L 3 U 5026/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 U 1840/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 5026/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Ereignisses vom 02.11.2009 als Arbeitsunfall.

Die Klägerin ist am 24.10.1957 geboren. Sie war seit Oktober 1990 bei der W. GmbH (im Folgenden: Arbeitgeberin) als Maschinenbedienerin beschäftigt und insoweit bei der Beklagten gesetzlich unfallversichert. Bei ihrer Arbeit war sie Einwirkungen verschiedener Arbeitsstoffe (Ultraschallreinigungsmittel, Aceton, Ethanol, Dämpfen von Plasmalaserschweißen und seit 2002 von Glykolether und 3-Butoxy-2-Propanol) ausgesetzt.

Die Klägerin wurde am 02.11.2009 notfallmäßig in das A.-Krankenhaus in B. eingeliefert. Insoweit diagnostizierte Prof. Dr. C. in dem Arztbrief vom 03.11.2009 eine Kreislaufdysregulation bei Reaktion auf Inhalation chemischer Stoffe, differentialdiagnostisch eine psychische Dysregulation. EKG und Labor seien unauffällig gewesen. Die Klägerin habe sich nach Ruhe und Wärmung stabilisiert. Wegen dieses Ereignisses war die Klägerin bis zum 11.12.2009 arbeitsunfähig. Unter dem 02.12.2009 gab der behandelnde Arzt, Dr. D., der Krankenkasse gegenüber an, die Klägerin leide an einem schweren MCS ("multiple Chemikaliensensitivität") mit orthostatischer Dysregulation (Kreislaufstörung mit erweiterten Blutgefäßen) und Kreislaufkollapsen. Sie reagiere auf Lösungs- und Putzmittel.

Nachdem die Klägerin das Ereignis vom 02.11.2009 gegenüber ihrer Krankenkasse als Arbeitsunfall bezeichnet hatte, zeigte diese unter dem 07.12.2009 der Beklagten einen solchen an. Die Arbeitgeberin teilte der Beklagten unter dem 11.01.2010 mit, es habe keinen Arbeitsunfall gegeben.

Bei Wiederaufnahme ihrer Berufstätigkeit am 14.12.2009 wurde die Klägerin wegen erneuter Kopfschmerzen und Schwäche notfallmäßig in die Medizinische Klinik II des Klinikums B. eingeliefert. Dort wurden eine hypertensive Entgleisung und eine bekannte Geruchsempfindlichkeit diagnostiziert sowie ein Verdacht auf Unverträglichkeit von Reinigungsmitteln und ein Verdacht auf Somatisierungsstörung geäußert. Vom 24.01. bis zum 20.02.2010 wurde sie in der Spezialklinik Neunkirchen, Akutklinik zur Behandlung von Allergien, Haut- und Umwelterkrankungen, stationär behandelt. Während des Aufenthalts untersuchte der Neurologe Dr. E. die Klägerin und teilte unter dem 28.01.2010 – zunächst – mit, neben einer möglicherweise vorliegenden allergischen Erkrankung sei eine psychogene Überlagerung im Sinne einer Somatisierungsstörung wahrscheinlich. Die Klinik selbst diagnostizierte in ihrem Entlassungsbericht vom 16.04.2010 – auch nach umfangreichen Blutuntersuchungen – eine MCS, Typ I-Sensibilisierungen gegen Inhalations- und Nahrungsmittelallergene, eine Hypercholesterinämie und enterale Dysbiose. Sie teilte mit, die Behandlung habe nur eine geringfügige Besserung ergeben.

Erneut nach den Hergängen befragt, führte die Klägerin mit Schreiben vom 12.03.2010 aus, am 02.11.2009 habe eine Inhalation von "Vapic", einem Entfettungsmittel, zu starkem Schwindel und Übelkeit geführt. Sie - die Klägerin - reagiere seit 2002 zunehmend allergisch auf Konservierungsmittel und Kosmetik sowie auf Haushaltsreiniger.

Die Beklagte ermittelte hierauf auch im Hinblick auf eine mögliche Berufskrankheit (BK). In diesem Zusammenhang teilte ihr Dipl.-Psych. F. am 24.03.2010 mit, dass die Klägerin nicht an einer psychischen Krankheit leide. Mit formlosem Schreiben vom 07.04.2010 verneinte die Beklagte eine BK. Die Krankenkasse der Klägerin zeigte jedoch unter dem 14.04.2010 – auch – eine BK an. In diesem Verfahren lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.08.2010 und Widerspruchsbescheid vom 20.10.2010 die Anerkennung einer BK ab. Dieser Komplex war Gegenstand des Verfahrens S 15 U 4568/10 vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) und L 9 U 2651/11 vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg, das für die Klägerin erfolglos blieb. Insoweit führte das LSG in seinem Urteil vom 26.02.2013 aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Feststellung einer MCS als "Wie-BK". Es sei schon nicht nachgewiesen, dass sie besonderen Einwirkungen in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt gewesen sei. Ferner fehlten neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bestehen einer Einwirkungs- und Verursachungsbeziehung.

Unter dem 28.05.2010 teilte die Arbeitgeberin der Beklagten erneut mit, dass sich am 02.11.2009 kein Unfall ereignet habe. Der Arbeitsplatz der Klägerin sei ca. 20 Meter von der Reinigungsanlage entfernt. Die Anlage sei zu diesem Zeitpunkt nicht defekt gewesen. Ein Eintrag ins Verbandbuch sei nicht getätigt worden. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin ungewöhnlich heftig auf Gerüche reagiere, die bei ihr gesundheitliche Probleme hervorriefen.

Mit Schreiben vom 10.08.2010 fragte die Beklagte bei der Arbeitgeberin nach, ob der Entfetter "Vapic" bei der Reinigungsanlage verwendet werde und ob die Klägerin am 02.11.2009 mit einem solchen Lösungsmittel in Kontakt gekommen sein könne. Die Arbeitgeberin teilte daraufhin unter dem 19.08.2010 mit, am 02.11.2009 habe ein Filterwechsel stattgefunden, wodurch die Konzentration an dampfenden Lösungsmitteln in der Atmosphäre vorübergehend auf ein wahrnehmbares Niveau angestiegen sei. Es sei - soweit sich das noch durch die Aussagen der Mitarbeiter nachvollziehen lasse - keine außergewöhnliche Situation mit extremer Geruchsbelastung oder gar gesundheitsgefährdender Konzentration gewesen. Eine Geruchsbelästigung in dem Bereich, in dem sich die Klägerin zu dem Zeitpunkt aufgehalten habe, sei unwahrscheinlich, aber auch nicht völlig auszuschließen. Bei dem in der Reinigungsanlage verwendeten Medium handele es sich um ein Gemisch aus 3-Butoxy-2-Propanol und Iso-Paraffinen. Das Sicherheitsdatenblatt für "Vapic" war beigefügt. Die Beklagte zog daraufhin das Vorerkrankungsverzeichnis von der Krankenkasse der Klägerin und im Hinblick auf dort verzeichnete Zeiten weitere medizinische Unterlagen aus der Zeit vor dem angeschuldigten Ereignis bei. Daraus ergab sich unter anderem, dass die Klägerin im April 2004 wegen einer Blutdruckentgleisung in der Freizeit und im Juli 2004 wegen eines Schwächeanfalls bei der Arbeit im Krankenhaus G. behandelt worden war (Arztbriefe von Dr. H. vom 29.04.2004 und 19.07.2004 ) sowie im September 2006 und im Februar 2008 jeweils wegen Inhalation von "Vapic" auf ihrer Arbeitsstelle und danach aufgetretenem Schwindel stationär im Klinikum B. behandelt worden war (Arztbriefe von Prof. Dr. I. vom 27.09.2006 und 14.02.2008 ).

Mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 04.11.2010 lehnte es die Beklagte ab, das Ereignis vom 02.11.2009 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Unfälle seien zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tode führen. Der Körperschaden sei dann nicht ursächlich auf das äußere Ereignis zurückzuführen, wenn aufgrund einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar sei, dass die Auslösung akuter Erscheinungen nicht einer besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äußeren Einwirkung bedürfe, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu etwa derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Dann sei nicht das äußere Ereignis rechtlich wesentliche Ursache für den Körperschaden, sondern die persönliche Risikosphäre des Versicherten. Wie der behandelnde Arzt des A.-Krankenhauses mitgeteilt habe, reagiere die Klägerin hochsensibel auf chemische Stoffe. Sie habe am 02.11.2009 das Krankenhaus verlassen, da sie die chemischen Putzmittel im Krankenhaus nicht habe riechen können. Desweiteren hätten die Ermittlungen ergeben, dass die Klägerin bereits in der Vergangenheit des Öfteren aufgrund von Inhalationen (z. B. Gas, Rauch, Dämpfe) Ausfallzeiten gehabt und infolge dieser Inhalation unter Schwindel, Taumel, Synkopen und Kollaps gelitten habe. Die Klägerin reagiere bereits seit Jahren allergisch auf Konservierungsmittel in Lebensmitteln, Kosmetik und Haushaltsreiniger bei Hautkontakt oder beim Einatmen. Sie selbst habe gegenüber Dr. D. angegeben, dass sie überempfindlich sei, was den Geruchssinn angehe (z. B. Parfüm, Handcreme usw.). Nach alledem habe die Klägerin bereits vor dem 02.11.2009 unter einer Unverträglichkeit gegenüber Gerüchen gelitten. Die an jenem Tage eingeatmete Konzentration eines Lösungsmittelgemisches sei normal und daher nicht geeignet gewesen, die Beschwerden zu verursachen. Das Einatmen sei vielmehr als auslösendes Moment der vorbestehenden Unverträglichkeit gegenüber Gerüchen zu werten. Somit habe zum einen bei der Klägerin eine krankhafte Schadensanlage, nämlich die MCS, vorgelegen, die so stark oder so leicht ansprechbar gewesen sei, dass die Auslösung akuter Erscheinungen nicht einer besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äußerlichen Einwirkung bedurft hätte, und zum anderen sei das angeschuldigte Ereignis nicht geeignet gewesen, die Beschwerden zu verursachen.

Im Vorverfahren trug die Klägerin vor, dass ein Arbeitsunfall deswegen vorliege, da die MCS als Berufskrankheit anzuerkennen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 12.04.2011 zurück.

Insoweit hat die Klägerin am 27.04.2011 Klage zum SG erhoben, die zunächst unter dem Aktenzeichen S 15 U 1857/11 geführt worden ist. Mit Beschluss vom 03.09.2012 hat das SG im Hinblick auf das genannte Parallelverfahren zur Anerkennung einer Berufskrankheit das Ruhen dieses Rechtsstreits angeordnet. Nachdem jenes Verfahren erfolglos geblieben war, hat die Klägerin diesen Rechtsstreit am 22.04.2013 erneut angerufen (Az. nunmehr S 15 U 1840/13). Sie hat ergänzend vorgetragen, "auch andere Arbeitskollegen" hätten auf Grund der Lösungsmittel gesundheitliche Probleme bekommen, z.B. Halluzinationen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 16.10.2013 abgewiesen. Das Ereignis vom 02.11.2009 sei kein Arbeitsunfall gewesen. Die Symptome der Klägerin - Zittern, Schwäche- und Schwindelgefühle – seien zwar im zeitlichen Zusammenhang mit ihrer versicherten Tätigkeit aufgetreten und der Austritt von Dämpfen am Arbeitsplatz sei ihr Auslöser gewesen. Diese Dämpfe hätten aber nur den Charakter einer Gelegenheitsursache gehabt. Die Krankheitsanlage der Klägerin – nämlich die MCS – sei so leicht ansprechbar gewesen, dass jedes andere alltägliche Ereignis zu derselben Zeit die gleiche Wirkung ausgelöst hätte. Eine andere Beurteilung sei auch nicht durch den Vortrag der Klägerin veranlasst, dass die MCS ihrerseits beruflichen Ursprung habe, denn nach dem Urteil des LSG vom 26.02.2013 stehe es zwischen den Beteiligten rechtskräftig fest, dass keine solche BK vorliege.

Gegen diesen Gerichtsbescheid, der ihrem Prozessbevollmächtigten am 21.10.2013 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 21.11.2013 Berufung zum LSG eingelegt. Sie hält an ihrem Vorbringen fest, am 02.11.2009 sei es auf ihrer Arbeitsstelle zu einem Unfall gekommen, der den Zusammenbruch verursacht habe. Sie macht detaillierte Angaben zum Hergang und legt Skizzen der örtlichen Gegebenheiten vor.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. Oktober 2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 04. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2011 zu verurteilen, das Ereignis vom 02. November 2009 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Berichterstatter des Senats hat die Klägerin persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Z. und G., zweier Vorgesetzter bzw. Kollegen der Klägerin, und der Zeugin E., die damals bei der Arbeitgeberin u.a. für Unfallmeldungen zuständig war. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und dieser Vernehmungen wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 08.05.2014 verwiesen. Auf Nachfrage des Senats hat die Arbeitgeberin der Klägerin unter dem 16.06.2014 mitgeteilt, es habe – nur – am 26.10.2009 (Leckage in Filtertanks) und am 28.10.2009 (defekter Wärmetauscher gewechselt) Probleme an der Anlage gegeben, bei denen Reinigungsflüssigkeit ausgetreten sein könne. Es könne ausgeschlossen werden, dass die Klägerin an der Beseitigung der Flüssigkeit beteiligt gewesen sei. Am 02.11.2009 sei ein Filterwechsel durchgeführt worden, wohl durch einen internen Mitarbeiter, ferner sei ein Bedienungs-Panel ausgetauscht worden, dies durch den Monteur der Herstellerfirma. Ebenso sei am 14.12.2009 ein Filterwechsel durchgeführt worden. An diesem Tage habe die Klägerin auf vorherige Anweisung des Zeugen G. in einer anderen Abteilung gearbeitet. Ferner hat die Arbeitgeberin u.a. den Montagebericht der Herstellerfirma vom 02.11.2009 vorgelegt.

Abschließend hat der Berichterstatter des Senats den Zeugen K., den Monteur der Herstellerfirma, sowie den Zeugen C., den Monteur der Arbeitgeberin, vernommen. Wegen des Ergebnisses wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 07.08.2014 verwiesen. Mit Schriftsatz vom 12.11.2014 hat die Klägerin zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung genommen und medizinische Unterlagen zu ihren Erkrankungen seit etwa 2004 sowie eine Auflistung ihrer Arbeitszeiten bei der W. GmbH für Oktober bis Dezember 2009 vorgelegt.

Die Klägerin hat sich in jenem Schriftsatz vom 12.11.2014, die Beklagte unter dem 27.11.2014 mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

1. Der Senat entscheidet über die Berufung der Klägerin nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einvernehmen mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.

2. Die Berufung gegen den angegriffenen Gerichtsbescheid ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 SGG) und auch sonst zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG). Sie ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) auf Aufhebung des Ablehnungsbescheids und behördliche Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgewiesen. Die Klägerin kann gegen die Beklagte keinen Anspruch auf eine solche Feststellung (aus § 102 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII] i.V.m. § 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IV], vgl. zu dieser Anspruchsgrundlage BSG [Bundessozialgericht], Urt. v. 05.07.2011, B 2 U 17/10 R, Juris Rn. 15) geltend machen:

a) Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalles ist daher erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis, dem Unfallereignis, gerührt hat (Unfallkausalität) und letzteres einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten (Gesundheitserstschaden) verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 18.07.2013, L 6 U 283/11, Juris Rn. 32 m.w.N.). Hinsichtlich dieses Zusammenhangs zwischen der Einwirkung von außen und dem Gesundheitsschaden gilt – wie allgemein im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung – die Lehre der wesentlichen Bedingung (hierzu LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 35). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. In einem zweiten, wertenden Schritt ist zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung. Eine solche, nicht wesentliche Ursache kann als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 36). Sie tritt zurück, wenn die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Hinsichtlich des Beweismaßstabes genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 38).

b) Streitgegenstand ist nur ein etwaiges Unfallereignis vom 02.11.2009. Zwar ist in der Liste der Arbeiten an der Reinigungsmaschine für den 26.10.2009 eine "Leckage an Filtertanks" verzeichnet und für den 28.10.2009 die Reparatur eines Wärmetauschers angegeben. Die Klägerin hat anfangs jedoch nur den 02.11.2009 genannt, und nur über ein Ereignis an diesem Tage hat die Beklagte in den angegriffenen Bescheiden entschieden. Mögliche Unfälle an anderen Tagen waren nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens. Im Übrigen ist anhand der Anwesenheitslisten belegt, dass die Klägerin am 26.10.2009 nicht gearbeitet hat.

c) Der Senat geht davon aus, dass es am 02.11.2009 zu einem von außen auf den Körper der Klägerin einwirkenden Ereignis gekommen ist.

Im Regelfall wird ein Unfall als etwas Besonderes wahr genommen, gleichwohl muss die Einwirkung kein außergewöhnlicher Vorgang, kein besonderes Geschehen sein (BSG, Urt. v. 29.011.2011, B 2 U 10/11 R, Juris). Auch muss sich keine besondere Betriebsgefahr verwirklichen. Allerdings vermögen die Arbeitsbedingungen nicht den Unfallbegriff i.S.v. § 8 Abs. 1 SGB VII zu erfüllen. Insoweit fehlt es an einem sog. plötzlichen Ereignis i.S. einer Einwirkung in einem relativ kurzen, einer Arbeitsschicht vergleichbaren Zeitraum.

Die Beweisaufnahme in zweiter Instanz hat ergeben, dass an der fraglichen Reinigungsanlage bei der W. GmbH am 02.11.2009 ein Filterwechsel durchgeführt worden ist und dass ein defektes Bedienpanel ausgetauscht worden ist. Dies ergibt sich aus den Unterlagen der Arbeitgeberin, die diese im Anschluss an die Vernehmung der Zeugen Z., G. und E. übersandt hat. Den Austausch des Panels hat – gestützt auf seinen damaligen Montagebericht – der Zeuge K. bestätigt. Der Zeuge C. hat, ebenfalls unter Heranziehung der Auflistung der Arbeitgeberin, den Filterwechsel bestätigt. Die Reparatur des Bedienpanels hat nicht dazu führen können, dass Reinigungsmittel austraten. Sie beschränkte sich auf die Steuerung der Maschine und betraf neben dem Austausch nur die Software, wie der Zeuge K. ausgeführt hat. Demgegenüber kam es beim Filterwechsel, der mindestens alle zwei Monate - und so auch am 02.11.2009 - durchgeführt wurde, zu Geruchsentwicklungen, denen die Klägerin regelmäßig ausgesetzt gewesen ist. Dies haben die drei Zeugen Z., G. und C., allesamt Mitarbeiter der Arbeitgeberin in der damaligen Zeit, bestätigt. Auch der Zeuge K. hat – allerdings allgemein und nicht auf den 02.11.2009 bezogen – ausgeführt, er habe bei derartigen Filterwechseln Gerüche bemerkt. Der Umstand, dass es sich insoweit um regelmäßige und daher erwartbare Geruchsentwicklung gehandelt hat, hindert nicht die Annahme eines Unfallereignisses. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 15.05.2012 (B 2 U 16/11 R, Juris, Rn. 31) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Unfreiwilligkeit und Unvorhersehrbarkeit keine ausdrücklich genannten oder ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale des gesetzlich definierten Unfallbegriffs i.S.v. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind.

d) Das Ereignis am 02.11.2009 ist kein Arbeitsunfall im Rechtssinne, weil es nicht die wesentliche Ursache für den Zusammenbruch der Klägerin an jenem Tage gewesen ist. Bei der Klägerin bestand eine MCS als Schadensanlage, die so leicht ansprechbar war, dass jedes andere alltägliche - das mit unangenehmen, aber nicht zwingend giftigen Gerüchen verbundene - Ereignis, ebenfalls den Zusammenbruch ausgelöst hätte. Dies hat das SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid ausgeführt. Der Senat verweist nach § 153 Abs. 2 SGG, um Wiederholungen zu vermeiden, auf jene Ausführungen. Ergänzend ist lediglich anzumerken:

Die MCS der Klägerin bestand bereits vor dem 02.11.2009, sie wurde nicht etwa durch das angeschuldigte Ereignis ausgelöst. Aus den medizinischen Unterlagen, die die Beklagte im Verwaltungsverfahren beigezogen hatte, und aus jenen, die die Klägerin im Berufungsrechtszug vorgelegt hat, ergibt sich, dass sie bereits im Jahre 2004 zweimal wegen Zusammenbrüchen auf Grund von Geruchs- oder ähnlichen Einwirkungen stationär behandelt werden musste, dabei im Juli 2004 nach einem Schwächeanfall bei der Arbeit. Bei dem Aufenthalt im Klinikum B. im September 2006 war auch bereits "Vapic" als Auslöser der Anfälle angeschuldigt worden (Arztbrief Prof. Dr. I. vom 27.09.2006). Im Februar 2008 war dann neben der akuten Diagnose "Inhalation von Reinigungsmitteldämpfen" auch erstmals eine chronische Erkrankung diagnostiziert worden ("Anamnestisch diverse Medikamentenallergien", vgl. Arztbrief Prof. Dr. I. vom 14.02.2008). Der behandelnde Arzt Dr. D. hat dann in seinen Arztbriefen nach den beiden Zusammenbrüchen am 02.11.2009 und am 14.12.2009 eine MCS als vorbestehend angegeben und auf die langjährige Empfindlichkeit der Klägerin gegenüber Gerüchen und ähnlichen Einwirkungen hingewiesen. In seinem Arztbrief vom 07.01.2010 hat er konkret auch auf Überempfindlichkeiten gegenüber Putzmitteln und Parfüm hingewiesen. Dass die Klägerin auch auf solche Einwirkungen reagiert, hat sie in dem Beratungsgespräch am 27.11.2009 selbst angegeben; sie hat auf allergische Reaktionen auf Konservierungsmittel in Lebensmitteln, Kosmetik und Haushaltsreiniger bei Hautkontakt oder beim Einatmen hingewiesen.

Diese Schadensanlage gegenüber Gerüchen und anderen Einwirkungen ähnlicher Art war auch leicht ansprechbar. Dies ergibt sich daraus, dass die Klägerin seit 2004 zwar nicht oft, aber regelmäßig auch stationäre Behandlungen nach Kreislaufdysregulationen oder ähnlichen Symptomen in Anspruch nehmen musste. Nicht alle Zusammenbrüche waren auch im Zusammenhang mit der Arbeit aufgetreten. So hatte Prof. Dr. I. unter dem 29.04.2004 von einem Zusammenbruch in der Stadt beim Einkaufen berichtet, die Klägerin hatte damals auf Allergien gegen Haushaltszucker und Konservierungsstoffe hingewiesen. Dies zeigt, dass auch alltägliche Einwirkungen die gleiche Wirkung haben konnten wie eine etwaige Geruchseinwirkung durch "Vapic" bei der Arbeit.

e) Das SG hat ebenfalls zu Recht darauf hingewiesen, dass eine BK, die möglicherweise durch eine langjährige, regelmäßige Einwirkung durch "Vapic" verursacht worden ist, nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist und insoweit im Augenblick rechtskräftige Entscheidungen bestehen, nach denen zumindest eine MCS bei der Klägerin keine BK ist.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

4. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht dargetan oder ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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