Klägerin wichtig, denn ansonsten könnten pflegebedürftige Menschen zurückgelassen werden. Auch insofern besteht bezogen auf die stationäre Pflege kein ersichtlicher Unterschied zwischen den Tätigkeiten beschäftigter und vermeintlich selbstständiger Kräfte.

Ähnliche Einwände gelten gegen den Vortrag der Klägerin, auch ihre jeweiligen Auftraggeber könnten jederzeit kündigen. Dies trifft ausweislich ihrer AGB nicht zu. Richtig ist dagegen zwar, dass ihre Verträge keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle und keinen Urlaubsanspruch vorsehen. Solche Regelungen benachteiligen aber den Verpflichteten massiv. Sie begründen keine Vorteile, die man als unternehmerische Chancen (die Kehrseite des Unternehmerrisikos) einstufen könnte. Solche Vereinbarungen sprechen eher für Scheinselbstständigkeit, sie sind - wenn sich die Tätigkeit im Übrigen als abhängige Beschäftigung darstellt - nichtig bzw. werden durch zwingendes Gesetzesrecht verdrängt. Im Übrigen sehen auch die gesetzlichen Regelungen für Arbeitnehmer im Entgeltfortzahlungsgesetz und im Bundesurlaubsgesetz - darauf hat das SG zutreffend hingewiesen - Wartefristen vor.

ee) Der Senat muss an dieser Stelle nicht entscheiden, ob Pflegefachkräfte generell nicht als selbstständig Tätige eingestuft werden können, wie es z.B. der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe in der Stellungnahme aus dem August 2012 befürchtet, die die Klägerin zur Akte gereicht hat. Möglicherweise kann eine solche Tätigkeit in der ambulanten Pflege (Behandlungs- und Grundpflege) eher als selbstständig angesehen werden. Dort muss die (ggfs. einzelkaufmännisch tätige) Pflegekraft z.B. die Pflegemittel selbst stellen, und die Zeiten der Pflegeeinsätze sind allenfalls durch medizinische Notwendigkeiten, aber nicht durch Schichtpläne oder dgl. vorgegeben. Aber die Tätigkeit der Klägerin in einer stationären Einrichtung, also einem Krankenhaus oder einem Pflegeheim, erfüllt die Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit nicht.

d) Da der Klägerin bereits aus zwei Gründen kein Anspruch auf GZ zusteht, lässt der Senat offen, ob möglicherweise auch die Voraussetzung fehlt, dass die streitige Tätigkeit eine Arbeitslosigkeit beendet hat. Der letzte Vortrag der Beklagten lässt es möglich erscheinen, dass die Klägerin von Anfang an beabsichtigt hatte, sich selbstständig zu machen. Aber ob dies den Schluss rechtfertigt, sie hätte sich auch Vermittlungsvorschlägen der Beklagten für abhängige Beschäftigungen verweigert, so dass es an der subjektiven Verfügbarkeit gefehlt hätte, erscheint dann doch zweifelhaft.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

4. Gründe für eine Zulassung der Revision sieht der Senat nicht (§ 160 Abs. 2 SGG). Eine rechtliche Grundsatzbedeutung hat die Entscheidung des Senats allenfalls, soweit sie die Selbstständigkeit stationär eingesetzter Pflegekräfte im Allgemeinen betrifft. Aber auf den Ausführungen dazu beruht die Entscheidung nicht, sondern gleichermaßen darauf, dass die Klägerin vor Beginn der streitigen Tätigkeit keinen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen gegen die Beklagte innehatte.
Rechtskraft
Aus
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