Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 16 R 2428/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 2562/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. Mai 2013 wird insoweit aufgehoben als das Sozialgericht die Beklagte zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. August 2006 bis 31. Juli 2014 sowie zur Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit ab 1. August 2006 auf Dauer verurteilt hat und die Klage insgesamt abgewiesen sowie die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Der am 1971 in Bosnien geborene Kläger, mittlerweile deutscher Staatsangehörigkeit, besuchte nach seinen Angaben im Herkunftsland 5 Jahre L. die Schule und begann danach - ohne Berufsausbildung - zu arbeiten. Nach seiner Übersiedlung nach Deutschland 1992 arbeitete er zunächst als Knecht auf einem Bauernhof und später auf dem Bau. In den Jahren 1993 bis April 2002 hat er Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung geleistet. 2002 ist er in die Schweiz übergesiedelt und hat dort bis zu einem Unfall 2006 als Gipserpolierer in einem großen Baubetrieb gearbeitet.
Der Kläger erlitt am 1.2.2006 bei seiner Tätigkeit in der Schweiz einen Arbeitsunfall, als er im Dunkeln über gelagertes Gerüstmaterial stolperte und auf eine Treppe fiel. Dabei zog er sich Stauchungen und Prellungen am rechten Bein, Becken und der Wirbelsäule zu. Seither arbeitet er nicht mehr und bezieht seit 1.2.2007 eine Invalidenrente (2010 in Höhe von 815,- CHF einschließlich Kinderrente) von der eidgenössischen Invalidenversicherung (IV) sowie eine Unfallrente von der schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA).
Den am 24.7.2006 in der Schweiz gestellten Rentenantrag, der 2010 an die Beklagte weitergeleitet wurde, begründete der Kläger mit seinen Wirbelsäulenbeschwerden trotz 3-maliger Operationen nach dem Unfall.
Die Beklagte zog Unterlagen über den Arbeitsunfall von der SUVA bei. In medizinischer Hinsicht lag das orthopädische Gutachten zur Erwerbsfähigkeit der Dr. G., Fachärztin für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie, Z., vom 2.3.2009 vor (Bl. 295 VA medizinischer Teil). Sie diagnostizierte beim Kläger • chronisches lumbovertebragenes Schmerzsyndrom bei Zustand nach mikrochirurgischer Dekompression L3/4 und L4/5 sowie Teillanimektomie L4 rechts 02.2006 • Zustand nach mikrochirurgischer Dekompression L3/4 mit Spondylodese 11.2006 • Zustand nach Entfernung des Osteosynthesematerials 07.2007 • Verdacht auf neurogene Blasensentleerungsstörung • chronisches Schmerzsyndrom Als Gipser und für andere schwere körperliche Arbeiten sei der Kläger nicht mehr geeignet. In angepasster rückengerechter Tätigkeit sei nur eine Arbeitszeit von höchstens 3-4 Stunden täglich und Heben und Tragen von Lasten in wechselnder Körperposition zumutbar. Eine Nachuntersuchung werde in ca. 1 bis 1 1/2 Jahren empfohlen.
Beratungsärztin Dr. L. konnte dem Gutachten nicht folgen (Stellungnahme vom 3.5.2010, Bl. 311 VA medizinischer Teil). Im Auftrag der Beklagten begutachtete Orthopäde Dr. T. den Kläger. In seinem Gutachten vom 10.6.2010 führte er aus, dass er keine nennenswerte funktionelle Einschränkung im Bereich des gesamten Bewegungsapparates habe feststellen können. Die Angaben des Klägers zu seinem Freizeitverhalten und der Leistungsfähigkeit stünden in erheblicher Diskrepanz zu den von ihm erhobenen klinischen und röntgenologischen Befunden. Eine objektive Einschränkung im rentenrelevanten Sinne könne nicht festgestellt werden. Der Kläger könne seine letzte berufliche Tätigkeit als Innenausbauer 6 Stunden und mehr seit 9.6.2010 ausüben.
Mit Bescheid vom 22.6.2010 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10.5.2011).
Dagegen hat der Kläger am 3.6.2011 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Seit dem Unfall sei er in ständiger Behandlung. Nach mehreren Operationen habe sich hieraus eine chronische Schmerzerkrankung entwickelt. Immerhin sei beim Kläger aufgrund der Folgen des Unfalles aus dem Jahre 2006 von der Schweizer Rentenversicherung eine Invalidität von 72 % anerkannt.
Das SG hat den behandelnden Hausarzt, Allgemeinmediziner Dr. R. in W. als sachverständigen Zeugen schriftlich befragt. Dieser berichtete von Schmerzbehandlungen mit Opiaten und anderen Schmerzmitteln sowie periradikulären Blockaden, was den Zustand nicht gebessert habe, so dass der Kläger seither auf Schmerzmittel angewiesen sei. Die letzte durchgeführte Physiotherapie habe wiederum keinen nachhaltigen Effekt auf die Schmerzen zu erbringen vermocht, weshalb keine weitere Therapie mehr erfolge (Auskunft vom 5.9.2011, Bl. 21 SG Akte).
Im Auftrag des SG hat Privatdozent (PD) Dr. B. das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 24.4.2012 über den Kläger erstattet. Er diagnostizierte: • L.jähriges chronisches nozizeptives Schmerzsyndrom • Lumboischialgie bei Zustand nach Treppensturz mit nachfolgender Operation der Lendenwirbelsäule, Dekompression LWK 3/4 und LWK 4/5, Teilhemilaminektomie Diskektomie 07/2006 • Zustand nach erneuter Redekompression LWK 3/4 rechts bei Rezidivdiskushernie • intercorporelle Fusion, Spondylodese LWK 3 bis LWK 5 11/2009 • Metallentfernung 7/2007 • erneute circumferente Diskushernie LWK 2/3 sowie 4/5 9/2008 • Zustand nach offenem Unterarmbruch links 1996 • Tinnitus, Ohroperation 1997/1998
Der klinisch-neurologische Untersuchungsbefund habe eine Hypästhesie im Bereich des lateralen Unterschenkels rechts, am ehesten dem Dermatom L5 zuzuordnen, gezeigt. Darüber hinaus habe eine allenfalls leichte Fuß- und Zehenheberparese rechts vorgelegen. Allgemein körperlich habe sich ein massiver paravertebraler Hartspann der unteren Lendenwirbelsäule mit massiv eingeschränkter Beugefunktion und der Unfähigkeit, sich nach vorn zu beugen (Finger-Boden-Abstand 60 cm), gezeigt. Das Be- und Entkleiden sei außerordentlich beschwerlich gewesen. Das Zeichen nach Lasègue war rechts bei ca. 40° positiv. Die angegebenen Beschwerden, der klinische Befund sowie das beobachtete Verhalten während sowie außerhalb der Untersuchungssituation seien stimmig gewesen. In psychischer Hinsicht habe weitgehend ein Normalbefund bestanden. Der Kläger sei lediglich noch für leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar. Die Tätigkeit sollte im Wechsel zwischen Stehen und Sitzen erfolgen. Das Heben und Tragen von Lasten schwerer als 10 kg sei definitiv nicht leidensgerecht. Häufiges Bücken, das Arbeiten auf Leitern, Gerüsten etc. sollte ebenfalls vermieden werden sowie Arbeiten unter ungünstigen Witterungsbedingungen. Aufgrund der angegebenen Beeinträchtigung des Gehörs mit hochgradiger Minderung rechts sollten Tätigkeiten, die eine besondere Beanspruchung des Gehörs voraussetzten, vermieden werden. Leichte Tätigkeiten könne der Kläger noch 3 bis max. 6 Stunden täglich verrichten. Da die Schmerzsymptomatik in hohem Maße bereits chronische Züge erfahren habe, unterschiedliche medikamentöse und rehabilitative Verfahren keine nachhaltige Besserung ergeben haben, sei auch in Zukunft mit keiner Rückbildung der Symptome zu rechnen.
Die Beklagte ist dem Gutachten mit der sozialmedizinischen Stellungnahme von Dr. W. vom 18.7.2012 (Bl. 82 SG Akte) entgegengetreten und hielt im Zuge der vorliegenden LWS-Erkrankungen und begleitenden Schmerzsymptomatik nur qualitative Leistungseinschränkungen für gegeben. Die bisher ausgeübte angelernte Gipsertätigkeit sei nicht mehr zumutbar. Aus dem Gutachten ergäben sich jedoch keine Beeinträchtigungen die einer leidensgerechten Tätigkeit in einem quantitativen Umfang von arbeitstäglich mindestens 6 Stunden entgegenstünden.
Dr. B. teilte auf Nachfrage ergänzend mit, dass ein Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt von drei bis unter 6 Stunden arbeitstäglich bestehe (Mitteilung vom 22.11.2012, Bl. 88 SG Akte).
Mit Urteil vom 22.5.2013 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22.6.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 10.5.2011 verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.8.2006 bis 31.7.2014 sowie eine dauerhafte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit ab 1.8.2006 zu gewähren. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. B. gestützt. Die von ihm erhobenen Befunde hätten sich auch in den Befundberichten anderer Untersuchungen ähnlich gezeigt - beispielsweise Austrittsbericht der Reha-Klinik B. vom 2.5.2007, wonach der Kläger sich lediglich um 30° vorbeugen konnte -, weshalb die Untersuchungsergebnisse von Dr. B. plausibel erschienen. Dr. B. habe schlüssig dargelegt, dass die Schmerzerkrankung des Klägers mittlerweile einen chronischen Zustand erreicht habe und somit dauerhaft bestehen werde. Daher liege ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer vor. Mangels Teilzeit-Arbeitsplatzes schlage die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung um.
Gegen das der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 3.6.2013 zugestellte Urteil hat sie am 20.6.2013 schriftlich beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung eingelegt und vorgetragen, dass das SG zunächst den Rentenbeginn falsch ermittelt habe. Unter Vorlage der sozialmedizinischen Stellungnahme von Dr. Sch. vom 4.7.2013 lasse sich auch eine rentenrelevante Leistungsminderung nicht mit der erforderlichen an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit beweisen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. Mai 2013 aufzuheben soweit das Sozialgericht die Beklagte zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. August 2006 bis 31. Juli 2014 sowie zur Gewährung einer Rente wegen teil-weiser Erwerbsminderung für die Zeit ab 1. August 2006 auf Dauer verurteilt hat und auch insoweit die Klage abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. Mai 2013 abzuändern und die Beklagte zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit ab 1. August 2006 auf Dauer zu verurteilen sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen, hilfsweise eine aktuelle, fachärztliche neurologische Untersuchung in Auftrag zu geben, in der zu den Befunden des Dr. B. im Gutachten vom 24.4.2012 dezidiert Stellung zu nehmen sei, insbesondere dazu, welchen der gutachterlichen Auffassungen (Dr. C. und Dr. B.) aus welchen Gründen zu folgen sei, insbesondere aus welchen Gründen im Einzelnen den Schlussfolgerungen des Gutachtens von Dr. B. vom 24.4.2012 nicht zu folgen sei.
Auf Grund der Invalidität in der Schweiz mit 70% müsse man sich im Hinblick auf die eingeholten Gutachten mit der Frage auseinandersetzen, weshalb trotz dieser quantitativen Beschränkung auf dem allgemeinen deutschen Arbeitsmarkt eine 6-stündige Tätigkeit möglich sein solle. Die vom ausländischen Träger festgestellten Befunde seien zu berücksichtigen.
Der Kläger hat den ärztlichen Verlaufsbericht seines behandelnden Arztes, Allgemeinmediziner Dr. R. vom 23.8.2013 vorgelegt (Bl. 19 LSG-Akte).
Der Senat hat das orthopädische Gutachten von Dr. C. vom 2.11.2013 eingeholt. Dieser hat beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen diagnostiziert:
• Chronische, rechts betonte Lumbalgie nach dreimaligen operativen Eingriffen an der Lendenwirbelsäule; intercorporelle Spondylodese L3/4; frontale und sagittale Fehlstatik der LWS; degenerative Veränderungen an der unteren LWS und am rechten ISG; ohne segmentale sensomotorische Störungen an den unteren Extremitäten;
• Reizfreie Narben am linken Unterarm und leichte Kraftminderung der linken Hand nach offener Unterarmfraktur ca. 1999/2000;
• röntgenologisch festgestellte degenerative Veränderungen am medialen Compartiment des linken Kniegelenkes; Verdacht auf mediale Meniskopathie links;
Auf nervenärztlichen Fachgebiet:
• L.jähriges chronisches nozizeptives Schmerzsyndrom
auf chirurgischen Fachgebiet:
• Nabelbruch
Auf HNO-ärztlichem Fachgebiet:
• anamnestisch Schwerhörigkeit rechts, Gleichgewichtsstörungen.
Ausweislich der ermittelten Entfaltungs-Indices liege an der BWS und LWS eine mittelgradige, am Thorakolumbalübergang keine wesentliche Bewegungseinschränkung vor. Unter orthopädischen Gesichtspunkten sei der Kläger noch in der Lage unter Beachtung qualitativer Einschränkungen leichte, kurzfristig auch mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden und mehr an 5 Tagen in der Woche zu verrichten. Zu vermeiden seien schwere und ständig mittelschwere Arbeiten, Arbeiten ausschließlich im Sitzen, überwiegend im Stehen oder Gehen mit häufigem Bücken, häufigem Treppensteigen, in Wirbelsäulen belastenden Zwangshaltungen, auf Leitern und Gerüsten, Akkord-, Fließband-und Nachtarbeit, unter häufiger Exposition von Kälte, Nässe oder Zugluft. Hinsichtlich nervenärztlicher Fragen, die für die Leistungsbeurteilung von Privatdozent Dr. B. leitend gewesen seien, könne er sich fachfremd nicht äußern und empfahl eine weitere Begutachtung.
Das neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinische Gutachten hat Prof. Dr. Dr. W. im Auftrag des Senats erstellt. In seinem Gutachten vom 26.3.2014 hat er dargelegt, dass auf neurologischem Fachgebiet eine leichtgradige Nervenwurzelreizsymptomatik am rechten Bein ohne objektivierbare neurologische Ausfälle bestehe. Auf schmerzmedizinischen Fachgebiet, überdeckend mit dem orthopädischen Fachgebiet, lägen chronische lumbale Rückenschmerzen nach mehrfachen Wirbelsäulen-Operationen vor, die bewegungs- und belastungsabhängig seien und einer Schmerzmedikation bedürften. Auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe eine leichtgradige depressive Störung vom Ausprägungsgrad einer Dysthymie aufgrund der unbefriedigenden finanziellen Situation mit bestehenden Zukunftsängsten. Der Kläger könne nur noch körperlich leichte Arbeiten ohne Zwangshaltungen im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen verrichten. Dauerhaftes Stehen sei nicht zumutbar. Aufgrund der psychischen Symptomatik seien Tätigkeiten mit Stressbelastung zu vermeiden. Unter Berücksichtigung der qualitativen Einschränkungen sei er in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wenigstens 6 Stunden an 5 Tagen in der Woche auszuüben. Dr. B. habe in seinem Gutachten zwar ein erheblich anderes Bild des Klägers gezeichnet, was die Schmerzsymptomatik angehe. Elektrophysiologische Untersuchungen habe dieser - anders als er selber - jedoch nicht durchgeführt, so dass unklar bleibe, ob das damals positive Lasègue-Zeichen noch Ausdruck einer Nervenwurzelreizsymptomatik gewesen sei. Auch dessen klinische Befunde vermöge er bezüglich des Muskelhartspanns und der damit verbundenen nahezu völligen Unbeweglichkeit nicht nachzuvollziehen. Von einer wesentlichen Besserung könne angesichts der seit damals letztlich unveränderten Medikation eher nicht ausgegangen werden. Das Hauptproblem liege in dem nicht lösbaren sozialen Konflikt, nachdem die Aufnahme einer leidensgerechten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit erheblichen finanziellen Einbußen hinsichtlich der Invalidenrente in der Schweiz verbunden wäre.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger noch weitere Befund- bzw. Therapieberichte berichte der Physiotherapie Seen in W. vom 15.07.2014 und des Dr. R. vom 13.07.2014 und 14.07.2014 vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg, die Berufung des Klägers ist hingegen erfolglos.
Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Die Anschlussberufung des Klägers ist hingegen unbegründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Rentengewährung verurteilt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Er ist nicht erwerbsgemindert im Sinne des maßgeblichen deutschen Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung.
Streitgegenstand sind der Bescheid der Beklagten vom 22.6.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.5.2011, mit dem die Beklagte die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat. Dagegen geht der Kläger zulässig mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage vor.
Nach § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1).
Voll erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen der Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können.
Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Gem. § 43 Abs. 3 SGB VI ist jedoch nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt der Kläger unter Einbeziehung der schweizerischen Zeiten (Art 11 Abs. 1 Deutsch-Schweizerisches Sozialversicherungs-Abkommen (DSSVA); vgl. Bl. 83 VA), insbesondere hinsichtlich der notwendigen Pflichtbeiträge und der Wartezeit. Der Kläger ist jedoch nicht im Sinne der obigen gesetzlichen Regelung erwerbsgemindert, weil ihm auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch 6 Stunden werktäglich unter gewissen qualitativen Einschränkungen Arbeiten zugemutet werden können.
Der Senat schöpft seine Überzeugung aus den im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten. Das für die Beurteilung maßgebliche Leiden liegt auf orthopädischem bzw. neurologischem Fachgebiet. Es handelt sich im Wesentlichen um ein nach dem Arbeitsunfall am 1.2.2006 entwickeltes Wirbelsäulenleiden im unteren Segment mit einer chronischen Schmerzsymptomatik. Hierzu haben die Fachgutachter, der Orthopäde Dr. C. und der Neurologe Prof. Dr. Dr. W., übereinstimmend die Auffassung vertreten, dass der Kläger dadurch nicht gehindert ist, noch 6 Stunden und mehr zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Diese Einschätzung ist angesichts der von den Gutachtern erhobenen Befunde schlüssig und nachvollziehbar. So beschreibt Dr. C. zwar eine röntgenologisch durch Bandscheibenhöhenminderungen in L2/3 und L5/S1 nachvollziehbare erhebliche Einschränkung der Wirbelsäulenbeweglichkeit durch einen messbaren Finger-Boden-Abstand von 50 cm, wie ihn ähnlich auch bereits Dr. B. beschrieben hatte. Dementsprechend war der L.sitz nicht ausführbar. Die Rumpfinklination geL. damit nur um etwa 40 °mit eingeschränkter inklinatorischer Entfaltung, an der BWS und LWS mittelgradig, am Thorakolumbalübergang nicht wesentlich eingeschränkt. Die Rückwärtsneigung (Reklination) war auf unter 10° eingeschränkt. Die Seitneigung war nach rechts mittelgradig eingeschränkt, zur Gegenseite aber frei. Die Bewegungsbeschränkung beeinträchtigte den Kläger jedoch hinsichtlich der Fähigkeit zum Be- und Entkleiden nicht wesentlich. Auffällige Schwierigkeiten waren dabei in der Untersuchungssituation bei Dr. C. nicht zu erkennen. Das Aufrichten aus der Rumpfbeuge geL. mit Abstützbewegung am Oberschenkel. Die cervikale und paravertebrale Muskulatur beiderseits der BWS sowie die Trapeziusoberränder waren normoton zu tasten. Die lumbale Streckmuskulatur war rechts mäßig, links gering verspannt. Haltungswechsel in der Sitzposition fielen erst im weiteren Verlauf der 3-stündigen Untersuchung auf, nämlich in der ersten Stunde der Befragung wechselte der Kläger nur gelegentlich die Sitzposition, im Verlauf der folgenden 20 Minuten zunehmend häufiger, zum Ende hin wurde von einem 2-maligen Aufstehen wegen Rückenschmerzen berichtet. Weitere wesentlich limitierende Befunde hat Dr. C. nicht erhoben. Die HWS war nach allen Richtungen frei beweglich. Funktionsbeeinträchtigungen in Schulter-, Ellenbogen-, Hüft- und Kniegelenken lagen nicht vor. Dr. C. hat einen unauffälligen Tagesablauf mit leichter Hilfe im Haushalt, gemeinsamem Einkaufen, gelegentlichem Mittagessenkochen, nachmittäglicher Beaufsichtigung des Sohnes auf dem Spielplatz erhoben, der eine gravierende Einschränkung in Bezug auf leichte bis gelegentlich mittelschwere Wechseltätigkeiten nicht hat erkennen lassen.
Prof. Dr. Dr. W. hat von einem unbehinderten Gangbild, schnellen raumgreifenden Schritten berichtet. Der Kläger habe während der 90-minütiger Untersuchung entspannt auf dem Stuhl gesessen, entlastende Körperbewegungen seien nicht erforderlich geworden. Nachvollziehbar seien die geklagten Schmerzen beim Bewegen im Bereich der LWS auf Grund der röntgenologisch nachgewiesenen Veränderungen. Anhaltspunkte für eine radikuläre Symptomatik haben sich jedoch nicht ergeben. Auf neurologischem Gebiet bestand eine leichtgradige Nervenwurzelreizsymptomatik am rechten Bein ohne objektivierbare neurologische Ausfälle. Auf schmerzmedizinischem Fachgebiet, überdeckend mit dem orthopädischen Fachgebiet, lagen chronische lumbale Rückenschmerzen nach mehrfachen Wirbelsäulen-Operationen vor, die bewegungs- und belastungsabhängig sind. Die Schmerzmedikation ist jedoch nur mäßig. So nimmt der Kläger diesbezüglich keine Opiate mehr ein, sondern morgens und abends 1 Tablette Co-Dafalgan, ein Medikament aus Paracetamol und Codein, und zwischen 1 bis 4 Tabletten täglich Mefenacid (Mefanaminsäure).
Eine wesentliche Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet liegt nicht vor. Beim Kläger liegt ein leichtgradig ängstlich-depressiver Rückzug mit auch deutlichen Zukunftsängsten vor, was als Dysthymie einzustufen ist. Jedenfalls liegt keine schwergradige depressive Störung oder auch somatoforme Störung von Krankheitswert vor, die Rentenrelevanz haben könnten. Dies deckt sich auch mit dem von Dr. B. erhobenen psychischen Befund.
Den gesundheitlichen Einschränkungen von Seiten der Wirbelsäule wird ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass schwere und ständig mittelschwere Arbeiten dem Kläger nicht mehr zumutbar sind. Ebenso kann er keine Arbeiten mehr verrichten, die mit häufigem Bücken und wirbelsäulenbelastenden Zwangshaltungen einhergehen. Als positives Leistungsbild sind dem Kläger jedoch leichte, in Spitzenbelastung auch mittelschwere Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis maximal 10 kg, überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zum bedarfsweisen Haltungswechsel, in temperierten Räumen, witterungsabhängig auch im Freien möglich. Auf Grund der psychischen Symptomatik sind außerdem Tätigkeiten zu vermeiden, die mit besonderem Stress einhergehen. Dies sind gängige qualitative Einschränkungen. Eine zeitliche Limitierung der täglichen Arbeitszeit ist bei deren Beachtung nicht erforderlich.
Demgegenüber vermochte sich der Senat dem Gutachten des Dr. B. zur Einschätzung des Leistungsvermögens nicht anzuschließen. Er hat zwar in Bezug auf die Schmerzsymptomatik ein erheblich anderes Bild des Klägers gezeichnet, insbesondere ein positives Lasègue-Zeichen festgestellt. Dieses hat sich weder bei der Untersuchung durch Dr. C. noch durch Professor Dr. Dr. W. bestätigt. Elektrophysiologische Untersuchungen, wie von Professor Dr. Dr. W. durchgeführt, hat Dr. B. nicht vorgenommen. Nach Professor Dr. Dr. W. ist dies dahingehend zu werten, dass unklar bleibt, ob das bei Dr. B. positive Lasègue-Zeichen noch Ausdruck einer beL.vollen Nervenwurzelreizsymptomatik war. Auch hat Dr. B. eine Gegenprüfung nicht beschrieben. Der Kläger ist damit nicht erwerbsgemindert.
Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit scheidet - unabhängig vom Bestehen von Berufsschutz - bereits wegen des Alters des Klägers aus, da er nach dem 2.1.1961 geboren ist (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
Ein Rentenanspruch des Klägers nach deutschem Recht folgt auch nicht daraus, dass dem Kläger in der Schweiz eine Invalidenrente zuerkannt worden ist. Die Leistungen knüpfen an unterschiedliche Voraussetzungen an. Nach deutschem Rentenversicherungsrecht erfolgt eine Abstufung der Versicherungsfälle je nach dem Ausmaß der Erwerbsfähigkeit. Dies ist eine spezifische Regelung des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland. Im ausländischen Recht ist im allgemeinen lediglich ein einheitlicher - wenn auch in seinen Voraussetzungen wiederum von Land zu Land unterschiedlich geregelter - Versicherungsfall der Invalidität vorgesehen (BSG, Urteil vom 14. Dezember 1998 – B 5 RJ 60/97 R –, SozR 3-6855 Art 11 Nr. 1, BSGE 83, 192-200, SozR 3-2600 § 43 Nr. 20, juris Rn. 16). Verbindlichkeit erlangen die Entscheidungen anderer Staaten bezüglich der Invalidität nur, wenn dies gem. Art. 46 Abs. 3 EG VO Nr. 883/2004 in Anhang VII festgelegt ist. Die Übereinstimmungserklärung der Definitionen des Grads der Invalidität in Anhang VII hat Deutschland aber nicht erklärt - unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit der VO auf die Schweiz. Die Festlegung der (medizinischen) Voraussetzungen für einen Rentenanspruch verbleibt in der Zuständigkeit des nationalen Gesetzgebers (in Bezug auf EU-Recht: Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. Januar 2013 – L 13 R 155/11 –, juris Rn. 51). Soweit der Kläger auf die Beachtung der in der Schweiz erhobenen Befunde abstellt, haben diese sowohl den Beratungsärzten wie auch den Gutachtern vorgelegen, die sich - mit Ausnahme von Dr. B. - jedoch der Leistungseinschätzung der Dr. G. nach schweizerischem Recht nicht anzuschließen vermochten. Insofern sind die Befunde in die Beurteilung miteingeflossen.
Dem noch hilfsweise gestellten Beweisantrag des Klägers war nicht nachzugehen. Eine letztlich für das Gericht verbindliche Würdigung der Vorgutachten durch ein "Obergutachten" sieht die Prozessordnung nicht vor. Vielmehr ist es alleine die ureigenste Aufgabe des Gerichtes im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 128 SGG sich mit den vorliegenden Gutachten auseinander zusetzen, diese zu würdigen, nämlich kritisch nachzuvollziehen und zu überprüfen, und letztlich auf dieser Grundlage zu einer Entscheidung zu gelangen.
Der Berufung der Beklagten war daher stattzugeben und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Der am 1971 in Bosnien geborene Kläger, mittlerweile deutscher Staatsangehörigkeit, besuchte nach seinen Angaben im Herkunftsland 5 Jahre L. die Schule und begann danach - ohne Berufsausbildung - zu arbeiten. Nach seiner Übersiedlung nach Deutschland 1992 arbeitete er zunächst als Knecht auf einem Bauernhof und später auf dem Bau. In den Jahren 1993 bis April 2002 hat er Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung geleistet. 2002 ist er in die Schweiz übergesiedelt und hat dort bis zu einem Unfall 2006 als Gipserpolierer in einem großen Baubetrieb gearbeitet.
Der Kläger erlitt am 1.2.2006 bei seiner Tätigkeit in der Schweiz einen Arbeitsunfall, als er im Dunkeln über gelagertes Gerüstmaterial stolperte und auf eine Treppe fiel. Dabei zog er sich Stauchungen und Prellungen am rechten Bein, Becken und der Wirbelsäule zu. Seither arbeitet er nicht mehr und bezieht seit 1.2.2007 eine Invalidenrente (2010 in Höhe von 815,- CHF einschließlich Kinderrente) von der eidgenössischen Invalidenversicherung (IV) sowie eine Unfallrente von der schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA).
Den am 24.7.2006 in der Schweiz gestellten Rentenantrag, der 2010 an die Beklagte weitergeleitet wurde, begründete der Kläger mit seinen Wirbelsäulenbeschwerden trotz 3-maliger Operationen nach dem Unfall.
Die Beklagte zog Unterlagen über den Arbeitsunfall von der SUVA bei. In medizinischer Hinsicht lag das orthopädische Gutachten zur Erwerbsfähigkeit der Dr. G., Fachärztin für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie, Z., vom 2.3.2009 vor (Bl. 295 VA medizinischer Teil). Sie diagnostizierte beim Kläger • chronisches lumbovertebragenes Schmerzsyndrom bei Zustand nach mikrochirurgischer Dekompression L3/4 und L4/5 sowie Teillanimektomie L4 rechts 02.2006 • Zustand nach mikrochirurgischer Dekompression L3/4 mit Spondylodese 11.2006 • Zustand nach Entfernung des Osteosynthesematerials 07.2007 • Verdacht auf neurogene Blasensentleerungsstörung • chronisches Schmerzsyndrom Als Gipser und für andere schwere körperliche Arbeiten sei der Kläger nicht mehr geeignet. In angepasster rückengerechter Tätigkeit sei nur eine Arbeitszeit von höchstens 3-4 Stunden täglich und Heben und Tragen von Lasten in wechselnder Körperposition zumutbar. Eine Nachuntersuchung werde in ca. 1 bis 1 1/2 Jahren empfohlen.
Beratungsärztin Dr. L. konnte dem Gutachten nicht folgen (Stellungnahme vom 3.5.2010, Bl. 311 VA medizinischer Teil). Im Auftrag der Beklagten begutachtete Orthopäde Dr. T. den Kläger. In seinem Gutachten vom 10.6.2010 führte er aus, dass er keine nennenswerte funktionelle Einschränkung im Bereich des gesamten Bewegungsapparates habe feststellen können. Die Angaben des Klägers zu seinem Freizeitverhalten und der Leistungsfähigkeit stünden in erheblicher Diskrepanz zu den von ihm erhobenen klinischen und röntgenologischen Befunden. Eine objektive Einschränkung im rentenrelevanten Sinne könne nicht festgestellt werden. Der Kläger könne seine letzte berufliche Tätigkeit als Innenausbauer 6 Stunden und mehr seit 9.6.2010 ausüben.
Mit Bescheid vom 22.6.2010 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10.5.2011).
Dagegen hat der Kläger am 3.6.2011 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Seit dem Unfall sei er in ständiger Behandlung. Nach mehreren Operationen habe sich hieraus eine chronische Schmerzerkrankung entwickelt. Immerhin sei beim Kläger aufgrund der Folgen des Unfalles aus dem Jahre 2006 von der Schweizer Rentenversicherung eine Invalidität von 72 % anerkannt.
Das SG hat den behandelnden Hausarzt, Allgemeinmediziner Dr. R. in W. als sachverständigen Zeugen schriftlich befragt. Dieser berichtete von Schmerzbehandlungen mit Opiaten und anderen Schmerzmitteln sowie periradikulären Blockaden, was den Zustand nicht gebessert habe, so dass der Kläger seither auf Schmerzmittel angewiesen sei. Die letzte durchgeführte Physiotherapie habe wiederum keinen nachhaltigen Effekt auf die Schmerzen zu erbringen vermocht, weshalb keine weitere Therapie mehr erfolge (Auskunft vom 5.9.2011, Bl. 21 SG Akte).
Im Auftrag des SG hat Privatdozent (PD) Dr. B. das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 24.4.2012 über den Kläger erstattet. Er diagnostizierte: • L.jähriges chronisches nozizeptives Schmerzsyndrom • Lumboischialgie bei Zustand nach Treppensturz mit nachfolgender Operation der Lendenwirbelsäule, Dekompression LWK 3/4 und LWK 4/5, Teilhemilaminektomie Diskektomie 07/2006 • Zustand nach erneuter Redekompression LWK 3/4 rechts bei Rezidivdiskushernie • intercorporelle Fusion, Spondylodese LWK 3 bis LWK 5 11/2009 • Metallentfernung 7/2007 • erneute circumferente Diskushernie LWK 2/3 sowie 4/5 9/2008 • Zustand nach offenem Unterarmbruch links 1996 • Tinnitus, Ohroperation 1997/1998
Der klinisch-neurologische Untersuchungsbefund habe eine Hypästhesie im Bereich des lateralen Unterschenkels rechts, am ehesten dem Dermatom L5 zuzuordnen, gezeigt. Darüber hinaus habe eine allenfalls leichte Fuß- und Zehenheberparese rechts vorgelegen. Allgemein körperlich habe sich ein massiver paravertebraler Hartspann der unteren Lendenwirbelsäule mit massiv eingeschränkter Beugefunktion und der Unfähigkeit, sich nach vorn zu beugen (Finger-Boden-Abstand 60 cm), gezeigt. Das Be- und Entkleiden sei außerordentlich beschwerlich gewesen. Das Zeichen nach Lasègue war rechts bei ca. 40° positiv. Die angegebenen Beschwerden, der klinische Befund sowie das beobachtete Verhalten während sowie außerhalb der Untersuchungssituation seien stimmig gewesen. In psychischer Hinsicht habe weitgehend ein Normalbefund bestanden. Der Kläger sei lediglich noch für leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar. Die Tätigkeit sollte im Wechsel zwischen Stehen und Sitzen erfolgen. Das Heben und Tragen von Lasten schwerer als 10 kg sei definitiv nicht leidensgerecht. Häufiges Bücken, das Arbeiten auf Leitern, Gerüsten etc. sollte ebenfalls vermieden werden sowie Arbeiten unter ungünstigen Witterungsbedingungen. Aufgrund der angegebenen Beeinträchtigung des Gehörs mit hochgradiger Minderung rechts sollten Tätigkeiten, die eine besondere Beanspruchung des Gehörs voraussetzten, vermieden werden. Leichte Tätigkeiten könne der Kläger noch 3 bis max. 6 Stunden täglich verrichten. Da die Schmerzsymptomatik in hohem Maße bereits chronische Züge erfahren habe, unterschiedliche medikamentöse und rehabilitative Verfahren keine nachhaltige Besserung ergeben haben, sei auch in Zukunft mit keiner Rückbildung der Symptome zu rechnen.
Die Beklagte ist dem Gutachten mit der sozialmedizinischen Stellungnahme von Dr. W. vom 18.7.2012 (Bl. 82 SG Akte) entgegengetreten und hielt im Zuge der vorliegenden LWS-Erkrankungen und begleitenden Schmerzsymptomatik nur qualitative Leistungseinschränkungen für gegeben. Die bisher ausgeübte angelernte Gipsertätigkeit sei nicht mehr zumutbar. Aus dem Gutachten ergäben sich jedoch keine Beeinträchtigungen die einer leidensgerechten Tätigkeit in einem quantitativen Umfang von arbeitstäglich mindestens 6 Stunden entgegenstünden.
Dr. B. teilte auf Nachfrage ergänzend mit, dass ein Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt von drei bis unter 6 Stunden arbeitstäglich bestehe (Mitteilung vom 22.11.2012, Bl. 88 SG Akte).
Mit Urteil vom 22.5.2013 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22.6.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 10.5.2011 verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.8.2006 bis 31.7.2014 sowie eine dauerhafte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit ab 1.8.2006 zu gewähren. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. B. gestützt. Die von ihm erhobenen Befunde hätten sich auch in den Befundberichten anderer Untersuchungen ähnlich gezeigt - beispielsweise Austrittsbericht der Reha-Klinik B. vom 2.5.2007, wonach der Kläger sich lediglich um 30° vorbeugen konnte -, weshalb die Untersuchungsergebnisse von Dr. B. plausibel erschienen. Dr. B. habe schlüssig dargelegt, dass die Schmerzerkrankung des Klägers mittlerweile einen chronischen Zustand erreicht habe und somit dauerhaft bestehen werde. Daher liege ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer vor. Mangels Teilzeit-Arbeitsplatzes schlage die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung um.
Gegen das der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 3.6.2013 zugestellte Urteil hat sie am 20.6.2013 schriftlich beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung eingelegt und vorgetragen, dass das SG zunächst den Rentenbeginn falsch ermittelt habe. Unter Vorlage der sozialmedizinischen Stellungnahme von Dr. Sch. vom 4.7.2013 lasse sich auch eine rentenrelevante Leistungsminderung nicht mit der erforderlichen an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit beweisen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. Mai 2013 aufzuheben soweit das Sozialgericht die Beklagte zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. August 2006 bis 31. Juli 2014 sowie zur Gewährung einer Rente wegen teil-weiser Erwerbsminderung für die Zeit ab 1. August 2006 auf Dauer verurteilt hat und auch insoweit die Klage abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. Mai 2013 abzuändern und die Beklagte zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit ab 1. August 2006 auf Dauer zu verurteilen sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen, hilfsweise eine aktuelle, fachärztliche neurologische Untersuchung in Auftrag zu geben, in der zu den Befunden des Dr. B. im Gutachten vom 24.4.2012 dezidiert Stellung zu nehmen sei, insbesondere dazu, welchen der gutachterlichen Auffassungen (Dr. C. und Dr. B.) aus welchen Gründen zu folgen sei, insbesondere aus welchen Gründen im Einzelnen den Schlussfolgerungen des Gutachtens von Dr. B. vom 24.4.2012 nicht zu folgen sei.
Auf Grund der Invalidität in der Schweiz mit 70% müsse man sich im Hinblick auf die eingeholten Gutachten mit der Frage auseinandersetzen, weshalb trotz dieser quantitativen Beschränkung auf dem allgemeinen deutschen Arbeitsmarkt eine 6-stündige Tätigkeit möglich sein solle. Die vom ausländischen Träger festgestellten Befunde seien zu berücksichtigen.
Der Kläger hat den ärztlichen Verlaufsbericht seines behandelnden Arztes, Allgemeinmediziner Dr. R. vom 23.8.2013 vorgelegt (Bl. 19 LSG-Akte).
Der Senat hat das orthopädische Gutachten von Dr. C. vom 2.11.2013 eingeholt. Dieser hat beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen diagnostiziert:
• Chronische, rechts betonte Lumbalgie nach dreimaligen operativen Eingriffen an der Lendenwirbelsäule; intercorporelle Spondylodese L3/4; frontale und sagittale Fehlstatik der LWS; degenerative Veränderungen an der unteren LWS und am rechten ISG; ohne segmentale sensomotorische Störungen an den unteren Extremitäten;
• Reizfreie Narben am linken Unterarm und leichte Kraftminderung der linken Hand nach offener Unterarmfraktur ca. 1999/2000;
• röntgenologisch festgestellte degenerative Veränderungen am medialen Compartiment des linken Kniegelenkes; Verdacht auf mediale Meniskopathie links;
Auf nervenärztlichen Fachgebiet:
• L.jähriges chronisches nozizeptives Schmerzsyndrom
auf chirurgischen Fachgebiet:
• Nabelbruch
Auf HNO-ärztlichem Fachgebiet:
• anamnestisch Schwerhörigkeit rechts, Gleichgewichtsstörungen.
Ausweislich der ermittelten Entfaltungs-Indices liege an der BWS und LWS eine mittelgradige, am Thorakolumbalübergang keine wesentliche Bewegungseinschränkung vor. Unter orthopädischen Gesichtspunkten sei der Kläger noch in der Lage unter Beachtung qualitativer Einschränkungen leichte, kurzfristig auch mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden und mehr an 5 Tagen in der Woche zu verrichten. Zu vermeiden seien schwere und ständig mittelschwere Arbeiten, Arbeiten ausschließlich im Sitzen, überwiegend im Stehen oder Gehen mit häufigem Bücken, häufigem Treppensteigen, in Wirbelsäulen belastenden Zwangshaltungen, auf Leitern und Gerüsten, Akkord-, Fließband-und Nachtarbeit, unter häufiger Exposition von Kälte, Nässe oder Zugluft. Hinsichtlich nervenärztlicher Fragen, die für die Leistungsbeurteilung von Privatdozent Dr. B. leitend gewesen seien, könne er sich fachfremd nicht äußern und empfahl eine weitere Begutachtung.
Das neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinische Gutachten hat Prof. Dr. Dr. W. im Auftrag des Senats erstellt. In seinem Gutachten vom 26.3.2014 hat er dargelegt, dass auf neurologischem Fachgebiet eine leichtgradige Nervenwurzelreizsymptomatik am rechten Bein ohne objektivierbare neurologische Ausfälle bestehe. Auf schmerzmedizinischen Fachgebiet, überdeckend mit dem orthopädischen Fachgebiet, lägen chronische lumbale Rückenschmerzen nach mehrfachen Wirbelsäulen-Operationen vor, die bewegungs- und belastungsabhängig seien und einer Schmerzmedikation bedürften. Auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe eine leichtgradige depressive Störung vom Ausprägungsgrad einer Dysthymie aufgrund der unbefriedigenden finanziellen Situation mit bestehenden Zukunftsängsten. Der Kläger könne nur noch körperlich leichte Arbeiten ohne Zwangshaltungen im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen verrichten. Dauerhaftes Stehen sei nicht zumutbar. Aufgrund der psychischen Symptomatik seien Tätigkeiten mit Stressbelastung zu vermeiden. Unter Berücksichtigung der qualitativen Einschränkungen sei er in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wenigstens 6 Stunden an 5 Tagen in der Woche auszuüben. Dr. B. habe in seinem Gutachten zwar ein erheblich anderes Bild des Klägers gezeichnet, was die Schmerzsymptomatik angehe. Elektrophysiologische Untersuchungen habe dieser - anders als er selber - jedoch nicht durchgeführt, so dass unklar bleibe, ob das damals positive Lasègue-Zeichen noch Ausdruck einer Nervenwurzelreizsymptomatik gewesen sei. Auch dessen klinische Befunde vermöge er bezüglich des Muskelhartspanns und der damit verbundenen nahezu völligen Unbeweglichkeit nicht nachzuvollziehen. Von einer wesentlichen Besserung könne angesichts der seit damals letztlich unveränderten Medikation eher nicht ausgegangen werden. Das Hauptproblem liege in dem nicht lösbaren sozialen Konflikt, nachdem die Aufnahme einer leidensgerechten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit erheblichen finanziellen Einbußen hinsichtlich der Invalidenrente in der Schweiz verbunden wäre.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger noch weitere Befund- bzw. Therapieberichte berichte der Physiotherapie Seen in W. vom 15.07.2014 und des Dr. R. vom 13.07.2014 und 14.07.2014 vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg, die Berufung des Klägers ist hingegen erfolglos.
Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Die Anschlussberufung des Klägers ist hingegen unbegründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Rentengewährung verurteilt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Er ist nicht erwerbsgemindert im Sinne des maßgeblichen deutschen Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung.
Streitgegenstand sind der Bescheid der Beklagten vom 22.6.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.5.2011, mit dem die Beklagte die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat. Dagegen geht der Kläger zulässig mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage vor.
Nach § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1).
Voll erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen der Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können.
Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Gem. § 43 Abs. 3 SGB VI ist jedoch nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt der Kläger unter Einbeziehung der schweizerischen Zeiten (Art 11 Abs. 1 Deutsch-Schweizerisches Sozialversicherungs-Abkommen (DSSVA); vgl. Bl. 83 VA), insbesondere hinsichtlich der notwendigen Pflichtbeiträge und der Wartezeit. Der Kläger ist jedoch nicht im Sinne der obigen gesetzlichen Regelung erwerbsgemindert, weil ihm auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch 6 Stunden werktäglich unter gewissen qualitativen Einschränkungen Arbeiten zugemutet werden können.
Der Senat schöpft seine Überzeugung aus den im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten. Das für die Beurteilung maßgebliche Leiden liegt auf orthopädischem bzw. neurologischem Fachgebiet. Es handelt sich im Wesentlichen um ein nach dem Arbeitsunfall am 1.2.2006 entwickeltes Wirbelsäulenleiden im unteren Segment mit einer chronischen Schmerzsymptomatik. Hierzu haben die Fachgutachter, der Orthopäde Dr. C. und der Neurologe Prof. Dr. Dr. W., übereinstimmend die Auffassung vertreten, dass der Kläger dadurch nicht gehindert ist, noch 6 Stunden und mehr zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Diese Einschätzung ist angesichts der von den Gutachtern erhobenen Befunde schlüssig und nachvollziehbar. So beschreibt Dr. C. zwar eine röntgenologisch durch Bandscheibenhöhenminderungen in L2/3 und L5/S1 nachvollziehbare erhebliche Einschränkung der Wirbelsäulenbeweglichkeit durch einen messbaren Finger-Boden-Abstand von 50 cm, wie ihn ähnlich auch bereits Dr. B. beschrieben hatte. Dementsprechend war der L.sitz nicht ausführbar. Die Rumpfinklination geL. damit nur um etwa 40 °mit eingeschränkter inklinatorischer Entfaltung, an der BWS und LWS mittelgradig, am Thorakolumbalübergang nicht wesentlich eingeschränkt. Die Rückwärtsneigung (Reklination) war auf unter 10° eingeschränkt. Die Seitneigung war nach rechts mittelgradig eingeschränkt, zur Gegenseite aber frei. Die Bewegungsbeschränkung beeinträchtigte den Kläger jedoch hinsichtlich der Fähigkeit zum Be- und Entkleiden nicht wesentlich. Auffällige Schwierigkeiten waren dabei in der Untersuchungssituation bei Dr. C. nicht zu erkennen. Das Aufrichten aus der Rumpfbeuge geL. mit Abstützbewegung am Oberschenkel. Die cervikale und paravertebrale Muskulatur beiderseits der BWS sowie die Trapeziusoberränder waren normoton zu tasten. Die lumbale Streckmuskulatur war rechts mäßig, links gering verspannt. Haltungswechsel in der Sitzposition fielen erst im weiteren Verlauf der 3-stündigen Untersuchung auf, nämlich in der ersten Stunde der Befragung wechselte der Kläger nur gelegentlich die Sitzposition, im Verlauf der folgenden 20 Minuten zunehmend häufiger, zum Ende hin wurde von einem 2-maligen Aufstehen wegen Rückenschmerzen berichtet. Weitere wesentlich limitierende Befunde hat Dr. C. nicht erhoben. Die HWS war nach allen Richtungen frei beweglich. Funktionsbeeinträchtigungen in Schulter-, Ellenbogen-, Hüft- und Kniegelenken lagen nicht vor. Dr. C. hat einen unauffälligen Tagesablauf mit leichter Hilfe im Haushalt, gemeinsamem Einkaufen, gelegentlichem Mittagessenkochen, nachmittäglicher Beaufsichtigung des Sohnes auf dem Spielplatz erhoben, der eine gravierende Einschränkung in Bezug auf leichte bis gelegentlich mittelschwere Wechseltätigkeiten nicht hat erkennen lassen.
Prof. Dr. Dr. W. hat von einem unbehinderten Gangbild, schnellen raumgreifenden Schritten berichtet. Der Kläger habe während der 90-minütiger Untersuchung entspannt auf dem Stuhl gesessen, entlastende Körperbewegungen seien nicht erforderlich geworden. Nachvollziehbar seien die geklagten Schmerzen beim Bewegen im Bereich der LWS auf Grund der röntgenologisch nachgewiesenen Veränderungen. Anhaltspunkte für eine radikuläre Symptomatik haben sich jedoch nicht ergeben. Auf neurologischem Gebiet bestand eine leichtgradige Nervenwurzelreizsymptomatik am rechten Bein ohne objektivierbare neurologische Ausfälle. Auf schmerzmedizinischem Fachgebiet, überdeckend mit dem orthopädischen Fachgebiet, lagen chronische lumbale Rückenschmerzen nach mehrfachen Wirbelsäulen-Operationen vor, die bewegungs- und belastungsabhängig sind. Die Schmerzmedikation ist jedoch nur mäßig. So nimmt der Kläger diesbezüglich keine Opiate mehr ein, sondern morgens und abends 1 Tablette Co-Dafalgan, ein Medikament aus Paracetamol und Codein, und zwischen 1 bis 4 Tabletten täglich Mefenacid (Mefanaminsäure).
Eine wesentliche Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet liegt nicht vor. Beim Kläger liegt ein leichtgradig ängstlich-depressiver Rückzug mit auch deutlichen Zukunftsängsten vor, was als Dysthymie einzustufen ist. Jedenfalls liegt keine schwergradige depressive Störung oder auch somatoforme Störung von Krankheitswert vor, die Rentenrelevanz haben könnten. Dies deckt sich auch mit dem von Dr. B. erhobenen psychischen Befund.
Den gesundheitlichen Einschränkungen von Seiten der Wirbelsäule wird ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass schwere und ständig mittelschwere Arbeiten dem Kläger nicht mehr zumutbar sind. Ebenso kann er keine Arbeiten mehr verrichten, die mit häufigem Bücken und wirbelsäulenbelastenden Zwangshaltungen einhergehen. Als positives Leistungsbild sind dem Kläger jedoch leichte, in Spitzenbelastung auch mittelschwere Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis maximal 10 kg, überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zum bedarfsweisen Haltungswechsel, in temperierten Räumen, witterungsabhängig auch im Freien möglich. Auf Grund der psychischen Symptomatik sind außerdem Tätigkeiten zu vermeiden, die mit besonderem Stress einhergehen. Dies sind gängige qualitative Einschränkungen. Eine zeitliche Limitierung der täglichen Arbeitszeit ist bei deren Beachtung nicht erforderlich.
Demgegenüber vermochte sich der Senat dem Gutachten des Dr. B. zur Einschätzung des Leistungsvermögens nicht anzuschließen. Er hat zwar in Bezug auf die Schmerzsymptomatik ein erheblich anderes Bild des Klägers gezeichnet, insbesondere ein positives Lasègue-Zeichen festgestellt. Dieses hat sich weder bei der Untersuchung durch Dr. C. noch durch Professor Dr. Dr. W. bestätigt. Elektrophysiologische Untersuchungen, wie von Professor Dr. Dr. W. durchgeführt, hat Dr. B. nicht vorgenommen. Nach Professor Dr. Dr. W. ist dies dahingehend zu werten, dass unklar bleibt, ob das bei Dr. B. positive Lasègue-Zeichen noch Ausdruck einer beL.vollen Nervenwurzelreizsymptomatik war. Auch hat Dr. B. eine Gegenprüfung nicht beschrieben. Der Kläger ist damit nicht erwerbsgemindert.
Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit scheidet - unabhängig vom Bestehen von Berufsschutz - bereits wegen des Alters des Klägers aus, da er nach dem 2.1.1961 geboren ist (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
Ein Rentenanspruch des Klägers nach deutschem Recht folgt auch nicht daraus, dass dem Kläger in der Schweiz eine Invalidenrente zuerkannt worden ist. Die Leistungen knüpfen an unterschiedliche Voraussetzungen an. Nach deutschem Rentenversicherungsrecht erfolgt eine Abstufung der Versicherungsfälle je nach dem Ausmaß der Erwerbsfähigkeit. Dies ist eine spezifische Regelung des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland. Im ausländischen Recht ist im allgemeinen lediglich ein einheitlicher - wenn auch in seinen Voraussetzungen wiederum von Land zu Land unterschiedlich geregelter - Versicherungsfall der Invalidität vorgesehen (BSG, Urteil vom 14. Dezember 1998 – B 5 RJ 60/97 R –, SozR 3-6855 Art 11 Nr. 1, BSGE 83, 192-200, SozR 3-2600 § 43 Nr. 20, juris Rn. 16). Verbindlichkeit erlangen die Entscheidungen anderer Staaten bezüglich der Invalidität nur, wenn dies gem. Art. 46 Abs. 3 EG VO Nr. 883/2004 in Anhang VII festgelegt ist. Die Übereinstimmungserklärung der Definitionen des Grads der Invalidität in Anhang VII hat Deutschland aber nicht erklärt - unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit der VO auf die Schweiz. Die Festlegung der (medizinischen) Voraussetzungen für einen Rentenanspruch verbleibt in der Zuständigkeit des nationalen Gesetzgebers (in Bezug auf EU-Recht: Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. Januar 2013 – L 13 R 155/11 –, juris Rn. 51). Soweit der Kläger auf die Beachtung der in der Schweiz erhobenen Befunde abstellt, haben diese sowohl den Beratungsärzten wie auch den Gutachtern vorgelegen, die sich - mit Ausnahme von Dr. B. - jedoch der Leistungseinschätzung der Dr. G. nach schweizerischem Recht nicht anzuschließen vermochten. Insofern sind die Befunde in die Beurteilung miteingeflossen.
Dem noch hilfsweise gestellten Beweisantrag des Klägers war nicht nachzugehen. Eine letztlich für das Gericht verbindliche Würdigung der Vorgutachten durch ein "Obergutachten" sieht die Prozessordnung nicht vor. Vielmehr ist es alleine die ureigenste Aufgabe des Gerichtes im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 128 SGG sich mit den vorliegenden Gutachten auseinander zusetzen, diese zu würdigen, nämlich kritisch nachzuvollziehen und zu überprüfen, und letztlich auf dieser Grundlage zu einer Entscheidung zu gelangen.
Der Berufung der Beklagten war daher stattzugeben und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
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