L 5 KR 245/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 15 KR 2279/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 245/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 18.12.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Kostenübernahme für das Mistelpräparat Iscador, eines nicht-verschreibungspflichtigen aber apothekenpflichtigen anthroposophischen Arzneimittels.

Die Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie erkrankte im Jahr 2007 an einem Mammakarzinom. Dieses wurde im gleichen Jahr operativ entfernt. Im Anschluss an die durchgeführte Chemotherapie erfolgte eine bis heute andauernde Therapie mit dem Mistelpräparat Iscador M. Zunächst erhielt die Klägerin Iscador auf Rezept.

Mit Schreiben vom 13.12.2011 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme für die Weiterbehandlung mit dem Mistelpräparat. Sie legte ein Attest des behandelnden Arztes Dr. St. vor, wonach er sich bei der Klägerin dazu entschlossen habe, eine über fünf Jahre andauernde adjuvante Misteltherapie durchzuführen. Der behandelnde Arzt empfahl, die dabei entstehenden Kosten zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu übernehmen.

Mit Bescheid vom 27.12.2011 lehnte die Beklagte die beantragte Kostenübernahme ab, weil es sich bei der Misteltherapie um eine bisher vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht anerkannte Behandlungsmethode bei einer Krebserkrankung handele. Die Verordnungsfähigkeit von Mistelpräparaten sei auf die palliative Behandlung beschränkt. Im Rahmen der hier vorliegenden adjuvanten (unterstützend-kurativen) Therapie komme eine Finanzierung durch die Krankenkasse nicht in Betracht. Hierbei nahm die Beklagte auf das Urteil des BSG vom 11.05.2011 - B 6 KA 25/10 R- Bezug.

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 10.01.2012 Widerspruch ein. Sie führt aus, dass die Gesellschaft anthroposophischer Ärzte in ihren Veröffentlichungen vom 28.04.2004 sowie vom 15.01.2006 erklärt habe, dass die Anwendung anthroposophischer Mistelpräparate eine Standardtherapie in der Behandlung maligner Tumore darstelle. Eine Einschränkung auf palliative Therapien sei dabei nicht zu erkennen. Das Urteil des BSG vom 11.05.2011 - B 6 KA 25/10 R - ändere daran nichts. Das Gericht habe nämlich nicht über die konkrete Ausstellung von Kassenrezepten durch Vertragsärzte in der adjuvanten Therapie entschieden.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte das Gutachten bei dem MDK, Dr. Sch. vom 23.01.2012 ein. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 34 SGB V, wonach ausnahmsweise nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden, nicht vorliegen. Eine nach Anlage I der Arzneimittelrichtlinie (nachfolgend: AM-RL), Ziffer 32 erforderliche palliativmedizinische Situation, liege bei der Klägerin nicht vor.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2013 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V nicht vorlägen. Bei der von der Klägerin selbstbeschafften Leistung handle es sich weder um eine unaufschiebbare Leistung (Alternative 1) noch um eine Leistung, die zu Unrecht abgelehnt worden sei (Alternative 2). Die von der Klägerin beschaffte Leistung gehöre nicht zu denen, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen habe. Gemäß § 12 Abs. 5 AMRL in Verbindung mit Ziffer 32 der Anlage I zum Abschnitt F der AM-RL sei normiert, dass Mistelpräparate nur in der palliativen Therapie maligner Tumore zur Verbesserung der Lebensqualität zu gewähren seien. Nur innerhalb dieser Grenzen seien diese Präparate daher zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig. Zwar sei bei der Klägerin 2007 ein Mammakarzinom, also ein maligner Tumor entfernt worden. Das von der Klägerin selbst beschaffte Präparat werde jedoch bei ihr nicht zur palliativen, sondern zur adjuvanten Behandlung verwendet. Dem Widerspruch der Klägerin könne auch nicht mit dem Argument gefolgt werden, dass andere gesetzliche Krankenkassen auch die Kosten einer adjuvanten Misteltherapie trügen. Dass die Ablehnung rechtmäßig sei, könne aus dem Urteil des BSG vom 11.05.2011 - B 6 KA 25/10 R - ersehen werden. Hierin werde eindeutig klargestellt, dass Mistelpräparate als Ausnahmetatbestand nur in der palliativen Therapie verordnungsfähig seien.

Hiergegen erhob die Klägerin am 12.07.2012 Klage zum Sozialgericht Heilbronn. Zur Begründung führte sie aus, dass das von ihr begehrte Präparat Iscador von den phytotherapeutischen Mistelpräparaten zu unterscheiden sei. Anthroposophische Mistelgesamtextrakte, zu welchem auch das von ihr konkret eingenommene Präparat Iscador M 5 mg der Herstellerfirma W. AG zähle, seien ausweislich der Gebrauchsanweisung sowohl für die adjuvante als auch für palliative Therapie zugelassen und daher nicht mit den übrigen auf Mistellektin standardisierten phytotherapeutischen Mistelpräparaten vergleichbar. Zum Beweis der Wirksamkeit der Behandlung maligner Tumore im Bereich der adjuvanten Therapie legte die Klägerin einige wissenschaftliche Veröffentlichungen vor. Ihr stehe gemäß §§ 27 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 3, 31 Abs. l S. 1, 34 Abs. 1 S. 2 SGB V in Verbindung mit § 12 Abs. 6 AM-RL die Versorgung mit dem Mistelpräparat Iscador bzw. nach deren Ablehnung ein Anspruch auf Kostenerstattung zu. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) lege in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gälten. Diesem Regelungsauftrag des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V sei der GBA in den AM-RL nicht ordnungsgemäß und vollständig nachgekommen. Was schwere Erkrankungen seien und welche Wirkstoffe als Standardtherapeutika dienten, habe der GBA in der Anlage 2 der AM-RL festgelegt. Nach Ziffer 32 der Anlage 1 der AM-RL dienten "Mistelpräparate, parenteral, auf Mistellektin normiert, nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität", weshalb im vorliegenden Falle, da bei der Klägerin eine adjuvante Therapie vorliege, die Vorschrift nicht unmittelbar zur Anwendung komme. Für die Arzneimittel der anthroposophischen Medizin habe der GBA eine Festlegung der als Therapiestandard im Sinne des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V geltenden (und damit verordnungsfähigen) Arzneimittel bislang nicht im Einzelnen getroffen. Daher komme hier lediglich die Generalklausel des § 12 Abs. 6 AM-RL zur Anwendung. Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 6 AM-RL seien bei der Klägerin erfüllt. Denn bei der Klägerin liege ein maligner Tumor vor. Dieser sei zwar bereits 2007 operativ entfernt und mittels Chemotherapie therapiert worden. Jedoch könne die Klägerin bis heute nicht als geheilt bezeichnet werden, da von einer Heilung bei Tumorerkrankungen generell frühestens nach einem rezidivfreien Intervall von fünf Jahren ausgegangen werden könne. Die Verordnungsfähigkeit anthroposophischer Mistelpräparate unterliege nach § 12 Abs. 6 AM-RL auch keinen weiteren Einschränkungen, insbesondere sei die Verordnungsfähigkeit nicht auf die palliative Therapie zu beschränken. Die zutreffende Auslegung des § 12 Abs. 6 AM-RL ergebe nämlich, dass sich der enthaltene Verweis auf die "Indikationsgebiete"" der Anlage I nur auf die in der OTC-Liste (OTC = Over the counter) für apothekenpflichtige und gleichzeitig nicht verschreibungspflichtige Medikamente aufgeführten Indikationen bzw. schwerwiegenden Erkrankungen beziehe und gerade nicht auf die gegebenenfalls dort weiter genannten Anwendungsvoraussetzungen. An dieser Auffassung bzw. Auslegung ändere auch das Urteil des BSG vom 11.05.2011 - B 6 KA 25/10 R - nichts. Denn das BSG habe sich in dieser Entscheidung inhaltlich nicht mit der Misteltherapie beschäftigt und beinhalte daher auch keine Bewertung der anthroposophischen Misteltherapie. Das o.g. Urteil des BSG beziehe sich auf einen Änderungsbeschluss des GBA zur alten Fassung der AMR (2004). Da zwischenzeitlich die AM-RL 2009 vollständig neu gefasst worden sei, sei diese auch nicht von der Rechtskraft des BSG-Urteils vom 11.05.2011 umfasst. Nicht Gegenstand des damaligen Verfahrens sei die vorliegend umstrittene Auslegung, ob sich der Verweis in § 12 Abs. 6 AM-RL (noch ohne die Worte "und Anwendungsvoraussetzungen") auf die "Indikationsgebiete" alleine auf die in der OTC-Liste angesprochenen schwerwiegenden Erkrankungen beziehe, oder - darüber hinaus - auch auf sämtliche in der Anlage jeweils genannten weiteren Merkmale ("Anwendungsvoraussetzungen"). Auch habe das BSG offen gelassen, ob es sich bei der streitgegenständlichen Richtlinienänderung um eine "konstitutive" oder lediglich um eine "deklaratorische" Regelung gehandelt habe. Soweit das BSG in Randnummer 43 der Entscheidung eine "Tendenz" auch zur streitgegenständlichen Fassung des § 12 Abs. 6 AM-RL zu erkennen gebe, sei diese Äußerung, da sie nur am Rande und nicht in den tragenden Urteilsgründen enthalten sei, nicht bindend und nicht in der Lage die gegenteilige Rechtsprechung der Sozialgerichte zu erschüttern. Soweit das BSG in seiner Entscheidung vom 11.05.2011 "mit Blick auf etwaige künftige ähnliche Streitfälle" in einem obiter dictum und unter Verweis auf frühere BSG-Rechtsprechung sowie auf die Materialien aus dem Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des § 34 SGB V, darauf hingewiesen habe, dass er, der erkennende Senat, zu der Auffassung neige, dass bereits der Begriff "Indikationsgebiete" die Anwendungsbeschränkung umfasse, könne dem nach grammatikalischer, historischer, systematischer und teleologischer Auslegung des § 12 Abs. 6 AM-RL (in seiner streitgegenständlichen Fassung und somit ohne die Worte "und Anwendungsvoraussetzungen") nicht gefolgt werden. Damit habe der Anspruch der Klägerin vor der Änderung durch den Beschluss des GBA bestanden und er entfalle auch nicht aufgrund des Beschlusses des GBA vom 19.04.2012 zur Änderung des § 12 Abs. 6 AM-RL, welcher am 20.06.2012 im Bundesanzeiger veröffentlicht worden sei. Der Änderungsbeschluss sei nämlich wegen schwerwiegender Verfahrensmängel nichtig bzw. materiell rechtswidrig. Das nach § 92 Abs. 3a SGB V gesetzlich vorgeschriebene Stellungnahmeverfahren sei unterblieben und insbesondere die Gesellschaft anthroposophischer Ärzte in Deutschland als maßgeblicher Dachverband nicht beteiligt worden. Die vom GBA vorgetragenen Gründe, weshalb eine Stellungnahme entbehrlich sei, träfen nicht zu. Die Durchführung eines Stellungnahmeverfahrens sei auch nicht im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 11.05.2011 - B 6 KA 25/10 R - entbehrlich gewesen. Der Beschluss des GBA sei auch in materieller Hinsicht fehlerhaft gewesen, da er gegen die Ermächtigungsgrundlage des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V verstoße. Danach sei alleinige Voraussetzung für die Verordnungsfähigkeit nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung und der Umstand, dass das Arzneimittel bei der Behandlung dieser Erkrankung als Therapiestandard gelte. Die zusätzliche Unterwerfung der Verordnungsfähigkeit anthroposophischer Medizin unter die Anwendungsvoraussetzungen und -beschränkungen der Schulmedizin sei vom Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck des § 34 Abs. 1 S. 2 und 3 nicht gedeckt. Die Klägerin legte mit Schreiben vom 25.07.2013 weitere ärztliche Verordnungen und Apothe-kenrechnungen vor. Danach erhöhe sich der Gesamtbetrag ihrer Ausgaben für Iscador auf 890,58 EUR.

Die Beklagte bezog sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 15.06.2012. Ergänzend wies sie darauf hin, dass sämtliche von der Klägerin für ihre Auffassung vorgelegten Urteile verschiedener Sozialgerichte zeitlich vor dem Urteil des BSG vom 11.05.2011 - B 6 KA 25/10 R - ergangen seien.

Das Sozialgericht Heilbronn wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 18.12.2013 ab. Zur Begründung führt das erstinstanzliche Gericht aus, dass die Klage zwar zulässig, aber unbegründet sei und die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme der ihr im Rahmen der Misteltherapie entstandenen Kosten von zuletzt 890,58 EUR habe. Als Anspruchsgrundlage für die Kosten der Selbstbeschaffung der Mistelpräparate komme nur § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Dieser Anspruch reiche nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Die selbstbeschaffte Leistung müsse zu den Leistungen gehören, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) zu erbringen habe (ständige Rechtsprechung des BSG; vgl. z.B. BSG, Urt. v. 24.09.1996 - 1 RK 33/95 -; Urt. v. 14.12.2006 - B 1 KR 8/06 R -; Urt. v. 26.09.2009 - B 1 KR 3/06 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 10 m.w.N. sowie auch LSG BW, Urt. v. 27.04.2012 - L 4 KR 5054/10-). Die Krankenbehandlung umfasse auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Nach § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V habe ein Versicherter Anspruch auf eine Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese nicht nach § 34 SGBV oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen seien. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel seien gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 S. 1 SGB V von der Arzneimittelversorgung ausgeschlossen. Bei dem von der Klägerin selbstbeschafften Präparat Iscador M 5 mg handele es sich aber unstreitig um ein verschreibungspflichtiges Produkt, so dass ein Ausschluss der Kostentragung jedenfalls nicht mit § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V begründet werden könne. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) lege aber gemäß § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGBV fest, welche nichtverschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden könnten. In Umsetzung dieses gesetzlichen Auftrages habe der GBA in Abschnitt F der AM-RL definiert, dass eine Krankheit schwerwiegend ist, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie auf Grund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörungen die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (§ 12 Abs. 3 AM-RL). Weiter bestimmten § 12 Abs. 4 und 5 AM-RL, dass ein Arzneimittel dann als Therapiestandard gelte, wenn der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche (Abs. 4). Die schwerwiegenden Erkrankungen und die Standardtherapeutika zu deren Behandlung würden in Anlage I zu der AM-RL aufgeführt (Abs. 5). Insoweit unterscheide sich die aktuell geltende Fassung der AM-RL nicht von jener, die vor dem Beschluss des GBA vom 19.04.2012 gegolten habe. Vorliegend gehe es um § 12 Abs. 6 AM-RL. Die Norm bestimme, dass für die in Anlage I zu dieser Richtlinie aufgeführten Indikationsgebiete der behandelnde Arzt (Ärztin) bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen könne, sofern die Anwendung dieser Arznei für diese Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt sei. Nach Ziffer 32 der Anlage I dienten Mistel-Präparate, parenteral, auf Mistellektion normiert, nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität. Dies bedeute, dass Mistelpräparate nur innerhalb dieser Grenzen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig seien. Zwischen den Beteiligten sei umstritten, ob diese Begrenzung der Therapie mit Mistelpräparaten auf die palliative Therapie wirksam sei oder ob Mistelpräparate auch im Rahmen der adjuvanten Therapie verordnungsfähig seien. Das Gericht sehe aber - wie auch das BSG - keinen Unterschied der Rechtslage vor der Änderung der AM-RL durch den GBA. Diesbezüglich habe das BSG in seinem Urteil vom 11.05.2011 ( B 6 KA 25/10 R- Juris Rn 43) ausgeführt: "Keiner näheren Erörterung bedarf es auch an dieser Stelle (vgl bereits oben RdNr 32), ob die Anwendungsbeschränkung "nur in der palliativen Therapie" schon von der früheren Fassung der Nr 16.5 AMRL durch dessen Begriff "Indikationsgebiete" miterfasst war oder ob sie erst von deren späterer - von der Beklagten beanstandeten - Fassung aufgrund der kumulativen Begriffe "Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen" erfasst wurde. Mit Blick auf etwaige künftige ähnliche Streitfälle weist der Senat aber darauf hin, dass er dazu neigt, dass bereits der Begriff "Indikationsgebiete" die Anwendungsbeschränkung mitumfasst hat. Hierfür sprechen Andeutungen in der BSG-Rechtsprechung (vgl. BSGE 89, 184, 191: Ausdehnung des Anwendungsbereichs eines Arzneimittels auf weitere Indikationen"; s auch zB BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 6 RdNr 9 und BSG SozR 4¬2500 § 31 Nr 15 RdNr 21 f, wonach die Zulassung das Indikationsgebiet umschreibt, in dem das Arzneimittel im konkreten Fall eingesetzt werden soll; s ferner weitere Nachweise im Urteil des SG Dresden A&R 2007, 134, 136f (unter 5.)) und lassen sich - allerdings nur mit Vorsicht - auch die Materialien aus dem Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des § 34 SGB V anführen (vgl. BT-Drucks 15/1525 S 86: "In den Arzneimittelrichtlinien ist das Nähere zur Verordnungsfähigkeit von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln insbesondere bezogen auf bestimmte Indikationen und Indikationsgebiete festzulegen.").

Entscheidend sei, dass das BSG die hier maßgebliche (identische Vorgänger)Regelung ausgelegt habe. Dass dies nicht in einem Verfahren eines Versicherten geschehen sei, sei irrelevant. Die Klägerin verkenne, dass sich das BSG gerade mit der hier umstrittenen Frage auseinandergesetzt habe, ob sich der Verweis auf die "Indikationsgebiete" zugleich auch auf sämtliche in der Anlage jeweils genannten Merkmale beziehe. Im Übrigen seien auch keine Mängel bei der Auslegung der streitentscheidenden Normen in Bezug auf Wortlaut, Historie, Systematik oder Sinn und Zweck durch das BSG für das erkennende Gericht ersichtlich. Auch im Beschluss des GBA vom 19.04.2012 seien keine schwerwiegenden Verfahrensfehler zu erkennen, welche zur Nichtigkeit des Beschlusses führen könnten. Eine nochmalige Anhörung der Gesellschaft Antroposophischer Ärzte in Deutschland zwischen Beschluss und -verzögerter- Umsetzung sei nicht erforderlich gewesen. Es habe sich hierbei auch nur um eine redaktionelle Klarstellung gehandelt.

Gegen den am 23.12.2013 zugestellten Gerichtsbescheid erhob die Klägerin am 17.01.2014 Berufung.

Zur Begründung verweist die Klägerin erneut auf die Unterlagen und Entscheidungen, die sie im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt hatte. Die anthroposophischen Mistelpräparate seien Standard in der Anthroposophischen Medizin und daher nach § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V i.V.m. § 12 Abs. 6 AM-RL und Ziff. 32 Anlage I AM-RL verordnungsfähig. Die Beschränkung "nur in der palliativen Therapie in Ziff. 16.4.27 AMR a.F. bzw. Ziff. 32 der Anlage I AM-RL aktueller Fassung ergebe sich allein deshalb, weil phytotherapeutische Mittel wie "Lektinol" nur für die palliative Therapie arzneimittelrechtlich zugelassen seien. Iscador dagegen habe einen umfassenden Einsatzbereich. Die Beschränkung sei daher sachwidrig. Mit dieser Fragestellung habe sich das BSG auch nicht bzw. nicht ausreichend befasst. Es gehe damit auch nicht um eine "Besserstellung" anthroposophischer Mittel. Die aus der spezifischen arzneimittelrechtlichen Zulassungseinschränkung anderer Präparate herrührenden Beschränkungen dürften aber nicht auf anthroposophische Mittel übertragen werden. Diese Einschränkung durch den Beschluss des GBA sei darüber hinaus unbeachtlich. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe die Stellungnahmen u.a. der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland nicht ausgewertet und nicht berücksichtigt, weshalb der Beschluss vom 19.04.2012 nach § 92 Abs. 3a SGBV wegen eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers nichtig sei. Außerdem halte sich der Beschluss nicht im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V. Der Therapiestandard sei nämlich nach dem Erkenntnisstand innerhalb der Therapierichtung zu bestimmen. Die Therapierichtung sei vorliegend die anthroposophische Medizin. Anwendungsvoraussetzungen anderer Mittel auf anthroposophische Präparate zu übertragen führe auch zu einem Verstoß gegen § 34 Abs. 1 S. 3 SGB V. Zum Beleg dafür, dass die adjuvante Therapie mit einem Mistelpräparat zum anthroposophischen nicht aber konventionell-onkologischen Therapiestandard gehöre, legte die Klägerin eine in einem Verfahren vor dem Sozialgericht Dortmund durch Prof. Dr. H. unter dem 08.08.2014 abgegebene Stellungnahme vor (Bl. 49). Darüber hinaus hat sie weitere Rechnungen für Iscador, die im Rahmen der immer noch fortlaufend fortgeführten Behandlung anfielen, vorgelegt. Danach werden nunmehr 1.504,27 EUR eingeklagt.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 18.12.2013 und den Bescheid der Beklagten vom 27.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für das selbstbeschaffte Mistelpräparat Iscador in Höhe von 1.504,27 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids für richtig.

Am 07.10.2014 hat ein nichtöffentlicher Erörterungstermin stattgefunden.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die Akte des SG Heilbronn und die vorgelegte Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG bei streitigen Kosten für das Mittel Iscador von über 750 EUR ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft und gemäß § 151 SGG auch sonst zulässig.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2012 ist rechtmäßig. Das Sozialgericht Heilbronn hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids vom 18.12.2013 in vollem Umfang Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren, das jedoch im Wesentlichen die erstinstanzlichen Argumente wiederholt und gelegentlich vertieft, ist noch das Folgende auszuführen:

Ausdrücklich hat das Bundessozialgericht mit dem Urteil vom 11.05.2011 - B 6 KA 25/10 R eine Klärung der Frage bezweckt, ob anthroposophische Mistelpräparate im Rahmen der kurativ-adjuvanten Therapien vertragsärztlich verordnet werden dürfen. Daher wird am Ende der Entscheidung ausgeführt, dass spätestens mit der Veröffentlichung der Urteilsbegründung ein etwaiger Vertrauenstatbestand, dass anthroposophische und homöopathische Mistelpräparate im Rahmen der kurativ-adjuvanten Therapie verordnungsfähig seien, entfalle (BSG, aaO, Rn. 44). So sieht es auch der Senat. Eine Unklarheit herrscht nicht mehr.

Auch der Senat hält wie das SG die Klarstellung bzw. Änderung der AM-RL hinsichtlich des Ausschlusses der Erstattungsfähigkeit des Mistelpräparats Iscador für wirksam, das hier unstreitig und eindeutig nicht lediglich palliativ, sondern sogar adjuvant eingesetzt wird. Der Bevollmächtigte der Klägerin übersieht bei seiner Kritik, dass nach langem Rechtsstreit mit der Aufsichtsbehörde das BSG genau die beanstandete, hier maßgebliche Fassung der AM-RL des GBA höchstrichterlich bestätigt hat. Das Argument der Klägerin, dass das BSG hinsichtlich der Übertragung der "Anwendungsvoraussetzungen" die Rechtsvorschrift fehlerhaft ausgelegt habe, ist nicht überzeugend. Ließe man neben den in den AM-RL normierten Situationen anthroposophische Präparate zur Behandlung eines weit größeren Personenkreises und zu weitergehenden Zwecken zu (etwa hier adjuvant, d.h. zur Vermeidung eines Rezidivs oder sogar zur Prävention) wäre dies mit dem Sinn der Regelung in der Anlage I zur AM-RL, auch aus Wirtschaftlichkeitsgründen nur in klar bestimmten Sonderkonstellationen im Einzelnen eine Behandlung mit nichtverschreibungsfähigen Mitteln zu ermöglichen, nicht in Einklang zu bringen. Die gesetzliche Regel ist der Ausschluss der Erstattungsfähigkeit für ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel. Die Klägerin begehrt daher der Sache nach für ihr Mittel eine Erweiterung der Ausnahmeregelungen und zwar, weil die Misteltherapie Standard der anthroposophischen Krebstherapie ist, eine praktisch bei jeder Krebserkrankung unterschiedslos zur Anwendung kommende Befugnis, auf Kosten der Krankenkassen Iscador einzusetzen. Der Anwendungsbereich von § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V wäre damit für den Bereich anthroposophischer Mittel außer Kraft gesetzt. Das BSG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass eine solche Begünstigung anthroposophischer Arzneimittel im Gesetz so nicht angelegt ist (BSG Urt. v. 11.05.2011 - B 6 KA 25/19 R - Juris Rn 41).

Ein solch weitreichender Anspruch besteht somit nicht. Ganz ausdrücklich hat das BSG mit seinem Urteil vom 11.05.2011 entschieden, dass keine Verpflichtung des Gemeinsamen Bundesausschusses bestehe, Arzneimittel der anthroposophischen oder homöopathischen Therapierichtungen von Anwendungsbeschränkungen freizustellen, die für allopathische Arzneimittel gelten (z.B: Beschränkung von Mistelpräparaten auf die palliative Therapie). Diese Aussage ist als Leitsatz 3. auch zentraler Punkt der Entscheidung. Das Bundessozialgericht hat seine Auffassung, dass Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen nicht von den allgemeinen Verordnungseinschränkungen oder -ausschlüssen freigestellt sind, darüber hinaus erneut im Urteil vom 14.12.2011 -B 6 KA 29/10 R - (Leitsatz 3) bekräftigt. Die Einschränkungen durch die Richtlinie entsprechen danach dem Sinn der Ermächtigung in § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V unwirtschaftliche und unzweckmäßige Verordnungen auszuschließen und sind nicht in erster Linie an den Anwendungsvoraussetzungen einzelner Medikamente orientiert. Der therapeutischen Vielfalt ist hinreichend Rechnung getragen.

Der GBA durfte deshalb, auch wenn die Misteltherapie Standard der anthroposophischen Krebstherapie ist, in der Anlage zur AM-RL die Misteltherapie generell und für alle Therapierichtungen auf die palliative Anwendung beschränken. Ebenso wenig verhülfe die von der Klägerin vorgebrachte Tatsache, dass das Präparat Iscador nicht auf Mistellektin normiert sei, der Klage zum Erfolg. Vielmehr wäre eine ausnahmsweise Verordnung dann aus einem weiteren Grund nicht möglich.

Warum der Beschluss des GBA vom 19.04.2012 rechtsfehlerhaft zu Stande gekommen sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Hier ist schon unklar, ob die Klägerin tatsächlich geltend macht, eine notwendige Beteiligung der Gesellschaft anthroposophischer Ärzte sei zu Unrecht unterblieben, oder ob lediglich bemängelt wird, dass deren Argumenten nicht gefolgt wurde. Letzteres stellte sich aber nicht als Verfahrensmangel dar. Der GBA muss lediglich eingeholte Stellungnahmen bei seiner Entscheidungsfindung zur Kenntnis nehmen, ist aber nicht verpflichtet, den im Anhörungsverfahren vertretenen Meinungen zu folgen. Die Frage, ob die Verfahrensrechte der Dachverbände der Ärztegesellschaften der besonderen Therapierichtungen gem. § 92 Abs. 3a SGB V verletzt wurden, weil ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme hätte gegeben werden müssen, ändert an der Wirksamkeit der AM-RL im Verhältnis zu Mitgliedern gesetzlicher Krankenkassen nichts. Läge eine solche Verletzung vor, müsste das zuständige Bundesministerium für Gesundheit aufsichtsrechtliche Maßnahmen ergreifen bzw. stünde den genannten Dachverbänden die Möglichkeit einer entsprechenden Klage zu; sie müssten dann vortragen, welche neuen, bisher nicht bekannten Erkenntnisse dem GBA vorgetragen worden wären. In eigenen Rechten ist die Klägerin als nicht am Verfahren Beteiligte durch einen Verfahrensfehler nicht verletzt. In ihren materiellen Rechten nach § 31 Abs. 1 SGB V auf Versorgung mit geeigneten Arzneimitteln ist sie nach dem Gesagten ebenfalls nicht verletzt. Das Ergebnis der Entscheidung des GBA ist inhaltlich durch das Urteil des BSG vom 11.05.2011 vorweggenommen worden. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb der Beschluss materiell rechtswidrig sein sollte.

Die Berufung kann daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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