L 12 AS 1743/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 1406/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 1743/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 18.03.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung und der Kosten für Nahrungsergänzungsmittel seit 01.05.2011 und weiterhin.

Der 1963 geborene Kläger bezieht seit Jahren Leistungen nach dem SGB II. Daneben übt er eine selbstständige Tätigkeit mit der Erbringung von Hausmeisterdienstleistungen aus.

Erstmals mit dem im März 2011 gestellten Weiterbewilligungsantrag machte er eine kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen Gründen seit Februar 2011 geltend.

Mit Bescheid vom 06.04.2011 setzte der Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 01.05. bis 31.10.2011 vorläufig fest. Durch Bescheid vom 12.10.2011 erfolgte die vorläufige Festsetzung für den Zeitraum vom 01.11.2011 bis 30.04.2012. Für die Zeit vom 01.12.2011 bis 30.04.2012 setzte der Beklagte mit Bescheid vom 05.12.2011 die Leistungen endgültig fest, nachdem der Kläger zum 28.11.2011 sein Gewerbe abgemeldet hatte (zum 20.11.2012 meldete er das Gewerbe wieder an). Bewilligt wurde jeweils der Regelbedarf für den alleinstehenden Kläger sowie Kosten der Unterkunft und Heizung. Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung wurde nicht berücksichtigt. Gegen die Bescheide legte der Kläger keinen Widerspruch ein.

Auch gegen alle Bewilligungsbescheide für nachfolgende Zeiträume legte der Kläger keinen Widerspruch ein.

In der ärztlichen Bescheinigung vom 03.05.2011 der Anlage MEB zum Hauptantrag bescheinigte der Internist Dr. H.-K. einen schnellen krankheitsbedingten Gewichtsverlust; es liege eine Malabsorbtion durch Intoleranz vor, der Kläger benötige "individualisierte Kost, energiereich, reizstoffarm, vermehrter Bedarf durch Durchfälle" (bis 30.09.2011 - "unklares Krankheitsbild"). Der Arzt Dr. W. von der Agentur für Arbeit H. kam in seiner gutachtlichen Äußerung vom 13.05.2011 (offenbar nach Auswertung auch weiterer Unterlagen) zu der Beurteilung, im Vordergrund stehe eine seelisch-körperliche Störung des Verdauungssystems im Sinne eines Reizdarmsyndromes sowie eine seelische Minderbelastbarkeit bei depressiver Störung. Aus ärztlicher Sicht bestehe kein Mehrbedarf. Zu empfehlen seien ambulante therapeutische Maßnahmen sowie die Aufgabe des Rauchens. Mit Bescheid vom 17.05.2011 lehnte der Beklagte den Antrag auf Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung ab. Der Kläger legte Widerspruch ein und fügte ein Attest von Dr. H.-K. bei, das inhaltlich im Wesentlichen der Bescheinigung vom 03.05.2011 entsprach. Außerdem stellte er mit Schreiben vom 09.08.2011 einen "Antrag auf Mehrbedarf von nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten", die er wegen seiner Nahrungsmittelunverträglichkeit benötige, die aber von der Krankenkasse nicht übernommen würden. Der Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 17.08.2011 unter Bezugnahme auf den Bescheid vom 17.05.2011 ab, wogegen der Kläger ebenfalls Widerspruch einlegte. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.2011 wies der Beklagte den Widerspruch wegen "Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II sowie Kosten für Medikamente" zurück. Eine erneute Überprüfung durch den ärztlichen Dienst (Stellungnahme von Dr. W. vom 20.07.2011) habe die bisherige Entscheidung bestätigt. Abwechslungsreiche Vollkost sei ausreichend. Die medizinische Notwendigkeit der vom Kläger aufgelisteten Präparate sei nicht belegt. Im Übrigen sei die Kostenübernahme für Arzneimittel nach § 21 SGB II ausgeschlossen.

Der Kläger hat deswegen am 11.10.2011 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben (S 7 AS 3450/11). Er leide an mehreren Erkrankungen, die mit einem enormen Gewichtsverlust verbunden seien, vor allem an Histaminintoleranz und Darmdysbiose. Deshalb müsse er auch Verdauungsenzyme und Nahrungsmittelergänzungen zuführen. Er fügte u. a. den Entlassungsbericht der Spezialklinik N. vom 25.07.2011 über die vom 31.05. bis 21.06.2011 durchgeführte stationäre Behandlung bei. Demnach wurden ein Chronic-fatigue-Syndrom, Nahrungsmittelintoleranzen und eine gastrointestinale Störung bei Darmdysbiose diagnostiziert. Das SG holte von Dr. H.-K. die Aussage und Stellungnahme vom 20.01.2012 ein. Dieser beschrieb zahlreiche Beschwerden und Befunde. Der Kläger bedürfe einer "individuellen Kost nach Maßgabe der aktuellen Befindlichkeit und der bisherigen Erfahrungswerte", Vollkost alleine werde als nicht verträglich angegeben. Dr. H.-K. fügte zahlreiche weitere Unterlagen über ärztliche Untersuchungen und Behandlungen bei.

Mit Schreiben vom 02.02.2012 wies das SG die Beteiligten darauf hin, der Anspruch auf ernährungsbedingten Mehrbedarf sei kein selbstständiger Anspruch, weshalb darüber keine gesonderte Verwaltungsentscheidung ergehen könne und die Bescheide vom 17.05.2011 und 17.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.09.2011 rechtswidrig seien. Einem Anspruch auf höhere Leistungen stünden indessen die bestandskräftigen Bescheide vom 06.04.2011 und 12.10.2011 entgegen. Das SG schlug folgenden Vergleich vor: "Die Beteiligten sind sich einig, dass der Bescheid vom 17.05.2011 und 17.08.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 13.09.2011 gegenstandslos sind. Der Beklagte verpflichtet sich, die Bescheide vom 06.04.2011 und 12.10.2011 gemäß § 44 SGB X zu überprüfen, ob und inwieweit ein ernährungsbedingter Mehrbedarf zu bewilligen war bzw. ist und erteilt dem Kläger hierüber einen rechtsmittelfähigen Bescheid. Die Beteiligten sind sich einig, dass damit das Verfahren S 7 AS 3450/11 vollumfänglich erledigt ist." Diesem Vorschlag stimmten beide Beteiligten zu.

Nach Einholung einer ärztlichen Stellungnahme vom 19.02.2013 (weiterhin kein Mehrbedarf) lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 21.02.2013 die Rücknahme der Bescheide vom 04.04.2011 und 12.10.2011 ab, da diese rechtmäßig seien. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 02.04.2013 zurückgewiesen.

Der Kläger hat deswegen am 29.04.2013 Klage beim SG erhoben. Er hat insbesondere Allergien und eine Histaminintoleranz geltend gemacht. Er sei deshalb auf eine ausgewählte, histaminfreie bzw. histaminarme Ernährung angewiesen, die er mit dem Regelsatz nicht finanzieren könne. Gleiches gelte für Nahrungsmittelergänzungen zur Unterstützung des Histaminabbaus. Konkret hat er auf Rückfrage des SG erklärt, er beantrage Mehraufwand für besondere Ernährung und für Nahrungsmittelergänzungen, den er auf etwa 80,- EUR monatlich schätze. Er hat dem SG außerdem seinen Lebensmittelkonsum konkret beschrieben und Kassenzettel über seine Lebensmitteleinkäufe vorgelegt.

Das SG hat Dr. H.-K. befragt. Dieser hat mit Schreiben vom 19.07.2013 folgende Diagnosen mitgeteilt: Pankreas-Insuffizienz, Histaminunverträglichkeit, Darmdysbiose, Colon irritabile, psychosomatische Beschwerden. Zu meiden seien histaminreiche und zu stark zucker- oder zu fettreiche Lebensmittel sowie individuell unverträgliche Lebensmittel. Auf anderweitige Ernährungsprodukte könne ausgewichen werden, nämlich auf alle, die keine Histaminunverträglichkeit auslösen.

Der Kläger wurde vom 02.04. bis 17.04.2013 erneut in der Spezialklinik N. stationär behandelt. Im Entlassungsbericht vom 13.05.2013 wurden zahlreiche Diagnosen angegeben, an erster Stelle ein "komplexes Beschwerdebild im Sinne eines Chronic-fatigue-Syndroms". Bei den Befunden wurde u. a. eine "im unteren Grenzbereich befindliche Aktivität des Enzyms Diaminoxidase, mit Rolle im Histaminabbau, möglicherweise intermittierende Aktivitätsminderung der DAO, wobei diskontinuierliche Histaminintoleranzen in Erscheinung treten" beschrieben. Es hieß abschließend, während des stationären Aufenthalts habe der Kläger an einer speziellen Diät unter Leitung einer Ernährungswissenschaftlerin teilgenommen. Hierbei habe man kein klinisches Korrelat zwischen den angegebenen Darmsymptomen und den getesteten Nahrungsmitteln feststellen können. Somit sei man der Meinung, dass die Symptome eher als Ausdruck funktioneller Darmbeschwerden im Sinne eines Colon irritabile und der Histaminintoleranz zu interpretieren seien.

Unter Bezugnahme auf diese stationäre Behandlung hat das SG bei den behandelnden Ärzten der Spezialklinik N. eine Auskunft zu den krankheitsbedingten Konsequenzen für die Ernährung des Klägers eingeholt. Mit Schreiben vom 06.12.2013 hat die Diplom Trophologin S. ausgeführt - mit Unterzeichnung auch durch den zuständigen Stationsarzt; die Beantwortung der Fragen sei ihr übertragen worden, da die diätetische Betreuung und Beratung der Patienten ihr obliege -, der Kläger habe während des Klinikaufenthaltes eine für alle Patienten gültige, individuell angepasste allergenarme und reizstoffarme Ernährung erhalten. Bei diesem habe lediglich eine Erniedrigung des DAO-Spiegels (histaminabbauendes Enzymsystem) festgestellt werden können. Als Diätprinzip hat sie die Verwendung von frischen Lebensmitteln, das Vermeiden von Lebensmitteln, die natürliches Histamin enthalten, das Vermeiden von mikrobiell hergestellten Lebensmitteln mit langer Reifedauer und das Vermeiden von individuellen Histamin-Liberatoren (d. h. reizstoffarm) vorgeschlagen. Sie hat geeignete und ungeeignete Lebensmittel aufgelistet und dazu erläutert, der Kläger erfahre bei keiner Lebensmittelgruppe eine vollständige Einschränkung, vielmehr sei die Auswahl innerhalb der Lebensmittelgruppe zu Gunsten einer frischen, reizstoffarmen und natürlichen Auswahl verschoben.

Durch Gerichtsbescheid vom 18.03.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Es ist dabei von einem sinngemäß gestellten Antrag auf Verurteilung des Beklagten ausgegangen, dem Kläger unter teilweiser Rücknahme der Bescheide vom 06.04.2011 und 05.12.2011 im Zeitraum vom 01.05.2011 bis 30.04.2012 monatlich um 80,- EUR höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren. In den Gründen hat es ausgeführt, ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II erfordere zunächst ein medizinisch begründetes besonderes Ernährungsbedürfnis und als Folge dessen höhere Kosten. Medizinisch begründet sei beim Kläger die Meidung histaminreicher Lebensmittel, dies führe aber nicht zu höheren Kosten. Denn es sei ein Ausgleich vorwiegend durch frische Lebensmittel möglich, was nicht teurer sei. Eine Reihe der vom Kläger angegebenen verwendeten (teuren) Lebensmittel wie z. B. Kokosmilch und Bio-Produkte seien nicht aus medizinischen Gründen geboten, wie sich den Ausführungen von Dr. H.-K. und von Frau S. entnehmen lasse. Als Anspruchsgrundlage für die geltend gemachten Nahrungsergänzungsmittel komme allenfalls § 21 Abs. 6 SGB II in Betracht; ein medizinisch zwingender Bedarf sei hier aber nicht nachgewiesen. Für die Kostenübernahme von Arzneimitteln bestehe keine Anspruchsgrundlage nach dem SGB II.

Gegen diesen ihm am 22.03.2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 16.04.2014 Berufung eingelegt. Er macht geltend, streitig sei keineswegs nur der Zeitraum bis April 2012, sondern bis jetzt. Bei ihm liege keineswegs nur eine Histaminintoleranz vor, sondern eine Reihe weiterer Gesundheitsstörungen. Deshalb brauche er weniger chemisch behandelte, bevorzugt Bio-Lebensmittel, ohne Zusatzstoffe, weshalb er die Lebensmittel der Discounter meiden müsse. Auch die Listen der Histaminintoleranz seien nur ein Anhaltspunkt, die Verträglichkeit sei bei jedem unterschiedlich. Seinen erhöhten Bedarf habe er durch die Einkaufsquittungen nachgewiesen.

Der Kläger ist darauf hingewiesen worden, dass hier nur der Zeitraum bis zum 30.04.2012 streitig sein könne, weil er keinen der nachfolgenden Bewilligungsbescheide angefochten hat. Der Kläger hält an seiner Auffassung fest, weil er nach wie vor auf die besondere Ernährung und Nahrungsmittelergänzungen angewiesen sei.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 18.03.2014 aufzuheben, den Bescheid vom 21.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.04.2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter teilweiser Rücknahme der Bescheide vom 06.04.2011 und 05.12.2011 für die Zeit vom 01.05.2011 bis jetzt monatlich um 80,-EUR höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat die weitere Aussage und Stellungnahme von Dr. H.-K. vom 29.09.2014 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, der Kläger leide unter einer komplexen, chronischen multimodalen Gesundheitsstörung, die sich bisher schulmedizinisch nicht eindeutig habe diagnostizieren lassen. Die Beschwerden seien vielfältig, ein Krankheitsmodell lasse sich aufgrund der multiplen Einflüsse kaum finden. Der Kläger besitze ein umfangreiches Wissen aufgrund umfangreicher Internetrecherchen und habe zwar eigene, aber teilweise auch nachvollziehbare Krankheitsmodelle, die auch von einigen ärztlichen Kollegen vertreten würden. Er führe auch eigene Therapieversuche durch, die ärztlicherseits akzeptiert werden müssten (Dr. H.-K. nennt Beispiele). Seine Ernährung sei sehr ausgewählt und auf sein individuelles Empfinden und Erleben und die damit verbundene Erfahrung zugeschnitten. Auch hier entstünden Zusatzkosten. Nach seiner (Dr. H.-K.) Meinung sei ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung gerechtfertigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten beider Rechtszüge, der beigezogenen Vorprozessakten des SG Mannheim sowie der ebenfalls beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, da der Wert der Beschwerdegegenstands 750,- EUR übersteigt (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt. und insgesamt zulässig. Sie ist indessen nicht begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 21.02.2013 in der (unveränderten) Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.04.2013. Das begrenzt auch den Streitgegenstand in zeitlicher Hinsicht. Denn mit dem angefochtenen Bescheid vom 21.02.2013 hat der Beklagte (nur) die Bescheide vom 04.04.2011 (gemeint: 06.04.2011) und 12.10.2011 überprüft, mit denen nur über die Leistungen für die Zeit vom 01.05.2011 bis 30.04.2012 entschieden wurde. Das SG ist daher zu Recht von einem vom 01.05.2011 bis 30.04.2012 reichenden begrenzten streitigen Zeitraum ausgegangen. Etwas anderes hat der Kläger beim SG weder ausdrücklich noch sinngemäß beantragt. Später ergangene Bewilligungsbescheide für nachfolgende Bewilligungsabschnitte sind nicht Gegenstand des Verfahrens geworden. Abgesehen davon, dass eine auf Leistungen für weitere Zeiträume gerichtete Klage bei dieser Ausgangslage unzulässig gewesen wäre, hat das SG somit zu Recht nur über höhere Leistungen für den Zeitraum vom 01.05.2011 bis 30.04.2012 entschieden. Die Berufung ist daher unbegründet, soweit der Kläger höhere Leistungen für die Zeit danach geltend macht.

Mit Blick auf den Zeitraum vom 01.05.2011 bis 30.04.2012 hat das SG zu Recht entschieden, dass der Beklagte die Bescheide vom 06.04.2011 und 12.10.2011 nicht teilweise (nämlich soweit über den Regelsatz hinausgehende Leistungen nicht gewährt wurden) gemäß § 44 SGB X zurückzunehmen sind, weil die genannten Bescheide rechtmäßig sind. Der Leistungsbewilligung wurde eine zutreffende Regelleistung zugrunde gelegt. Ein höherer Leistungsanspruch des Klägers ergibt sich auch nicht durch die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung. Ein solcher Mehrbedarf besteht nicht. Ein Mehrbedarf besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Beschaffung von Nahrungsergänzungsmitteln.

Nach § 21 Abs. 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Das Gesetz begründet damit beim medizinischen Erfordernis kostenaufwändiger Ernährung einen Rechtsanspruch des Hilfebedürftigen. Voraussetzung ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erforderlich macht, deren Kosten höher ("aufwändiger") sind als dies für Personen ohne eine solche Einschränkung der Fall ist. Ein solches besonderes, medizinisch begründetes Ernährungsbedürfnis führt zu einem Anspruch auf einen Mehrbedarf in angemessener Höhe (BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr. 10, m.w.N.).

Die Konkretisierung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II muss im Zusammenhang mit § 20 SGB II erfolgen, der die Regelleistung in Form einer pauschalierten Leistung vorsieht. Denn § 20 SGB II umfasst die für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen und üblichen Bedarfslagen und Bedürfnisse des täglichen Lebens, wie sich aus der nicht abschließenden Aufzählung in seinem Abs. 1 - "insbesondere" Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, einen Teil der Haushaltsenergie sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens - ergibt. Grundlage für die Ermittlung der regelbedarfsrelevanten Anteile der einzelnen Bedarfsabteilungen und damit der Höhe des Regelbedarfs insgesamt sind die statistisch ermittelten Ausgaben und das Verbrauchsverhalten von Haushalten in unteren Einkommensgruppen auf der Datengrundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Die typisierend anerkannten Bedarfe gelten mit den im Gesetz vorgesehenen Pauschalen als befriedigt. Die Typisierung von existenzsichernden Bedarfen sowie deren Deckung durch einen pauschalen Festbetrag ist vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) als verfassungskonform bestätigt worden (vgl. BVerfG Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175, RdNr 205).

Der notwendige Bedarf für Ernährung ist als ein Teil dieses Regelbedarfs typisierend zuerkannt worden, wobei von der Deckung der laufenden Kosten eines typischen Leistungsberechtigten im Rahmen eines soziokulturellen Existenzminimums für eine ausreichende ausgewogene Ernährung im Sinne einer ausreichenden Zufuhr von Proteinen, Fetten, Kohlehydraten, Mineralstoffen und Vitaminen ausgegangen wurde. Damit gilt im Ergebnis eine Vollkosternährung als vom Regelbedarf gedeckt, weil es sich hierbei um eine ausgewogene Ernährungsweise handelt, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt (BSG, Urteil vom 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr. 17 m.w.N. u.a. zur Rspr. des BVerfG und zu den Mehrbedarfsempfehlungen 2008).

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens kommt die medizinische Notwendigkeit einer besonderen Ernährung - wenn überhaupt - allein unter dem Gesichtspunkt einer Histaminintoleranz in Betracht. Dazu hat das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids ausführlich und zutreffend begründet, dass und warum daraus kein Mehrbedarf resultiert. Der Senat schließt sich den Entscheidungsgründen des SG an und nimmt darauf Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das SG hat sich zu Recht u.a. auf die Ausführungen der Diplom-Trophologin M. S. von der Klinik N. gestützt. Dem steht nicht entgegen, dass das SG - was der Kläger beanstandet - sein Schreiben vom 04.11.2013 an die "Spezialklinik N./H. R./b. Ä." gerichtet hat, M. S. aber keine Ärztin ist. Eine Verwertung ist zwar nicht als sachverständige Zeugenaussage, aber nach § 103 Abs. 3 Nr. 4 SGG als Auskunft und fachkundige Stellungnahme möglich. In Beantwortung des Schreibens vom 04.11.2013 hat die Klinik in dem von M. S. und von dem Stationsarzt Dr. medic L. S. unterzeichneten Schreiben vom 06.12.2013 mitgeteilt, der zuständige Stationsarzt Dr. L. S. habe die Beantwortung der Fragen an M. S. weitergeleitet, da ihr die diätetische Betreuung und Beratung der Patienten obliege; daran schließt sich in dem Schreiben die Beantwortung der Fragen an. Diese Beteiligung der Ernährungsberaterin der Klinik, Diplom-Trophologin M. S., ist in sachlicher Hinsicht plausibel und nachvollziehbar und begründet keinen Zweifel an der Richtigkeit der Stellungnahme, sondern ist eher geeignet, deren Überzeugungskraft zu erhöhen.

Die medizinische Notwendigkeit für eine darüber hinausgehende besondere Ernährungsweise ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren nicht feststellbar. Den vorliegenden zahlreichen medizinischen Unterlagen ist dafür nichts zu entnehmen. Zuletzt hat der behandelnde Internist Dr. H.-K. in seiner vom Senat eingeholten Aussage und Stellungnahme vom 29.09.2014 zusammengefasst, es bestünden vielfältige Beschwerden und eine komplexe Gesundheitsstörung, die sich schulmedizinisch nicht eindeutig diagnostizieren lasse. Der Kläger habe eigene Krankheitsmodelle und führe auch eigene Therapieversuche durch, die - so Dr. H.-K. - ärztlicherseits akzeptiert werden müssten. Das begründet aber weder die medizinische Notwendigkeit besonderer Ernährungsbedürfnisse, für die allein die Maßstäbe der anerkannten medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung gelten, noch ersetzt es sie. Die medizinische Notwendigkeit der vom Kläger geltend gemachten Nahrungsergänzungsmittel und damit die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II ist somit ebenfalls zu verneinen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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