L 9 R 2812/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 25 R 6609/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2812/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1963 in Bosnien geborene, zuletzt bis Dezember 2011 als Reinigungskraft beschäftigte Klägerin beantragte erstmals im Oktober 2010 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.03.2011 und Widerspruchsbescheid vom 27.07.2011 unter Berücksichtigung eines psychiatrischen Gutachtens von Dr. B. sowie eines chirurgisch-orthopädischen Gutachtens von Dr. G. ab. Die anschließende Klage nahm die Klägerin zurück, nachdem das Sozialgericht Stuttgart ((SG), S 12 R 4645/11) das vom Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. erstellte Gutachten erhoben hatte. Dr. H. führte in seinem Gutachten vom 09.03.2012 aus, die körperlich-neurologische Untersuchung habe keine relevanten Auffälligkeiten ergeben. Die Kriterien für das Vorliegen einer rezidivierenden depressiven Störung seien erfüllt, wobei derzeit eine leichte depressive Episode im Grenzbereich zu einer mittelgradigen depressiven Episode vorgelegen habe. Die Kriterien für das Vorliegen einer eigenständigen Angsterkrankung seien nicht erfüllt gewesen. Auch eine somatoforme Störung habe sich nicht eindeutig nachweisen lassen. Gleiches gelte für eine posttraumatische Belastungsstörung. Auffassung, Konzentration, Durchhaltevermögen und Gedächtnis hätten keine Einschränkungen gezeigt. Der Klägerin seien leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit sechs Stunden und mehr zumutbar, wobei eine Überforderung durch Akkordarbeit, Nachtarbeit und durch Arbeiten unter besonderem Zeitdruck vermieden werden sollte. Dies gelte auch für Tätigkeiten mit besonders hohen Ansprüchen an Auffassung und Konzentration sowie für eine besonders hohe Verantwortung und eine besonders hohe geistige Beanspruchung.

Am 30.04.2012 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung machte sie eine Verschlimmerung seit der letzten Rentenantragstellung geltend. Sie verwies auf die Depression, Rücken-, Schilddrüsen- und Gelenkbeschwerden, Rheuma, Kopfschmerzen und Schwindelgefühle. Sie verliere neuerdings die Orientierung und vergesse alles. Sie legte ärztliche Atteste ihres Hausarztes M. und ihres Neurologen und Psychiaters Dr. P. vor. Die Beklagte zog beim Hausarzt einen Befundbericht bei. Unter Vorlage weiterer fachärztlicher Berichte beschrieb der Facharzt für Allgemeinmedizin M. eine Angst und depressives Syndrom, eine chronisch rezidivierende Lumboischialgie, chronisch rezidivierende Zervikalbrachialgien, ein Fibromyalgiesyndrom, eine Hypertonie, Schwindel, Nackenschmerzen, Kreuzschmerzen, Beinschmerzen, eine Intercostalneuralgie, Arthralgien, eine depressive Verstimmung, Schlafstörungen, Erschöpfung und eine Einschränkung der Funktion der HWS und LWS. Er ging von einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit aus.

Mit Bescheid vom 30.07.2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab, weil die Klägerin die medizinischen Voraussetzungen hierfür nicht erfülle. Auf den hiergegen durch die vormaligen Bevollmächtigten der Klägerin eingelegten Widerspruch gab die Beklagte ein Gutachten bei der Ärztin für Psychiatrie Dr. L. in Auftrag. Diese stellte in dem Gutachten vom 30.10.2012 eine Anpassungsstörung mit ängstlichen und depressiven Anteilen, nicht vom Ausmaß einer depressiven Störung, sowie degenerative Wirbelsäulenveränderungen ohne neurologische Reiz- und Ausfallsymptomatik fest. Die Klägerin sei auch weiterhin in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Die Tätigkeit als Reinigungskraft sei nicht mehr leidensgerecht, auch entsprechende Tätigkeiten mit übermäßigem Heben und Tragen sowie Wirbelsäulenzwangshaltungen seien zu vermindern. Relevante, auch orthopädische Veränderungen seien außerhalb der formalen Untersuchungssituation nicht zu erkennen. Ihr zumutbare Tätigkeiten könne die Klägerin auch weiterhin sechs Stunden und mehr ausüben. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen haben die Bevollmächtigten der Klägerin am 05.12.2012 erneut Klage zum SG erhoben. Zur Begründung haben sie u.a. einen fachärztlichen Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. P. vom 11.10.2012 (Diagnosen: Angst und depressive Störung gemischt, zervikozephales Syndrom, schwere depressive Episode, aktuell ohne Psychose, Lumboischialgie chronisch links bei BS-Schäden, Anpassungsstörung diverser Ätiologie) und ein Attest des behandelnden Hausarztes M. vom 06.07.2011 (Diagnosen zusätzlich: chronisch rezidivierende Kopfschmerzen, rezidivierende Oberbauchbeschwerden, Fibromyalgiesyndrom mit chronischer Polyarthralgie und Tendomyopathie und der Leistungseinschätzung, dass die Klägerin nicht regelmäßig täglich sechs Stunden arbeiten könne) vorgelegt. Das SG hat den Orthopäden M. und den Neurologen und Psychiater Dr. P. als sachverständige Zeugen gehört. Wegen der gemachten Angaben wird auf Bl. 17, 51f. bzw. 37f. der Gerichtsakte verwiesen. Ferner hat das SG die Unterlagen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg beigezogen. OMR G. vertrat in für die AOK erstellten sozialmedizinischen Fallberatungen vom 19.02.2013 und 27.03.2013 die Auffassung, dass weiterhin Arbeitsunfähigkeit bestehe, deren Ende nicht hinreichend absehbar sei. Es sei von einer mehrwöchigen Arbeitsunfähigkeit auszugehen, ein positives Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten liege aktuell nicht vor.

Hierzu hat die Beklagte (unter Vorlage des Bescheides vom 04.06.2013, mit dem Leistungen zur medizinischen Rehabilitation abgelehnt worden waren) die Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes (Prüfärztin E.) vom 27.05.2013 vorgelegt, die ausgeführt hat, dass die MDK-Fallberatungen auf dem bereits bekannten nervenärztlichen Befund von Dr. P. beruhten und nicht überzeugend seien, weil eine eigene Begutachtung durch den MDK nicht durchgeführt worden sei.

Das SG hat daraufhin Dr. V., S., mit der Erstellung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens beauftragt. In dem Gutachten vom 30.10.2013 hat Dr. V. eine Angst und depressive Störung gemischt und eine somatoforme Schmerzstörung festgestellt. Die Klägerin könne deshalb nur noch leichte körperliche Tätigkeiten leisten. Tätigkeiten mit Heben von Lasten über 10 kg, Arbeiten in Zwangshaltungen, Arbeiten im ständigen Stehen, Gehen oder Sitzen, Arbeiten mit Exposition gegenüber Nässe, Kälte oder Zugluft könnten nicht mehr geleistet werden. Die depressive Verstimmung schließe Nachtschichten, Tätigkeiten mit besonderer Anforderung an Konzentration und Gedächtnis, Tätigkeiten mit ständigem Kundenkontakt, beispielsweise an einer Kasse oder in einem Callcenter, Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung für andere Personen oder Maschinen, beispielsweise bei der Überwachung von Maschinen oder bei der Pflege von Patienten, aus. Die Klägerin sei jedoch noch in der Lage, mindestens sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Ferner hat er darauf hingewiesen, dass in dem Gesundheitszustand der Klägerin innerhalb von drei Jahren durchaus eine Besserung zu erwarten sei, wenn zum einen eine suffiziente antidepressive Therapie in einer höheren Dosis und zum anderen eine ambulante Psychotherapie durchgeführt werde.

Mit Urteil vom 26.05.2014 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass eine relevante zeitliche Leistungseinschränkung nicht festzustellen gewesen sei. Es hat sich dem nervenärztlichen Gutachten von Dr. V. angeschlossen, der die Diagnosen Angst und depressive Störung gemischt sowie somatoforme Schmerzstörung nachvollziehbar und schlüssig anhand der erhobenen psychiatrischen und neurologischen Befunde sowie aufgrund des durch die Klägerin geschilderten Tagesablaufes festgestellt habe. Insbesondere hätten sich während der Untersuchung keine Hinweise für eine ausgeprägtere kognitive oder amnestische Störung ergeben. Es habe keine Anhaltspunkte für eine Zwangsstörung, für eine Wahn- oder Ichstörung oder eine Sinnestäuschung gegeben. Die Kammer habe sich auch nicht davon überzeugen können, dass eine schwere depressive Episode vorliege. Diese Diagnose sei zwar von dem behandelnden Arzt Dr. P. gestellt worden, sie lasse sich aber aufgrund des beschriebenen Befundes nicht überzeugend nachvollziehen und stehe im Widerspruch zu den Diagnosen des behandelnden Arztes M., der ebenfalls von der Diagnose Angst und depressives Syndrom ausgegangen sei. Die entsprechende Diagnose habe auch Dr. A. in seinem Bericht vom 27.05.2010 gestellt. Die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. L. habe in ihrem Gutachten lediglich eine Anpassungsstörung mit ängstlichen und depressiven Anteilen festgestellt. Gegen das Vorliegen einer schweren depressiven Episode spreche zudem der Tagesablauf der Klägerin, welcher strukturiert sei. Die Klägerin leide zudem an degenerativen LWS-Veränderungen mit linksbetonten Lumboischialgien, einem Bandscheibenvorfall mit relativer Spinalkanalverengung sowie an Bandscheibenprotrusionen. Dies stehe für die Kammer aufgrund des Gutachtens von Dr. G., der Auskunft des behandelnden Facharztes für Orthopädie M. sowie des Attestes des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin M. fest. Den Berichten der behandelnden Ärzte könne zudem entnommen werden, dass die Klägerin an einem chronisch rezidivierenden Zervikalsyndrom sowie an chronischen Kopfschmerzen leide. Die insoweit festgestellten Gesundheitsstörungen führten lediglich zu qualitativen Leistungseinschränkungen. Trotz der genannten Gesundheitsstörungen sei die Klägerin in der Lage, leichte Tätigkeiten unter Beachtung der näher ausgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen und/oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren könnten und daher die Benennung mindestens einer noch in Betracht kommenden Tätigkeit erforderlich machten, seien bei der Klägerin nicht gegeben. Insbesondere seien die Hände nicht derart eingeschränkt, dass manuelle Tätigkeiten ausgeschlossen seien. Auch die Wegefähigkeit der Klägerin sei nicht relevant eingeschränkt, wie den Gutachten des Dr. V. und Dr. H. entnommen werden könne.

Gegen das den Bevollmächtigten am 13.06.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 04.07.2014 Berufung eingelegt.

Sie macht geltend, dass ihre Meinung und die ihrer behandelnden Ärzte nichts wert seien, wie der Prozess gezeigt habe. Man garantiere ihr, noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten zu können, sage aber nicht, was und wo sie arbeiten könne.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. Mai 2014 sowie den Bescheid vom 30. Juli 2012 und den Widerspruchsbescheid vom 19. November 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, die Berufung enthalte keine neuen Gesichtspunkte, die die angefochtene Entscheidung in Frage stellen könnten.

Mit den Beteiligten wurde der Sach- und Streitstand am 21.11.2014 erörtert. In diesem Termin wurden die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen. II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung der begehrten Rente wegen Erwerbsminderung, da sie weder voll noch teilweise erwerbsgemindert ist. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]) dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung schon deshalb nicht besteht, weil die Klägerin noch wenigstens sechs Stunden täglich für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass auch der Senat nach der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen – ebenso wie das SG – nicht festzustellen vermag, dass das Leistungsvermögen der Klägerin, insbesondere aufgrund der auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen, auf unter sechs Stunden täglich für körperlich leichte, geistig einfache und nervlich nicht belastende Tätigkeiten herabgesunken ist. Dies haben die Gutachten von Dr. H., Dr. L., welches der Senat im Urkundenbeweis verwertet, und Dr. V. überzeugend belegt.

Den von den gutachterlichen Beurteilungen abweichenden Einschätzungen der behandelnden Ärzte der Klägerin folgt der Senat nicht, zumal sie sich im Rahmen von Befundberichten oder Attesten bzw. einer sachverständigen Zeugenaussage nicht umfassend unter gutachterlichen Gesichtspunkten mit dem Leistungsvermögen der Klägerin auseinandersetzen mussten. Im Hinblick auf ihre abweichende Beurteilung ist das Gutachten von Dr. V. eingeholt worden, der die Leistungsbeurteilung von Dr. L. und Dr. H. bestätigt hat. Damit sieht der Senat auch die Einschätzung von OMR G. als widerlegt an.

Ob der Klägerin ein entsprechender Arbeitsplatz auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich vermittelt werden könnte, ist rechtlich unerheblich, da bei vollschichtig einsatzfähigen Versicherten der Arbeitsmarkt als offen anzusehen ist und das Risiko der Arbeitsvermittlung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen ist; dementsprechend bestimmt § 43 Abs. 3 SGB VI, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved