L 3 AS 2728/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 4337/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 2728/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen für eine Mietkaution ohne Rückzahlungsverpflichtung bzw. ohne Tilgung durch Aufrechnung gegen ihre Leistungsansprüche.

Die Klägerin bezieht seit 2010 Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von dem beklagten zugelassenen kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Für die Klägerin ist ein rechtlicher Betreuer unter anderem für die Vertretung gegenüber Behörden und die Aufenthaltsbestimmung bestellt.

Die Klägerin mietete ab Juni 2013 eine größere Wohnung an. Der Beklagte berücksichtigte die Miete bei den zukünftigen Leistungen in voller Höhe. Die Klägerin beantragte am 21.05.2013 die "Übernahme der Mietkaution in Höhe von EUR 800,00". Daraufhin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 27.05.2013 "ein Darlehen in Höhe von EUR 800,00 zur Begleichung einer Mietkaution" und setzte unter anderem fest, dass dieses Darlehen ab dem 01.07.2013 "durch Einbehaltung von den laufenden Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich EUR 38,20" zurückzuzahlen sei.

Die Klägerin erhob am 24.06.2013 Widerspruch. Das Darlehen müsse tilgungsfrei gewährt werden. Eine Kürzung der Regelleistung sei dem Betroffenen nicht zumutbar, stattdessen könne sich der Träger der Grundsicherung den Rückzahlungsanspruch gegen den Vermieter abtreten lassen. Dies ergebe sich aus einem Urteil des Sozialgerichts (SG) Berlin vom 22.02.2013 (S 37 AS 25006/12).

Die Aufrechnung um EUR 38,20 vollzog der Beklagte im Juli 2013 (Bescheid vom 28.05.2013) und sodann ab August 2013 (Bescheid vom 18.07.2013). Nach Eingang des Widerspruchs setzte er die Aufrechnung jedoch - rückwirkend ab Juli - aus (Schreiben vom 15.08.2013 ). Der Bescheid vom 18.07.2013 ist Gegenstand eines weiteren Verfahrens der Klägerin, das zurzeit ebenfalls vor dem erkennenden Senat anhängig ist (L 3 AS 2665/14).

Den Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid vom 27.05.2013 wies der Beklagte unter dem 27.08.2013 zurück. Das Urteil des SG Berlin sei nicht rechtskräftig und widerspreche Entscheidungen anderer Sozialgerichte, auch des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg.

Die Klägerin hat am 29.09.2013 Klage zum SG Freiburg erhoben. Sie hat ergänzend vorgetragen, der Regelbedarf enthalte keine Anteile für Mietkautionen, sodass die Tilgung durch Aufrechnung zu einer dauerhaften Bedarfsunterdeckung führe.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Durch die Aufrechnung werde keinesfalls das Ansparkonzept des SGB II ausgehebelt. Vielmehr erwerbe die Klägerin durch die Tilgung einen Gegenwert, nämlich den Anspruch gegen den Vermieter auf Rückzahlung der Kaution. Dass im Falle der Klägerin besondere Umstände vorlägen, die ausnahmsweise gegen einen Regelfall und damit gegen eine Bewilligung als Darlehen sprächen, sei nicht hinreichend dargelegt.

Mit Urteil im schriftlichen Verfahren vom 15.05.2014 hat das SG Freiburg die Klage abgewiesen. Nach § 22 Abs. 6 Satz 1 und 3 SGB II solle ein Darlehen gewährt werden. Diese Darlehensgewährung sei nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/688, S. 14) gerechtfertigt, weil die Kaution nach dem Ende eines Mietverhältnisses im Regelfall an den leistungsberechtigten Mieter zurückfließe, diesem aber nicht endgültig belassen werden solle. Lediglich in atypischen Fällen müsse die Mietkaution nicht als Darlehen erbracht werden. Für einen solchen Fall lägen hier keine Anhaltspunkte vor. Allein die Vermögenslosigkeit der Klägerin begründe keine Atypik, denn diese sei bereits Tatbestandsvoraussetzung für die Gewährung. Eine besondere Notlage sei nicht zu erkennen und werde auch nicht geltend gemacht. Gemäß § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II seien dann die Rückzahlungsansprüche ab dem Monat nach Antragstellung durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des Regelbedarfs zu tilgen. Diese Regelung sei verfassungsgemäß, dies habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits entschieden (Urt. v. 09.02.2010, 1 BvL 1/09 u.a.). Soweit das BVerfG nur eine vorübergehende monatliche Kürzung für verfassungsgemäß gehalten habe, sei auch im vorliegenden Fall nur eine vorübergehende Kürzung streitig, wobei es wegen der absolut gesehen geringen Aufrechnungsbeträge und der typischerweise höheren Darlehen nicht nur um wenige Monate gehen könne. Abschließend hat das SG ausgeführt, ein Leistungsbezieher nach dem SGB II dürfe nicht besser gestellt werden als eine in den Arbeitsmarkt integrierte Person, die ihre Mietkautionen selbst tragen müsse. Diese Kaution solle den Mieter zur Einhaltung der vertraglichen Pflichten veranlassen; diese Sicherungsfunktion entfiele, wenn die Kaution als Zuschuss gewährt würde.

Gegen dieses Urteil, das ihrem Prozessbevollmächtigten am 26.05.2014 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 23.06.2014 Berufung zum LSG Baden-Württemberg erhoben. Sie trägt vor, nach der Rechtslage bis März 2011 hätten Darlehen für Mietkautionen nicht während des Leistungsbezugs getilgt werden müssen. Nach der Neufassung des § 42a Abs. 2 SGB II ab dem 01.04.2011 könnten Darlehen durch monatliche Aufrechnung von 10 % des Regelbedarfs getilgt werden. Diese Regelung sei jedoch verfassungswidrig bzw. verfassungskonform dahin auszulegen, dass Mietkautionsdarlehen nicht erfasst würden. Dies habe auch das SG Berlin in einem Beschluss vom 30.09.2011 (S 37 AS 24431/11 ER) entschieden. Teile der Literatur hegten ebenfalls verfassungsrechtliche Bedenken, soweit andere Darlehen als Anspardarlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II getilgt werden sollten, weil der hiervon betroffene Regelbedarf keine Aufwendungen für Mietkautionen umfasse.

Die Klägerin beantragt, z.T. sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Mai 2014 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 27. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. August 2013 zu verurteilen, eine Mietkaution von EUR 800,00 als Zuschuss, hilfsweise als Darlehen ohne Tilgung während des Leistungsbezugs zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil und seine Entscheidungen.

Der Beklagte hat sich unter dem 30.09.2014, die Klägerin mit Schriftsatz vom 07.10.2014 mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

1. Der Senat entscheidet über die Berufung im Einverständnis mit beiden Beteiligten nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung.

2. Der Senat hat den Antrag der Klägerin so ausgelegt wie im Tatbestand genannt. Ihr wörtliches Begehren, das "Darlehen tilgungsfrei" zu gewähren, ist widersprüchlich, da zu einer Darlehensgewährung zwingend eine Tilgung gehört, notfalls in einer Zahlung am Ende der Laufzeit. Zu Gunsten der Klägerin ist davon auszugehen, dass sie primär einen Zuschuss verlangt und hilfsweise eine Gewährung als Darlehen, aber ohne Tilgung durch monatliche Aufrechnung während des Leistungsbezugs. In diesem Sinne hat auch das SG Freiburg den Antrag verstanden; dies zeigen seine Ausführungen zur Gewährung an sich (§ 22 Abs. 6 SGB II) und zur Ausgestaltung der Rückzahlungsverpflichtung (§ 42a Abs. 2 SGB II). Verfahrensrechtlich hat die Klägerin demnach zunächst eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) erhoben und sekundär eine isolierte Anfechtungsklage gegen die Regelung über die Tilgung durch Aufrechnung in dem angegriffenen Bescheid.

3. Die Bewilligungsbescheide vom 28.05.2013 und vom 18.07.2013, mit denen der Beklagte mit dem Anspruch auf Darlehensrückzahlung in Höhe von 10 % des Regelbedarfs gegen die Leistungsansprüche der Klägerin aufrechnete, bilden mit dem Darlehensbescheid vom 27.05.2013 keine rechtliche Einheit. Es fehlt an einer engen Verknüpfung dieser Bescheide, wie sie in dem Fall, welcher dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22.003.2012 (B 4 AS 26/10 R, Juris Rn. 10) zu Grunde lag, bestand. In jenem Verfahren datierten - anders als hier - der Darlehensbescheid und die Bewilligungsbescheide nicht vom gleichen Tag. Anders als dort ist in dem hiesigen Darlehensbescheid der Zeitpunkt des Beginns der Aufrechnung nicht verfügt; auch nehmen die Bewilligungsbescheide vom 28.05.2013 und vom 18.07.2013 nicht Bezug auf den Darlehensbescheid vom 27.05.2013 und umgekehrt.

4. Mit diesem Inhalt ist die Berufung statthaft (§ 143 SGG). Insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. Zum einen ist die Klägerin um mehr als EUR 750,00 beschwert: Wenn eine Leistung als Zuschuss statt als Darlehen verlangt wird, ist der volle Betrag der Leistung als Wert anzusetzen, weil sich der Kläger in der Sache gegen die Pflicht zur Rückzahlung des Darlehens wendet (vgl. LSG B., Beschl. v. 14.07.2009, L 29 AS 774/09 B ER, Juris Rn. 11). Dieser Betrag liegt hier bei EUR 800,00. Und zum anderen wendet sich die Klägerin auch gegen die Tilgung während des Leistungsbezugs; insoweit betrifft die Klage laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

5. Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.

a) Allerdings sind die Klageanträge zulässig. Insbesondere kann sich die Klägerin auch mit einer isolierten Anfechtungsklage gegen die Tilgung durch Aufrechnung mit den laufenden Leistungen wenden. Mit dieser Regelung hat der Beklagte nicht nur eine Nebenbestimmung nach § 33 Abs. 1 oder Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geschaffen, sondern eine eigenständige Regelung im Sinne eines weiteren Verwaltungsakts nach § 31 Satz 1 SGB X; allerdings wäre diese Regelung auch als Nebenbestimmung isoliert anfechtbar, da es sich um eine Auflage nach § 32 Abs. 2 Nr. 4 SGB X handelt.

b) Die Klage ist jedoch nicht begründet. Weder kann die Klägerin eine Gewährung als Zuschuss verlangen noch sich gegen die Tilgung durch laufende Aufrechnung in Höhe von EUR 38,20 im Monat gegen ihre Leistungsansprüche wenden. Der Beklagte hat sich bei seinen Entscheidungen zutreffend auf die Regelungen in § 22 Abs. 6 SGB II und § 42a Abs. 2 SGB II gestützt. Diese hält der Senat auch für verfassungsgemäß, sodass eine Aussetzung des Verfahrens verbunden mit einer Vorlage an das BVerfG (Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz [GG], § 80 Abs. 1, Abs. 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz [BVerfGG]) nicht in Betracht kommt.

aa) Zunächst bestehen keine Einwände gegen die Grundregel in § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II selbst, wonach Leistungen für eine Mietkaution als Darlehen gewährt werden sollen:

Der Anspruch des Einzelnen auf staatliche Leistungen zur Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) gebietet dem Staat nicht, Leistungen für eine Mietkaution als Zuschuss zu gewähren. Anders als Essen, Kleidung und Wohnung an sich gehören Leistungen für eine Mietkaution nicht zum zwingend zu deckenden Existenzminimum. Nicht jeder Leistungsberechtigte bedarf solcher Leistungen. Dies gilt z.B. für Berechtigte, die nicht zur Miete wohnen. Und auch bei Mietern fällt nicht immer eine Mietkaution an, nachdem Vermieter eine solche verlangen können (vgl. § 551 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]), aber nicht müssen. Müsste der Staat Leistungen für Mietkautionen als Zuschuss gewähren, so entstände ein Vermögenszuwachs bei dem Berechtigten, weil der Anspruch auf Rückzahlung der Kaution dem Mieter zusteht und daher am Ende der Mietzeit dieser die Kautionssumme von dem Vermieter zurückerhält. Existenzsichernde Leistungen können jedoch nicht der Vermögensbildung dienen. Sofern in besonderen Einzelfällen doch die Gewährung eines Darlehens unverhältnismäßig sein kann, bietet § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II mit seiner "soll-Verpflichtung" in atypischen Fällen genügend Spielraum für eine Gewährung in anderer Form. So kann eine Bürgschaftserklärung gegenüber dem Vermieter in Betracht kommen (vgl. SG Leipzig, Urt. v. 25.09.2014, S 20 AS 823/12, Juris Rn. 35). Auch ein Zuschuss ist denkbar. Dieser kann aber auch aus verfassungsrechtlicher Sicht nur in atypischen Fällen notwendig sein, wenn z.B. der Leistungsberechtigte bereits gekürzte Leistungen erhält und außerdem so überschuldet ist, dass eine Rückzahlung generell, auch nach dem Ende des Leistungsbezugs, ausgeschlossen erscheint. Auch die Gefährdung eines laufenden Insolvenzverfahrens kann ein Grund für eine Zuschussgewährung sein. In diesen Fällen wäre der Leistungsträger aber berechtigt, sich zur Sicherung den Rückzahlungsanspruch gegen den Vermieter abtreten zu lassen.

Nachdem, wie ausgeführt, die Bedarfe der engeren Existenzsicherung und die Pflicht zur Zahlung einer Mietkaution grundlegende sachliche Unterschiede aufweisen, verstößt die Gewährung nur als Darlehen auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

bb) Auch die weitere Regelung in § 42a Abs. 2 SGB II, die sich auch auf Mietkautionsdarlehen bezieht, hält der Senat für verfassungsgemäß.

Dem Wortlaut nach erfasst § 42a Abs. 2 SGB II alle Darlehen, die nach anderen Vorschriften des SGB II gewährt werden. Dieses Ergebnis wird durch einen Blick auf § 42a Abs. 3 SGB II gestützt. Dort ist geregelt, dass Darlehen nach § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II bei einer Rückzahlung durch den Vermieter sofort "in Höhe des noch nicht getilgten Darlehensbetrags" fällig sind. Es muss also auch während des laufenden Mietverhältnisses und noch vor Ende des Leistungsbezugs - diesen Fall regelt § 42a Abs. 4 Satz 1 SGB II entsprechend - eine Tilgung gegeben haben. Und letztlich hat der Gesetzgeber ausdrücklich auf Mietkautionsdarlehen abgestellt, als er die Regelung zur Rückzahlung von Darlehen in das SGB II eingefügt hat.

Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 18.09.2013 (L 3 AS 5184/12, Juris Rn. 29 ff.) ausgeführt:

"Gegen die Regelung in § 42a Abs. 2 SGB II bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit davon auch die Verrechnung mit einem Darlehen für eine Mietkaution umfasst werden, obwohl Mietkautionen nicht im Rahmen der Bemessung des Regelbedarfs berücksichtigt worden ist.

Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/3404 S. 115) soll § 42a SGB II die bislang fehlenden Rahmenvorgaben für alle Darlehen im SGB II schaffen. Die Vorschrift in Abs. 2 soll danach Beginn und Höhe der Rückzahlungsverpflichtung während des Leistungsbezuges regeln. Sie umfasst damit auch die für die Mietkaution gewährten Darlehen. Insoweit hat das BSG auch im Urteil vom 22.03.2012 (B 4 AS 26/10 R) zur früheren Rechtslage ausgeführt, die vom Grundsicherungsträger übernommene Mietkaution werde dem Leistungsberechtigten erst nach Beendigung des Mietverhältnisses von dem Vermieter erstattet. Er habe keine Möglichkeit, hierüber zu verfügen und auftretende Bedarfe zu decken. Eine Rechtfertigung für eine vor diesem Zeitpunkt einsetzende Rückzahlungspflicht des Leistungsberechtigten gegenüber dem SGB II-Träger sei nicht erkennbar. Die mit Wirkung zum 01.04.2011 eingefügte Neuregelung des § 42a Abs. 2 SGB II stelle vor diesem Hintergrund eine echte Neuregelung dar (BSG, a.a.O. Juris Rn. 16).

Das BVerfG hat in der Entscheidung vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, Juris Rn. 204) ausgeführt, es sei mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar, dass im SGB II eine Regelung fehle, die einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung eines zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs vorsehe. Ein solcher sei für diejenigen Bedarfe erforderlich, die nicht schon von den §§ 20 ff. SGB II abgedeckt würden, weil die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, auf der die Regelleistung beruhe, allein den Durchschnittsbedarf in üblichen Bedarfssituationen wiederspiegele, nicht aber einen darüber hinausgehenden, besonderen Bedarf aufgrund atypischer Bedarfslagen. Hierbei sei die Gewährung einer Regelleistung als Festbetrag grundsätzlich zulässig. Allerdings verlange Art. 1 Abs. 1 GG, der die Menschenwürde jedes einzelnen Individuums ohne Ausnahme schütze, dass das Existenzminimum in jedem Einzelfall sichergestellt werde. Der Hilfebedürftige, dem ein pauschaler Geldbetrag zur Verfügung gestellt werde, könne über seine Verwendung im Einzelnen selbst bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen ausgleichen. Dies sei ihm auch zumutbar. Dem Statistikmodell sei eigen, dass der individuelle Bedarf eines Hilfebedürftigen vom statistischen Durchschnittsfall abweichen könne. Die regelleistungsrelevanten Ausgabenpositionen und -beträge seien von vornherein als abstrakte Rechengrößen konzipiert, die nicht bei jedem Hilfebedürftigen exakt zutreffen müssten. Der Hilfebedürftige könne in der Regel sein individuelles Verbrauchsverhalten so gestalten, dass er mit dem Festbetrag auskomme, bei besonderem Bedarf könne er zuerst auf das in der Regelleistung enthaltene Ansparpotential zurückgreifen.

Das BVerfG hat damit Spielräume der pauschalierten Regelleistung hinsichtlich Einspar- und Ansparmöglichkeiten anerkannt, so dass jedenfalls bei einmaligem Darlehensbezug nicht per se von einer Existenzgefährdung infolge der Tilgung aus dem maßgebenden Regelbedarf auszugehen ist (ebenso BSG, Urteil v. 10.05.2011 - B 4 AS 11/10 R - Juris; Urteil v. 22.03.2012, a.a.O. Juris Rn. 17; Bender in: Gagel, SGB II, § 42a Rn. 25) und die vom BSG im angeführten Urteil für erforderlich erachtete gesetzliche Regelung nunmehr geschaffen ist.

Der Gesetzgeber hat dem bei der Neufassung des Regelbedarfs nach dem SGB II auch Rechnung getragen, indem der Bedarfsberechnung das Statistikmodell zugrunde gelegt wurde. Danach enthält die laufende Leistung auch einen Betrag für nicht regelmäßig anfallende Bedarfe. Mit diesem Prinzip ist eine Ansparkonzeption verbunden, die in die Erwartung mündet, dass für nicht regelmäßig anfallende Bedarfe Anteile des Budgets zurückgelegt werden (BT-Drucks. 17/3404 S. 51).

Der Leistungsbezieher ist danach in der Lage, mit der aufgrund der Verrechnung gekürzten Leistung den laufenden Lebensunterhalt zu bestreiten. Fallen weitere, nicht regelmäßig wiederkehrende Bedarfe an, für die normalerweise auf das angesparte Budget zurückgegriffen werden kann, sieht § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II die Gewährung eines - weiteren - Darlehens vor. Kann danach im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt der oder dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Darlehen. Eine Darlehensgewährung kommt danach in Betracht, wenn eine Ansparleistung oder sonstiges Vermögen in Höhe der Grundfreibeträge tatsächlich nicht oder nicht in der erforderlichen Höhe zur Verfügung steht (Blüggel in: Eicher SGB II, 3. Aufl. 2013, § 24 Rn. 45). Auch in diesem Fall - der Gewährung mehrerer Darlehen - ist die Höhe der Tilgung auf insgesamt 10 % des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt, um dem Betroffenen ausreichend Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zu belassen (so die Stellungnahme der Bundesregierung in: BT-Drucks. 17/3982 S. 10). Diese Begrenzung ergibt sich zwar nicht explizit aus dem Gesetzeswortlaut, dieser ist jedoch so zu lesen, da das Wort "Rückzahlungsanspruch" im Plural verwendet wird und damit implizit auch Rückzahlungsansprüche aus mehreren Darlehen umfasst, das Wort Aufrechnung jedoch lediglich im Singular verwendet wird (Greiser in: Eicher SGB II, § 42a Rn. 30; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II § 42 a Rn. 195).

An dieser Einschätzung hält der Senat fest. Ergänzend ist lediglich auf Folgendes hinzuweisen: Ohne sofort beginnende Tilgung wäre die Sicherungsfunktion der Kaution nach § 551 Abs. 1 BGB beschädigt. Wenn der Leistungsträger auf eine Rückzahlung bei Auszug oder dem Ende des Leistungsbezugs verwiesen wäre, müsste er sich ebenfalls regelmäßig zur Sicherung den Kautionsrückzahlungsanspruch gegen den Vermieter abtreten lassen. Ohne diesen Anspruch und die damit verbundene Aussicht, die Kaution zurückzuerlangen, fehlen innerhalb des Mietverhältnisses möglicherweise die Anreize, mit der Mietsache vertragsgemäß umzugehen, bei einem Ende des Mietverhältnisses fristgemäß auszuziehen und auch sonst keinen Grund für Schadensersatzansprüche des Vermieters zu setzen.

cc) Im Einzelfall sind keine Gründe ersichtlich, die gegen die Gewährung nur eines Darlehens nach § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II sprechen. Eine besondere Überschuldung oder ein laufendes Insolvenzverfahren oder einen ähnlichen Grund hat die Klägerin nicht angegeben, sodass der Beklagte nicht von einem atypischen Fall ausgehen und somit auch keine Ermessenserwägungen anstellen musste. Wenn demnach das Darlehen zu Recht gewährt worden ist, war die sofortige Tilgung durch Aufrechnung, wie ausgeführt, zwingend.

6. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

7. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG). Insbesondere hat das Verfahren keine grundsätzliche - rechtliche - Bedeutung. Die Regelungen in § 22 Abs. 6 Satz 3 und § 42a Abs. 2 SGB II selbst hält der Senat für eindeutig. Und ihre Verfassungsmäßigkeit ergibt sich zwanglos aus den Ausführungen des BVerfG in dem Urteil vom 09.02.2010.
Rechtskraft
Aus
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