L 11 KR 3693/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 1582/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3693/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 13.08.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Versorgung mit Implantaten und implantatgestütztem Zahnersatz.

Die im Jahr 1958 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Im April und Mai 2013 beantragte sie unter Vorlage eines Heil- und Kostenplanes des Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen Prof. Dr. Dr. H. die Gewährung einer Implantatversorgung. Der Heil- und Kostenplan sah dabei ein zahnärztliches Honorar nach GOZ in Höhe von 5.203,71 EUR sowie Material- und Laborkosten in Höhe von 6.910,89 EUR vor (insgesamt Behandlungskosten in Höhe von 12.114,60 EUR). Ein zusätzlicher Kostenvoranschlag für die notwendige Implantologie wies einen Betrag in Höhe von 7.863,49 EUR aus.

Hierauf bewilligte die Beklagte am 18.04.2013 einen Festbetrag in Höhe von 350,73 EUR und lehnte mit Bescheid vom 27.05.2013 die Übernahme der Kosten für eine Implantatbehandlung einschließlich eines implantatgestützten Zahnersatzes ab. Die Klägerin erhob hiergegen am 06.06.2013 Widerspruch, zu dessen Begründung sie sich darauf berief, sie sei gegen die Inhaltsstoffe eines konventionellen Zahnersatzes allergisch, so dass ein solcher nicht möglich sei.

Die Beklagte beauftragte daraufhin den Zahnarzt Dr. G. mit einem Implantologie-Planungsgutachten. In seinem Gutachten vom 06.02.2014 führt Dr. G. aus, dass die Klägerin im Unterkiefer zahnlos sei. Im Oberkiefer sei die Entfernung der Restzähne geplant. Der Heil- und Kostenplan sehe eine teleskopgetragene Versorgung im Ober- und Unterkiefer auf jeweils vier Implantaten vor. Auch wenn die Klägerin unter verschiedenen Allergien leide, liege damit keine Ausnahmeindikation nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V zum Untersuchungszeitpunkt vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2014 wies die Beklagte den Widerspruch daraufhin zurück. Implantologische Leistungen zählten grundsätzlich nicht zur zahnärztlichen Behandlung und dürften von den Krankenkassen nur ausnahmsweise dann bezuschusst werden, wenn seltene, vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien festgelegte Ausnahmeindikationen vorlägen. Das bei der Klägerin vorliegende Beschwerdebild falle nicht unter die verbindlich im Einzelnen geregelten Ausnahmetatbestände. Ob eine verbleibende Behandlungsalternative für den Versicherten zu höheren Belastungen führe oder mit sonstigen Nachteilen verbunden sei, könne nicht berücksichtigt werden. Unter Berücksichtigung der Härtefallregelung belaufe sich der Festzuschuss der Klägerin auf 701,46 EUR.

Hiergegen richtet sich die am 26.05.2014 zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobene Klage. Zur Begründung trägt die Klägerin vor, dass es zu einer Implantatversorgung keine Behandlungsalternative gebe. Im Übrigen seien ihr keine Weisheitszähne gewachsen, sodass eine Indikation für die Implantatversorgung vorliege.

Mit Gerichtsbescheid vom 13.08.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Ergänzend hat es darauf hingewiesen, dass fehlende Weisheitszähne nicht mit einer generalisierten Nichtanlage von Zähnen gleichgesetzt werden könnten. Schließlich bestehe ein Anspruch auf Implantatversorgung nicht bereits dann, wenn eine Implantatversorgung medizinisch geboten sei. Selbst eine drohende Zahnlosigkeit führe nicht zu einem aus verfassungsrechtlich herzuleitenden Anspruch auf Implantatversorgung. Der Gerichtsbescheid ist der Klägerin mittels Postzustellungsurkunde am 16.08.2014 zugestellt worden.

Hiergegen richtet sich die am 28.08.2014 zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegte Berufung. Zur Begründung wiederholt und vertieft die Klägerin ihre Ausführungen aus dem bisherigen Verwaltungs- und Klageverfahren. Auf Grund ihrer nachgewiesenen Allergie könne eine Regelversorgung nicht erfolgen. Eine Alternativbehandlung sei ihr bis heute nicht angeboten worden. Es müsse daher eine Sonderausnahmeregelegung zur teilweisen Übernahme von nicht konventionellem Zahnersatz angenommen werden.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 13.08.2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.05.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für Implantate und implantatgestützten Zahnersatz entsprechend dem Heil- und Kostenplan von Prof. Dr. Dr. H. vom 02.04.2013 nebst Kostenvoranschlag desselben vom 02.04.2013 zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter darauf hingewiesen, dass auch der streitgegenständliche Heil- und Kostenplan des Universitätsklinikums H. eine Kunststoffprothese auf Teleskopkronen vorsehe. Von einer generellen Kunststoffunverträglichkeit könne daher nicht ausgegangen werden. Dies gelte umso mehr, als in der Zwischenzeit zahlreiche Kunststoffe speziell für Allergiker entwickelt worden seien.

Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermins am 22.01.2015 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgereicht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, zulässig aber unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung mit implantologischen Leistungen.

Versicherte haben nach §§ 11 Abs 1 Nr 4, 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit, wenn die Behandlung notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua zahnärztliche Behandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB V) und die Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 2a SGB V). Die zahnärztliche Behandlung ihrerseits umfasst die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend-chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden (§ 28 Abs 2 S 1 SGB V). Implantologische Leistungen schließt § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V von der zahnärztlichen Behandlung grundsätzlich aus. Umgekehrt soll durch die Regelung aber auch sichergestellt werden, dass Versicherte in zwingend notwendigen Ausnahmefällen mit Implantaten versorgt werden (BT-Drs 13/7264, S 59). Versicherte haben in seltenen, vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien nach § 92 Abs 1 SGB V festzulegenden Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle Anspruch auf implantologische Leistungen, wenn sie einschließlich der Suprakonstruktion im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung als Sachleistung zu erbringen sind.

Nach der auf dieser Grundlage erlassenen Richtlinie des GBA für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie vom 04.06./24.09.2003, Bundesanzeiger Nr 226 vom 03.12.2003, Seite 24966, zuletzt geändert durch Beschluss vom 01.03.2006, Bundesanzeiger Nr 111 vom 17.06.2006, Seite 4466) liegen gemäß B VII Nr 2 Satz 4 besonders schwere Fälle vor: a) bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache - in Tumoroperationen, - in Entzündungen des Kiefers, - in Operationen infolge von großen Zysten (zB große follikuläre Zysten oder Keratozysten), - in Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantatversorgung vorliegt, - in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, ektodermale Dysplasien) oder - in Unfällen haben, b) bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumor- behandlung c) bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen, d) bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichts- bereich (zB Spastiken).

Bei Vorliegen dieser Ausnahmeindikationen besteht Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur dann (B VII Nr 2 Satz 2), wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. In den Fällen von Satz 4 Buchstaben a) bis c) gilt dies nur dann, wenn das rekonstruierte Prothesenlager durch einen schleimhautgelagerten Zahnersatz nicht belastbar ist (B VII Nr 2 Satz 3).

Implantologische Leistungen, die der Abstützung von Zahnersatz dienen sollen, sind "im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung" als Sachleistung zu erbringen, wenn sie notwendiger Teil einer medizinischen Gesamtbehandlung sind. Eine solche medizinische Gesamtbehandlung muss sich aus verschiedenen, nämlich aus human- und zahnmedizinisch notwendigen Bestandteilen zusammensetzen, ohne sich in einem dieser Teile zu erschöpfen. Nicht die bloße Wiederherstellung der Kaufunktion im Rahmen eines zahnärztlichen Konzepts, sondern ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben. Das folgt aus dem Wortlaut der Regelung des § 28 Abs 2 Satz 9 Hs 2 SGB V (BSG 07.05.2013, B 1 KR 19/12 R, SozR 4-2500 § 28 Nr 6).

Unter Beachtung dieser Maßstäbe ist eine Ausnahmeindikation bei der Klägerin nicht gegeben. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten, welches im Urkundenbeweis verwertet wird. Danach leidet die Klägerin an einem zahnlosen Unterkiefer und nicht erhaltenswerten Restzähnen im Oberkiefer. Dieses Krankheitsbild ist im Katalog der Zahnbehandlungs-Richtlinie nicht aufgeführt. Es gehört damit nicht zu den besonders schweren Fällen, in denen eine Versorgung mit Implantaten ausnahmsweise als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung indiziert ist. Hiermit übereinstimmend hat Dr. G. eine entsprechende Ausnahmeindikation bei der Klägerin nicht angenommen. Zutreffend hat dieser auch ausgeführt, dass die bei der Klägerin bestehenden Allergien ebenfalls keine Ausnahmeindikation darstellen. Nichts anderes gilt für die Nichtanlage der Weisheitszähne, die nicht mit der generalisierten Nichtanlage gleichgesetzt werden kann. Selbst wenn für die "generalisierte" Nichtanlage von Zähnen ein Stadium mit einem ausgeprägten Fehlen von Zähnen ausreichen soll, das allerdings der vollständigen Zahnlosigkeit eher nahe kommen muss als dem Fehlen nur einzelner Zähne bei ansonsten noch als regelgerecht anzusehenden Gebissverhältnissen, liegt ein solches nicht vor. Ein solcher Zustand lässt sich nur bejahen, wenn zumindest die überwiegende Zahl der typischerweise bei einem Menschen angelegten Zähne fehlt.

Die Klägerin kann danach die Versorgung mit den begehrten Implantaten schon deshalb nicht von der Beklagten beanspruchen, weil bei ihr eine im Richtlinienkatalog aufgeführte Ausnahmeindikation für einen besonders schweren Fall nicht vorliegt. Auf die Frage, ob die Implantatversorgung aus anderen Gründen medizinisch notwendig ist, kommt es nicht an. Denn die Gerichte sind nicht befugt, den Richtlinienkatalog zu erweitern. Die in den Zahnbehandlungsrichtlinien festgelegten Ausnahmeindikationen sind aufgrund ihres Ausnahmecharakters eng zu interpretieren und lassen eine Auslegung über den Wortlaut hinaus nicht zu (BSG 04.03.2014, B 1 KR 6/13 R, SozR 4-2500 § 28 Nr 7; LSG Baden-Württemberg 18.06.2013, L 11 KR 4956/11, juris; LSG Hessen 02.07.2009, L 1 KR 197/07; juris; LSG Nordrhein-Westfalen 10.10.2007, L 11 KR 87/06, juris).

Im Übrigen erfolgt die von der Klägerin geforderte implantologische Zahnversorgung aber auch nicht im Rahmen einer Gesamtbehandlung. Dies gilt auch im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachten Allergien. So ist von der Klägerin weder vorgetragen noch lässt es sich den Unterlagen entnehmen, dass der Verlust der Zähne und der damit in Zusammenhang stehende notwendige Zahnersatz im Zusammenhang mit einer entsprechenden Gesamtbehandlung hinsichtlich dieser Erkrankung steht.

Da die Beklagte vorliegend die Festbetragszuschüsse in doppelter Höhe bewilligt hat, scheidet ein weitergehender Anspruch der Klägerin aus.

Die Ablehnung der Implantatversorgung verletzt die Klägerin schließlich auch nicht in ihren Grundrechten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 13.07.2004, B 1 KR 37/02 R, juris; BSG 05.10.2005, B 1 KR 42/05 B, juris, bestätigt durch BVerfG vom 09.01.2006, 1 BvR 2344/05 und 23.05.2007, B 1 KR 27/07 B), welcher der Senat folgt, verstoßen die gesetzliche Regelung des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V und die darauf beruhenden Richtlinien selbst dann nicht gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben, wenn Implantate als einzig medizinisch sinnvolle Leistung in Betracht kommen. Denn dem Grundgesetz ist ein Gebot zu Sozialversicherungsleistungen in einem bestimmten sachlichen Umfang nicht zu entnehmen. Welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung des Versicherten zugeordnet werden, unterliegt aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weiten gesetzgeberischen Ermessen. Etwas anderes ergibt sich im Streitfall auch nicht aus einer grundrechtsorientierten Auslegung der Bestimmungen des Krankenversicherungsrechts (vgl BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, juris) bzw § 2 Abs 1 a SGB V. Eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts kommt zwar nicht nur bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 21, 29 mwN), sondern auch bei wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankungen in Betracht (stRspr, vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 - D-Ribose; BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 13 mwN). Selbst drohende Zahnlosigkeit erreicht indes keinen vergleichbaren Schweregrad (BSG 04.03.2014, B 1 KR 6/13 R, juris).

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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