L 8 U 4806/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 2339/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 4806/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 09.10.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger über den bis 31.10.2009 abgerechneten Gesamtvergütungszeitraum hinaus Verletztenrente zusteht.

Der 1964 geborene Kläger erlitt am 02.10.2008 auf der Fahrt mit seinem PKW von seinem Arbeitsplatz nach Hause einen Verkehrsunfall, bei der er sich eine Acetabulumfraktur (Hüftgelenkpfannenfraktur) links, Frakturen der Os ischium und pubis (Beckenfrakturen) links, Fraktur der vierten und fünften Rippe, eine Lungenkontusion und eine Commotio cerebri zuzog (Durchgangsarztbericht von Prof. Dr. O. vom 06.10.2008; Zwischenbericht der Universitätsmedizin M. – Orthopädisch-Unfallchirurgisches Zentrum – vom 23.10.2008). Der Kläger wurde im Universitätsklinikum M. vom 02.10.2008 bis 22.10.2008 stationär behandelt, in deren Verlauf am 09.10.2008 die Acetabulumfraktur links mit einer Plattenosteosynthese versorgt wurde. Nach fortgeführter ambulanter Behandlung (Zwischenberichte des Universitätsklinikums M. vom 31.10.2008 und 08.12.2008) wurde der Kläger vom 29.12.2008 bis 20.01.2009 in der Berufsgenossenschaftlichen Klinik L. (BG-Klinik) einer berufsgenossenschaftlichen stationären Weiterbehandlung (BGSW-Maßnahme) unterzogen. Ab 20.01.2009 unternahm der Kläger eine Belastungserprobung (ABE-Maßnahme) an seinem Arbeitsplatz (Berichte der BG-Klinik vom 09.02.2009, 29.01.2009 und 12.02.2009). Arbeitsfähigkeit trat am 09.03.2009 ein (Prof. Dr. O., Gutachten vom 15.06.2009).

In dem von der Beklagten veranlassten Gutachten vom 15.06.2009 beurteilte Prof. Dr. O. eine geringfügige Einschränkung der Hüftgelenksbeweglichkeit links, ein Belastungsschmerz im Hüftgelenk links, Anästhesie des lateralen Oberschenkels links und eine Muskelverschmächtigung des linken Oberschenkels als Folgen des Unfalls, die er mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 v.H. und in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.09.2009 – auf Vorhalt der Beklagten – erweitert mit einer MdE um 20 v.H. für den Zeitraum bis 31.10.2009 und danach auf 10 v.H. einschätzte.

Mit Bescheid vom 29.09.2009 über eine Gesamtvergütung gewährte die Beklagte für den Zeitraum vom 09.03.2009 bis 31.10.2009 Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v.H. Bei der Bewertung der MdE seien eine leichte Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk, deutliche Muskelminderung im Bereich des Oberschenkels mit Gefühlsstörungen, erklärbare Schmerzen unter Belastung nach operativ versorgtem Bruch der Hüfte sowie von Brüchen am Becken berücksichtigt worden. Brüche der vierten und fünften Rippe links, eine Lungenkontusion und eine Gehirnerschütterung seien folgenlos ausgeheilt.

Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers mit dem Begehren, eine höhere MdE festzusetzen, wurde das Gutachten von Prof. Dr. E./Prof. Dr. S. vom 30.12.2009 eingeholt. In dem Gutachten wurden eine Oberflächensensibilitätsstörung im linken Oberschenkel, Belastungsschmerz im Bereich der linken Leiste und des linken Gesäßes sowie eine geringe Muskelminderung des linken Oberschenkels als Unfallfolgen beschrieben, die mit einer MdE um 10 v.H. durchgehend vom 09.03.2009 beurteilt wurden. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.05.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

In der hiergegen zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobenen Klage S 10 U 1960/10 wurde der behandelnde Chirurg B. schriftlich als sachverständiger Zeuge befragt (Aussage vom 26.07.2010) und auf richterlichen Hinweis vom 11.02.2011, mit welchen Beschwerden die begehrte Rentenzahlung nach einer MdE um 20 v.H. begründet werde, die Äußerung des Klägerbevollmächtigten vom 14.03.2011 eingeholt. Das Klageverfahren wurde mit gerichtlichem Vergleich vom 19.07.2011 beendet. In dem Vergleich verpflichtete sich die Beklagte zur Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 05.05.2010 und zur Erteilung eines Bescheids über einen Anspruch auf Verletztenrente auf Dauer.

Mit Bescheid vom 06.09.2011 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraums am 31.10.2009 ab.

Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein, denn eine rentenberechtigende MdE bestehe fort (Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 06.10.2011). Die Beklagte holte von Prof. Dr. G. das Gutachten vom 22.12.2011 mit ergänzender Stellungnahme vom 02.02.2012 ein, wonach die unfallbedingte MdE mit 10 v.H. ab 01.11.2009 einzuschätzen sei. Auf Einwand des Klägers (Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 12.03.2012), Leistenschmerzen und die eingeschränkte und schmerzhafte Kniegelenksbeweglichkeit seien von Prof. Dr. G. nicht berücksichtigt worden, holte die Beklagte die weitere Äußerung von Prof. Dr. G. vom 23.04.2012 ein. Darin wies der Sachverständige auf den Zivilrechtsstreit hin, in welchem die Klärung von Beschwerden wegen der erlittenen Lungenkontusion angestrebt werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2012 – beim Klägerbevollmächtigten am 19.06.2012 eingegangen (Bl. 13 der SG-Akte S 4 U 2339/12) – wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Der Kläger erhob am 19.07.2012 Klage vor dem SG und legte das für das Landgericht Mannheim im dortigen Verfahren 6 O 7/11 erstattete unfallchirurgisch-orthopädische Gutachten von Prof. Dr. G. vom 29.05.2012 vor. Darin wurden im dortigen Verfahren schriftlich vorgetragene Beschwerdeangaben referiert, u.a. dass der Kläger Atemprobleme bei ausdauernder Belastung wie Schwimmen oder Radfahren habe. Bei der Untersuchung habe der Kläger angegeben, bei längerem Sitzen habe er Schmerzen im Gesäß- und im Hüftbereich links, beim Bücken habe er Schmerzen im Becken. Zeitweise schlafe ihm der linke Arm ein, Beschwerden bestünden auch an der Halswirbelsäule und ab und zu habe er Schmerzen im linken Kniegelenk. Als Unfallfolge beschrieb Prof. Dr. G. eine endgradige Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenkes, eine unter sehr begrenzter Verformung verheilte Fraktur der Hüftpfanne links, einliegendes Metall vorne, eine Narbe über dem linken Hüftgelenk und regelrecht verheilte Rippenbrüche links. Bei der sehr begrenzten Funktionsstörung des Hüftgelenks seien Stehen, Sitzen, arbeitstägliche Fahrten, Rennen, Laufen, Joggen und auch längeres Stehen möglich. Die sogenannten Restbeschwerden kämen zum Tragen, sodass subjektiv für die genannten Tätigkeiten bzw. Bewegungsabläufe Einschränkungen verspürt würden. Atemprobleme bei ausdauernder Belastung wie Schwimmen und Radfahren könnten nach Thoraxtrauma diskutiert werden.

Außerdem legte der Kläger das vom Landgericht Mannheim eingeholte pulmologische Gutachten von Dr. S. vor. In seinem Gutachten vom 17.10.2012 bewertete der Sachverständige eine bei seiner Lungenfunktionsprüfung diagnostizierte leichte bis mittelschwere Restriktion mit sonst unauffälligem Befund als typische Beschwerden nach Rippenfraktur und Lungenkontusion. Die vom Kläger berichteten Schmerzen beim Schnorcheln würden zu einer Reizung des Rippenfells passen, was typischerweise bei einem erhöhten Druck von außen hervorgerufen werde. Ein Hinweis auf eine primäre Lungenerkrankung habe sich nicht ergeben. Aus internistischer Sicht sei eine Erwerbsminderung von 20 % gegeben.

Das SG holte von Amts wegen das Gutachten vom 10.01.2013 ein. Dr. S. bewertete die von ihm als Unfallfolgen beurteilte Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenks mit endgradigen Funktionsschmerzen, eine Gefühlsminderung an der Vorder-/Außenseite des linken Oberschenkels, eine leichte Gangbehinderung links sowie beschriebene radiologische Veränderungen mit einer MdE von 10 v.H. Der Vergleich seiner Befunde mit den früheren ergebe eher eine leichte Verbesserung der objektiven Unfallfolgen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bestimmte das SG Dr. H. zum Sachverständigen, der in seinem Gutachten vom 11.05.2013 eine schmerzhafte Funktionsstörung am linken Hüftgelenk nach solider knöcherner Ausheilung einer Pfannenfraktur und ohne bedeutsame sekundäre Hüftarthrose sowie belastungsabhängige Schmerzen im Bereich des Brustkorbs nach Rippenbrüchen bei Nachweis einer leichten bis mäßiggradigen restriktiven Atemstörung mit einer MdE von 25 oder 30 v.H. bewertete. Wende er die MdE-Vorschläge der unfallversicherungsrechtlichen Literatur an, ergebe sich für die Beckenverletzung eine unfallbedingte MdE von 0-10 v.H. Aus medizinischer Sicht störe er sich aber daran, dass Verletzungen im Bewegungsapparat überwiegend durch das Maß der Bewegungseinschränkungen vorgegeben werde. Mit den im Alltag kompensierbaren und erträglichen Beschwerden könne der Kläger aber eine Reihe von belastenden Handwerksarbeiten und Industriearbeiten tatsächlich nicht mehr verrichten, weshalb eine MdE von 20 v.H. eher angemessen sei.

Mit Urteil vom 09.10.2013 wies das SG die Klage ab. Eine MdE von 20 v.H. sei nach den mittlerweile vorliegenden sechs Gutachten, letztlich auch nach dem Gutachten von Dr. H., nicht zu begründen. Die von Dr. S. angenommene Erwerbsminderung um 20 v.H. sei mit den speziellen unfallrechtlichen Bewertungen nicht vereinbar.

Der Kläger hat am 08.11.2013 Berufung gegen das Urteil eingelegt und sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Es bestehe nach wie vor die Notwendigkeit einer kontinuierlichen physiotherapeutischen Behandlung. Außerdem bestehe die Gefahr, dass sich im Laufe der Zeit das eingesetzte Implantat infiziere, es zu einer Allergie und Arthrosebildung kommen könne. Er nehme wegen seiner Beschwerden regelmäßig und nahezu täglich Schmerzmittel ein. Längeres Gehen bereite Schwierigkeiten und Schmerzen, selbst beim normalen Gehen auf unebenem Gelände. Bei längeren Konzentrationsphasen träten Kopfschmerzen sowie Atemprobleme bei ausdauernder Belastung auf. Nach der Tabelle in "Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., Kapitel Atemwege und Lungen 17.2.9" werde eine geringgradige Belastungsdispnoe mit einer MdE zwischen 20 und 40 v.H. bewertet. Seine Atembeschwerden seien nicht erst vier Jahre nach dem Unfall bei einem Tauchurlaub aufgetreten, sondern sie seien durch das Schwimmen, Schnorcheln und die Ausdauerbelastung im Urlaub verstärkt aufgetreten. Wegen der starken Schmerzen in der Hüfte habe er keine Ausdauerbelastung der Lunge vornehmen können, seine Beschwerden seien aber bereits nach dem Unfall vorhanden gewesen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 09.10.2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 06.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.06.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ab 01.11.2009 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. auf unbestimmte Zeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil, das sich auf die fünf übereinstimmenden und widerspruchsfreien Gutachten auf unfallchirurgischem Fachgebiet stütze. Der Kläger habe zu keiner Zeit über Beschwerden auf pulmologischem Fachgebiet geklagt. Eine Behandlung habe nicht stattgefunden. Solche Beschwerden seien erstmals nach einem Tauchurlaub aufgetreten. Das Gutachten von Dr. S. enthalte keine Auseinandersetzung mit dem unfallursächlichen Zusammenhang. Die Bewertungen zur Einschränkung der Erwerbsfähigkeit im zivilgerichtlichen Verfahren erfolgten nach anderen Kriterien als in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die vom Kläger angeführte MdE-Tabelle aus der unfallversicherungsrechtlichen Literatur beziehe sich auf die Quarzstaublungenerkrankung und sei nicht geeignet, eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit nachzuweisen. Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. T. vom 16.06.2014 vorgelegt, wonach das Gutachten von Dr. S. nicht schlüssig sei, die Beschwerden seien nicht durch den normalen klinischen Befund und die normalen technischen Untersuchungen belegt. Folgen einer Lungenkontusion und einer anhaltenden Pleurareizung bestünden nicht.

Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akten des Sozialgerichts einschließlich der Akte S 10 U 1960/10 beigezogen. Auf diese Unterlagen und die vor dem Senat angefallene Berufungsakte wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten im Termin hat der Senat verhandeln und entscheiden können, da die ordnungsgemäß geladene Beklagte auf diese Möglichkeit in der Terminsladung hingewiesen worden war (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht Mannheim mit dem angefochtenen Urteil vom 09.10.2013 die Klage abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Zu Recht hat die Beklagte es abgelehnt, Verletztenrente über den 31.10.2009 hinaus zu gewähren.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen zum Anspruch auf Verletztenrente bzw. zur Bemessung der MdE zutreffend dargestellt und in rechtlich nicht zu beanstandender Weise angewendet; der Senat gelangt nach eigener Prüfung zum selben Ergebnis und nimmt auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug (§ 153 Abs. 3 SGG).

Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren zwingt zu keiner anderen Beurteilung.

Die unfallchirurgischen bzw. orthopädischen Gutachten und Stellungnahmen von Prof. Dr. O., Prof. Dr. E./Prof. Dr. S., Prof. Dr. G., Dr. S. und Dr. H. kommen in Anwendungen der unfallmedizinischen Grundsätze übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die auf ihrem Fachgebiet zu beurteilenden Unfallfolgen eine MdE um 10 v.H. rechtfertigen, Dr. H. führt sogar ein vergleichbares Verletzungsmuster der unfallmedizinischen Literatur an, das eine MdE von unter 10 v.H. begründen würde.

Soweit Dr. H. die am Ausmaß der verbliebenen Bewegungsmöglichkeit orientierten MdE-Bewertungstabellen der unfallversicherungsrechtlichen Literatur kritisiert und im Ergebnis daher zu einer höheren MdE kommt, ist dies eine Einzelmeinung, die nicht der unfallmedizinischen und arbeitsmedizinischen herrschenden Lehrmeinung entspricht. Dies hat der Senat bereits in einer früheren Entscheidung aus Anlass einer vergleichbaren gutachterlichen Äußerung von Dr. H. entschieden (vgl. Urteil des Senats vom 25.10.2013 – L 8 U 2828/12 -, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Die unfallmedizinischen Bewertungsgrundsätze sind als Grundlage für die gleiche und gerechte Bewertung in allen Parallelfällen heranzuziehen (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1), denn diese allgemein anerkannten arbeitsmedizinischen Erfahrungssätze bewirken nach dem grundgesetzlichen Gleichbehandlungsgebot über die daraus folgende Selbstbindung der Verwaltung die gebotene Gleichbehandlung aller Versicherten in allen Zweigen der gesetzlichen Unfallversicherung. Abweichungen von den zulässigerweise pauschalisierten Bewertungskriterien sind rechtlich nur dann geboten, wenn die zu bewertende funktionelle Beeinträchtigung des verletzten Organs von dem in der versicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Literatur vorgegebenen, einschlägigen Bewertungsansatz nicht oder nicht vollständig erfasst wird (vgl. Urteil des Senats vom 25.10.2013, a.a.O.). Solche Abweichungen sind von Dr. H. gerade nicht dargelegt worden. Erfasst werden nach allgemeiner Übereinkunft in diesen Bewertungsansätzen die mit dem Grad der Bewegungseinschränkung üblicherweise verbundenen Schmerzen und die damit typischerweise einhergehende Kraftminderung. Hiervon ausgehend war für den Senat nicht ersichtlich, dass Dr. H. in Abweichung zu den Vorgutachten beim Kläger eine besondere Schmerzbelastung durch die funktionellen Beeinträchtigungen an der linken Hüfte – sowie in den Vorgutachten auch am Becken – konstatiert hat. Auffallende schmerzbedingte Schonungszeichen der unteren Gliedmaßen haben sich bei der Untersuchung von Dr. H. nicht ergeben, insbesondere sind auffällige schonungsbedingte Muskelverschmächtigungen den von Dr. H. mitgeteilten Umfangmaßen beider unterer Extremitäten nicht zu entnehmen. Auch von Dr. S. war bereits ein seitengleicher Muskelumfang der Beine beschrieben worden. In diesem Zusammenhang hat Prof. Dr. G. überzeugend dargelegt, dass für die unterschiedlichsten Verrichtungen im Gehen, Stehen und Sitzen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt der Kläger durch die begrenzte Funktionsstörung des Hüftgelenks nicht eingeschränkt ist. Eine subjektive Betroffenheit durch die verbleibenden Restbeschwerden komme zum Tragen, könne aber im Hinblick auf die begrenzten morphologischen Veränderungen an Hüfte und Becken medizinisch nicht quantifiziert werden. Darüber hinaus verkennt Dr. H. bei der Aufzählung der Tätigkeiten in verschiedenen Bereichen des Arbeitsmarktes, die dem Kläger wegen dieser Funktionsbeeinträchtigung angeblich verschlossen seien – ohne dies dezidiert zu belegen –, dass mit der Erwerbsminderung um 10 v.H. für bestimmte Funktionsbeeinträchtigungen generalisierend zum Ausdruck kommt, in welchem Umfang trotz der funktionellen Beeinträchtigung dem Kläger noch Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Arbeitsmarkt verblieben sind.

Ob beim Kläger darüber hinaus noch unfallbedingte Atembeschwerden vorliegen, lässt der Senat dahinstehen. Die von Dr. S. beschriebene Einschränkung der Atemfunktion unter Belastung, der unfallbedingte Zusammenhang zugunsten des Klägers einmal unterstellt, rechtfertigt jedenfalls keine Erhöhung der unfallbedingten MdE auf 20 v.H.

Zur Überzeugung des Senats rechtfertigt der von Dr. S. beschriebene lungenfachärztliche Befund keine (Teil-)MdE um 10 v.H. An dessen ärztliche MdE-Bewertung ist der Senat nicht gebunden, denn der diesbezügliche medizinische Befund und seine funktionelle Auswirkung werden vom Senat – mit Ausnahme der mitgeteilten Lungenfunktionswerte aus der Bodyplethysmographie – als zutreffend unterstellt. Insoweit ist die hieraus resultierende MdE aber eine vom Senat zu beantwortende Rechtsfrage. Unter Berücksichtigung der unfallversicherungsrechtlichen Bewertungsgrundsätze schätzt der Senat die aus der Rippenserienfraktur resultierende gesundheitliche Folge mit einer Teil-MdE von weniger als 10 v.H. ein.

Soweit der Kläger auf die vorgelegten MdE-Tabelle in Schönberger u.a., a.a.O. verweist, wonach bereits bei klinischem Normalbefund und grenzwertigem Lungenfunktionsbefund eine MdE um 10 v.H. zu begründen sei, bezieht sich dies auf das Krankheitsbild einer obstruktiven Atemwegserkrankung, wie dies die Quarzstaublungenerkrankung darstellt. Diese MdE-Bewertungskriterien sind daher nicht uneingeschränkt auf den von Dr. S. erhobenen lungenfachärztlichen Befund einer restriktiven Atemwegserkrankung zu übertragen. Ein pathologischer organischer Lungenbefund, insbesondere eine Obstruktion der Atemwege, liegt beim Kläger nach Dr. S. gerade nicht vor. Überdies hat die pulmokardiale funktionelle Einschränkung bei der Quarzstaublungenerkrankung einen großen Stellenwert (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., Seite 1016). Solche Einschränkungen sind beim Kläger auf internistischem Fachgebiet aber gerade nicht diagnostiziert. Dr. S. hat bei seinen technischen Untersuchungen mit Ruhe-EKG, Echokardiographie und Belastungs-EKG – eine Belastung war bis 175 Watt bei Hüftschmerzen und Dyspnoe möglich – Normalbefunde erhoben, insgesamt hatte sich kein Hinweis für eine myokardiale Ischämie ergeben. Hinweise auf eine Lungengerüsterkrankung, Nachweise von Infiltraten oder Herdbefunden im Lungenparenchym bei glatt begrenzter Pleura ohne erkennbare Weichteilraumforderung fanden sich nicht. Die Verdachtsdiagnose eines Zwerchfellhochstandes konnte röntgenologisch ausgeschlossen werden. Nach Dr. S. sind die vom Kläger geklagten Atembeschwerden durch eine Reizung des Rippenfells als Folge der Rippenfraktur und Lungenkontusion zu erklären.

Ob die Ergebnisse der von Dr. S. vorgenommenen Lungenfunktionsprüfung mangels Schlüssigkeit insgesamt nicht verwertbar sind, was Dr. T. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 16.06.2014 wohl annimmt, kann dahinstehen. Die knapp bemessene beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. T., die sich außerdem zum großen Teil in einer stichwortartigen Kritik des mehrseitigen Gutachtens von Dr. S. erschöpft, ist für den Senat daher nicht in allen Punkten überzeugend. Die Lungenfunktionswerte der von Dr. S. durchgeführten Bodyplethysmographie sind aber nicht gänzlich deckungsgleich und miteinander vereinbar, was nach Dr. T., insoweit für den Senat noch verständlich, auf eine nicht optimale Mitarbeit des Klägers hinweist. So ist die Einsekundenkapazität (FEV1), d.h. das gemessene Ausatmungsvolumen, mit 69 % des Sollwertes und die relative Einsekundenkapazität (FEV1/IVC), ausgedrückt in der eingeatmeten Volumenkapazität, mit 93 % des Sollwertes angegeben. Ebenso verweist Dr. T. auf die nicht miteinander vereinbaren unterschiedlichen Werte des Reservevolumens (RV), das in der Bodyplethysmographie mit 72 % des Sollwertes und bei der Messung der CO-Diffusionskapazität mit 28 % des Sollwerts angegeben ist. Im Übrigen sind die Sollwerte der verschiedenen Messdaten etwa um ein Viertel unterschritten (bzw. geringfügig darunter), was mit den erhobenen unauffälligen organischen Befunden nicht direkt erklärbar ist. Dies bringt auch Dr. T. in seiner insoweit für den Senat nachvollziehbaren beratungsärztlichen Stellungnahme zum Ausdruck. Jedenfalls ist eine Graduierung nach dem Schweregrad beim Sollwert von 70 % bis zum unteren jeweiligen Grenzwert des FEV1 und der Vitalkapazität (VC) noch mit leicht einzustufen (vgl. Reichenhaller Empfehlung, – November 2012 –, Kap. 3.2.5 Spirometrie). Die beim Kläger erhobenen Messwerte FEV1 (69 % des Sollwerts) und IVC (inspiratorische Vitalkapazität mit 73 % des Sollwerts) rechtfertigen daher allenfalls eine Teil-MdE um 10 v.H.

Eine dauerhafte Pleurareizung ist jedoch mit den im Behandlungsverlauf nach dem Unfall dokumentierten klinischen Befunden ohne Atembeschwerden nicht zu vereinbaren. Zutreffend verweist die Beklagte darauf, dass unmittelbar nach dem Unfall bei den Untersuchungen in verschiedenen Kliniken und durch unterschiedliche Ärzte keine Atemwegsprobleme in den Arztunterlagen dokumentiert wurden. Dies gilt auch für den behandelnden Arzt, Chirurg B., der weder in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 26.10.2010 noch in seinem Nachschaubericht vom 13.08.2013 Befunde zu Atembeschwerden angegeben hatte. Selbst der Kläger hatte auf die richterliche Nachfrage vom 10.02.2011 über seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 14.03.2011 gesundheitliche Beschwerden vortragen lassen, die nach seiner Auffassung die begehrte MdE um 20 v.H. begründeten, ohne hierbei Atembeschwerden zu nennen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass etwaige Atembeschwerden den Kläger in einem so geringen Ausprägungsgrad belasteten, dass sie zunächst für nicht behandlungsbedürftig oder nicht erwähnenswert erachtet wurden. Die Behauptung des Klägers, die Beschwerden hätten von Anfang an bestanden, ist insofern nicht nachvollziehbar, als er noch bei der Begutachtung durch Prof. Dr. S. im Dezember 2009 angegeben hatte, er unterstütze die Therapie durch selbstständiges Schwimmen und Fahrradfahren. Atembeschwerden sind in diesem Zusammenhang von ihm nicht genannt worden, obgleich er solche später nach dem Gutachten von Prof. Dr. G. vom 29.05.2012 jedenfalls gerade bei diesen sportlichen Betätigungen bemerkt haben will. Im vorliegenden Verfahren sind Atembeschwerden beim Schwimmen und Tauchen ausdrücklich erstmals im Gutachten von Dr. S. vom 10.01.2013 angeführt. Gegenüber Dr. S. hat der Kläger auch angegeben, er habe beim letzten Ägyptenurlaub beim Schnorcheln die Beschwerden bemerkt. Unter Berücksichtigung der Ausführungen von Dr. S., dass die Reizung des Rippenfells typischerweise bei einem erhöhten Druck von außen hervorgerufen werde, was nach seiner Auffassung typischerweise zu den vom Kläger angegebenen Atembeschwerden beim Schnorcheln geführt habe, ist die Atemwegsproblematik von besonderen äußeren Bedingungen abhängig, die nur in Ausnahmefällen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorherrschen. Diese Einschätzung wird von der dokumentierten Beschwerdefreiheit des Klägers auch während des therapeutisch betriebenen Sports, wie bei Prof. Dr. S. angegeben, bestätigt. Eine unfallbedingte Atembeeinträchtigung liegt somit nicht unter üblichen Belastungsbedingung, sondern nur in besonderen, selten auftretenden Situationen vor, was eine fassbare Erwerbsminderung von mindestens 10 v.H. nicht begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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