L 12 AL 160/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 2874/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 160/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 09.12.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Arbeitslosengeld für die Zeit vom 18.03.2013 bis 14.08.2013.

Der 1969 geborene schwerbehinderte Kläger war seit 16.01.1990 als Kieswerkarbeiter bei der Firma K. S. GmbH in N. versicherungspflichtig beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis wurde durch Aufhebungsvertrag vom 14.03.2013 beendet, da der Kläger aufgrund einer Augenerkrankung nicht mehr die bisherige Tätigkeit ausüben konnte. Dem Kläger hätte nach Auskunft des Arbeitgebers mit einer Frist von 7 Monaten zum Monatsende gekündigt werden können. Der Kläger erhielt eine Abfindung i.S.d. §§ 9, 10 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) in Höhe von 35.000 EUR.

Der Kläger meldete sich mit Wirkung zum 18.03.2013 arbeitslos und beantragte Leistungen bei der Beklagten.

Die Beklagte teilte dem Kläger mit Bescheid vom 29.04.2013 mit, dass auf Grund der Entlassungsentschädigung der Anspruch auf Arbeitslosengeld vom 18.03.2013 bis 14.08.2013 ruhe. Mit Bescheid vom 30.04.2013 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab 18.03.2013 für 360 Kalendertage in Höhe von 40,11 EUR täglich. Der Kläger erhalte Leistungen vom 15.08.2013 bis 13.08.2014. Mit Bescheid vom 03.08.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sich seine Leistungen auf Grund von Änderungen im Einkommenssteuergesetz auf 40,19 EUR täglich erhöhten. Mit Bescheid vom 19.12.2013 hob die Beklagte die Leistungsbewilligung ab 30.12.2013 ganz auf, da die Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall ende.

Am 14.05.2013 erhob der Kläger Widerspruch. Das Arbeitsverhältnis sei auf dringenden ärztlichen Rat beendet worden, da die Tätigkeit in den stark mit Staub belasteten Räumen des Arbeitgebers nicht mehr möglich gewesen sei. Er leide unter einer immer weiter zunehmenden Augenerkrankung, bei der Staub in jedem Fall vermieden werden solle. Die Staubbelastung könne seine Augen bis zur Erblindung schädigen. Der Arbeitgeber habe sich auf den Standpunkt gestellt, dass ein anderer Arbeitsplatz für eine Umsetzung nicht zur Verfügung stehe. Er habe somit alles versucht, um eine Umsetzung zu erreichen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Auf Grund der Entlassungsentschädigung in Höhe von 35.000 EUR ruhe der Anspruch des Klägers für 152 Tage.

Am 26.06.2013 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Er habe seine Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen, eine Umsetzung im Betrieb sei nicht möglich gewesen. Der Arbeitgeber habe deutlich zu erkennen gegeben, dass er eine Einhaltung der Kündigungsfristen nicht akzeptieren werde. Soweit das Arbeitsverhältnis nicht einvernehmlich aufgehoben worden wäre, hätte er auf eine weitere Tätigkeit des Klägers an seinem bisherigen Arbeitsplatz bestanden, was möglicherweise zur Konsequenz gehabt hätte, dass sich die Augenerkrankung des Klägers verschlechtert hätte.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.12.2013 das hat SG die Klage abgewiesen.

Gegen den Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner Berufung vom 13.01.2014. Die Beklagte sei bei ihrer Entscheidung über das Ruhen des Arbeitsverhältnisses davon ausgegangen, dass bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine einzuhaltende Kündigungsfrist nicht beachtet worden sei. Dies sei insoweit unzutreffend, da der Arbeitgeber eine Kündigungsfrist nicht habe einhalten müssen. Er sei aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage gewesen, auf seinem Arbeitsplatz zu arbeiten. Eine "grundsätzliche Arbeitsunfähigkeit" habe nicht bestanden, sondern nur eine solche für seinen "direkten Arbeitsplatz". Er sei somit nicht in der Lage gewesen, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzulegen. Da er jedoch auch nicht an seinen Arbeitsplatz habe zurückkehren können, wäre er ohne rechtfertigende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen dem Arbeitsplatz ferngeblieben, was eine arbeitgeberseitige Kündigung gerechtfertigt hätte. Dem Kläger sei eine Leistungserbringung dauerhaft unmöglich, was den Arbeitgeber zu einer Kündigung berechtigte.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 09.12.2013 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 29.04.2013 bzw. 30.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2013 und in der Fassung der Bescheide vom 03.08.2013 und vom 19.12.2013 zu verurteilen, ihm auch für die Zeit vom 18.03.2013 bis zum 14.08.2013 Arbeitslosengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Soweit der Kläger vortrage, dass der Arbeitgeber eine Kündigungsfrist nicht einzuhalten brauche, sei dieser Vortrag nicht geeignet, die Sach- und Rechtslage anders zu beurteilen. Bei der Anwendung der Ruhensregelung des § 158 SGB III komme es auf die Umstände, die zum Abschluss des Aufhebungsvertrags geführt hätten, nicht an. Es sei unerheblich, weshalb der Kläger den Aufhebungsvertrag geschlossen habe. Überlegungen, ob er damit einer eventuellen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zuvor gekommen sei, seien nicht anzustellen. Ein Ruhen trete allein dann ein, wenn die ordentliche Kündigungsfrist nicht eingehalten worden sei. Dies sei unstreitig der Fall. Auch könne die Beklagte nicht nachvollziehen, weshalb dem Kläger nicht länger Arbeitsunfähigkeit hätte bescheinigt werden sollen. Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis seien arbeitsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wenn sie die an ihrem Arbeitsplatz gestellten beruflichen Anforderungen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erfüllen könnten. Dauernde Arbeitsunfähigkeit stelle im Regelfall auch keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung komme in der Regel nur dann in Betracht, wenn eine ordentliche Kündigung tariflich oder vertraglich ausgeschlossen sei, was beim Kläger nicht der Fall gewesen sei. Abgesehen davon habe dem Kläger aufgrund seiner Schwerbehinderung ein besonderer Kündigungsschutz zugestanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobenen Berufung ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liegen nicht vor. Die Berufung ist insbesondere auch statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

Die Beklagte hat zu Recht ein Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs des Klägers für 152 Tage angenommen.

Nach § 158 Abs. 1 Satz 1 SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld vom Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tag, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist geendet hätte, wenn der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Entlassungsentschädigung erhalten hat und das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist beendet worden ist. Der Kläger hat eine Entlassungsentschädigung in Höhe von 35.000 EUR erhalten. Das Arbeitsverhältnis ist auch ohne Einhaltung einer gesetzlichen Kündigungsfrist durch einen Aufhebungsvertrag beendet worden. Somit liegen die Voraussetzungen für ein Ruhen nach § 158 Abs. 1 Satz 1 SGB III vor. Ob der Arbeitgeber auch zu einer fristlosen Kündigung berechtigt gewesen wäre, ist für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen ohne Belang (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.08.2012 – L 18 AL 6/12 –, juris), ausreichend ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Entschädigungszahlung (Düe, in Brand SGB III, 6. Auflage 2012, § 158 Rn. 7). Das Vorbringen des Klägers ist insoweit nur für die Frage der Dauer des Ruhens beachtlich, da nach § 158 Abs. 2 Nr. 3 SGB III ein Ruhen längstens bis zu dem Zeitpunkt eintritt, in dem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist hätte kündigen können.

Die Beklagte hat auch die Dauer des Ruhenszeitraums richtig berechnet. Die Frist beginnt nach § 158 Abs. 1 Satz 2 SGB III bei Fehlen einer Kündigung, wie im vorliegenden Fall, mit dem Tag der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Anspruch ruht längstens ein Jahr (§ 158 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Nach § 158 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB III kann der Ruhenszeitraum jedoch zu verkürzen sein, wenn die Entlassungsentschädigung nicht voll, sondern nur anteilig berücksichtigt wird. Der zu berücksichtigende Anteil der Entlassungsentschädigung beträgt höchstens 60 %, mindestens aber 25 %. Der Anteil verringert sich um 5 % je fünf Jahre des Arbeitsverhältnisses im selben Betrieb und um 5 % je fünf Jahre nach Vollendung des 35. Lebensjahres (§ 158 Abs. 2 Satz 3 SGB III).

Der Kläger war bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses 23 Jahre im Betrieb beschäftigt und 43 Jahre alt. Daher war die Entlassungsentschädigung nur zu 35 % zu berücksichtigen, dies entspricht bei einer Entlassungsentschädigung von 35.000 EUR insgesamt einem anzurechnenden Betrag von 12.250 EUR. Der anzurechnende Anteil der Entlassungsentschädigung ist dem kalendertäglichen Arbeitsentgelt gegenüber zu stellen, das der Kläger während seiner letzten Beschäftigungszeit verdient hat. Berücksichtigt werden dabei die am Tag des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der letzten 12 Monate (§ 158 Abs. 2 Satz 4 SGB III). Da der Kläger in dieser Zeit ein kalendertägliches Entgelt von 80,10 EUR erzielte, beträgt der Ruhenszeitraum 152 Tage.

Eine Verkürzung des Ruhens nach § 158 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III kommt entgegen der Ansicht des Klägers nicht in Betracht. Soweit der Kläger vorträgt, der Arbeitgeber sei zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigt gewesen, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Nach § 626 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Das bedeutet, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist mit dem Arbeitgeber unzumutbar belastet sein muss. Die fristlose Kündigung ist nur zulässig, wenn sie die letzte Maßnahme (ultima ratio) für den Kündigungsberechtigten ist.

Im vorliegenden Fall ist schon fraglich, ob überhaupt ein vorwerfbares Verhalten des Klägers vorgelegen hat. Der Kläger trägt selbst vor, an seinem konkreten Arbeitsplatz nicht mehr arbeitsfähig gewesen zu sein. Dies ist jedoch genau die Voraussetzung für das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit. Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn Versicherte auf Grund von Krankheit ihre zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen können (ständige Rechtsprechung des BSG, u.a. Urteil vom 14.02.2001 – B 1 KR 30/00 R –, SozR 3-2500 § 44 Nr. 9, übernommen in § 2 Abs. 1 der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien).

Bei der Interessenabwägung auf der Grundlage des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (ultima-ratio-Prinzip) kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass im Fall des Klägers keine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt gewesen wäre. Zwar ist anerkannt, dass eine tatsächlich erfolgte Verletzung der Arbeitspflicht an sich einen zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden Grund darstellen kann, wenn die Arbeitspflicht bewusst und gewollt verletzt wird. Voraussetzung ist jedoch ein Fall der sog. beharrlichen Arbeitsverweigerung, der eine Nachhaltigkeit im Willen voraussetzt. Eine derart geforderte intensive bzw. nachhaltige Arbeitsverweigerung liegt dann vor, wenn der Arbeitnehmer sich bewusst und willentlich der für ihn erkennbaren und eindeutigen Arbeitsaufforderung des Arbeitgebers widersetzt, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben. Einen solchen wichtigen Grund stellt jedoch die Arbeitsunfähigkeit des Klägers für den konkreten Arbeitsplatz dar.

Außerdem war dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist nicht unzumutbar im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB war. Zugunsten des Klägers ist dessen Betriebszugehörigkeit seit 1990 sowie dessen Erkrankung zu berücksichtigen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Arbeitsverhältnis bislang durch kein Fehlverhalten des Klägers belastet war. Eine außerordentliche Kündigung wegen krankheitsbedintgter Fehlzeiten kommt aber in der Regel nur dann in Betracht, wenn eine ordentliche Kündigung tariflich oder vertraglich ausgeschlossen ist, wobei in diesen Fällen grundsätzlich eine der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuhalten ist (vgl. BAG, Urteil vom 09.09.1992 – 2 AZR 190/92AP BGB § 626 Krankheit Nr. 3 = EzA BGB § 626 n.F. Nr. 142 m.w.N.; Urteil vom 18.10.2010 – 2 AzR 627/99 –, juris). Folglich hätte auch die Krankheit des Klägers eine fristlose Kündigung nicht gerechtfertigt. Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Kläger den besonderen Kündigungsschutz der §§ 85 ff des Neunten Buches Sozialgesetzbuch genießt.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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