L 11 R 1785/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 101/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1785/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11.03.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1966 in der Türkei geborene Kläger siedelte Mitte 1980 in die Bundesrepublik Deutschland über. Er ist deutscher Staatsangehöriger. Eine Berufsschulausbildung als Metallarbeiter brach er ohne Abschluss ab. Zuletzt war er ab 1984 versicherungspflichtig als Arbeiter in einer Kunststofffabrik beschäftigt. Seit 08.02.2005 war er arbeitsunfähig erkrankt und bezog ab 23.03.2005 bis 02.05.2006 Krankengeld, anschließend bis 01.05.2007 Arbeitslosengeld und seit 02.05.2007 durchgehend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch. Es ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 sowie das Merkzeichen "G" ab 31.10.2006 und "B" ab 29.10.2010 anerkannt (zuletzt Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 10.12.2012).

Sowohl im Jahr 1996 als auch im Jahr 1997 erlitt der Kläger auf dem Weg zur Arbeit mit seinem Mofa einen Wegeunfall (1996: Sturz wegen Glatteis; 1997: Zusammenstoß mit einem Pkw). Der Antrag des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente durch die Berufsgenossenschaft Metall Süd wurde abgelehnt und blieb sowohl im Klage- als auch im Berufungsverfahren erfolglos (Urteil des Landessozialgerichts (LSG) B.-Württemberg vom 23.10.2006, L 2 U 2422/03).

Vom 29.08. bis 26.09.2002 nahm der Kläger an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in St. B. teil. Im Entlassungsbericht vom 08.10.2002 wurden folgende Diagnosen genannt: pseudoradikuläres Lumbalsyndrom mit Schmerz in beiden Leisten, HWS-/BWS-Syndrom bei keilförmiger Deformierung des 12. Brustwirbelkörpers (BWK), muskuläre Haltungsinsuffizienz und depressive Episoden mit Somatisierungstendenz. Die Entlassung erfolgte arbeitsfähig. Vom 30.06. bis 21.07.2005 nahm der Kläger an einer weiteren stationären Rehabilitationsmaßnahme in Bad Bu. teil. Im Entlassungsbericht vom 19.09.2005 wurde ausgeführt, der Kläger leide an lumbalen Rückenschmerzen bei degenerativem LWS-Syndrom, an thorakolumbalem Rückenschmerz bei ventraler Höhenminderung BWK 12, an einer Zervikobrachialgie rechts, an einer undifferenzierten Somatisierungsstörung und an einem Nikotinabusus. Als Arbeiter und Montierer könne er nur noch unter drei Stunden arbeiten, leichte Tätigkeiten seien unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr täglich zumutbar. Eine ambulante Psychotherapie bei einem türkisch sprechenden Therapeuten wurde empfohlen.

Einen ersten Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung stellte der Kläger am 22.11.2005. Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin fachärztlich begutachten. Dr. B. (Neurologie und Psychiatrie) gelangte zu der Einschätzung, beim Kläger liege ein demonstratives Krankheitsverhalten vor dem Hintergrund des Rentenbegehrens mit massiver funktioneller Ausweitung somatischer Beschwerden vor, die in wesentlichen Anteilen nicht der willentlichen Kontrolle entzogen seien. Körperlich leichte Tätigkeiten könne der Kläger noch vollschichtig verrichten (Gutachten vom 27.01.2006). Dr. Sch. (Orthopädie) gab in seinem Gutachten vom 06.02.2006 an, der Kläger leide an einer leichten Keilverformung des 12. BWK nach wahrscheinlicher früherer Kompressionsfraktur. Sie verursache keine wesentliche Einschränkung der Beweglichkeit. Die demonstrative Erschwerung des Gehvermögens und besonders die Notwendigkeit, Gehstützen zu benützen, sei nicht organisch, sondern allein psychogen erklärbar. Der Kläger müsse lediglich Arbeiten in längeren Zwangshaltungen des Rumpfes vermeiden, ansonsten bestünden keine weiteren Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit. Der Arzt für Innere Medizin Dr. M. führte in seinem Gutachten vom 10.03.2006 aus, dass bezüglich der inneren Organe keine Auffälligkeiten bestünden. Auch die weiterführenden Untersuchungen (EKG, Röntgen von Herz und Lunge, Lungenfunktionsdiagnostik und Laborwerte) hätten keine sozialmedizinisch relevanten Befunde gezeigt. Auf internistischem Fachgebiet lägen keine leistungslimitierenden Erkrankungen vor. Bei der körperlichen Untersuchung habe ein hochdemonstratives Verhalten imponiert.

Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag mit Bescheid vom 15.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.08.2006 ab. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG; Az: S 8 R 3879/06) hörte das SG zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen. Sodann holte es ein Gutachten bei dem Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Mü. vom 10.07.2007 ein. Dieser hob hervor, dass bei der Untersuchung deutliche Aggravationstendenzen vorhanden gewesen seien. Im Vordergrund stehe eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung auf dem Boden degenerativer Gelenk- und Wirbelsäulenveränderungen sowie einer Dysthymie. Der Kläger sei jedoch in der Lage, durch zumutbare Willensanstrengung die neurotischen Hemmungen im Rahmen der somatoformen Schmerzstörung und der Dysthymie zu überwinden. Er könne leichte körperliche Tätigkeiten mit gewissen qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das Gericht weitere Gutachten auf nervenärztlichem (Dr. Be.) und orthopädischem Gebiet (Dr. Bö.) ein. Dr. Be. führte im Gutachten vom 21.12.2007 aus, es habe eine Beschwerdeverdeutlichung und Aggravation vorgelegen, so dass die gutachterliche Untersuchung erschwert gewesen sei. Der Kläger leide an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer dysthymen Störung. Darüber hinaus bestünden degenerative Veränderungen an der Hals- und Lendenwirbelsäule, die teilweise die chronischen Nacken- und Kreuzschmerzen (ohne radikuläre Ausfallerscheinungen) erklären könnten. Der Kläger sei deshalb gegenwärtig nicht in der Lage, einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als drei Stunden pro Tag nachzugehen. Mittelfristig (mindestens 6 bis eher 12-monatige Behandlungsdauer) könne er jedoch wieder leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen verrichten, wobei idealerweise eine muttersprachliche Psychotherapie durchgeführt werden solle. Dr. Bö. stellte in seinem Gutachten vom 10.03.2008 folgende Diagnosen: Chronisches HWS-Syndrom bei Fehlstatik und Gefügestörung in Höhe C1-C4 mit Verformung von C4, sekundär beginnende degenerative Veränderungen an Wirbelkörpern und Bandscheiben, chronisch posttraumatisches BWS- und LWS-Syndrom bei Zn Kompressionsbruch des 12. BWK und des 1. LWK, jeweils unter leichter keilförmiger Deformierung stabil verheilt mit reaktiv segmentaler Funktionseinschränkung, chronisches LWS-Syndrom, Hypermobilität in beiden Kniegelenken und Polyarthralgie in Schulter- und Handgelenk rechts mit geringer Funktionseinschränkung. Aufgrund dieser Gesundheitsstörungen, die von einer somatoformen Schmerzstörung überlagert seien, liege eine berufliche Restleistungsfähigkeit des Klägers derzeit nicht vor.

Mit Urteil vom 17.09.2008 wies das SG die Klage ab und stützte sich hierbei auf das Gutachten von Dr. Mü. Angesichts des nachweislich demonstrativen und aggravatorischen Verhaltens des Klägers bedürfe es im Rahmen der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung einer besonders kritischen Würdigung und Abgrenzung zwischen objektivierbaren Gesundheitsstörungen und nur demonstrierten Beschwerden. Dies werde durch Dr. Bö. und Dr. Be. nicht geleistet. Das Leistungsvermögen des Klägers sei für leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts in zeitlicher Hinsicht nicht eingeschränkt, aus dem Gutachten des Dr. Mü. folgten lediglich qualitative Leistungseinschränkungen. Dies entspreche im Wesentlichen auch der Auffassung des behandelnden Schmerztherapeuten Dr. W ...

Die dagegen eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg. Der Senat hörte die behandelnde Fachärztin für Psychiatrie St. als sachverständige Zeugin. Diese führte unter dem 13.03.2009 aus, der Kläger leide an einer somatoformen Schmerzstörung und an einer depressiven Entwicklung. Aufgrund der Schmerzen sei der Kläger nicht mehr leistungsfähig. Die durchgeführte Psychotherapie diene lediglich der Entlastung und Verhinderung von Symptomverstärkung, sie könne jedoch keine heilende Wirkung mehr erzielen. Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts holte der Senat das ergänzende Gutachten des Dr. Mü. vom 16.11.2009 mit psychologischem Zusatzgutachten von Dipl.-Psych. K. ein. Dipl.-Psych. K. führte im psychologischen Zusatzgutachten aus, der Kläger habe bei der Frage zum Tagesablauf angegeben, er gehe mit seiner Frau einkaufen oder spazieren, wenn er keine Termine habe. Auch mit Bekannten oder Kollegen gehe er bei gutem Wetter ein bisschen Spazieren. Bei der mehrstündigen Exploration sei die Auffassungsgabe und die Konzentrationsfähigkeit nicht eingeschränkt gewesen. Die Glaubwürdigkeit der Angaben des Klägers bei der testpsychologischen Untersuchung seien in Frage zu stellen, da davon auszugehen sei, dass er seine Leistungen bewusst schlecht dargestellt habe. Die Authentizität des präsentierten Beschwerdebildes müsse stark bezweifelt werden und könne nicht Grundlage für eine Entscheidung über die Leistungsfähigkeit sein. Dr. Mü. führte in der fachärztlichen Gesamtbeurteilung aus, dass sich im Hinblick auf sein Gutachten vom 10.07.2007 keine wesentlichen Abweichungen in den Leistungseinschränkungen gezeigt hätten. Dr. Bö. habe nur auf die radiologischen Befunde abgestellt, um die Funktionseinschränkungen des Klägers zu begründen. Letztlich müsse aber die Leistungsbeurteilung anhand der Funktionseinschränkungen beurteilt werden, die durch Herrn Dr. Bö. aufgrund der mangelnden Mitarbeit nicht ausreichend zu eruieren gewesen seien. Im Entlassungsbericht des Rheumazentrums B.-B. hinsichtlich des Aufenthaltes des Klägers vom Januar 2009 sei explizit darauf verwiesen worden, dass insbesondere auch im Rahmen der Physiotherapie der Kläger die rechtsseitigen Extremitäten habe frei bewegen können, ohne hierbei über starke Schmerzen zu berichten. Auch bei der hiesigen Begutachtung sei der Kläger wenig mitarbeitsbereit gewesen. Die angegebene Halbseitensymptomatik mit sensiblen Defiziten sei einem organischen Korrelat nicht zuzuordnen. Der Kläger leide an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung sowie einer Dysthymie. Beide psychische Störungen seien gut therapierbar, wobei eine muttersprachliche Psychotherapie, wie sie seit mehreren Jahren empfohlen werde, bislang nicht stattgefunden habe. Der Kläger sei in der Lage, den neurotischen Anteil seiner Einschränkungen durch zumutbare Willensanspannung zu überwinden. Quantitative Leistungseinschränkungen seien nicht begründbar.

Mit Urteil vom 23.02.2010 wies der Senat die Berufung zurück (Az L 11 R 4755/08) und stützte sich hierbei im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. Mü. vom 16.11.2009. Neu hinzugetreten sei lediglich eine Diabetes-mellitus-Erkrankung, die allerdings zu keinen Folgeerkrankungen geführt habe. Die psychischen Störungen seien gut therapierbar. Dass eine seit Jahren angeratene muttersprachliche Psychotherapie nicht durchgeführt werde, zeige, dass ein entsprechend hoher Leidensdruck nicht vorliege. Insofern überzeuge auch die Einschätzung des Dr. Mü., wonach der Kläger noch in der Lage sei, den neurotischen Anteil seiner gesundheitlichen Einschränkungen durch eine zumutbare Willensanspannung zu überwinden. Von einer Einschränkung der Geh- und Wegefähigkeit des Klägers habe sich der Senat nicht überzeugen können. Der Kläger benutze zwar Unterarmgehstützen bzw einen Rollator, die demonstrierten Funktionseinschränkungen der rechten Extremitäten hätten jedoch nicht objektiviert werden können. Sowohl Dr. Mü. wie Dr. Be. hätten die Wegefähigkeit bestätigt. Ansonsten überzeugten die Leistungseinschätzungen von Dr. Be. und Dr. Bö. nicht, beide setzten sich mit den erheblichen Mitarbeitsdefiziten und der Aggravationstendenz des Klägers nicht auseinander.

Am 27.07.2011 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und legte hierzu Atteste seiner behandelnden Ärzte vor. Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihres beratungsärztlichen Dienstes ein (Dr. Schl. vom 02.08.2011) ein, der ausführte, aus den vorgelegten Bescheinigungen ergebe sich keine Änderung des Leistungsvermögens. Mit Bescheid vom 04.08.2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, den hiergegen am 01.09.2011 eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2011 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 05.01.2012 zum SG erhobene Klage. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, sein Zustand habe sich trotz adäquater Psychotherapie weiter verschlechtert.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Dr. Ha. (Innere Medizin; Schreiben vom 20.04.2012), der Psychiater und Psychotherapeut Dr. Hu. (Schreiben vom 25.06.2012) und die Psychiaterin St. (Schreiben vom 10.05.2012) haben angegeben, wegen der psychischen Leiden könne der Kläger keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen. Auch der Orthopäde Dr. L. hält das Leistungsvermögen wegen eines lumbalen Wurzelreizsyndroms bei akuter Symptomatik für unter dreistündig (Schreiben vom 30.04.2012). Weiter hat das SG ein Gutachten bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. R. eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 10.12.2012 bei dem Kläger eine leichtgradige, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Dysthymia, ein leichtes Schlafapnoe-Syndrom sowie degenerative Veränderungen der LWS diagnostiziert. Die Analyse der Alltagsaktivitäten und der nur leichtgradig gestörte psychische Befund belegten, dass die somatoforme Schmerzstörung nur leicht ausgeprägt sei. Leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten ohne Zwangshaltungen, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten, Nachtschicht und ungünstige klimatische Bedingungen könne der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich ausführen. Zusätzlich hat das SG auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein nervenärztliches Gutachten bei Prof. Dr. Br. eingeholt. Im Gutachten vom 07.07.2013 hat Prof. Dr. Br. folgende Gesundheitsstörungen benannt: chronische Dysthymie, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, emotional instabile Persönlichkeit mit histrionischen Zügen, chronischer Nikotinabusus, chronische Nacken- und Rückenschmerzen mit bekannten degenerativen Veränderungen, Diabetes mellitus Typ II, Zn Schilddrüsenresektion bei Struma multinodosa, leichtes Schlafapnoesyndrom. Massive Aggravationstendenzen seien nicht zu verkennen gewesen. Diese hätten sich mittlerweile so verfestigt, dass sie vom Kläger nicht mehr willentlich zu korrigieren seien. Der Kläger sei zu keinerlei Tätigkeiten im Rahmen des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr fähig. Zu dem Gutachten von Prof. Dr. Br. hat die Beklagte eine Stellungnahme ihres beratungsärztlichen Dienstes (Dr. N. vom 19.07.2013) vorgelegt.

Mit Urteil vom 11.03.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. R. hat das SG ausgeführt, der Kläger sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Die Auffassung von Prof. Dr. Br. sowie der behandelnden Ärzte Dr. Ha., Dr. Hu. und Frau St. sei durch das Gutachten von Prof. Dr. R. widerlegt. Nachvollziehbar spreche der nur leichtgradig gestörte psychische Befund nicht gegen eine mindestens sechststündige Belastbarkeit. Der gut strukturierte Tagesablauf, der neben Einkaufen Familienfeiern, Spazierengehen und Besuche der Moschee enthalte, belege eine ausreichende Partizipationsfähigkeit. Eine hinreichende Erklärung, warum Prof. Dr. Br. bei im Wesentlichen gleicher Diagnose wie Prof. Dr. R. von einem aufgehobenen Leistungsvermögen ausgehe, habe dieser nicht gegeben. Soweit er den bestehenden Aggravationstendenzen einen eigenständigen Krankheitswert zumesse, sei dies nicht nachvollziehbar.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 31.03.2014 zugestellte Urteil richtet sich die am 14.04.2014 beim SG eingelegte Berufung (Az: L 11 R 1785/14). Zur Begründung verweist der Kläger darauf, dass bis auf Prof. Dr. R. alle Ärzte ein unter 3-stündiges Leistungsvermögen gesehen hätten einschließlich des Gutachters Prof. Dr. Br ... Es sei nicht nachvollziehbar, worin das SG eine hinreichende Strukturierungsfähigkeit erkennen wolle. Im Gutachten von Prof. Dr. R. sei angegeben, dass der Kläger keine Hausarbeit verrichte, sich auch im Haus mit Rollator bzw Gehstützen bewege, tagsüber im Bett oder auf der Couch liege, sich das Essen von der Ehefrau oder den Kindern vorschneiden lasse und abends fernsehe oder vor dem Fenster auf einem Stuhl sitze und hinausschaue. Mit der Frage, ob den Aggravationstendenzen ein eigener Krankheitswert zukommen, habe sich Prof. Dr. R. offensichtlich nicht befasst. Auch die Einschätzung hinsichtlich der Wegefähigkeit sei nicht nachvollziehbar. Insgesamt sei das Gutachten von Prof. Dr. Br. ausführlicher und weitaus detaillierter als das von Prof. Dr. R ... Ergänzend hat der Kläger einen Arztbrief von PD Dr. W. vom 13.10.2014 vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11.03.2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.07.2011 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und verweist auf die Stellungnahme ihres beratungsärztlichen Dienstes vom 19.07.2013. Insgesamt seien lediglich leichtgradige psychische Erkrankungsbilder belegt, aus denen sich keine qualitative Einschränkung des Leistungsvermögens und bei unauffälligem neurologischen Befund auch keine relevante Einschränkung der Wegefähigkeit herleiten lasse.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. R. eingeholt, die dieser unter dem 03.12.2014 abgegeben hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Akten L 2 U 2422/03 und L11 R 4755/08 sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid der Beklagten vom 04.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.12.2012 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat weder ab dem 01.07.2011 noch ab einem späteren Zeitpunkt Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, auch nicht wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden und haben sich damit einverstanden erklärt.

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach diesen Maßstäben ist der Kläger, wie das SG zutreffend entschieden hat, weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weil er noch in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nicht mehr zumutbar sind Tätigkeiten mit Heben und Tragen von mehr als 10 kg, Zwangshaltungen, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten, Nachtschicht, Arbeiten mit ständigem Stehen und Gehen sowie Arbeiten unter ungünstigen klimatischen Bedingungen.

Beim Kläger liegen im Wesentlichen orthopädische und neurologisch/psychiatrische Erkrankungen vor, wobei die neurologisch/psychiatrischen Erkrankungen vorliegend eindeutig im Vordergrund stehen. Bei dem Kläger besteht seit Ende der beruflichen Tätigkeit im Jahr 2005 ein weitgehend unverändertes Zustandsbild, wie sich nicht nur aus den seither im Wesentlichen unveränderten Diagnosen ergibt, sondern auch aus den eigenen Angaben des Klägers gegenüber Prof. Dr. R ... Dort hatte der Kläger angegeben, sein jetziger Zustand bestehe seit 2005/2006. Auch in dem Arztbrief von PD Dr. W. vom 13.10.2014 wird ausdrücklich dargelegt, dass sich nach dem Verlauf keine grundlegende Veränderung der komplexen Schmerzerkrankung ergebe. Soweit Prof. Dr. Br. dagegen eine Verschlechterung annimmt, begründet er dies nicht nachvollziehbar. Der Kläger leidet insbesondere an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung sowie an einer Dysthymie. Dies ergibt sich aus den Gutachten von Dr. Mü. vom 10.07.2007, Dr. Be. vom 21.12.2007, Dr. Mü. vom 16.11.2009, Prof. Dr. R. vom 10.12.2012 und Prof. Dr. Br. vom 07.07.2013 und entspricht auch den Angaben der behandelnden Ärzte. Diese objektivierbaren Gesundheitsstörungen führen jedoch lediglich zu qualitativen Leistungseinschränkungen. Unter Beachtung der somatoformen Schmerzfehlverarbeitung auf dem Boden degenerativer Gelenk- und Wirbelsäulenveränderungen ist der Kläger nicht mehr in der Lage, dauerhaft körperlich schwere und mittelschwere Tätigkeiten auszuüben. Darüber hinaus muss er Tätigkeiten mit ständigem Stehen und Gehen, mit Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten mit Wirbelsäulenzwangshaltungen vermeiden. Gleiches gilt für Arbeiten in Nachtschicht, ständiger Kälte, Nässe und Zugluft. Zumutbar im Sinne des positiven Leistungsbildes sind danach sämtliche leichte körperlichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, wobei diese vorzugsweise in ständigem Sitzen und zeitweisem Gehen und Stehen, idealerweise in wechselnder Körperhaltung, zu verrichten sind. Dies entnimmt der Senat den Gutachten von Dr. Mü. vom 10.07.2007 und 16.11.2009 sowie von Prof. Dr. R. vom 10.12.2012 nebst ergänzender Stellungnahme vom 03.12.2014. Die genannten qualitativen Leistungseinschränkungen sind vor dem Hintergrund der mitgeteilten Befunde und Diagnosen nachvollziehbar und schlüssig. Eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht lässt sich mit den erhobenen Befunden nicht rechtfertigen. So hat Prof. Dr. R. in seinem Gutachten vom 10.12.2012 zum psychischen Befund festgehalten, dass der Kläger bewusstseinsklar und voll orientiert war, der Antrieb wirkte nur geringgradig vermindert bei subdepressiver Stimmungslage mit Stimmungsaufhellung bei Besprechen angenehmer Themen und somit nur geringfügig eingeschränkter affektiver Modulationsfähigkeit. Auffassung, Konzentration und Ausdauer waren bei der Untersuchung nicht wesentlich beeinträchtigt. Im Rahmen der Alltagsaktivitäten gab der Kläger an, die meiste Zeit zu Hause zu verbringen, dort aber am Familienleben teilzunehmen, türkische Fernsehsendungen zu verfolgen und gelegentlich eine nahegelegene Moschee aufzusuchen. Vormittags gehe er mit seiner Frau einkaufen oder mache einen Spaziergang im Wald. Damit ist durchaus von einer erhaltenen Tagesstruktur auszugehen, der Kläger pflegt auch soziale Kontakte. Auch die im Rahmen einer stationären Behandlung in C.-H. vom 13.04. bis 23.05.2012 festgestellte schwere depressive Episode (Entlassungsbericht vom 04.06.2012) lag damit schon zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. R. nicht mehr vor.

Dem Gutachten von Prof. Dr. Br. kann dagegen nicht gefolgt werden. Dieser hat ebenfalls eine Dysthymie sowie eine anhaltende somatoforme Störung angenommen, geht bei letzterer aber von einer schweren Ausprägung aus. Soweit Prof. Dr. Br. einen gravierenderen psychischen Befund als Prof. Dr. R. etwa mit massiv vermindertem Antrieb beschreibt, verwundert die Diagnose einer bloßen Dysthymie. Dies erscheint nicht konsistent, wie auch Dr. N. vom beratungsärztlichen Dienst der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 19.07.2013 zutreffend anmerkt. Entscheidend ist allerdings, dass insbesondere die von Prof. Dr. Br. befundeten reduzierten Leistungen im Bereich der kognitiven und mnestischen Funktionen der willentlichen Beeinflussung unterliegen und daher erst in der Gesamtschau aller Befunde gewürdigt werden können. Hierauf weist Prof. Dr. R. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.12.2014 zu Recht hin. Prof. Dr. Br. sind die bereits in zahlreichen Vorgutachten beschriebenen, massiv aggravatorischen Tendenzen des Klägers nicht verborgen geblieben. Er stützt seine Annahme eines aufgehobenen Leistungsvermögens im Wesentlichen darauf, dass diese dem Bewusstsein des Klägers entglitten und von ihm nicht mehr willentlich zu beeinflussen seien. Eine eigenständige Störung von Krankheitswert, die dem Kläger unmöglich machen würde, die Störungen zu überwinden, lässt sich dem Gutachten von Prof. Dr. Br. jedoch gerade nicht nachvollziehbar entnehmen, hierzu hat er auch keine entsprechende Diagnose angegeben. Auch für die Annahme der von ihm diagnostizierten emotional instabilen Persönlichkeitsstörung mit histrionischen Zügen ergibt sich aus dem von ihm dargestellten psychischen Befund keine ausreichende Symptomatik. Dies entnimmt der Senat aus der ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. R ... Darüber hinaus wäre auch nicht nachvollziehbar, warum eine bereits seit der Jugend/frühem Erwachsenenalter bestehende Persönlichkeitsstörung, mit der der Kläger über Jahre gearbeitet hat, Jahre später zu quantitativen Leistungseinschränkungen führen sollte. Hierauf weist Dr. N. in seiner Stellungnahme vom 19.07.2013 hin. Insbesondere ist jedoch bei dem Gutachten von Prof. Dr. Br. zu monieren, dass eine kritische Würdigung der subjektiven Angaben des Klägers fehlt, diese vielmehr durch die behauptete Verselbstständigung der Aggravation ersetzt wird. Hinsichtlich der früheren Gutachten von Dr. Be. und Dr. Bö. hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 23.02.2010 ausführlich dargelegt, dass diesen nicht gefolgt werden kann. Auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen.

Daneben bestehen bei dem Kläger noch orthopädische Erkrankungen, wie sie bereits in dem Gutachten von Dr. Sch. vom 06.02.2006, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, und im Gutachten von Dr. Bö. festgestellt worden sind. Im Vordergrund der Beschwerden stehen insoweit lumbale Wurzelreizsyndrome bei degenerativen Veränderungen. Dies bestätigt auch der behandelnde Orthopäde Dr. L. mit seiner Aussage vom 30.04.2012. Soweit er allerdings im Hinblick auf akute Symptomatik von einer nur unter dreistündigen Belastbarkeit des Klägers ausgeht, kann dem nicht gefolgt werden. Bei akuter Wurzelreizsymptomatik kann eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit bestehen, eine dauerhaft geminderte Erwerbsfähigkeit ergibt sich hieraus jedoch nicht. Dies folgt insbesondere daraus, dass sowohl Prof. Dr. R. wie auch Prof. Dr. Br. einen unauffälligen neurologischen Befund erhoben haben; insbesondere konnten keine motorischen Ausfälle festgestellt werden. Über die bereits benannten qualitativen Einschränkungen hinaus folgen aus den orthopädischen Erkrankungen daher keine weiteren Funktionsstörungen. Aus dem darüber hinaus vorliegenden Diabetes mellitus Typ II ohne Folgeerkrankungen, einem leichten Schlafapnoe-Syndrom und dem Nikotinabusus folgen keine weiteren Leistungseinschränkungen.

Die behandelnden Ärzte Dr. Ha., Dr. Hu. und Frau St. haben zwar ausgeführt, die Belastbarkeit des Klägers sei auf weniger als drei Stunden täglich herabgesetzt. Durch die vom SG und vom Senat durchgeführte Beweiserhebung ist die Leistungseinschätzung dieser Ärzte jedoch widerlegt. Der Beurteilung der (aktuellen) beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige kommt nach st Rspr des Senats (vgl Urteil vom 17.01.2012, L 11 R 4953/10) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens idR keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des gerichtlichen Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. Im Übrigen hat sich der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. R. mit der von seiner Beurteilung abweichenden Einschätzung der behandelnden Ärzte ausführlich auseinandergesetzt und anhand der von ihm erhobenen Befunde einleuchtend begründet, weshalb er deren Einschätzung nicht folgt.

Bei der noch vorhandenen Leistungsfähigkeit des Klägers - leichte Arbeiten mindestens 6-stündig - muss ihm eine konkrete Tätigkeit, die er noch verrichten kann, nicht benannt werden. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit, die der Versicherte mit seinem Leistungsvermögen noch auszuüben vermag, wird von der Rechtsprechung des BSG jedenfalls in den Fällen für erforderlich gehalten, in denen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsein-schränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG Großer Senat (GS) BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8). Für die Prüfung, ob eine Summierung unge-wöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor-liegt, gibt es keinen konkreten Beurteilungsmaßstab. Maßgeblich sind die Umstände des Einzel-falls. Daher ist eine genaue Untersuchung erforderlich, welche Verrichtungen oder Arbeitsbe-dingungen durch die beim Versicherten vorliegenden Gesundheitsstörungen im Einzelnen ausge-schlossen sind. Die Pflicht zur konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit hängt von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss dargelegt werden, welche Tätigkeiten der Versicherte noch verrichten kann (BSG 23.05.2006, B 13 RJ 38/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 9 = NZS 2007, 265).

Der Kläger kann zwar nach den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen bestimmte Tätigkeiten nicht mehr durchführen. Diese sog qualitativen Einschränkungen gehen aber nicht über das hinaus, was bereits mit der Begrenzung des Leistungsvermögens auf nur noch leichte Arbeiten erfasst wird, führen also zu keiner zusätzlichen Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit. Nachtarbeit oder Tätigkeiten unter ungünstigen klimatischen Bedingungen gehören nicht zu dem typischen Anforderungsprofil für leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Die bei dem Kläger bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen lassen keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass dieser noch wettbewerbsfähig in einem Betrieb einsetzbar ist.

Der Senat konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass die Gehfähigkeit des Klägers eingeschränkt ist (vgl BSG 21.03.2006, B 5 RJ 52/04 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 8; BSG 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R, juris). Der Kläger ist noch in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen sowie öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zweimal am Tag zu benutzen. Zwar benutzt der Kläger nach Angaben sämtlicher Gutachter Unterarmgehstützen bzw einen Rollator. Bereits anlässlich der Untersuchungen im Mai 2007 und im Juni 2009 bei Dr. Mü. konnten die vom Kläger demonstrierten Funktionseinschränkungen der rechten Extremitäten nicht objektiviert werden. Auch Dr. Schü. gab im Entlassungsbericht vom 27.01.2009 über den stationären Aufenthalt des Klägers im Rheumazentrum B.-B. an, dass keine Muskelatrophien vorliegen und der Kläger während des Tages und im Rahmen der Physiotherapie in der Lage war, beide rechtsseitigen Extremitäten frei zu bewegen, ohne dass er den Eindruck erweckte, hierbei starke Schmerzen zu erleiden. Gegenüber Dipl.-Psych. K. hatte der Kläger bei der Untersuchung zur Begutachtung im Juni 2009 im Rahmen des Tagesablaufs selbst angegeben, dass er am Wochenende zwei bis drei Stunden mit einem Freund spazieren gehe und seine Frau beim Einkaufen begleite. Wesentliche Änderungen haben sich seither nicht ergeben. Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. R. hat der Kläger 500 Meter in 20 Minuten und 15 Sekunden zurückgelegt, wobei dieser Wert nach Mitteilung von Prof. Dr. R. bei Aufbietung der zumutbaren Anstrengungsbereitschaft um mindestens einem Minute reduziert werden könne, nachdem bei der Gangprüfung im Untersuchungszimmer keine mittelschweren oder schweren Einschränkungen der Gehfähigkeit hätten festgestellt werden können. Der Wegefähigkeit steht auch nicht entgegen, dass der Kläger bei Prof. Dr. R. nicht in einen Simulator für öffentliche Verkehrsmittel eingestiegen ist, weil ihm der Einstieg zu hoch war. Denn objektive Befunde, die einer Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel entgegenstehen, hat keiner der Gutachter erhoben. Prof. Dr. R. hat daher nachvollziehbar ausgeführt – wie auch bereits im vorangegangenen Verfahren Dr. Mü. und Dr. Be. -, dass die Geh- bzw Wegefähigkeit des Klägers nicht eingeschränkt ist.

Der Sachverhalt ist damit vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Insbesondere das Gutachten von Prof. Dr. R. geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne eine weitere Sachaufklärung zu betreiben. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG 08.12.2009, B 5 R 148/09 B, juris).

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist (vgl § 240 SGB VI), dass er vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Der Kläger ist 1966 geboren, so dass eine Rente nach § 240 SGB VI bereits aus diesem Grund ausscheidet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 1 Nrn 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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