L 11 R 1115/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 2382/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1115/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 31.07.2013 sowie der Bescheid der Beklagten 23.05.2013 aufgehoben, soweit der Kläger darin zur Zahlung von Beiträgen und Säumniszuschlägen verpflichtet wird. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte im Klageverfahren 70 vH und der Kläger 30 vH, im Berufungsverfahren trägt die Beklagte 65 vH und der Kläger 35 vH.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird für das Klageverfahren auf 4.354,86 EUR und für das Berufungsverfahren auf 3.551,51 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Beiträgen zur Sozialversicherung.

Der Kläger ist Verwalter in dem am 01.09.2006 eröffneten Insolvenzverfahren (Beschluss des Amtsgerichts Ludwigshafen, 3 c IN 277/2006 Grü) über das Vermögen der Firma P. GmbH (im Folgenden: p-GmbH). Bereits mit Schreiben vom 23.08.2006 hatte er gegenüber dem Insolvenzgericht angezeigt, "dass die Masse voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Masseverbindlichkeiten zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erfüllen." Sämtliche Arbeitnehmer der p-GmbH wurden ab dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung von der Arbeitsleistung unter Anrechnung auf ihre Urlaubsansprüche und anderweitige Vergütungsansprüche von der Arbeitsleistung freigestellt. Der Kläger übermittelte für die gekündigten Arbeitnehmer für die Zeit ab 01.09.2006 keine Beitragsnachweise.

Der beklagte Rentenversicherungsträger führte bei der p-GmbH am 19.07.2010 eine Betriebsprüfung durch und übersandte anschließend dem Kläger das Anhörungsschreiben vom 19.07.2010, in dem erläutert wurde, dass die Beklagte beabsichtige, für die Zeit vom 01.09.2006 bis 31.10.2006 Nachforderungen zur Sozialversicherung iHv insgesamt 4.354,86 EUR zu erheben. Eine Äußerung des Klägers zu dieser Anhörung erfolgte nicht. In der Prüfmitteilung vom 19.08.2010 führte die Beklagte dann ua aus, die sich aus der Prüfung ergebende Nachforderung betrage insgesamt 4.354,86 EUR. Darin enthalten seien Säumniszuschläge in Höhe von 1.303,50 EUR. Dieser Betrag sei nach Bescheiderteilung, ggf abzüglich des Erstattungsanspruchs der Bundesagentur für Arbeit nach § 335 Abs 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III), an die in den Anlagen genannten Einzugsstellen zu zahlen. Für die Zeit vom 01.09. bis zum 31.10.2006 seien bisher keine Beitragsnachweise erstellt worden. Die Beiträge für diesen Zeitraum seien daher im Rahmen der Betriebsprüfung nachberechnet worden. Für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Arbeitgeber nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages bezahlt habe, sei nach § 24 Abs 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag iHv 1 vH zu zahlen. Für Beiträge aufgrund einer Betriebsprüfung gelte dies nach § 24 Abs 2 Satz 1 SGB IV nicht, soweit der Arbeitgeber unverschuldet keine Kenntnis von der Beitrags- und Zahlungspflicht gehabt habe. Bei dem vorliegenden Sachverhalt könne aber nicht von einer unverschuldeten Unkenntnis der Beitrags- und Zahlungspflicht ausgegangen werden. Die Prüfmitteilung enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung.

Am 02.09.2010 legte der Kläger "gegen den Bescheid" der Beklagten vom 19.08.2010 Widerspruch ein. Er ist der Auffassung, die Lohnansprüche für die Zeit nach der Insolvenzeröffnung sowie die hierauf gegründeten Sozialversicherungsansprüche seien nach § 209 Abs 1 Nr 3 Insolvenzordnung (InsO) nachrangige Masseverbindlichkeiten, die noch nicht zu bezahlen seien. Die Höhe der Arbeitsentgelte und dementsprechend die Höhe der Beiträge hingen davon ab, ob und in welcher Höhe ggf nur noch eine Quote zu bezahlen sei. Außerdem seien die Arbeitnehmer unter Anrechnung einer anderweitigen Vergütung freigestellt worden. Dies bedeute, dass die Arbeitnehmer bereits während der Freistellung ein neues Beschäftigungsverhältnis eingehen könnten mit der Folge, dass die im neuen Beschäftigungsverhältnis erzielten Löhne auf die vom Kläger geschuldeten Löhne anzurechnen seien. Um einen korrekten Annahmeverzugslohn ermitteln zu können, seien die freigestellten Arbeitnehmer angeschrieben und um Mitteilung gebeten worden, ob und ggf in welcher Höhe sie anderweitige Verdienste erhalten hätten. Der Arbeitgeber - und in der Insolvenz der Insolvenzverwalter - habe einen Auskunftsanspruch gegenüber den Arbeitnehmern und könne bis zur Erteilung der Auskunft die Zahlung von Löhnen verweigern. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.02.2012 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 29.02.2012 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben (S 12 R 2382/10). Er hat sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren wiederholt und darauf hingewiesen, dass für die gekündigten Arbeitnehmer im streitgegenständlichen Zeitraum keine Verzugslöhne fällig geworden seien. Kein Arbeitnehmer habe Verzugslöhne angemeldet und keiner habe sich dazu geäußert, ob er anderweitige Vergütungen erhalten habe. Bis zur Erteilung der Auskunft der freigestellten Arbeitnehmer sei der Arbeitgeber/Insolvenzverwalter berechtigt, die Leistung zu verweigern. Der Kläger verweist hierzu auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 19.03.2002, 9 AZR 16/01. Soweit Beitragsansprüche nicht fällig geworden seien, könnten auch keine Säumniszuschläge anfallen. Überdies habe die Beklagte die Auswirkungen der von ihm erklärten Masseunzulänglichkeit auf die Beitragsansprüche nicht beachtet. Die Beitragsansprüche stellten lediglich nachrangige Masseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs 1 Nr 3 InsO dar (sog Altmasseverbindlichkeiten), die er als Insolvenzverwalter erst bedienen dürfe, wenn alle vorangegangen Rangklassen erfüllt seien. Im vorliegenden Insolvenzverfahren sei derzeit die Massebildung noch nicht abgeschlossen. Es sei noch nicht absehbar, ob bzw in welcher Höhe auf die hier streitigen nachrangigen Beitragsansprüche der Sozialversicherungsträger Zahlungen geleistet werden könnten. Daraus folge, dass die Lohn- und Gehaltsansprüche der Arbeitnehmer und die hierauf gegründeten Sozialversicherungsansprüche heute weder fällig noch der Höhe nach absehbar seien.

Während des Klageverfahrens hat die Beklagte den Bescheid vom 23.05.2013 erlassen. Sie hat darin die Beitragsforderung um diejenigen Beiträge vermindert, die von der Bundesagentur für Arbeit getragen wurden. Die Beitragsforderung beträgt jetzt noch 3.551,51 EUR, darin enthalten sind Säumniszuschläge in Höhe von 1.054 EUR. Eine nochmalige Überprüfung des Bescheides vom 19.08.2010 habe ergeben, dass durch die Bundesagentur für Arbeit Forderungsübergänge nach § 143 Abs 3 SGB III iVm § 115 SGB X geltend gemacht worden seien. Die Beitragsforderung sei um die von der Bundesagentur geltend gemachten Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zu mindern. Im Übrigen ist die Beklagte der Klage entgegengetreten.

Mit Urteil vom 31.07.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Da der Kläger als Insolvenzverwalter die Arbeitnehmer einseitig und unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt habe, habe er sich grundsätzlich nach § 615 BGB im Annahmeverzug befunden. Dementsprechend sei er zur Vergütung verpflichtet geblieben. Nach § 615 Satz 2 BGB müsse sich der Arbeitnehmer allerdings den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erworben oder zu erwerben böswillig unterlassen habe. Zwar treffe grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für das Vorhandensein eines anrechenbaren Verdienstes den Arbeitgeber. Werde er aber auf Zahlung von Annahmeverzugslohn in Anspruch genommen, habe er im Gegenzug einen Anspruch gegen den Arbeitnehmer in entsprechender Anwendung von § 74c HGB auf Auskunft über die tatsächlichen Umstände, die nach § 615 Satz 2 BGB zum Erlöschen seiner Zahlungspflichten führten. Erteile der Arbeitnehmer die verlangte Auskunft nicht, könne der Arbeitgeber die Fortzahlung des Arbeitsentgelts verweigern. Das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB ändere jedoch nichts daran, dass der Arbeitsentgeltanspruch grundsätzlich entstanden und geschuldet sei. Das Urteil ist dem Kläger am 23.12.2013 zugestellt worden.

Am 13.01.2014 hat der Kläger Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt er sein früheres Vorbringen. Entgegen der Auffassung des SG würden vom Kläger keine Arbeitslöhne geschuldet, so dass auch keine Beitragspflicht habe entstehen können. Geschuldetes Arbeitsentgelt iSd § 22 SGB IV sei dasjenige, welches der Arbeitnehmer aufgrund einer konkreten Rechtsgrundlage vom Arbeitgeber tatsächlich rechtlich beanspruchen könne. Das Bestehen von Versicherungspflicht und das Entstehen von Beitragsansprüchen habe der Sozialversicherungsträger nachzuweisen. Das vom Kläger mehrfach zitierte Urteil des BAG vom 19.03.2002 (9 AZR 16/01) werde von der Beklagten völlig missverstanden. In dem vom BAG entschiedenen Fall hätten die Arbeitsvertragsparteien sich einvernehmlich auf eine Freistellung des Arbeitnehmers geeinigt. In diesem Fall ergebe sich der Arbeitslohn des Arbeitnehmers aus § 611 BGB. Ein Verzug des Arbeitsgebers liege in einem solchen Fall nicht vor.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 31.07.2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23.05.2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 31.07.2013 zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, aus Sicht der Sozialversicherung mindere nur der tatsächlich erzielte, anderweitige Verdienst des Arbeitnehmers den Beitragsanspruch. Auch Säumniszuschläge seien zu Recht erhoben worden. Auf eine unverschuldete Unkenntnis von der Beitragspflicht könne sich der Kläger nicht berufen.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

Nach einem rechtlichen Hinweis des Senats (Schreiben vom 09.05.2014) hat die Beklagte ergänzend vorgetragen, es sei zwar zutreffend, dass es sich bei den Ansprüchen der Arbeitnehmer um sog Altmasseverbindlichkeiten iSd § 209 Abs 1 Nr 3 InsO handele. Aber auch bei Anzeige von Masseunzulänglichkeit seien die Beitragsforderungen festzustellen. Die Masse werde grundsätzlich durch die Säumniszuschläge nicht eingeschränkt, da diese nach § 39 Abs 1 Nr 1 InsO den Insolvenzforderungen des § 38 InsO nachgeordnet würden. Nur für den Fall, dass der Insolvenzverwalter durch sein persönliches Verschulden - zB durch eine Fehlbeurteilung der Beitragspflicht freigestellter Arbeitnehmer - dazu beitrage, dass Säumniszuschläge als Neumasseverbindlichkeiten festzusetzen seien, könnten diese die Quote mindern.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber nur teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 23.05.2013 ist rechtswidrig, soweit der Kläger zur Zahlung von Beiträgen und Säumniszuschlägen verpflichtet wird. Im Übrigen, dh soweit festgestellt wird, dass der Kläger Beiträge in der im Bescheid genannten Höhe schuldet, ist der Bescheid jedoch rechtmäßig. Dadurch wird der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

Der Bescheid vom 23.05.2013, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, hat die Prüfmitteilung vom 19.08.2010 ersetzt und ist (alleiniger) Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Ob die Prüfmitteilung für sich genommen bereits als Verwaltungsakt gewertet werden kann, bedarf keiner Entscheidung. Spätestens durch den Erlass des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2012 musste jedenfalls der Kläger davon ausgehen, dass auch die Prüfmitteilung eine verbindliche Regelung enthält, so dass das als Prüfmitteilung erstellte Schreiben der Beklagten in Verbindung mit dem Widerspruchsbescheid einen Verwaltungsakt bildet, der wiederum durch den Bescheid vom 23.05.2023 ersetzt worden ist. Der Bescheid vom 23.05.2013 ist insoweit rechtswidrig, als die Beklagte den Umstand nicht berücksichtigt hat, dass der Insolvenzverwalter bei Altmasseverbindlichkeiten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht mehr zur Zahlung aufgefordert werden darf. Dagegen durfte der Rentenversicherungsträger die Beiträge der Höhe nach festsetzen; insoweit kommt dem Bescheid nur die Bedeutung eines Beitragsnachweises zu. Der Arbeitgeber und im Fall der Insolvenz der Insolvenzverwalter hat der Einzugsstelle nach § 28f Abs 3 Satz 1 SGB IV einen Beitragsnachweis zu übermitteln. Der Beitragsnachweis gilt für die Vollstreckung als Leistungsbescheid der Einzugsstelle und im Insolvenzverfahren als Dokument zur Glaubhaftmachung der Forderung der Einzugsstelle. Erstellt der Insolvenzverwalter – wie hier – keinen Betragsnachweis, kann dies der Rentenversicherungsträger für ihn tun. Hierfür ist ein (nur feststellender) Beitragsbescheid zwar nicht notwendig, aber auch nicht rechtswidrig.

In einem Rechtsstreit, in dem es (nur) um die Berechtigung zum Erlass eines feststellenden Bescheides als Ersatz für einen vom Arbeitgeber nicht erteilten Beitragsnachweis geht, sind die betroffenen Arbeitnehmer nicht notwendig beizuladen, weil in diesem Rechtsstreit noch nicht endgültig über das Bestehen und den Umfang einer sie betreffenden Versicherungsplicht entschieden wird.

Rechtsgrundlage für den Erlass des angefochtenen Beitragsbescheides ist § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Nach Abs 1 dieser Vorschrift prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV erfüllen. Die Prüfung umfasst auch die Lohnunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Abs 2 SGB IV sowie § 93 iVm § 89 Abs 5 SGB X nicht. Für die Zahlung von Beiträgen von Versicherungspflichtigen aus Arbeitsentgelt zur gesetzlichen Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung gelten nach § 253 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und § 174 Abs 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) die Vorschriften über den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§§ 28d bis 28n und 28r SGB IV). Diese Vorschriften gelten nach §§ 1 Abs 1 Satz 2 SGB IV, § 348 Abs 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) auch für die Arbeitsförderung. Das Arbeitsentgelt unterliegt der Beitragsbemessung in der Rentenversicherung (§ 162 Nr 1 SGB VI). Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (§ 14 Abs 1 S 1 SGB IV). § 22 Abs 1 SGB IV bestimmt ergänzend, wann die Beitragsansprüche entstehen. Nach dem in § 22 Abs 1 Satz 1 SGB IV geregelten Grundsatz entstehen die Beitragsansprüche, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Nach der Ausnahmeregelung des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB IV entstehen die Beitragsansprüche bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt, sobald dieses ausgezahlt worden ist.

Bei den von der Beklagten festgesetzten Beiträgen für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens handelt es sich um Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs 1 Nr 3 InsO (sog Altmasseverbindlichkeiten) und nicht um Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs 1 Nr 2 InsO (sog Neumasseverbindlichkeiten). Die Beitragsforderungen wurden vom Kläger nicht - wie dies § 209 Abs 1 Nr 2 InsO verlangt - begründet. Für eine "Begründung" in diesem Sinn reicht nicht aus, dass ein vorher abgeschlossenes Dauerrechtsverhältnis auch noch eine gewisse Zeit lang nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit rechtlich fortbesteht. Im Sinne von § 209 Abs 1 Nr 2 InsO ist ein Schuldverhältnis (unmittelbar) "begründet" worden, wenn der Insolvenzverwalter den Rechtsgrund dafür erst nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit gelegt hat, insbesondere durch eine Handlung im Sinne des § 55 Abs 1 Nr 1 InsO. Hierbei handelt es sich jeweils um Verbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter durch selbstbestimmtes Handeln auslöst (vgl hierzu BGH 29.04.2004, IX ZR 141/03, WuM 2004, 545 = juris). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil der Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter die Arbeitsverträge derjenigen Arbeitnehmer, für die hier Beiträge gefordert werden, nicht abgeschlossen hat. Der Kläger hat auch nicht die Gegenleistung aus den Arbeitsverhältnissen genutzt, weil er die Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freigestellt hat. Er hat damit die Gegenleistung aus dem Dauerschuldverhältnis gerade nicht in Anspruch genommen, so dass auch kein Fall des § 209 Abs 2 Nr 3 InsO vorliegt (vgl auch hierzu BGH 29.04.2004, IX ZR 141/03, WuM 2004, 545, juris). Somit sind die Beitragsforderungen Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs 1 Nr 3 InsO. Nach § 210 InsO ist die Vollstreckung wegen einer solchen Masseverbindlichkeit unzulässig, sobald der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat. Letzteres ist hier erfolgt.

Das Vollstreckungsverbot richtet sich nicht nur gegen bereits titulierte Ansprüche der Masse-gläubiger, sondern hat auch zur Folge, dass zivilrechtliche Ansprüche nicht mehr im Wege der Leistungsklage verfolgt werden dürfen. Für die Arbeitgeberprüfung nach § 28p SGB IV folgt hieraus, dass auch die Beklagte nicht mehr berechtigt war, sich durch den Erlass eines Beitragsbescheides einen Vollstreckungstitel zu verschaffen. Andererseits wird in einem solchen Fall im Zivilprozess die Feststellungsklage für zulässig erachtet, zumindest dann, wenn der Insolvenzverwalter das Bestehen einer Masseverbindlichkeit bestreitet (vgl Hefermehl in MüKo 3. Aufl. 2013 § 210 InsO Rn 18; BGH 03.04.2003, IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358). Der hier zu beurteilende Sachverhalt ist damit vergleichbar, weil der Insolvenzverwalter sich geweigert hat, einen Beitragsnachweis zu übermitteln mit der Begründung, eine Beitragsforderung sei noch gar nicht entstanden. Um der Einzugsstelle ein Dokument zu verschaffen, mit dem diese ihre Forderung im Insolvenzverfahren glaubhaft machen kann, war die Beklagte berechtigt, den vom Kläger geschuldeten Beitragsnachweis selbst zu erstellen. Dies muss nicht, kann aber in Form einer Feststellungsbescheides erfolgen.

Nach § 28p Abs 3 SGB IV sind die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Arbeitgeberprüfung verpflichtet, die Einzugsstellen über Sachverhalte zu unterrichten, soweit sie die Zahlungspflicht oder die Meldepflicht des Arbeitgebers betreffen. Auf dieser Grundlage übermitteln die Rentenversicherungsträger die nach § 7 Abs 4 der Beitragsverfahrensverordnung (BVV) erstellten Prüfberichte an die Einzugsstellen. Für die Durchführung der Prüfung haben der GKV-Spitzenverband, die Deutsche Rentenversicherung Bund, die Bundesagentur für Arbeit und die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. die Vereinbarung vom 03.11.2010 getroffen. Danach unterrichtet die Einzugsstelle den Rentenversicherungsträger, wenn sie eine alsbaldige Prüfung für erforderlich hält. Gedacht ist dabei ua an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Rentenversicherungsträger führen diese Betriebsprüfungen unverzüglich durch (sog ad-hoc-Prüfung nach 1.1.2 und 1.1.4 der Vereinbarung). Unter "1.6 Unterrichtung der Einzugsstellen" der Vereinbarung ist dann Folgendes geregelt:

"Damit die Einzugsstellen ihren Pflichten nachkommen können, müssen die Rentenversicherungsträger sie nach § 28p Abs 3 SGB IV über Sachverhalte unterrichten, soweit sie die Zahlungspflicht oder die Meldepflicht des Arbeitgebers betreffen. Jede Einzugsstelle erhält eine Durchschrift der vollständigen Prüfmitteilung mit der sie betreffenden Anlage (Aufstellung der Nachberechnungen und Gutschriften). Die In-formation erhält die Einzugsstelle/Geschäftsstelle, die die Beiträge einzieht. Die An-lage zur Prüfmitteilung gilt als Beitragsnachweis für die Sollstellung der Einzugsstelle. Der Arbeitgeber weist die Beiträge nicht mehr gesondert nach; darauf ist er bei der Prüfung hinzuweisen."

Durch den vom beklagten Rentenversicherungsträger selbst erstellten Beitragsnachweis hat die Einzugsstelle ein Dokument zur Glaubhaftmachung ihrer Forderungen (§ 28 f Abs 3 Satz 3 SGB IV) erhalten. Für den Erlass eines zur Zahlung verpflichtenden Beitragsbescheides, der ohnehin nicht vollstreckt werden dürfte, fehlt es dagegen an einer Rechtsgrundlage.

Der Hinweis des Klägers auf die aus seiner Sicht fehlende Fälligkeit des Arbeitsentgelts und der noch offenen Quote berechtigt ihn nicht dazu, gar keinen Beitragsnachweis zu erstellen. Seine Rechtsansicht, wonach eine Beitragsforderung noch gar nicht entstanden sein soll, wird vom Senat nicht geteilt. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass mit der Insolvenz des Arbeitgebers und einer sich anschließenden Freistellung der Arbeitnehmer durch den Insolvenzverwalter das Beschäftigungsverhältnis der Arbeitnehmer nicht beendet wird (vgl BSG 26.11.1985, 12 RK 51/83, BSGE 59,183). Damit sind auch die Beitragsansprüche der Sozialversicherungsträger nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB IV entstanden und nach § 23 SGB IV fällig geworden. Ob es – wie vom Kläger vorgetragen – zutrifft, dass die Lohn- oder Gehaltsansprüche der freigestellten Arbeitnehmer noch nicht fällig geworden sind, weil diese dem Insolvenzverwalter keine Auskunft darüber erteilt haben, ob sie während ihrer Freistellung eine andere Beschäftigung aufgenommen haben, bedarf keiner Entscheidung. Darauf kommt es nicht an. Die Entstehung der Beitragsansprüche hängt nicht davon ab, ob das geschuldete Arbeitsentgelt gezahlt wurde, es dem Arbeitnehmer also zugeflossen ist. Dies gilt nur für einmalig gezahltes Arbeitsentgelt (§ 22 Abs 1 Satz 2 SGB IV). Für die Fälligkeit laufend geschuldeter Beiträge kommt es nach § 23 SGB IV außerdem nicht darauf an, ob das geschuldete Arbeitsentgelt fällig geworden ist (BSG 21.05.1996, 12 RK 64/94, BSGE 78, 224).

Der angefochtene Bescheid ist auch rechtswidrig, soweit die Beklagte Säumniszuschläge festgesetzt hat. Nach § 24 Abs 1 Satz 1 SGB IV ist für Beiträge, die nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt wurden, ein Säumniszuschlag zu zahlen. Die Pflicht zur Zahlung eines Säumniszuschlages setzt also eine Pflicht zur Zahlung des Beitrages voraus. Aufgrund des sich aus § 210 InsO ergebenden Vollstreckungsverbotes für die Altmasseverbindlichkeiten bestand aber keine Pflicht zur Zahlung der Beiträge. Im Beitragsrecht der Sozialversicherung ist ähnlich wie im Steuerrecht (hierzu BFH 29.08.2007, IX R 58/06, juris) und im Abgabenrecht (vgl SächsOVG 19.10.2012, 5 D 97/12, juris) eine Trennung zwischen einer Festsetzung der Beiträge und ihrer Vollstreckung vorzunehmen. Das Vollstreckungsverbot hat deshalb zur Folge, dass Widerspruch und Klage gegen den Beitragsbescheid aufschiebende Wirkung haben und eine Vollstreckung aus dem Beitragsbescheid unzulässig ist. Ferner fallen keine Säumniszuschläge an. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit lässt die Forderung des Massegläubigers als solche zwar unberührt. Sie schränkt jedoch die Leistungspflicht des Insolvenzverwalters und damit zugleich den Wert der Altmasseforderungen ein. Aufgrund der Anzeige verlieren die Altmasseverbindlichkeiten nicht allein ihre Durchsetzbarkeit, sondern es tritt auch eine Anspruchsbeschränkung auf die ihnen zustehende Quote ein. Die Höhe der Quote schwankt im Laufe des Verfahrens und kann im Grunde erst nach Abschluss der Verwertung hinreichend sicher berechnet werden. Die angezeigte Masseunzulänglichkeit begründet deshalb eine materiell-haftungsrechtliche Einwendung. Der Verwalter kann somit durch die Anzeige einen Schuldnerverzug gegenüber Altmassegläubigern (§§ 280, 286 BGB) vermeiden, so dass die unzulängliche Masse nicht durch Verzugszinsen oder Säumniszuschläge zusätzlich geschmälert wird (Hefermehl aaO § 208 Rn 62 mwN).

Aus den Entscheidungen des BSG zu der Frage, welcher Rang den Ansprüchen auf Säumniszuschläge in der Insolvenz zukommt (vgl BSG 26.01.2005, B 12 KR 23/03 R, SozR 4-2400 § 24 Nr 3 und 18.12.2003, B 11 AL 37/03 R, SozR 4-2400 § 24 Nr 1) kann nicht der Schluss gezogen werden, dass Säumniszuschläge auch für die Altmasseverbindlichkeiten anfallen. Denn die Entscheidungen des BSG betreffen Ansprüche auf Säumniszuschläge, die zwar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, aber aufgrund von Forderungen, die bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Klage war zunächst erfolgreich, soweit die Beklagte die Forderung während des Klageverfahrens von 4.354,86 EUR auf 3.551,53 EUR ermäßigt hat. Sie war ferner insoweit erfolgreich, als im noch streitgegenständlichen Bescheid vom 23.05.2013 zu Unrecht eine Pflicht zur Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 3.551,53 EUR verfügt worden ist, sie war ohne Erfolg, soweit die Beitragsschuld in dieser Höhe festgesetzt bzw der Sache nach ein Beitragsnachweis erstellt worden ist. Der Senat wertet dies als ein hälftiges Obsiegen. Die Festsetzung von Säumniszuschlägen im Bescheid vom 23.05.2013 war insgesamt rechtswidrig. Daraus ergibt sich eine Kostenaufteilung für das Klageverfahren von 70 vH zu Lasten der Beklagten und 30 vH zu Lasten des Klägers und für das Berufungsverfahren von 65 vH zu Lasten der Beklagten und 35 vH zu Lasten des Klägers.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm §§ 1 Abs 2 Nr 3, 47 Abs 1 und 2, 52 Abs 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG). In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag des Klägers – wie vorliegend – eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs 3 Satz 1 GKG). Für das Klageverfahren beträgt der Streitwert daher 4.354,86 EUR und für das Berufungsverfahren 3.551,51 EUR.
Rechtskraft
Aus
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