L 12 AS 3227/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 4168/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 3227/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum europarechtlichen Leistungsausschluss für Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten.
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 21.06.2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerinnen begehren Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 04.07.2007 bis 18.02.2008.

Die 1984 geborene erwerbsfähige Klägerin zu 1 ist litauische Staatsangehörige und reiste mit ihren 2003 und 2006 geborenen Töchtern, den Klägerinnen zu 2 und 3 am 27.04.2007 nach Deutschland ein. Die Klägerinnen wohnten zunächst bei einer Tante der Klägerin zu 1, zogen dann jedoch zum 01.07.2007 in die B.straße ... nach S., dort zog auch Herr R., der späteren Ehemann der Klägerin zu 1, ein (vgl. Mietvertrag vom 16.06.2007). Herr R. ist geschäftsunfähig, steht unter Betreuung (Beschluss des Amtsgerichts S. vom 17.10.2003) und lebte gemäß einer Meldebescheinigung vom 06.06.2007 seit 01.04.2007 in E ...

Am 04.07.2007 beantragte die Klägerin zu 1 für sich und ihre Töchter Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bei der Agentur für Arbeit.

Am 31.07.2007 teilte die Klägerin gegenüber dem Ausländeramt mit, dass sie beabsichtige Herrn R. zu heiraten. Am 01.10.2007 erläuterte das Ausländeramt der Agentur für Arbeit, dass der Klägerin zu 1 keine Freizügigkeitserlaubnis erteilt werden könne, da kein Arbeitsplatz nachgewiesen worden sei. Mit Schreiben vom 27.11.2007 teilte das Standesamt dem Vormundschaftsgericht mit, dass eine Anmeldung der Eheschließung zwischen der Klägerin zu 1 und Herrn R. abgelehnt werde, da dieser dauerhaft geschäftsunfähig sei und eine geschäftsunfähige Person keine Ehe eingehen könne. Am 19.02.2008 schlossen Herr R. und die Klägerin zu 1 in Litauen die Ehe. Am 15.07.2008 kam die Tochter der Klägerin und Herrn R.s zur Welt, die Schwangerschaft wurde am 06.03.2008 festgestellt. Mit Beschluss vom 20.11.2008 wies das Amtsgericht H. den Standesbeamten an, den Status der Eltern des Kindes als verheiratet zu beurkunden. Es sei nicht bekannt, dass die Ehe angefochten worden sei. Dies sei nach deutschem Recht nur auf Antrag und durch gerichtliches Urteil möglich, ein solches liege nicht vor. Am 03.04.2009 wurde der Klägerin zu 1 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) – Familiennachzug zu Deutschen – erteilt.

Mit Schreiben vom 19.06.2008 teilte die Agentur für Arbeit der Klägerin zu 1 mit, dass sie keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für Arbeitsuchende erhalte. In einem vor dem Sozialgericht Mannheim (SG) geschlossenen Vergleich in einem Verfahren wegen Untätigkeit verpflichtete sich die Agentur für Arbeit, bis zum 20.11.2008 den Antrag der Klägerinnen auf Arbeitslosengeld II vom 04.07.2007 zu bescheiden.

Mit Bescheid vom 24.11.2008 lehnte die Agentur für Arbeit Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ab. Die Klägerinnen hätten kein Aufenthaltsrecht. Deshalb seien sie nach § 7 Absatz 1 Satz 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen.

Gegen die Ablehnung wandten sich die Klägerinnen mit ihrem Widerspruch vom 02.12.2008. Zweck des Aufenthaltes sei das Zusammenleben mit dem künftigen Ehemann der Klägerin zu 1, Herrn R., gewesen. Die Einreise zu ihrem künftigen deutschen Ehegatten lasse den Ausschluss nicht greifen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2008 wies die Agentur für Arbeit den Widerspruch zurück. Da die Ehe nicht anerkannt sei, lasse sich hieraus kein Aufenthaltsrecht ableiten. Da sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten könne und nicht krankenversichert sei, liege kein Aufenthaltsrecht nach § 4 i.V.m. § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgsetzes EU (FreizügigkeitsG/EU) vor. Selbst wenn man ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche annehme, läge ein Ausschluss nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 SGB II vor.

Mit Schreiben vom 17.12.2008, eingegangen am gleichen Tag, hat die Klägerin Klage zum SG erhoben. Der Ausschluss von EU-Bürgern vom Leistungsbezug nach § 7 SGB II sei nicht mit EU-Recht vereinbar. Es liege kein Ausschluss der Berechtigung nach § 7 Absatz 2 Nummer 2 SGB II vor, da Zweck des Aufenthaltes das Zusammenleben mit ihrem späteren Ehemann gewesen sei. Die Einreise zum Ehegatten lasse den Ausschluss nicht greifen. Hilfsweise könne der Klägerin eine Arbeitsgenehmigung erteilt werden.

Mit Bescheiden vom 22.01.2009 bewilligte die Agentur für Arbeit den Klägerinnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab 19.02.2008.

Mit Wirkung zum 01.01.2012 hat ein gesetzlicher Rechtsträgerwechsel auf Beklagtenseite stattgefunden; seither ist der Beklagte für die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zuständig.

Mit Urteil vom 21.06.2012 hat das SG der Klage stattgegeben und den Beklagten verurteilt, den Klägerinnen unter Abänderung des Bescheides vom 24.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2008 in der Fassung der Bescheide vom 22.01.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 04.07.2007 bis 18.02.2008 zu gewähren. Außergerichtliche Kosten seien voll zu erstatten. Die Klägerinnen hätten ein Aufenthaltsrecht aus Artikel 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der europäischen Union (AEUV), der ein von der Arbeitnehmerfreizügigkeit unabhängiges Freizügigkeitsrecht gewähre. Da Zweck der Einreise nicht die Arbeitsuche sei, greife der Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 Satz 2 SGB II nicht. Soweit die Klägerin zu 1 dennoch dem Personenkreis der Arbeitsuchenden zuzuordnen sei, verstoße der Leistungsausschluss in § 7 Satz 2 Nummer 2 SGB II gegen europäisches Primärrecht.

Gegen das Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung vom 16.07.2012. Die Klägerin zu 1 sei als Arbeitsuchende von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Auf ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Absatz 2 Nummer 7 FreizügigkeitsG/EU könne sich die Klägerin erst ab der Heirat am 19.02.2008 berufen, da sie erst dann Familienangehörige i.S.d. § 3 Absatz 1 Nummer 1 FreizügigkeitsG/EU sei.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 21.06.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerinnen tragen vor, die Einreise sei eindeutig nur zur Familiengründung erfolgt, wie sich an der zeitnahen Eheschließung und der Geburt der beiden gemeinsamen Kinder von Herrn R. und der Klägerin zu 1 zeige.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Ausländerakte der Stadt S. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten hat Erfolg.

Die form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Absatz 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG) Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und damit insgesamt zulässig. Sie ist auch in der Sache begründet. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den streitgegenständlichen Zeitraum wurden zu Recht abgelehnt, die Klägerinnen haben für diesen Zeitraum keinen Anspruch auf Leistungen.

Gegenstand des Verfahrens sind Ansprüche der Klägerinnen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Regelleistung) für die Zeit vom 04.07.2007 bis 18.02.2008. Streitgegenständlich waren in den Bescheiden und im Urteil des SG nur die Regelleistungen, da seinerzeit getrennte Trägerschaft bestand und die Agentur für Arbeit über die Kosten der Unterkunft nicht entscheiden konnte. Ab dem Zeitpunkt der Hochzeit der Klägerin zu 1 mit Herrn R. am 19.02.2008 hat die Agentur für Arbeit den Klägerinnen Leistungen bewilligt, die Klägerinnen haben deshalb den Streitgegenstand in zeitlicher Hinsicht entsprechend beschränkt. Somit kommt es auf die Frage, ob die Ehe der Klägerin zu 1 mit Herrn R. gültig war, nicht mehr an. Bei den Regelleistungen handelt sich um einen abtrennbaren selbständigen Anspruch, sodass eine Beschränkung des Streitgegenstandes möglich ist (BSG, Urteil vom 18.06.2008 – B 14/11b AS 61/06 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr. 12).

Die Klägerin zu 1, deren Anspruch nach § 7 Absatz 2 i.V.m. Absatz 3 Nummer 4 SGB II (in der bis 27.08.2007 und der bis 31.12.2010 geltenden Fassung) auch für den Anspruch der Klägerinnen zu 2 und 3 maßgeblich ist, erfüllte im streitigen Zeitraum sämtliche Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4 SGB II (in der bis 27.08.2007 und der bis 31.12.2010 geltenden Fassung). Sie hatte das 15. Lebensjahr vollendet, war erwerbsfähig und hilfebedürftig und hatte im streitgegenständlichen Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Da die Klägerinnen bereits am 27.04.2007 nach Deutschland eingereist waren, liegt kein Ausschluss nach § 7 Absatz 1 Satz 2 SGB II (in der bis 27.08.2007 geltenden Fassung) vor, da sie sich zum Zeitpunkt der Antragstellung am 04.07.2007 bereits länger als drei Monate in Deutschland aufgehalten hatten.

Sie hat jedoch kein Aufenthaltsrecht (1) und ist deshalb von den SGB II-Leistungen gemäß § 7 Absatz 1 Satz 2 SGB II (in der bis 27.08.2007 geltenden Fassung) bzw. § 7 Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 SGB II (in der bis 31.12.2010 geltenden Fassung); der Ausschluss gilt auch für Personen, die kein Aufenthaltsrecht haben (2). Der Ausschluss von Personen ohne Aufenthaltsrecht verstößt nicht gegen europarechtliche Vorschriften (3).

1. Kein Aufenthaltsrecht

Die Klägerin zu 1 hat mehrfach und glaubhaft versichert, nicht zur Arbeitsuche nach Deutschland eingereist zu sein, sondern zur Familiengründung. Folglich war sie keine Arbeitnehmerin i.S.d. §§ 2 Absatz 2 Nummer 1 bis 3 FreizügigkeitsG/EU bzw. Artikel 7 RL 2004/38 und auch nicht zur Arbeitsuche in Deutschland. Die Klägerinnen verfügten auch nicht über die notwendigen Existenzmittel, da andernfalls der vorliegende Rechtstreit überflüssig wäre, da die Klägerinnen nicht hilfebedürftig gewesen wären. Sie haben somit kein Aufenthaltsrecht nach §§ 2 Absatz 2 Nummer 5 i.V.m. § 4 FreizügigkeitsG/EU bzw. Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2004/38.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht in Bezug auf die Auslegung des Artikel 4 VO 883/2004. Die in Rede stehenden Leistungen, bei denen es sich um "besondere beitragsunabhängige Geldleistungen" im Sinne des Artikel 70 Absatz 2 VO 883/2004 handelt, werden nämlich nach Artikel 70 Absatz 4 ausschließlich in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, und nach dessen Rechtsvorschriften gewährt. Daher spricht nichts dagegen, die Gewährung solcher Leistungen an nicht erwerbstätige Unionsbürger von dem Erfordernis abhängig zu machen, dass sie die Voraussetzungen der RL 2004/38 für ein Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat erfüllen (EUGH, a.a.O. unter Verweis auf das Urteil Brey, EU:C:2013:965, Rn. 44).

Die Klägerin zu 1 kann sich auch nicht nach den besonderen Einzelfallumständen in dem hier streitigen Zeitraum auf ein anderes Aufenthaltsrecht aus Artikel 6 GG i.V.m. dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) berufen. Zwar kann findet § 11 Absatz 1 Satz 5 FreizügG/EU in der bis zum 30.06.2011 geltenden Fassung vom 19.08.2007 – das grundsätzlich nur noch für Drittstaatsangehörige geltende – AufenthG weiterhin auch auf Unionsbürger Anwendung, wenn es eine günstigere Regelung vermittelt als das FreizügG/EU. Bei dem anzustellenden Günstigkeitsvergleich ist keine abstrakt wertende Betrachtung in Bezug auf die gesamte Rechtsstellung anzustellen. Vielmehr knüpft der Vergleich i.S. einer den konkreten Einzelfall in den Blick nehmenden Betrachtung an einzelne Merkmale an (BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R –, BSGE 113, 60-70, SozR 4-4200 § 7 Nr. 34).

Dabei kann dem insoweit anwendbaren § 7 Absatz 1 Satz 3 AufenthG – unabhängig von der ansonsten geforderten Bindung der Aufenthaltserlaubnis an konkrete, im AufenthG genannte Aufenthaltszwecke (§ 7 Absatz 1 S 2 AufenthG) – in begründeten Fällen im Wege einer Ermessensentscheidung eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht genannten Aufenthaltszweck erteilt werden. Allerdings besteht ein solches Aufenthaltsrecht für eheähnlich zusammenlebende heterosexuelle Paare weder aus dem Auffangtatbestand des § 7 Absatz 1 Satz 3 AufenthG, noch besteht aus dem europäischem Recht ein Aufenthaltsrecht zur Familienzusammenführung, weil der Familiennachzug in § 3 FreizügG/EU und den §§ 27 ff AufenthG abschließend geregelt ist (BSG, a.a.O.). Da nichteheliche Lebensgemeinschaften von den ausdrücklichen Regelungen gerade nicht erfasst sind, ist die Anwendung von § 7 Absatz 1 Satz 3 AufenthG grundsätzlich gesperrt (BSG, a.a.O. unter Verweis auf BVerwG Urteil vom 27.02.1996 – 1 C 41/93BVerwGE 100, 287 ff).

Die – hier im Rahmen der Ausschlussklausel des § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 SGB II – bei Unionsbürgern nur zu prüfenden Voraussetzungen eines anderen Aufenthaltsrechts sind auch nicht wegen Artikel 6 GG und der §§ 27 Absatz 1, 28 Absatz 1, 29 und 32 AufenthG gegeben. Zwar kann ein solches Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen bestehen, das aus dem Zusammenleben der Partner mit einem gemeinsamen Kind oder dem Kind eines Partners folgt. Diese Personengruppen bilden jeweils eine Familie i.S.d. Artikel 6 GG und der §§ 27 Absatz 1, 28 Absatz 1, 29 und 32 AufenthG und können sich auch auf den Schutz aus Art 8 der Konvention des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK) berufen (BSG a.a.O.). Zwar plante die Klägerin zu 1 mit Herrn R. und den Klägerinnen zu 2 und 3 eine Familie zu gründen. Dies führt jedoch nicht dazu, dass hieraus ein Aufenthaltsrecht erwächst. Zum einen bestand in den zitierten Entscheidungen immer bereits eine Familie, die durch eine ausländerrechtliche Entscheidung bedroht war (OVG Lüneburg, Beschluss vom 22.12.2006 – 11 ME 393/06 –, juris), wohingegen im vorliegenden Fall von der Klägerin zu 1 eine Familie erst gegründet werden sollte, mit einem Mann, der nicht der Vater der Klägerinnen zu 2 und 3 war. Zum anderen ist bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 08.12.2005 – 2 BvR 1001/04 –, juris; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23. Januar 2006 – 2 BvR 1935/05 –, juris). Im vorliegenden Fall bestand keine Verbundenheit der Klägerinnen zu 2 und 3 mit Herrn R., vielmehr kannten sie Herrn R. nicht. Die Klägerin zu 1 hat im Termin angegeben, Herrn R. selbst erst im Sommer 2007 kennengelernt zu haben. Es lag also keine Verbundenheit der Klägerinnen zu 2 und 3 zu Herrn R. vor, die des besonderen Schutzes des Artikel 6 GG bedurfte hätte.

Auch aus der bevorstehen Geburt des gemeinsamen Kindes V. ergibt sich nicht anderes. Zwar kann eine solche Konstellation, die einen anderen Aufenthaltszweck als denjenigen der Arbeitsuche vermitteln kann, auch in einer bevorstehenden Familiengründung liegen (BSG a.a.O.). Insofern wird in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum AufenthG angenommen, dass der bevorstehenden Geburt eines Kindes aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen für den Aufenthaltsstatus eines Elternteils zukommen können. Die anstehende Vaterschaft eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer deutschen, aber auch ausländischen Staatsangehörigen, kann aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen im Sinne eines Abschiebungshindernisses begründen, wenn entweder der Schutz der Familie nach Artikel 6 Absatz 1 GG und die aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 und Artikel 1 Absatz 1 GG abzuleitende Schutzpflicht für die Gesundheit der werdenden Mutter und des Kindes dies gebieten, oder wenn beide Elternteile bereits in Verhältnissen leben, welche eine gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung sicher erwarten lassen und eine (vorübergehende) Ausreise zur Durchführung eines Sichtvermerkverfahrens nicht zumutbar ist. Dies gilt zumindest mit der Vaterschaftsanerkennung und der Zustimmung der Mutter (§§ 1592 Nummer 2, 1595 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches) sowie einer gemeinsamen Sorgerechtserklärung (BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R –, BSGE 113, 60-70, SozR 4-4200 § 7 Nr. 34, SozR 4-1200 § 30 Nr. 7; OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 23.02.2012 – 2 S 94.11, 2 M 70.11 – RdNr 3 ff; Sächsisches OVG Beschluss vom 02.10.2009 – 3 B 482/09 – InfAuslR 2010, 27 ff; vgl auch VG Dresden Beschluss vom 11.06.2008 – 3 L 279/08 – RdNr 10 zum Abschiebungsschutz für eine ausländische werdende Mutter). Insofern tritt die staatliche Verpflichtung aus Artikel 6 Absatz 1 GG i.V.m. Absatz 2 GG ein (OVG Hamburg, Beschluss vom 14.08.2008 – 4 Bs 84/08 – InfAuslR 2009, 16 ff). Von der Schutzpflicht des Staates aus Artikel 6 GG ist insbesondere die Rechtsposition des Kindes sowie dessen Anspruch auf Ermöglichung bzw. Aufrechterhaltung eines familiären Bezugs zu beiden Elternteilen von Geburt an betroffen (BSG, a.a.O.; BVerfG FamRZ 2006, 187 ff; BVerfG NVwZ 2006, 682, 683 zum Familienschutz; BVerfGE 80, 81 ff).

Diese aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung bestanden grds. auch im Falle der Klägerin. Jedoch können die Schutzpflichten aus Artikel 6 GG und damit die aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen der bevorstehenden Geburt eines Kindes erst dann zum Tragen kommen, wenn eine Schwangerschaft sicher feststeht. Hiervor ist auszugehen, wenn die Schwangerschaft von einem Arzt bestätigt wurde. Dies ist im Fall der Klägerin zu 1 erst am 06.03.2008 erfolgt, einem Zeitpunkt also, zum dem der Beklagte bereist Leistungen gewährt hat.

2. Ausschluss in § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 SGB II auch für Personen ohne Aufenthaltsrecht

Nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 SGB II (in der bis 31.12.2010 geltenden Fassung) und § 7 Absatz 1 Satz 2 SGB II (in der bis 27.08.2007 geltenden Fassung) sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen. Zwar sehen die genannten Vorschriften einen Ausschluss explizit nur bei Personen vor, die sich zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten. Liegt ein anderer Aufenthaltstitel nach europarechtlichen Vorschiften vor, greift der Leistungsausschluss des § 7 Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 SGB II (in der bis 31.12.2010 geltenden Fassung) nicht (BSG, Urteile vom 25.01.2012 – B 14 AS 138/11 R –, SozR 4-4200 § 7 Nr, 28 und vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R –, BSGE 113, 60-70, SozR 4-4200 § 7 Nr. 34, SozR 4-1200 § 30 Nr. 7). Voraussetzung ist jedoch, dass den Betroffenen überhaupt ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zusteht. Dies setzt das BSG in den zitierten Entscheidungen voraus, da andernfalls bei der Verneinung eines Aufenthaltsrechtes zur Arbeitssuche die seitens des BSG geforderte fiktive Prüfung des Aufenthaltsrechts (BSG a.a.O.) entfallen könnte. Dies ergibt sich auch daraus, dass andernfalls Personen ohne Aufenthaltsrecht finanziell besser stünden, als Personen, denen ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche zusteht. Dieser Personenkreis soll jedoch nach den europarechtlichen Vorschriften durch das Aufenthaltsrecht gerade privilegiert werden. Nicht zuletzt ergibt sich der Ausschluss von Personen ohne Aufenthaltsrecht auch aus dem Willen des Gesetzgebers, der eine ausdrückliche Änderung von § 7 Absatz 2 SGB II vornahm, um der Erweiterung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern zu einer allgemeinen Freizügigkeit für alle Unionsbürger Rechnung zu tragen (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, BSGE 113, 60-70, SozR 4-4200 § 7 Nr. 34, SozR 4-1200 § 30 Nr. 7). Der Gesetzgeber wollte Artikel 24 Absatz 2 der Richtlinie 2004/38 mit § 7 Absatz 2 Nummer 2 SGB II umsetzen. Er ging davon aus, dass Personen, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche herleiten, von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen bleiben (BT-Drs. 16/5065 S. 234). 3. Europarechtliche Zulässigkeit des Ausschlusses

Ein solcher Ausschluss von Personen ohne Aufenthaltsrecht ist europarechtlich auch zulässig. Zwar verleiht Artikel 20 Absatz 1 AEUV jeder Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt, den Status eines Unionsbürgers (EUGH, Urteil vom 11.11.2014 – C 333/13 – juris). Auch verbietet Artikel 18 AEUV jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Jedoch sieht Artikel 20 Absatz 2 Unterabsatz 2 AEUV ausdrücklich vor, dass die Rechte, die dieser Artikel den Unionsbürgern verleiht, "unter den Bedingungen und innerhalb der Grenzen ausgeübt [werden], die in den Verträgen und durch die in Anwendung der Verträge erlassenen Maßnahmen festgelegt sind". Ferner besteht nach Artikel 21 Absatz 1 AEUV das Recht der Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nur "vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen" (EUGH, a.a.O.). Dabei wird das in Artikel 18 AEUV in allgemeiner Weise niedergelegte Diskriminierungsverbot in Artikel 24 der Richtlinie 2004/38 (RL 2004/38) für Unionsbürger konkretisiert, die wie die Klägerinnen von ihrer Freiheit Gebrauch machen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten. Zudem erfährt dieses Verbot in Artikel 4 der Verordnung 883/2004 (VO 883/2004) eine Konkretisierung für Unionsbürger, die wie die Klägerinnen im Aufnahmemitgliedstaat Leistungen nach Artikel 70 Absatz 2 der Verordnung 883/2004 (beitragsunabhängige Leistungen) beanspruchen. Dabei gilt zunächst, dass die in nach Artikel 70 Absatz 2 VO 883/2004 genannten beitragsunabhängigen Leistungen einen Unterfall der Sozialhilfe in Artikel 24 der Richtlinie 2004/38 darstellen (EUGH, a.a.O.).

Nach Artikel 24 Absatz 1 RL 2004/38 genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Daraus folgt, dass ein Unionsbürger eine Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nur verlangen kann, wenn sein Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats die Voraussetzungen der RL 2004/38 erfüllt (EUGH, a.a.O.).

Dabei beschränkt zunächst Artikel 6 RL 2004/38 die für das Aufenthaltsrecht geltenden Bedingungen für Aufenthalte bis zu drei Monaten auf das Erfordernis des Besitzes eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses. Nach Artikel 14 Absatz 1 RL 2004/38 besteht dieses Recht für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen fort, solange sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen (EUGH, a.a.O.). Nach Artikel 24 Absatz 2 RL 2004/38 ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats oder seinen Familienangehörigen während des genannten Zeitraums einen Anspruch auf eine Sozialleistung einzuräumen.

Bei einem Aufenthalt von mehr als drei Monaten – wie demjenigen der Klägerinnen – ist die Ausübung des Aufenthaltsrechts von den in Artikel 7 Absatz 1 RL 2004/38 genannten Voraussetzungen abhängig. Nach Artikel 7 RL 2004/38 haben ein Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate neben Arbeitnehmern und Selbstständigen (vgl. auch § 2 Absatz 2 Nummer 1-3 FreizügigkeitsG/EU) Personen, die für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und sie und ihre Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen (vgl. auch § 2 Absatz 2 Nummer 5 i.V.m. § 4 FreizügigkeitsG/EU). Nach Artikel 14 Absatz 2 RL 2004/38 steht Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen dieses Recht nur zu, solange sie diese Voraussetzungen erfüllen. Wie sich insbesondere aus dem zehnten Erwägungsgrund der RL 2004/38 ergibt, soll damit u.a. verhindert werden, dass diese Personen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats unangemessen in Anspruch nehmen (EUGH, a.a.O., unter Verweis auf Urteil Ziolkowski und Szeja, EU:C:2011:866, Rn. 40).

Ließe man zu, dass Personen, denen kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38 zusteht, unter den gleichen Voraussetzungen wie Inländer Sozialleistungen beanspruchen könnten, liefe dies dem im zehnten Erwägungsgrund genannten Ziel zuwider, eine unangemessene Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats durch Unionsbürger, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, zu verhindern (EUGH, Urteil vom 11.11.2014 – C 333/13 – juris). Überdies unterscheidet die RL 2004/38 hinsichtlich der Voraussetzung, über ausreichende Existenzmittel zu verfügen, zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Personen. Der erstgenannten Gruppe von Unionsbürgern, die sich im Aufnahmemitgliedstaat befinden, steht nach Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a RL 2004/38 das Aufenthaltsrecht zu, ohne dass sie weitere Voraussetzungen erfüllen muss. Dagegen wird in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b RL 2004/38 von nicht erwerbstätigen Personen verlangt, dass sie über ausreichende eigene Existenzmittel verfügen (EUGH a.a.O.). Insgesamt ist mit dem EUGH festzustellen, dass Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b RL 2004/38 nicht erwerbstätige Unionsbürger daran hindern soll, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch zu nehmen. Das eventuelle Vorliegen einer Ungleichbehandlung von Unionsbürgern, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt Gebrauch gemacht haben, und Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats ist bei der Gewährung von Sozialleistungen eine unvermeidliche Folge der Richtlinie 2004/38 (EUGH, a.a.O.). Eine solche potenzielle Ungleichbehandlung beruht nämlich auf dem Verhältnis, welches der Unionsgesetzgeber zwischen dem Erfordernis ausreichender Existenzmittel als Voraussetzung für den Aufenthalt und dem Bestreben, keine Belastung für die Sozialhilfesysteme der Mitgliedstaaten herbeizuführen, in Artikel 7 RL 2004/38 geschaffen hat (EUGH, a.a.O.). Ein Mitgliedstaat hat daher gemäß Artikel 7 RL 2004/38 die Möglichkeit, nicht erwerbstätigen Unionsbürgern Sozialleistungen zu versagen, die von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaats zu kommen, obwohl sie nicht über ausreichende Existenzmittel für die Beanspruchung eines Aufenthaltsrechts verfügen (EUGH, a.a.O.).

Folglich steht der Klägerin zu 1 kein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II zu. Damit haben auch die Klägerinnen zu 2 und 3 nach § 7 Absatz 2 i.V.m. Absatz 3 Nummer 4 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved