L 8 SB 542/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 SB 5221/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 542/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Januar 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs (Merkzeichen) "Bl" (Blindheit) streitig.

Die am 27.10.1968 geborene Klägerin erlitt einen frühkindlichen Hirnschaden. Bei ihr ist wegen einer hochgradigen Sehbehinderung (Teil-GdB 100), einer Lernbehinderung (Teil-GdB 60) sowie eines Anfallsleidens (Teil-GdB 60) der Grad der Behinderung (GdB) mit 100 festgestellt. Außerdem sind der Klägerin die Merkzeichen "G", "B", "H" und "RF" zuerkannt (zuletzt Bescheid des Landratsamts K. - LRA - vom 30.10.2008).

Das vom Versorgungsamt K. mit Bescheid vom 18.03.1999 und bestätigendem Feststellungsbescheid vom 10.08.2001 außerdem zuerkannte Merkzeichen "Bl" wurde der Klägerin vom LRA, nach einer Catarakt-Operation, gestützt auf das Gutachten nach Aktenlage des Professor Dr. R. vom 23.09.2008/25.09.2008, mit Bescheid vom 30.10.2008 entzogen. Ein von der Klägerin hiergegen eingelegter Widerspruch blieb durch Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums S. - Landesversorgungsamt - vom 12.02.2009 erfolglos. Eine hiergegen beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage (S 1 SB 1165/09) wurde nach Einholung der schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. S. vom 06.07.2009 (Gesichtsfeld größer 10°) mit Gerichtsbescheid vom 13.08.2009 abgewiesen. Die gegen den Gerichtsbescheid eingelegte Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (L 8 SB 3985/09) nahm die Klägerin zurück (Schriftsatz vom 19.11.2009).

Am 17.05.2011 beantragte die Klägerin beim LRA die erneute Feststellung des Merkzeichens "Bl". Das LRA zog die augenfachärztliche Bescheinigung des Professor Dr. L. vom 31.03.2011 bei. Außerdem holte das LRA das augenärztliche Gutachten des Professor Dr. R. vom 11.08.2011 ein. Professor Dr. R. gelangte zu dem Ergebnis, bei der Klägerin bestehe unverändert eine Opticusatrophie. Bei der Klägerin sei an beiden Augen eine Operation des Grauen Stars mit Kunstlinseneinpflanzung erfolgt. Angaben zum Gesichtsfeld seien in der Vergangenheit fraglich gewesen. An beiden Augen sei von einem deutlich bis über 10° hinausreichenden Gesichtsfeld auszugehen, Außengrenzen bei 20° seien eher wahrscheinlich. Der Fern-Visus betrage rechts 0,08 und links 0,1. Insgesamt liege keine Blindheit vor. Eine zukünftige Verschlechterung werde für sehr unwahrscheinlich erachtet.

Nach Einholung der gutachtlichen Stellungnahme des Versorgungsarztes C. vom 15.08.2011, der sich dem Gutachten anschloss, lehnte das LRA mit Bescheid vom 16.08.2011 den Antrag auf Feststellung des Merkzeichens "Bl" ab.

Gegen den Bescheid vom 16.08.2011 legte die Klägerin am 09.09.2011 Widerspruch ein. Sie machte zur Begründung geltend, ihre Situation habe sich seit dem Rechtsstreit vor dem SG S 1 SB 1165/09 erheblich verschlechtert. Ihre Sehkraft habe wieder erheblich abgenommen. Die Klägerin machte starke sehbedingte Beeinträchtigungen im Alltag sowie die Notwendigkeit von Hilfe durch Dritte und Gefahrensituationen geltend, die sie beschrieb. Die von Professor Dr. R. getroffenen Feststellungen seien nicht zutreffend. Es lägen Störungen des Sehvermögens von solchem Schweregrad vor, dass sie einer Beeinträchtigung der Sehschärfe von 1/50 gleich zu erachten seien. Ihr sei das Merkzeichen "Bl" zu Unrecht aberkannt worden.

Entsprechend der weiteren gutachtlichen Stellungnahme des Versorgungsarztes Dr. C. vom 11.10.2011 wies das Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbe-scheid vom 29.11.2011 den Widerspruch zurück. Die Auswertung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass die vorliegende Sehbehinderung weiterhin nicht mit einer Blindheit gleichzuachten sei.

Hiergegen erhob die Klägerin am 21.12.2011 Klage beim SG. Sie wiederholte zur Begründung im Wesentlichen ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren. Ergänzend trug sie vor, entgegen der Feststellungen im Gutachten aus dem Jahr 2011 sei eine permanente Verschlechterung eingetreten.

Das SG hörte unter Übersendung der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. C. vom 15.08.2011 behandelnde Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen an. Dr. N. teilte in seiner Stellungnahme vom 22.02.2012 die Ansicht des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten und sah die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Bl" unter Bezugnahme auf das im August 2011 erstellte Gutachten als offensichtlich nicht erfüllt an. Der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. K. teilte in seiner Stellungnahme vom 08.03.2012 die Ansicht des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten. Die Klägerin sei wohl in der Lage, sich im Raum halbwegs zu orientieren. Das Ausmaß der Sehbeeinträchtigung könne allerdings nur vom Augenarzt adäquat beurteilt werden. Die Augenärztin Dr. W. teilte in ihrer Stellungnahme vom 05.03.2012 mit, die Sehschärfe betrage beidseits 0,1. An beiden Augen sei eine Restgesichtsfeldinsel im Zentrum von ca. 5 bis 10° vorhanden, die zu einer hochgradigen Behinderung führe.

Anschließend holte das SG das augenärztliche Gutachten von Dr. Dr. B. vom 11.09.2012 ein. Dr. Dr. B. stellte bei der Klägerin eine Sehschärfe für die Ferne von jeweils 0,125 fest. Sie beschreibt in ihrem Gutachten - nach einer Untersuchung des Gesichtsfeldes am "Humphrey Field Analyser" - Gesichtsfeldeinschränkungen des rechten Auges (10 bis 20°) und des linken Auges (8 bis 10° mit Gesichtsfeldinsel). Dr. Dr. B. diagnostizierte in ihrem Gutachten eine beidseitige Hyperopie, Astigmatismus und Presbyopie, einen Mikrostrabismus divergens, eine fehlende Binokularfunktion und Stereopsis (räumliche Wahrnehmungsfähigkeit), eine Farbsehstörung, einen Horizontal-Nystagmus, eine beidseitige Pseudophakie, eine beidseits hochgradige Gesichtsfeldeinschränkung sowie eine beidseits congenitale (=angeborene) Opticusatrophie (=Sehnervenschwund). Dr. Dr. B. gelangte zu der Beurteilung, die Funktionsstörung der Augen sei durch die Opticusatrophie beider Augen bedingt, die sowohl Sehschärfe als auch Gesichtsfeld begrenzten. Zweifelsohne handele es sich um eine hochgradige Funktionsstörung beider Augen. Die ermittelte Sehschärfe und die Einschränkung des Gesichtsfeldes erfüllten jedoch nicht die gesetzlichen Vorschriften für das Vorliegen einer praktischen Erblindung. Eine wesentliche Änderung liege nicht vor. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Bl" lägen nicht vor.

Die Klägerin erhob gegen das Gutachten von Dr. Dr. B. Einwendungen (Schriftsatz vom 19.11.2012). Sie rügte, das Gutachten sei unvollständig und nicht zutreffend.

Mit Urteil vom 11.01.2013 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, die Klägerin erfülle weder die Voraussetzungen für Blindheit noch für eine faktische Blindheit im Sinne des Gesetzes. Es liege zwar eine hochgradige Sehbehinderung vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "Bl" seien jedoch weiterhin nicht erfüllt.

Hiergegen richtet sich die von der Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 06.02.2013 eingelegte Berufung. Sie hat zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Ergänzend hat sie vorgetragen, das vom SG eingeholte Gutachten von Dr. Dr. B. spreche eine eindeutige Sprache und unterstütze ihren Vortrag, wonach eine andere Störung des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliege, dass sie einer Beeinträchtigung der Sehschärfe wie bei einer Blindheit gleich zu erachten sei. Die Gutachterin habe insbesondere festgestellt, dass die hochgradige Funktionsstörung der Sehschärfe und der Gesichtsfeldeinschränkungen ihr alltägliches Leben erheblich beschränkten. Auch Dr. S. und Dr. W. hätten als sachverständige Zeugen festgestellt, dass es sich für sie um eine schwere Situation handele und dass eine hochgradige Behinderung gegeben sei. Aufgrund dessen sei nicht ersichtlich logisch, weshalb Dr. Dr. B. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" verneine. Unzutreffend sei die Ansicht der Gutachterin, dass eine Verschlechterung nicht eingetreten sei. Die Sachverständige setze sich in keiner Weise damit auseinander, dass bei ihr andere schwere Störungen des Sehvermögens vorlägen, die die Annahme der Blindheit im Rahmen der Gleichstellung rechtfertige. Das SG hätte ein weiteres Sachverständigengutachten einholen müssen. Sie sei faktisch blind. Ihre Situation habe sich erheblich verschlechtert. Hierzu legte die Klägerin das Attest der augenärztlichen Praxis Dr. W. vom 26.04.2013 vor.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Januar 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 16. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. November 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "Bl" (Blindheit) festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen Erkenntnisse. Nach den Gutachten des Professor Dr. R. sowie von Dr. Dr. B. seien die Voraussetzungen für das Vorliegen einer faktischen Blindheit zur Feststellung des Merkzeichens "Bl" nicht erfüllt.

Der Senat hat Dr. W. schriftlich als sachverständige Zeugin angehört. Dr. W. hat in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 18.06.2013 insbesondere mitgeteilt, sowohl das Gesichtsfeld als auch die Sehschärfe hätten sich im Vergleich zu 1994 nicht wesentlich geändert. Die Beschwerden seien für die Klägerin dennoch als schwer einzustufen.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten von Professor Dr. A., Augenklinik des Klinikums K., vom 22.01.2014 eingeholt. Professor Dr. A. hat bei der Klägerin eine Sehschärfe für die Ferne (bei bester Korrektur) von 0,1 und für die Nähe (ohne Korrektur, da Gläser nicht bessern) ebenfalls von 0,1 jeweils für beide Augen festgestellt. Mit dem Goldmann-Perimeter (Marke III/4) durchgeführte Gesichtsfeldunter-suchungen ergaben nach den Beschreibungen im Gutachten am 18.12.2013 eine Restgesichtsfeldinsel innerhalb der Zentralen 7° und am 08.01.2014 eine Restgesichtsfeldinsel innerhalb der zentralen 3 bis 4° jeweils beidseits. Professor Dr. A. gelangte zusammenfassend zu der Beurteilung, bei der Klägerin bestünden an Veränderungen eine stark herabgesetzte Sehschärfe, eine Weit-, Stab- und Alterssichtigkeit, Augenzittern (Nystagmus), eine intraokular korrigierte Aphakie, Glaskörpertrübungen, eine Opticusatrophie, eine konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung mit kleiner zentraler Restgesichtsfeldinsel, eine Farbsehstörung für Rot/Grün, ein manifestes alternierendes Außenschielen, ein fehlendes Stereosehen, ein herabgesetztes Dämmerungssehen und eine erhöhte Blendempfindlichkeit. Professor Dr. A. gelangte zu dem Ergebnis, die Klägerin sei "blind" im Sinne der gesetzlichen Vorschriften.

Der Beklagte hat sich gegen das Gutachten des Professor Dr. A. gewandt (Schriftsatz vom 05.02.2014).

Der Senat hat daraufhin von Professor Dr. A. die ergänzende Stellungnahme vom 16.02.2014 eingeholt. Professor Dr. A. hat ergänzend ausgeführt, ein Vergleich der aktenkundigen Untersuchungsbefunde mit den Befunden seiner Untersuchung zeige, dass sich die Befunde verschlechtert hätten, so dass die Klägerin zum Zeitpunkt seiner gutachterlichen Untersuchung nunmehr die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Bl" erfülle.

Der Beklagte ist dem Gutachten des Professor Dr. A. unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 07.05.2014 weiter entgegengetreten (Schriftsatz vom 08.05.2014). Eine Blindheit Klägerin sei weiterhin nicht nachgewiesen.

Die Klägerin hat das Gutachten von Professor Dr. A. verteidigt (Schriftsatz vom 12.06.2014).

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Akten des SG S 1 SB 1165/09 und des LSG Baden-Württemberg L 8 SB 3985/09 sowie auf zwei Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat den Berufungsantrag der Klägerin nach ihrem erkennbaren Begehren sachdienlich gefasst.

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf erneute Feststellung des Merkzeichens "Bl". Der streitgegenständliche Bescheid vom 16.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Anspruchsgrundlage für die begehrte - erneute - Feststellung des Merkzeichens "Bl" ist § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Danach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 der Schwerbehindertenausweis-Verordnung ist auf dem Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "Bl" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch blind im Sinne des § 72 Abs. 5 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder entsprechender Vorschriften ist. Nach § 72 Abs. 5 SGB XII stehen Personen blinden Menschen gleich, deren beidäugige Gesamtsehschärfe nicht mehr als 1/50 beträgt oder bei denen dem Schweregrad dieser Sehschärfe gleichzusetzende, nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens vorliegen. § 72 SGB XII enthält jedoch keine Definition des Begriffes "Blindheit", sondern in Abs. 5 eine Gleichstellungsvorschrift.

Nach welchen Maßstäben einzelne Behinderungen zu bewerten sind und welche Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichen "Bl" maßgeblich sind, richtet sich seit 01.01.2009 nach der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV), die die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), zuletzt Ausgabe 2008 (AHP), ersetzen. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht. So ermächtigt § 30 Abs. 16 BVG das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln. In § 35 Abs. 1 BVG sind die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit benannt. § 35 Absatz 1 Satz 6 BVG enthält als Kriterium für die Stufen der Pflegezulage auch den Begriff der Blindheit, weshalb der Senat hierin eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage zur Regelung der Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "Bl" durch den Verordnungsgeber sieht. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 m.w.N.). Die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., RdNr 30).

Hinsichtlich der Feststellung von "Blindheit" enthält Teil A Nr. 6 der VG folgende Be-stimmungen: a) Blind ist ein behinderter Mensch, dem das Augenlicht vollständig fehlt. Als blind ist auch ein behinderter Mensch anzusehen, dessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch nicht beidäugig mehr als 0,02 (1/50) beträgt oder wenn andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, dass sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzustellen sind. b) Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 (1/50) oder weniger gleichzusetzende Sehbehinderung liegt nach den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen vor, aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 30° vom bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben, cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 7,5° vom dd) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben, ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist, ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt, gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht, c) Blind ist auch ein behinderter Mensch mit einem nachgewiesenen vollständigen Ausfall der Sehrinde (Rindenblindheit), nicht aber mit einer visuellen Agnosie oder anderen gnostischen Störungen.

Hiervon ausgehend ist für den Senat nicht erwiesen, dass bei der Klägerin wegen der durch die congenitale Opticusatrophie ausgelöste Funktionsstörung der Augen Blindheit vorliegt.

Die Klägerin verfügt über ein Restsehvermögen, dessen Sehschärfe auf beiden Augen mehr als 0,02 (1/50) beträgt. Dies wird von der Klägerin auch nicht in Abrede gestellt. Sie ist damit weder blind noch als blind anzusehen.

Bei der Klägerin sind - entgegen ihrer Ansicht - auch keine anderen Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad erwiesen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe auf keinem Auge und auch nicht beidäugig mehr als 0,02 (1/50) gleichzustellen sind (faktische Blindheit).

Gesichtsfeldausfälle, die nach den VG Teil A Nr. 6 b) cc) eine Gleichstellung rechtfertigten, sind bei der Klägerin zur Überzeugung des Senates nicht erwiesen.

Nach dem Gutachten von Professor Dr. R. vom 11.08.2011 war das Gesichtsfeld des rechten Auges eingeengt rechts auf 15°, oben auf 10°, links auf 8° und unten auf 12° und des linken Auges eingeengt rechts auf 12°, oben auf 10°, links auf 10° und unten auf 5°. Auch Dr. Dr. B. hat in ihrem Gutachten vom 11.09.2012 vergleichbare Gesichtsfeldeinengungen festgestellt (rechtes Auge temporal oberer Quadrant 20°, nasale oberer Quadrant 15° und unterer Quadrant 10°, temporal unterer Quadrant Gesichtsfeldinsel von 10°; linkes Auge oberer Quadrant 10°, untere Hälfte keine Angaben, nasal oberer Quadrant 8° und nasal 10° mit Gesichtsfeldinsel bis etwa 20° nach oben und 15° nach nasal), wie sie in ihrem Gutachten beschrieben hat. Diese Befunde hat Dr. Dr. B. mit einem dem Goldmann-Perimeter (Marke III/4) gleichstehenden Untersuchungsgerät festgestellt, wie sie in ihrem Gutachten mitgeteilt hat. Eine Gleichstellung der Klägerin (faktische Blindheit) ist nach diesen Befunden nicht gerechtfertigt. Dies bestätigen auch Professor Dr. Augustin in seinem Gutachten vom 22.01.2014, Dr. Dr. B. in ihrem Gutachten vom 11.09.2012 sowie die schriftlich als sachverständige Zeugen gehörten Ärzte Dr. N. (Stellungnahme vom 22.02.2012 und Dr. W. (Stellungnahme vom 05.03.2012).

Dem Gutachten von Professor Dr. A. vom 22.01.2014 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 16.02.2014, dass sich bei der Klägerin die Befunde verschlechtert hätten, weshalb zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung nunmehr die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Bl" erfüllt seien, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Professor Dr. A. leitet seine Bewertung daraus ab, dass eine am 18.12.2013 durchgeführte Gesichtsfelduntersuchung eine Restgesichtsfeldinsel innerhalb der Zentralen 7° und eine Untersuchung am 08.01.2014 innerhalb der Zentralen 3 bis 4° ergeben hätten.

Dass eine relevante Verschlimmerung der Sehstörung der Klägerin tatsächlich eingetreten ist, ist jedoch wenig wahrscheinlich. Zwar geht Dr. W. in der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 18.06.2013 von einer möglichen Verschlechterung des bei der Klägerin vorhandenen Gesichtsfeldes aus. Bei der Klägerin besteht sich jedoch seit vielen Jahren ein im Wesentlichen stabiles / unverändertes Krankheitsbild. Die oben dargestellten Gesichtsfeld-befunde entsprechend im Wesentlichen den bereits im Rechtsstreit beim SG S 1 SB 1165/09 beschriebenen Gesichtsfeldbefunden. Dr. S. beschreibt in der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 06.07.2009 ein Gesichtsfeld für beide Augen nach oben, temporal, unten und nasal um 10° bis 15° vom Zentrum entfernt (Befund vom 15.05.2009). Auch Dr. W. hat in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an den Senat vom 18.06.2013 eine wesentliche Änderung des Gesichtsfeldes - und der Sehschärfe - seit 1994 verneint. Weiter hat Dr. S. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG im Klageverfahren S 1 SB 1165/09 einen im Wesentlichen stabilen Zustand der Klägerin seit März 1999 bestätigt. Das über viele Jahre stabile Krankheitsbild spricht für die Bewertung von Professor Dr. R. in seinem Gutachten vom 11.08.2011, dass eine zukünftige Verschlechterung sehr unwahrscheinlich sei.

Dass bei der Klägerin eine von Professor Dr. A. in seinem Gutachten beschrieben deutliche Verschlechterung des vorhandenen Gesichtsfeldes der Klägerin tatsächlich eingetreten ist, erscheint danach zweifelhaft. Eine Verschlechterung des vorhandenen Gesichtsfeldes findet auch nach dem von Professor Dr. A. in seinem Gutachten dargestellten Organbefunden keine plausible Erklärung. Die ursprüngliche Grunderkrankung, die Atrophie des Sehnervs, ist unverändert, auch die sonstigen Organbefunde an Netzhaut und Augenlinse weisen keine Abweichungen zu Vorbefunden auf. Nach dem von Dr. Dr. B. im Gutachten vom 11.09.2012 beschriebenen Organbefunden ist insbesondere hinsichtlich des Augenhintergrunds beidseits die Papille, die Sehnervenscheibe scharf begrenzt, von blasser Farbe, excaviert. Die Stelle des schärfsten Sehens (Macula) ist frei von krankhaften Veränderungen. Die Gefäße sind normal und altersentsprechend. Die Netzhautperipherie ist unauffällig. Die Netzhaut liegt überall an. Der Augeninnendruck mit 13mmHg rechts und 15mmHg links ist im Normbereich. Dem entsprechen die von Professor Dr. A. im Gutachten beschriebenen Organbefunde. Auch sonst beschreibt Professor Dr. A. - im Vergleich zum Gutachten von Dr. Dr. B. - keine organische Veränderung der Augen der Klägerin, die eine deutliche Verschlechterung des vorhandenen Gesichtsfeldes der Klägerin plausibel macht. Weiter ist nicht plausibel, dass sich innerhalb von ca. drei Wochen das Restgesichtsfeld von 7° auf 3 bis 4° weiter reduziert, wie Professor Dr. A. in seinem Gutachten beschrieben hat. Auch diese unterschiedlichen Befunde zeigen, dass ein eindeutiger Befund durch Professor Dr. A. nicht zu erheben war. Auch in der ergänzenden Stellungnahme vom 16.02.2014 zum Einwand des Beklagten, die aktuellen Befunde widersprächen den - vom Sachverständigen auch bestätigten - Vorbefunden, hat Professor Dr. A. die von ihm angenommene deutliche Verschlechterung nicht erläutert. Dr. W. weist in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.05.2014, die der Senat als sachverständiges Parteivorbringen verwertet, vielmehr überzeugend darauf hin, dass der von Professor Dr. A. in seinem Gutachten beschriebene Gesichtsfeldbefund kooparationsbedingt verfälscht sein kann. Für ein kooperationsbedingt verfälschtes Ergebnis der Gesichtsfelduntersuchung finden sich auch in früheren, zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen Hinweise. Im Bericht der Augenklinik der Universitätsklinik H., Professor Dr. B., vom 28.10.1998 wird mitgeteilt, dass bei der Goldmann-Perimetrie Angaben der Klägerin nur im zentralen 5°-Bereich bestehen, wozu eine gute Orientierung der Klägerin im Raum nicht passt. Ein eingeschränktes Gesichtsfeld auf 5° wurde für nicht sicher verwertbar angesehen. Weiter erschienen nach dem Bericht von Professor Dr. R. vom 28.06.2001 subjektive Gesichtsfeldangaben der Klägerin bei einer Untersuchung am 15.06.2001 nicht ganz glaubhaft, wie Professor Dr. R. im Bericht nachvollziehbar ausgeführt hat. In dem Gutachten vom 11.08.2011 teilt Professor Dr. R. mit, dass bei der Gesichtsfelduntersuchung trotz mehrfacher Aufforderung die subjektive Wahrnehmung erst deutlich später angegeben wurde. Damit bestehen durchgreifende Zweifel an der Verwertbarkeit der Ergebnisse der von Professor Dr. A. am 18.12.2013 und 08.01.2014 durchgeführten Gesichtsfelduntersuchungen, die eine Befund ergaben, der dem bereits 1998 von Professor Dr. B. erhobenen und später medizinisch widerlegten Befund entspricht. Dass bei der Klägerin dauerhaft eine relevante Verschlechterung eingetreten ist, ist für den Senat damit nicht erwiesen.

Auch sonst liegen bei der Klägerin keine Störungen des Sehvermögens vor, die die Annahme einer faktischen Blindheit begründen. Ein sonstiger Gleichstellungstatbestand der VG Teil A Nr. 6 b) kommt nicht in Betracht. Die von der Klägerin beschriebenen sehbedingten Behinderungen bei alltäglichen Dingen rechtfertigen entgegen der Ansicht der Klägerin die Annahme einer faktischen Blindheit nicht. Diesen Behinderungen ist vielmehr durch die Feststellung des GdB mit 100 sowie durch die zuerkannten Merkzeichen "G", "B", "H" und "RF" Rechnung getragen. Entsprechendes gilt für die sonst bei der Klägerin festgestellten Beeinträchtigungen des Sehvermögens, wie das SG im angefochtenen Urteil (Seite 6f) zutreffend begründet hat, worauf der Senat nach eigener Überprüfung zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der für die Entscheidung relevante Sachverhalt ist geklärt. Das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten von Professor Dr. A. hat den Senat aus den dargelegten Gründen nicht überzeugt, weshalb er sich nicht gedrängt gesehen hat, zu den nachvollziehbaren Gutachten von Professor Dr. R. und Dr. Dr. B. noch ein weiteres Gutachten einzuholen; zumal eine ausreichende Mitarbeit der Klägerin angesichts mehrerer Gutachten mit nur eingeschränkt verwertbaren Ergebnissen in der Vorgeschichte auch bei einer erneuten Begutachtung nicht gesichert erscheint. Sonstige Gesichtspunkte, die Anlass zu weiteren Ermittlungen geben, sind nicht ersichtlich und werden auch von der Klägerin nicht dargetan.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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