Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 676/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 1726/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 06. März 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger über den 01.11.2009 hinaus eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v. H. auf unbestimmte Zeit zu gewähren hat.
Der Kläger, 1972 geboren, war als Kraftfahrer bei der Spedition B. GmbH in A. beschäftigt. Am 29.01.2007 rutschte er beim Gehen vom Parkplatz zum LKW auf glattem Boden aus und stürzte. Dabei zog er sich eine Fraktur des linken oberen Sprunggelenkes zu (D-Bericht vom 29.01.2007). Es erfolgte noch am Unfalltag eine operative Versorgung im Kreiskrankenhaus C. mit offener Reposition und Platten-Osteosynthese am Außenknöchel, Zuggurtungs-Osteosynthese am Innenknöchel und Entfernung von zwei kleinen Fragmenten am hinteren Volkmann-Dreieck.
Dr. D., Chefarzt der Chirurgischen Klinik und Unfallchirurgie des Kreiskrankenhauses C., wurde von der Beklagten mit der Erstellung des Ersten Rentengutachtens beauftragt. Unter dem 23.10.2007 führte er aus, beim Kläger liege eine deutliche Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk links für das Heben des Fußes sowie eine endgradige Bewegungseinschränkung für das Senken des Fußes (5/0/35 Grad) sowie eine hälftige Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk, eine Muskelminderung am linken Unterschenkel um 3 cm, eine geringe Umfangsvermehrung im Bereich der Knöchelregion um 1 cm sowie eine rückläufige posttraumatische Reflexdystrophie mit strähniger Knochenstruktur und Verminderung des Mineralsalzgehaltes im Bereich des Fußskelettes links vor. Er schätzte die MdE für die Zeit vom 01.08.2007 bis 31.01.2008 mit 20 v. H., danach mit 10 v. H. ein und schlug eine Gesamtvergütung vor.
Diesem Vorschlag folgend gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 07.12.2007 dem Kläger eine Rente als vorläufige Entschädigung für die Zeit vom 01.08.2007 bis 31.07.2008 nach einer MdE um 20 v. H. im Wege einer Gesamtvergütung. Dabei berücksichtigte sie als Unfallfolgen eine Muskelminderung des linken Unterschenkels sowie eine Bewegungseinschränkung im linken oberen und unteren Sprunggelenk.
Wegen fortbestehender Beschwerden beantragte der Kläger die Fortzahlung der Rente. Dr. D., der erneut mit einer Begutachtung beauftragt wurde, schätzte die MdE ab 01.02.2008 (bis zum 15.06.2008) mit 10 v. H. ein. Die Bewegungseinschränkung im Bereich des oberen Sprunggelenkes für Heben und Senken betrug weiterhin 5/0/35 Grad; im Bereich des unteren Sprunggelenkes bestand eine hälftige Bewegungseinschränkung; die Muskelminderung am linken Ober- und Unterschenkel betrug jeweils 2 cm.
Demgegenüber bewertete der Beratungsarzt der Beklagten Dr. E.-F. die MdE weiterhin mit 20 v. H. und empfahl eine Nachbegutachtung binnen Jahresfrist. Bis dahin sollte sich die Muskelminderung wie auch die Dorsal-Extension gebessert haben.
Daraufhin gewährte die Beklagte eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v. H. ab 01.02.2008 unter Beibehaltung der im Bescheid vom 07.12.2007 berücksichtigten Unfallfolgen.
Im Auftrag der Beklagten erstattete Dr. D. das Zweite Rentengutachten zur Bestimmung der Rente auf unbestimmte Zeit vom 15.09.2009. Darin ist ausgeführt, es bestehe eine deutliche Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk links für das Heben des Fußes sowie eine mittel- bis endgradige Bewegungseinschränkung für das Senken des Fußes (5/0/30 Grad) und eine hälftige Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk links sowie eine Muskelminderung am linken Unterschenkel und eine diskrete Umfangsvermehrung der Knöchelregion links. Die MdE schätzte er mit 10 v. H. ein.
Nachdem die Beklagte den Kläger angehört hatte, entzog sie die als vorläufige Entschädigung gewährte Rente ab 01.11.2009 und erklärte, der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Rente auf unbestimmte Zeit (Bescheid vom 27.10.2009). Bei dieser Einschätzung seien die Bewegungseinschränkungen im oberen und unteren Sprunggelenk links als Unfallfolgen berücksichtigt worden.
Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, es lägen die gleichen Unfallfolgen vor, die zu einer MdE um 20 v. H. geführt hätten. Der Zustand habe sich eher noch verschlechtert. Während der Arbeit müsse er öfters Pause einlegen, abends sei der linke Fuß regelmäßig geschwollen. Ferner könne er den linken Fuß nicht mehr anziehen.
Dr. Schmidgen, Beratungsarzt der Beklagten, gelangte in seiner Stellungnahme vom 03.12.2009 zu dem Ergebnis, dass die MdE mit 10 v. H. zutreffend bewertet worden sei. Die Röntgenbilder zeigten keine wesentlichen Arthrose-Zeichen im Bereich des oberen Sprunggelenkes rechts (gemeint links), so dass zunächst von einem Dauerzustand auszugehen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und bezog sich in der Begründung auf das Gutachten des Dr. D. vom 15.09.2009.
Dagegen hat der Kläger am 03.03.2010 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und auf die fortbestehenden starken Schmerzen und Beschwerden hingewiesen. Nachdem er mit diesem Zustand nach Auskunft seiner Ärzte leben müsse, erfolge derzeit keine ärztliche Behandlung.
Das SG hat von Amts wegen das Gutachten des Dr. G. vom 08.06.2010 und auf Antrag des Klägers das Gutachten des Dr. H. vom 25.10.2010 eingeholt.
Dr. G. hat bei seiner Untersuchung eine Bewegungseinschränkung des linken oberen Sprunggelenkes im Vergleich zu rechts von jeweils 10 Grad bezüglich Heben und Senken festgestellt (links: 10/0/40 Grad; rechts: 20/0/50 Grad). Im Bereich des unteren Sprunggelenkes hat die Bewegungseinschränkung 1/4 betragen. Ferner hat der Sachverständige die Muskelminderung mit 1,5 cm im Unterschenkelbereich links angegeben und auf radiologisch sichtbare Veränderungen (Ausziehung des dorsalen Abschnittes der distalen Tibia) ohne Arthrose-Zeichen hingewiesen. Die Fußdeformität im Sinne eines Hohl-Spreiz-Fußes und eines leichten Hallux valgus sei nicht ursächlich auf den Unfall zurückzuführen. Die MdE hat Dr. G. mit 10 v. H. eingeschätzt.
Dr. H. hat die noch bestehenden Unfallfolgen wie folgt zusammengefasst: endgradige Bewegungseinschränkung des linken oberen Sprunggelenkes für das Heben und Senken (10-0-40 Grad) von jeweils 10 Grad des Fußes; Bewegungseinschränkung des linken unteren Sprunggelenkes von 1/3; diskrete Umfangsverminderung am linken Oberschenkel von 1 cm und Umfangsverminderung am linken Unterschenkel von 2 cm; Narbenbildung mit Sensibilitätsminderung über der Innenknöchelseite; Rückfuß-Valgus-Stellung links mit Knick-Senk-Fuß und Abduktion des linken Fußes. Die MdE betrage unter Einbeziehung der Abduktionsstellung sowie der Rückfuß-Valgus-Stellung links als Unfallfolgen 20 v. H. Weder Dr. D. noch Dr. G. hätten diese Fehlstellung berücksichtigt. Der Unfallmechanismus erkläre neben der knöchernen Verletzung auch eine Läsion des Ansatzes des Musculus tibialis anterior und des Musculus tibialis posterior als wahrscheinlich, was die Abduktions- und Rückfuß-Valgus-Stellung des linken Fußes erkläre.
In der vom SG angeforderten ergänzenden Stellungnahme ist Dr. H. unter dem 19.01.2011 bei seiner Beurteilung geblieben und hat ausgeführt, auch die Fotodokumentation von Dr. G. belege linksseitig einen vermehrten Rückfuß-Valgus im Vergleich zu rechts.
Dr. G. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 23.03.2011 ausgeführt, die von Dr. H. angenommene Verletzung im Bereich des Ansatzes des Musculus tibialis anterior und auch der Steigbügel-Funktion des Musculus tibialis posterior sei nicht dokumentiert. Sie werde von Dr. H. lediglich aus der Rückfuß-Stellung im Sinne einer leichten Valgus-Stellung des linken Fußes abgeleitet. Bei Beachtung der Kausalitätsregeln sei deshalb die Anerkennung eines vermehrten Rückfuß-Valgus links als Unfallfolge nicht begründbar. Selbst unter der hypothetischen Annahme, dass ein vermehrter Rückfuß-Valgus Unfallfolge sei, würde die MdE 10 v. H. betragen, da nur ein geringfügiges Stadium feststellbar sei.
Der Kläger hat sich gegen das Gutachten des Dr. G. gewendet, hierzu ausgeführt, dass dieser ihn weder zum Unfallhergang noch zu seinen Beschwerden befragt habe, und mit Dr. H. eine MdE von 20 v. H. für zutreffend erachtet.
Die Beklagte ist dem Gutachten des Dr. H. unter Vorlage der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. E.-F. vom 08.12.2010 entgegengetreten.
Mit Gerichtsbescheid vom 06.03.2012 hat das SG die Klage abgewiesen und sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Gutachten von Dr. G. und Dr. D. sowie die Stellungnahme von Dr. E.-F. bezogen. Eine Rückfuß-Valgus-Stellung links als Unfallfolge sei nicht begründbar. Nachvollziehbar sei auch die MdE-Einschätzung durch Dr. G. und Dr. E.-F ... Selbst bei hypothetischer Annahme eines vermehrten Rückfuß-Valgus als Unfallfolge sei die MdE mit 10 v. H. angemessen.
Der Kläger hat am 11.04.2012 gegen den ihm am 13.03.2012 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, Dr. G. habe in seinem Gutachten unter Hinweis auf das unfallmedizinische Schrifttum ausgeführt, dass ein Gutachter insbesondere auf die Stellung des Rückfußes und des Fußlängsgewölbes zu achten habe, da gelegentlich ein posttraumatischer Knick-Fuß nach einer abgelaufenen Sprunggelenksfraktur entstehen könne. Üblicherweise sei nach Frakturen des oberen Sprunggelenkes eine MdE um 10 v. H. zutreffend; in Ausnahmefällen könne die MdE jedoch auch 20 v. H. betragen. Ein solcher Ausnahmefall liege hier vor, da bei ihm (dem Kläger) eine Rückfuß-Valgus-Stellung links vorhanden sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 6. März 2012 sowie den Bescheid vom 27. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. November 2009 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. auf unbestimmte Zeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid unter Hinweis auf das Gutachten des Dr. G. und die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. E.-F. für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz ( SGG )) eingelegte Berufung, über die der Senat nach den erteilten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zurecht die Klage, die hinsichtlich des Entzuges der vorläufigen Rente als Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) und hinsichtlich der Bewilligung einer Dauerrente als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) zulässig ist, abgewiesen. Denn sie ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für beide Entscheidungen (Aufhebungs- und Ablehnungsentscheidung) ist § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (VII) (vgl. BSG, Urteil vom 16.03.2010 - B 2 U 2/09 R, Juris, Rn. 12). Danach kann bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung der Vomhundertsatz der MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht wesentlich geändert haben. Nach Satz 1 des § 62 Abs. 2 SGB VII wird die Rente jedoch spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall kraft Gesetzes als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Das Ermächtigungskonzept des § 62 SGB VII befugt den Unfallversicherungsträger dazu, über das Recht des Versicherten auf Dauerrente ohne Bindung an den Regelungsgehalt der vorläufigen Anspruchsstellung erstmals, gegebenenfalls unter deren Aufhebung, zu entscheiden (BSG, Urteil vom 16.03.2010 - a.a.O., Juris, Rn. 15). Die Vorschrift trägt der Erfahrung Rechnung, dass sich in der ersten Zeit nach einem Versicherungsfall gesundheitliche Folgen und deren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten zumeist noch nicht stabilisiert haben. Die Folgen des Versicherungsfalles unterliegen häufig noch allmählich oder auch kurzfristig eintretenden Veränderungen. Anpassung und Gewöhnung an die Folgen eines Versicherungsfalles, etwa durch Entwicklung von Ausgleichsfunktionen und durch das Erlernen des Umganges mit verletzten Gliedmaßen, führen des Öfteren zu einer Besserung (BSG, Urteil vom 16.03.2010, a.a.O., Juris, Rn. 18).
Der Vorbehalt erleichterter Abänderbarkeit ist vorliegend nicht kraft Gesetzes entfallen (§ 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), weil der Dreijahreszeitraum ausgehend vom Bewilligungsbescheid vom 28.07.2008 bei Erlass des angefochtenen Verwaltungsaktes vom 27.10.2009 noch nicht verstrichen war.
Die Ablehnung einer Dauerrente ab 01.11.2009 ist rechtmäßig. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer Rente nach § 56 SGB VII ab diesem Zeitpunkt.
Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit in Folge eines Versicherungsfalles - hier eines Arbeitsunfalles - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).
Um das Vorliegen einer MdE beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen - ausgehend von konkreten Funktionseinbußen - beeinträchtigt ist, und in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden (BSG, Urteil vom 18.01.2011 - B 2 U 5/10 R, Juris). Maßgeblich ist hierbei die anhand allgemeiner Erfahrungssätze zu bestimmende - durch die jeweiligen Funktionseinschränkungen verursachte - in Prozent oder Vomhundert ausgedrückte Möglichkeit, sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Lebensgrundlage in Form eines Erwerbes zu verschaffen, wobei gleiche gesundheitliche Einschränkungen prinzipiell zur gleichen Höhe der MdE führen (sog. abstrakte Schadensberechnung).
Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichtes, das diese gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSG, Urteil vom 18.01.2011, a.a.O.). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und einschlägigem Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel. Die objektive Beweislast für das Vorliegen eines Gesundheitsschadens, der nach allgemeinen Erfahrungssätzen eine bestimmte MdE bedingt, trägt der Versicherte, d. h. es geht zu seinen Lasten, wenn der in Rede stehende Gesundheitsschaden und die Funktionseinschränkung nicht mit ausreichender Gewissheit aufgeklärt werden können.
Von diesen Maßstäben ausgehend ist der Senat aufgrund des Sachverständigengutachtens des Dr. G. sowie dessen ergänzender Stellungnahme und des im Wege des Urkundenbeweises verwertbaren Gutachtens von Dr. D. davon überzeugt, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die Folgen des am 29.01.2007 erlittenen Verrenkungsbruch des linken oberen Sprunggelenkes über den 31.10.2009 hinaus nicht in rentenrechtlich relevantem Maß reduziert ist.
Dr. D. hat bei seiner Untersuchung am 07.09.2009 eine Beweglichkeit für das Heben und Senken des Fußes von 5-0-30 Grad und eine Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk um die Hälfte festgestellt. Diese Einschränkungen haben sich bis zur Begutachtung durch Dr. G. am 28.05.2010 weiter verbessert; der Sachverständige hat eine Beweglichkeit von 10-0-40 Grad bezüglich Heben und Senken und eine Bewegungseinschränkung um 1/4 im Bereich des unteren Sprunggelenkes gemessen. Bei beiden klinischen Untersuchungen fand sich keine Instabilität im oberen Sprunggelenk. Die bildgebenden Untersuchungen haben ein in guter Stellung unter Erhaltung der Knöchelgabel verheilten Bruch des Sprunggelenkes und eine regelrechte Weite des Gelenkspaltes in allen Abschnitten gezeigt. Ferner war der Kalksalzgehalt im linken unteren Sprunggelenk im Vergleich zu rechts nicht vermindert und im linken oberen Sprunggelenk im Vergleich zu rechts nur leicht vermindert, was dafür spricht, dass die Gelenke nicht geschont, sondern bewegt und belastet werden. Dementsprechend war auch die Muskelminderung rückläufig. Sie hat bei der Untersuchung durch Dr. G. am Unterschenkel (kleinster Umfang) noch 1 cm betragen. Das Gangbild hat sich links leicht hinkend gezeigt. Angesichts der beschriebenen Funktionsbeeinträchtigungen ist die Beurteilung der MdE mit 10 v. H. nicht zu beanstanden. Diese Bewertung entspricht auch den Vorgaben im unfallmedizinischen Schrifttum. So wird ein in guter Stellung unter Erhaltung der Knöchelgabel verheilter Knöchelbruch mit einer MdE von 0 bis 10, eine Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk von 0-0-30 Grad (Normalwert: 25-0-40 Grad) mit einer MdE von 10 v. H. bewertet (Schönberger/Merthens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 678, 679; Mehrhoff, Ekkernkamp, Wich, Unfallbegutachtung, 13. Auflage, S. 200, 201). Insoweit bewegt sich die von Dr. D. und Dr. G. für angemessen erachtete MdE von 10 v. H. bereits im oberen Bereich des in der Gutachtenliteratur eröffneten Rahmens für die beim Kläger vorhandenen Funktionsbeeinträchtigungen. Auch ein Vergleich mit Verletzungsfolgen, für die eine MdE von mehr als 10 v. H. vorgeschlagen wird, zeigt, dass die Bewertung von Dr. D. und Dr. G. nicht zu beanstanden ist. So wird eine Versteifung des unteren Sprunggelenkes mit einer MdE um 15 v. H., eine völlige Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenkes in Funktionsstellung mit einer MdE um 25 v. H. bewertet (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.). Im Vergleich hierzu ist die Einschränkung des Klägers deutlich geringer.
Eine höhere Bewertung der MdE durch die vom Kläger angegebenen Belastungsschmerzen kann nicht erfolgen. Im unfallmedizinischen Schrifttum ist anerkannt, dass in den Richtwerten die üblicherweise vorhandenen Schmerzen eingeschlossen sind (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 221). Dafür, dass über das übliche Maß hinaus Schmerzzustände bestehen, gibt es keine Anhaltspunkte. Weder findet eine Schmerzmedikation, noch eine physikalische Therapie der Schmerzen statt.
Nicht zu folgen vermag der Senat der Einschätzung von Dr. H., der eine MdE um 20 v. H. für angemessen erachtet hat. Die von ihm mitgeteilten Funktionsparameter hinsichtlich Beweglichkeit und Umfangsverminderung decken sich weitgehend mit denjenigen von Dr. G., sodass insoweit die MdE mit 10 v. H. zutreffend ist. Die MdE um 20 v. H. begründet Dr. H. mit einer unfallbedingten Abduktions- und Rückfuß-Valgus-Stellung des linken Fußes. Selbst bei Annahme einer solchen Unfallfolge wäre die MdE gleichwohl mit 10 v. H. weiterhin angemessen, worauf Dr. G. in seiner ergänzenden Stellungnahme überzeugend hingewiesen hat. Es liegt - wie die Fotodokumentationen von Dr. H. und Dr. G. zeigen - lediglich ein geringfügiges Stadium eines Knick-Senk-Fußes vor. Auch hat Dr. H. keine weitergehenden aus der Abduktions- und Rückfuß-Valgus-Stellung resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen beschrieben, die zu einer Erhöhung der MdE auf 20 v. H. führen könnten.
Im Übrigen ist die Abduktions- und Rückfuß-Valgus-Stellung des linken Fußes auch nicht Folge des Unfalles 29.01.2007. Dr. H. führt zur Begründung aus, bei dem Unfall sei es zu einer Verletzung der Steigbügelfunktion des Musculus tibialis anterior und posterior gekommen. Diese Verletzung hätte dann zu der Abduktions- und Rückfuß-Valgus-Stellung geführt. Zurecht hat das SG dargelegt, dass ein solcher Gesundheitsschaden in keinem der aktenkundigen Arztberichte dokumentiert und damit nicht nachgewiesen ist. Der fehlende Nachweis geht nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten, hier des Klägers. Ohne dass eine Verletzung des Musculus tibialis anterior und posterior nachgewiesen ist, kann ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem solchen Gesundheitsschaden und der Fehlstellung des linken Fußes nicht angenommen werden. Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des SG, die auf einer umfassenden Auswertung der Gutachten des Dr. D. und Dr. G. sowie des Dr. H. beruhen, nach eigener Prüfung gem. § 153 Abs. 2 SGG an und sieht zur Vermeidung von Wiederholung insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Der Bescheid ist damit materiell rechtmäßig; er ist auch formell rechtmäßig, nachdem die Beklagte gemäß § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ein Anhörungsverfahren durchgeführt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (§ 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger über den 01.11.2009 hinaus eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v. H. auf unbestimmte Zeit zu gewähren hat.
Der Kläger, 1972 geboren, war als Kraftfahrer bei der Spedition B. GmbH in A. beschäftigt. Am 29.01.2007 rutschte er beim Gehen vom Parkplatz zum LKW auf glattem Boden aus und stürzte. Dabei zog er sich eine Fraktur des linken oberen Sprunggelenkes zu (D-Bericht vom 29.01.2007). Es erfolgte noch am Unfalltag eine operative Versorgung im Kreiskrankenhaus C. mit offener Reposition und Platten-Osteosynthese am Außenknöchel, Zuggurtungs-Osteosynthese am Innenknöchel und Entfernung von zwei kleinen Fragmenten am hinteren Volkmann-Dreieck.
Dr. D., Chefarzt der Chirurgischen Klinik und Unfallchirurgie des Kreiskrankenhauses C., wurde von der Beklagten mit der Erstellung des Ersten Rentengutachtens beauftragt. Unter dem 23.10.2007 führte er aus, beim Kläger liege eine deutliche Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk links für das Heben des Fußes sowie eine endgradige Bewegungseinschränkung für das Senken des Fußes (5/0/35 Grad) sowie eine hälftige Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk, eine Muskelminderung am linken Unterschenkel um 3 cm, eine geringe Umfangsvermehrung im Bereich der Knöchelregion um 1 cm sowie eine rückläufige posttraumatische Reflexdystrophie mit strähniger Knochenstruktur und Verminderung des Mineralsalzgehaltes im Bereich des Fußskelettes links vor. Er schätzte die MdE für die Zeit vom 01.08.2007 bis 31.01.2008 mit 20 v. H., danach mit 10 v. H. ein und schlug eine Gesamtvergütung vor.
Diesem Vorschlag folgend gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 07.12.2007 dem Kläger eine Rente als vorläufige Entschädigung für die Zeit vom 01.08.2007 bis 31.07.2008 nach einer MdE um 20 v. H. im Wege einer Gesamtvergütung. Dabei berücksichtigte sie als Unfallfolgen eine Muskelminderung des linken Unterschenkels sowie eine Bewegungseinschränkung im linken oberen und unteren Sprunggelenk.
Wegen fortbestehender Beschwerden beantragte der Kläger die Fortzahlung der Rente. Dr. D., der erneut mit einer Begutachtung beauftragt wurde, schätzte die MdE ab 01.02.2008 (bis zum 15.06.2008) mit 10 v. H. ein. Die Bewegungseinschränkung im Bereich des oberen Sprunggelenkes für Heben und Senken betrug weiterhin 5/0/35 Grad; im Bereich des unteren Sprunggelenkes bestand eine hälftige Bewegungseinschränkung; die Muskelminderung am linken Ober- und Unterschenkel betrug jeweils 2 cm.
Demgegenüber bewertete der Beratungsarzt der Beklagten Dr. E.-F. die MdE weiterhin mit 20 v. H. und empfahl eine Nachbegutachtung binnen Jahresfrist. Bis dahin sollte sich die Muskelminderung wie auch die Dorsal-Extension gebessert haben.
Daraufhin gewährte die Beklagte eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v. H. ab 01.02.2008 unter Beibehaltung der im Bescheid vom 07.12.2007 berücksichtigten Unfallfolgen.
Im Auftrag der Beklagten erstattete Dr. D. das Zweite Rentengutachten zur Bestimmung der Rente auf unbestimmte Zeit vom 15.09.2009. Darin ist ausgeführt, es bestehe eine deutliche Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk links für das Heben des Fußes sowie eine mittel- bis endgradige Bewegungseinschränkung für das Senken des Fußes (5/0/30 Grad) und eine hälftige Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk links sowie eine Muskelminderung am linken Unterschenkel und eine diskrete Umfangsvermehrung der Knöchelregion links. Die MdE schätzte er mit 10 v. H. ein.
Nachdem die Beklagte den Kläger angehört hatte, entzog sie die als vorläufige Entschädigung gewährte Rente ab 01.11.2009 und erklärte, der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Rente auf unbestimmte Zeit (Bescheid vom 27.10.2009). Bei dieser Einschätzung seien die Bewegungseinschränkungen im oberen und unteren Sprunggelenk links als Unfallfolgen berücksichtigt worden.
Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, es lägen die gleichen Unfallfolgen vor, die zu einer MdE um 20 v. H. geführt hätten. Der Zustand habe sich eher noch verschlechtert. Während der Arbeit müsse er öfters Pause einlegen, abends sei der linke Fuß regelmäßig geschwollen. Ferner könne er den linken Fuß nicht mehr anziehen.
Dr. Schmidgen, Beratungsarzt der Beklagten, gelangte in seiner Stellungnahme vom 03.12.2009 zu dem Ergebnis, dass die MdE mit 10 v. H. zutreffend bewertet worden sei. Die Röntgenbilder zeigten keine wesentlichen Arthrose-Zeichen im Bereich des oberen Sprunggelenkes rechts (gemeint links), so dass zunächst von einem Dauerzustand auszugehen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und bezog sich in der Begründung auf das Gutachten des Dr. D. vom 15.09.2009.
Dagegen hat der Kläger am 03.03.2010 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und auf die fortbestehenden starken Schmerzen und Beschwerden hingewiesen. Nachdem er mit diesem Zustand nach Auskunft seiner Ärzte leben müsse, erfolge derzeit keine ärztliche Behandlung.
Das SG hat von Amts wegen das Gutachten des Dr. G. vom 08.06.2010 und auf Antrag des Klägers das Gutachten des Dr. H. vom 25.10.2010 eingeholt.
Dr. G. hat bei seiner Untersuchung eine Bewegungseinschränkung des linken oberen Sprunggelenkes im Vergleich zu rechts von jeweils 10 Grad bezüglich Heben und Senken festgestellt (links: 10/0/40 Grad; rechts: 20/0/50 Grad). Im Bereich des unteren Sprunggelenkes hat die Bewegungseinschränkung 1/4 betragen. Ferner hat der Sachverständige die Muskelminderung mit 1,5 cm im Unterschenkelbereich links angegeben und auf radiologisch sichtbare Veränderungen (Ausziehung des dorsalen Abschnittes der distalen Tibia) ohne Arthrose-Zeichen hingewiesen. Die Fußdeformität im Sinne eines Hohl-Spreiz-Fußes und eines leichten Hallux valgus sei nicht ursächlich auf den Unfall zurückzuführen. Die MdE hat Dr. G. mit 10 v. H. eingeschätzt.
Dr. H. hat die noch bestehenden Unfallfolgen wie folgt zusammengefasst: endgradige Bewegungseinschränkung des linken oberen Sprunggelenkes für das Heben und Senken (10-0-40 Grad) von jeweils 10 Grad des Fußes; Bewegungseinschränkung des linken unteren Sprunggelenkes von 1/3; diskrete Umfangsverminderung am linken Oberschenkel von 1 cm und Umfangsverminderung am linken Unterschenkel von 2 cm; Narbenbildung mit Sensibilitätsminderung über der Innenknöchelseite; Rückfuß-Valgus-Stellung links mit Knick-Senk-Fuß und Abduktion des linken Fußes. Die MdE betrage unter Einbeziehung der Abduktionsstellung sowie der Rückfuß-Valgus-Stellung links als Unfallfolgen 20 v. H. Weder Dr. D. noch Dr. G. hätten diese Fehlstellung berücksichtigt. Der Unfallmechanismus erkläre neben der knöchernen Verletzung auch eine Läsion des Ansatzes des Musculus tibialis anterior und des Musculus tibialis posterior als wahrscheinlich, was die Abduktions- und Rückfuß-Valgus-Stellung des linken Fußes erkläre.
In der vom SG angeforderten ergänzenden Stellungnahme ist Dr. H. unter dem 19.01.2011 bei seiner Beurteilung geblieben und hat ausgeführt, auch die Fotodokumentation von Dr. G. belege linksseitig einen vermehrten Rückfuß-Valgus im Vergleich zu rechts.
Dr. G. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 23.03.2011 ausgeführt, die von Dr. H. angenommene Verletzung im Bereich des Ansatzes des Musculus tibialis anterior und auch der Steigbügel-Funktion des Musculus tibialis posterior sei nicht dokumentiert. Sie werde von Dr. H. lediglich aus der Rückfuß-Stellung im Sinne einer leichten Valgus-Stellung des linken Fußes abgeleitet. Bei Beachtung der Kausalitätsregeln sei deshalb die Anerkennung eines vermehrten Rückfuß-Valgus links als Unfallfolge nicht begründbar. Selbst unter der hypothetischen Annahme, dass ein vermehrter Rückfuß-Valgus Unfallfolge sei, würde die MdE 10 v. H. betragen, da nur ein geringfügiges Stadium feststellbar sei.
Der Kläger hat sich gegen das Gutachten des Dr. G. gewendet, hierzu ausgeführt, dass dieser ihn weder zum Unfallhergang noch zu seinen Beschwerden befragt habe, und mit Dr. H. eine MdE von 20 v. H. für zutreffend erachtet.
Die Beklagte ist dem Gutachten des Dr. H. unter Vorlage der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. E.-F. vom 08.12.2010 entgegengetreten.
Mit Gerichtsbescheid vom 06.03.2012 hat das SG die Klage abgewiesen und sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Gutachten von Dr. G. und Dr. D. sowie die Stellungnahme von Dr. E.-F. bezogen. Eine Rückfuß-Valgus-Stellung links als Unfallfolge sei nicht begründbar. Nachvollziehbar sei auch die MdE-Einschätzung durch Dr. G. und Dr. E.-F ... Selbst bei hypothetischer Annahme eines vermehrten Rückfuß-Valgus als Unfallfolge sei die MdE mit 10 v. H. angemessen.
Der Kläger hat am 11.04.2012 gegen den ihm am 13.03.2012 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, Dr. G. habe in seinem Gutachten unter Hinweis auf das unfallmedizinische Schrifttum ausgeführt, dass ein Gutachter insbesondere auf die Stellung des Rückfußes und des Fußlängsgewölbes zu achten habe, da gelegentlich ein posttraumatischer Knick-Fuß nach einer abgelaufenen Sprunggelenksfraktur entstehen könne. Üblicherweise sei nach Frakturen des oberen Sprunggelenkes eine MdE um 10 v. H. zutreffend; in Ausnahmefällen könne die MdE jedoch auch 20 v. H. betragen. Ein solcher Ausnahmefall liege hier vor, da bei ihm (dem Kläger) eine Rückfuß-Valgus-Stellung links vorhanden sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 6. März 2012 sowie den Bescheid vom 27. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. November 2009 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. auf unbestimmte Zeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid unter Hinweis auf das Gutachten des Dr. G. und die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. E.-F. für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz ( SGG )) eingelegte Berufung, über die der Senat nach den erteilten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zurecht die Klage, die hinsichtlich des Entzuges der vorläufigen Rente als Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) und hinsichtlich der Bewilligung einer Dauerrente als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) zulässig ist, abgewiesen. Denn sie ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für beide Entscheidungen (Aufhebungs- und Ablehnungsentscheidung) ist § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (VII) (vgl. BSG, Urteil vom 16.03.2010 - B 2 U 2/09 R, Juris, Rn. 12). Danach kann bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung der Vomhundertsatz der MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht wesentlich geändert haben. Nach Satz 1 des § 62 Abs. 2 SGB VII wird die Rente jedoch spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall kraft Gesetzes als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Das Ermächtigungskonzept des § 62 SGB VII befugt den Unfallversicherungsträger dazu, über das Recht des Versicherten auf Dauerrente ohne Bindung an den Regelungsgehalt der vorläufigen Anspruchsstellung erstmals, gegebenenfalls unter deren Aufhebung, zu entscheiden (BSG, Urteil vom 16.03.2010 - a.a.O., Juris, Rn. 15). Die Vorschrift trägt der Erfahrung Rechnung, dass sich in der ersten Zeit nach einem Versicherungsfall gesundheitliche Folgen und deren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten zumeist noch nicht stabilisiert haben. Die Folgen des Versicherungsfalles unterliegen häufig noch allmählich oder auch kurzfristig eintretenden Veränderungen. Anpassung und Gewöhnung an die Folgen eines Versicherungsfalles, etwa durch Entwicklung von Ausgleichsfunktionen und durch das Erlernen des Umganges mit verletzten Gliedmaßen, führen des Öfteren zu einer Besserung (BSG, Urteil vom 16.03.2010, a.a.O., Juris, Rn. 18).
Der Vorbehalt erleichterter Abänderbarkeit ist vorliegend nicht kraft Gesetzes entfallen (§ 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), weil der Dreijahreszeitraum ausgehend vom Bewilligungsbescheid vom 28.07.2008 bei Erlass des angefochtenen Verwaltungsaktes vom 27.10.2009 noch nicht verstrichen war.
Die Ablehnung einer Dauerrente ab 01.11.2009 ist rechtmäßig. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer Rente nach § 56 SGB VII ab diesem Zeitpunkt.
Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit in Folge eines Versicherungsfalles - hier eines Arbeitsunfalles - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).
Um das Vorliegen einer MdE beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen - ausgehend von konkreten Funktionseinbußen - beeinträchtigt ist, und in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden (BSG, Urteil vom 18.01.2011 - B 2 U 5/10 R, Juris). Maßgeblich ist hierbei die anhand allgemeiner Erfahrungssätze zu bestimmende - durch die jeweiligen Funktionseinschränkungen verursachte - in Prozent oder Vomhundert ausgedrückte Möglichkeit, sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Lebensgrundlage in Form eines Erwerbes zu verschaffen, wobei gleiche gesundheitliche Einschränkungen prinzipiell zur gleichen Höhe der MdE führen (sog. abstrakte Schadensberechnung).
Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichtes, das diese gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSG, Urteil vom 18.01.2011, a.a.O.). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und einschlägigem Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel. Die objektive Beweislast für das Vorliegen eines Gesundheitsschadens, der nach allgemeinen Erfahrungssätzen eine bestimmte MdE bedingt, trägt der Versicherte, d. h. es geht zu seinen Lasten, wenn der in Rede stehende Gesundheitsschaden und die Funktionseinschränkung nicht mit ausreichender Gewissheit aufgeklärt werden können.
Von diesen Maßstäben ausgehend ist der Senat aufgrund des Sachverständigengutachtens des Dr. G. sowie dessen ergänzender Stellungnahme und des im Wege des Urkundenbeweises verwertbaren Gutachtens von Dr. D. davon überzeugt, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die Folgen des am 29.01.2007 erlittenen Verrenkungsbruch des linken oberen Sprunggelenkes über den 31.10.2009 hinaus nicht in rentenrechtlich relevantem Maß reduziert ist.
Dr. D. hat bei seiner Untersuchung am 07.09.2009 eine Beweglichkeit für das Heben und Senken des Fußes von 5-0-30 Grad und eine Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk um die Hälfte festgestellt. Diese Einschränkungen haben sich bis zur Begutachtung durch Dr. G. am 28.05.2010 weiter verbessert; der Sachverständige hat eine Beweglichkeit von 10-0-40 Grad bezüglich Heben und Senken und eine Bewegungseinschränkung um 1/4 im Bereich des unteren Sprunggelenkes gemessen. Bei beiden klinischen Untersuchungen fand sich keine Instabilität im oberen Sprunggelenk. Die bildgebenden Untersuchungen haben ein in guter Stellung unter Erhaltung der Knöchelgabel verheilten Bruch des Sprunggelenkes und eine regelrechte Weite des Gelenkspaltes in allen Abschnitten gezeigt. Ferner war der Kalksalzgehalt im linken unteren Sprunggelenk im Vergleich zu rechts nicht vermindert und im linken oberen Sprunggelenk im Vergleich zu rechts nur leicht vermindert, was dafür spricht, dass die Gelenke nicht geschont, sondern bewegt und belastet werden. Dementsprechend war auch die Muskelminderung rückläufig. Sie hat bei der Untersuchung durch Dr. G. am Unterschenkel (kleinster Umfang) noch 1 cm betragen. Das Gangbild hat sich links leicht hinkend gezeigt. Angesichts der beschriebenen Funktionsbeeinträchtigungen ist die Beurteilung der MdE mit 10 v. H. nicht zu beanstanden. Diese Bewertung entspricht auch den Vorgaben im unfallmedizinischen Schrifttum. So wird ein in guter Stellung unter Erhaltung der Knöchelgabel verheilter Knöchelbruch mit einer MdE von 0 bis 10, eine Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk von 0-0-30 Grad (Normalwert: 25-0-40 Grad) mit einer MdE von 10 v. H. bewertet (Schönberger/Merthens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 678, 679; Mehrhoff, Ekkernkamp, Wich, Unfallbegutachtung, 13. Auflage, S. 200, 201). Insoweit bewegt sich die von Dr. D. und Dr. G. für angemessen erachtete MdE von 10 v. H. bereits im oberen Bereich des in der Gutachtenliteratur eröffneten Rahmens für die beim Kläger vorhandenen Funktionsbeeinträchtigungen. Auch ein Vergleich mit Verletzungsfolgen, für die eine MdE von mehr als 10 v. H. vorgeschlagen wird, zeigt, dass die Bewertung von Dr. D. und Dr. G. nicht zu beanstanden ist. So wird eine Versteifung des unteren Sprunggelenkes mit einer MdE um 15 v. H., eine völlige Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenkes in Funktionsstellung mit einer MdE um 25 v. H. bewertet (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.). Im Vergleich hierzu ist die Einschränkung des Klägers deutlich geringer.
Eine höhere Bewertung der MdE durch die vom Kläger angegebenen Belastungsschmerzen kann nicht erfolgen. Im unfallmedizinischen Schrifttum ist anerkannt, dass in den Richtwerten die üblicherweise vorhandenen Schmerzen eingeschlossen sind (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 221). Dafür, dass über das übliche Maß hinaus Schmerzzustände bestehen, gibt es keine Anhaltspunkte. Weder findet eine Schmerzmedikation, noch eine physikalische Therapie der Schmerzen statt.
Nicht zu folgen vermag der Senat der Einschätzung von Dr. H., der eine MdE um 20 v. H. für angemessen erachtet hat. Die von ihm mitgeteilten Funktionsparameter hinsichtlich Beweglichkeit und Umfangsverminderung decken sich weitgehend mit denjenigen von Dr. G., sodass insoweit die MdE mit 10 v. H. zutreffend ist. Die MdE um 20 v. H. begründet Dr. H. mit einer unfallbedingten Abduktions- und Rückfuß-Valgus-Stellung des linken Fußes. Selbst bei Annahme einer solchen Unfallfolge wäre die MdE gleichwohl mit 10 v. H. weiterhin angemessen, worauf Dr. G. in seiner ergänzenden Stellungnahme überzeugend hingewiesen hat. Es liegt - wie die Fotodokumentationen von Dr. H. und Dr. G. zeigen - lediglich ein geringfügiges Stadium eines Knick-Senk-Fußes vor. Auch hat Dr. H. keine weitergehenden aus der Abduktions- und Rückfuß-Valgus-Stellung resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen beschrieben, die zu einer Erhöhung der MdE auf 20 v. H. führen könnten.
Im Übrigen ist die Abduktions- und Rückfuß-Valgus-Stellung des linken Fußes auch nicht Folge des Unfalles 29.01.2007. Dr. H. führt zur Begründung aus, bei dem Unfall sei es zu einer Verletzung der Steigbügelfunktion des Musculus tibialis anterior und posterior gekommen. Diese Verletzung hätte dann zu der Abduktions- und Rückfuß-Valgus-Stellung geführt. Zurecht hat das SG dargelegt, dass ein solcher Gesundheitsschaden in keinem der aktenkundigen Arztberichte dokumentiert und damit nicht nachgewiesen ist. Der fehlende Nachweis geht nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten, hier des Klägers. Ohne dass eine Verletzung des Musculus tibialis anterior und posterior nachgewiesen ist, kann ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem solchen Gesundheitsschaden und der Fehlstellung des linken Fußes nicht angenommen werden. Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des SG, die auf einer umfassenden Auswertung der Gutachten des Dr. D. und Dr. G. sowie des Dr. H. beruhen, nach eigener Prüfung gem. § 153 Abs. 2 SGG an und sieht zur Vermeidung von Wiederholung insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Der Bescheid ist damit materiell rechtmäßig; er ist auch formell rechtmäßig, nachdem die Beklagte gemäß § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ein Anhörungsverfahren durchgeführt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (§ 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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