Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 VG 1885/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 3652/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18. Juli 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Höhe der Grundrente nach einem vom Beklagten anerkannten tätlichen Angriff vom 08.01.2008.
Der am 02.07.1973 geborene Kläger, serbischer Staatsangehöriger, wurde am 08.01.2008 von seinem Schwager, dem geschiedenen Ehemann seiner Schwester, mit einer Schusswaffe angegriffen. Es gelang ihm, in einem Handgemenge dem Angreifer die Schusswaffe zu entwinden, wobei sich zwei Schüsse lösten, von denen einer dicht am Ohr des Klägers vorbei ging. Der Täter hatte seit mehreren Jahren ein Verhältnis mit der Ehefrau des Klägers, die nach zwischenzeitlichem Auszug aus der Ehewohnung zum Kläger zurückgekehrt war und das Verhältnis beendet hatte. Ein Schuss verfehlte den Kläger nur knapp. Der Täter wurde mit Urteil des Landgerichts R. vom 17.07.2008 wegen versuchten Mordes, vorsätzlicher Körperverletzung und Waffendelikten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt und nach teilweiser Verbüßung der Haftstrafe inzwischen nach Serbien abgeschoben. Das Landgericht führte in den Urteilsgründen aus, dass die Ehefrau des Klägers ihn vor der Tat wegen Vergewaltigung angezeigt, die Anzeige zwar zurückgezogen, sich im Freundeskreis aber regelmäßig über Gewalttätigkeiten und Bevormundungen des Klägers beklagt habe. Beschrieben werden "Erschöpfungszustände" des Klägers vor der Tat und eine "ohnehin belastete psychische Situation".
Der Kläger wurde am Tattag in der Ambulanz des Klinikums F. behandelt, wo multiple Schürfwunden, Bissverletzungen am rechten Unterarm, Schmerzen am rechten Handgelenk sowie Ohrgeräusch links bei subjektiv diskretem Hörverlust befundet wurden (Arztbrief Prof. Dr. W. vom 08.01.2008, Bl 13 VV). Der Kläger war bis zu einer Arbeitgeberkündigung im Herbst 2007 als Ingenieur beschäftigt. Seit dem Tattag war er arbeitsunfähig und bezieht seit 01.08.2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bl 118 R DRV-Akte). Die Eltern des Klägers leiden unter Depressionen, die Mutter hat einen Suizidversuch unternommen. Die Ehe des Klägers wurde 2011 geschieden.
Am 13.03.2008 beantragte der Kläger Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten (OEG). Die beigezogenen Befundunterlagen ergaben HNO-ärztlich eine leichte bis mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits, progredient, einen dekompensierten Tinnitus beidseitig, einen Zustand nach Knalltraum links sowie den Verdacht auf eine psychogene Schwerhörigkeit (Befundbericht des Facharztes für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten Dr. S. vom 12.12.2008, Bl 103 VV; Arztbrief vom 10.07.2008, Bl 55 VV). Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. stellte die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung - PTBS - (Arztbrief vom 07.03.2008, Bl 49 VV); der Kläger habe sich 2000 erstmals vorgestellt mit einer somatoformen Störung mit Brustdruck, Globusgefühl und dem Gefühl, als sitze jemand auf seinen Schultern. 2005 habe er sich mit Eheproblemen nochmals in Behandlung begeben (Befundbericht vom 13.02.2009, Bl 116 VV). Neurologe und Psychiater Dr. H. berichtete von kribbelnden Missempfindungen auf der Vorderaußenseite des linken Oberschenkels, passend zu einer Meralgia paraethethika seit drei Jahren, und ein seit dem 08.01.2008 häufig auftretendes Taubheitsgefühl beider Hände ohne richtungsweisenden Befund (Arztbrief vom 16.5.2008, Bl 51 VV). Der Kläger klagte über ein Jahr nach dem Überfall trotz Krankengymnastik über weiterbestehende Schmerzen im Bereich beider Kniegelenke (Befundbericht Facharzt für Chirurgie Dr. S. vom 16.03.2009, Bl 127 VV) sowie Beschwerden im Brustbereich, Atembeschwerden und Bewegungsschmerzen bei unauffälligem Röntgenbefund (Arztbrief Orthopäde Dr. H. vom 01.04.2009, Bl 132 VV). Der Kläger war vor dem Angriff vom 04.06. bis 13.07.2007 und vom 27. bis 28.09.2007 wegen Unwohlsein und Ermüdung arbeitsunfähig, im Dezember 1989, Dezember 1990, April 1991 wegen Rückenbeschwerden.
Der Kläger wurde mehrfach stationär behandelt; zunächst vom 10. bis 31.07.2008 auf der Kriseninterventionsstation im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) W., wo die Diagnosen einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen, einer PTBS sowie eines Tinnitus aurium gestellt wurden. Der Kläger habe von ihn belastenden Lebensereignisse im letzten Jahr berichtet, wie der Kündigung seiner Stelle als Ingenieur im Herbst, die er auf eine Windpockenerkrankung zurückführe, wobei seine Angehörigen Abweichendes berichtet hätten. Die Beobachtung des Klägers (keine Kontaktaufnahme, wenig Empathie, Monologe) hätten sich mit dem Ergebnis des SKID II (Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV Persönlichkeitsstörungen) gedeckt, der maximal erhöhte Werte bei zwanghaften, paranoiden und schizoiden Persönlichkeitsstörungen gezeigt habe. Fremdanamnestisch sei bestätigt worden, dass diese Persönlichkeitsmerkmale bereits vor dem Trauma bestanden hätte. Es sei aufgrund von Andeutungen der Eindruck einer Fremdgefährdung der Ehefrau entstanden, da Berichte über körperliche Misshandlungen in der Vergangenheit bekannt geworden seien. Unter Medikation habe sich die depressive Störung gebessert. Am Ende des Aufenthalts habe der Kläger berichtet, er habe anfänglich geglaubt, das Team habe mit seinem Schwager ein Komplott gegen ihn geschmiedet und wolle ihn mit Medikamenten vergiften (Entlassungsbericht Prof. Dr. S./Dr. S. vom 22.08.2008, Bl 69 ff VV). Vom 13.08. bis 01.10.2008 wurde der Kläger in der S. Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie stationär behandelt. Dort wurde die Diagnose einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome und einer PTBS gestellt. Der Kläger habe angegeben, bereits in seiner Kindheit traumatische Erlebnisse gehabt zu haben, ohne diese näher auszuführen. Im Vordergrund stehe aber die Traumatisierung durch den Mordversuch, wobei bereits seit 2005 ein unklares Verhältnis zwischen seinem Schwager und seiner Ehefrau mit Zerrüttung und Wiederversöhnung der Ehe und erheblichen Konflikten in der Familie bestanden habe. Belastend seien auch die beengten Wohnverhältnisse (7 Personen in 3 Zimmern, 3 Generationen). Da kein Arbeitsbündnis habe erreicht werden können, der Kläger vielmehr unterschwellig aggressiv gegen Mitpatienten aufgetreten sei, sei die Behandlung abgebrochen worden (Entlassungsbericht Fachärzte für Psychiatrie Dr. M./E. vom 16.10.2008, Bl 73 VV).
Der Beklagte zog das Gutachten aus dem Rentenverfahren des Arztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. G. vom 16.01.2009 bei. Der Kläger gehe hinkend an einem Stock in Begleitung seiner Ehefrau. Er sitze teilnahmslos apathisch im Sessel, Fragen beantworte er mit monotoner Stimme und niedergeschlagenen Augen. Er zeige zahlreiche depressive Kognitionen. Das Beck`sche Depressionsinventar mit einem Wert von 40 entsprechend einer schweren depressiven Episode decke sich mit dem klinischen Eindruck. Der Befund habe sich insgesamt auch nach der Entlassung aus der S. Klinik weiter verschlechtert. Zusätzlich scheine es zu einer somatoformen Schmerzstörung zu kommen. Dr. G. diagnostizierte eine schwere depressive Episode, eine PTBS und einen Tinnitus aurium. Im Auftrag des Beklagten erstattete Neurologe und Psychiater Prof. Dr. S. sein neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom 13.08.2009 aufgrund der Untersuchung des Klägers am 21.07.2009. Der Kläger betrete den Untersuchungsraum ohne Blickkontakt, mit schlurfendem Gang, wie ein Blinder von seiner Ehefrau geführt. Er trage einen Wanderstock mit Metallspitze und Abzeichen. Er werde zum Stuhl geführt und verhalte sich, als sehe er nichts. Er gebe an, die Einschränkung der Gehfähigkeit sei ca. drei Monate nach dem Überfall ganz plötzlich aufgetreten. Nach Beschwerden gefragt gebe er stärkste andauernde Schmerzen am ganzen Körper an, es kribbele, er habe keine Kraft in den Händen. Beim Atmen habe er starke Schmerzen, Kopfschmerzen mit Übelkeit und Erbrechen, er sei harn- und stuhlinkontinent, habe Alpträume. Er habe kein Gleichgewichtsgefühl, könne draußen nichts erkennen, könne nichts allein machen, habe seit dem Überfall 30 kg zugenommen. Hinsichtlich der PTBS verneine der Kläger wiederkehrende und eindringliche Erinnerungen an das Ereignis, Handeln und Fühlen, als kehre das traumatische Ereignis wieder, intensive psychische Belastung bei Konfrontation mit Hinweisreizen, bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen, Gesprächen, Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wach riefen, Unfähigkeit, wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern, vermindertes Interesse an wichtigen Aktivitäten, Gefühl der Entfremdung von anderen, verminderte Bandbreite des Affekts, Schwierigkeiten, sich durchzusetzen, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, übermäßige Wachsamkeit, übertriebene Schreckhaftigkeit. Die körperliche Untersuchung zeige einen athletischen Körperbau, die Muskulatur an den Armen sei seitengleich kräftig ausgeprägt, an beiden Händen fänden sich ausgeprägte Arbeitsspuren, Schwielen an den Fingern. Die Muskulatur der Beine sei seitengleich kräftig, das Gangbild flüssig, bei Abschluss der Untersuchung kein schlurfendes Gangbild mehr. Alle Testergebnisse seien unplausibel, angefangen bei einer dargebotenen sämtliche Extremitäten betreffenden schlaffen Lähmung und bei den kognitiven Testungen. Dies werde durch die objektiven Verfahren zur Kontrolle der Anstrengungsbereitschaft und Beschwerdevalidierungsverfahren bestätigt. Im Ergebnis zeige der aktuelle körperliche Befund keine Auffälligkeiten, die Untersuchung sei durch nahezu fehlende Mitarbeit deutlich erschwert gewesen. Der aktuelle klinisch-neurologische Befund zeige keine Auffälligkeiten, insbesondere keinen Hinweis auf eine Schädigung des nervus medianus. Der psychiatrische Befund zeige keine Auffälligkeiten, außer dass der Kläger mürrisch, verstimmt und unkooperativ sei. Unter Zugrundelegung der diagnostischen Standards der DSM-IV ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine PTBS. Es fehle bereits das A2-Kriterium der erheblichen psychischen Initialreaktion, denn der Kläger sei bei dem Vorfall geistesgegenwärtig gewesen und habe zielgerichtet gehandelt, sei nicht von Todesangst überwältigt gewesen, habe den Angreifer entwaffnen und ihn in Schach halten, verfolgen und bis zum Eintreffen der Polizei festhalten können. Eine psychiatrische Notfallbehandlung habe nicht stattgefunden. Auch seien die Symptomkriterien der PTBS nicht erfüllt und nach den Mittteilungen der Vorbehandler zu keinem Zeitpunkt erfüllt gewesen. Der psychologische Befund habe Minderleistungen in mehreren Bereichen ergeben, die in der Form unplausibel und mit dem beobachtbaren Verhalten nicht zu vereinbaren gewesen seien. Kontrollverfahren zur Überprüfung der Kooperativität und dem Vorliegen von Beschwerdeübertreibung hätten massivste Antwortverzerrung ergeben. Der Kläger sei offensichtlich bestrebt, die Krankenrolle einzunehmen. Zusammenfassend liege beim Kläger eine Gesundheitsstörung nicht vor und habe nicht vorgelegen. Es bestehe massive Aggravation, darüber hinaus aber keine Auffälligkeiten.
Auf Veranlassung des Beklagten erstattete Prof. Dr. M. vom B.-Krankenhaus U. sein Hals-Nasen-Ohrenärztliches Gutachten vom 09.02.2010. Er stellte beim Kläger eine Lärmschwerhörigkeit mit Tinnitus fest, die auf das Knalltrauma vom 08.01.2008 zurückzuführen sei, mit einem geschätzten GdS von 10 v.H ...
Der Beklagte stellte mit Erstanerkennungsbescheid vom 09.03.2010 fest, dass der Kläger am 08.01.2008 Opfer einer Gewalttat im Sinne des OEG geworden sei und erkannte als Folge der Schädigung eine Lärmschwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräusch an. Er stellte einen Anspruch auf Heilbehandlung hierfür fest und lehnte die Gewährung einer Beschädigtenrente ab, da der GdS unter 25 v.H. betrage. Weiterhin wurde festgestellt, dass ein Muskelfaserriss im Bereich des Musculus pectoralis in ursächlichem Zusammenhang zur Schädigung stehe, inzwischen aber folgenlos abgeheilt sei. Der Kläger erhob Widerspruch unter Hinweis auf die nicht berücksichtigten schwerwiegenden psychischen Störungen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2010 zurück und berief sich dabei auf das psychiatrische Gutachten des Prof. Dr. S. vom 13.08.2009, der auf psychiatrischen Gebiet keinerlei Störungen von Krankheitswert habe erkennen können und dem zu folgen sei, auch wenn dieses gutachterliche Ergebnis in deutlichem Widerspruch zu den Auffassungen der behandelnden Ärzte Dr. S., Dr. B. und Dr. S. stehe.
Der Kläger hat am 28.07.2010 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Er ist vom 02.06.2009 bis 09.06.2009 in stationärer Behandlung in der Abteilung für Neurologie des ZfP W. gewesen. Dort sind die Diagnosen chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren bei Zervikobrachial- und zervikozephalem Syndrom, sowie Lumboischialgie mit unklaren, am ehesten psychogenen Dysästhesien und Schwäche in beiden Händen, schwere depressive Episode, PTBS, Tinnitus aurium, gestellt worden. Die Aufnahme ist zur multimodalen Schmerztherapie erfolgt. Der Kläger schildere mit monotoner Stimme und starrem Blick, "es tue alles entsetzlich weh". Bei den Voruntersuchungen habe sich trotz Zusatzdiagnostik (MRT Halswirbelsäule, neurophysiologische und elektromyelographische Abklärung) kein neurologisches Defizit objektivieren lassen. Eine Liquorpunktion zum Ausschluss eines chronisch entzündlichen Geschehens des zentralen Nervensystems habe der Kläger abgelehnt. Es scheine, dass der Kläger zu viel Aufmerksamkeit auf das Schmerzerleben und die psychische Belastung lenke. Da ein somatisches Korrelat fehle und die Vorgeschichte psychosenahes Erleben zeige, sei auf eine Behandlung mit Kortison verzichtet worden (vorläufiger Entlassungsbericht Dres. M./R./Assistenzärztin P. vom 02.06.2009, Bl 21 ff SG-Akte). Vom 11.05.2010 bis 08.06.2010 hat der Kläger eine stationäre Reha in der Klinik S. durchgeführt. Dort sind die Diagnosen PTBS; schwere depressive Episode, Hypertonie, Adipositas (BMI 32), Tinnitus aurium gestellt worden. Der Kläger hafte stark am eigenen Erleben, ein therapeutischer Kontakt könne nur bedingt hergestellt werden. Er wirke deutlich depressiv und erschöpft. Er berichte flashbacks und fraglich dissoziative Zustände ("ich bin nicht mehr ich selbst") durch Triggerreize, wie dem Täter ähnlich sehende Personen.
Das SG hat die behandelnden Ärzte befragt. Dr. B., Arzt für Neurologie und Psychiatrie hat auf problematische Sozialisationsbedingungen mit ständigen Auseinandersetzungen der Eltern hingewiesen. Seit dem Angriff sei es zu einer Wesensänderung gekommen. Er sei schwer verunsichert, voller Ängste, klage über extremen Kopfschmerz, Kribbelparästhesien am gesamten Körper und schwere Schlafstörungen mit sich wiederholenden Alpträumen bei ständigem Nacherleben des Angriffs. Er sei nicht mehr zu einer Berufstätigkeit in der Lage gewesen wegen des grundsätzlichen Verlusts des Vertrauens in andere Menschen und illusionistische Situationsverkennung, wenn er den Angreifer auf der Straße zu erkennen meine. Für die körperlichen Symptome bestehe kein adäquater somatischer Befund, so dass von dissoziativen Störungen auszugehen sei. Bei der letzten - notfallmäßigen - Vorstellung am 26.11.2009 habe der Kläger über schweren Drehschwindel mit Sturzneigung berichtet, weshalb er sich die Kapuze über den Kopf ziehen müsse. Auch hierfür habe sich kein adäquates Korrelat, insbesondere keine peripheren Vestibularisstörungen, ergeben (Auskunft vom 30.09.2010, Bl 48 ff SG-Akte). Zwei Ambulanzvorstellungen in der Oberschwabenklinik, Abteilung Neurologie am 10. und 25.03.2009 "zur Mitbeurteilung diffuser Befindlichkeitsstörungen" haben keine richtungsweisenden Befund ergeben, so dass "am ehesten" von Somatisierungstendenzen im Rahmen einer PTBS ausgegangen worden ist. (Behandlungsbericht vom 08.04.2009 Priv.-Doz. Dr. B./Dr. K., Bl 54ff SG-Akte).
Das SG hat zwei Gutachten von Amts wegen eingeholt, das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. vom 10.01.2010 und des Nervenarztes Prof. Dr. S., Leiter der Abteilung Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie, Zentrum für Psychiatrie S., W. (ZfP W.), vom 21.03.2012. Der Kläger hat auf Anfrage des SG sein Einverständnis mit der Begutachtung durch Prof. Dr. S. erklärt, der ihn während der stationären Behandlung vom 10.07.2008 bis 31.07.2008 im ZfP W. behandelt hatte. Dr. H. hat die Diagnosen einer ausgeprägten PTBS und einer chronifizierten schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome sowie eines Tinnitus aurium nach Knalltrauma gestellt (Gutachten vom 10.11.2010, Bl 69 ff SG-Akte; ergänzende Stellungnahme vom 15.08.2011, Bl 128 ff SG-Akte). Den schädigungsbedingten Gesamt-GdS hat er auf 80 geschätzt. Der Überfall sei an Dramatik kaum zu überbieten. Der Kläger habe massiv um sein Leben kämpfen müssen. Das A-Kriterium der posttraumatischen Belastungsstörung, eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung, die bei fast jedem tiefe Verzweiflung hervorrufen würde, sei ohne Zweifel erfüllt. Nach der amerikanischen Klassifikation des DSM-IV-TR sei auch das A2-Kriterium erfüllt, nachdem die Reaktion des Klägers unmittelbar nach dem Vorfall intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen umfasst habe. Der Kläger habe angegeben, er sei nach Eintreffen der Polizei wie versteinert gewesen, "gelähmt vor Schock". Kernsymptome einer PTBS seien Nachhallerinnerungen (flashbacks), Vermeidungsverhalten und Symptome erhöhter psychischer Sensibilität und Erregung (Hyperarousal). Diese seien subjektiv und nur vom Betroffenen selbst zu eruieren, aber hier von verschiedenen Untersuchern übereinstimmend geschildert worden. Die Schilderungen des Klägers hierzu seien stimmig und konsistent. Ein Vermeidungsverhalten zeige sich darin, das er an der Hauptverhandlung gegen den Täter habe als Zeuge teilnehmen und aussagen müssen, nach dem ersten Verhandlungstag jedoch psychisch zusammengebrochen sei und danach für drei Wochen im ZfP W. stationär habe behandelt werden müssen wegen einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen und einer PTBS sowie Tinnitus. Andererseits könne er der Konfrontation mit dem Erlebten nicht entgehen, weil er wegen desolater Wohnverhältnisse mit Ehefrau, drei kleinen Kindern und seinen Eltern in der bisherigen Dreizimmerwohnung, zugleich dem Tatort, weiter leben müsse. Seine Ehe sehe der Kläger als gescheitert, da seine Ehefrau, die letztlich den Grund des Überfalls geliefert habe, sich von dem Vorfall nicht klar distanziert habe. Er erhalte die Ehe wegen der drei Kinder, die er über alles liebe, aufrecht. Zeichen des Hyperarousal mit Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsschwäche und erhöhter Schreckhaftigkeit würden beschrieben, so dass das Vollbild einer PTBS bestehe. Die kritische Wertung anhand der Kriterien zur Simulation ergäbe, dass die PTBS eindeutig vorliege und keinerlei Zeichen für Simulation und Aggravation bestünden. Auch das Freiburger Persönlichkeitsinventar und der strukturierte Fragebogen simulierter Symptome hätten keinerlei Hinweis auf nichtauthentisches Verhalten ergeben. Zusätzlich bestehe das Bild einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome als eindeutige Komorbidität zur PTBS. Besondere Bedeutung habe in diesem Zusammenhang, dass der Kläger durch den Überfall völlig aus seiner erfolgreichen beruflichen Karriere gerissen worden sei. Er habe die reale Chance gehabt, Geschäftsführer einer vergleichbaren Firma zu werden, was durchaus plausibel erscheine. Tatsächlich sei er seit dem Überfall nicht mehr arbeitsfähig gewesen und beziehe Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn auch auf Zeit. Daraus könne man fraglos auf massive soziale Anpassungsschwierigkeiten schließen. Diese Diagnosen würden von den behandelnden Ärzten übereinstimmend gestellt, ebenso die Hörminderung und der Tinnitus. Aus dem ZfP W. werde auf zwanghafte, paranoide und schizoide Persönlichkeitszüge hingewiesen, die bereits vor dem Trauma vorgelegen hätten. Dies sei möglicherweise der Fall, jedoch seien entsprechende Persönlichkeitszüge weder von Krankheitswert noch behandlungsbedürftig gewesen. Auch die von Dr. B. berichteten Vorstellungen 2000 und 2005 wegen somatoformer Störungen bzw. im Rahmen einer Eheproblematik träten gegenüber der unmittelbar lebensbedrohenden Situation des Überfalls weit in den Hintergrund. Bis zum 08.01.2008 sei der Kläger voll leistungsfähig und beruflich erfolgreich gewesen. Durch das Ereignis sei es zu einem schwerwiegenden Bruch in der Lebenslinie gekommen. Hinsichtlich der Höhe des GdS sähen die maßgeblichen Versorgungsmedizinischen Grundsätze der Anlage zu § 2 der die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 für die Folgen psychischer Traumen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdS von 80 bis 100 vor. Es bestehe kein Zweifel, dass hier eine schwere Störung vorliege. Der Kläger sei seit dem 08.01.2008 allein viermal wegen der Folgen des Überfalls stationär psychiatrisch behandelt worden, er stehe fortlaufend in ambulanter psychiatrischer Therapie, sowohl medikamentös als auch Gesprächstherapie. Er sei seit dem Überfall nicht mehr arbeitsfähig und beziehe Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der erst 37jährige Kläger sei zumindest derzeit aufgrund des Überfalls aus dem Berufsleben herausgerissen worden. Er schildere den Verlust seiner sozialen Bezüge. Der gegnerische Anwalt habe versucht, seine Freunde zu Aussagen gegen ihn zu bewegen und die meisten Freunde würden sich jetzt heraushalten, so dass die meisten sozialen Kontakte abgebrochen worden seien. Spontan berichte der Kläger, er sei früher religiös gewesen und habe rege am Gemeindeleben der serbisch-orthodoxen Kirche in F. teilgenommen, jetzt habe er den Glauben an Gott verloren und somit auch diese sozialen Kontakte. Die Angaben des Klägers seien sachlich und widerspruchsfrei. Definitionsgemäß sei bei der Mehrzahl der Fälle der PTBS eine Heilung zu erwarten, auch hier, wenn es gelinge, den Kläger adäquat beruflich einzugliedern. Derzeit liege jedoch eine schwere seelische Störung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten vor.
Prof. Dr. S. hat in seinem nervenärztlich-psychosomatischen Gutachten vom 21.03.2012 (Bl 142ff SG-Akte) die Diagnosen PTBS (ICD-10: F 43.1); dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen (ICD-10: F44.6); Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10: F45.41); Verdacht auf Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend narzisstischen Zügen (ICD-10: F60.8) gestellt. Der Kläger wirke bizarr, trage bei milder Witterung Parka und Winterstiefel und eine Sonnenbrille. Er klage über starke Kribbelparästhesien in den Händen, permanente Schmerzen im linken Knie, ein seltsames kalt-warmes Gefühl an den Händen, zeitweise wie abgestorben, Kribbelparästhesien am ganzen Körper, einschießende Schmerzen im Bereich des großen Brustmuskels links, der seinerzeit bei dem Kampf gerissen, allerdings nach den vorliegenden Befunden vollständig verheilt sei. Er leide ferner stark an Tinnitus, ständigen Druck auf dem Kopf und Schmerzen. Sein psychischer Zustand sei katastrophal. Er habe keine Freude am Leben, Alpträume würden ihn verfolgen. Er habe Ängste, sobald er aus dem Haus gehe, bekomme dann Durchfall und müsse Wasser lasen. Oft habe er plötzlichen Stuhlabgang. Er habe Angst, wenn er jemanden sehe, der dem Täter ähnlich sehe und Angst davor, dass dieser entlassen werde. Er möge keine Menschenansammlungen, überhaupt keine Menschen. Befragt nach spezifischen Vermeidungsverhalten habe der Kläger angegeben, seit der Tat nicht mehr Akkordeon zu spielen, da ihn dies an den Täter erinnere. Er könne gar nichts mehr empfinden, auch nicht gegenüber seinen Kindern oder seinen Eltern. Er komme in einen "Explosionszustand", wenn ihn jemand berühren oder umarmen würde. Auch seine Kinder dürften ihn nicht umarmen. Wiedererinnerungen an das Ereignis habe er, er habe keine Erinnerungslücken. Er schlafe schlecht, der Tinnitus wecke ihn. Vor dem Angriff sei er völlig gesund gewesen. Er habe keinerlei psychische Erkrankung oder jemals eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung gehabt. Von seiner Ehefrau sei er bereits vor der Tat emotional abgelöst gewesen, nachdem er erfahren habe, dass sie ihn betrogen habe. Er wohne bei seinen Eltern, seinen Freunden habe er mitgeteilt, dass er keinen Kontakt wolle, auch zu seiner geschiedenen Ehefrau habe er keinen Kontakt. Mit den Kindern habe er nicht viel zu tun. Zum Haushalt der Eltern trage er nichts bei. Er habe Probleme mit der Hygiene, wasche sich manchmal einen Monat lang nicht. Zu seinem Tagesablauf befragt, habe er angegeben, meist im Bett zu liegen, dies nur zu verlassen, um zur Toilette zu gehen. Er esse getrennt von seinen Eltern. Ab und zu gehe er nach draußen, mache aber nichts Besonderes. Der Kläger sei offen und eloquent, schildere viele Details, die Auffassung sei gut, über Konzentrationsstörungen werden nicht geklagt, die Konzentration lasse auch bei langer Gesprächsdauer nicht nach. Die Stimmung sei indifferent, aber nicht schwer depressiv verstimmt, die Fähigkeit zu angenehmen Empfindungen weitgehend aufgehoben. Die Psychomotorik sei ausdrucksarm, jedoch nicht verlangsamt. Der Gedankengang sei formal geordnet, inhaltlich eingeengt auf Gefühle der Sinnlosigkeit, aber keine Grübelzwänge, keine phobischen Ängste, keine psychotischen Symptome. Gedankliche Intrusionen bei Triggerreizen würden beschrieben. Weiterhin bestünden ausgeprägte Unregelmäßigkeiten der Miktion und Defäkation, ausgeprägtes Frieren, Zittern, zeitweilige Inappetenz ohne Gewichtsabnahme, Ein- und Durchschlafstörungen. Die körperliche Untersuchung zeige einen athletischen Körperbau mit kräftiger Muskulatur (trotz geschilderter völliger Tatenlosigkeit), Handbeschwielung ohne Hornhaut, die subjektiv kalten Füße seien nicht zu verifizieren gewesen, alle Gelenke schmerzfrei normal beweglich, alle Reflexe auslösbar, an der gesamten Körperoberfläche keine Störungen der Oberflächensensibilität und Schmerzempfindung. Psychisch wirke der Kläger affektivnivelliert, da er ohne wesentliche Auslenkungen in gleichbleibender Stimmungslage berichte. Äußerlich wirke er zwar so, wie man das von Patienten mit PTBS kenne, die sich abzuschirmen versuchten, es fehlten jedoch die beiden charakteristischen Befunde der PTBS, das Vermeidungsverhalten und die Übererregung. Der Kläger berichte über den Kampf ähnlich eloquent und detailliert wie über anderes, und ohne charakteristische Erinnerungslücken. Auch ständige Anspannung und Übererregung hätten nicht bestanden. Bemerkenswert sei seine Ausdauer gewesen, er habe nach vierstündiger Untersuchung nicht erkennbar ermüdet gewirkt. Dies stehe im Widerspruch zu der Schilderung einer völligen Antriebs- und Interessenlosigkeit bis hin zur Selbstvernachlässigung und sei jedenfalls mit einer schweren Depression nicht vereinbar.
Der Kläger habe infolge des Überfalls eine PTBS erlitten, wie Dr. H. gut begründet habe. Diese nehme aber allmählich an Intensität ab und trete in den Hintergrund. Der traumatisierende Charakter habe höchstwahrscheinlich in dem sich lange hinziehenden Kampf bestanden. Gerade Gefühle des Ausgeliefertseins und der Hilfslosigkeit hätten traumatisierenden Charakter. Das szenische Wiedererinnern in Form von flashbacks sei zumindest in den anfänglichen Arztbriefen eindrucksvoll beschrieben. Auch die bizarren Alpträume anderer Thematik passten hierzu, ebenso die Neigung, durch ähnlich aussehende Personen an das Ereignis erinnert zu werden und der soziale Rückzug. Nicht bzw. nicht mehr gut feststellbar sei Vermeidungsverhalten und ständige Übererregung. Der Kläger lebe immer noch in der Wohnung. Allerdings seien wesentliche Teile der jetzt geschilderten Symptome nicht solche einer PTBS, nämlich Schmerzen, Kribbelparästhesien, Gefühllosigkeit, abnorme Wärme- und Kältegefühle. Dies seien dissoziative bzw. somatoforme Störungen. Diese träten bei Personen auf, die langen und frühen Traumatisierungen ausgesetzt gewesen seien, jedoch nicht bei PTBS eine zuvor gesunde Person betreffend. Vielmehr hätten vor dem Überfall Züge einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung und Züge einer somatoformen Störung bestanden. Im Gegensatz zur Schilderung durch den Kläger selbst sei dieser nach Aktenlage bereits 2000 und 2005 wegen Eheproblemen in fachpsychiatrischer Behandlung gewesen. Das Urteil des Landgerichts erwähne, dass die Ehefrau des Klägers ihn wegen Vergewaltigung angezeigt, die Anzeige zurückgezogen, sich im Freundeskreis aber regelmäßig über Gewalttätigkeiten und Bevormundung beklagt habe, die Rede sei auch von der ohnehin psychisch belasteten Situation und Erschöpfungszuständen vor der Tat. Die vorbestehenden oder jedenfalls schon früher vorhandenen depressiven, somatoformen und dissoziativen Symptome hätten sich nach dem Überfall aller Wahrscheinlichkeit nach verstärkt. Die sei aber keine Traumafolgestörung und auch nur eine vorübergehende Verschlimmerung. In der Folge des Ereignisses, aber mit den vorausgehenden Konflikten schon davor beginnend, sei der Kläger tatsächlich aus seiner bisherigen Lebensbahn geworfen worden, habe Familie und Arbeit verloren und friste ein bescheidenes Leben mit extrem wenig Aktivitäten bis zur Selbstvernachlässigung. Eine schwere Depression, wie früher attestiert, liege nicht mehr vor. Das mangelnde Interesse und die emotionale Gleichgültigkeit seien vielmehr der Persönlichkeitsstörung zuzuschreiben. Zwar könne emotionale Abstumpfung auch Symptom einer PTBS sein. Dagegen spreche aber das Fehlen von Vermeidungsverhalten und Übererregbarkeit und die hohe Konzentrationsfähigkeit über vier Stunden, in denen emotional hoch belastende Dinge besprochen worden seien. Es sei zu vermuten, dass der Kläger durchaus in der Lage sei, mehr am Leben teilzunehmen, wenn er dies wollte. Von den Gesundheitsstörungen sei allein die PTBS Schädigungsfolge. Hinsichtlich des auf diese entfallenden GdS sei er geneigt, der vom Beklagten vorgeschlagenen Anerkennung eines GdS von 40 zu folgen. Der Kläger hat schriftlich zum Gutachten Stellung genommen.
Der Beklagte hat bereits am 30.03.2011 angeboten, im Wege des Anerkenntnisses als Schädigungsfolge neben der Lärmschwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräuschen posttraumatische psychische Störungen und für diese einen GdS von 40 ab 08.01.2008 anzuerkennen. Dr. G. hat in versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 11.03.2011 und 01.09.2011 den von Dr. H. angenommenen Schweregrad der schädigungsbedingten Störungen angesichts der Tatsache, dass dem Kläger bereits vor dem Überfall gekündigt und auch die Ehe schon belastet gewesen sei, nicht nachvollziehbar gefunden. Der Kläger hat das Anerkenntnis nicht angenommen. Mit Urteil vom 18.07.2012 hat das SG aufgrund mündlicher Verhandlung die angegriffenen Bescheide nach Teilanerkenntnis des Beklagten in der mündlichen Verhandlung abgeändert, den Beklagten zur Anerkennung von posttraumatischen Störungen als weitere Schädigungsfolge verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Ein höherer GdS als 40 liege nicht vor. Es folge dem nachvollziehbaren und plausiblen Gutachten des Prof. Dr. S ...
Der Kläger hat gegen das ihm am 03.08.2012 zugestellte Urteil am 23.08.2012 Berufung eingelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18. Juli 2012 und den Bescheid des Beklagten vom 9. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm eine Grundrente nach einem Grad der Schädigung von 80 seit dem 8. Januar 2008 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. S. zu einer ergänzenden Stellungnahme aufgefordert. Dieser hat am 25.01.2013 ausgeführt, die vom Kläger sehr zeitnah nach Erhalt des Gutachtens verfasste Stellungnahme von 12 Seiten, einzeilig beschrieben, bestätige seinen Eindruck, dass eine schwere Depression mit Antriebsstörung und Interessenlosigkeit sowie Störungen der Konzentrationsfähigkeit nicht vorliege. Auch die in der Stellungnahme geschilderten Symptome seien weder depressiv noch posttraumatisch, sondern typisch somatoform. Die dissoziativen Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen sowie die Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren seien schädigungsunabhängig. Es existiere keine anerkannte pathophysiologische oder psychologische Theorie, die das Zustandekommen aufgrund von traumatischen Erlebnissen erkläre. Diese Störungstypen seine häufig, traumatische Erlebnisse im Vorfeld der Störungen fänden sich aber typischerweise nicht. Auch traumatische Erlebnisse seien relativ häufig, die genannten Störungen fänden sich aber typischerweise nicht in deren zeitlichen Gefolge. Sie würden daher nicht zu den Traumafolgestörungen gerechnet. Die Störungen seien hier in geringerer Ausprägung bereits vor der traumatischen Einwirkung beschrieben worden. Die genannten Störungen seien auch nicht Folgestörungen einer PTBS. Die ausführliche Stellungnahme des Klägers zum Gutachten bestätige die im Gutachten nur als Verdachtsdiagnose bezeichnete Diagnose einer Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend narzisstischen Zügen. Der im Gutachten dargelegte GdS von 40 beinhalte ein gewisses Entgegenkommen gegenüber dem Kläger, um diesem in keinem Fall Unrecht zu tun. Die Schätzung liege am oberen Rand des Möglichen, zumal eine Addition mit dem HNO-ärztlichen GdS von 10 angesichts der Überschneidung hinsichtlich der Ohrgeräusche nicht angemessen sei. Der GdB aufgrund der nicht schädigungsabhängigen Gesundheitsstörungen liege sicher deutlich höher. Der Kläger sei mit seiner somatoformen Schmerzstörung und der Persönlichkeitsstörung stark symptomauffällig und sozial desintegriert. Andererseits könne er bei entsprechendem Willen punktuell sehr gute Anpassungsleistungen zeigen.
Der ehemalige Berichterstatter hat am 10.01.2013 einen Erörterungstermin durchgeführt. Auf die Niederschrift wird Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung am 28.10.2014 hat der Kläger vorgetragen, sich zu Beginn des Berufungsverfahrens nach Serbien zur Behandlung begeben zu haben. Die Behandlung der PTBS sei durch Nahrungsumstellung und Bäder erfolgt, er fühle sich seitdem besser. Vor der Tat sei er niemals in psychiatrischer Behandlung und niemals arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Den Psychiater Dr. B. habe er nur aufgesucht, weil es Probleme zwischen seiner Ex-Ehefrau und seiner Mutter gegeben habe. Auf die Niederschrift vom 28.10.2014 wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Senatsakte, die SG-Akte, den Verwaltungsvorgang des Beklagten (2 Bände), der Reha-Akte der Deutschen Rentenversicherung Bund sowie die Akten der Staatsanwaltschaft Ravensburg (3 Bände) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 154 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, soweit der Kläger die Gewährung einer höheren Grundrente wegen eines GdS von mehr als 40 beantragt hat.
Das Begehren des Klägers richtet sich nach § 1 OEG in Verbindung mit den §§ 1, 30, 31 und 60 BVG.
Wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG).
Ausländer aus Staaten, die nicht EU-Mitglied sind, haben nach § 1 Abs. 5 Nr. 1 OEG Anspruch auf Versorgung, wenn sie sich - wie der Kläger als serbischer Staatsangehöriger - seit mindestens drei Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.
Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG). Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BVG).
Der GdS ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG). Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu 5 Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten (§ 30 Abs. 1 Satz 3 BVG).
Der Senat orientiert sich bei der Prüfung, welche gesundheitlichen Schäden Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind, an der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) 2008 getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV).
Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1).
Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3).
Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2).
Der Beklagte hat in dem angegriffenen Bescheid festgestellt, dass der Kläger aufgrund des Überfalls am 08.01.2008 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs i. S. des OEG geworden ist. Mit dem vom Kläger angegriffenen Urteil wurde der Beklagte nur zur Feststellung von posttraumatischen Störungen als weitere Schädigungsfolge verurteilt, denen aber schädigungsbedingt ausreichend mit einem GdS von 40 Rechnung getragen wird; nicht aber einer Depression.
Beim Kläger liegt eine PTBS als Folge des Überfalls vom 08.01.2008 vor. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Beim Kläger bestehen daneben jedoch weitere psychische Gesundheitsstörungen, die aber nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis zurückgeführt werden können. Die Symptome, die den Kläger wesentlich in seiner Alltagsbewältigung beeinträchtigen, sind keine Symptome einer PTBS. Er gibt als im Vordergrund stehend Zustände von Gefühllosigkeit und Kälte der Extremitäten mit starken Kribbelparästhesien, abnorme Kälte- und Wärmegefühle und Schmerzen sowie große Probleme bei Stuhlgang und Wasser lassen ohne körperlich nachweisbare Ursache an. Bereits im März 2008 schilderte der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. B. extreme Kopfschmerzen, Kribbeln am gesamten Körper. Der Kläger habe das Gefühl, die Haare stünden ab. Der Arztbrief der Kriseninterventionsstation des ZfP Weissenau vom Juli 2008 beschrieb beim Kläger wenig Empathie und Neigung zu langen Monologen. Auch wurde wiederholt die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung gestellt (Gutachten Dr. G., Atteste Dr. S. vom Dezember 2009 und März 2010; schließlich stationäre Behandlung in der neurologischen Abteilung des ZfP W. 2009 zwecks Schmerztherapie).
Diese sind als dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen (ICD-10: F 44.6), Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10: F 45.41) und Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend narzisstischen Zügen (ICD-10: F 60.8) zu bezeichnen. Letztere Diagnose wurde von Prof. Dr. S. in seinem Gutachten an das SG zunächst zwar nur als Verdachtsdiagnose gestellt. In seiner ergänzenden Stellungnahme an den Senat hat er dies damit begründet, diese Diagnose "ungern" aufgrund einmaliger Untersuchung zu stellen, sah sich in der Diagnosestellung jedoch durch die unmittelbar nach Gutachtenerstellung umfangreichen eingegangenen Gegenvorstellungen des Klägers bestätigt.
Spezifische Persönlichkeitsstörungen (ICD-10: F 60) sind tief verwurzelte, anhaltende Verhaltensmuster, die sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen zeigen. Sie verkörpern gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung deutliche Abweichungen im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in den Beziehungen zu anderen. Solche Verhaltensmuster sind meistens stabil und beziehen sich auf vielfältige Bereiche des Verhaltens und der psychologischen Funktionen. Häufig gehen sie mit einem unterschiedlichen Ausmaß persönlichen Leidens und gestörter sozialer Funktionsfähigkeit einher. Dem entspricht die Gleichgültigkeit des Klägers auch gegenüber seinen nächsten Angehörigen, der soziale Rückzug, die Verhaltensauffälligkeiten.
Bei der chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10: F 45.41) stehen im Vordergrund des klinischen Bildes seit mindestens sechs Monaten bestehende Schmerzen in einer oder mehreren anatomischen Regionen, die ihren Ausgangspunkt in einem physiologischen Prozess oder einer körperlichen Störung haben. Psychischen Faktoren wird eine wichtige Rolle für Schweregrad, Exazerbation oder Aufrechterhaltung der Schmerzen beigemessen, jedoch nicht die ursächliche Rolle für deren Beginn. Der Schmerz verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden und Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Hierzu zählen alle vom Kläger geklagten somatischen Beschwerden mit Ausnahme der Hörstörung und des Tinnitus.
Beim Kläger liegt keine Depression vor. Bei depressiven Episoden (ICD-10: F.32) leidet der Betroffene unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Sogar bei der leichten Form kommen Schuldgefühle und Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von sogenannten "somatischen" Symptomen begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit, Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust. Dies hat der Sachverständige Prof. Dr. S. für den Senat überzeugend dargelegt. Der Senat hat keine Bedenken, das vom SG nach § 106 SGG eingeholte Gutachten von ihm zu verwerten. Zwar hat dieser den Kläger bei seinem stationären Aufenthalt in der Kriseninterventionsstation der ZfP W. mitbehandelt. Der Kläger ist hierauf vom SG hingewiesen und gefragt worden, ob Bedenken gegen die Beauftragung des Sachverständigen bestünden. Da er sein ausdrückliches Einverständnis geäußert hat und der Senat Anhaltspunkte für mangelnde Validität des Gutachtens aufgrund einer vorangegangenen Therapiebeziehung nicht sieht, kann es der Entscheidungsfindung uneingeschränkt zugrunde gelegt werden.
Prof. Dr. S. hat in seinem Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme überzeugend dargelegt, dass er nicht nur keine Symptome einer Depression vorgefunden hat, vielmehr vieles beim Kläger im Verhalten und klinischen Bild schlechterdings unvereinbar mit der Annahme einer Depression ist. Insbesondere ist er nicht rasch erschöpft, sondern war in der Untersuchung über vier Stunden lang hoch belastbar. Ebenso ist er konzentrationsfähig und keinesfalls antriebsgemindert, konnte er doch binnen weniger Tage nach Erhalt des Gutachtens eine seitenlange, engzeilig beschriebene Stellungnahme abgeben. Darüber hinaus ist dieses hohe Konzentrationsfähigkeit nicht mit den geklagten schweren Schlafstörungen zu vereinbaren, ebenso wenig wie der vom Sachverständigen beschriebene athletische Körperbau bei guter Bemuskelung mit dem geschilderten Tagesablauf, demzufolge der Kläger das Bett fast nur für die - allerdings häufigen - Toilettengänge verlassen will sowie der von ihm seit Jahren durchgehend angegebene völlige Appetitverlust zu der Gewichtszunahme von 30 kg. Dr. H. hat in seinem Gutachten die schwere depressive Episode als Komorbidität genannt. Die PTBS geht typischerweise mit einem gewissen Grad von depressiven Symptomen und Ängsten einher, ohne dass diese eigenständig vorliegen (Stellungnahme Prof. Dr. S. Bl 34 Senatsakte).
Diese weiteren psychischen Gesundheitsstörungen sind nicht Folge des Überfalls, sondern bestanden bereits vor der Tat, was der Senat den medizinischen Unterlagen wie den Ausführungen von Prof. Dr. S. entnimmt. Das ergibt sich zunächst aus den Berichten der Angehörigen (ZfP W.), dem Urteil des Landgerichts Ravensburg, der Bescheinigung Dr. B. über Behandlungen in den Jahren 2000 und 2005 sowie der Kartei über die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers. Persönlichkeitsstörungen sind früh angelegte besonders starke Ausprägungen von normabweichendem Erleben und Verhalten, die nicht im Zusammenhang mit einzelnen traumatischen Erfahrungen im Erwachsenenalter stehen (Stellungnahme Prof. Dr. S., Bl 34 Senatsakte). Hinsichtlich der dissoziativen Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen sowie der Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren existiert keine anerkannte pathophysiologische oder psychologische Theorie, die das Zustandekommen derartiger Störungen aufgrund von traumatischen Ereignissen erklären würde. Weder finden sich typischerweise im Vorfeld des Auftretens dieser Störungen traumatische Erlebnisse noch finden sich diese Störungen typischerweise im zeitlichen Gefolge traumatischer Einwirkungen. Daher werden die genannten Störungen nicht den Traumafolgestörungen zugerechnet (Stellungnahme Prof. Dr. S., Bl. 33 Senatsakte). Bereits daraus folgt, dass die Störungen als schädigungsunabhängig anzusehen sind. Hinsichtlich der Persönlichkeitsstörung findet sich bereits im Arztbrief des ZfP W. über den ersten stationären Aufenthalt der Hinweis, dass fremdanamnestisch das Bestehen dieser Persönlichkeitsmerkmale bereits vor dem Trauma und körperliche Misshandlungen der Ehefrau in der Vergangenheit berichtet wurden. In psychiatrischer Behandlung beim Facharzt Dr. B. war der Kläger bereits 2000 und 2005. Neurologe und Psychiater Dr. H. hatte bereits seit 2005 kribbelnde Missempfindungen auf der Vorderaußenseite des linken Oberschenkels, passend zu einer Meralgia paraesthetika diagnostiziert. Auch war der Kläger im Sommer 2007 mehr als fünf Wochen wegen Unwohlsein und Ermüdung arbeitsunfähig, Ende September 2007 noch einmal für zwei Tage sowie 1989, 1990 und 1991 wegen Rückenbeschwerden.
Unter Berücksichtigung dieser Schädigungsfolgen hat der Kläger auch zur Überzeugung des Senats keinen Anspruch auf höhere Grundrente wegen eines GdS von mehr als 40.
Nach Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 der VersMedV vom 10. Dezember 2008 beträgt bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen bei leichteren psychovegetativen Störungen der GdS 0-20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (beispielsweise ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) beträgt der GdS 30-40, bei schweren Störungen (beispielsweise schweren Zwangskrankheiten) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 50-70, mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 80-100. Der Senat nimmt in Übereinstimmung mit Prof. Dr. S. einen GdS für die PTBS von 40 im Sinne einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit an. Zwar sind die beim Kläger insgesamt bestehenden psychischen Erkrankungen geeignet, einen höheren GdB zu begründen, da in der Summe mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten bestehen. Diese beruhen jedoch nur zum Teil auf der schädigungsbedingten PTBS und ansonsten auf der nicht schädigungsbedingten Persönlichkeitsstörung und der ebenfalls nicht schädigungsbedingten somatoformen Störung. Der Senat hat dabei berücksichtigt, worauf bereits zutreffend Dr. G. in mehreren versorgungsärztlichen Stellungnahmen hingewiesen hat, dass die Situation des Kläger - anders als in Dr. H. Bewertung einer Störung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdS von 80 angenommen - sich nicht infolge des Angriffs grundlegend verändert, er nicht "durch den Überfall völlig aus seiner erfolgreichen beruflichen Karriere herausgerissen" wurde und einen schwerwiegenden "Bruch in der Lebenslinie" erlitten hat, sondern die Stelle bereits zuvor gekündigt war, die Ehe angesichts der Gewalttätigkeiten des Klägers und der außerehelichen Beziehung der Ehefrau zum Täter nicht als stabil bezeichnet werden konnte und auch die in vielen Arztberichten beschriebene desolate Wohnsituation mit sieben Personen und drei Generationen in einer Dreizimmerwohnung bereits vor der Tat bestand, sich mittlerweile durch Scheidung und Auszug von Ehefrau und Kindern eher verbessert haben dürfte. Der Einschätzung von Dr. H. ist der Senat nicht gefolgt, weil der Sachverständige seiner Bewertung erkennbar allein die Angaben des Klägers zugrunde gelegt hat, ohne diese anhand des Akteninhalts, insbesondere auch der Vorbefunde, kritisch zu würdigen. Dabei wurde auch berücksichtigt, dass der Kläger nach Einschätzung von Prof. Dr. S. durchaus mehr in der Lage wäre, wieder am Leben teilzunehmen, wenn er dies wollte. Der GdS von 40 für die seelische Störung besteht bereits seit 08.01.2008. Damals bestand das Vollbild der PTBS. Ein höherer GdS ergab sich daraus nicht, denn neben der PTBS bestanden bereits die weiteren, schädigungsunabhängigen Störungen.
Der Senat sieht diese Einschätzung durch den persönlichen Eindruck, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, bestätigt. Eine Depression liegt danach, wie Prof. Dr. S. in seinem Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme dargelegt hat, nicht vor. Kognitive Einschränkungen waren nicht zu erkennen. Der Kläger war vollständig orientiert und in der Lage, Fragen adäquat zu beantworten. Eine schwere Antriebsminderung war gleichfalls nicht auszumachen, denn der Kläger war ersichtlich in der Lage, den Termin zur mündlichen Verhandlung am Vormittag pünktlich wahrzunehmen und hierzu von Friedrichshafen nach Stuttgart anzureisen. Inhaltlich konnte seinem Vorbringen jedoch nicht gefolgt werden, weil seine Einlassung, vor der Tat nicht in psychiatrischer Behandlung und arbeitsunfähig nur aufgrund einer Lungenentzündung gewesen zu sein, durch die Befunde in den Akten widerlegt ist.
Der GdS von 10 auf HNO-ärztlichen Gebiet ergibt sich nach dem überzeugenden Gutachten des Dr. M. aus einer Lärmschwerhörigkeit mit Tinnitus infolge des erlittenen Knalltraumas. Dieser führt aber wegen der Überschneidung zwischen dem Tinnitus und der psychischen Störung nicht zur Erhöhung des Einzel-GdS von 40 bei Bildung des Gesamt-GdS.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Höhe der Grundrente nach einem vom Beklagten anerkannten tätlichen Angriff vom 08.01.2008.
Der am 02.07.1973 geborene Kläger, serbischer Staatsangehöriger, wurde am 08.01.2008 von seinem Schwager, dem geschiedenen Ehemann seiner Schwester, mit einer Schusswaffe angegriffen. Es gelang ihm, in einem Handgemenge dem Angreifer die Schusswaffe zu entwinden, wobei sich zwei Schüsse lösten, von denen einer dicht am Ohr des Klägers vorbei ging. Der Täter hatte seit mehreren Jahren ein Verhältnis mit der Ehefrau des Klägers, die nach zwischenzeitlichem Auszug aus der Ehewohnung zum Kläger zurückgekehrt war und das Verhältnis beendet hatte. Ein Schuss verfehlte den Kläger nur knapp. Der Täter wurde mit Urteil des Landgerichts R. vom 17.07.2008 wegen versuchten Mordes, vorsätzlicher Körperverletzung und Waffendelikten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt und nach teilweiser Verbüßung der Haftstrafe inzwischen nach Serbien abgeschoben. Das Landgericht führte in den Urteilsgründen aus, dass die Ehefrau des Klägers ihn vor der Tat wegen Vergewaltigung angezeigt, die Anzeige zwar zurückgezogen, sich im Freundeskreis aber regelmäßig über Gewalttätigkeiten und Bevormundungen des Klägers beklagt habe. Beschrieben werden "Erschöpfungszustände" des Klägers vor der Tat und eine "ohnehin belastete psychische Situation".
Der Kläger wurde am Tattag in der Ambulanz des Klinikums F. behandelt, wo multiple Schürfwunden, Bissverletzungen am rechten Unterarm, Schmerzen am rechten Handgelenk sowie Ohrgeräusch links bei subjektiv diskretem Hörverlust befundet wurden (Arztbrief Prof. Dr. W. vom 08.01.2008, Bl 13 VV). Der Kläger war bis zu einer Arbeitgeberkündigung im Herbst 2007 als Ingenieur beschäftigt. Seit dem Tattag war er arbeitsunfähig und bezieht seit 01.08.2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bl 118 R DRV-Akte). Die Eltern des Klägers leiden unter Depressionen, die Mutter hat einen Suizidversuch unternommen. Die Ehe des Klägers wurde 2011 geschieden.
Am 13.03.2008 beantragte der Kläger Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten (OEG). Die beigezogenen Befundunterlagen ergaben HNO-ärztlich eine leichte bis mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits, progredient, einen dekompensierten Tinnitus beidseitig, einen Zustand nach Knalltraum links sowie den Verdacht auf eine psychogene Schwerhörigkeit (Befundbericht des Facharztes für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten Dr. S. vom 12.12.2008, Bl 103 VV; Arztbrief vom 10.07.2008, Bl 55 VV). Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. stellte die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung - PTBS - (Arztbrief vom 07.03.2008, Bl 49 VV); der Kläger habe sich 2000 erstmals vorgestellt mit einer somatoformen Störung mit Brustdruck, Globusgefühl und dem Gefühl, als sitze jemand auf seinen Schultern. 2005 habe er sich mit Eheproblemen nochmals in Behandlung begeben (Befundbericht vom 13.02.2009, Bl 116 VV). Neurologe und Psychiater Dr. H. berichtete von kribbelnden Missempfindungen auf der Vorderaußenseite des linken Oberschenkels, passend zu einer Meralgia paraethethika seit drei Jahren, und ein seit dem 08.01.2008 häufig auftretendes Taubheitsgefühl beider Hände ohne richtungsweisenden Befund (Arztbrief vom 16.5.2008, Bl 51 VV). Der Kläger klagte über ein Jahr nach dem Überfall trotz Krankengymnastik über weiterbestehende Schmerzen im Bereich beider Kniegelenke (Befundbericht Facharzt für Chirurgie Dr. S. vom 16.03.2009, Bl 127 VV) sowie Beschwerden im Brustbereich, Atembeschwerden und Bewegungsschmerzen bei unauffälligem Röntgenbefund (Arztbrief Orthopäde Dr. H. vom 01.04.2009, Bl 132 VV). Der Kläger war vor dem Angriff vom 04.06. bis 13.07.2007 und vom 27. bis 28.09.2007 wegen Unwohlsein und Ermüdung arbeitsunfähig, im Dezember 1989, Dezember 1990, April 1991 wegen Rückenbeschwerden.
Der Kläger wurde mehrfach stationär behandelt; zunächst vom 10. bis 31.07.2008 auf der Kriseninterventionsstation im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) W., wo die Diagnosen einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen, einer PTBS sowie eines Tinnitus aurium gestellt wurden. Der Kläger habe von ihn belastenden Lebensereignisse im letzten Jahr berichtet, wie der Kündigung seiner Stelle als Ingenieur im Herbst, die er auf eine Windpockenerkrankung zurückführe, wobei seine Angehörigen Abweichendes berichtet hätten. Die Beobachtung des Klägers (keine Kontaktaufnahme, wenig Empathie, Monologe) hätten sich mit dem Ergebnis des SKID II (Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV Persönlichkeitsstörungen) gedeckt, der maximal erhöhte Werte bei zwanghaften, paranoiden und schizoiden Persönlichkeitsstörungen gezeigt habe. Fremdanamnestisch sei bestätigt worden, dass diese Persönlichkeitsmerkmale bereits vor dem Trauma bestanden hätte. Es sei aufgrund von Andeutungen der Eindruck einer Fremdgefährdung der Ehefrau entstanden, da Berichte über körperliche Misshandlungen in der Vergangenheit bekannt geworden seien. Unter Medikation habe sich die depressive Störung gebessert. Am Ende des Aufenthalts habe der Kläger berichtet, er habe anfänglich geglaubt, das Team habe mit seinem Schwager ein Komplott gegen ihn geschmiedet und wolle ihn mit Medikamenten vergiften (Entlassungsbericht Prof. Dr. S./Dr. S. vom 22.08.2008, Bl 69 ff VV). Vom 13.08. bis 01.10.2008 wurde der Kläger in der S. Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie stationär behandelt. Dort wurde die Diagnose einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome und einer PTBS gestellt. Der Kläger habe angegeben, bereits in seiner Kindheit traumatische Erlebnisse gehabt zu haben, ohne diese näher auszuführen. Im Vordergrund stehe aber die Traumatisierung durch den Mordversuch, wobei bereits seit 2005 ein unklares Verhältnis zwischen seinem Schwager und seiner Ehefrau mit Zerrüttung und Wiederversöhnung der Ehe und erheblichen Konflikten in der Familie bestanden habe. Belastend seien auch die beengten Wohnverhältnisse (7 Personen in 3 Zimmern, 3 Generationen). Da kein Arbeitsbündnis habe erreicht werden können, der Kläger vielmehr unterschwellig aggressiv gegen Mitpatienten aufgetreten sei, sei die Behandlung abgebrochen worden (Entlassungsbericht Fachärzte für Psychiatrie Dr. M./E. vom 16.10.2008, Bl 73 VV).
Der Beklagte zog das Gutachten aus dem Rentenverfahren des Arztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. G. vom 16.01.2009 bei. Der Kläger gehe hinkend an einem Stock in Begleitung seiner Ehefrau. Er sitze teilnahmslos apathisch im Sessel, Fragen beantworte er mit monotoner Stimme und niedergeschlagenen Augen. Er zeige zahlreiche depressive Kognitionen. Das Beck`sche Depressionsinventar mit einem Wert von 40 entsprechend einer schweren depressiven Episode decke sich mit dem klinischen Eindruck. Der Befund habe sich insgesamt auch nach der Entlassung aus der S. Klinik weiter verschlechtert. Zusätzlich scheine es zu einer somatoformen Schmerzstörung zu kommen. Dr. G. diagnostizierte eine schwere depressive Episode, eine PTBS und einen Tinnitus aurium. Im Auftrag des Beklagten erstattete Neurologe und Psychiater Prof. Dr. S. sein neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom 13.08.2009 aufgrund der Untersuchung des Klägers am 21.07.2009. Der Kläger betrete den Untersuchungsraum ohne Blickkontakt, mit schlurfendem Gang, wie ein Blinder von seiner Ehefrau geführt. Er trage einen Wanderstock mit Metallspitze und Abzeichen. Er werde zum Stuhl geführt und verhalte sich, als sehe er nichts. Er gebe an, die Einschränkung der Gehfähigkeit sei ca. drei Monate nach dem Überfall ganz plötzlich aufgetreten. Nach Beschwerden gefragt gebe er stärkste andauernde Schmerzen am ganzen Körper an, es kribbele, er habe keine Kraft in den Händen. Beim Atmen habe er starke Schmerzen, Kopfschmerzen mit Übelkeit und Erbrechen, er sei harn- und stuhlinkontinent, habe Alpträume. Er habe kein Gleichgewichtsgefühl, könne draußen nichts erkennen, könne nichts allein machen, habe seit dem Überfall 30 kg zugenommen. Hinsichtlich der PTBS verneine der Kläger wiederkehrende und eindringliche Erinnerungen an das Ereignis, Handeln und Fühlen, als kehre das traumatische Ereignis wieder, intensive psychische Belastung bei Konfrontation mit Hinweisreizen, bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen, Gesprächen, Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wach riefen, Unfähigkeit, wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern, vermindertes Interesse an wichtigen Aktivitäten, Gefühl der Entfremdung von anderen, verminderte Bandbreite des Affekts, Schwierigkeiten, sich durchzusetzen, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, übermäßige Wachsamkeit, übertriebene Schreckhaftigkeit. Die körperliche Untersuchung zeige einen athletischen Körperbau, die Muskulatur an den Armen sei seitengleich kräftig ausgeprägt, an beiden Händen fänden sich ausgeprägte Arbeitsspuren, Schwielen an den Fingern. Die Muskulatur der Beine sei seitengleich kräftig, das Gangbild flüssig, bei Abschluss der Untersuchung kein schlurfendes Gangbild mehr. Alle Testergebnisse seien unplausibel, angefangen bei einer dargebotenen sämtliche Extremitäten betreffenden schlaffen Lähmung und bei den kognitiven Testungen. Dies werde durch die objektiven Verfahren zur Kontrolle der Anstrengungsbereitschaft und Beschwerdevalidierungsverfahren bestätigt. Im Ergebnis zeige der aktuelle körperliche Befund keine Auffälligkeiten, die Untersuchung sei durch nahezu fehlende Mitarbeit deutlich erschwert gewesen. Der aktuelle klinisch-neurologische Befund zeige keine Auffälligkeiten, insbesondere keinen Hinweis auf eine Schädigung des nervus medianus. Der psychiatrische Befund zeige keine Auffälligkeiten, außer dass der Kläger mürrisch, verstimmt und unkooperativ sei. Unter Zugrundelegung der diagnostischen Standards der DSM-IV ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine PTBS. Es fehle bereits das A2-Kriterium der erheblichen psychischen Initialreaktion, denn der Kläger sei bei dem Vorfall geistesgegenwärtig gewesen und habe zielgerichtet gehandelt, sei nicht von Todesangst überwältigt gewesen, habe den Angreifer entwaffnen und ihn in Schach halten, verfolgen und bis zum Eintreffen der Polizei festhalten können. Eine psychiatrische Notfallbehandlung habe nicht stattgefunden. Auch seien die Symptomkriterien der PTBS nicht erfüllt und nach den Mittteilungen der Vorbehandler zu keinem Zeitpunkt erfüllt gewesen. Der psychologische Befund habe Minderleistungen in mehreren Bereichen ergeben, die in der Form unplausibel und mit dem beobachtbaren Verhalten nicht zu vereinbaren gewesen seien. Kontrollverfahren zur Überprüfung der Kooperativität und dem Vorliegen von Beschwerdeübertreibung hätten massivste Antwortverzerrung ergeben. Der Kläger sei offensichtlich bestrebt, die Krankenrolle einzunehmen. Zusammenfassend liege beim Kläger eine Gesundheitsstörung nicht vor und habe nicht vorgelegen. Es bestehe massive Aggravation, darüber hinaus aber keine Auffälligkeiten.
Auf Veranlassung des Beklagten erstattete Prof. Dr. M. vom B.-Krankenhaus U. sein Hals-Nasen-Ohrenärztliches Gutachten vom 09.02.2010. Er stellte beim Kläger eine Lärmschwerhörigkeit mit Tinnitus fest, die auf das Knalltrauma vom 08.01.2008 zurückzuführen sei, mit einem geschätzten GdS von 10 v.H ...
Der Beklagte stellte mit Erstanerkennungsbescheid vom 09.03.2010 fest, dass der Kläger am 08.01.2008 Opfer einer Gewalttat im Sinne des OEG geworden sei und erkannte als Folge der Schädigung eine Lärmschwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräusch an. Er stellte einen Anspruch auf Heilbehandlung hierfür fest und lehnte die Gewährung einer Beschädigtenrente ab, da der GdS unter 25 v.H. betrage. Weiterhin wurde festgestellt, dass ein Muskelfaserriss im Bereich des Musculus pectoralis in ursächlichem Zusammenhang zur Schädigung stehe, inzwischen aber folgenlos abgeheilt sei. Der Kläger erhob Widerspruch unter Hinweis auf die nicht berücksichtigten schwerwiegenden psychischen Störungen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2010 zurück und berief sich dabei auf das psychiatrische Gutachten des Prof. Dr. S. vom 13.08.2009, der auf psychiatrischen Gebiet keinerlei Störungen von Krankheitswert habe erkennen können und dem zu folgen sei, auch wenn dieses gutachterliche Ergebnis in deutlichem Widerspruch zu den Auffassungen der behandelnden Ärzte Dr. S., Dr. B. und Dr. S. stehe.
Der Kläger hat am 28.07.2010 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Er ist vom 02.06.2009 bis 09.06.2009 in stationärer Behandlung in der Abteilung für Neurologie des ZfP W. gewesen. Dort sind die Diagnosen chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren bei Zervikobrachial- und zervikozephalem Syndrom, sowie Lumboischialgie mit unklaren, am ehesten psychogenen Dysästhesien und Schwäche in beiden Händen, schwere depressive Episode, PTBS, Tinnitus aurium, gestellt worden. Die Aufnahme ist zur multimodalen Schmerztherapie erfolgt. Der Kläger schildere mit monotoner Stimme und starrem Blick, "es tue alles entsetzlich weh". Bei den Voruntersuchungen habe sich trotz Zusatzdiagnostik (MRT Halswirbelsäule, neurophysiologische und elektromyelographische Abklärung) kein neurologisches Defizit objektivieren lassen. Eine Liquorpunktion zum Ausschluss eines chronisch entzündlichen Geschehens des zentralen Nervensystems habe der Kläger abgelehnt. Es scheine, dass der Kläger zu viel Aufmerksamkeit auf das Schmerzerleben und die psychische Belastung lenke. Da ein somatisches Korrelat fehle und die Vorgeschichte psychosenahes Erleben zeige, sei auf eine Behandlung mit Kortison verzichtet worden (vorläufiger Entlassungsbericht Dres. M./R./Assistenzärztin P. vom 02.06.2009, Bl 21 ff SG-Akte). Vom 11.05.2010 bis 08.06.2010 hat der Kläger eine stationäre Reha in der Klinik S. durchgeführt. Dort sind die Diagnosen PTBS; schwere depressive Episode, Hypertonie, Adipositas (BMI 32), Tinnitus aurium gestellt worden. Der Kläger hafte stark am eigenen Erleben, ein therapeutischer Kontakt könne nur bedingt hergestellt werden. Er wirke deutlich depressiv und erschöpft. Er berichte flashbacks und fraglich dissoziative Zustände ("ich bin nicht mehr ich selbst") durch Triggerreize, wie dem Täter ähnlich sehende Personen.
Das SG hat die behandelnden Ärzte befragt. Dr. B., Arzt für Neurologie und Psychiatrie hat auf problematische Sozialisationsbedingungen mit ständigen Auseinandersetzungen der Eltern hingewiesen. Seit dem Angriff sei es zu einer Wesensänderung gekommen. Er sei schwer verunsichert, voller Ängste, klage über extremen Kopfschmerz, Kribbelparästhesien am gesamten Körper und schwere Schlafstörungen mit sich wiederholenden Alpträumen bei ständigem Nacherleben des Angriffs. Er sei nicht mehr zu einer Berufstätigkeit in der Lage gewesen wegen des grundsätzlichen Verlusts des Vertrauens in andere Menschen und illusionistische Situationsverkennung, wenn er den Angreifer auf der Straße zu erkennen meine. Für die körperlichen Symptome bestehe kein adäquater somatischer Befund, so dass von dissoziativen Störungen auszugehen sei. Bei der letzten - notfallmäßigen - Vorstellung am 26.11.2009 habe der Kläger über schweren Drehschwindel mit Sturzneigung berichtet, weshalb er sich die Kapuze über den Kopf ziehen müsse. Auch hierfür habe sich kein adäquates Korrelat, insbesondere keine peripheren Vestibularisstörungen, ergeben (Auskunft vom 30.09.2010, Bl 48 ff SG-Akte). Zwei Ambulanzvorstellungen in der Oberschwabenklinik, Abteilung Neurologie am 10. und 25.03.2009 "zur Mitbeurteilung diffuser Befindlichkeitsstörungen" haben keine richtungsweisenden Befund ergeben, so dass "am ehesten" von Somatisierungstendenzen im Rahmen einer PTBS ausgegangen worden ist. (Behandlungsbericht vom 08.04.2009 Priv.-Doz. Dr. B./Dr. K., Bl 54ff SG-Akte).
Das SG hat zwei Gutachten von Amts wegen eingeholt, das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. vom 10.01.2010 und des Nervenarztes Prof. Dr. S., Leiter der Abteilung Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie, Zentrum für Psychiatrie S., W. (ZfP W.), vom 21.03.2012. Der Kläger hat auf Anfrage des SG sein Einverständnis mit der Begutachtung durch Prof. Dr. S. erklärt, der ihn während der stationären Behandlung vom 10.07.2008 bis 31.07.2008 im ZfP W. behandelt hatte. Dr. H. hat die Diagnosen einer ausgeprägten PTBS und einer chronifizierten schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome sowie eines Tinnitus aurium nach Knalltrauma gestellt (Gutachten vom 10.11.2010, Bl 69 ff SG-Akte; ergänzende Stellungnahme vom 15.08.2011, Bl 128 ff SG-Akte). Den schädigungsbedingten Gesamt-GdS hat er auf 80 geschätzt. Der Überfall sei an Dramatik kaum zu überbieten. Der Kläger habe massiv um sein Leben kämpfen müssen. Das A-Kriterium der posttraumatischen Belastungsstörung, eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung, die bei fast jedem tiefe Verzweiflung hervorrufen würde, sei ohne Zweifel erfüllt. Nach der amerikanischen Klassifikation des DSM-IV-TR sei auch das A2-Kriterium erfüllt, nachdem die Reaktion des Klägers unmittelbar nach dem Vorfall intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen umfasst habe. Der Kläger habe angegeben, er sei nach Eintreffen der Polizei wie versteinert gewesen, "gelähmt vor Schock". Kernsymptome einer PTBS seien Nachhallerinnerungen (flashbacks), Vermeidungsverhalten und Symptome erhöhter psychischer Sensibilität und Erregung (Hyperarousal). Diese seien subjektiv und nur vom Betroffenen selbst zu eruieren, aber hier von verschiedenen Untersuchern übereinstimmend geschildert worden. Die Schilderungen des Klägers hierzu seien stimmig und konsistent. Ein Vermeidungsverhalten zeige sich darin, das er an der Hauptverhandlung gegen den Täter habe als Zeuge teilnehmen und aussagen müssen, nach dem ersten Verhandlungstag jedoch psychisch zusammengebrochen sei und danach für drei Wochen im ZfP W. stationär habe behandelt werden müssen wegen einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen und einer PTBS sowie Tinnitus. Andererseits könne er der Konfrontation mit dem Erlebten nicht entgehen, weil er wegen desolater Wohnverhältnisse mit Ehefrau, drei kleinen Kindern und seinen Eltern in der bisherigen Dreizimmerwohnung, zugleich dem Tatort, weiter leben müsse. Seine Ehe sehe der Kläger als gescheitert, da seine Ehefrau, die letztlich den Grund des Überfalls geliefert habe, sich von dem Vorfall nicht klar distanziert habe. Er erhalte die Ehe wegen der drei Kinder, die er über alles liebe, aufrecht. Zeichen des Hyperarousal mit Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsschwäche und erhöhter Schreckhaftigkeit würden beschrieben, so dass das Vollbild einer PTBS bestehe. Die kritische Wertung anhand der Kriterien zur Simulation ergäbe, dass die PTBS eindeutig vorliege und keinerlei Zeichen für Simulation und Aggravation bestünden. Auch das Freiburger Persönlichkeitsinventar und der strukturierte Fragebogen simulierter Symptome hätten keinerlei Hinweis auf nichtauthentisches Verhalten ergeben. Zusätzlich bestehe das Bild einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome als eindeutige Komorbidität zur PTBS. Besondere Bedeutung habe in diesem Zusammenhang, dass der Kläger durch den Überfall völlig aus seiner erfolgreichen beruflichen Karriere gerissen worden sei. Er habe die reale Chance gehabt, Geschäftsführer einer vergleichbaren Firma zu werden, was durchaus plausibel erscheine. Tatsächlich sei er seit dem Überfall nicht mehr arbeitsfähig gewesen und beziehe Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn auch auf Zeit. Daraus könne man fraglos auf massive soziale Anpassungsschwierigkeiten schließen. Diese Diagnosen würden von den behandelnden Ärzten übereinstimmend gestellt, ebenso die Hörminderung und der Tinnitus. Aus dem ZfP W. werde auf zwanghafte, paranoide und schizoide Persönlichkeitszüge hingewiesen, die bereits vor dem Trauma vorgelegen hätten. Dies sei möglicherweise der Fall, jedoch seien entsprechende Persönlichkeitszüge weder von Krankheitswert noch behandlungsbedürftig gewesen. Auch die von Dr. B. berichteten Vorstellungen 2000 und 2005 wegen somatoformer Störungen bzw. im Rahmen einer Eheproblematik träten gegenüber der unmittelbar lebensbedrohenden Situation des Überfalls weit in den Hintergrund. Bis zum 08.01.2008 sei der Kläger voll leistungsfähig und beruflich erfolgreich gewesen. Durch das Ereignis sei es zu einem schwerwiegenden Bruch in der Lebenslinie gekommen. Hinsichtlich der Höhe des GdS sähen die maßgeblichen Versorgungsmedizinischen Grundsätze der Anlage zu § 2 der die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 für die Folgen psychischer Traumen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdS von 80 bis 100 vor. Es bestehe kein Zweifel, dass hier eine schwere Störung vorliege. Der Kläger sei seit dem 08.01.2008 allein viermal wegen der Folgen des Überfalls stationär psychiatrisch behandelt worden, er stehe fortlaufend in ambulanter psychiatrischer Therapie, sowohl medikamentös als auch Gesprächstherapie. Er sei seit dem Überfall nicht mehr arbeitsfähig und beziehe Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der erst 37jährige Kläger sei zumindest derzeit aufgrund des Überfalls aus dem Berufsleben herausgerissen worden. Er schildere den Verlust seiner sozialen Bezüge. Der gegnerische Anwalt habe versucht, seine Freunde zu Aussagen gegen ihn zu bewegen und die meisten Freunde würden sich jetzt heraushalten, so dass die meisten sozialen Kontakte abgebrochen worden seien. Spontan berichte der Kläger, er sei früher religiös gewesen und habe rege am Gemeindeleben der serbisch-orthodoxen Kirche in F. teilgenommen, jetzt habe er den Glauben an Gott verloren und somit auch diese sozialen Kontakte. Die Angaben des Klägers seien sachlich und widerspruchsfrei. Definitionsgemäß sei bei der Mehrzahl der Fälle der PTBS eine Heilung zu erwarten, auch hier, wenn es gelinge, den Kläger adäquat beruflich einzugliedern. Derzeit liege jedoch eine schwere seelische Störung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten vor.
Prof. Dr. S. hat in seinem nervenärztlich-psychosomatischen Gutachten vom 21.03.2012 (Bl 142ff SG-Akte) die Diagnosen PTBS (ICD-10: F 43.1); dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen (ICD-10: F44.6); Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10: F45.41); Verdacht auf Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend narzisstischen Zügen (ICD-10: F60.8) gestellt. Der Kläger wirke bizarr, trage bei milder Witterung Parka und Winterstiefel und eine Sonnenbrille. Er klage über starke Kribbelparästhesien in den Händen, permanente Schmerzen im linken Knie, ein seltsames kalt-warmes Gefühl an den Händen, zeitweise wie abgestorben, Kribbelparästhesien am ganzen Körper, einschießende Schmerzen im Bereich des großen Brustmuskels links, der seinerzeit bei dem Kampf gerissen, allerdings nach den vorliegenden Befunden vollständig verheilt sei. Er leide ferner stark an Tinnitus, ständigen Druck auf dem Kopf und Schmerzen. Sein psychischer Zustand sei katastrophal. Er habe keine Freude am Leben, Alpträume würden ihn verfolgen. Er habe Ängste, sobald er aus dem Haus gehe, bekomme dann Durchfall und müsse Wasser lasen. Oft habe er plötzlichen Stuhlabgang. Er habe Angst, wenn er jemanden sehe, der dem Täter ähnlich sehe und Angst davor, dass dieser entlassen werde. Er möge keine Menschenansammlungen, überhaupt keine Menschen. Befragt nach spezifischen Vermeidungsverhalten habe der Kläger angegeben, seit der Tat nicht mehr Akkordeon zu spielen, da ihn dies an den Täter erinnere. Er könne gar nichts mehr empfinden, auch nicht gegenüber seinen Kindern oder seinen Eltern. Er komme in einen "Explosionszustand", wenn ihn jemand berühren oder umarmen würde. Auch seine Kinder dürften ihn nicht umarmen. Wiedererinnerungen an das Ereignis habe er, er habe keine Erinnerungslücken. Er schlafe schlecht, der Tinnitus wecke ihn. Vor dem Angriff sei er völlig gesund gewesen. Er habe keinerlei psychische Erkrankung oder jemals eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung gehabt. Von seiner Ehefrau sei er bereits vor der Tat emotional abgelöst gewesen, nachdem er erfahren habe, dass sie ihn betrogen habe. Er wohne bei seinen Eltern, seinen Freunden habe er mitgeteilt, dass er keinen Kontakt wolle, auch zu seiner geschiedenen Ehefrau habe er keinen Kontakt. Mit den Kindern habe er nicht viel zu tun. Zum Haushalt der Eltern trage er nichts bei. Er habe Probleme mit der Hygiene, wasche sich manchmal einen Monat lang nicht. Zu seinem Tagesablauf befragt, habe er angegeben, meist im Bett zu liegen, dies nur zu verlassen, um zur Toilette zu gehen. Er esse getrennt von seinen Eltern. Ab und zu gehe er nach draußen, mache aber nichts Besonderes. Der Kläger sei offen und eloquent, schildere viele Details, die Auffassung sei gut, über Konzentrationsstörungen werden nicht geklagt, die Konzentration lasse auch bei langer Gesprächsdauer nicht nach. Die Stimmung sei indifferent, aber nicht schwer depressiv verstimmt, die Fähigkeit zu angenehmen Empfindungen weitgehend aufgehoben. Die Psychomotorik sei ausdrucksarm, jedoch nicht verlangsamt. Der Gedankengang sei formal geordnet, inhaltlich eingeengt auf Gefühle der Sinnlosigkeit, aber keine Grübelzwänge, keine phobischen Ängste, keine psychotischen Symptome. Gedankliche Intrusionen bei Triggerreizen würden beschrieben. Weiterhin bestünden ausgeprägte Unregelmäßigkeiten der Miktion und Defäkation, ausgeprägtes Frieren, Zittern, zeitweilige Inappetenz ohne Gewichtsabnahme, Ein- und Durchschlafstörungen. Die körperliche Untersuchung zeige einen athletischen Körperbau mit kräftiger Muskulatur (trotz geschilderter völliger Tatenlosigkeit), Handbeschwielung ohne Hornhaut, die subjektiv kalten Füße seien nicht zu verifizieren gewesen, alle Gelenke schmerzfrei normal beweglich, alle Reflexe auslösbar, an der gesamten Körperoberfläche keine Störungen der Oberflächensensibilität und Schmerzempfindung. Psychisch wirke der Kläger affektivnivelliert, da er ohne wesentliche Auslenkungen in gleichbleibender Stimmungslage berichte. Äußerlich wirke er zwar so, wie man das von Patienten mit PTBS kenne, die sich abzuschirmen versuchten, es fehlten jedoch die beiden charakteristischen Befunde der PTBS, das Vermeidungsverhalten und die Übererregung. Der Kläger berichte über den Kampf ähnlich eloquent und detailliert wie über anderes, und ohne charakteristische Erinnerungslücken. Auch ständige Anspannung und Übererregung hätten nicht bestanden. Bemerkenswert sei seine Ausdauer gewesen, er habe nach vierstündiger Untersuchung nicht erkennbar ermüdet gewirkt. Dies stehe im Widerspruch zu der Schilderung einer völligen Antriebs- und Interessenlosigkeit bis hin zur Selbstvernachlässigung und sei jedenfalls mit einer schweren Depression nicht vereinbar.
Der Kläger habe infolge des Überfalls eine PTBS erlitten, wie Dr. H. gut begründet habe. Diese nehme aber allmählich an Intensität ab und trete in den Hintergrund. Der traumatisierende Charakter habe höchstwahrscheinlich in dem sich lange hinziehenden Kampf bestanden. Gerade Gefühle des Ausgeliefertseins und der Hilfslosigkeit hätten traumatisierenden Charakter. Das szenische Wiedererinnern in Form von flashbacks sei zumindest in den anfänglichen Arztbriefen eindrucksvoll beschrieben. Auch die bizarren Alpträume anderer Thematik passten hierzu, ebenso die Neigung, durch ähnlich aussehende Personen an das Ereignis erinnert zu werden und der soziale Rückzug. Nicht bzw. nicht mehr gut feststellbar sei Vermeidungsverhalten und ständige Übererregung. Der Kläger lebe immer noch in der Wohnung. Allerdings seien wesentliche Teile der jetzt geschilderten Symptome nicht solche einer PTBS, nämlich Schmerzen, Kribbelparästhesien, Gefühllosigkeit, abnorme Wärme- und Kältegefühle. Dies seien dissoziative bzw. somatoforme Störungen. Diese träten bei Personen auf, die langen und frühen Traumatisierungen ausgesetzt gewesen seien, jedoch nicht bei PTBS eine zuvor gesunde Person betreffend. Vielmehr hätten vor dem Überfall Züge einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung und Züge einer somatoformen Störung bestanden. Im Gegensatz zur Schilderung durch den Kläger selbst sei dieser nach Aktenlage bereits 2000 und 2005 wegen Eheproblemen in fachpsychiatrischer Behandlung gewesen. Das Urteil des Landgerichts erwähne, dass die Ehefrau des Klägers ihn wegen Vergewaltigung angezeigt, die Anzeige zurückgezogen, sich im Freundeskreis aber regelmäßig über Gewalttätigkeiten und Bevormundung beklagt habe, die Rede sei auch von der ohnehin psychisch belasteten Situation und Erschöpfungszuständen vor der Tat. Die vorbestehenden oder jedenfalls schon früher vorhandenen depressiven, somatoformen und dissoziativen Symptome hätten sich nach dem Überfall aller Wahrscheinlichkeit nach verstärkt. Die sei aber keine Traumafolgestörung und auch nur eine vorübergehende Verschlimmerung. In der Folge des Ereignisses, aber mit den vorausgehenden Konflikten schon davor beginnend, sei der Kläger tatsächlich aus seiner bisherigen Lebensbahn geworfen worden, habe Familie und Arbeit verloren und friste ein bescheidenes Leben mit extrem wenig Aktivitäten bis zur Selbstvernachlässigung. Eine schwere Depression, wie früher attestiert, liege nicht mehr vor. Das mangelnde Interesse und die emotionale Gleichgültigkeit seien vielmehr der Persönlichkeitsstörung zuzuschreiben. Zwar könne emotionale Abstumpfung auch Symptom einer PTBS sein. Dagegen spreche aber das Fehlen von Vermeidungsverhalten und Übererregbarkeit und die hohe Konzentrationsfähigkeit über vier Stunden, in denen emotional hoch belastende Dinge besprochen worden seien. Es sei zu vermuten, dass der Kläger durchaus in der Lage sei, mehr am Leben teilzunehmen, wenn er dies wollte. Von den Gesundheitsstörungen sei allein die PTBS Schädigungsfolge. Hinsichtlich des auf diese entfallenden GdS sei er geneigt, der vom Beklagten vorgeschlagenen Anerkennung eines GdS von 40 zu folgen. Der Kläger hat schriftlich zum Gutachten Stellung genommen.
Der Beklagte hat bereits am 30.03.2011 angeboten, im Wege des Anerkenntnisses als Schädigungsfolge neben der Lärmschwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräuschen posttraumatische psychische Störungen und für diese einen GdS von 40 ab 08.01.2008 anzuerkennen. Dr. G. hat in versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 11.03.2011 und 01.09.2011 den von Dr. H. angenommenen Schweregrad der schädigungsbedingten Störungen angesichts der Tatsache, dass dem Kläger bereits vor dem Überfall gekündigt und auch die Ehe schon belastet gewesen sei, nicht nachvollziehbar gefunden. Der Kläger hat das Anerkenntnis nicht angenommen. Mit Urteil vom 18.07.2012 hat das SG aufgrund mündlicher Verhandlung die angegriffenen Bescheide nach Teilanerkenntnis des Beklagten in der mündlichen Verhandlung abgeändert, den Beklagten zur Anerkennung von posttraumatischen Störungen als weitere Schädigungsfolge verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Ein höherer GdS als 40 liege nicht vor. Es folge dem nachvollziehbaren und plausiblen Gutachten des Prof. Dr. S ...
Der Kläger hat gegen das ihm am 03.08.2012 zugestellte Urteil am 23.08.2012 Berufung eingelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18. Juli 2012 und den Bescheid des Beklagten vom 9. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm eine Grundrente nach einem Grad der Schädigung von 80 seit dem 8. Januar 2008 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. S. zu einer ergänzenden Stellungnahme aufgefordert. Dieser hat am 25.01.2013 ausgeführt, die vom Kläger sehr zeitnah nach Erhalt des Gutachtens verfasste Stellungnahme von 12 Seiten, einzeilig beschrieben, bestätige seinen Eindruck, dass eine schwere Depression mit Antriebsstörung und Interessenlosigkeit sowie Störungen der Konzentrationsfähigkeit nicht vorliege. Auch die in der Stellungnahme geschilderten Symptome seien weder depressiv noch posttraumatisch, sondern typisch somatoform. Die dissoziativen Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen sowie die Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren seien schädigungsunabhängig. Es existiere keine anerkannte pathophysiologische oder psychologische Theorie, die das Zustandekommen aufgrund von traumatischen Erlebnissen erkläre. Diese Störungstypen seine häufig, traumatische Erlebnisse im Vorfeld der Störungen fänden sich aber typischerweise nicht. Auch traumatische Erlebnisse seien relativ häufig, die genannten Störungen fänden sich aber typischerweise nicht in deren zeitlichen Gefolge. Sie würden daher nicht zu den Traumafolgestörungen gerechnet. Die Störungen seien hier in geringerer Ausprägung bereits vor der traumatischen Einwirkung beschrieben worden. Die genannten Störungen seien auch nicht Folgestörungen einer PTBS. Die ausführliche Stellungnahme des Klägers zum Gutachten bestätige die im Gutachten nur als Verdachtsdiagnose bezeichnete Diagnose einer Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend narzisstischen Zügen. Der im Gutachten dargelegte GdS von 40 beinhalte ein gewisses Entgegenkommen gegenüber dem Kläger, um diesem in keinem Fall Unrecht zu tun. Die Schätzung liege am oberen Rand des Möglichen, zumal eine Addition mit dem HNO-ärztlichen GdS von 10 angesichts der Überschneidung hinsichtlich der Ohrgeräusche nicht angemessen sei. Der GdB aufgrund der nicht schädigungsabhängigen Gesundheitsstörungen liege sicher deutlich höher. Der Kläger sei mit seiner somatoformen Schmerzstörung und der Persönlichkeitsstörung stark symptomauffällig und sozial desintegriert. Andererseits könne er bei entsprechendem Willen punktuell sehr gute Anpassungsleistungen zeigen.
Der ehemalige Berichterstatter hat am 10.01.2013 einen Erörterungstermin durchgeführt. Auf die Niederschrift wird Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung am 28.10.2014 hat der Kläger vorgetragen, sich zu Beginn des Berufungsverfahrens nach Serbien zur Behandlung begeben zu haben. Die Behandlung der PTBS sei durch Nahrungsumstellung und Bäder erfolgt, er fühle sich seitdem besser. Vor der Tat sei er niemals in psychiatrischer Behandlung und niemals arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Den Psychiater Dr. B. habe er nur aufgesucht, weil es Probleme zwischen seiner Ex-Ehefrau und seiner Mutter gegeben habe. Auf die Niederschrift vom 28.10.2014 wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Senatsakte, die SG-Akte, den Verwaltungsvorgang des Beklagten (2 Bände), der Reha-Akte der Deutschen Rentenversicherung Bund sowie die Akten der Staatsanwaltschaft Ravensburg (3 Bände) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 154 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, soweit der Kläger die Gewährung einer höheren Grundrente wegen eines GdS von mehr als 40 beantragt hat.
Das Begehren des Klägers richtet sich nach § 1 OEG in Verbindung mit den §§ 1, 30, 31 und 60 BVG.
Wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG).
Ausländer aus Staaten, die nicht EU-Mitglied sind, haben nach § 1 Abs. 5 Nr. 1 OEG Anspruch auf Versorgung, wenn sie sich - wie der Kläger als serbischer Staatsangehöriger - seit mindestens drei Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.
Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG). Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BVG).
Der GdS ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG). Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu 5 Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten (§ 30 Abs. 1 Satz 3 BVG).
Der Senat orientiert sich bei der Prüfung, welche gesundheitlichen Schäden Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind, an der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) 2008 getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV).
Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1).
Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3).
Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2).
Der Beklagte hat in dem angegriffenen Bescheid festgestellt, dass der Kläger aufgrund des Überfalls am 08.01.2008 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs i. S. des OEG geworden ist. Mit dem vom Kläger angegriffenen Urteil wurde der Beklagte nur zur Feststellung von posttraumatischen Störungen als weitere Schädigungsfolge verurteilt, denen aber schädigungsbedingt ausreichend mit einem GdS von 40 Rechnung getragen wird; nicht aber einer Depression.
Beim Kläger liegt eine PTBS als Folge des Überfalls vom 08.01.2008 vor. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Beim Kläger bestehen daneben jedoch weitere psychische Gesundheitsstörungen, die aber nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis zurückgeführt werden können. Die Symptome, die den Kläger wesentlich in seiner Alltagsbewältigung beeinträchtigen, sind keine Symptome einer PTBS. Er gibt als im Vordergrund stehend Zustände von Gefühllosigkeit und Kälte der Extremitäten mit starken Kribbelparästhesien, abnorme Kälte- und Wärmegefühle und Schmerzen sowie große Probleme bei Stuhlgang und Wasser lassen ohne körperlich nachweisbare Ursache an. Bereits im März 2008 schilderte der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. B. extreme Kopfschmerzen, Kribbeln am gesamten Körper. Der Kläger habe das Gefühl, die Haare stünden ab. Der Arztbrief der Kriseninterventionsstation des ZfP Weissenau vom Juli 2008 beschrieb beim Kläger wenig Empathie und Neigung zu langen Monologen. Auch wurde wiederholt die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung gestellt (Gutachten Dr. G., Atteste Dr. S. vom Dezember 2009 und März 2010; schließlich stationäre Behandlung in der neurologischen Abteilung des ZfP W. 2009 zwecks Schmerztherapie).
Diese sind als dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen (ICD-10: F 44.6), Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10: F 45.41) und Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend narzisstischen Zügen (ICD-10: F 60.8) zu bezeichnen. Letztere Diagnose wurde von Prof. Dr. S. in seinem Gutachten an das SG zunächst zwar nur als Verdachtsdiagnose gestellt. In seiner ergänzenden Stellungnahme an den Senat hat er dies damit begründet, diese Diagnose "ungern" aufgrund einmaliger Untersuchung zu stellen, sah sich in der Diagnosestellung jedoch durch die unmittelbar nach Gutachtenerstellung umfangreichen eingegangenen Gegenvorstellungen des Klägers bestätigt.
Spezifische Persönlichkeitsstörungen (ICD-10: F 60) sind tief verwurzelte, anhaltende Verhaltensmuster, die sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen zeigen. Sie verkörpern gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung deutliche Abweichungen im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in den Beziehungen zu anderen. Solche Verhaltensmuster sind meistens stabil und beziehen sich auf vielfältige Bereiche des Verhaltens und der psychologischen Funktionen. Häufig gehen sie mit einem unterschiedlichen Ausmaß persönlichen Leidens und gestörter sozialer Funktionsfähigkeit einher. Dem entspricht die Gleichgültigkeit des Klägers auch gegenüber seinen nächsten Angehörigen, der soziale Rückzug, die Verhaltensauffälligkeiten.
Bei der chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10: F 45.41) stehen im Vordergrund des klinischen Bildes seit mindestens sechs Monaten bestehende Schmerzen in einer oder mehreren anatomischen Regionen, die ihren Ausgangspunkt in einem physiologischen Prozess oder einer körperlichen Störung haben. Psychischen Faktoren wird eine wichtige Rolle für Schweregrad, Exazerbation oder Aufrechterhaltung der Schmerzen beigemessen, jedoch nicht die ursächliche Rolle für deren Beginn. Der Schmerz verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden und Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Hierzu zählen alle vom Kläger geklagten somatischen Beschwerden mit Ausnahme der Hörstörung und des Tinnitus.
Beim Kläger liegt keine Depression vor. Bei depressiven Episoden (ICD-10: F.32) leidet der Betroffene unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Sogar bei der leichten Form kommen Schuldgefühle und Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von sogenannten "somatischen" Symptomen begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit, Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust. Dies hat der Sachverständige Prof. Dr. S. für den Senat überzeugend dargelegt. Der Senat hat keine Bedenken, das vom SG nach § 106 SGG eingeholte Gutachten von ihm zu verwerten. Zwar hat dieser den Kläger bei seinem stationären Aufenthalt in der Kriseninterventionsstation der ZfP W. mitbehandelt. Der Kläger ist hierauf vom SG hingewiesen und gefragt worden, ob Bedenken gegen die Beauftragung des Sachverständigen bestünden. Da er sein ausdrückliches Einverständnis geäußert hat und der Senat Anhaltspunkte für mangelnde Validität des Gutachtens aufgrund einer vorangegangenen Therapiebeziehung nicht sieht, kann es der Entscheidungsfindung uneingeschränkt zugrunde gelegt werden.
Prof. Dr. S. hat in seinem Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme überzeugend dargelegt, dass er nicht nur keine Symptome einer Depression vorgefunden hat, vielmehr vieles beim Kläger im Verhalten und klinischen Bild schlechterdings unvereinbar mit der Annahme einer Depression ist. Insbesondere ist er nicht rasch erschöpft, sondern war in der Untersuchung über vier Stunden lang hoch belastbar. Ebenso ist er konzentrationsfähig und keinesfalls antriebsgemindert, konnte er doch binnen weniger Tage nach Erhalt des Gutachtens eine seitenlange, engzeilig beschriebene Stellungnahme abgeben. Darüber hinaus ist dieses hohe Konzentrationsfähigkeit nicht mit den geklagten schweren Schlafstörungen zu vereinbaren, ebenso wenig wie der vom Sachverständigen beschriebene athletische Körperbau bei guter Bemuskelung mit dem geschilderten Tagesablauf, demzufolge der Kläger das Bett fast nur für die - allerdings häufigen - Toilettengänge verlassen will sowie der von ihm seit Jahren durchgehend angegebene völlige Appetitverlust zu der Gewichtszunahme von 30 kg. Dr. H. hat in seinem Gutachten die schwere depressive Episode als Komorbidität genannt. Die PTBS geht typischerweise mit einem gewissen Grad von depressiven Symptomen und Ängsten einher, ohne dass diese eigenständig vorliegen (Stellungnahme Prof. Dr. S. Bl 34 Senatsakte).
Diese weiteren psychischen Gesundheitsstörungen sind nicht Folge des Überfalls, sondern bestanden bereits vor der Tat, was der Senat den medizinischen Unterlagen wie den Ausführungen von Prof. Dr. S. entnimmt. Das ergibt sich zunächst aus den Berichten der Angehörigen (ZfP W.), dem Urteil des Landgerichts Ravensburg, der Bescheinigung Dr. B. über Behandlungen in den Jahren 2000 und 2005 sowie der Kartei über die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers. Persönlichkeitsstörungen sind früh angelegte besonders starke Ausprägungen von normabweichendem Erleben und Verhalten, die nicht im Zusammenhang mit einzelnen traumatischen Erfahrungen im Erwachsenenalter stehen (Stellungnahme Prof. Dr. S., Bl 34 Senatsakte). Hinsichtlich der dissoziativen Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen sowie der Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren existiert keine anerkannte pathophysiologische oder psychologische Theorie, die das Zustandekommen derartiger Störungen aufgrund von traumatischen Ereignissen erklären würde. Weder finden sich typischerweise im Vorfeld des Auftretens dieser Störungen traumatische Erlebnisse noch finden sich diese Störungen typischerweise im zeitlichen Gefolge traumatischer Einwirkungen. Daher werden die genannten Störungen nicht den Traumafolgestörungen zugerechnet (Stellungnahme Prof. Dr. S., Bl. 33 Senatsakte). Bereits daraus folgt, dass die Störungen als schädigungsunabhängig anzusehen sind. Hinsichtlich der Persönlichkeitsstörung findet sich bereits im Arztbrief des ZfP W. über den ersten stationären Aufenthalt der Hinweis, dass fremdanamnestisch das Bestehen dieser Persönlichkeitsmerkmale bereits vor dem Trauma und körperliche Misshandlungen der Ehefrau in der Vergangenheit berichtet wurden. In psychiatrischer Behandlung beim Facharzt Dr. B. war der Kläger bereits 2000 und 2005. Neurologe und Psychiater Dr. H. hatte bereits seit 2005 kribbelnde Missempfindungen auf der Vorderaußenseite des linken Oberschenkels, passend zu einer Meralgia paraesthetika diagnostiziert. Auch war der Kläger im Sommer 2007 mehr als fünf Wochen wegen Unwohlsein und Ermüdung arbeitsunfähig, Ende September 2007 noch einmal für zwei Tage sowie 1989, 1990 und 1991 wegen Rückenbeschwerden.
Unter Berücksichtigung dieser Schädigungsfolgen hat der Kläger auch zur Überzeugung des Senats keinen Anspruch auf höhere Grundrente wegen eines GdS von mehr als 40.
Nach Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 der VersMedV vom 10. Dezember 2008 beträgt bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen bei leichteren psychovegetativen Störungen der GdS 0-20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (beispielsweise ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) beträgt der GdS 30-40, bei schweren Störungen (beispielsweise schweren Zwangskrankheiten) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 50-70, mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 80-100. Der Senat nimmt in Übereinstimmung mit Prof. Dr. S. einen GdS für die PTBS von 40 im Sinne einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit an. Zwar sind die beim Kläger insgesamt bestehenden psychischen Erkrankungen geeignet, einen höheren GdB zu begründen, da in der Summe mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten bestehen. Diese beruhen jedoch nur zum Teil auf der schädigungsbedingten PTBS und ansonsten auf der nicht schädigungsbedingten Persönlichkeitsstörung und der ebenfalls nicht schädigungsbedingten somatoformen Störung. Der Senat hat dabei berücksichtigt, worauf bereits zutreffend Dr. G. in mehreren versorgungsärztlichen Stellungnahmen hingewiesen hat, dass die Situation des Kläger - anders als in Dr. H. Bewertung einer Störung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdS von 80 angenommen - sich nicht infolge des Angriffs grundlegend verändert, er nicht "durch den Überfall völlig aus seiner erfolgreichen beruflichen Karriere herausgerissen" wurde und einen schwerwiegenden "Bruch in der Lebenslinie" erlitten hat, sondern die Stelle bereits zuvor gekündigt war, die Ehe angesichts der Gewalttätigkeiten des Klägers und der außerehelichen Beziehung der Ehefrau zum Täter nicht als stabil bezeichnet werden konnte und auch die in vielen Arztberichten beschriebene desolate Wohnsituation mit sieben Personen und drei Generationen in einer Dreizimmerwohnung bereits vor der Tat bestand, sich mittlerweile durch Scheidung und Auszug von Ehefrau und Kindern eher verbessert haben dürfte. Der Einschätzung von Dr. H. ist der Senat nicht gefolgt, weil der Sachverständige seiner Bewertung erkennbar allein die Angaben des Klägers zugrunde gelegt hat, ohne diese anhand des Akteninhalts, insbesondere auch der Vorbefunde, kritisch zu würdigen. Dabei wurde auch berücksichtigt, dass der Kläger nach Einschätzung von Prof. Dr. S. durchaus mehr in der Lage wäre, wieder am Leben teilzunehmen, wenn er dies wollte. Der GdS von 40 für die seelische Störung besteht bereits seit 08.01.2008. Damals bestand das Vollbild der PTBS. Ein höherer GdS ergab sich daraus nicht, denn neben der PTBS bestanden bereits die weiteren, schädigungsunabhängigen Störungen.
Der Senat sieht diese Einschätzung durch den persönlichen Eindruck, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, bestätigt. Eine Depression liegt danach, wie Prof. Dr. S. in seinem Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme dargelegt hat, nicht vor. Kognitive Einschränkungen waren nicht zu erkennen. Der Kläger war vollständig orientiert und in der Lage, Fragen adäquat zu beantworten. Eine schwere Antriebsminderung war gleichfalls nicht auszumachen, denn der Kläger war ersichtlich in der Lage, den Termin zur mündlichen Verhandlung am Vormittag pünktlich wahrzunehmen und hierzu von Friedrichshafen nach Stuttgart anzureisen. Inhaltlich konnte seinem Vorbringen jedoch nicht gefolgt werden, weil seine Einlassung, vor der Tat nicht in psychiatrischer Behandlung und arbeitsunfähig nur aufgrund einer Lungenentzündung gewesen zu sein, durch die Befunde in den Akten widerlegt ist.
Der GdS von 10 auf HNO-ärztlichen Gebiet ergibt sich nach dem überzeugenden Gutachten des Dr. M. aus einer Lärmschwerhörigkeit mit Tinnitus infolge des erlittenen Knalltraumas. Dieser führt aber wegen der Überschneidung zwischen dem Tinnitus und der psychischen Störung nicht zur Erhöhung des Einzel-GdS von 40 bei Bildung des Gesamt-GdS.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved