L 5 R 3808/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 2706/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3808/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 02.04.2008 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Bescheid vom 16.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.11.2006 rechtswidrig war.

Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte zu Recht die Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes abgelehnt hat.

Der Kläger ist der Ehemann der am 02.04.1949 geborenen und am 28.03.2006 verstorbenen Fachärztin für Nervenheikunde F.-N. (F.-N.). F.-N. war in Wangen als ärztliche Psychotherapeutin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie war fast ausschließlich (97 %) psychotherapeutisch im Richtlinienverfahren der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie tätig und wurde bedarfsplanungsrechtlich als Psychotherapeutin geführt. Bis Ende 2003 führte sie ihre Praxis (weit abseits gelegen) in B., zum 1.1.2004 verlagerte sie ihren Praxissitz nach W ... Erste Anzeichen einer schweren Erkrankung stellten sich im November 2004 ein.

F.-N. rechnete zuletzt wie folgt ab:

Quartal Fallzahl F.-N. Fallzahl Durchschnitt der Fachgruppe

3/2004 48 33 4/2004 52 34 1/2005 30 33 2/2005 20 35 3/2005 3 35

Die Abrechnungen für die Quartale 2/2005 und 3/2005 reichte der Kläger im November 2005 bei der Beklagten als Nachzüglerscheine ein.

Für Nervenärzte bestand 2006 im Planungsbereich R. bei einem Versorgungsgrad von 138,2 % eine Zulassungssperre, gleichfalls für Psychotherapeuten bei einem Versorgungsgrad von 215,3 %.

Mit Schreiben vom 21.11.2005 beantragte der Kläger als Vertreter seiner Ehefrau bei der Beklagten das Ruhen der Zulassung rückwirkend vom 01.07.2005 bis 30.06.2006. Seine Ehefrau sehr schwer erkrankt und seit 01.07.2005 arbeitsunfähig. Sie habe seit dem keine kassenärztliche Tätigkeit durchgeführt und werde dies bis auf Weiteres auch nicht wieder können. Weil sie noch Hoffnung auf Heilung habe, beantrage sie hiermit das Ruhen ihrer Kassenzulassung. Mit Bescheid vom 08.03.2006 (Sitzung vom 13.12.2005) stellte der Zulassungsausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg für den Regierungsbezirk T. das Ruhen der Zulassung von Frau F.-N. in der Zeit vom 01.07.2005 bis 30.06.2006 fest. Gesundheitliche Probleme eines Vertragsarztes würden vom Zulassungsausschuss in der Regel als Grund für das Ruhen der vertragsärztlichen Tätigkeit anerkannt. Gründe der Sicherstellung stünden dem nicht entgegen. Bei einem Versorgungsgrad mit Nervenärzten von 135,4 % im Planungsbereich Ravensburg sei eine drohende Unterversorgung nicht zu befürchten.

Nach dem Ableben von Frau F.-N. am 28.03.2006 beantragte der Kläger mit am 12.04.2006 bei der Beklagten eingegangen Schreiben die Ausschreibung ihres Vertragsarztsitzes. Wunschnachfolger sei der Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. K., mit dem schon vor dem Tod seiner Ehefrau Gespräche zur Übernahme stattgefunden hätten. Angestrebt werde die Übernahme des Mietvertrages, die Praxis befinde sich in einer Zwei-Zimmer-Wohnung und wäre für eine nervenärztliche Praxis sicherlich zu klein.

Mit Beschluss vom 09.05.2006/Bescheid vom 16.05.2006 lehnte die Beklagte den Antrag auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes von F.-N. ab. Dem Ausschreibungsantrag liege die Besonderheit zu Grunde, dass die Zulassung von Frau F.-N. vom 01.07.2005 bis zu ihrem Todestag am 28.03.2006 geruht habe und für das davorliegende Quartal 2/2005 von ihr keine Abrechnung eingereicht und somit auch keine Leistungen abgerechnet worden seien. Dies lasse den Schluss zu, dass sie auch bereits in diesem Quartal aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr ärztlich tätig gewesen sei. Nach insgesamt einem Jahr ohne Ausübung der ärztlichen Tätigkeit liege nach Ansicht des Sicherstellungsausschusses keine Praxis mit Patientenstamm mehr vor, die an einen Nachfolger übergeben werden könne. Hinzuzurechnen wäre dabei auch noch der Zeitraum für die erforderliche Ausschreibung im Ärzteblatt, die Bewerbungsfrist und das sich anschließende Auswahlverfahren vor dem Zulassungsausschuss. Ein Vertragsarzt, der eine vertragsärztliche Tätigkeit tatsächlich nicht wahrnehme, keine Praxisräume mehr besitze, keine Patienten mehr behandle und über keinen Patientenstamm mehr verfüge, betreibe keine Praxis mehr, die im Sinne von § 103 Abs. 4 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) von einem Nachfolger fortgeführt werden könnte. Der Umstand, dass offenbar noch Praxisräume in Form einer Zwei-Zimmer-Wohnung und eine Patientenkartei vorhanden seien, stelle keine Praxis mehr dar, die an einen Nachfolger zur Fortführung übergeben werden könnte.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger hiergegen geltend, die Situation des Ruhens der Zulassung sei anders zu beurteilen. Es könne nicht sein, dass nach dem Ruhen der Zulassung von nur einem Jahr keine Praxis mehr vorhanden sei. Eine fortführungsfähige Praxis sei jedoch vorhanden. Es seien Praxisräume vorhanden, es sei ein Patientenstamm vorhanden, denn bis zum heutigen Tage riefen Patienten beim Kläger an. Diesen müsse der Kläger bedauerlicher Weise mitteilen, dass seine Ehefrau verstorben sei. Patienten seien teilweise bis kurz vor dem Tod von F.-N. in die Privatwohnung der Ehefrau gekommen und hätten dort nach ihr verlangt. Hinzu komme, dass F.-N. nicht auf Laufkundschaft angewiesen gewesen sei. Sie habe jahrelang abseits jeglicher öffentlicher Verkehrsanbindung auf einem einsamen Gehöft bei B. ihre Praxis betrieben und sei erst zum 01.01.2004 nach W. gezogen. Der beste Beweis dafür, dass ein nennenswerter materieller und insbesondere immaterieller Vermögenswert vorhanden sei, zeige der Umstand, dass sich zwei Bewerber für den Vertragsarztsitz der F.-N. interessierten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine fortführungsfähige Praxis habe nicht mehr bestanden. Hierfür genügten weder die Praxisräume in Form einer Zwei-Zimmer-Wohnung noch eine Patientenkartei, schließlich sei auch nach einem Zeitraum von mehr als neun Monaten ohne Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit davon auszugehen, dass für die Praxis der verstobenen Nervenärztin auch kein erforderlicher "Goodwill" mehr vorhanden sei. Wie lange nach dem Ende der vertragsärztlichen Tätigkeit der Antrag auf Ausschreibung gestellt werden könne, sei im Gesetz nicht geregelt. Ziel des Gesetzgebers sei es, einen möglichst nahtlosen Übergang der Praxis vom abgebenden auf den übernehmenden Arzt zu erreichen. Der Schutzzweck des § 103 Abs. 4 SGB V bestehe darin, den wirtschaftlichen Wert der Arztpraxis im gesperrten Gebiet zu erhalten und außerdem eine kontinuierliche Versorgung der Versicherten im gewohnten und vertrauten Umfeld mit der weiterhin zu Verfügung stehenden Patientenkartei zu gewährleisten. Danach werde man - entsprechend der ständigen Verwaltungspraxis der jetzigen Bezirksdirektion Reutlingen der KV Baden-Württemberg - vom Wegfall des Ausschreibungsrechtes grundsätzlich nach Ablauf von sechs Monaten nach Beendigung der Zulassung des Praxisabgebers ausgehen dürfen. Innerhalb dieser Frist werden sich Patienten nach der Lebenserfahrung verlaufen, mit der Folge, dass es an einer Grundlage fehle, die als Praxis von einem Nachfolger fortgeführt werden könne. Dies sei im Falle der verstorbenen F.-N. nicht mehr der Fall, weil von einem Zeitraum von mehr als neun Monaten ohne Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ausgegangen werden müsse.

Mit seiner hiergegen am 13.12.2006 bei dem Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobenen Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass die angefochtenen Bescheide zu Unrecht die Ausschreibung der Praxis seiner Ehefrau abgelehnt haben. Er wiederholte sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und machte ergänzend geltend, für ihn als Erbe seiner verstorbenen Ehefrau stelle deren Praxis einen erheblichen Wert dar. Dies habe sich unter anderem darin gezeigt, dass er nach dem Tod seiner Ehefrau wiederholt Anfragen von Nervenärzten erhalten habe, welche bereit gewesen wären, die Praxis zu kaufen. Deshalb habe er auch bei der Beklagten den Antrag auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes seiner verstorbenen Ehefrau gestellt. Die erforderliche Praxisinfrastruktur sei nach wie vor vorhanden, die Krankheit der Ehefrau des Klägers habe an dieser Infrastruktur nicht das Geringste geändert, der Praxisbetrieb habe lediglich geruht verbunden mit der Hoffnung, die Tätigkeit nach der Genesung wieder aufnehmen zu können. Es könne nicht richtig sein, dass durch das Ruhen der Praxis die Voraussetzungen für die Fortführung dieser Praxis durch einen Nachfolger automatisch entfielen. Ihm gehe es nicht um finanzielle Vorteile für sich, der Kaufpreis für die Praxis habe mehr oder weniger nur symbolischen Charakter. Ihm gehe es darum, dass das Lebenswerk seiner verstorbenen Ehefrau fortgesetzt werde.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Nach ihrer Auffassung müssen für den Fall des Ruhens der Zulassung die selben Anforderungen gelten wie bei einem Ausscheiden des Vertragsarztes aus anderen Gründen. Eine Praxis könne nur fortgeführt werden, wenn überhaupt noch ein Praxissubstrat vorhanden sei. Daran fehle es aber nach Ablauf von sechs Monaten, unabhängig davon, ob das Ruhen der Zulassung angeordnet worden sei oder nicht. Ausschlaggebend sei allein, ob eine vertragsärztliche Tätigkeit noch ausgeübt werde. Die tatsächliche Beendigung der Praxis und die formelle Beendigung durch den Ruhensbeschluss fielen zusammen. Eine Praxis, die sechs Monate nicht mehr betrieben worden sei, verfüge grundsätzlich über keinen Patientenstamm mehr. Auch der nach dem Ruhen der Zulassung seine Praxistätigkeit wieder aufnehmende Vertragsarzt müsse auf sein eigenes Risiko wieder ganz neu aufbauen.

Das Sozialgericht hat Ärzte zum Gesundheitszustand von Frau F.-N. befragt. Dr. S. teilte unter dem 07.09.2007 mit, er habe Frau F.-N. palliativ vom 10.10.2005 bis zu ihrem Ableben betreut. Sie sei beim Erstkontakt in einem sehr schwachen Allgemeinzustand gewesen, überwiegend bettlägerig mit nur kurzen Gehstrecken. Diese Gesundheitsstörungen ließen bereits bei Aufnahme der Patientin am 10.10.2005 eine weitere berufliche Tätigkeit als Psychotherapeutin nicht mehr zu. Frau F.-N. sei an den Folgen eines metastasierenden Mammakarzinoms gestorben. Aus seiner Sicht sei nicht mehr damit zu rechnen gewesen, dass sie ihre Tätigkeit wieder hätte aufnehmen können. Hiervon sei Frau F.-N. aber bis zuletzt überzeugt gewesen. Beigefügt waren der Auskunft Arztbriefe u. a. der O. R. über einen stationären Aufenthalt vom 28.07.2005 bis 16.08.2005, bei dem eine strahlentherapeutische Behandlung sowie eine palliative Radiatio der unteren BWS sowie der gesamten LWS durchgeführt wurde, der Bericht der F., F., vom 01.10.2005 über eine stationäre Behandlung vom 12.09.2005 bis 01.10.2005 (56-jährige Patienten in stark reduziertem Allgemeinzustand und kräftigem Ernährungszustand). Aus weiter beigefügten Arztbriefen ergab sich, dass Frau F.-N. ab 14.07.2005 in der Oberschwabenklinik R. intensiv radiologisch untersucht worden war. Bei anfänglich diffusen Metastasen in der gesamten Wirbelsäule ergab sich zuletzt, dass die Karzinomzellen im Punktat morphologisch mit einem Mamma-Ca gut vereinbar seien.

Mit Urteil vom 02.04.2008 wies das SG die Klage ab. Nach Ansicht der Kammer habe im Zeitpunkt der Antragstellung eine fortführungsfähige Praxis der verstorbenen Ehegattin des Klägers nicht mehr vorgelegen. In der Praxis der verstorbenen Ehegattin des Klägers seien 20 Fälle für das Quartal 2/2005 und drei Fälle für das Quartal 3/2005 abgerechnet worden, während die Durchschnittsfallzahl von Psychotherapeuten in jenem Zeitraum zwischen 33 und 36 betragen habe. Bei nur drei abgerechneten Fällen im Quartal 3/2005 und im Hinblick auf die ab 28.07.2005 begonnene stationäre Behandlung in der Oberschwabenklinik R. sei davon auszugehen, dass die Praxis ab Juli 2005 nicht mehr in nennenswertem Umfang und damit nicht mehr betrieben worden sei. Bis zu dem am 12.04.2006 gestellten Ausschreibungsantrag seien mehr als neun Monate vergangen, in denen eine psychotherapeutische Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen nicht mehr entfaltet und damit eine fortführungsfähige vertragsärztliche Tätigkeit nicht mehr ausgeübt worden sei.

Gegen das seinen Bevollmächtigten am 10.04.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.04.2008 Berufung eingelegt, die zunächst unter dem Aktenzeichen L 5 KA 1837/08 geführt wurde. Das Verfahren wurde durch Beschluss vom 13.12.2010 zum Ruhen gebracht, um die Entscheidung des Bundessozialgerichts im Verfahren B 6 KA 39/10 R abzuwarten. Danach wurde der Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen L 5 KA 2008/12 fortgesetzt. Der Kläger hat wiederholend vorgebracht, dass seine Ehefrau bis zu ihrem Tod daran geglaubt habe, wieder gesund zu werden; dementsprechend habe er auch bis dahin ihre Patienten vertröstet. Es sei deshalb auch aus rückblickender Sicht unerheblich, ob seine Ehefrau spätestens seit Oktober 2005 objektiv nicht mehr in der Lage gewesen sei, ihre vertragsärztliche Tätigkeit fortzuführen. Entscheidend sei allein die Existenz einer fortführungsfähigen Praxis. Die Patientenkartei, der Kartenleser, ein Rezeptdrucker, Formulare, Praxisräume und der zur Praxis gehörende Telefonanschluss seien lange über den Tod von Frau F.-N. vorhanden gewesen. Diese habe auch nicht über Laufkundschaft verfügt. Sie habe zu bestimmten Frauen-Gruppen Beziehungen gehabt. Diese hätten ihr regelmäßig Patienten geschickt, ebenso wie die Hausärzte der hiesigen Umgebung. Sie habe insbesondere viele Frauen mit frühkindlicher sexueller Misshandlung behandelt und diese Frauen über viele Jahre hinweg betreut. Insoweit habe sie sich auf dieses Gebiet spezialisiert. Diese Frauen hätten sie immer wieder konsultiert, zugleich seien ihr von den Frauen-Gruppen und von den Hausärzten weitere Frauen zugewiesen worden. Diese Tätigkeit hätte von dem Hauptbewerber ohne Weiteres fortgesetzt werden können, den seine Ehefrau aus verschiedenen Seminaren gekannt habe und von dem sie wusste, dass dieser auch diesen Tätigkeitsschwerpunkt hätte fortführen können. Sowohl seine Ehefrau als auch Dr. K., der für die Praxis seiner Ehefrau bereit gewesen sei, 15.000,00 EUR zu zahlen, hätten sich auf das Gebiet der Trauma-Therapie spezialisiert.

Nach Fortführung des Verfahrens ließ der Kläger vortragen, es sei schwer, den Ertragswert der Praxis seiner Ehefrau zu schätzen, weil diese ihre Praxis bis zum Jahr 2004 in B. betrieben habe und dieser Ort völlig abseits liege. Ohne ihre Erkrankung hätte sie im Jahr 2004 mit Sicherheit einen Umsatz von über 100.000,00 EUR erwirtschaftet. Der Drei-Jahres-Zeitraum zur Berechnung könne nicht herangezogen werden, weil es diese drei Jahre in W. nicht gegeben habe. Für den "good will" seien mindestens 10.000,00 EUR und für die Wirtschaftsgüter 5.000,00 EUR anzusetzen. Die Praxisräume, für die Frau F.-N. pro Monat 475,00 EUR gezahlt habe, seien im September 2006 nach Ablehnung des Ausschreibungsantrags geräumt worden. Seine Ehefrau habe bis zuletzt anrufende Patienten auf den Zeitpunkt ihrer Genesung vertröstet. Sie habe auch, weil sie von der Genesung ausgegangen sei, es abgelehnt, ihre Praxis zur Ausschreibung zu geben und an einen geeigneten Bewerber zu verkaufen. Darüber hinaus seien die Zuweiser nach wie vor vorhanden gewesen. Dies alles zeige, dass eine fortführungsfähige Praxis bestanden habe. Die Beklagte setze das Ruhen der vertragsärztlichen Tätigkeit mit der Aufgabe der Praxis gleich.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 02.04.2008 aufzuheben und festzustellen, dass der Bescheid vom 16.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.11.2006 rechtswidrig war, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Sie hält an ihrer Auffassung, dass eine fortführungsfähige Praxis nicht mehr bestanden habe, fest. Der Wille des Vertragsarztes, irgendwann wieder vertragsärztlich tätig zu werden, reiche nicht aus. Dass eine Vielzahl von Bewerbern nach Aussage des Klägers Interesse am Erwerb der Praxis der Verstorbenen gehabt hätten, sei im Hinblick auf den mit 138 % überversorgten und damit für Nervenärzte gesperrten Planungsbereich R. nicht verwunderlich. Dies ändere aber nichts daran, dass nach ihrer Auffassung der Praxis nicht einmal mehr ein immaterieller Wert zugekommen sei. Die Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 14.12.2011 - B 6 KA 39/10 R ändere hieran nichts. Diesem Urteil habe ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen. Sie habe zu Recht davon ausgehen dürfen, dass sich nach Ablauf von sechs Monaten nicht ausgeübter vertragsärztlicher Tätigkeit die Patienten verlaufen und andere psychotherapeutische Praxen aufsuchten, so dass auch ein immaterieller Wert der Praxis nicht geschätzt werden könne. Der Umstand, dass Dr. K. die Praxis habe übernehmen wollen, könne ein Praxissubstrat nicht begründen. Wo kein Praxissubstrat vorhanden sei, könne trotz Übernahmewille auch keine Praxis übernommen werden. Ihre Rechtsauffassung, dass eine Praxis, die länger als sechs Monate nicht betrieben worden sei oder geruht habe, nicht ausgeschrieben werden könne, führe nicht zu einer Benachteiligung von psychotherapeutischen Praxen. Gerade weil im Bereich der Psychotherapie eine kontinuierliche Behandlung der Patienten sehr wichtig sei, hätten sich die in Behandlung befindlichen Patienten spätestens nach sechs Monaten auf andere Praxen verteilt. Nach Ablauf von sechs Monaten hätten sich auch potentielle Überweiser nach anderen Praxen umgesehen, an die sie ihre Patienten überweisen könnten.

Der Senat hat Dr. K. als Zeugen befragt. Dieser hat in seiner schriftlichen Aussage vom 22.07.2013 angegeben, er wäre nach dem Tod von Frau F.-N. bereit gewesen, sich auf deren Vertragsarztsitz zu bewerben. Für ihn sei die Zulassung zur psychosomatischen Medizin attraktiv gewesen, weil zu diesem Zeitpunkt keine neuen Zulassungen in der Region verfügbar gewesen seien, er sich also nicht anders hätte selbständig machen können. Er gehe davon aus, dass er damals bereit gewesen wäre, den später für die Übernahme seiner jetzigen Praxis bezahlten Betrag von 25.000,00 EUR aufzuwenden. Er habe allerdings nie direkt mit Frau F.-N. wegen einer Praxisübernahme Kontakt gehabt. Er habe damals bei verschiedenen Kollegen, die er wegen ihres Alters für potentiell abgabewillig eingeschätzt habe, direkt angerufen bzw. angeschrieben. Da sich Frau F.-N. nicht gemeldet habe, sei dies für ihn ein Signal gewesen, dass sie kein Interesse an einer Praxisübernahme gehabt habe. Erst nach deren Tod habe sich der Kläger bei ihm gemeldet, er sei sodann an einer Übernahme interessiert gewesen.

Wegen weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 16.05.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.11.2006 zu Unrecht die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes der verstorbenen Ehefrau des Klägers F.-N. abgelehnt. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Antragstellung Anspruch auf Ausschreibung dieses Vertragsarztsitzes.

Der Kläger hat, gestützt auf § 131 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG), zu Recht am 13.12.2006 eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage mit dem Ziel erhoben, neben der Aufhebung des Bescheids vom 16.05.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.11.2006 auch die Feststellung zu erreichen, dass die Ablehnung der Ausschreibung des Vertragsarztsitzes der F.-N. rechtswidrig war. Bereits zu diesem Zeitpunkt war eine Ausschreibung mit dem Ziel der Fortführung der bisherigen Praxis nicht mehr möglich, nachdem die Praxisräume nach Angaben des Klägers im September 2006 nach Ablehnung der Ausschreibung gekündigt wurden, sodass lediglich noch die (im Keller des Klägers verwahrten) Patientenunterlagen als Praxissubstrat zur Verfügung gestanden hätten. Der Bescheid über die (Ablehnung der) Ausschreibung hatte sich somit schon vor Klageerhebung erledigt. Die Feststellungsinteresse des Klägers im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG liegt auch vor. Es ist jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität gegeben, weil ein Schadensersatzprozess mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Zwar hat der Kläger bislang gegenüber der Beklagten nur die Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen schriftlich angekündigt, er hat jedoch mit hinreichender Deutlichkeit zu erkennen gegeben, dass er im Falle eines Obsiegens die Beklagte wegen der ihm als Folge der zu Unrecht unterlassenen Ausschreibung entgangenen Erlöse durch einen Verkauf der Praxis von Frau F.-N. in Regress nehmen will (Schriftsatz vom 15.10.2010). Dies genügt nach der Rechtsprechung des BSG für die Annahme eines Feststellungsinteresses (vgl. BSG, SozR 4 - 2500 § 103 Nr. 6 Rn. 14).

Gemäß § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V in der bis 31.12.2012 unverändert gültigen und hier maßgeblichen Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes (- GSG - vom 21.12.1992, BGBl I, S. 2266) hat, wenn die Zulassung eines Vertragsarztes in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, durch Erreichen der Altersgrenze, Tod, Verzicht oder Entziehung endet und die Praxis von einem Nachfolger fortgeführt werden soll, die Kassenärztliche Vereinigung auf Antrag des Vertragsarztes oder seiner zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben diesen Vertragsarztsitz in den für ihre amtlichen Bekanntmachungen vorgesehenen Blättern unverzüglich auszuschreiben und eine Liste der eingehenden Bewerbungen zu erstellen. Eine bezüglich der hier maßgeblichen Kriterien gleichlautende Formulierung findet sich nach der Umgestaltung des § 103 SGB V durch das GKV-VStG nunmehr in § 103 Abs. 3a Satz 1 SGB V nF. Die Voraussetzungen für die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes von Frau F.-N. haben hier vorgelegen. Zwischen den Beteiligten ist dabei unstreitig, dass sowohl für Nervenärzte als auch für Psychotherapeuten im Planungsbereich Ravensburg mit einem Versorgungsgrad von 138,2 % (Nervenärzte) bzw. 215,3 % (Psychotherapeuten) eine Zulassungssperre besteht, die Zulassung von Frau F.-N. mit ihrem Tod am 28.03.2006 geendet hat, der Kläger ihr Erbe ist und am 12.04.2006 einen Antrag auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes gestellt hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten, war jedenfalls zum Zeitpunkt der Antragstellung, aber auch noch zum Zeitpunkt der Entscheidung der Beklagten am 09.05.2006 eine fortführungsfähige Praxis vorhanden.

Wie das BSG in ständiger Rechtsprechung erkannt hat, ist § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V darauf ausgerichtet, dass eine Praxis fortgeführt werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 29.09.1999 - B 6 KA 1/99 R sowie zuletzt BSG vom 20.03.2013 - B 6 KA 19/12 R). Ziel der Ausschreibung wie auch der Nachbesetzung ist die "Fortführung der Praxis". Dies impliziert eine weitest mögliche Kontinuität des Praxisbetriebs und setzt voraus, dass überhaupt noch ein Praxissubstrat vorhanden ist bzw. dass es noch eine fortführungsfähige Praxis gibt. Nur so kann dem Ausnahmecharakter der Praxisnachfolge in überversorgten Planungsbereichen Rechnung getragen werden (vgl. BSG vom 20.03.2013 - B 6 KA 19/12 R n. w. N.). Eine Praxis kann im Sinne des § 103 Abs. 4 Satz 1 nur dann von einem Nachfolger fortgeführt werden, wenn der ausscheidende Vertragsarzt zum Zeitpunkt der Beendigung seiner Zulassung - von der seltenen Situation des Ruhens der Zulassung zunächst abgesehen - tatsächlich unter einer bestimmten Anschrift in nennenswertem Umfang noch vertragsärztlich tätig gewesen ist (vgl. § 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Dies setzt den Besitz bzw. Mitbesitz von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen der für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet erforderlichen Infrastruktur in räumlicher und technischer Hinsicht voraus. Fehlt es an all dem, wird eine ärztliche Praxis tatsächlich nicht betrieben und in Folge dessen auch die vertragsärztliche Tätigkeit nicht ausgeübt. Ein Vertragsarzt, der eine vertragsärztliche Tätigkeit tatsächlich nicht wahrnimmt, keine Praxisräume mehr besitzt, keine Patienten mehr behandelt und über keinen Patientenstamm verfügt, betreibt keine Praxis mehr im Sinne von § 103 Abs. 4 Satz 1, die von einem Nachfolger fortgeführt werden könnte.

Dem Umstand, dass die Zulassung von Frau F.-N. in der Zeit vom 01.07.2005 bis 30.06.2006 geruht hat, ist entgegen der Auffassung des Klägers rechtlich ohne Bedeutung. Das Ruhen der Zulassung hätte es Frau F.-N. allein ermöglicht, ihre Praxis nach Ablauf der Ruhensfrist wieder fortzuführen. Ob Frau F.-N. - wäre sie wieder gesund geworden - nach Ablauf des Ruhens von Patienten in gleichem Umfang wieder konsultiert worden wäre oder sie ihre Praxis wieder hätte neu aufbauen müssen, ist zum einen spekulativ, zum anderen für die Frage der Fortführungsfähigkeit der Praxis nicht allein ausschlaggebend. Maßgeblich für die Annahme einer fortführungsfähigen Praxis ist, ob einem Nachfolger nicht nur Praxisräume und Praxisschild, sondern auch behandlungswillige Patienten sowie Zuweiser für weitere Patienten in ausreichendem Maß zu Verfügung gestanden hätten. Dem Umstand, dass Frau F.-N. zuletzt schwer erkrankt ist, kommt keine besondere Bedeutung zu. Dies hat das BSG im Beschluss vom 05.06.2013 - B 6 KA 2/13 B, juris Rn. 8 ausdrücklich entschieden. Unerheblich ist auch, ob der Betreffende wegen seiner Erkrankung möglicherweise nicht mehr in der Lage gewesen ist, rechtzeitig die notwendigen Vorkehrungen für eine Praxisübergabe nach dem faktischen Ende seiner Tätigkeit zu schaffen. Denn bei der Fortführungsfähigkeit der Praxis handele es sich um ein objektives Kriterium, bei dem es allein auf die tatsächliche Existenz der fortführungsfähigen Praxis als verwertbares Wirtschaftsgut ankommt. Denn lediglich aus den Gründen des Eigentumsschutzes (Art. 14 Abs. 1 GG) sieht § 103 Abs. 4 SGB V vor, dass für den Praxisnachfolger die Zulassungsbeschränkungen durchbrochen werden können. Eine nicht fortführungsfähige Praxis ohne materiellen oder immateriellen Wert steht nicht unter dem Eigentumsschutz von Art. 14 Abs. 1 GG (Bay LSG Urt. v. 16.01.2013 - L 12 KA 3/12).

Handelt es sich bei der Fortführungsfähigkeit der Praxis um ein objektives Kriterium so spielt die Frage, ob Frau F.-N. subjektiv bis zu ihrem Tode gewillt war, die Praxis fortzuführen bzw. ob ein möglicher Bewerber subjektiv den Willen gehabt haben könnte, die Praxis fortzuführen, rechtlich keine Rolle. Eine Fallgestaltung, wo diese Problematik von Bedeutung ist, liegt hier nicht vor (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 20.03.2013 - B 6 KA 19/12 R, juris Rn. 32).

Ab welcher Zeitspanne ein Nichtausüben der vertragsärztlichen Tätigkeit vorliegt, die der Annahme einer fortführungsfähigen Praxis entgegensteht, entzieht sich einer generellen Bestimmung und ist stets von der Bewertung der gesamten Umstände des Einzelfalles abhängig (BSG, Beschluss vom 05.06.2013 - B 6 KA 2/13 B - bestätigt durch BSG Urt. v. 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R, juris Rn 35). Das BSG hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass es keinem Zweifel unterliegt, dass vier Jahre nach dem faktischen Ende der vertragsärztlichen Tätigkeit ein Praxissubstrat nicht mehr vorhanden ist. Es ist andererseits davon ausgegangen, dass nach einem Zeitraum von einem Jahr, in dem keinerlei vertragsärztliche Leistungen mehr erbracht werden können, auch angenommen werden könne, dass die noch vorhandenen Sachmittel keinen Bezug mehr zur vertragsärztlichen Tätigkeit aufweisen würden. Ein anderer Zeitraum wird soweit ersichtlich auch nicht in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte angenommen. Der Entscheidung des Bayerischen LSG vom 16.01.2013 - L 12 KA 3/12 liegt eine Fallgestaltung zu Grunde, in der zweieinhalb Jahre lang eine vertragsärztliche Tätigkeit nicht ausgeübt wurde. Im Falle des Urteils des Hessischen LSG vom 26.08.2009 - L 4 KA 38/08 war die Praxis knapp drei Jahre lang nicht fortgeführt worden. Soweit das Bayerische LSG in dem Urteil vom 09.07.2014 - L 12 KA 57/13 einen Zeitraum von mehr als 9 Monaten ohne vertragsärztliche Tätigkeit aus Sicht sachgerechter Bedarfsplanung sowie realitätsnaher Berechnung als schwerlich tolerabel bezeichnet hat, übersieht das Bayerische LSG, dass diese Gesichtspunkte bei - wie hier - erheblicher Überversorgung eher unwichtig sind. Entscheidend für das Urteil des Bayerischen LSG war aber der Umstand, dass bei der von ihm rechtlich ebenfalls für geboten gehaltenen Abwägung der Umstände des Einzelfalles für den dortigen Kläger nichts sprach.

Der Senat schließt sich der Rechtsauffassung des BSG (Beschluss vom 05.06.2013 - B 6 KA 2/13 B) an, wonach erst nach einem Jahr davon ausgegangen werden kann, dass die noch vorhandenen Sachmittel keinen Bezug mehr zur vertragsärztlichen Tätigkeit aufweisen und deshalb eine fortführungsfähige Praxis nicht mehr besteht. Die Rechtsauffassung der Beklagten, wonach bereits nach einem halben Jahr von einer fortführungsfähigen Praxis nicht mehr ausgegangen werden könne, findet weder in der Rechtsprechung des BSG noch in der Rechtsprechung anderer Landessozialgerichte im Sinne eines anerkannten Erfahrungssatzes eine Bestätigung. Andererseits wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass bei einer Ruhenszulassung bis zu 6 Monaten der Bestand der Praxis erhalten bleibt (Hess LSG Urt. v. 26.08.2009 - L 4 KA 38/08 unter Hinweis auf Pawlita in jurisPK-SGB V § 103 Rn 55). Auch einem MVZ wird eine Frist bis zu 6 Monaten zur Nachbesetzung einer freiwerdenden Stelle eingeräumt (BSG Urt. v. 19.10.2011 - B 6 KA 23/11 R).

Im vorliegenden Fall steht zur Überzeugung des Senates fest, dass Frau F.-N. vor Ausbruch ihrer Krankheit im November 2004 in den Quartalen 3 und 4/2004 überdurchschnittlich viel Patienten behandelt hat. Auch im Quartal 1/2005 hat sie mit 30 Patienten im Vergleich zu 33 im Fachgruppendurchschnitt noch eine volle Praxis geführt. Dies gilt auch für das Quartal 2/2005, wo sie immer noch mit 20 Patienten (im Vergleich zu 35 der Fachgruppe) noch ca. 60 % des Fachgruppendurchschnitts an Patienten behandeln konnte. Soweit im Bescheid vom 16.05.2006 darauf hingewiesen wird, Frau F.-N. habe im 2. Quartal 2005 keine Patienten mehr behandelt, beruht dies auf einem Irrtum. Denn Frau F.-N. konnte lediglich die Abrechnung für das 2. Quartal 2005 nicht zeitgerecht erstellen und hat diese verspätet erst Ende des Jahres 2005 über ihren Ehemann einreichen lassen. Dies ändert aber nichts daran, dass jedenfalls bis Anfang Juli 2005 Frau F.-N. vertragsärztlich tätig gewesen ist. Für das 3. Quartal 2005 sind lediglich noch drei Patienten vermerkt, für die Leistungen von Frau F.-N. abgerechnet wurden. Für den Senat ergibt sich daraus, dass Frau F.-N. ab Anfang Juli nicht mehr in der Lage war, vertragsärztlich tätig zu werden. Dies folgt auch aus den Auskünften der sie behandelnden Ärzte. Danach begann ab Mitte Juli eine intensive radiologisch-diagnostische Untersuchungsreihe, die zur Entdeckung eines Mammakarzinoms führte, der in der Folge ebenso wie die zahlreichen von ihm verursachten Metastasen mittels Strahlentherapie bekämpft wurde. Zwischen dem Ende der vertragsärztlichen Tätigkeit Anfang Juli 2005 und dem Antrag auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes, auf den maßgeblich abzustellen ist (BSG Urt. v. 12.11.2013 - B 6 KA 49/12 R, juris Rn 38 sowie Urt. v. 19.10.2011 - B 6 KA 23/11 R-, juris Rn 26), am 12.04.2006 sind somit neun Monate vergangen. Dieser Zeitraum liegt noch unter dem vom BSG als Erfahrungssatz angeführten Zeitraum von einem Jahr.

Der Beklagten ist vorzuhalten, dass sie den Sechs-Monats-Zeitraum als feststehenden gültigen Erfahrungssatz behauptet, sie jedoch trotz Aufforderung durch den Senat nicht belegen konnte aus welchen konkreten Beobachtungen oder Erfahrungen sie diese Erkenntnis gewonnen hat und auch für die Richtigkeit dieses Erfahrungssatzes nicht näher Beweis angetreten hat. Insbesondere war die Beklagte nicht in der Lage durch Benennung eines Sachverständigen oder durch Vorlage entsprechender aussagefähiger Statistiken ihre Auffassung zu untermauern, dass generell bereits nach sechs Monaten nicht mehr von einer fortführungsfähigen Praxis ausgegangen werden kann. Ist der Erfahrungssatz der Beklagten, nach sechs Monaten ohne Praxisbetrieb liege grundsätzlich keine fortführungsfähige Praxis vor, nicht belegt und offensichtlich nicht belegbar, so ist zu prüfen, ob nach den Umständen des Einzelfalles vorliegend noch von einer fortführungsfähigen Praxis gesprochen werden kann oder ob bereits von einer nicht fortführungsfähigen Praxis auszugehen ist.

Bei der sonach gebotenen Prüfung der Umstände des Einzelfalls ist zu beachten, dass der Kläger überzeugend dargelegt hat, dass sich seine Ehefrau auf dem Gebiet der Traumapsychotherapie spezialisiert gehabt habe und mit entsprechenden Selbsthilfegruppen zusammengearbeitet habe, an die sich wiederum entsprechend traumatisierte Frauen gewendet haben. Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass auf einen Praxisnachfolger, der die selbe psychische Problematik behandelt, das der Ehefrau des Klägers entgegengebrachte Vertrauen übertragen wird. Dies gilt nicht nur für die Patienten, sondern in größerem Maße noch für die Zuweiser und Selbsthilfegruppen. Hinzu kommt, dass zahlreiche Patientinnen - wie vom Kläger vorgetragen - nicht durch eine einmalige Psychotherapie abschließend geheilt sind, sondern offensichtlich auch später erneut um psychotherapeutische Hilfe nachsuchen, was plausibel erscheint, weil auch bereits bewältigt geglaubte Traumen durch aktuelle Geschehnisse wieder aufleben können. Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass gerade im psychotherapeutischen Bereich eine kontinuierliche Behandlung erforderlich sei, spricht dies eher dagegen, dass Patienten sich innerhalb kurzer Zeit schon anderen Behandlern zuwenden. Aktuelle Krankheitsbilder (Laufkundschaft), bei denen eine sofortige Therapie geboten ist, hat die F.-N. nach den insoweit unwidersprochenen Angaben des Klägers nicht behandelt. Die Abwägung der Umstände dieses Einzelfalls ergibt somit, dass das Vorbringen der Beklagten, bereits nach sechs Monaten liege grundsätzlich keine fortführungsfähige Praxis mehr vor, nicht überzeugt, wohingegen der Kläger glaubhaft dargelegt hat, dass eine gewisse Praxissubstanz noch vorhanden war, die einem Praxisnachfolger die Einarbeitung und Führung seiner neuen Praxis erleichtert hätte.

Nach alledem hat die Beklagte zu Unrecht eine Ausschreibung abgelehnt. Dem Fortsetzungsfeststellungsbegehren des Klägers war zu entsprechen. Das Urteil des SG kann demgegenüber keinen Bestand behalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Bei der Streitwertfestsetzung war zu berücksichtigen, dass der Kläger von Anfang an geltend gemacht hat, er habe einen Interessenten an der Hand, der ihm 15.000,00 EUR für den Verkauf der Praxis seiner Ehefrau angeboten habe. Einen Betrag in dieser Größenordnung beabsichtigt der Kläger auch im Falle eines Obsiegens im Wege einer Schadensersatzklage geltend zu machen.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG). Der Senat hat die Rechtsprechung des BSG beachtet und eine tatsächliche Beurteilung des vorliegenden Einzelfalls vorgenommen.
Rechtskraft
Aus
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