L 11 R 5112/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 3355/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5112/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27.10.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten.

Der Kläger ist 1963 geboren, hat keinen Beruf erlernt und zuletzt bis 1996 als Lagerist gearbeitet. Danach war er arbeitslos. Derzeit bezieht er Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Es ist ein GdB von 50 festgestellt (Bl 18 SG-Akte). Einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.09.2011 wegen fehlender Erforderlichkeit ab.

Am 22.12.2011 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten. Das Jobcenter habe ihn zur Stellung eines Rentenantrags aufgefordert.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung bei der Allgemein- und Sozialmedizinerin Dr. T ... Im Gutachten vom 13.02.2012 (Bl 103 Verwaltungsakte) diagnostizierte diese eine Gonalgie, eine leichte depressive Episode, ein HWS-Syndrom bei degenerativen Veränderungen mit leichtem Funktionsdefizit ohne Wurzelreizsymptomatik, ein Thoracolumbalsyndrom und WS-Fehlstatik mit leichtem Funktionsdefizit ohne Wurzelreizsymptomatik, ein Schulter-Arm-Syndrom links ohne Funktionsdefizit, Reizhusten ohne spirometrische Einschränkungen, Tinnitus rechts, chronische Nephritis mit nur sehr milder Nierenfunktionseinschränkung. Der Kläger könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten.

Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 01.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.06.2012 (Bl 169 Verwaltungsakte) den Rentenantrag ab.

Hiergegen hat der Kläger am 06.07.2012 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Er leide unter erheblichen Beschwerden und Gesundheitsbeeinträchtigungen auf orthopädischem Fachgebiet (Schulter- und Gelenkschmerzen, Wirbelsäulenprobleme). Er könne Wegstrecken über 300m nicht ohne Ruhepause bewältigen. Darüber hinaus leide er unter einer mittelschweren depressiven Störung und unter brennenden Schmerzen im Kopf und an den Armen und habe Angst, dass er gelähmt werden könnte.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide Bezug genommen.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte. Der Neurologe und Psychiater Dr. B. hat mitgeteilt, der Kläger könne trotz vorhandener depressiver Symptome im Rahmen seiner Ehescheidung eine körperlich leichte Erwerbstätigkeit sechs Stunden täglich verrichten (Bl 35 SG-Akte). Der Allgemeinmediziner Dr. H. hat mitgeteilt, dass zwar z. Zt. ein schweres depressives Syndrom bestehe, aber nach Überwindung dieser depressiven Episode wieder eine Arbeit möglich sein solle (Bl 36 SG-Akte). Der Allgemeinmediziner und Schmerztherapeut Bert hat mitgeteilt, der Kläger könne aus körperlicher Sicht sicher sechs Stunden täglich arbeiten, aufgrund einer psychischen/ psychiatrischen Komorbidität könne er z. Zt. dem Arbeitsmarkt aber nicht zur Verfügung stehen (Bl 41 SG-Akte). Der Orthopäde Dr. N. hat ausgeführt, der Kläger könne bei bestehenden diffusen Belastungs- und Bewegungsscherzen täglich sechs Stunden leichte Tätigkeiten verrichten (Bl 45 SG-Akte).

Das SG hat weiteren Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei dem Facharzt für Psychiatrie Prof. Dr. E ... Im Gutachten vom 14.05.2013 (Bl 62 SG-Akte) hat der Sachverständige eine aktuell depressive Episode beschrieben. Es liege eine vorübergehende Einschränkung der Leistungsfähigkeit vor, die aber nicht von Dauer sei. Es bestünden qualitative Einschränkungen. Der Kläger könne keine Akkord- oder Schichtarbeit verrichten. Tätigkeiten mit Publikumsverkehr, erhöhter Übernahme von Verantwortung und mit kognitiver/geistiger Beanspruchung seien zu vermeiden. Dauerhaft könnten leichte körperliche Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichtet werden.

Mit Urteil vom 27.10.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig. Die Voraussetzungen eines Rentenanspruchs würden nicht vorliegen. Das SG hat sich auf die eingeholten Befundberichte und das Gutachten Prof. Dr. E. gestützt.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 28.11.2014 gegen Empfangsbekenntnis zugstellte Urteil des SG hat der Kläger am 11.12.2014 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er beziehe weiterhin SGB-II-Leitungen. Die von Prof. Dr. E. vorgeschlagene Behandlung könne er nicht durchführen, da er zeitlich stark eingebunden sei. Sein Gesundheits-zustand habe sich nicht gebessert. Der Kläger hat die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 27.10.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 01.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab 01.12.2011 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt auf die Begründung des Widerspruchsbescheids und die Ausführungen des SG Bezug.

Mit Beschluss vom 15.01.2015 hat der Senat die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Mit Schreiben des Berichterstatters vom 12.03.2015 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt ist, die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen, da der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 17.04.2015 gegeben worden.

Der Kläger hat hierauf mitgeteilt, er werde nunmehr mit der Krankenbehandlung in Form einer stationären Therapie beginnen. Er hat beantragt, das Verfahren ruhend zu stellen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 01.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, da er nicht erwerbsgemindert ist.

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden.

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbs-minderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbs-minderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflicht-beiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Ausweislich des plausiblen und nachvollziehbaren Gutachten des Prof. Dr. E. vom 14.05.2013 ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten kann, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliegt. Eine aktuell bestehende Arbeitsunfähigkeit, die durch geeignete Maßnahmen der Krankenbehandlung überwunden werden kann, führt nicht zu einem Rentenanspruch. Solange zumutbare Behandlungsmöglichkeiten auf psychischem bzw psychiatrischem Gebiet gar nicht versucht werden und noch ein entsprechend erfolgver-sprechendes Behandlungspotential besteht, kann eine dauerhafte quantitative Leistungsminde-rung grundsätzlich nicht auf eine aktuell Arbeitsunfähigkeit verursachende psychische Erkrankung gestützt werden (Bayerisches LSG 15.02.2012, L 19 R 774/06; hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG 29.05.2013, 1 BvR 1522/12, BVerfGK 20, 139; siehe auch LSG Berlin-Brandenburg 18.09.2008, L 3 R 1816/07, juris Rn 36).

Der Sachverständige hat für den Senat nachvollziehbar und plausibel herausgestellt, dass der Kläger dauerhaft leichte körperliche Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann. Zur Begründung hat Prof. Dr. E. darauf hingewiesen, dass der bei der Begutachtung festgestellte Gesundheitszustand in ähnlichem Ausprägungsgrad zwar ebenfalls zu früheren Zeitpunkten bestanden habe, jedoch auch immer wieder weniger ausgeprägte Symptome beschrieben worden seien und dass auch der behandelnde Psychiater keine durchgehend ähnlich ausgeprägten Symptome beschrieben habe. Zu beachten sind qualitative Einschränkungen (Tätigkeiten ohne Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeit, ohne Publikumsverkehr, ohne kognitive bzw. geistige Beanspruchung und ohne erhöhte Übernahme von Verantwortung).

Die Einschätzung von Prof. Dr. E. wird bestätigt durch sämtliche sachverständigen Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte des Klägers. Vor allem geht der behandelnde Facharzt des Klägers für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. von vornherein davon aus, dass der Kläger noch eine leichte körperliche Erwerbstätigkeit in einem zeitlichen Umfang von wenigstens sechs Stunden täglich ausüben kann. Ebenso wie Prof. Dr. E. geht auch Dr. H. vom Vorliegen einer nur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit aus. Auch Dr. N. hat den Kläger für täglich mindestens sechs Stunden leistungsfähig erachtet.

Ein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI besteht nicht, da der Kläger nicht vor dem 02.01.1961 geboren ist.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Das vorliegende Gutachten von Prof. Dr. E. und die Arztberichte der behandelnden Ärzte haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Das Gutachten geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Der Antrag des Klägers, das Verfahren gem § 202 S 1 SGG iVm § 251 Zivilprozessordnung ruhend zu stellen, war schon deshalb abzulehnen weil die Beklagte keinen solchen Antrag gestellt hat. Der Senat ist im Übrigen an einen solchen Antrag der Beteiligten nicht gebunden (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl. 2011, Kap III Rn 85), sondern hat einen Entscheidungsspielraum, der sich nach Zweckmäßigkeitspunkten beurteilt (vgl dazu BSG 15.08.2007, B 12 P 2/07 B, juris Rn 4; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, Vor § 114 Rn 4). Die laufende Krankenbehandlung stellt im Hinblick auf die allgemeine Prozessförderungspflicht der Beteiligten und des Gerichts vorliegend keinen wichtigen Grund für eine Ruhensanordnung dar. Nach den vorliegenden Gutachten und Arztberichten besteht für ein Ruhen des Verfahrens wegen der begonnenen Krankenbehandlung, die nach Einschätzung der behandelnden Ärzte und des gerichtlichen Sachverständigen ohnehin zu einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit führen wird, keine Veranlassung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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