L 8 U 2667/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 2144/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 2667/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.04.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1317 der Anl. 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) festzustellen ist und dem Kläger deswegen Rente zusteht.

Der am 02.03.1950 geborene Kläger erlernte ab 1964 im Betrieb seines Vaters das Maler- und Lackiererhandwerk und arbeitete in diesem Beruf im Betrieb seines Vaters mit. Im Jahr 1991 hatte er den väterlichen Betrieb übernommen und war bis 2007 noch weiter als Maler und Lackierer tätig (Berufsanamnese im Gutachten von PD Dr. K. vom 15.04.2011).

Allgemeinmedizinerin M. erstattete unter dem 20.07.2008 die ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine BK wegen "teer- und bleihaltiger Lösungsmittel" unter den Diagnosen: schwere axonal-demyelinisierende sensomotorische Polyneuropathie, langjähriger Schwindel, zunehmender Halte- und Aktionstremor. Beigefügt war der Entlassungsbericht der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums T. vom 18.01.2008.

Die Beklagte trat in ein Feststellungsverfahren ein. Sie zog weitere medizinische Befundunterlagen bei und veranlasste die Stellungnahmen ihres Präventionsdienstes vom 06.11.2008 und 17.12.2009. Darin wurden die vom Kläger anhand der noch vorhandenen Betriebsakten ermittelten verarbeiteten Produkte und die vom Kläger angegebenen Tätigkeiten ausgewertet. Danach habe der Anteil an lösemittelhaltigen Beschichtungsstoffen in der Anfangszeit bis zu 80 % betragen. Ab etwa dem letzten Drittel des Betrachtungszeitraums habe der Anteil an wasserbasierenden Systemen kontinuierlich zugenommen. Der Anteil an reinem Malerlacken habe dann noch etwa 50 % betragen. Bis 1980 seien Spritzlackierarbeiten überwiegend im Winter innerhalb der Werkstatt mit einem Zeitanteil von 25 % ausgeübt worden. Überwiegend sei in Innenräumen von Hand gestrichen oder gewalzt worden. Auch unterschiedliche Bodenbeläge seien durch Verstreichen von Kleber fixiert worden. Der Anteil an lösemittelbasierenden Systemen von ca. 70-80 % habe 50-60 % der Arbeitszeit bis 1980 betragen. Ab 1980 habe sich der Anteil auf ca. 30-40 % reduziert. Im Zeitraum von 1975 bis 1980 seien häufig große Wasserbehälter von innen und außen mehrere Tage lang am Stück beschichtet worden, wobei Benommenheit und Übelkeit aufgetreten seien. Ergänzend wurde im Bericht vom 17.12.2009 ausgeführt, bis etwa 1980 seien etwa zweimal im Jahr Abbeizarbeiten an Fassaden unter Verwendung von lösemittelhaltigem Krähe-Abbeizer vorgenommen worden. Dabei sei es nach Angaben des Klägers auch zu Benommenheitsgefühlen gekommen.

In dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 26.10.2010, das auf das psychologische Zusatzgutachten von Diplom-Psychologin L. vom 14.10.2010 gestützt war, führte der Sachverständige Prof. Dr. S. aus, beim Kläger sei eine Neuropathie, aber keine Enzephalopathie zu diagnostizieren. Die testpsychologische Untersuchung habe im wesentlichen regelrechte Leistungen, nur in manchen Teilbereichen sei das Leistungsbild unter den Erwartungen gewesen, ergeben. Die Beschwerdevalidisierungstests hätten eine nur unzureichende Kooperation und Anstrengung gezeigt. Der psychologische Befund bestätige den klinischen Eindruck der psychiatrischen Untersuchung, ein hirnorganisches Psychosyndrom liege nicht vor. Die sensorische und motorisch axonale und demyelinisierende Neuropathie mittelschwerer Ausprägung verursache eine leichte Gang- und Standunsicherheit, einer Minderung der körperfernen Muskelkraft und sowie subjektive Beschwerden. Ein klassifizierbarer Tremor liege nicht vor. Bei der Untersuchung sei der dargebotene Tremor unter Ablenkung verschwunden. Es sei weder ein Ruhetremor noch Aktivitätstremor zu registrieren gewesen. Eine BK Nr. 1317 sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Gegen den ursächlichen Zusammenhang spreche, dass die Symptomatik nach Angaben des Klägers wie auch nach den dokumentierten Befunden nach Expositionsende deutlich zugenommen habe. Bis 2007 hätten sich keine Hinweise für eine Erkrankung des zentralen oder peripheren Nervensystems ergeben. Mit ergänzender Stellungnahme vom 20.04.2011 äußerte sich der Sachverständige zu Einwendungen des Klägers und hielt an seiner Einschätzung fest.

Im arbeitsmedizinischen Gutachten von PD Dr. med. Dipl.-Biologe K. vom 15.04.2011 wurde in Auswertung der Erhebung des Präventionsdienstes der Beklagten davon ausgegangen, dass der Kläger gegenüber lösungsmittelhaltigen Substanzen exponiert gewesen sei, wobei Grenzwerte zeitweilig erheblich überschritten wurden. Die Arbeiten hätten ihren Schwerpunkt im Zeitraum bis 1980/1985 gehabt. Nach 1985 seien auch noch Arbeiten mit hohem Lösemittel-konzentrationen in Nasennähe bei Bodenverlegtätigkeiten ausgeführt worden. Ein zur Untersuchung erstmals vorgelegter neurologischer Befundbericht vom 22.01.1997 belege eine Neuropathie bereits zu diesem Zeitpunkt. Dennoch liege die Erstdiagnose noch 12 Jahre nach dem Auslaufen der für die BK Nr. 1317 prinzipiell geeigneten Hauptexpositionszeit. Der späte Beginn und die Verschlimmerung der Erkrankung im weiteren Verlauf spreche gegen die notwendige Wahrscheinlichkeit der beruflichen Verursachung.

Mit Bescheid vom 26.04.2011 lehnte die Beklagte die Feststellung einer BK Nr. 1317 und die Gewährung von Leistungen ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2011 zurückgewiesen.

Der Kläger erhob am 19.07.2011 Klage vor dem Sozialgericht Reutlingen. Das SG hörte die Ärztin M. als sachverständige Zeugin (Aussage vom 02.04.2012) und holte von Amts wegen das neurologisch-psychiatrische Gutachten von Prof. Dr. Dipl.-Ing. W. vom 16.05.2013 ein. Der Sachverständige diagnostizierte beim Kläger eine Polyneuropathie der Arme und Beine sowie einen deutlichen Aktions- und Haltetremor. Bei der 2010 durchgeführten neuropsychologischen Untersuchung hätten sich außerdem diskrete neurokognitive Defizite im Sinne einer Beeinträchtigung der visuellen Merkfähigkeit ergeben, die sich aber nicht belangvoll im Alltag auswirkten. Diese Gesundheitsstörungen stünden im wesentlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit. Eine BK Nr. 1317 liege vor. Zwar sei das Maximum der Einwirkung in den 1970er und den 1980er Jahren gewesen, jedoch hätten auch in den neunziger Jahren noch geeignete Einwirkungen bestanden, um eine bereits bestehende toxische Nervenschädigung zu unterhalten. Dem Gutachten von Prof. Dr. S. könne er nicht zustimmen, denn ihm habe der neurologische Befundbericht aus dem Jahr 1997 nicht vorgelegen.

Die Beklagte wandte hiergegen ein (Schriftsatz vom 25.07.2013), die Angaben des Klägers ab 1990 viele Bodenverlegearbeiten unter Verwendung von "Neoprenklebstoff" ausgeführt zu haben, widerspreche seinen Angaben bei der Begutachtung durch PD Dr. K ... Außerdem habe nach dem BK-Report 2007 nur bis Anfang der Neunzigerjahre Neoprenklebstoff noch neuropathische Lösungsmittel enthalten. Ein längeres Intervall zwischen Expositionsende und Krankheitsbeginn sei toxikologisch nicht plausibel.

In seiner Gutachtensergänzung vom 19.08.2013 führte Prof. Dr. Dipl.-Ing. W. aus, er gehe davon aus, dass die deutlich geringeren Einwirkungen ab den neunziger Jahren lediglich dazu geeignet gewesen seien, eine bereits bestehende toxische Nervenschädigung zu unterhalten und deren Abklingen zu verzögern. Nachdem der Kläger einen Tremor zeige, sei eine Enzephalopathie im engeren Sinn gesichert. Darüber hinaus habe die neuropsychologische Untersuchung eine isolierte Störung der visuellen Merkfähigkeit ergeben und zwar unter ausreichender Anstrengungsbereitschaft nach dem Beschwerdenvalidierungstest. Dies entspreche dem Ergebnis einer Längsschnittstudie, wonach bei älteren Fußbodenlegern mit hohen Lösemittelexpositionen sich isoliert neuropsychologische Veränderungen für das visuelle Gedächtnis sowie für die Aufmerksamkeit gefunden hätten. Im BK-Report 2007 würden außerdem als Diagnosekriterien der Enzephalopathie "Tremor, Ataxie und Koordinationsstörungen" genannt. In der Literatur fänden sich Einzelfallbeschreibungen, wonach neben einer Polyneuropathie auch ein Tremor entwickelt wurde.

Mit Urteil vom 17.04.2014 wies das SG die Klage ab. Die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung der BK Nr. 1317 seien zwar nachgewiesen, denn nach Prof. Dr. W. sei von einer Polyneuropathie und Enzephalopathie auszugehen. Ein Zusammenhang mit der Lösungsmittelexposition sei jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich. Die Hauptexpositionszeit und der Beginn der Erkrankung lägen weit auseinander. Auch der Krankheitsverlauf lasse sich nicht ohne weiteres mit der Lösungsmitteleinwirkung in Einklang bringen. Für die geltend gemachten Schwindelerscheinungen und den Tremor kämen auch andere Ursachen in Betracht. Entgegen der Auffassung des Klägers habe das Gericht auch die Gutachten von Prof. Dr. S. und Dr. K. heranziehen können. Ein Beweisverwertungsverbot wegen Verstoß gegen § 200 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) liege nicht vor. Die Beklagte habe die Verfahrensvorschriften korrekt angewandt, denn der Kläger sei über sein Auswahlrecht informiert worden, habe der Begutachtung durch Dr. Prof. Dr. S. und Dr. K. zugestimmt, und sei auch über sein Widerrufsrecht belehrt worden.

Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 06.06.2014 zugestellte Urteil hat er am 23.06.2014 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt und zur Begründung auf die gutachterlichen Ausführung von Prof. Dr. W. verwiesen. Beim Kläger sei die Erkrankung nicht verspätet ausgebrochen, denn es entspreche der neuesten Wissenschaft, dass aufgrund der fortbestehenden, wenn auch geringeren Exposition eine bereits eingetretene toxische Schädigung unterhalten werden könne. Das Gericht verkenne auch, dass die 1997 diagnostizierte Polyneuropathie nicht erst in diesem Jahr entstanden sei. Im Bericht der Universitätsklinik T. vom 15.01.2008 gehe hervor, dass ein Halte- und Aktionstremor sowie eine neuropathische Polyneuropathie bereits seit 20 Jahren bestünden. Der Kläger habe auch in der Neunzigerjahre noch mit Neoprenklebstoff und Nitroversiegelungslacken gearbeitet. Außerdem sei § 9 Abs. 3 SGB VII, wie von Prof. Dr. W. angesprochen, anzuwenden. Hinzuweisen sei, dass auch Prof. Dr. W. auf deutliche Gedächtnislücken des Klägers verwiesen habe, die von diesem aber überspielt bzw. negiert würden. Der Kläger habe aufgrund seiner Arbeit keine Zeit gehabt, wegen seiner Erkrankung den Arzt vor 1997 aufzusuchen. Damals habe ihm der Arzt gesagt, er würde gerne eine Studie machen, da er ihn, den Kläger, als Musterfall angesehen habe. Prof. Dr. S. habe keine Berechtigung gehabt, ein Urteil über eine Berufskrankheit abzugeben, dies sei dem arbeitsmedizinischen Gutachten von Dr. K. vorbehalten gewesen. Das Sozialgericht sei dem Gutachten von Prof. Dr. S. nicht gefolgt, weshalb es unverständlich sei, dass es gegen das Gutachten von Prof. Dr. W. entschieden habe.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.04.2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV festzustellen und ihm eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil. Selbst Prof. Dr. W. räume in seinem Gutachten ein, dass man sich im Bereich der Vermutung bewege. Nicht nur liege der Expositionszeitraum und der Krankheitsbeginn zeitlich weit auseinander, auch sei der Krankheitsverlauf nicht Lösemittel typisch, wie PD Dr. K. in seinem Gutachten schlüssig dargelegt habe. Ebenso sei der Tremor durch andere Ursachen erklärbar.

Mit richterlicher Verfügung vom 26.08.2014 sind die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen worden und haben Gelegenheit zur Äußerung erhalten.

Mit Schriftsatz vom 16.09.2014 und 26.01.2015 hat der Kläger sich gegen eine Entscheidung durch Beschluss ausgesprochen, denn eine offensichtliche Erfolglosigkeit seiner Berufung sei nicht ersichtlich. Außerdem müsse noch weiter aufgeklärt werden, ob die angebliche Lücke zwischen Expositionsende und Krankheitsbeginn tatsächlich vorliege. Hierbei müssten auch seine krankheitsbedingten Gedächtnislücken berücksichtigt werden. Im Hinblick auf das Mündlichkeitsprinzip müsse ihm die Gelegenheit gegeben werden, sein Anliegen vor dem Senat vorzutragen. Prof. Dr. W. habe auch eine MdE um 20 v.H. angegeben. Außerdem habe Prof. Dr. W. auf verzögerte Austritte nach Kontakt mit schädlichen Lösungsmitteln hingewiesen, was sich auch aus vorgelegten Unterlagen über einen Vortrag von Dr. V. bzw. Studien von Feldmann und Edling ergebe.

Mit richterlicher Verfügung vom 18.12.2014 ist den Beteiligten mitgeteilt worden, dass der Senat an der angekündigten Verfahrensweise nach § 153 Abs. 4 SGG festhalte.

Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des SG beigezogen. Auf diese Unterlagen und die vor dem Senat angefallene Berufungsakte wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

II.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann der Senat - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Eine persönliche Anhörung des Klägers zum Nachweis des Krankheitsbeginns und Krankheitsverlaufs bedurfte es angesichts der zu den Akten gelangten ärztlichen Dokumentation und der aktenkundigen Angaben des Klägers nicht. Eine Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG ist auch nicht nur den Fällen einer offensichtlich unbegründeten Berufung vorbehalten. Die Beteiligten sind mit richterlichen Verfügungen vom 26.08.2014 und 18.12.2014 auf die in Betracht kommende Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG sowie deren Voraussetzungen hingewiesen worden und haben Gelegenheit erhalten, zur Sache und zum beabsichtigten Verfahren Stellung zu nehmen. Der Senat konnte auch ohne weiteren Hinweis nach Eingang des Schriftsatzes des Klägerbevollmächtigten vom 26.01.2015 entscheiden, denn mit diesem Schriftsatz war nur das bisherige Vorbringen wiederholt und vertieft worden, weshalb es über den letzten Hinweis vom 18.12.2014 hinaus, in dem auf den bisherigen Sachstand Bezug genommen worden war, keines ergänzenden Hinweises mehr bedurfte.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthaft und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässig, jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 17.04.2014 zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer BK Nr. 1317 und auf Gewährung einer Rente. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 26.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.07.2011 ist rechtmäßig.

Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind. Im Anhang 1 zur BKV ist als Berufskrankheit nach Nr. 1317 aufgeführt: Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische.

Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - , veröffentlicht in juris). Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den Berufskrankheitenfolgen, die dann gegebenenfalls zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der Berufskrankheit keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.

Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 RdNr. 26.2). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammen-hang für sich herleitet (BSGE 19,52, 53; 30,121, 123; 43, 110, 112).

Nach diesen Maßstäben liegt beim Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV nicht vor.

Vorliegend geht der Senat, was zwischen den Beteiligten insoweit auch unstreitig ist, von der gegebenen Einwirkungskausalität der genannten Berufskrankheit aus, denn der Kläger war lösungsmittelhaltigen Arbeitsstoffen bei seiner Tätigkeit als Maler und Lackierer in der Zeit von 1961 bis Mitte der achtziger Jahre, längstens bis Anfang der Neunzigerjahre ausgesetzt. Dies ergibt sich für den Senat überzeugend aus den Berichten des Präventionsdienstes der Beklagten vom 06.11.2008 und 17.12.2009, wonach der Schwerpunkt der Lösungsmittelexposition bis etwa 1985 vorgelegen hat. Soweit Prof. Dr. W., gestützt auf die Ausführungen im arbeits-medizinischen Gutachten von PD Dr. K., von einer zwar nur noch geringfügigen, aber fortbestehenden Exposition gegenüber Lösungsmittel ausgeht, ist dies nicht zur vollen Überzeugung des Senats nachgewiesen. Die Beklagte verweist insoweit zutreffend auf die Ergebnisse des BK-Reports 2007, auf die sich der Präventionsdienst der Beklagten für die Beurteilung der ab 1985 abnehmenden Intensität der Exposition stützen kann. Danach sind Farben, Lacke und Kleber zunehmend durch wasserbasierte Systeme ersetzt worden. Die von PD Dr. K. genannte Verrichtungen, die noch in den Jahren ab 1990 weiter zu Lösungsmittel-exposition geführt haben sollen, waren Bodeverlegearbeiten. Der vom Kläger in diesem Zusammenhang erstmals genannte Neoprenklebstoff ist zum einen in der vom Kläger anhand seiner Geschäftsunterlagen erstellten Liste der verwendeten Arbeitsstoffe nicht enthalten, er wird daher im Bericht des Präventionsdienstes auch nicht genannt, und war, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, nach dem BK-Report 2007 ab den neunziger Jahren nicht mehr lösemittelhaltig. Vom Kläger verwendete Kontaktkleber sind im Bericht des Präventionsdienstes vom 06.11.2008 u.a. mit dem Produktnamen Uzin GN 222 (Anlage 5 des Berichtes, Blatt 57 R der Beklagtenakte) und Uzin Fondur GN (Anlage 6, Blatt 58 der Beklagtenakte) als lösemittelhaltig angegeben, andererseits auch der lösemittelfreie Universal-Haftklebstoff Uzin KE 2000 S (Anlage 4, Blatt 57 der Beklagtenakte). Der Nachweis einer fortbestehenden Exposition über das Jahr 1985 hinaus bis 1997 ist daher nicht geführt.

Entgegen der im angefochtenen Urteil des SG vertretenen Auffassung ist die Diagnose einer Enzephalopathie nicht gesichert. Dies ergibt sich für den Senat aus dem Gutachten von Prof. Dr. S., der eine krankheitswertige Störung der mnestischen Funktionen und damit ein Psychosyndrom im Sinne der Enzephalopathie verneint. Er stützt sich für diese Beurteilung nicht allein auf die von ihm angenommene mangelhafte Mitarbeit des Klägers bei der testpsychologischen Untersuchung durch Dipl.-Psychologin L., sondern auch auf den bei seiner Untersuchung gewonnenen klinischen Eindruck, der das Ergebnis der psychologischen Testreihe bestätigt. Außerhalb der von Diplom-Psychologin L. beschriebenen Defizite im visuellen Bereich waren die Testbefunde nicht auffällig, insbesondere eine Beeinträchtigung der Konzentration und Auffassungsgabe lag nicht vor. Auch Prof. Dr. S. hat bei seiner psychiatrischen Exploration keine Störungen von Wahrnehmung, Konzentration, Merkfähigkeit und Antrieb beobachten können. Anhaltspunkte für inhaltliche oder formale Denkstörungen, unausgeglichene Stimmungslage oder eines beeinträchtigten affektiven Schwingungsvermögens fanden sich nicht. Die Kontaktaufnahme und das Mitteilungsvermögen waren ungestört. Eine Persönlichkeitsveränderung wird von Prof. Dr. S. nicht diagnostiziert. Die Merkmale einer toxischen Enzephalopathie nach Schweregrad I (Erschöpfung, Ermüdbarkeit, Konzentrations-schwäche, Merkschwäche, allgemeine Antriebsminderung) oder Schweregrad II (ausgeprägte und dauerhafte Persönlichkeitsveränderungen, zunehmende Merk- und Konzentrationsschwäche, Stimmungsschwankungen mit depressiven Einschlag, Affektlabilität, Nachweis testpsycholo-gischer Leistungsminderungen; vgl. Merkblatt zur BK Nr. 1317, Bekanntmachung des BMGS, BArbBl. 2005 H. 3 S. 49) lagen somit nach dem überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. S. nicht vor. Eine anamnestische Alkoholintoleranz als Hinweis einer bereits früh bestehenden Enzephalopathie (vgl. Merkblatt) wurde vom Kläger gegenüber Prof. Dr. W. ausdrücklich verneint (Seite 17 des Gutachtens, Blatt 179 der SG-Akte). Auch Prof. Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 16.05.2013 in der Auflistung seiner Diagnosen zunächst eine Enzephalopathie nicht angegeben. Er hat lediglich anhand der durchgeführten neuropsychologischen Untersuchung durch Dipl.-Psychologin L. Hinweise auf diskrete neurokognitive Defizite im Sinne einer Beeinträchtigung der visuellen Merkfähigkeit gesehen, die sich aber im Alltag des Klägers nicht belangvoll auswirkten. Mit diesen Ausführungen von Prof. Dr. W. ist für den Senat bereits eine pathologische Abweichung nicht erkennbar, denn eine isolierte Beeinträchtigung in den mnestischen Fähigkeiten, wie eine mangelhafte visuellen Merkfähigkeit, kann auch eine persönlichkeitsbedingte Eigenschaft sein, wie eben spezifische Talente oder Schwächen bei der Persönlichkeitsentwicklung auftreten können. Die auf Einwand der Beklagten erfolgten Ausführungen von Prof. Dr. W. in seiner Gutachtensergänzung vom 19.08.2013 überzeugen den Senat ebenso wenig. Für die Diagnose einer Enzephalopathie wird nunmehr vorwiegend auf andere Gesichtspunkte abgestellt, indem der von Prof. Dr. W. – im Gegensatz zu Prof. Dr. S. – nun diagnostizierte Tremor als Symptom einer Enzephalopathie gedeutet wird. Abgesehen davon, dass der Tremor im vorangegangenen Gutachten im Zusammenhang mit der peripheren Nervenschädigung gesehen wurde und nunmehr einer zentralen Nervenschädigung zugeordnet wird, ist dies auch nicht überzeugend. Im Gutachten wird noch von einem Aktions- und Haltetremor ausgegangen, dagegen spricht Prof. Dr. W. jetzt in seiner Gutachtensergänzung vom 19.08.2013 nur von einem Haltetremor, der nach allgemeinem Wissenstand einer krankhaften Störung des Gehirns entspringt und nicht auf anderen "extrazerebralen Ursachen" beruhen könne. Damit steht Prof. Dr. W. auch im Widerspruch zur Einschätzung von Prof. Dr. M., Ärztlicher Direktor der neurologischen Klinik des Universitätsklinikums T., der einen Halte- und Aktionstremor des Klägers zwar diagnostizierte, aber als Differenzialdiagnose einen essenziellen Tremor oder den Tremor im Rahmen einer schweren Polyneuropathie annahm (Arztbrief vom 18.01.2008). Damit übereinstimmend war in der Folge der Tremor der peripheren Nervenstörung zugeordnet worden. Außerdem begründen leichte neurologische Befunde wie Tremor, Ataxie und Koordinationsstörungen eine Enzephalopathie nach Schweregrad II B nur zusätzlich neben den psychischen Störungen einer Enzephalopathie Schweregrad II A (vgl. Merkblatt), die aber weder von Prof. Dr. W. noch von Prof. Dr. S. beschrieben sind. Ausgehend von dieser Diagnose ist für den Senat nicht mit hinreichender, an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegt, dass neben der unstreitigen Schädigung des peripheren Nervensystems in Form der diagnostizierten Polyneuropathie auch eine Schädigung des zentralen Nervensystems vorliegt. Einen hinreichenden Beleg für einen Zusammenhang der Beeinträchtigung der visuellen Merkfähigkeit und des Tremors mit der beruflichen Tätigkeit liefern auch die von Prof. Dr. W. ausdrücklich als Einzelfallschilderung angegebenen Berichte in der medizinischen Literatur nicht, denn mangels entsprechender Studien ist eine signifikante Auffälligkeit entsprechender Krankheitsfälle nicht bestätigt; ungeachtet dessen ist allein mit diesen Gesundheitsstörungen das Tatbestandsmerkmal "Enzephalopathie" auch nicht begründet.

Die Polyneuropathie ist jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die beruflich bedingte Exposition gegenüber Lösungsmittel zurückzuführen. Der Senat verweist insoweit auf die für zutreffend erachteten Ausführungen im angefochtenen Urteil (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Vorbringen im Berufungsverfahren zwingt zu keiner anderen Beurteilung.

Das nach dem BK-Report von 2007 überarbeitete Merkblatt des Ministeriums (vgl. a.a.O.) zur Berufskrankheit Nr. 1317 führt zum Krankheitsbild der neurotoxischen Polyneuropathie aus, dass diese sich in der Regel in engem zeitlichen Zusammenhang mit der beruflichen Lösungsmittelexposition entwickelt. Vereinzelt sind aber auch Krankheitsverläufe berichtet worden, wonach es 2 bis 3 Monate nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zu einer Verschlechterung der Bewegungsfähigkeit und zu einer um diesen Zeitraum verspäteten Erstdiagnose der Polyneuropathie gekommen ist. Häufig verbessern sich Polyneuropathien nach Ende der Exposition, eine Persistenz oder Verschlechterung der Erkrankung schließt eine Verursachung durch Lösungsmittel jedoch nicht aus. Ebenso wird für die toxische Enzephalopathie ausgeführt, dass sie in der Regel noch während des Expositionszeitraumes auftritt. Studien haben jedoch gezeigt, dass auch nach Ende der Exposition noch eine Zunahme der subjektiven Beschwerden sowie eine Verschlechterung der Ergebnisse der psychologischen Testverfahren und der neurologischen Untersuchungsergebnisse eintreten kann, woraus zu folgern ist, dass die klinische Diagnose der lösungsmittelbedingten Enzephalopathie auch mehrere Jahre nach Ende der Exposition erstmals gestellt werden kann. Die Enzephalopathie kann sich nach Unterlassen der gefährdenden Tätigkeit bessern, konstant bleiben oder verschlechtern. Eine Persistenz oder eine Verschlechterung schließt eine Verursachung durch Lösungsmittel ebenso wenig aus.

Nach diesen Merkmalen ist auf der Grundlage des überzeugenden Gutachtens von Prof. Dr. S. und teilweise mit dem Gutachten von Prof. Dr. W. für den Senat nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der Zusammenhang der beim Kläger diagnostizierten Polyneuropathie mit der beruflich bedingten Lösungsmittelexposition belegt.

Die Polyneuropathie wurde nicht wenige Monate nach Ende der Exposition zu Beginn der Neunzigerjahre diagnostiziert, sondern erstmals 1997. Sowohl Prof. Dr. S. wie auch im arbeitsmedizinischen Gutachten von PD Dr. K. wird dies in Übereinstimmung mit dem die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigenden Merkblatt als untypischer Krankheitsbeginn bezeichnet. Entgegen der Auffassung des Klägers ist damit ein positiver Anknüpfungspunkt für die Zusammenhangsbeurteilung nicht gegeben, da auch für einen durch Studien belegten – um Monate – verzögerten Krankheitsbeginn die sich über mehrere Jahre erstreckende Lücke zu groß ist. Für den Senat ist auch ein früherer Beschwerdebeginn nicht festzustellen. Es mag sein, dass der Kläger möglichen anfänglich geringen Beschwerden keine große Bedeutung beigemessen hat und deshalb keinen Arzt aufgesucht hat. Prof. Dr. W. hat auf die Tendenz des Klägers, Beschwerden zu verharmlosen, hingewiesen. Andererseits ergeben sich aus den Akten keine belastbaren Hinweise auf tatsächlich bereits früher bestehende Beschwerden. Der Kläger hat wegen Schwindelerscheinungen die Fachärzte für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. und Kollegen im Jahr 2006 aufgesucht. Dort wurden zwar diskrete Zeichen einer Polyneuropathie mit leichter sensorischer Ataxie diagnostiziert, Beschwerdeangaben oder Befunde über den behaupteten, seit 20 Jahren bestehenden Tremor finden sich im Arztbrief von Dr. D. vom 27.10.2006 jedoch nicht. Vielmehr war der Armhalteversuch unauffällig. Auch bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. war der demonstrierte Tremor bei Ablenkung verschwunden und konnte in der elektrophysiologischen Tremorregistrierung nicht objektiviert werden. Für den Senat ist auch schwer nachzuvollziehen, dass der behauptete Aktions- und Haltetremor den allein arbeitenden Kläger bei der Ausübung seines Berufs als Maler und Lackierer nicht stärker beeinträchtigt haben soll und er deshalb nicht zu einem früheren Zeitpunkt sich um ärztliche Hilfe bemüht hat. Jedenfalls hat er gegenüber Prof. Dr. W. angegeben, dass er wegen des Tremors nicht mehr auf Leitern habe steigen können (Seite 20 des Gutachtens, Seite 182 der SG-Akte). Der Senat geht daher davon aus, dass die 1997 zufällig diagnostizierte Polyneuropathie nur gering ausgeprägt und vom Kläger gar nicht wahrgenommen worden war, denn der Arztbesuch 1997 war offensichtlich durch Schmerzen am rechten Unterarm, aber nicht durch die Arm- und Beinbeschwerden der Polyneuropathie veranlasst gewesen. Sensibilitätsstörungen und Tremor als Symptome der Polyneuropathie sind daher nicht zuverlässig als spätestens im Jahr 1990 entstandene Erstbeschwerden belegt. Soweit der Kläger auf Gedächtnisstörungen abstellt, kann dies eine Beweiserleichterung nicht rechtfertigen. Die fehlende Erinnerung für länger zurückliegende Ereignisse, ob krankheitsbe-dingt oder aus anderen Ursachen, unterfällt dem normalen Risiko der beweisbelasteten Partei.

Ob nach Prof. Dr. W. hinsichtlich der Polyneuropathie sogar von einer geringfügigen Verbesserung auszugehen ist, worauf die geringe Verbesserung der Nervenleitgeschwindigkeit für den nervus peroneus nach Auffassung von Prof. Dr. W. hindeutet, oder ob im Hinblick auf den noch unauffälligen Befund hinsichtlich des Tremor bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. und den nach Prof. Dr. W. gesicherten Aktions- und Haltetremor bei seiner Untersuchung von einer Verschlechterung auszugehen ist, mag dahinstehen. Der Verlauf der Polyneuropathie nach Ende der Exposition ist entgegen der früheren medizinischen Auffassung kein hinreichendes Indiz für oder gegen eine Verursachung durch Lösungsmittel. Die gutachterliche Diskussion im vorliegenden Fall führt zu keinen weiteren Erkenntnissen. Durch den Hinweis des Klägers auf entsprechende Studien zum Verlauf einer Polyneuropathie bzw. Enzephalopathie nach Ende der Exposition hat sich der Senat daher auch nicht gedrängt gesehen, weitere Ermittlungen zu veranlassen. Eine nochmalige Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. W. war daher nicht geboten. Ein Anspruch des Klägers auf Befragung des Sachverständigen in einer mündlichen Verhandlung (§ 118 SGG, § 411 Abs. 3 ZPO) besteht nicht. Zwar kommt es auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, nicht an. Es gehört zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs dazu, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können (BSG, Beschluss vom 24.07.2012 - B 2 U 100/12 B -, juris). Ein solches Fragerecht entfällt, wenn auch aus Sicht der Partei das Gutachten die aufgeworfenen Fragen bereits erschöpfend beantwortet (BSG, Beschluss vom 19.11.2009 - B 13 R 247/09 B -, juris, BSG Urteil vom 17.12.2012 - B 13 R 355/11 -, vom 25.10.2012 - B 9 SB 51/12 - , juris; BSG, Beschluss vom 24.07.2012 a.a.O.). Der vom Klägervertreter genannte, aber nicht näher konkretisierte Problembereich/Fragenkreis, nämlich der Zusammenhang zwischen einer BK und der beruflichen Tätigkeit bzw. des Krankheitsverlaufs (Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 26.01.2015), ist im Gutachten abgehandelt, ergänzungsbedürftige Punkte sind nicht benannt.

Entgegen der Auffassung des Klägervertreters ist auch die Vermutungsregel des § 9 Abs. 3 SGB VII vorliegend nicht einschlägig. Nach § 9 Abs. 3 SGB VII wird bei der Erkrankung von Versicherten, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach § 9 Abs. 1 SGB VII genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren und an einer solchen Krankheit erkranken und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, vermutet, dass dieses infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist. Hierbei lässt der Senat dahinstehen, ob das in der Vorschrift genannte erhöhte Maß der Gefährdung lediglich die gesetzlich positivierte Umschreibung des Anscheinsbeweises ist, der mit Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen gefährdenden versicherten Tätigkeit bei fehlenden Alternativursachen vorliegt (vgl. zum Anscheinsbeweis u.a. BSGE 63,270), oder die Vorschrift eine über die Berufskrankheiten-Tatbestände hinausgehende besondere Einwirkung verlangt, die eine gravierende Steigerung der Art, Dauer und Intensität der tatbestandsmäßigen Einwirkung voraussetzt (so Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung Handkommentar, § 9 SGB VII Rn. 12 m. w. Nachw. zum Streitstand). Eine besondere Intensität der Exposition gegenüber Lösungsmittel ist den Berichten des Präventionsdienstes nicht ohne weiteres zu entnehmen. Die Grenzwertüberschreitung gegenüber einzelnen Lösungsmitteln mit den damit einhergehenden akuten Toxikationserscheinungen wie Übelkeit und Benommenheit rechtfertigen für sich genommen noch nicht eine besondere Intensität. Vorliegend ist zur Überzeugung des Senats aber eine Alternativursache für die Polyneuropathie des Klägers nicht sicher ausgeschlossen worden. Zwar verweist Prof. Dr. W. darauf, dass eine in Betracht kommende essenzielle oder familiäre Polyneuropathie beim Kläger nicht anzunehmen sei, denn im familiären Umkreis seien keine Polyneuropathien bekannt. Der Kläger zeige auch nicht die im Falle der hereditären motorisch-sensiblen Neuropathie, die üblicherweise im 3. und 4. Lebensjahrzehnt beginne, typische deutliche Atrophie der Unterschenkelmuskulatur und Fußdeformitäten. Demgegenüber hat Prof. Dr. M. trotz fehlender Familienanamnese und fehlender Beeinflussbarkeit durch Alkohol differenzialdiagnostisch einen essenziellen Tremor als diskussionsfähig erachtet, obgleich auch ihm der berufliche Kontakt mit Lösungsmitteln bekannt war. Die Atypik für eine neurotoxische Ursache der Erkrankung steht der ebenso gut möglichen Atypik einer familiären Erkrankung nach ärztlicher Einschätzung gleichwertig gegenüber.

Entgegen der Auffassung des Klägers war der Senat auch nicht gehindert, das Gutachten von Prof. Dr. S. sowie das psychologische Zusatzgutachten von Dipl.-Psychologin L. zu verwerten. Ein Verstoß gegen die Regelungen in § 200 Abs. 2 SGB VII liegt nicht vor, was auch das SG im angefochtenen Urteil bereits zutreffend ausgeführt hat. Sowohl das Recht des Klägers auf Information über den Zweck des Gutachtens und auf Auswahl des Sachverständigen wurde gewahrt wie auch die Belehrung über das datenschutzrechtliche Widerspruchsrecht vor der Gutachtenserstattung vorgenommen wurde.

Vorliegend hat die Beklagte den Vorgang der Beweisaufnahme mit Schreiben vom 02.02.2009 eingeleitet und dem Kläger mehrere Gutachter zur Auswahl benannt sowie ihm die Möglichkeit eingeräumt, einen anderen Gutachter vorzuschlagen. Der Kläger ist mit diesem Schreiben auch über die Möglichkeit einer Zusatzbegutachtung informiert worden. Schließlich ist auch ein Hinweis auf das Widerspruchsrecht nach § 76 Abs. 2 SGB X erfolgt (Blatt 119 der Verwaltungsakte). Der Hinweis bezieht sich dabei auf den Gesamtvorgang der Beweisaufnahme, also auch auf die mögliche Einholung eines Zusatzgutachtens. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 06.05.2009 und Antwort auf das Beklagtenschreiben vom 19.07.2010 – vorausgegangen war der Vorschlag der Beklagten vom 19.02.2010, der nach Absage des vom Kläger benannten Dr. K. sich erledigt hatte - PD Dr. K. selbst vorgeschlagen und zuletzt sich mit Prof. Dr. S. als Zusatzgutachter einverstanden erklärt hatte, waren diese Ärzte als Sachverständige beauftragt worden. Im Zuge der Beweisaufnahme hat Prof. Dr. S. die Einholung eines psychologischen Zusatzgutachtens für erforderlich gehalten. Der Kläger hat sich gegenüber der Beklagten ausdrücklich mit der Beauftragung von Dipl.-Psychologin L. einverstanden erklärt und hat sein datenschutzrechtliches Widerspruchsrecht erneut zur Kenntnis genommen (Erklärung des Klägers vom 12.10.2010, Bl. 208 der Beklagtenakte). Damit ist kein Verstoß gegen die genannten Verpflichtungen der Beklagten aus § 200 SGB VII (Vorschlags- und Informationsrecht des Klägers, Hinweis auf Widerspruchsrecht) erkennbar. Soweit der Kläger meint, Prof. Dr. S. habe als Zusatzgutachter keine Stellungnahme zum Vorliegen einer Berufskrankheit abgeben dürfen, denn diese gutachterliche Schlussfolgerung sei dem Hauptgutachter PD Dr. K. vorbehalten, trifft dies rechtlich nicht zu. Abgesehen davon ist auch nicht ersichtlich, weshalb ein solcher Verstoß des Zusatzgutachters zur Unverwertbarkeit des Gutachtens führen soll, zumal der Hauptgutachter PD Dr. K. seine gutachterliche Einschätzung auf eigene Überlegungen gestützt hat und der Senat diesen Überlegungen auch nicht vollends gefolgt ist.

Da ein Anspruch auf Feststellung einer BK nach Nr. 1317 nicht besteht, entfällt auch der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente. Ob der angefochtene Bescheid überhaupt eine regelnde Entscheidung über eine Rentengewährung enthält und nicht nur mit der Ablehnung der Feststellung des Versicherungsfalls über die Rechtsfolge, dass keine Entschädigungsleistungen gewährt werden können, belehrt, und die Klage insoweit bereits unzulässig wäre, lässt der Senat dahinstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 103 90 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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