L 4 P 3293/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 19 P 1652/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 3293/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. Juli 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten, ob der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin ihrer Mutter für die Zeit vom 1. März 2010 bis zum 30. September 2014 Pflegegeld nach Pflegestufe III zu gewähren ist.

Die Mutter der Klägerin ist am 1922 geboren und am 2014 verstorben. Sie war polnische Staatsangehörige. Im streitgegenständlichen Zeitraum hielt sie sich in der Bundesrepublik Deutschland auf und wohnte zusammen mit der Klägerin. Sie bezog eine polnische Altersrente und war aufgrund dessen in der polnischen Krankenversicherung versichert. Vom 6. Februar 2005 bis zum 31. Januar 2010 erhielt sie Hilfe zur Pflege nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Nachdem der zuständige Träger dieser Leistungen festgestellt hatte, dass die Mutter der Klägerin in Polen krankenversichert ist, wurde die Zahlung eingestellt (Bescheid vom 4. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2010). Die von der polnischen Krankenversicherung zustehenden Pflegesachleistungen seien vorrangig vor dem bislang gewährten Pflegegeld.

Am 9. März 2010 beantragte die Mutter der Klägerin bei der Beklagten Leistungen der Pflegeversicherung in Form von Pflegegeld.

Nach Einholung eines Gutachtens der Pflegefachkraft L. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 7. Juli 2010 (täglicher Hilfebedarf bei der Grundpflege 260 Minuten) bewilligte die Beklagte der Mutter der Klägerin mit Bescheid vom 9. Juli 2010 Pflegesachleistungen der Pflegestufe III ab dem 1. März 2010. Mit weiterem Bescheid vom 9. Juli 2010 bewilligte die Beklagte der Mutter der Klägerin zudem Betreuungsleistungen als Sachleistungen ab dem 1. März 2010. Diese Sachleistungen wurden nicht in Anspruch genommen. Mit weiterem Bescheid vom 9. Juli 2010 lehnte die Beklagte die Gewährung von Geldleistungen ab, da auf Grund des "EU-Sozialversicherungsabkommens" nur Pflegesachleistungen gewährt werden könnten.

Gegen die Ablehnung der Gewährung von Geldleistungen erhob die Mutter der Klägerin am 10. August 2010 Widerspruch. Es sei nicht nachvollziehbar, warum lediglich Sachleistungen erbracht werden könnten. Ihr sei ein Fall bekannt, in dem ein deutscher Staatsbürger, der seinen Wohnsitz in Rumänien genommen habe und eine Erwerbsunfähigkeitsrente beziehe, Leistungen nur auf Grund des Leistungskataloges der örtlichen rumänischen gesetzlichen Krankenversicherung erhalte, obwohl er Mitglied einer deutschen Krankenversicherung sei. Hier sei ein Wertungswiderspruch nicht zu verkennen. Es liege eine Ungleichbehandlung vor, die sich nicht nachvollziehen lasse und wert erscheine, auf europäischer Ebene geklärt zu werden.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Mutter der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2011 zurück. Die Mutter der Klägerin sei schwerstpflegebedürftig. Zusätzliche Leistungen könnten jedoch nur in Form von Sachleistungen erbracht werden. Da die Mutter der Klägerin bei der polnischen Krankenversicherung versichert sei und der Grundsatz gelte, dass die Pflegeversicherung der Krankenversicherung folge, könne sie bei Wohnort in einem anderen Staat nur solche Sachleistungen bei Pflegebedürftigkeit erhalten, die sie nach dortigem Recht beanspruchen könne. Nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (im Folgenden: VO Nr. 883/2004) erhalte ein Versicherter, der im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates als des zuständigen Staates wohne, Geldleistungen nur vom zuständigen Träger nach dem für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften.

Hiergegen erhob die Mutter der Klägerin am 4. August 2011 Klage beim Sozialgericht Nürnberg, das sich mit Beschluss vom 5. März 2012 für örtlich unzuständig erklärte und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Stuttgart (SG) verwies. Die Mutter der Klägerin vertrat die Ansicht, dass die Entscheidung der Beklagten bereits aus wirtschaftlichen Gründen völlig widersinnig sei. Die Kosten einer stationären Unterbringung wären höher als bei der Gewährung von Pflegegeld. Im Übrigen wiederholte die Mutter der Klägerin ihr bisheriges Vorbringen.

Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid entgegen.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 21. Juli 2014 ab. Da die Mutter der Klägerin nicht bei der Beklagten kranken- und pflegeversichert sei, komme ein Leistungsanspruch nur nach den Vorschriften des Europäischen Koordinationsrechts, hier der VO Nr. 883/2004 in Betracht, die ab dem 1. Mai 2010 anzuwenden sei. Nach Art. 17 VO Nr. 883/2004 werde ein Versicherter hinsichtlich Sachleistungen so gestellt, als ob er beim Staat seines Wohnsitzes versichert wäre. Etwas anderes gelte jedoch für Geldleistungen, für die die Grundsätze des Sachleistungsrechts des Art. 17 VO Nr. 883/2004 gerade nicht anwendbar seien. Geldleistungen würden von Art. 21 VO Nr. 883/2004 erfasst. Grundsätzlich habe der zuständige Träger selbst die Geldleistungen in den anderen Mitgliedstaat zu exportieren und direkt an den Versicherten auszuzahlen. Die begehrte Geldleistung sei daher beim zuständigen Träger der polnischen Krankenversicherung zu beantragen und von diesem an die Versicherte auszuzahlen. Ein Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld nach Maßgabe der deutschen Vorschriften bestehe nicht. Dies verstoße auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 VO Nr. 883/2004.

Gegen das ihr am 29. Juli 2014 zugestellte Urteil hat die Mutter der Klägerin am 6. August 2014 Berufung eingelegt. Nach ihrem Tod hat die Klägerin erklärt, den Rechtsstreit als Sonderrechtsnachfolgerin fortzuführen. Sie ist der Ansicht, dass das SG die einschlägige Vorschrift, den Art. 21 VO Nr. 883/2004 zwar richtig angewendet habe, jedoch übersehen habe, dass die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, den Leistungsantrag an die zuständige Stelle in Polen weiterzuleiten. Eine entsprechende Pflicht folge aus § 16 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I). Die Verletzung der Weiterleitungspflicht begründe einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Eine Weiterleitungspflicht folge auch aus Art. 81 VO Nr. 883/2004. Das europäische Koordinationsrecht enthalte eine Ungleichbehandlung von Sachleistungen und Geldleistungen. Kinder, die in der Bundesrepublik Deutschland ihre Eltern pflegten, erhielten die Geldleistungen nicht, wohingegen die "wesentlich teurere" Sachleistung von den Pflegekassen ohne Weiteres übernommen werde. Kinder, die ihre schwerstpflegebedürftigen Eltern selbst pflegten, hätten auch nicht die Möglichkeit als Pflegeperson Rentenversicherungsansprüche zu erwerben.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. Juli 2014 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 9. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2011 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. März 2010 bis 30. September 2014 Pflegegeld nach Pflegestufe III zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf ihr bisheriges Vorbringen, die angegriffenen Bescheide sowie die erstinstanzliche Entscheidung. Im Übrigen erscheine die Anwendung des § 16 SGB I auf grenzüberschreitende Sachverhalte fraglich. Die Klägerin verkenne auch die Rechtsfolgenseite eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches. Der Anspruch gehe nur auf Herstellung des Zustandes, der eingetreten wäre, wenn die Verwaltung sich nicht rechtswidrig verhalten hätte. Wenn sie den Antrag an den zuständigen polnischen Krankenversicherungsträger weitergeleitet hätte, dann hätte der polnische Träger über den Antrag entschieden und gegebenenfalls das Pflegegeld gewährt. Im Wege des Herstellungsanspruchs könnte damit allenfalls die Antragstellung gegenüber dem polnischen Träger als erfüllt angesehen werden. Die Klägerin könne jedoch nicht erreichen, dass sie so gestellt werde, als würde die Beklagte über den Antrag auf Pflegegeld entscheiden und die Leistung gewähren. Im Übrigen seien auch die Voraussetzungen des Herstellungsanspruchs nicht erfüllt. Es fehle bereits an einer Pflichtverletzung.

Der Berichterstatter hat die Beteiligten auf die Absicht des Senats, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Beteiligten haben sich nicht geäußert.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

II.

1. Der Senat entscheidet über die Berufung der Klägerin gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss, da er die Berufung der Klägerin einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat der Senat die Beteiligten angehört.

2. Die gemäß § 143 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere bedurfte sie nicht der Zulassung, da die Klägerin Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

3. Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 2010, mit dem die Gewährung von Geldleistungen abgelehnt wurde, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2011 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von Pflegegeld für die Zeit vom 1. März 2010 bis zum 30. September 2014 (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 3 Sozialgesetzbuch Elftes Buch [SGB XI]), denn die Mutter der Klägerin hatte keinen Anspruch hierauf. Allerdings ist die Klägerin zur Geltendmachung der Ansprüche nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I als Sonderrechtsnachfolgerin berechtigt; denn die Klägerin ist die Tochter derjenigen Person, um deren Leistungsberechtigung gestritten wird; sie hat mit dieser zum Zeitpunkt des Todes auch in einem gemeinsamen Haushalt gelebt.

a) Die Klägerin hat als Sonderrechtsnachfolgerin nach Maßgabe des Rechts der Bundesrepublik Deutschland schon deswegen keine Ansprüche auf Pflegegeld gegen die Beklagte, weil die Mutter der Klägerin nicht bei der Beklagten pflegeversichert war.

b) Die Mutter der Klägerin hat auch aufgrund des Rechts der Europäischen Union keinen Anspruch auf Pflegegeld gegen die Beklagte.

Maßgeblich ist insofern seit dem 1. Mai 2010 die VO Nr. 883/2004 (vgl. zum Inkrafttreten Art. 90 Abs. 1, Art. 91 VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 97 der Verordnung [EG] Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009). Einschlägig ist Kapitel 1 des Titels III der VO Nr. 883/2004, das Leistungen bei Krankheit sowie Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft regelt. Zu den Leistungen bei Krankheit in diesem Sinne gehören auch Leistungen bei Pflegebedürftigkeit (vgl. EuGH, Urteil vom 5. März 1998 – C-160/96 – in juris, Rn. 25; EuGH, Urteil vom 30. Juni 2011 – C-388/09 – in juris, Rn. 42 ff.). Entgegen der Auffassung des SG sind allerdings nicht Art. 17 und 21 VO Nr. 883/2004 sedes materiae. Diese Artikel stehen im Abschnitt 1, der Regelung für Versicherte und ihre Familienangehörigen mit Ausnahme von Rentnern und deren Familienangehörigen betrifft. Im Fall der Mutter der Klägerin ist Abschnitt 2 (Art. 23 ff. VO Nr. 883/2004) einschlägig, der Regelungen für Rentner und ihre Familienangehörigen trifft, denn die Mutter der Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum Rentnerin. Während sich Art. 23 f. VO Nr. 883/2004 zu dem hier nicht streitigen Sachleistungsanspruch verhält, enthält Art. 29 VO Nr. 883/2004 die hier streitentscheidende Norm zu Geldleistungsansprüchen. Denn bei dem Pflegegeld handelt es sich um eine Geldleistung (vgl. EuGH, Urteil vom 5. März 1998 – C-160/96 – in juris, Rn. 36; EuGH, Urteil vom 30. Juni 2011 – C-388/09 – in juris, Rn. 43 f. m.w.N.).

aa) Nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 VO Nr. 883/2004 werden Geldleistungen einer Person, die – was bei der Mutter der Klägerin der Fall war – eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält, vom zuständigen Träger des Mitgliedstaats gewährt, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat, der die Kosten für die dem Rentner in den Wohnmitgliedstaat gewährten Sachleistungen zu tragen hat. Hieraus folgt, dass für die Gewährung von Geldleistungen, zu denen auch das Pflegegeld gehört, der Träger der polnischen Kranken- bzw. Pflegeversicherung zuständig ist, denn dieser hätte die Kosten für die dem Rentner – hier der Mutter der Klägerin – in seinem Wohnmitgliedstaat – hier der Bundesrepublik Deutschland – gewährten Sachleistungen zu tragen. Dies wiederum ergibt sich aus Art. 24 VO Nr. 883/2004. Art. 24 VO Nr. 883/2004 bestimmt:

(1) Eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält und die keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats hat, erhält dennoch Sachleistungen für sich selbst und ihre Familienangehörigen, sofern nach den Rechtsvorschriften des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaats oder zumindest eines der für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaaten Anspruch auf Sachleistungen bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat wohnte. Die Sachleistungen werden vom Träger des Wohnorts für Rechnung des in Absatz 2 genannten Trägers erbracht, als ob die betreffende Person Anspruch auf Rente und Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats hätte.

(2) In den in Absatz 1 genannten Fällen werden die Kosten für die Sachleistungen von dem Träger übernommen, der nach folgenden Regeln bestimmt wird: a) hat der Rentner nur Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaats, so übernimmt der zuständige Träger dieses Mitgliedstaats die Kosten; b) hat der Rentner Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten, so übernimmt der zuständige Träger des Mitgliedstaats die Kosten, dessen Rechtsvorschriften für die betreffende Person am längsten gegolten haben; sollte die Anwendung dieser Regel dazu führen, dass die Kosten von mehreren Trägern zu übernehmen wären, gehen die Kosten zulasten des Trägers, der für die Anwendung der Rechtsvorschriften zuständig ist, die für den Rentner zuletzt gegolten haben.

Hieraus folgt für das vorliegende Verfahren:

(1) Die Mutter der Klägerin hatte keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedsstaates. Einen solchen Sachleistungsanspruch hätte sie nach Art. 23 VO Nr. 883/2004 nur gehabt, wenn sie zumindest auch eine Rente nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzmitgliedstaates, also nach dem Rentenrecht der Bundesrepublik Deutschland, erhalten hätte. Dies war nicht der Fall. Die Mutter der Klägerin hat ausschließlich eine polnische Rente bezogen. Sie hatte auch keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates – der Bundesrepublik Deutschland –, da sie nicht bei der Beklagten pflegeversichert war.

(2) Die Mutter der Klägerin hatte aber dennoch – nach Art. 24 VO Nr. 883/2004 – einen Anspruch auf Sachleistungen. Denn sie hätte nach den Rechtsvorschriften des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaats – der Republik Polen – einen Anspruch auf Sachleistungen gehabt, wenn sie in Polen gewohnt hätte.

(3) Die Sachleistungen werden vom Träger des Wohnortes – also der Beklagten – für Rechnung des in Art. 24 Abs. 2 VO Nr. 883/2004 genannten Trägers erbracht. Da die Mutter der Klägerin nur Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften eines einziges Mitgliedstaats – der Republik Polen – hatte, übernimmt nach Art. 24 Abs. 2 Buchstabe a VO Nr. 883/2004 der zuständige Träger dieses Mitgliedstaats – also der polnische Träger – die Kosten. Dies aber führt – wie bereits erwähnt – aufgrund der Regelung des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 VO Nr. 883/2004 dazu, dass auch nur der polnische Träger für die Erbringung von Geldleistungen zuständig gewesen ist.

bb) Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 4 VO Nr. 883/2004. Dort ist lediglich angeordnet, dass Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates haben, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist. Letzteres ist hier aber durch Art. 29 VO Nr. 883/2004 gerade geschehen, der die allgemeine Regelung des Art. 4 VO Nr. 883/2004 verdrängt.

c) Für die Zeit bis zum 30. April 2010, also vor Inkrafttreten der VO Nr. 883/2004, gilt im Ergebnis nicht anderes. Maßgeblich war bis dahin die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 (im Folgenden: VO Nr. 1408/71). Art. 28 VO Nr. 1408/71 entspricht der Sache nach dem Art. 24 VO Nr. 883/2004; Art. 31 VO Nr. 1408/71 entspricht im Wesentlichen Art. 29 VO Nr. 883/2004.

d) Die Klägerin kann den geltend gemachten Anspruch auch nicht auf die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches stützen. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist allein darauf gerichtet, durch eine aus der Verletzung einer aus dem Sozialrechtsverhältnis obliegenden Pflicht der Behörde, insbesondere zur Beratung und Betreuung, resultierende nachteilige Folgen durch ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln wieder zu beseitigen (etwa BSG, Urteil vom 4. September 2013 – B 12 AL 2/12 R – in juris, Rn. 19 m.w.N.). Auf der Rechtsfolgenseite muss also durch die Vornahme einer Amtshandlung des Trägers ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (BSG, Urteil vom 27. Juni 2012 – B 12 KR 11/10 R – in juris, Rn. 29 m.w.N.). Herstellbar wäre aber durch ein Handeln der Beklagten allein die Weiterleitung des Antrages auf Pflegegeld und dessen Eingang beim polnischen Träger. Ein Zahlungsanspruch gegen die Beklagte lässt sich hingegen aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch in der vorliegenden Konstellation nicht ableiten. Daher kann der Senat offen lassen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vorliegen.

Ob eine Pflichtverletzung der Beklagten vorliegt, die zu einem Amtshaftungsanspruch führt, kann der Senat nicht entscheiden, da insofern der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht eröffnet ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Juli 2014 – L 11 R 5156/13 – in juris, Rn. 26 f. m.w.N.). Eine (Teil)Verweisung an das zuständige Landgericht scheidet aus (Urteil des Senats vom 27. Januar 2012 – L 4 R 1296/11 – in juris, Rn. 35).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) hierfür nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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