L 13 AS 4635/14 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AS 3534/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 4635/14 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 27. Oktober 2014 abgeändert und der Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellern ab dem 14. Oktober 2014 bis zur Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 9. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2014, längstens jedoch bis zum 31. März 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch unter Berücksichtigung eigener Einkünfte der Antragsteller zu 2 bis 4 (Kindergeld und ggf. Unterhalt bzw. ggf. Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz) für Kosten der Unterkunft und Heizung in gesetzlicher Höhe sowie 80 vom Hundert des Regelbedarfes zu zahlen.
Im Übrigen wird der Antrag der Antragsteller abgelehnt und die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Rechtszüge zu erstatten.

Gründe:

Zunächst war das Rubrum dahingehend zu berichtigen, dass die mit der Antragstellerin zu 1 in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder aufzunehmen waren, nachdem die Antragstellerin zu 1 auch für die Antragsteller zu 2 bis 4 Leistungen begehrt.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist im Übrigen zulässig, aber nur zum Teil begründet. Die Antragsteller haben Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, aber nicht im beantragten Umfang.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Ist ein Erfolg in der Hauptsache nur möglich, ist im Wege einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Antragsteller zu entscheiden, wenn schwere, über einen wesentlichen Nachteil hinausgehende Beeinträchtigungen drohen (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 3. Auflage, Rdnr. 359 ff. m.w.N auf die Rechtsprechung des BVerfG.). Dies gilt auch im Falle einer komplexen Rechtslage (BVerfG, z.B. Beschlüsse vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05 und 22. November 2002, 1 BvR 1586/02, veröffentlicht in Juris). Um eine vollständige Vorwegnahme der Hauptsache zu vermeiden, ist es dann aber möglich und hier geboten, die Leistung mit einem Abschlag zuzusprechen (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, a.a.O.; Lüdtke, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, § 86b SGG Rdnr. 46; Breitkreuz/Fichte, Kommentar zum SGG, 2. Auflage, § 86b SGG Rdnr. 71; wohl auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, § 86b Rdnr. 35d).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind den Antragstellern im Wege der Folgenabwägung vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zur Gewährleistung des Existenzminimums dem Grunde nach mit einem Abschlag zuzusprechen.

Die Antragstellerin zu 1 erfüllt die grundsätzlichen materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen für die begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II; sie erfüllt die Altersvorgaben, ist nach derzeitiger Lage der Akten erwerbsfähig und hilfebedürftig und hat seit 5 Juni 2014 (Anmeldebestätigung) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Die anderen Antragsteller leben mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II).

Der Anspruch ist nach der Gesetzeslage allerdings nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen, wonach vom grundsätzlich anspruchsberechtigten Personenkreis diejenigen Ausländer (und deren Familienangehörige) ausgeschlossen sind, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.

Allerdings ist die Rechtslage komplex (s. auch den angefochtenen Beschluss) und es besteht im Hinblick auf die Vorlageentscheidung des BSG (Beschluss vom 12. Dezember 2013, B 4 AS 9/13 R) die Möglichkeit, dass der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelte Ausschluss von Unionsbürgern von Leistungen nicht europarechtskonform ist (vgl. auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 21. Juni 2013, L 12 AS 1432/13 ER-B und 5. März 2014, L 2 AS 486/14 ER-B; so auch Beschlüsse des erkennenden Senats vom 13. März 2014, L 13 AS 1121/14 ER-B; 21. März 2014, L 13 AS 994/14 ER-B und 5. Mai 2014, L 13 AS 1746/14 ER-B Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 20. Dezember 2013, L 12 AS 2265/13 B ER und L 12 AS 2266/13 B, sowie 10. Oktober 2013, L 19 AS 129/13; a. A. u. a. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30. Januar 2014, L 13 AS 266/13 B ER). Etwas anderes ergibt sich auch (noch) nicht aus dem Schlussantrag des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Mai 2014 oder dem Beschluss des Europäischen Gerichtshofes vom 11. November 2014. Der Sachverhalt, der dem genannten Beschluss zu Grunde lag, war dem vorliegenden Verfahren nicht vergleichbar, denn die dortige Klägerin hatte eine Erwerbstätigkeit nicht angestrebt und hielt sich nur zum Zwecke des Bezugs von Sozialleistungen in Deutschland auf, wohingegen die Antragstellerin zu 1 - wie auch vom Beklagten im inzwischen erlassenen Widerspruchsbescheid ausgeführt - sich auch zum Zwecke der Arbeitssuche und auch der Wiederaufnahme einer Arbeit in Deutschland aufhält. Insoweit hat der Europäische Gerichtshof über den o.g. Vorlagebeschluss des BSG vom 12. Dezember 2013 gerade noch nicht entschieden.

Die Antragsteller verfügen nicht über verwertbares Vermögen und haben - abgesehen vom Kindergeld und Unterhaltsansprüchen bzw. einem Anspruch nach dem Unterhaltsvorschussgesetz kein Einkommen, um ihren Bedarf vollständig zu decken. Angesichts dessen, dass ohne Hilfeleistungen die Existenz der Antragsteller bedroht ist, gelangt der Senat - ebenso wie das Sozialgericht - im Wege der Folgenabwägung zu dem Ergebnis, dass den Antragstellern vorläufig Leistungen zu zahlen sind. Da der Erfolg aber nur möglich erscheint, hält es der Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens für sachgerecht, den Regelbedarf mit einem Abschlag zuzusprechen, um eine vollständige Vorwegnahme zu vermeiden. Dem Senat erscheint es gerechtfertigt, einen Abschlag von 20 vom Hundert vorzunehmen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass bei einer Absenkung von sogar 30 vom Hundert (so die Rechtsfolge einer Pflichtverletzung gem. § 31a SGB II) eine Existenzgefährdung ausgeschlossen ist (s. auch § 31a Abs. 3 SGB II). Für die Vornahme eines Abschlags spricht u.a. der Gesichtspunkt, dass in den Grundsicherungsleistungen u. a. Ansparbeträge (s. hierzu Zeitschrift für das Fürsorgewesen, 2014, S. 1 ff) enthalten sind, die nicht zur unmittelbaren Existenzsicherung erforderlich sind (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, a.a.O.). Damit wird den Antragstellern jedenfalls das zum Lebensunterhalt Unerlässliche zur Verfügung gestellt.

Ferner hat der Senat entsprechend der Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes von der Möglichkeit, die Leistungen zeitlich zu begrenzen, Gebrauch gemacht, damit eine vollständige Vorwegnahme verhindert und möglichen Änderungen Rechnung getragen werden kann. Der Antrag war daher auch deswegen teilweise zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG. Der Senat hat im Rahmen seines ihm zustehenden Ermessens für maßgeblich erachtet, dass die Antragsteller zeitlich und in der Höhe des Regelbedarfes nur teilweise Erfolg hatten.

Im Hinblick auf die Ausführungen des Antragsgegners im Widerspruchsbescheid a. E. ("Wichtige Hinweise") sieht der Senat Anlass, darauf hinzuweisen, dass sich der Beklagte an die gesetzlichen Bestimmungen zu halten hat und der vorliegende Beschluss auszuführen ist.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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