L 8 SB 4830/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SB 4001/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4830/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 25.10.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs "Bl" (Blindheit) hat.

Das Landratsamt R. - Versorgungsamt - (LRA) stellte bei der 1950 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 12.07.2005 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 seit dem 25.05.2005 sowie zur Inanspruchnahme entsprechender Nachteilsausgleiche die Merkzeichen "G", "B" und "RF" fest. Dieser Feststellung lagen die Funktionsbeeinträchtigungen beidseitige Sehminderung (Teil-GdB 90), Depression (Teil-GdB 30) und Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 20) zu Grunde. Die Feststellung der Merkzeichen "H" und "Bl" lehnte das LRA ab (Bl. 45 der Verwaltungsakte).

Die Klägerin beantragte am 24.06.2011 erneut die Feststellung der Merkzeichen "H" und "Bl" und machte hierbei Augenkrankheiten, Kopf- und Herzschmerzen, Bluthochdruck sowie Rücken- und Knieprobleme geltend.

Der Beklagte zog zunächst einen Befundbericht der die Klägerin behandelnden Fachärztin für Augenheilkunde Dr. M. vom 25.07.2011 bei, in dem der Visus beidseitig mit Lichtschein beschrieben ist.

Dr. Ru. führte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.01.2012 die folgenden Funktionsbeeinträchtigungen auf:

- Verlust des Sehvermögens beidseits (Teil-GdB 100), - Depression und Kopfschmerzsyndrom (Teil-GdB 30), - Funktionsbehinderung und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule sowie Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 30), - Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform und Großzehengrundgelenksarthrose rechts (Teil-GdB 20) sowie - Bluthochdruck (Teil-GdB 10).

Der Gesamt-GdB betrage 100. Die Antragstellerin sei in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, in öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf Hilfe angewiesen, hilflos, blind und erfülle die Voraussetzungen für eine Rundfunkgebührenbefreiung.

Der Beklagte zog dann einen Befundbericht von Dr. M. vom 23.01.2012 bei, wonach die Visusangaben schwankend seien und zuletzt auf beiden Augen nur die Wahrnehmung von Handbewegungen angegeben worden sei. Dr. M. fügte einen Arztbrief von Prof. Dr. Ro. vom 29.11.2011 bei, in dem die subjektiven Angaben zur Sehschärfe als widersprüchlich und durch den morphologischen Befund nicht erklärt bezeichnet werden. Die objektiven Ergebnisse, vor allem der visuell evozierten Potentiale sicherten eine Sehschärfe von eindeutig mehr als 1/50. Angesichts des bis deutlich über 40° reichenden Gesichtsfeldes bestehe damit unverändert kein Anspruch auf Blindenhilfe.

In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.02.2012 führte Dr. St. folgende Funktionsbeeinträchtigungen auf:

- hochgradige Sehbehinderung (Teil-GdB 100), - Depression und Kopfschmerzsyndrom (Teil-GdB 30), - Funktionsbehinderung und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule sowie Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 30), - Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform und Großzehengrundgelenksarthrose rechts (Teil-GdB 20) sowie - Bluthochdruck (Teil-GdB 10).

Der Gesamt-GdB betrage 100. Die Antragstellerin sei in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, in öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf Hilfe angewiesen, hilflos und erfülle die Voraussetzungen für eine Rundfunkgebührenbefreiung. Jedoch liege keine Blindheit im Sinne des Gesetzes vor.

Mit Bescheid vom 17.02.2012 stellte das LRA die Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" ab dem 24.06.2011 fest, lehnte aber die Feststellung des Merkzeichens "Bl" ab. Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "Bl" nicht, da blind nur Personen seien, denen das Augenlicht vollständig fehle. Als blind seien auch Personen anzusehen, deren Sehschärfe auf keinem Auge - auch nicht bei beidäugiger Prüfung - mehr als 1/50 betrage oder wenn andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorlägen, dass sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfe gleich zu achten seien (Bl. 187 der Verwaltungsakte).

Dagegen legte die Klägerin am 16.03.2012 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie im Wesentlichen vortragen ließ, die von Prof. Dr. Ro. angegebene Sehkraft bestehe nicht mehr. Eine erneute augenärztliche Untersuchung habe nur noch die Wahrnehmung von Lichtschein bzw. Handbewegungen bei Lichtschein ergeben, was einem Sehvermögen von unter 2 % auf dem besseren Auge entspreche. Im vorgelegten Befundbericht von Dr. Schn. vom 29.08.2012 ist der Visus auf beiden Augen mit Lichtschein/Handbewegungen angegeben. Im Arztbrief von Dr. C. vom 04.08.2012 ist der Visus auf beiden Augen schwankend mit Lichtschein beschrieben.

Unter Berücksichtigung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. St. vom 01.10.2012 wies der Beklagte den Widerspruch durch das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 als unbegründet zurück. Die Auswertung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass die Klägerin die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Bl" nicht erfülle. Nach den maßgeblichen Feststellungen von Prof. Dr. Ro. betrage die Sehschärfe eindeutig mehr als 1/50. (Bl. 210 der Verwaltungsakte).

Hiergegen erhob die Klägerin am 12.12.2012 Klage zum Sozialgericht Mannheim und trug zur Begründung vor, sie habe mehrere Ärzte aufgesucht, die zwar verschiedene Diagnosen gestellt, jedoch jeweils eine extrem schwere Störung des Sehvermögens festgestellt hätten. Das Gutachten von Prof. Dr. Ro. sei falsch, da es nicht wissenschaftlichen Methoden entspreche und Prof. Dr. Ro. bei der Begutachtung voreingenommen gewirkt habe. Der Gutachter werde wegen Befangenheit abgelehnt. Ferner habe der Beklagte zu Unrecht kein Ermessen ausgeübt. Schließlich sei ihr Alltag sehr schwierig zu meistern. So übersehe sie beispielsweise oft Türen und laufe so kräftig dagegen, dass sie sich im Krankenhaus behandeln lassen müsse. Daher sei sie blind im Sinne des Gesetzes.

Das Sozialgericht (SG) hat zunächst Befundberichte der behandelnden Augenärzte der Klägerin beigezogen. Wegen des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 36/52, 53, 54/72 sowie 74/77 der SG-Akte Bezug genommen.

Die Augenärztin Dr. M. legte den bereits aktenkundigen Arztbrief von Prof. Dr. Ro. vom 29.11.2011 vor. Der Augenarzt Dr. Schn. teilte am 06.02.2013 mit, der Visus sei fraglich. Nach eigenen Angaben der Klägerin seien auf beiden Augen nur Handbewegungen zu sehen. Im Befundbericht vom 30.07.2012 beschrieb der Augenarzt Dr. G. den beidseitigen Visus mit Fingerzählen. Die Gesichtsfelduntersuchung habe starke Gesichtsfeldausfälle ergeben. Ferner führte Prof. Dr. L. im Arztbrief vom 29.11.2012 an Dr. G. aus, die Klägerin sei nach Beendigung des Gesprächs aufgestanden und der Untersuchung durch Prof. Dr. L. nicht visusentsprechend und ohne ihren Blindenstock um einen Stuhl mit zielgerichtetem Griff nach der Türklinke zur Tür geeilt.

Weiter beauftragte das SG Prof. Dr. H. - Chefarzt der Augenklinik des Klinikums der Stadt L. - von Amts wegen mit der Erstattung eines Gutachtens nach ambulanter Untersuchung der Klägerin sowie mit der Erstellung einer ergänzenden Stellungnahme. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 90/93, 96/97 und 98/100 der SG-Akte verwiesen.

Im Gutachten vom 25.05.2013 und in der ergänzenden Stellungnahme vom Juni 2013 diagnostizierte Prof. Dr. H. am rechten Auge der Klägerin eine Myopia magna, eine Amblyopie, einen Zustand nach hornhautchirurgischem Eingriff, einen fortgeschrittenen grauen Star sowie eine trockene Makuladegeneration und am linken Auge eine Myopia magna, eine Amblyopie einen Zustand nach hornhautchirurgischem Eingriff, eine Pseudophakie, einen Nachstar und eine trockene Makuladegeneration. Die subjektiven Visusangaben korrelierten nicht mit den elektrophysiologischen Ableitungen (VEP und ERG). Anhand der Ergebnisse könne man von einer Sehschärfe größer 0,1 ausgehen. Auch sei die Orientierung im freien Raum sicherer als der subjektive Visus erwarten lasse. Die objektivierbare Sehschärfe liege deutlich über der dargebotenen subjektiven Sehschärfe. Die durchgeführten Gesichtsfelder hätten unterschiedliche Ausprägungen, wobei selbst bei der größten Einschränkung die 15 °- Grenze nicht unterschritten werde. Auch bestehe keine Hemianopsie. Zusammenfassend lägen die Voraussetzung zur Anerkennung des Merkzeichens "Bl" nicht vor.

Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25.10.2013 als unbegründet ab. Zur Begründung führte es aus, die angegriffenen Bescheide seien formal rechtmäßig. Insbesondere lägen keine Ermessensfehler vor, da es sich bei der Feststellung von Merkzeichen um gebundene Verwaltungsentscheidungen handele, bei denen kein Raum für Ermessenerwägungen bestehe. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "Bl", da diese nicht mit dem Maßstab des Vollbeweises als objektiviert angesehen werden könnten. Zwar leide die Klägerin unter erheblichen Erkrankungen beider Augen, jedoch folge aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. H. vom 25.05.2013 schlüssig und nachvollziehbar, dass die messtechnisch objektivierbare Sehschärfe deutlich über der von der Klägerin dargebotenen subjektiven Sehschärfe liege. Die elektrophysiologischen Ableitungen (VEP und ERG) hätten einen deutlich besseren Visus als subjektiv angegeben ergeben. Prof. Dr. H. komme nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass vor dem Hintergrund eines im Wesentlichen unauffälligen normalen Muster - VEP bis hin zu kleinsten Mustergrößen, welche bei der Klägerin ableitbar gewesen seien, die von der Klägerin angegebene Sehschärfe (nur Finger zählen oder Handbewegungen sehen) und ebenso wenig ein Visus von nur 0,05 nicht objektivierbar sei. Vor diesem Hintergrund sei es auch nachvollziehbar, dass Prof. Dr. H. eine Verdeutlichungstendenz bei der Klägerin annehme und anhand der elektrophysiologischen Ableitung von einer Sehschärfe von größer als 0,1 ausgehe. Darüber hinaus hätten zwar die Gesichtsfeldprüfungen unterschiedliche Ausprägungen ergeben, jedoch sei auch bei der größten Einschränkung die Grenze von 15° nicht unterschritten worden. Ferner bestehe keine Hemianopsie. Es bestünden begründete Zweifel an den tatsächlichen Angaben der Klägerin. Schließlich befinde sich Prof. Dr. H. in Übereinstimmung mit dem baden-württembergischen Blindenarzt Prof. Dr. Ro. in seinem Bericht vom 29.11.2011.

Gegen den - der Klägerin nach Mandatsniederlegung des Bevollmächtigten gegen Postzustellungsurkunde am 29.10.2013 zugestellten - Gerichtsbescheid hat der neue Bevollmächtigte der Klägerin am 11.11.2013 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er im Wesentlichen vorträgt, die Klägerin könne nur noch hell und dunkel unterscheiden. Sie sehe nichts scharf, sondern erkenne nur "Puzzleteile". Der Vorwurf der Aggravation sei nicht begründbar. Sie habe im Gegenteil stets versucht, ihr Sehleiden zu überspielen und keine Schwäche im Alltag zu offenbaren. Auf Grund ihrer Sehbehinderungen habe es bereits mehrere Unfälle im Alltag gegeben. Ferner sei eine elektrophysiologische Ableitung (VEPC) dann in Frage zu stellen, wenn ein dichter Katarakt oder ein massive irreguläre Hornhautverletzung vorliege und deshalb kein vernünftiges Netzhautbild mehr zu Stande komme. Bei der Klägerin bestünden ausweislich des Gutachtens von Prof. Dr. H. massive Horn- und Netzhautnarben. Dies sei jedoch bei der Auswertung des VEP nicht berücksichtigt worden. Ferner habe Prof. Dr. H. keine Angaben zur Sehschärfe für jedes einzelne Auge und für beide zusammen gemacht. Schließlich habe Dr. Ru. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.01.2012 ausgeführt, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Bl".

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Mannheim vom 25.10.2013 sowie unter Abänderung des Bescheids des Landratsamtes R. - Versorgungsamt - vom 17.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 13.11.2012 zu verurteilen, das Merkzeichen "Bl" (Blindheit) seit dem 24.06.2011 festzustellen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und führt aus, die Berufungsbegründung sei nicht geeignet, den Aggravationsverdacht der Gutachter zu widerlegen. Nachdem Prof. Dr. Ro. im November 2011 ausgeführt habe, die objektiven Ergebnisse, vor allem der visuell evozierten Potentiale sicherten eine Sehschärfe von eindeutig mehr als 1/50 und deshalb bestehe angesichts des bis deutlich über 40° reichenden Gesichtsfelds kein Anspruch auf Blindenhilfe, lägen die Voraussetzungen für die Feststellung des begehrten Merkzeichens "Bl" nicht vor.

Am 02.10.2014 hat ein Erörterungstermin mit den Beteiligten stattgefunden. Wegen der Niederschrift wird auf Bl. 59/60 der LSG-Akte Bezug genommen. Im Erörterungstermin hat der Berichterstatter auf die offensichtliche Aussichtslosigkeit der Berufung im Sinne des § 192 SGG hingewiesen.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 15.10.2014 den vormals zuständigen Berichterstatter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der Klägervertreter hat das Mandat mit Schreiben vom 29.10.2014 auf Grund eines nachhaltig gestörten Vertrauensverhältnisses zur Klägerin niedergelegt.

Der Senat hat den Befangenheitsantrag der Klägerin mit Beschluss vom 04.11.2014 als unzulässig abgelehnt, nachdem der vormals zuständige Berichterstatter zum 01.11.2014 in den Ruhestand getreten ist und die Fallbearbeitung daher nicht mehr fortführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten, die Akte des SG Mannheim und die Senatsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Der Bescheid des Landratsamtes R. - Versorgungsamt - vom 17.02.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 13.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das Sozialgericht Mannheim hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 25.10.2013 die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs "Bl" (Blindheit).

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "BI" ist § 69 Abs. 1 und Abs. 4 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX). Nach § 69 Abs. 4 SGB IX stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 der Schwerbehindertenausweisverordnung ist auf dem Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "Bl" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch blind im Sinne des § 72 Abs. 5 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII) oder entsprechender Vorschriften ist. Nach § 72 Abs. 5 SGB XII stehen Personen blinden Menschen gleich, deren beidäugige Gesamtsehschärfe nicht mehr als 1/50 beträgt oder bei denen dem Schweregrad dieser Sehschärfe gleichzusetzende, nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens vorliegen. § 72 SGB XII enthält jedoch keine Definition des Begriffes "Blindheit", sondern in Absatz 5 eine Gleichstellungsvorschrift.

Bis zum 31.12.2008 waren zur Konkretisierung des Begriffes der Blindheit die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 9/9a RVs 1/91 BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 9 RVs 4/95 SozR 3 3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 9a/9 RVs 7/89 BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1). Die AHP besaßen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhten. Sie waren vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirkten, und deshalb normähnliche Auswirkungen hatten. Auch waren sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3 3870 a.a.O.).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB.

Die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "Bl" ergeben sich aus Teil A Ziffer 6 der VG. Zwar enthalten nach ständiger Rechtsprechung des Senats weder § 30 Abs. 16 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4), noch andere Regelungen des BVG eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 -, veröffentlicht in juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de sowie vom 24.09.2010 - L 8 SB 4533/09 -, unveröffentlicht und dem ebenfalls für Schwerbehindertenrecht zuständigen 6. Senat des LSG Baden Württemberg, vgl. stellvertretend Urteil vom 04.11.2010 L 6 SB 2556/09 , unveröffentlicht; offen lassend der 3. Senat, vgl. Urteil vom 17.07.2012 L 3 SB 523/12 unveröffentlicht).

Dies gilt indes nicht für die Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen "Bl" und "H". Hier ergibt sich aus § 30 Abs. 16 i.V.m. § 35 Abs. 1 BVG eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage zur Aufstellung der Kriterien für die medizinische Bewertung der Nachteilsausgleiche "Bl" und "H" (siehe auch bereits Urteil des Senats vom 24.09.2010 - L 8 SB 4533/90 - als obiter dictum unveröffentlicht). So ermächtigt § 30 Abs. 16 BVG das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln. In § 35 Abs. 1 BVG sind die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit benannt. § 35 Absatz 1 enthält in Satz 6 als Kriterium für die Stufen der Pflegezulage auch den Begriff der Blindheit, weshalb der Senat hierin eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage zur Regelung der Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "Bl" durch den Verordnungsgeber sieht.

Nach Teil A Ziffer 6 der VG gilt als blind, dem das Augenlicht vollständig fehlt. Als blind ist auch der behinderte Mensch anzusehen, dessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch nicht bei beidäugiger Prüfung mehr als 0,02 (1/50) beträgt oder wenn andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, die eine Gleichstellung rechtfertigen können.

Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 (1/50) oder weniger gleichzusetzende Sehbehinderung liegt nach den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft bei folgenden Fallgruppen vor:

a) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

b) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

c) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

d) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

e) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,

f) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,

g) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.

Der Senat konnte sich unter Berücksichtigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, des Ergebnisses der Beweisaufnahme vor dem SG und der Ausführung der Beteiligten nicht davon überzeugen, dass vorliegend die Voraussetzung des Merkzeichens "Bl" erfüllt sind.

Zunächst liegt keine vollständige Blindheit vor. Selbst nach eigenem Vortrag kann die Klägerin noch hell und dunkel unterscheiden und "Puzzleteile" erkennen. Die Klägerin ist auch nicht einem Blinden gleichzustellen, da nach den in sich schlüssigen, widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Ausführungen des Augenarztes Prof. Dr. H. in dem vom SG Mannheim von Amts wegen eingeholten Gerichtsgutachten vom 25.05.2013 sowie nach dessen ergänzender Stellungnahme an Hand der elektrophysiologischen Ableitungen (VEP und ERG) von einer Sehschärfe größer als 0,1 auszugehen ist. Der Senat sieht keine Veranlassung, an den Ergebnissen der elektrophysiologischen Ableitungen zu zweifeln. Der Einwand der Klägerin, wegen Hornhautnarben und Netzhautpigmentierungen seien die Muster der Hirnstrommessungen nicht verwertbar, ist nicht überzeugend. Zum Einen haben Prof. Dr. Ro. und Prof. Dr. H. beide einen annähernd gleichen Befund zur Hornhaut, Netzhaut und Linsentrübung erhoben und zum Anderen haben sich beide Ärzte nicht gehindert gesehen, VEP- und ERG-Ableitungen - Prof. Dr. Ro. nur VEP-Ableitungen - vorzunehmen. Beide haben Auffälligkeiten durch Latenzverlängerung und Amplitudenminderung beschrieben, was mit dem erhobenen organischen Augenbefund vereinbar war, jedoch fanden sich bei den Untersuchungen darüber hinaus keine die angegebene eingeschränkte Sehkraft bestätigende Muster. Die Klägerin verkennt, dass die bei den Messungen aufgezeichneten Wellenmuster aus dem empfangenen optischen Reiz den Rückschluss auf die Sehkraft zulassen, die der Klägerin als Untergrenze noch verblieben ist, allenfalls ein darüber hinausgehender noch besserer Visus durch die organischen Augenveränderungen verdeckt wird. Außerdem haben weder Prof. Dr. Ro. noch Prof. Dr. H. einen konkreten angenäherten Visus aus der Hirnstrommessung abgeleitet, sondern sich auf die Beurteilung beschränkt, dass ein Visus von mehr als 0,1 gegeben sein muss, zumal Prof. Dr. H. auch ausführt, dass die Orientierung der Klägerin im freien Raum sicherer ist, als der subjektive Visus erwarten lässt. Die objektivierbare Sehschärfe liegt damit deutlich über der dargebotenen subjektiven Sehschärfe. Auch korreliert der morphologische Befund nicht mit der subjektiven Sehschärfe. Zudem führt der baden-württembergische Landesblindenarzt Prof. Dr. Ro. im Arztbrief vom 29.11.2011 aus, dass die subjektiven Angaben der Klägerin zur Sehschärfe widersprüchlich und durch den morphologischen Befund nicht erklärbar sind. Die objektiven Ergebnisse, vor allem der visuell evozierten Potentiale, haben eine Sehschärfe von eindeutig mehr als 1/50 gesichert. Der Senat hegt damit ebenso wie das SG Zweifel an den tatsächlichen Angaben der Klägerin. Ferner spricht für eine Aggravation der Klägerin der Arztbrief des Direktors der Augenklinik der St. V.-Kliniken in K. Prof. Dr. L. vom 29.11.2012. Darin ist ausgeführt, dass die Klägerin nach Beendigung des Gespräches aufgestanden ist und der Untersuchung durch Prof. Dr. L. nach nicht visusentsprechend und ohne ihren Blindenstock um einen Stuhl herum zur Tür mit zielgerichtetem Griff nach der Türklinke geeilt ist. Dies deckt sich auch mit dem Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin gewonnen hat. Übereinstimmend mit der Schilderung von Prof. Dr. L. in seinem Arztbrief vom 29.11.2012 hat auch der Senat beim Auftreten der Klägerin nicht die Unsicherheiten erkennen können, die bei Beteiligten mit anerkanntem Merkzeichen "Bl" zu beobachten sind. Die Klägerin hat während der Sitzung ihrem knapp 1 m neben ihr sitzenden Sohn während dessen Vortrag mehrfach zielsicher ermunternd auf die Schulter geklopft, die vor dem Sohn liegenden offenen Blätter seines Redemanuskripts ohne Unsicherheit mehrfach zurecht geschoben und – was besonders auffällig gewesen ist – mit dem Sitzungsvertreter des Beklagten und den Richtern auf der Richterbank jeweils Blickkontakt gesucht und diesen auch gehalten, wenn sie mit ihnen gesprochen hat. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat ebenso wie das SG eine Verdeutlichungstendenz bei der Klägerin als gegeben an.

Weiter liegt auch keine der nach den Richtlinien der ophthalmologischen Gesellschaft aufgestellten Fallgruppen vor, bei denen eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 (1/50) oder weniger gleich zu setzende Sehbehinderung vorliegt. Nach den schlüssigen Ausführungen von Prof. Dr. H. haben zwar die Gesichtsfeldprüfungen unterschiedliche Ausprägungen ergeben, jedoch wurde auch bei der größten Einschränkung die Grenze von 15° nicht unterschritten. Auch Prof. Dr. Ro. führt im Arztbrief vom 29.11.2011 aus, dass angesichts des bis deutlich über 40° reichenden Gesichtsfeldes damit unverändert kein Anspruch auf Blindenhilfe besteht. Ferner liegt bei der Klägerin auch keine Hemianopsie vor. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren geltend macht, sie sei im Alltag auf Grund ihrer Sehbehinderungen auf das Schwerste beeinträchtigt und habe bereits mehrere Unfälle erlitten, so führt dies nicht zu einer anderen Bewertung, da wie ausgeführt eine Blindheit im Sinne des Schwerbehindertenrechts nicht vorliegt. Zwar weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass Dr. Ru. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.01.2012 ausgeführt hat, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Bl". Diese versorgungsärztliche Stellungnahme beruht auf einem älteren Befundbericht der Augenärztin Dr. M. vom 25.07.2011, nach dem auf beiden Augen der Visus nur mit Lichtschein angegeben ist (Bl. 123 der Verwaltungsakte). Jedoch hat der Beklagte erst nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Ru. den Arztbrief von Prof. Dr. Ro. vom 29.11.2011 durch Dr. M. vorgelegt bekommen und weitere aktuellere Befundberichte beigezogen. Damit führt die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Ru. vom 14.01.2012 zu keinem anderen Ergebnis, da sie auf veralteten Unterlagen beruht und die maßgeblichen Arztberichte nicht berücksichtigt. Vielmehr waren die beiden versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. St. vom 13.02.2012 und vom 01.10.2012 zu berücksichtigen, die ebenso wie das Gutachten von Prof. Dr. H. das Vorliegen der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "Bl" nachvollziehbar verneinen.

Nach alldem konnte die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben und war mit der Kostenentscheidung aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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