Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 685/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 4520/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 23. August 2013 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Zurücknahme eines Bewilligungsbescheids und die Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) nebst Versicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt EUR 8.642,63.
Der Kläger meldete sich - nach der vorliegenden Akte erstmals - am 09.06.2008 arbeitslos und beantragte Alg. Im Formantrag kreuzte er an, er übe keine Nebenbeschäftigung und kein Ehrenamt aus. Er bezog Alg mit einem Leistungssatz von täglich EUR 22,89 bzw. monatlich EUR 686,70 vom 01.07. bis zum 21.07.2008 (Bescheid vom 18.08.2008). Am 22.07.2008 nahm er eine neue Beschäftigung auf. Am 26.01.2009 meldete er sich erneut arbeitslos. In dem Formantrag machte er die gleichen Angaben. Er bezog (auf Grund Bescheids vom 18.03.2009) Alg in vorgenannter Höhe vom 05.02.2009 bis zur Erschöpfung seines Anspruchs am 15.11.2009, wobei er vom 26.08.2009 bis zum 01.09.2009 wegen einer Sperrzeit keine Leistungen erhielt.
Am 27.04.2009 ging bei dem Hauptzollamt S. ein anonymer telefonischer Hinweis einer Frau ein, wonach der Kläger Alg beziehe, aber seit Jahren einen Nebenerwerb als Musiker ausübe, vor allem auf Hochzeiten und Verlobungsfeiern; er sei fast jedes Wochenende im Einsatz, darunter in bestimmten Bars; ferner verfüge er über eine größere Summe Geldes in Z ... Die Anruferin nannte auch einen Nicknamen, den der Kläger im Internet verwende. Am selben Tag führte das Hauptzollamt eine Recherche in der Datenbank "D." durch und ermittelte hierbei über das Bundesministerium der Finanzen in dem internen Leistungsberechnungs- und Informationssystem der Beklagten (C.), dass der Kläger Alg bezog. Ebenfalls am 27.04.2009 ergab eine Internet-Recherche mit dem angegebenen Nicknamen mehrere Fotos von Auftritten von Musikern in Bars sowie ein Werbeplakat für einen solchen Auftritt. Am 30.04.2009 teilte die zuständige Gewerbeaufsichtsbehörde dem Hauptzollamt mit, dass auf den Namen des Klägers kein Gewerbe angemeldet sei. Mit Telefax vom 30.04.2009 informierte das Hauptzollamt die Beklagte über das laufende Ermittlungsverfahren. Die Beklagte übermittelte weitere Informationen über den Leistungsbezug. Unter dem 29.05.2009 teilte das Hauptzollamt dann jedoch mit, es sei für das Ermittlungsverfahren nicht zuständig, da eine selbstständige Tätigkeit in Rede stehe; die Beklagte müsse ggfs. selbst die Staatsanwaltschaft einschalten.
Am 27.11.2009 hörte die Beklagte den Kläger zu einer Zurücknahme der Bewilligungsbescheide und einer Erstattung des bezogenen Alg von EUR 6.706,77 (netto) an. Eine Stellungnahme erfolgte nicht. Mit Bescheid vom 11.02.2010 nahm die Beklagte "die Entscheidung über die Bewilligung von Alg ( ) ab dem 01.07.2008 ganz zurück" und forderte den Kläger zur Rückzahlung des bezogenen Alg in genannter Höhe sowie zur Ersetzung der Beiträge zur Kranken- (EUR 1.716,15) und zur Pflegeversicherung (EUR 219,71) auf. Sie führte aus, der Kläger sei wegen einer mehr als geringfügig ausgeübten selbstständigen Tätigkeit nicht arbeitslos gewesen, dies habe er in den Anträgen zumindest grob fahrlässig falsch angegeben.
Der Kläger erhob am 24.02.2010 Widerspruch. Er trug vor, er habe sämtliche Leistungen verbraucht und sei daher schutzwürdig.
Die Beklagte erstattete unter dem 15.04.2009 Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft (StA) leitete ein neues Ermittlungsverfahren ein. Bei einer Durchsuchung der Wohnräume des Klägers am 24.08.2009 wurden u.a. auszugsweise Kontoauszüge beschlagnahmt. Darauf fanden sich eine Abhebung (Umbuchung) von EUR 16.292,79 am 14.09.2009, Zahlungseingänge (Überweisungen aus der Türkei) über brutto EUR 5.000,00 am 22.01.2010 und EUR 5.025,00 am 25.05.2010, ein Scheckeinzug über EUR 1.240,20 am 27.01.2010 und eine Bareinzahlung über EUR 1.300,00 am 17.05.2010. Die Sparkasse H. übermittelte unter dem 07.09.2010 eine vollständige Übersicht der Kontobewegungen des Jahres 2009. Hieraus ergaben sich weitere Bareinzahlungen von EUR 3.500,00 am 21.04.2009, EUR 300,00 am 28.04.2009, EUR 400,00 am 08.06.2009, weitere Überweisungen aus der Türkei über EUR 4.622,00 am 21.07.2009 und EUR 7.070,00 am 06.11.2009 sowie die Auszahlung eines Darlehens derselben Sparkasse von EUR 28.028,00 am 07.08.2009. Zum zeitlichen Umfang der angeblichen Nebentätigkeit ergaben sich keine Erkenntnisse (Schreiben der StA vom 13.01.2011).
Gegen den Kläger wurde am 24.08.2010 ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung zum Nachteil seiner früheren Freundin, der späteren Zeugin S., eingeleitet.
Nachdem der Kläger bereits Ende 2010 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben hatte (S 9 AL 4088/10), die er später wieder zurücknahm, wies die Beklagte seinen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31.01.2011 zurück. Sie führte ergänzend aus, nach gegenwärtigem Kenntnisstand sei von einer Tätigkeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich auszugehen.
In der Sache hat der Kläger am 01.03.2011 Klage zum SG erhoben (S 7 AL 685/11). Er hat bestritten, selbstständig als Musiker tätig gewesen zu sein. Er habe immer zutreffende Angaben gemacht. Unter Verweis auf seine Beweisanträge in dem laufenden Strafverfahren hat er angegeben, die Gelder aus der Türkei seien keine Erlöse aus Auftritten, sondern mit ihnen habe er einen Kredit bei der Sparkasse H. getilgt.
Nachdem die StA die beiden Ermittlungsverfahren verbunden hatte, erließ auf ihren Antrag hin das Amtsgericht B. (AG) den Strafbefehl vom 30.06.2011 (Geldstrafen von 90 Tagessätzen für einen Betrug durch den - auf die Zeit vom 01.04. bis 30.11.2009 beschränkten - Alg-Bezug sowie von 60 Tagessätzen für die Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung; Gesamtgeldstrafe 120 Tagessätze zu je EUR 10,00 ). Auf den Einspruch des Klägers hin führte das AG die Hauptverhandlung vom 13.10.2011 durch. Der Kläger hat dort unter anderem angegeben: Er spiele ein türkisches Zupfinstrument, es sei eine lose Gruppe mit monatlich etwa zwei bis drei verschiedenen Engagements, evtl. erhalte diese Gruppe als Trinkgeld EUR 50,00 bis EUR 70,00, manchmal auch EUR 80,00 bis EUR 100,00, die zu viert geteilt würden. Er habe etwa EUR 22.000,00 Schulden; er habe dieses Geld in der Türkei gut anlegen wollen, aber dies sei nicht so gewesen, er habe 30 % Schaden (erlitten) und sich das Geld daher - mit Hilfe seines Cousins, der Vollmacht gehabt habe - zurücküberweisen lassen; den Kredit von 2009 tilge er weiterhin mit EUR 500,00 monatlich. Die anonyme Anzeige beim Hauptzollamt müsse von seiner geschiedenen Ehefrau stammen. Die Zeugin S. hat vor dem AG zu dem vorgeworfenen Betrug zum Nachteil der Beklagten bekundet, sie sei vier bis fünf Jahre mit dem Kläger zusammen gewesen, dieser habe jedes Wochenende ein Engagement auf Hochzeiten oder in türkischen Bars, bei den Hochzeiten werde bis 00.00 Uhr gespielt, in den Bars bis morgens um 04.00 oder 05.00 Uhr. Es träten meistens zwei bis drei Personen auf, die dann EUR 1.500,00 zusammen bekämen, davon erhalte der Kläger EUR 800,00. Dies sei auch an Feiertagen so gewesen, werktags gebe es nichts. Der Kläger sei in jener Zeit arbeitslos gewesen. Im Anschluss an die dortige Beweisaufnahme nahm der Kläger den Einspruch gegen den Strafbefehl zurück.
Mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 23.08.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe die Bewilligungen des Alg zu Recht mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Sie seien von Anfang an rechtswidrig gewesen. Der Kläger könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, da er zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht habe. Er sei nicht arbeitslos gewesen. Entgegen seinen Angaben habe er als selbstständiger Musiker eine Nebentätigkeit über mehr als 15 Stunden wöchentlich ausgeübt. Als Basis für diese Überzeugung diene die Aussage der Zeugin S. in dem Strafverfahren. Diese decke sich mit den Plakaten und Fotos von den Auftritten des Klägers im Internet. Die Bilder seien sehr professionell gestaltet und sprächen stark gegen eine nur hobbymäßige Tätigkeit. Weiterhin decke sich die Aussage mit den hohen Bareinzahlungen auf dem Konto des Klägers, die er nicht plausibel erklärt habe. Letztlich werde dieses durch die Aussage des Klägers im Strafverfahren selbst gestützt. Er habe dort zugegeben, beinahe jedes Wochenende als Musiker aktiv zu sein und seit seinem 16. Lebensjahr aufzutreten. Die Angaben der Zeugin S. zu den Zeiten der Auftritte bewiesen auch, dass der Kläger mehr als 15 Stunden wöchentlich tätig sei. Zudem seien bei Musikern auch Vor- und Nacharbeiten erforderlich, hierzu zähle der Auf- und Abbau auf der Bühne. Selbst wenn man eine 15-stündige Dauer nicht als erwiesen ansähe, so das SG abschließend, ginge dies zu Lasten des Klägers, da man von einer Beweislastumkehr ausgehen müsse, weil es um Vorgänge aus seiner Sphäre gehe, die er bei Antragstellung vollständig verschwiegen habe und die nicht aufgeklärt werden könnten.
Gegen dieses Urteil, das seinem Prozessbevollmächtigten am 24.09.2013 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 17.10.2013 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Das SG habe sich allein auf die Aussagen der Zeugin S. im Strafverfahren gestützt. Es sei aber notwendig gewesen, die Zeugin persönlich zu vernehmen. Sie sie nicht glaubwürdig, denn sie habe einen tiefen Hass auf den Kläger. Auch seien ihre Angaben nicht glaubhaft. Es handle sich nicht um eine professionelle Band, sondern eine Freizeitgruppe. Die genannten angeblichen Bezahlungen seien viel zu hoch; kein Lokal könne sich für einen Auftritt solche Kosten leisten. Der Kläger und seine Freunde suchten vielmehr ohne längere Vorabsprache eine Bar auf und fragten, ob sie spielen dürften. Sie erhielten dafür in der Regel allenfalls etwas zu essen oder ein freies Getränk. Die Herkunft der Gelder auf seinem Konto habe der Kläger sehr wohl erklärt. Ferner, so der Kläger abschließend, sei der Zurücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten zu unbestimmt und außerhalb der maßgeblichen Fristen ergangen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 23. August 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Januar 2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, der Kläger habe in jedem Falle in den Anträgen falsche Angaben gemacht. Hinsichtlich der Aufschlüsselung der Rückforderung verweist sie auf eine Aufstellung vom 23.11.2009.
Der Berichterstatter des Senats hat den Kläger zunächst persönlich angehört. Dieser hat bestätigt, dass er auf allen Fotos, die das Hauptzollamt im Internet recherchiert habe, zu sehen sei. Zur Sache hat er unter anderem angegeben, die Auftritte hätten eher samstags abends stattgefunden. Seine Freunde und er brächten ihre Instrumente mit. Die Auftritte begännen gegen 22.00 Uhr und dauerten, gelegentlich im Wechsel mit anderen Künstlern oder einem DJ, bis ein oder zwei Uhr nachts. Danach habe man vielleicht noch etwas gegessen oder getrunken. Der Kläger hat sodann Angaben zu den Lokalen gemacht, in denen er üblicherweise aufgetreten sei, und die Inhaber benannt. Zu den Überweisungen aus der Türkei hat der Kläger weitere Angaben gemacht. Auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 16.12.2013 wird verwiesen.
Sodann hat der Berichterstatter des Senats - auf Anregung des Klägers - seinen früheren Mitmusiker/Bandkollegen Bu. und die drei Inhaber von Bars, in denen der Kläger aufgetreten war, Ib., Ka. und Te., als Zeugen vernommen. Alle vier Zeugen haben im Wesentlichen die Angaben des Klägers bestätigt, es handle sich um eine Freizeitband, die unangekündigt in einer Bar vorbeischaue und frage, ob sie auftreten dürfe; auch mache sie z.B. an einzelnen Tischen Musik und wandere hierbei durch den Lokalbereich; die Auftritte dienten auch der Werbung, etwa für Hochzeiten; die Gäste gäben den Musikern dafür gelegentlich Trinkgelder, auch würden sie gelegentlich von den Inhabern der Bars eingeladen. Die Zahlung von Honoraren über ein Trinkgeld hinaus haben alle vier Zeugen vehement in Abrede gestellt, solche Kosten wie hier genannt könne keines der Lokale tragen. Wegen der Aussagen im Einzelnen nimmt der Senat Bezug auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 19.03.2014.
Auf Anregung der Beklagten hat sodann der Senat die Zeuginnen P. und S. uneidlich vernommen. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 26.11.2014 verwiesen.
Im Übrigen wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen. Der Senat hat ferner die Akte des Strafverfahrens gegen den Kläger (StA Stuttgart, 105 Js 34659/10) zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung des Klägers ist statthaft (§ 143 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere frist- und formgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben.
2. Sie ist aber nicht begründet. Das SG hat die isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGG) des Klägers zu Recht abgewiesen. Der Zurücknahme- und Erstattungs- (und Ersetzungs-) bescheid der Beklagten vom 11.02.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SGG).
a) Die Beklagte war befugt, die Bewilligung von Alg für beide Bezugszeiträume nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zurückzunehmen.
aa) Die Bewilligungsentscheidungen der Beklagten waren von Anfang an rechtswidrig im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger während beider Bezugszeiträume nicht beschäftigungslos im Sinne von § 119 Abs. 3 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden und daher hier noch anwendbaren Fassung (a.F., vgl. nunmehr § 138 SGB III n.F.) und daher nicht arbeitslos war (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III a.F.), sodass nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III a.F. kein Anspruch auf Alg bestand:
(1) Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger in diesen Zeiträumen als Musiker "selbstständig tätig" im Sinne von § 119 Abs. 3 SGB III a.F. war:
(a) Eine selbstständige Tätigkeit wird im Bereich der Arbeitsförderung als eine planmäßig angegangene, unmittelbar auf berufsmäßigen Erwerb gerichtete und der Gewinnerzielung dienende Handlung mit Außenwirkung verstanden (vgl. zum Gründungszuschuss bzw. zum früheren Überbrückungsgeld BSG, Urt. v. 01.06.2006, B 7a AL 34/05 R, Juris Rn. 11; LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 18.11.2013, L 18 AL 295/12, Juris Rn. 16). Abzugrenzen ist eine solche Tätigkeit im hiesigen Falle - da z.B. eine (unentgeltlich erbrachte) familienhafte Mitarbeit nach § 119 Abs. 3 Satz 1 SGB III a.F. nicht in Rede steht - von einem Hobby bzw. einer Liebhaberei (BSG, Urt. v. 25.02.1997, 12 RK 33/96, Juris Rn. 14; Bayerisches LSG, Beschl. v. 23.02.2012, L 9 AL 149/11, Juris Rn. 44). Eine nur hobbymäßige Tätigkeit ist für den Anspruch auf Alg unschädlich, wie sich aus dem Rechtsgedanken des für ehrenamtliche Tätigkeiten geltenden § 119 Abs. 2 SGB III a.F. ergibt. Die Abgrenzung zwischen beiden Tätigkeiten muss im Einzelfall nach dem Gesamtgepräge erfolgen. Hierbei ist - ebenso wie im Steuerrecht - die Gewinnerzielungsabsicht ein wichtiges Kriterium (vgl. z.B. § 1 Abs. 7 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte [ALG]; dazu BSG, Urt. v. 25.02.2010, B 10 LW 2/09 R, Juris Rn. 27). Dieses Merkmal gibt jedoch nicht automatisch den Ausschlag (zweifelnd an diesem Kriterium insgesamt BSG, Urt. v. 25.05.2011, B 12 R 13/09 R, Juris Rn. 14 f.). Auch die anderen Merkmale der Tätigkeit, insbesondere ihr planmäßiges Angebot gegenüber verschiedenen möglichen Auftraggebern, kann eine selbstständige Tätigkeit in diesem Sinne ergeben. Die Gewinnerzielungsabsicht kann dabei auch eingeschränkt sein. So kann sie sich nur auf steuerfreie Einkünfte richten (BSG, a.a.O., Rn. 14). Ebenso reicht es aus, wenn als Gegenleistung lediglich Naturalien erwartet werden und ihre Gewährung möglich erscheint (vgl. VG Regensburg, Gerichtsbescheid v. 13.07.2000, RO 2 K 00.1182, Juris Rn. 18 m.w.N.). Auch die Bezahlung durch Dritte, die nicht selbst Auftraggeber bzw. Besteller der Tätigkeit sind, etwa in Form von Trinkgeldern, reicht insoweit aus. Ob im Einzelfall tatsächlich ein Gewinn erzielt wird, ist dabei unerheblich.
(b) Eine solche Tätigkeit hat der Kläger ausgeübt, während er Alg bezog. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat überzeugt, dass er - auch im Streitzeitraum - regelmäßig und planmäßig seine Musikleistungen innerhalb einer Band verschiedenen Auftraggebern, vor allem Bars und Hochzeitsveranstaltern, angeboten und hierfür Gegenleistungen erhalten hat, die z.B. über reinen Aufwendungsersatz für die Anfahrt oder dgl. hinausgingen. Diese Überzeugung (vgl. insoweit § 128 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGG) gründet sich auf folgende Erwägungen:
Bereits seine eigenen Angaben deuten in diese Richtung. Zwar hat der Kläger im späteren Verlauf der Verfahren, etwa bei seiner Anhörung vor dem Berichterstatter des Senats am 16.12.2013, angegeben, seine Freunde und er seien gelegentlich - im Prinzip nur samstags abends - in die eine oder andere Bar gegangen und hätten den Inhabern ad hoc angeboten, Musik zu machen bzw. gebeten, auftreten zu dürfen. Professionell geplante und angekündigte bzw. beworbene Auftritte habe es nicht gegeben. Als Entgelt habe es allenfalls ein freies Getränk oder etwas kostenlos zu essen gegeben, allenfalls gelegentlich ein Trinkgeld. Diesen Angaben kann der Senat jedoch nicht folgen. Sie widersprechen den - zeitnäheren - Einlassungen des Klägers in der Einspruchsverhandlung vor dem AG B ... Dort hatte er noch von "Engagements" gesprochen, zwar nur von zweien bis dreien im Monat, aber dafür von Entgelten (in Form von Trinkgeldern) von bis zu EUR 100,00 pro Auftritt.
Ebenso berücksichtigt der Senat die Fotos von Auftritten und von Werbeplakaten für Auftritte, die das Hauptzollamt im Internet recherchiert hat. Dort waren auf den Homepages mehrerer der Bars, in denen der Kläger - auch nach seinen eigenen Aussagen und den Aussagen der vier Barbetreiber als Zeugen am 19.03.2014 - regelmäßig bzw. häufiger aufgetreten war, Fotos dieser Auftritte eingestellt worden. Hinzu kam das Werbeplakat für einen Auftritt der Band des Klägers im Sky-Palast am 13.12.2008 (vgl. Bl. 60 Verwaltungsakte). Diese Spuren im Internet zeigen, dass durchaus echte "Engagements" bestanden. Es sind jeweils Musikergruppen, darunter - von ihm anerkannt - jeweils der Kläger, zu sehen, die auf kleinen Bühnen in Konzertart auftreten und dabei mehrere, auch größere Instrumente dabei haben und spielen. Nicht ersichtlich ist, dass der Kläger - ggfs. allein - zwischen den Tischen in den Bars oder Restaurants herumgegangen ist und nur direkt für einzelne Gäste gespielt hätte. Die Spuren im Internet deuten ebenso auf geplante Auftritte hin.
Bereits die Vernehmung der Zeugin P., der früheren Ehefrau des Klägers, bestätigt diese Einschätzung durch den Senat. Diese Zeugin hat angegeben, der Kläger sei bereits während der Ehezeit (ab 2002 bis 2006/2007) an Abenden vor Feiertagen und Wochenenden mit seinem Musikinstrument sowie Ersatzbekleidung (schwarze Hose und zwei weiße Hemden) weggegangen. Er habe ihr durchaus mitgeteilt, er gehe auf Hochzeiten oder in Bars. Sie - die Zeugin - habe er allerdings nie mitgenommen, auch habe der Kläger während der Abwesenheiten sein Mobiltelefon abgeschaltet. Der Kläger habe jeweils Geld mitgebracht und dieses in der Wohnung, z.B. unter dem Teppich, versteckt, hierbei habe es sich um 50- oder 100-EUR-Scheine gehandelt. Der Kläger habe auch unter der Woche in der Wohnung Musik gespielt bzw. geübt, währenddessen hätten sie - die Zeugin - und ihre Kinder die Wohnung verlassen müssen. Diese Angaben lassen den Schluss zu, dass der Kläger schon während seiner Ehezeit regelmäßig Musikauftritte hatte. Die Aussagen erscheinen auch glaubhaft und der Senat stuft die Zeugin als glaubwürdig ein. Die Zeugin hat flüssig geantwortet und sich an einzelne Details erinnert, z.B. die Farbe der fraglichen Geldscheine. Es war zwar nicht zu verkennen, dass die Zeugin dem Kläger nicht wohlgesinnt ist, auch hat sie durchaus Belastungstendenzen gezeigt, z.B. durch ihre mehrfachen Hinweise auf die erlittenen Körperverletzungen, die Scheidung und die bis heute andauernden Konflikte wegen des Unterhalts und des Sorgerechts für die Kinder. Aber der Senat geht nicht davon aus, dass die Zeugin durch Lügen dem Kläger schaden wollte. Der Hintergrund des Verfahrens mit der Beklagten, also die Rückforderung von Leistungen, war ihr nicht bekannt. Auch kann es nicht ihr Interesse sein, dass der Kläger finanzielle Einbußen erleidet, weil dies seine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit schmälern würde.
Noch deutlicher, vor allem für den hier streitigen Zeitraum, ergibt sich aus der Aussage der Zeugin S., dass der Kläger selbstständig tätig war. Diese Zeugin hat bekundet, sie habe den Kläger in einer der fraglichen Bars kennengelernt, sei mehrere Jahre seine Freundin gewesen und habe ihn auf seinen Auftritten auf Verlobungsfeiern, Hochzeiten und in Bars begleitet. Die Auftritte seien vor Feiertagen und an Wochenenden gewesen. Sie habe auch mitbekommen, wie der Kläger telefonisch Auftritte und das fragliche Honorar abgesprochen habe, dabei habe sie Beträge von EUR 300,00 oder EUR 350,00 gehört. Zwar hat die Zeugin nicht gesehen, ob Barbetreiber oder Gäste den Kläger und seine Musikgruppe entlohnt hätten, aber sie habe den Kläger nach solchen Auftritten Geld zählen sehen. Ihre Schlussfolgerung hieraus, er sei bezahlt worden, ist offenkundig richtig. Auch dieser Aussage kann der Senat folgen. Zwar war auch hier eine Belastungstendenz nicht zu übersehen, die in den behaupteten Körperverletzungen des Klägers an der Zeugin gründen mag. Aber die Zeugin hat sich auch selbst belastet, indem sie auf Nachfrage des Senats eingeräumt hat, sie sei die anonyme Anruferin beim Hauptzollamt gewesen. Ihre Aussage war durchaus auch in Details genau, auch bei unerwarteten Nachfragen. So hat sie die Uhrzeiten der Auftritte wiedergeben können (Hochzeiten etwa 17.00 bis 24.00 Uhr, in den Bars ab 22.00 bis 04.00 oder 05.00 Uhr). Ihre jetzige Aussage war auch gegenüber jener vor dem AG B. konsistent. Eine der Angaben, die sie dort gemacht hatte, dass nämlich der Kläger an einem Wochenende EUR 1.500,00 verdient habe, hat sie nunmehr konkretisiert und damit nachvollziehbar gemacht, indem sie angegeben hat, es habe sich um den Gesamtlohn für bis zu drei Auftritte an einem Wochenende gehandelt. Dass der Kläger so viele Auftritte an einem Wochenende hatte, ergab sich auch schon aus den Angaben der Zeugin P.
Die jetzigen Angaben des Klägers, er sei nicht berufsmäßig, sondern nur im Rahmen eines Hobbys aufgetreten, werden letztlich auch nicht durch die Angaben der weiteren, am 19.03.2014 vernommenen Zeugen bestätigt. Diese haben zwar im Wesentlichen eine Freizeitband geschildert, die aus eigenem Antrieb und ohne vorherige Buchung durch den Barbetreiber auftauche und auftrete bzw. an den Tischen im Restaurantbereich spiele. Sie haben aber auch darauf hingewiesen, dass es kostenfreies Trinken und Essen und Trinkgelder der Gäste gebe. Auch die weiteren Angaben, vor allem des Zeugen Ib., dass der Kläger und seine Band auch zu Werbezwecken aufgetreten seien, um etwa ein Engagement für eine Hochzeitsfeier zu erhalten, hat der Kläger letztlich nicht in Abrede gestellt. Der Zeuge B. hat dies für seine eigene Hochzeit bestätigt. Bereits dies würde ausreichen, um eine selbstständige Tätigkeit anzunehmen. Darüber hinaus kann der Senat den Angaben der Zeugen auch nicht folgen, soweit sie nur eine Freizeitband schildern. Die Fotos und das Werbeplakat für einen der fraglichen Auftritte in einem der Clubs widersprechen den Angaben. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Zeugen ein eigenes Interesse daran hatten, die Auftritte des Klägers als Hobby darzustellen, weil nämlich möglicherweise die Honorare und eventuell auch die diesen gegenüberstehenden Einnahmen nicht verbucht worden sind. In diesem Zusammenhang hat der Zeuge T. bekundet, sein Lokal sei einmal - wohl von einem Rentenversicherungsträger - überprüft worden, seitdem lasse er Musiker wie den Kläger unterschreiben, dass sie - von ihm - kein Honorar erhielten.
Aus all diesen Umständen schließt der Senat, dass die Auftritte des Klägers in ihrer Regelmäßigkeit und wegen der durchaus vorhandenen Möglichkeit, etwas mit ihnen zu verdienen, über ein reines Hobby hinausgingen.
Ob und in welcher Höhe die selbstständige Tätigkeit (tatsächlich) bezahlt wird, ist für § 119 Abs. 3 SGB III a.F. irrelevant, wie ausgeführt, reicht die Absicht, ggfs. auch geringe Gewinne zu erzielen, aus. Die Einnahmen von vielleicht EUR 300,00 pro Auftritt, die sich aus den Angaben der Zeuginnen P. und S. ergeben, deuten aber auf auch tatsächliche Gewinne hin. In diesem Zusammenhang berücksichtigt der Senat auch die Kontobewegungen des Klägers. Zumindest einige der Bareinzahlungen über einige Hundert Euro oder vierstellige Euro-Beträge passen zu der angenommenen Höhe der Erlöse für einen Auftritt bzw. für mehrere Auftritte während eines Wochenendes. Diese Bareinzahlungen und die eine Scheckeinreichung hat der Kläger, auch bei seiner Anhörung vor dem Berichterstatter des Senats, nicht nachvollziehbar erklärt. Dagegen lassen sich die Überweisungen aus der Türkei nicht als Auftrittshonorare auffassen. Allein dass sie aus dem Ausland kamen, spricht dagegen. Sie waren auch viel zu hoch, um ernsthaft ein Honorar für einen Auftritt oder für mehrere gewesen zu sein. Letztlich hat der Kläger für diese Beträge auch eine zumindest schlüssige Erklärung geliefert, die auch durch die Auszahlung einer Darlehensvaluta durch die Sparkasse H. teilweise betätigt wird.
(2) Der Senat muss auch davon ausgehen, dass diese selbstständige Tätigkeit die maßgebliche Grenze von 15 Stunden je Woche nach § 119 Abs. 3 SGB III a.F. erreichte und sogar überschritt.
(a) In rechtlicher Hinsicht vorwegzuschicken ist, dass zu den relevanten 15 Stunden auch die erforderlichen Vor- und Nacharbeiten des Versicherten gehören (Brand, SGB III, 6. Aufl. 2012, § 138 Rn. 34). Dies gilt insbesondere für Künstler (z.B. Orchestermitglieder, vgl. Brand, a.a.O., Rn. 35). Umfasst sind nicht nur Übungen am Instrument und die Einwerbung von Engagements, sondern auch der Weg zur Stätte des Engagements selbst und der Auf- und Abbau der Instrumente. Die etwaige Verköstigung in den Bars oder auf den Hochzeiten nach den Auftritten zählt dagegen nicht zur Arbeitszeit, wohl aber kürzere Pausen als Rüstzeiten zwischen Auftritten innerhalb desselben Engagements.
(b) Es spricht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme Vieles dafür, dass der Kläger diese zeitliche Grenze an allen Wochen tatsächlich erreicht hat. Wenn er von Freitag bis Sonntag Nachmittag unterwegs war und hierbei zwei oder drei Auftritte in den zeitlichen Umfängen hatte, wie sie insbesondere die Zeuginnen P. und S. geschildert haben, waren die relevanten 15 Stunden zumindest unter Einbeziehung der Fahrt- und Aufbauzeiten erreicht.
(c) Aber der Senat muss sich nicht positiv zu der Feststellung durchringen, die selbstständige Tätigkeit habe 15 Stunden oder mehr je Woche umfasst. Auch wenn dieser Punkt als unaufklärbar eingestuft wird so ist die Klage aus Gründen der materiellen Beweislast unbegründet:
Sofern sich nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnenden Überzeugung entscheidungserhebliche Tatsachen nicht feststellen lassen, kommt es auf die objektive Beweislast an, die im Rahmen des § 45 SGB X grundsätzlich die Behörde, die den angefochtenen Rücknahmebescheid erlassen hat, trägt, soweit es um die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bewilligungsbescheide geht (BSG, Urt. v. 28.08.2007, B 7/7a AL 10/06 R, Juris Rn. 17 m.w.N.). Jedoch greift eine Beweislastumkehr zu Lasten des Leistungsempfängers bzw. Arbeitslosen ein, wenn Umstände unaufklärbar bleiben, die - allein - in seiner Sphäre wurzeln (BSG, a.a.O.). Hierzu gehört auch der Umfang einer an sich unstreitigen Nebentätigkeit neben dem Bezug von Alg (oder Arbeitslosenhilfe alten Rechts), wenn der Arbeitslose diese Tätigkeit insgesamt nicht mitgeteilt hat (vgl. BSG, Urt. v. 02.09.2004, B 7 AL 88/03 R, Juris Rn. 24 ff.). Hierdurch hat der Arbeitslose nicht nur seine Mitteilungsobliegenheiten (§§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB I]) verletzt, sondern auch der Beklagten eine Prüfung, ob die Tätigkeit einer Leistungsgewährung entgegensteht, unmöglich gemacht. Es ist gerechtfertigt, in einem solchen Fall die Grundsätze der Beweisvereitelung heranzuziehen, die als Rechtsgedanke der Zivilprozessordnung (vgl. §§ 371 Abs. 3, 444 ZPO) nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar sind (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 22). Der Beklagten ist es in solchen Fällen unmöglich, den an sich ihr obliegenden Beweis zu führen, während es dem Betroffenen leicht möglich ist bzw. gewesen wäre, den Umfang einer solchen Tätigkeit, z. B. durch Stundenaufschriebe oder andere Unterlagen, beweiskräftig festzuhalten.
Der Kläger hatte in beiden relevanten Alg-Anträgen die Frage nach einer Nebentätigkeit verneint. Auch danach hat er sie nie mitgeteilt. Der Beklagten war eine Überprüfung, ggfs. vor Erlass der Bewilligungsbescheide, daher nicht möglich. Daher liegt die Beweislast bei ihm.
Den demnach nötigen Gegenbeweis, dass die fragliche Tätigkeit regelmäßig weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst hat, hat der Kläger nicht geführt.
bb) Der Kläger hatte auch im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X falsche Angaben gemacht. Der Senat lässt es hierbei offen, ob er seine Tätigkeit als Musiker mit Vorsatz verschwiegen hat. Vorsatz ist allenfalls für die strafrechtliche Beurteilung relevant. Für die Rücknahme des Bewilligungsbescheids reicht grobe Fahrlässigkeit aus. Dass der Kläger jedenfalls grob fahrlässig gehandelt hat, davon ist der Senat überzeugt. Er hat diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen, die in der konkreten Situation jedem in vergleichbarer Lage (also jedem Antragsteller) eingeleuchtet hätte. Die Frage nach der Nebentätigkeit (Nr. 2b des Antragsformulars) war so zu verstehen, dass auch die beschriebene Arbeit als Musiker abends anzugeben war. Dass nicht nur entgeltliche Tätigkeiten gemeint waren, ergibt sich aus dem dort vorhandenen Hinweis auf ehrenamtliche Arbeiten. Weitere konkrete Erläuterungen, welche Nebentätigkeiten anzugeben waren (nämlich alle), enthielt das Merkblatt Nr. 1 für Arbeitslose, das der Kläger jeweils bei Antragstellung erhalten hatte, was er unterschriftlich bestätigt hat (S. 13 f., 58 der Fassung März 2009). Diese Hinweise musste der Kläger lesen und beachten. Sollte ihm gleichwohl unklar gewesen sein, ob seine Tätigkeit als Musiker anzugeben war, hätte er nachfragen müssen oder aber nach dem weiteren Faltblatt "Wissenswertes zum Thema Nebeneinkommen" fragen müssen, auf das das Antragsformular gerade bei der Frage nach Nebentätigkeiten hinwies.
cc) Die relevanten Fristen sind eingehalten, sowohl die Frist von zehn Jahren ab Bekanntgabe der zurückgenommenen Entscheidung (§ 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X) als auch die Jahresfrist ab Kenntnis der Beklagten von den für die Rücknahme relevanten Umständen (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X); diese Kenntnis hatte die Beklagte erst nach fruchtlosem Ablauf der Anhörungsfrist am 14.12.2009, frühestens aber nach Eingang des Telefaxes des Hauptzollamts am 30.04.2009; der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid datiert vom 11.02.2010.
dd) Ermessen musste die Beklagte nach der Sonderregelung in § 330 Abs. 2 SGB III nicht ausüben.
ee) Auf eine Entreicherung des Klägers (vgl. § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X) kommt es wegen der mindestens grob fahrlässig falschen Angaben (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) nicht an.
ee) Der Aufhebungsbescheid ist ausreichend bestimmt im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X. Bei einer vollständigen Zurücknahme eines Bewilligungsbescheids reicht es aus, wenn der gesamte von der Rücknahme betroffene Zeitraum genannt ist. Die Höhe der daraus folgenden Überzahlung lässt sich dann ohne Weiteres aus einem Vergleich mit den Bewilligungsbescheiden bzw. den Zahlungsnachweisen ermitteln.
b) Die Forderung auf Rückzahlung des - richtig berechneten - Alg gründet sich nach der Rücknahme des Bewilligungsbescheids auf § 50 Abs. 1 SGB X.
c) Zur Ersetzung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, die die Beklagte im Bezugszeitraum an die Kranken- und Pflegekasse abgeführt hat, ist der Kläger nach § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III verpflichtet. Während des Alg-Bezugs war der Kläger nicht im Sinne von Satz 2 dieser Norm auch aus anderen Gründen kranken- und pflegeversichert. Nach allgemeinem Krankenversicherungsrecht war der Kläger nicht versicherungspflichtig, da er - nebenberuflich - selbstständig tätig war. Es mag zwar eine Pflichtversicherung nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz bestanden haben, aber dort hatte sich der Kläger nicht angemeldet und auch keine Beiträge entrichtet, sodass § 335 Abs. 1 Satz 2 SGB III nicht anwendbar ist (so Brand, a.a.O., § 335 Rn. 14; LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 12.02.2008, L 2 AL 65/07, Juris Rn. 31.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Zurücknahme eines Bewilligungsbescheids und die Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) nebst Versicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt EUR 8.642,63.
Der Kläger meldete sich - nach der vorliegenden Akte erstmals - am 09.06.2008 arbeitslos und beantragte Alg. Im Formantrag kreuzte er an, er übe keine Nebenbeschäftigung und kein Ehrenamt aus. Er bezog Alg mit einem Leistungssatz von täglich EUR 22,89 bzw. monatlich EUR 686,70 vom 01.07. bis zum 21.07.2008 (Bescheid vom 18.08.2008). Am 22.07.2008 nahm er eine neue Beschäftigung auf. Am 26.01.2009 meldete er sich erneut arbeitslos. In dem Formantrag machte er die gleichen Angaben. Er bezog (auf Grund Bescheids vom 18.03.2009) Alg in vorgenannter Höhe vom 05.02.2009 bis zur Erschöpfung seines Anspruchs am 15.11.2009, wobei er vom 26.08.2009 bis zum 01.09.2009 wegen einer Sperrzeit keine Leistungen erhielt.
Am 27.04.2009 ging bei dem Hauptzollamt S. ein anonymer telefonischer Hinweis einer Frau ein, wonach der Kläger Alg beziehe, aber seit Jahren einen Nebenerwerb als Musiker ausübe, vor allem auf Hochzeiten und Verlobungsfeiern; er sei fast jedes Wochenende im Einsatz, darunter in bestimmten Bars; ferner verfüge er über eine größere Summe Geldes in Z ... Die Anruferin nannte auch einen Nicknamen, den der Kläger im Internet verwende. Am selben Tag führte das Hauptzollamt eine Recherche in der Datenbank "D." durch und ermittelte hierbei über das Bundesministerium der Finanzen in dem internen Leistungsberechnungs- und Informationssystem der Beklagten (C.), dass der Kläger Alg bezog. Ebenfalls am 27.04.2009 ergab eine Internet-Recherche mit dem angegebenen Nicknamen mehrere Fotos von Auftritten von Musikern in Bars sowie ein Werbeplakat für einen solchen Auftritt. Am 30.04.2009 teilte die zuständige Gewerbeaufsichtsbehörde dem Hauptzollamt mit, dass auf den Namen des Klägers kein Gewerbe angemeldet sei. Mit Telefax vom 30.04.2009 informierte das Hauptzollamt die Beklagte über das laufende Ermittlungsverfahren. Die Beklagte übermittelte weitere Informationen über den Leistungsbezug. Unter dem 29.05.2009 teilte das Hauptzollamt dann jedoch mit, es sei für das Ermittlungsverfahren nicht zuständig, da eine selbstständige Tätigkeit in Rede stehe; die Beklagte müsse ggfs. selbst die Staatsanwaltschaft einschalten.
Am 27.11.2009 hörte die Beklagte den Kläger zu einer Zurücknahme der Bewilligungsbescheide und einer Erstattung des bezogenen Alg von EUR 6.706,77 (netto) an. Eine Stellungnahme erfolgte nicht. Mit Bescheid vom 11.02.2010 nahm die Beklagte "die Entscheidung über die Bewilligung von Alg ( ) ab dem 01.07.2008 ganz zurück" und forderte den Kläger zur Rückzahlung des bezogenen Alg in genannter Höhe sowie zur Ersetzung der Beiträge zur Kranken- (EUR 1.716,15) und zur Pflegeversicherung (EUR 219,71) auf. Sie führte aus, der Kläger sei wegen einer mehr als geringfügig ausgeübten selbstständigen Tätigkeit nicht arbeitslos gewesen, dies habe er in den Anträgen zumindest grob fahrlässig falsch angegeben.
Der Kläger erhob am 24.02.2010 Widerspruch. Er trug vor, er habe sämtliche Leistungen verbraucht und sei daher schutzwürdig.
Die Beklagte erstattete unter dem 15.04.2009 Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft (StA) leitete ein neues Ermittlungsverfahren ein. Bei einer Durchsuchung der Wohnräume des Klägers am 24.08.2009 wurden u.a. auszugsweise Kontoauszüge beschlagnahmt. Darauf fanden sich eine Abhebung (Umbuchung) von EUR 16.292,79 am 14.09.2009, Zahlungseingänge (Überweisungen aus der Türkei) über brutto EUR 5.000,00 am 22.01.2010 und EUR 5.025,00 am 25.05.2010, ein Scheckeinzug über EUR 1.240,20 am 27.01.2010 und eine Bareinzahlung über EUR 1.300,00 am 17.05.2010. Die Sparkasse H. übermittelte unter dem 07.09.2010 eine vollständige Übersicht der Kontobewegungen des Jahres 2009. Hieraus ergaben sich weitere Bareinzahlungen von EUR 3.500,00 am 21.04.2009, EUR 300,00 am 28.04.2009, EUR 400,00 am 08.06.2009, weitere Überweisungen aus der Türkei über EUR 4.622,00 am 21.07.2009 und EUR 7.070,00 am 06.11.2009 sowie die Auszahlung eines Darlehens derselben Sparkasse von EUR 28.028,00 am 07.08.2009. Zum zeitlichen Umfang der angeblichen Nebentätigkeit ergaben sich keine Erkenntnisse (Schreiben der StA vom 13.01.2011).
Gegen den Kläger wurde am 24.08.2010 ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung zum Nachteil seiner früheren Freundin, der späteren Zeugin S., eingeleitet.
Nachdem der Kläger bereits Ende 2010 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben hatte (S 9 AL 4088/10), die er später wieder zurücknahm, wies die Beklagte seinen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31.01.2011 zurück. Sie führte ergänzend aus, nach gegenwärtigem Kenntnisstand sei von einer Tätigkeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich auszugehen.
In der Sache hat der Kläger am 01.03.2011 Klage zum SG erhoben (S 7 AL 685/11). Er hat bestritten, selbstständig als Musiker tätig gewesen zu sein. Er habe immer zutreffende Angaben gemacht. Unter Verweis auf seine Beweisanträge in dem laufenden Strafverfahren hat er angegeben, die Gelder aus der Türkei seien keine Erlöse aus Auftritten, sondern mit ihnen habe er einen Kredit bei der Sparkasse H. getilgt.
Nachdem die StA die beiden Ermittlungsverfahren verbunden hatte, erließ auf ihren Antrag hin das Amtsgericht B. (AG) den Strafbefehl vom 30.06.2011 (Geldstrafen von 90 Tagessätzen für einen Betrug durch den - auf die Zeit vom 01.04. bis 30.11.2009 beschränkten - Alg-Bezug sowie von 60 Tagessätzen für die Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung; Gesamtgeldstrafe 120 Tagessätze zu je EUR 10,00 ). Auf den Einspruch des Klägers hin führte das AG die Hauptverhandlung vom 13.10.2011 durch. Der Kläger hat dort unter anderem angegeben: Er spiele ein türkisches Zupfinstrument, es sei eine lose Gruppe mit monatlich etwa zwei bis drei verschiedenen Engagements, evtl. erhalte diese Gruppe als Trinkgeld EUR 50,00 bis EUR 70,00, manchmal auch EUR 80,00 bis EUR 100,00, die zu viert geteilt würden. Er habe etwa EUR 22.000,00 Schulden; er habe dieses Geld in der Türkei gut anlegen wollen, aber dies sei nicht so gewesen, er habe 30 % Schaden (erlitten) und sich das Geld daher - mit Hilfe seines Cousins, der Vollmacht gehabt habe - zurücküberweisen lassen; den Kredit von 2009 tilge er weiterhin mit EUR 500,00 monatlich. Die anonyme Anzeige beim Hauptzollamt müsse von seiner geschiedenen Ehefrau stammen. Die Zeugin S. hat vor dem AG zu dem vorgeworfenen Betrug zum Nachteil der Beklagten bekundet, sie sei vier bis fünf Jahre mit dem Kläger zusammen gewesen, dieser habe jedes Wochenende ein Engagement auf Hochzeiten oder in türkischen Bars, bei den Hochzeiten werde bis 00.00 Uhr gespielt, in den Bars bis morgens um 04.00 oder 05.00 Uhr. Es träten meistens zwei bis drei Personen auf, die dann EUR 1.500,00 zusammen bekämen, davon erhalte der Kläger EUR 800,00. Dies sei auch an Feiertagen so gewesen, werktags gebe es nichts. Der Kläger sei in jener Zeit arbeitslos gewesen. Im Anschluss an die dortige Beweisaufnahme nahm der Kläger den Einspruch gegen den Strafbefehl zurück.
Mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 23.08.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe die Bewilligungen des Alg zu Recht mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Sie seien von Anfang an rechtswidrig gewesen. Der Kläger könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, da er zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht habe. Er sei nicht arbeitslos gewesen. Entgegen seinen Angaben habe er als selbstständiger Musiker eine Nebentätigkeit über mehr als 15 Stunden wöchentlich ausgeübt. Als Basis für diese Überzeugung diene die Aussage der Zeugin S. in dem Strafverfahren. Diese decke sich mit den Plakaten und Fotos von den Auftritten des Klägers im Internet. Die Bilder seien sehr professionell gestaltet und sprächen stark gegen eine nur hobbymäßige Tätigkeit. Weiterhin decke sich die Aussage mit den hohen Bareinzahlungen auf dem Konto des Klägers, die er nicht plausibel erklärt habe. Letztlich werde dieses durch die Aussage des Klägers im Strafverfahren selbst gestützt. Er habe dort zugegeben, beinahe jedes Wochenende als Musiker aktiv zu sein und seit seinem 16. Lebensjahr aufzutreten. Die Angaben der Zeugin S. zu den Zeiten der Auftritte bewiesen auch, dass der Kläger mehr als 15 Stunden wöchentlich tätig sei. Zudem seien bei Musikern auch Vor- und Nacharbeiten erforderlich, hierzu zähle der Auf- und Abbau auf der Bühne. Selbst wenn man eine 15-stündige Dauer nicht als erwiesen ansähe, so das SG abschließend, ginge dies zu Lasten des Klägers, da man von einer Beweislastumkehr ausgehen müsse, weil es um Vorgänge aus seiner Sphäre gehe, die er bei Antragstellung vollständig verschwiegen habe und die nicht aufgeklärt werden könnten.
Gegen dieses Urteil, das seinem Prozessbevollmächtigten am 24.09.2013 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 17.10.2013 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Das SG habe sich allein auf die Aussagen der Zeugin S. im Strafverfahren gestützt. Es sei aber notwendig gewesen, die Zeugin persönlich zu vernehmen. Sie sie nicht glaubwürdig, denn sie habe einen tiefen Hass auf den Kläger. Auch seien ihre Angaben nicht glaubhaft. Es handle sich nicht um eine professionelle Band, sondern eine Freizeitgruppe. Die genannten angeblichen Bezahlungen seien viel zu hoch; kein Lokal könne sich für einen Auftritt solche Kosten leisten. Der Kläger und seine Freunde suchten vielmehr ohne längere Vorabsprache eine Bar auf und fragten, ob sie spielen dürften. Sie erhielten dafür in der Regel allenfalls etwas zu essen oder ein freies Getränk. Die Herkunft der Gelder auf seinem Konto habe der Kläger sehr wohl erklärt. Ferner, so der Kläger abschließend, sei der Zurücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten zu unbestimmt und außerhalb der maßgeblichen Fristen ergangen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 23. August 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Januar 2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, der Kläger habe in jedem Falle in den Anträgen falsche Angaben gemacht. Hinsichtlich der Aufschlüsselung der Rückforderung verweist sie auf eine Aufstellung vom 23.11.2009.
Der Berichterstatter des Senats hat den Kläger zunächst persönlich angehört. Dieser hat bestätigt, dass er auf allen Fotos, die das Hauptzollamt im Internet recherchiert habe, zu sehen sei. Zur Sache hat er unter anderem angegeben, die Auftritte hätten eher samstags abends stattgefunden. Seine Freunde und er brächten ihre Instrumente mit. Die Auftritte begännen gegen 22.00 Uhr und dauerten, gelegentlich im Wechsel mit anderen Künstlern oder einem DJ, bis ein oder zwei Uhr nachts. Danach habe man vielleicht noch etwas gegessen oder getrunken. Der Kläger hat sodann Angaben zu den Lokalen gemacht, in denen er üblicherweise aufgetreten sei, und die Inhaber benannt. Zu den Überweisungen aus der Türkei hat der Kläger weitere Angaben gemacht. Auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 16.12.2013 wird verwiesen.
Sodann hat der Berichterstatter des Senats - auf Anregung des Klägers - seinen früheren Mitmusiker/Bandkollegen Bu. und die drei Inhaber von Bars, in denen der Kläger aufgetreten war, Ib., Ka. und Te., als Zeugen vernommen. Alle vier Zeugen haben im Wesentlichen die Angaben des Klägers bestätigt, es handle sich um eine Freizeitband, die unangekündigt in einer Bar vorbeischaue und frage, ob sie auftreten dürfe; auch mache sie z.B. an einzelnen Tischen Musik und wandere hierbei durch den Lokalbereich; die Auftritte dienten auch der Werbung, etwa für Hochzeiten; die Gäste gäben den Musikern dafür gelegentlich Trinkgelder, auch würden sie gelegentlich von den Inhabern der Bars eingeladen. Die Zahlung von Honoraren über ein Trinkgeld hinaus haben alle vier Zeugen vehement in Abrede gestellt, solche Kosten wie hier genannt könne keines der Lokale tragen. Wegen der Aussagen im Einzelnen nimmt der Senat Bezug auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 19.03.2014.
Auf Anregung der Beklagten hat sodann der Senat die Zeuginnen P. und S. uneidlich vernommen. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 26.11.2014 verwiesen.
Im Übrigen wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen. Der Senat hat ferner die Akte des Strafverfahrens gegen den Kläger (StA Stuttgart, 105 Js 34659/10) zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung des Klägers ist statthaft (§ 143 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere frist- und formgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben.
2. Sie ist aber nicht begründet. Das SG hat die isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGG) des Klägers zu Recht abgewiesen. Der Zurücknahme- und Erstattungs- (und Ersetzungs-) bescheid der Beklagten vom 11.02.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SGG).
a) Die Beklagte war befugt, die Bewilligung von Alg für beide Bezugszeiträume nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zurückzunehmen.
aa) Die Bewilligungsentscheidungen der Beklagten waren von Anfang an rechtswidrig im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger während beider Bezugszeiträume nicht beschäftigungslos im Sinne von § 119 Abs. 3 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden und daher hier noch anwendbaren Fassung (a.F., vgl. nunmehr § 138 SGB III n.F.) und daher nicht arbeitslos war (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III a.F.), sodass nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III a.F. kein Anspruch auf Alg bestand:
(1) Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger in diesen Zeiträumen als Musiker "selbstständig tätig" im Sinne von § 119 Abs. 3 SGB III a.F. war:
(a) Eine selbstständige Tätigkeit wird im Bereich der Arbeitsförderung als eine planmäßig angegangene, unmittelbar auf berufsmäßigen Erwerb gerichtete und der Gewinnerzielung dienende Handlung mit Außenwirkung verstanden (vgl. zum Gründungszuschuss bzw. zum früheren Überbrückungsgeld BSG, Urt. v. 01.06.2006, B 7a AL 34/05 R, Juris Rn. 11; LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 18.11.2013, L 18 AL 295/12, Juris Rn. 16). Abzugrenzen ist eine solche Tätigkeit im hiesigen Falle - da z.B. eine (unentgeltlich erbrachte) familienhafte Mitarbeit nach § 119 Abs. 3 Satz 1 SGB III a.F. nicht in Rede steht - von einem Hobby bzw. einer Liebhaberei (BSG, Urt. v. 25.02.1997, 12 RK 33/96, Juris Rn. 14; Bayerisches LSG, Beschl. v. 23.02.2012, L 9 AL 149/11, Juris Rn. 44). Eine nur hobbymäßige Tätigkeit ist für den Anspruch auf Alg unschädlich, wie sich aus dem Rechtsgedanken des für ehrenamtliche Tätigkeiten geltenden § 119 Abs. 2 SGB III a.F. ergibt. Die Abgrenzung zwischen beiden Tätigkeiten muss im Einzelfall nach dem Gesamtgepräge erfolgen. Hierbei ist - ebenso wie im Steuerrecht - die Gewinnerzielungsabsicht ein wichtiges Kriterium (vgl. z.B. § 1 Abs. 7 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte [ALG]; dazu BSG, Urt. v. 25.02.2010, B 10 LW 2/09 R, Juris Rn. 27). Dieses Merkmal gibt jedoch nicht automatisch den Ausschlag (zweifelnd an diesem Kriterium insgesamt BSG, Urt. v. 25.05.2011, B 12 R 13/09 R, Juris Rn. 14 f.). Auch die anderen Merkmale der Tätigkeit, insbesondere ihr planmäßiges Angebot gegenüber verschiedenen möglichen Auftraggebern, kann eine selbstständige Tätigkeit in diesem Sinne ergeben. Die Gewinnerzielungsabsicht kann dabei auch eingeschränkt sein. So kann sie sich nur auf steuerfreie Einkünfte richten (BSG, a.a.O., Rn. 14). Ebenso reicht es aus, wenn als Gegenleistung lediglich Naturalien erwartet werden und ihre Gewährung möglich erscheint (vgl. VG Regensburg, Gerichtsbescheid v. 13.07.2000, RO 2 K 00.1182, Juris Rn. 18 m.w.N.). Auch die Bezahlung durch Dritte, die nicht selbst Auftraggeber bzw. Besteller der Tätigkeit sind, etwa in Form von Trinkgeldern, reicht insoweit aus. Ob im Einzelfall tatsächlich ein Gewinn erzielt wird, ist dabei unerheblich.
(b) Eine solche Tätigkeit hat der Kläger ausgeübt, während er Alg bezog. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat überzeugt, dass er - auch im Streitzeitraum - regelmäßig und planmäßig seine Musikleistungen innerhalb einer Band verschiedenen Auftraggebern, vor allem Bars und Hochzeitsveranstaltern, angeboten und hierfür Gegenleistungen erhalten hat, die z.B. über reinen Aufwendungsersatz für die Anfahrt oder dgl. hinausgingen. Diese Überzeugung (vgl. insoweit § 128 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGG) gründet sich auf folgende Erwägungen:
Bereits seine eigenen Angaben deuten in diese Richtung. Zwar hat der Kläger im späteren Verlauf der Verfahren, etwa bei seiner Anhörung vor dem Berichterstatter des Senats am 16.12.2013, angegeben, seine Freunde und er seien gelegentlich - im Prinzip nur samstags abends - in die eine oder andere Bar gegangen und hätten den Inhabern ad hoc angeboten, Musik zu machen bzw. gebeten, auftreten zu dürfen. Professionell geplante und angekündigte bzw. beworbene Auftritte habe es nicht gegeben. Als Entgelt habe es allenfalls ein freies Getränk oder etwas kostenlos zu essen gegeben, allenfalls gelegentlich ein Trinkgeld. Diesen Angaben kann der Senat jedoch nicht folgen. Sie widersprechen den - zeitnäheren - Einlassungen des Klägers in der Einspruchsverhandlung vor dem AG B ... Dort hatte er noch von "Engagements" gesprochen, zwar nur von zweien bis dreien im Monat, aber dafür von Entgelten (in Form von Trinkgeldern) von bis zu EUR 100,00 pro Auftritt.
Ebenso berücksichtigt der Senat die Fotos von Auftritten und von Werbeplakaten für Auftritte, die das Hauptzollamt im Internet recherchiert hat. Dort waren auf den Homepages mehrerer der Bars, in denen der Kläger - auch nach seinen eigenen Aussagen und den Aussagen der vier Barbetreiber als Zeugen am 19.03.2014 - regelmäßig bzw. häufiger aufgetreten war, Fotos dieser Auftritte eingestellt worden. Hinzu kam das Werbeplakat für einen Auftritt der Band des Klägers im Sky-Palast am 13.12.2008 (vgl. Bl. 60 Verwaltungsakte). Diese Spuren im Internet zeigen, dass durchaus echte "Engagements" bestanden. Es sind jeweils Musikergruppen, darunter - von ihm anerkannt - jeweils der Kläger, zu sehen, die auf kleinen Bühnen in Konzertart auftreten und dabei mehrere, auch größere Instrumente dabei haben und spielen. Nicht ersichtlich ist, dass der Kläger - ggfs. allein - zwischen den Tischen in den Bars oder Restaurants herumgegangen ist und nur direkt für einzelne Gäste gespielt hätte. Die Spuren im Internet deuten ebenso auf geplante Auftritte hin.
Bereits die Vernehmung der Zeugin P., der früheren Ehefrau des Klägers, bestätigt diese Einschätzung durch den Senat. Diese Zeugin hat angegeben, der Kläger sei bereits während der Ehezeit (ab 2002 bis 2006/2007) an Abenden vor Feiertagen und Wochenenden mit seinem Musikinstrument sowie Ersatzbekleidung (schwarze Hose und zwei weiße Hemden) weggegangen. Er habe ihr durchaus mitgeteilt, er gehe auf Hochzeiten oder in Bars. Sie - die Zeugin - habe er allerdings nie mitgenommen, auch habe der Kläger während der Abwesenheiten sein Mobiltelefon abgeschaltet. Der Kläger habe jeweils Geld mitgebracht und dieses in der Wohnung, z.B. unter dem Teppich, versteckt, hierbei habe es sich um 50- oder 100-EUR-Scheine gehandelt. Der Kläger habe auch unter der Woche in der Wohnung Musik gespielt bzw. geübt, währenddessen hätten sie - die Zeugin - und ihre Kinder die Wohnung verlassen müssen. Diese Angaben lassen den Schluss zu, dass der Kläger schon während seiner Ehezeit regelmäßig Musikauftritte hatte. Die Aussagen erscheinen auch glaubhaft und der Senat stuft die Zeugin als glaubwürdig ein. Die Zeugin hat flüssig geantwortet und sich an einzelne Details erinnert, z.B. die Farbe der fraglichen Geldscheine. Es war zwar nicht zu verkennen, dass die Zeugin dem Kläger nicht wohlgesinnt ist, auch hat sie durchaus Belastungstendenzen gezeigt, z.B. durch ihre mehrfachen Hinweise auf die erlittenen Körperverletzungen, die Scheidung und die bis heute andauernden Konflikte wegen des Unterhalts und des Sorgerechts für die Kinder. Aber der Senat geht nicht davon aus, dass die Zeugin durch Lügen dem Kläger schaden wollte. Der Hintergrund des Verfahrens mit der Beklagten, also die Rückforderung von Leistungen, war ihr nicht bekannt. Auch kann es nicht ihr Interesse sein, dass der Kläger finanzielle Einbußen erleidet, weil dies seine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit schmälern würde.
Noch deutlicher, vor allem für den hier streitigen Zeitraum, ergibt sich aus der Aussage der Zeugin S., dass der Kläger selbstständig tätig war. Diese Zeugin hat bekundet, sie habe den Kläger in einer der fraglichen Bars kennengelernt, sei mehrere Jahre seine Freundin gewesen und habe ihn auf seinen Auftritten auf Verlobungsfeiern, Hochzeiten und in Bars begleitet. Die Auftritte seien vor Feiertagen und an Wochenenden gewesen. Sie habe auch mitbekommen, wie der Kläger telefonisch Auftritte und das fragliche Honorar abgesprochen habe, dabei habe sie Beträge von EUR 300,00 oder EUR 350,00 gehört. Zwar hat die Zeugin nicht gesehen, ob Barbetreiber oder Gäste den Kläger und seine Musikgruppe entlohnt hätten, aber sie habe den Kläger nach solchen Auftritten Geld zählen sehen. Ihre Schlussfolgerung hieraus, er sei bezahlt worden, ist offenkundig richtig. Auch dieser Aussage kann der Senat folgen. Zwar war auch hier eine Belastungstendenz nicht zu übersehen, die in den behaupteten Körperverletzungen des Klägers an der Zeugin gründen mag. Aber die Zeugin hat sich auch selbst belastet, indem sie auf Nachfrage des Senats eingeräumt hat, sie sei die anonyme Anruferin beim Hauptzollamt gewesen. Ihre Aussage war durchaus auch in Details genau, auch bei unerwarteten Nachfragen. So hat sie die Uhrzeiten der Auftritte wiedergeben können (Hochzeiten etwa 17.00 bis 24.00 Uhr, in den Bars ab 22.00 bis 04.00 oder 05.00 Uhr). Ihre jetzige Aussage war auch gegenüber jener vor dem AG B. konsistent. Eine der Angaben, die sie dort gemacht hatte, dass nämlich der Kläger an einem Wochenende EUR 1.500,00 verdient habe, hat sie nunmehr konkretisiert und damit nachvollziehbar gemacht, indem sie angegeben hat, es habe sich um den Gesamtlohn für bis zu drei Auftritte an einem Wochenende gehandelt. Dass der Kläger so viele Auftritte an einem Wochenende hatte, ergab sich auch schon aus den Angaben der Zeugin P.
Die jetzigen Angaben des Klägers, er sei nicht berufsmäßig, sondern nur im Rahmen eines Hobbys aufgetreten, werden letztlich auch nicht durch die Angaben der weiteren, am 19.03.2014 vernommenen Zeugen bestätigt. Diese haben zwar im Wesentlichen eine Freizeitband geschildert, die aus eigenem Antrieb und ohne vorherige Buchung durch den Barbetreiber auftauche und auftrete bzw. an den Tischen im Restaurantbereich spiele. Sie haben aber auch darauf hingewiesen, dass es kostenfreies Trinken und Essen und Trinkgelder der Gäste gebe. Auch die weiteren Angaben, vor allem des Zeugen Ib., dass der Kläger und seine Band auch zu Werbezwecken aufgetreten seien, um etwa ein Engagement für eine Hochzeitsfeier zu erhalten, hat der Kläger letztlich nicht in Abrede gestellt. Der Zeuge B. hat dies für seine eigene Hochzeit bestätigt. Bereits dies würde ausreichen, um eine selbstständige Tätigkeit anzunehmen. Darüber hinaus kann der Senat den Angaben der Zeugen auch nicht folgen, soweit sie nur eine Freizeitband schildern. Die Fotos und das Werbeplakat für einen der fraglichen Auftritte in einem der Clubs widersprechen den Angaben. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Zeugen ein eigenes Interesse daran hatten, die Auftritte des Klägers als Hobby darzustellen, weil nämlich möglicherweise die Honorare und eventuell auch die diesen gegenüberstehenden Einnahmen nicht verbucht worden sind. In diesem Zusammenhang hat der Zeuge T. bekundet, sein Lokal sei einmal - wohl von einem Rentenversicherungsträger - überprüft worden, seitdem lasse er Musiker wie den Kläger unterschreiben, dass sie - von ihm - kein Honorar erhielten.
Aus all diesen Umständen schließt der Senat, dass die Auftritte des Klägers in ihrer Regelmäßigkeit und wegen der durchaus vorhandenen Möglichkeit, etwas mit ihnen zu verdienen, über ein reines Hobby hinausgingen.
Ob und in welcher Höhe die selbstständige Tätigkeit (tatsächlich) bezahlt wird, ist für § 119 Abs. 3 SGB III a.F. irrelevant, wie ausgeführt, reicht die Absicht, ggfs. auch geringe Gewinne zu erzielen, aus. Die Einnahmen von vielleicht EUR 300,00 pro Auftritt, die sich aus den Angaben der Zeuginnen P. und S. ergeben, deuten aber auf auch tatsächliche Gewinne hin. In diesem Zusammenhang berücksichtigt der Senat auch die Kontobewegungen des Klägers. Zumindest einige der Bareinzahlungen über einige Hundert Euro oder vierstellige Euro-Beträge passen zu der angenommenen Höhe der Erlöse für einen Auftritt bzw. für mehrere Auftritte während eines Wochenendes. Diese Bareinzahlungen und die eine Scheckeinreichung hat der Kläger, auch bei seiner Anhörung vor dem Berichterstatter des Senats, nicht nachvollziehbar erklärt. Dagegen lassen sich die Überweisungen aus der Türkei nicht als Auftrittshonorare auffassen. Allein dass sie aus dem Ausland kamen, spricht dagegen. Sie waren auch viel zu hoch, um ernsthaft ein Honorar für einen Auftritt oder für mehrere gewesen zu sein. Letztlich hat der Kläger für diese Beträge auch eine zumindest schlüssige Erklärung geliefert, die auch durch die Auszahlung einer Darlehensvaluta durch die Sparkasse H. teilweise betätigt wird.
(2) Der Senat muss auch davon ausgehen, dass diese selbstständige Tätigkeit die maßgebliche Grenze von 15 Stunden je Woche nach § 119 Abs. 3 SGB III a.F. erreichte und sogar überschritt.
(a) In rechtlicher Hinsicht vorwegzuschicken ist, dass zu den relevanten 15 Stunden auch die erforderlichen Vor- und Nacharbeiten des Versicherten gehören (Brand, SGB III, 6. Aufl. 2012, § 138 Rn. 34). Dies gilt insbesondere für Künstler (z.B. Orchestermitglieder, vgl. Brand, a.a.O., Rn. 35). Umfasst sind nicht nur Übungen am Instrument und die Einwerbung von Engagements, sondern auch der Weg zur Stätte des Engagements selbst und der Auf- und Abbau der Instrumente. Die etwaige Verköstigung in den Bars oder auf den Hochzeiten nach den Auftritten zählt dagegen nicht zur Arbeitszeit, wohl aber kürzere Pausen als Rüstzeiten zwischen Auftritten innerhalb desselben Engagements.
(b) Es spricht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme Vieles dafür, dass der Kläger diese zeitliche Grenze an allen Wochen tatsächlich erreicht hat. Wenn er von Freitag bis Sonntag Nachmittag unterwegs war und hierbei zwei oder drei Auftritte in den zeitlichen Umfängen hatte, wie sie insbesondere die Zeuginnen P. und S. geschildert haben, waren die relevanten 15 Stunden zumindest unter Einbeziehung der Fahrt- und Aufbauzeiten erreicht.
(c) Aber der Senat muss sich nicht positiv zu der Feststellung durchringen, die selbstständige Tätigkeit habe 15 Stunden oder mehr je Woche umfasst. Auch wenn dieser Punkt als unaufklärbar eingestuft wird so ist die Klage aus Gründen der materiellen Beweislast unbegründet:
Sofern sich nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnenden Überzeugung entscheidungserhebliche Tatsachen nicht feststellen lassen, kommt es auf die objektive Beweislast an, die im Rahmen des § 45 SGB X grundsätzlich die Behörde, die den angefochtenen Rücknahmebescheid erlassen hat, trägt, soweit es um die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bewilligungsbescheide geht (BSG, Urt. v. 28.08.2007, B 7/7a AL 10/06 R, Juris Rn. 17 m.w.N.). Jedoch greift eine Beweislastumkehr zu Lasten des Leistungsempfängers bzw. Arbeitslosen ein, wenn Umstände unaufklärbar bleiben, die - allein - in seiner Sphäre wurzeln (BSG, a.a.O.). Hierzu gehört auch der Umfang einer an sich unstreitigen Nebentätigkeit neben dem Bezug von Alg (oder Arbeitslosenhilfe alten Rechts), wenn der Arbeitslose diese Tätigkeit insgesamt nicht mitgeteilt hat (vgl. BSG, Urt. v. 02.09.2004, B 7 AL 88/03 R, Juris Rn. 24 ff.). Hierdurch hat der Arbeitslose nicht nur seine Mitteilungsobliegenheiten (§§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB I]) verletzt, sondern auch der Beklagten eine Prüfung, ob die Tätigkeit einer Leistungsgewährung entgegensteht, unmöglich gemacht. Es ist gerechtfertigt, in einem solchen Fall die Grundsätze der Beweisvereitelung heranzuziehen, die als Rechtsgedanke der Zivilprozessordnung (vgl. §§ 371 Abs. 3, 444 ZPO) nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar sind (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 22). Der Beklagten ist es in solchen Fällen unmöglich, den an sich ihr obliegenden Beweis zu führen, während es dem Betroffenen leicht möglich ist bzw. gewesen wäre, den Umfang einer solchen Tätigkeit, z. B. durch Stundenaufschriebe oder andere Unterlagen, beweiskräftig festzuhalten.
Der Kläger hatte in beiden relevanten Alg-Anträgen die Frage nach einer Nebentätigkeit verneint. Auch danach hat er sie nie mitgeteilt. Der Beklagten war eine Überprüfung, ggfs. vor Erlass der Bewilligungsbescheide, daher nicht möglich. Daher liegt die Beweislast bei ihm.
Den demnach nötigen Gegenbeweis, dass die fragliche Tätigkeit regelmäßig weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst hat, hat der Kläger nicht geführt.
bb) Der Kläger hatte auch im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X falsche Angaben gemacht. Der Senat lässt es hierbei offen, ob er seine Tätigkeit als Musiker mit Vorsatz verschwiegen hat. Vorsatz ist allenfalls für die strafrechtliche Beurteilung relevant. Für die Rücknahme des Bewilligungsbescheids reicht grobe Fahrlässigkeit aus. Dass der Kläger jedenfalls grob fahrlässig gehandelt hat, davon ist der Senat überzeugt. Er hat diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen, die in der konkreten Situation jedem in vergleichbarer Lage (also jedem Antragsteller) eingeleuchtet hätte. Die Frage nach der Nebentätigkeit (Nr. 2b des Antragsformulars) war so zu verstehen, dass auch die beschriebene Arbeit als Musiker abends anzugeben war. Dass nicht nur entgeltliche Tätigkeiten gemeint waren, ergibt sich aus dem dort vorhandenen Hinweis auf ehrenamtliche Arbeiten. Weitere konkrete Erläuterungen, welche Nebentätigkeiten anzugeben waren (nämlich alle), enthielt das Merkblatt Nr. 1 für Arbeitslose, das der Kläger jeweils bei Antragstellung erhalten hatte, was er unterschriftlich bestätigt hat (S. 13 f., 58 der Fassung März 2009). Diese Hinweise musste der Kläger lesen und beachten. Sollte ihm gleichwohl unklar gewesen sein, ob seine Tätigkeit als Musiker anzugeben war, hätte er nachfragen müssen oder aber nach dem weiteren Faltblatt "Wissenswertes zum Thema Nebeneinkommen" fragen müssen, auf das das Antragsformular gerade bei der Frage nach Nebentätigkeiten hinwies.
cc) Die relevanten Fristen sind eingehalten, sowohl die Frist von zehn Jahren ab Bekanntgabe der zurückgenommenen Entscheidung (§ 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X) als auch die Jahresfrist ab Kenntnis der Beklagten von den für die Rücknahme relevanten Umständen (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X); diese Kenntnis hatte die Beklagte erst nach fruchtlosem Ablauf der Anhörungsfrist am 14.12.2009, frühestens aber nach Eingang des Telefaxes des Hauptzollamts am 30.04.2009; der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid datiert vom 11.02.2010.
dd) Ermessen musste die Beklagte nach der Sonderregelung in § 330 Abs. 2 SGB III nicht ausüben.
ee) Auf eine Entreicherung des Klägers (vgl. § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X) kommt es wegen der mindestens grob fahrlässig falschen Angaben (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) nicht an.
ee) Der Aufhebungsbescheid ist ausreichend bestimmt im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X. Bei einer vollständigen Zurücknahme eines Bewilligungsbescheids reicht es aus, wenn der gesamte von der Rücknahme betroffene Zeitraum genannt ist. Die Höhe der daraus folgenden Überzahlung lässt sich dann ohne Weiteres aus einem Vergleich mit den Bewilligungsbescheiden bzw. den Zahlungsnachweisen ermitteln.
b) Die Forderung auf Rückzahlung des - richtig berechneten - Alg gründet sich nach der Rücknahme des Bewilligungsbescheids auf § 50 Abs. 1 SGB X.
c) Zur Ersetzung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, die die Beklagte im Bezugszeitraum an die Kranken- und Pflegekasse abgeführt hat, ist der Kläger nach § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III verpflichtet. Während des Alg-Bezugs war der Kläger nicht im Sinne von Satz 2 dieser Norm auch aus anderen Gründen kranken- und pflegeversichert. Nach allgemeinem Krankenversicherungsrecht war der Kläger nicht versicherungspflichtig, da er - nebenberuflich - selbstständig tätig war. Es mag zwar eine Pflichtversicherung nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz bestanden haben, aber dort hatte sich der Kläger nicht angemeldet und auch keine Beiträge entrichtet, sodass § 335 Abs. 1 Satz 2 SGB III nicht anwendbar ist (so Brand, a.a.O., § 335 Rn. 14; LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 12.02.2008, L 2 AL 65/07, Juris Rn. 31.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
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