L 8 U 637/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 23/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 637/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Dezember 2012 abgeändert.
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 27. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2010 und unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 8. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 06.08.2008 verurteilt, Ohrgeräusche (Tinnitus) links als Folge des Arbeitsunfalls vom 17. März 1995 anzuerkennen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Berufung der Beklagten wird im Übrigen zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung von Folgen eines anerkannten Arbeitsunfalls vom 17.03.1995 im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) streitig.

Der am 17.09.1957 geborene Kläger beantragte am 13.11.2006 bei (der Rechtsvorgängerin) der Beklagten die Aufnahme von Ermittlungen wegen eines Arbeitsunfalls. Der Kläger machte geltend, er leide an einem Tinnitus. Er legte hierzu den Durchgangsarztbericht des Professor Dr. R. vom 20.03.1995 vor. Darin wird zum Hergang des Unfallgeschehens geschildert, dass dem Kläger beim Schweißen Schweißmaterial in beide Ohren gespritzt sei. Seit diesem Tag habe der Kläger ein "Stogen" in den Ohren. Professor Dr. R. diagnostizierte eine "Verätzung" des linken äußeren Gehörganges. Außerdem legte der Kläger den Entlassungsbericht der Reha-Klinik K. vom 22.09.2000 vor.

Der HNO-Arzt Dr. S. teilte in dem von der Beklagten eingeholten Bericht vom 30.11.2006 die von ihm am 24.03.1995 erhobenen Befunde mit (kein Hinweis für eine Trommelfellperforation, Trommelfell gering gerötet und retrahiert). Ein Zusammenhang zwischen der Verletzung und dem Tinnitus könne bei der Vorstellung nach einer Woche (nach der Schweißperlenverletzung am 17.03.1995) nicht eindeutig festgestellt werden. In der ärztlichen Unfallmeldung vom 22.03.1995 teilte die HNO-Ärztin G. mit, der Kläger habe am 17.03.1995 Schweißperlen in beide Ohren bekommen. Die HNO-Ärztin diagnostizierte einen Hörsturz links und einen Tinnitus bei Zustand nach Schweißperlenverletzung und teilte die erhobenen Befunde mit (Gehörgang links: drei Schweißperlen entfernt, Gehörganghaut leicht gerötet, Hochtonschwerhörigkeit links, rechts geringe Schallleitungsschwerhörigkeit). Die Beklagte zog weitere Berichte bei (Dr. W. vom 15.01.2007 und Dr. M. vom 19.02.2007). In der hierzu eingeholten beratungsärztlichen Stellungnahme vom 10.04.2007 empfahl Professor Dr. T. die Beiziehung weiterer Unterlagen. Nach Beiziehung weiterer Unterlagen der Gemeinschaftspraxis Dr. M. (Berichte vom 31.05.2006, 25.11.2005 und 18.03.2005) holte die Beklagte die weitere beratungsärztliche Stellungnahme des Professor Dr. T. vom 17.09.2007 ein. Professor Dr. T. ging davon aus, dass der beidseitige Tinnitus unfallbedingt sei. Er stützte seine Ansicht darauf, dass eine beidseitige Gehörgangverletzung durch Schweißperlen belegt und auch eine sofortige Symptomatik entstanden sei. Eine Schallleitungsstörung als Folge sei derzeit nicht mehr zu erwarten.

Anschließend holte die Beklagte das hno-ärztliche Gutachten des Dr. D. vom 14.02.2008 ein. Der Gutachter gelangte zu dem Ergebnis, dass das Unfallereignis vom 17.03.1995 nicht wesentlich ursächlich für die Entstehung der beidseitigen Hochtonminderung (MdE unter 10 v.H.) und der Ohrgeräusche (MdE 10 v.H.) sei.

Mit Bescheid vom 08.05.2008 anerkannte die Beklagte den Unfall vom 17.03.1995 als Arbeitsunfall an. Als Folge des Arbeitsunfalles wurde anerkannt eine folgenlos verheilte Reizung beider Gehörgänge nach Schweißperlenverletzung in beiden Ohren. Wegen der Folgen des Arbeitsunfalles bestehe kein Rentenanspruch. Hiergegen legte der Kläger am 19.05.2008 Widerspruch ein, der von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 06.08.2008 zurückgewiesen wurde.

Mit Bescheid vom 19.08.2008 stellte die Beklagte beim Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Berufskrankheiten-Verordnung (Lärmschwerhörigkeit) ohne Anspruch auf Rente fest.

Gegen den Bescheid vom 08.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.08.2008 erhob der Kläger am 25.08.2008 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Er machte als Folge des Arbeitsunfalles vom 17.03.1995 die Anerkennung einer Hochtonschallempfindungsschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen (Tinnitus) beidseitig geltend. Das SG holte von Professor Dr. Z. das hno-ärztliche Gutachten vom 16.02.2009 ein. Der Gutachter gelangte zu der Beurteilung, wahrscheinlich ursächlich auf das Ereignis vom 17.03.1995 seien ein Tinnitus links (MdE 10 v.H.) sowie eine kälteabhängige Neuralgie (Schmerzhaftigkeit) des linken Gehörgangs (MdE 0 v.H.) zurückzuführen. Für die im Hochtonbereich gelegene Innenohrschwerhörigkeit (MdE 0 v.H.) bestehe kein Zusammenhang. Die Beklagte erhob gegen das Gutachten von Professor Dr. Z. Einwendungen. Ein Ursachenzusammenhang des Tinnitus nach Schweißperlenverletzung sei wissenschaftlich nicht belegt und bedinge zudem keine messbare MdE. Der Kläger wandte gegen das Gutachten des Professor Dr. Z. ein, die MdE betrage 20 v.H. Anschließend holte das SG die ergänzende Stellungnahme des Professor Dr. Z. vom 15.06.2009 ein. Der Kläger nahm daraufhin seine Klage zurück (Schriftsatz vom 18.08.2009).

Am 24.06.2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten, den Bescheid vom 08.05.2008 gemäß § 44 SGB X dahin abzuändern, dass die Hochtonschallempfindungsschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen (Tinnitus) links als Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.03.1995 anzuerkennen seien. Der Kläger bezog sich zur Begründung auf das Gutachten des Professor Dr. Z. und legte außerdem das sozialmedizinische Gutachten des MDK vom 08.07.2010 vor.

Mit Bescheid vom 27.08.2010 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 08.05.2008 ab. Es seien keine neuen Tatsachen vorgetragen worden, die bei der Erteilung des Verwaltungsaktes nicht schon berücksichtigt worden seien. Dem Gutachten von Professor Dr. Z. vom 16.02.2009 könne weiterhin nicht gefolgt werden. Es müsse bei der Entscheidung vom 08.05.2008 bleiben.

Der hiergegen vom Kläger eingelegte Widerspruch wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2010 zurückgewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Hörminderung sowie den Ohrgeräuschen mit dem Unfallereignis vom 17.03.1995 sei nicht ersichtlich.

Hiergegen erhob der Kläger am 03.01.2011 Klage beim SG. Er machte - soweit vorliegend noch relevant - geltend, bestehende Ohrgeräusche (Tinnitus) links und eine kälteabhängige Neuralgie (Schmerzhaftigkeit) des linken Gehörgangs seien als Folgen des Arbeitsunfalles vom 17.03.1995 anzuerkennen. Außerdem machte der Kläger im Wege der Untätigkeitsklage einen von der Beklagten abgelehnten Anspruch auf Erstattung von durch eine stationäre Rehabilitation entstandener Aufwendungen geltend.

Das SG hörte Professor Dr. Z. schriftlich als sachverständigen Zeugen an. Dieser hielt in seiner Stellungnahme vom 24.05.2011 an seinen Bewertungen im Gutachten vom 16.02.2009 fest.

Anschließend holte das SG von Amts wegen das hno-ärztliche Gutachten des Professor Dr. R. vom 15.03.2012 ein. Der Gutachter gelangte zu der Beurteilung, sowohl der Tinnitus als auch die Hochtonschwerhörigkeit seien unfallbedingt. Es sprächen deutlich mehr Anhaltspunkte für eine unfallbedingte Genese als für eine Lärmgenese.

Die Beklagte trat dem Gutachten des Professor Dr. R. entgegen (Schriftsatz vom 03.04.2012). Das SG holte hierzu die ergänzende Stellungnahme des Professor Dr. R. vom 23.05.2012 ein, in der er an seinen im Gutachten vorgenommenen Bewertungen festhielt.

Mit Urteil vom 18.12.2012 stellte das SG fest, dass ein Tinnitus aurium und eine Hochtonschwerhörigkeit Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.03.1995 seien. Es führte zur Begründung aus, der Kläger leide unter einer Hochtonschwerhörigkeit und einem Tinnitus beidseits. Sowohl der Tinnitus als auch die Hochtonschwerhörigkeit seien mit Wahrscheinlichkeit als durch den Arbeitsunfall verursacht anzusehen.

Gegen das der Beklagten am 16.01.2013 zugestellte Urteil richtet sich die von der Beklagten am 12.02.2013 eingelegte Berufung. Außerdem hat der Kläger gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 15.01.2013 zugestellte Urteil am 27.01.2014 Anschlussberufung eingelegt.

Die Beklagte hat zur Begründung ihrer Berufung unter Vorlage der beratungsärztlichen Stellungnahmen des Professor Dr. P. vom 25.02.2013 und 05.05.2013 ausgeführt, da beim Kläger mit Bescheid vom 19.08.2008 eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Berufskrankheiten-Liste (Lärmschwerhörigkeit) und als Folge eine beginnende Innenohrschwerhörigkeit beidseits festgestellt worden seien, sei die nochmalige Anerkennung im Rahmen des Arbeitsunfalles vom 17.03.1995 nicht mehr möglich. Nach dem Gutachten von Professor Dr. Z. bestehe hinsichtlich der Hörminderung kein Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 17.03.1995. Soweit das SG einen Tinnitus beidseits als Unfallfolge angesehen habe, stehe dies im Widerspruch zum Gutachten von Professor Dr. Z. und den beratungsärztlichen Stellungnahmen von Professor Dr. P. vom 25.02.2013 und 05.05.2013, die jeweils nur den Tinnitus links als Unfallfolge angesehen hätten. Weder dem SG noch dem Gutachten von Professor Dr. Z. könne gefolgt werden. Vom Hausarzt werde mitgeteilt, dass der Kläger sich seit dem 14.02.1988 wegen Gelenk-, Rückenbeschwerden sowie eines Tinnitus bei ihm in Behandlung befunden habe. Nach dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik K. vom 22.09.2000 würde vom Kläger seit 6 Jahren ein konstanter Tinnitus, wechselnder Intensität, verstärkt links und insgesamt wenig beeinträchtigend geklagt. Nach dem Gutachten von Professor Dr. Z. sei ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten eines Tinnitus nach Schweißperlenverletzung bei intaktem Trommelfell und unkompliziertem Heilungsverlauf wissenschaftlich nicht belegt. Professor Dr. P. stimme zu, dass eine Schweißperle im Gehörgang auch ohne Verletzung des Trommelfells durch eine Haarzellschädigung Ursache eines Tinnitus sein könne. Letzten Endes könne aber nur die nicht ausreichende Möglichkeit in Betracht gezogen werden. Danach sei auch seiner Schlussfolgerung in der zweiten Stellungnahme nicht zuzustimmen, eine zusätzliche Hochtonschwerhörigkeit links könne als zusätzliche Unfallfolge anerkannt werden. Eine beginnende Schwerhörigkeit beidseits sei bereits anerkannt worden. Auch der weitere Verlauf sei nach der Stellungnahme von Professor Dr. T. vom 23.06.2008 nicht mit einem Unfallgeschehen oder einer lärmbedingten Hörminderung/Tinnitus "zweifelsfrei" in Einklang zu bringen. Die Beschwerdesymptomatik sei nicht als erheblich einzustufen und bei der MdE-Einstufung auch nicht zu berücksichtigen. Hinsichtlich neuralgische Narbenbeschwerden habe weder die Beklagte noch das SG eine Entscheidung getroffen, weshalb sie nicht Streitgegenstand seien und im Übrigen auch keine Funktionseinschränkung bedingten. Dass dem Kläger der Bescheid vom 19.08.2008 nicht zugegangen sei, sei nicht nachvollziehbar.

Professor Dr. P. führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 25.02.2013 im Wesentlichen aus, die Schwerhörigkeit des Klägers in ihrem jetzigen Ausmaß sei wahrscheinlich vorwiegend nicht unfallbedingt. Eine Schweißperle im Gehörgang könne jedoch auch ohne Verletzung des Trommelfells Ursache eines Tinnitus sein. Professor Dr. P. sah als Folgen des Unfalles vom 17.03.1995 eine beginnende Hochtonschwerhörigkeit links (MdE unter 10 v.H.), einen Tinnitus links (MdE 10 v.H.) und neuralgische Narbenbeschwerden im linken Gehörgang (MdE unter 10 v.H.) an. In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 05.05.2013 führte Dr. P. im Hinblick auf die Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 2301 ergänzend aus, als Folgen des Unfalls vom 17.03.1995 könnten eine Hochtonschwerhörigkeit links im Sinne einer unfallbedingten Verschlimmerung der Folgen der anerkannten Berufskrankheit Nr. 2301 mit einer MdE unter 10 v.H. zusätzlich anerkannt werden. In der Zwischenzeit eingetretene Ohrgeräusche rechts und eine Zunahme der Hörverluste seien weder als Folge der Berufskrankheit noch als Unfallfolge anzuerkennen.

Der Kläger hat zur Begründung vorgetragen, die Einwendungen der Beklagten überzeugten nicht. Das Gutachten des Professor Dr. R. sei zutreffend. Das Urteil des SG sei im Wege der Anschlussberufung hinsichtlich der Neuralgie des linken Gehörganges als Folge des Arbeitsunfalles zu ergänzen. Damit seien die neuralgischen Beschwerden rechtshängig. Diesen Teil des Klageantrages habe das SG nicht beschieden. Richtig sei, dass die Hochtonschwerhörigkeit links nicht streitgegenständlich sei. Den Bescheid vom 19.08.2008 habe er nie erhalten. Gegenüber der Beklagten werde die Anerkennung einer zusätzlichen Hochtonschwerhörigkeit links im Sinne einer Verschlimmerung der Folgen der mit Bescheid vom 19.08.2008 anerkannten Berufskrankheit Nr. 2301 der Berufskrankheiten-Verordnung beantragt. Die beim SG außerdem erhobene Untätigkeitsklage, über die das SG nicht entschieden habe, werde zurückgenommen.

Mit Bescheid vom 06.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.08.2014 lehnte die Beklagte den im Berufungsverfahren vom Kläger gestellten Antrag wegen Verschlimmerung der Lärmschwerhörigkeit ab. Ein Anspruch auf Rente bestehe weiterhin nicht.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Dezember 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt zuletzt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Den Beteiligten ist mit richterlicher Verfügung des Berichterstatters vom 05.11.2013 ein Vergleichsvorschlag unterbreitet worden, dem die Beklagte nicht zugestimmt hat (Schriftsatz vom 27.11.2013).

Der Rechtsstreit ist durch den Berichterstatter mit den Beteiligten in der nichtöffentlichen Sitzung am 23.09.2014 erörtert worden. Hierzu wird auf die Niederschrift vom 23.09.2014 Bezug genommen.

Im Anschluss an den Erörterungstermin hat die Beklagte unter Vorlage der beratungsärztlichen Stellungnahme des Professor Dr. J. vom 06.10.2014 weiter vorgetragen. Einen wissenschaftlich begründeten Nachweis für das Auftreten eines Tinnitus nach Schweißperlenverletzung bei intaktem Trommelfell und unkompliziertem Heilungsverlauf gebe es nicht. Ein Tinnitus als Folge eines Traumas könne nur dann ausreichend wahrscheinlich gemacht werden, wenn gleichzeitig andere objektivierbare pathologische Befunde aufgetreten seien.

Gegen das weitere Vorbringen der Beklagten hat der Kläger eingewandt, es werde nicht deutlich, warum die jetzige Stellungnahme aussagekräftiger sein solle, als andere Stellungnahmen. Vorsorglich werde beantragt, den erstinstanzlich tätig gewesenen Sachverständigen hierzu ergänzend zu befragen.

Der Senat hat daraufhin von Professor Dr. R. die ergänzende Stellungnahme vom 19.01.2015 eingeholt. Darin hat sich Professor Dr. R. mit den Einwendungen des Professor Dr. J. auseinandergesetzt und an seinen Bewertungen festgehalten. Hierzu hat die Beklagte die weitere beratungsärztliche Stellungnahme des Professor Dr. J. vom 12.02.2015 vorgelegt.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger seine Anschlussberufung zurückgenommen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz einschließlich der Gerichtsakten des SG im Verfahren S 17 U 4. sowie auf einen Band Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites ist eine von der Beklagten nach Nr. 2301 der Berufskrankheiten-Verordnung als Berufskrankheit festgestellte Lärmschwerhörigkeit des Klägers und der hierzu im Verlauf des Berufungsverfahrens ergangene Bescheid vom 06.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.08.2014. Der Senat hat auch nicht darüber zu befinden, ob dem Kläger wegen des Ereignisses vom 17.03.1995 Leistungsansprüche, insbesondere Verletztenrente, gegen die Beklagte zustehen. Einen Anspruch auf insbesondere Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Ereignisses vom 17.03.1995 hat der Kläger vorliegend nicht geltend gemacht. Dem entspricht der vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren gestellte Klageantrag (Schriftsatz vom 02.03.2011). Weiter ist die vom Kläger außerdem beim SG erhobene Untätigkeitsklage bezüglich des Bescheides der Beklagten vom 25.05.2010, über die das SG im Übrigen im angefochtenen Urteil nicht entschieden hat, nicht Streitgegenstand des Berufungsverfahrens. Vielmehr hat der Kläger durch Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 24.01.2014 (vorsorglich) die Rücknahme dieses Klageantrages erklärt. Streitgegenständlich im vorliegenden Berufungsverfahren ist damit ausschließlich, ob beim Kläger wegen des Arbeitsunfalles vom 17.03.1995 Unfallfolgen im Zugunstenverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) festzustellen sind.

Richtige Klageart zur Erreichung des angestrebten Ziels ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG oder nach Wahl des Versicherten kombiniert mit der Feststellungsklage gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG (vgl. BSG 05.07.2011 - B 2 U 1. R, BSGE 108, 274 und BSG 27.04.2010 - B 2 U 2. R). Einer zusätzlichen Verpflichtungsklage, mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, ihren früheren, dem Anspruch entgegenstehenden Bescheid selbst aufzuheben, bedarf es in einem Gerichtsverfahren zur Überprüfung eines Verwaltungsakts nach § 44 SGB X nicht. Es kann deshalb mit der Anfechtungsklage gegen den eine Zugunstenentscheidung ablehnenden Bescheid zugleich die Aufhebung des früheren, dem Klageanspruch entgegenstehenden (Ausgangs-)Bescheides unmittelbar durch das Gericht verlangt werden (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18; LSG Baden-Württemberg 25.01.2013 - L 8 U 4. -, juris).

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig. Die Berufung ist auch teilweise begründet, soweit das SG im angefochtenen Urteil festgestellt hat, dass ein Tinnitus aurium rechts sowie eine Hochtonschwerhörigkeit Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.03.1995 sind. Insoweit war das angefochtene Urteil des SG abzuändern. Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten jedoch nicht begründet.

Das SG hat im angefochtenen Urteil zu Unrecht festgestellt, dass ein Tinnitus aurium rechts sowie eine Hochtonschwerhörigkeit (beidseits) Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.03.1995 sind. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht nur über die vom Kläger erhobenen Ansprüche. Das Gericht darf nicht mehr zusprechen als gewollt ist und auch nichts anderes (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage § 123 RdNr. 4). Ein Klageantrag dahin, einen Tinnitus aurium rechts sowie eine Hochtonschwerhörigkeit (beidseits) als Unfallfolgen festzustellen, hat der Kläger nicht gestellt. Er hat vielmehr (schriftsätzlich) lediglich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, bestehende Ohrgeräusche (Tinnitus) links und eine kälteabhängige Neuralgie (Schmerzhaftigkeit) des linken Gehörganges als Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.03.1995 anzuerkennen (Schriftsatz vom 02.03.2011). Eine Erweiterung der Klage auf die Feststellung einer Hochtonschwerhörigkeit beidseits ist durch den Kläger im Verlauf des Klageverfahrens nicht erfolgt. Einen klageerweiternden Antrag hat der Kläger auch nach dem Zugang des Gutachtens des Professor Dr. R. vom 15.03.2012, der eine Hochtonschwerhörigkeit als unmittelbar unfallbedingt angesehen hat, nicht gestellt. Er hat vielmehr (lediglich) durch das Gutachten den Klagevortrag als bestätigt angesehen (Schriftsatz vom 26.03.2012). Die Feststellung weiterer Unfallfolgen, wie sie das SG zuerkannt hat, lässt sich auch im Wege der Auslegung des Klagevorbringens nicht entnehmen. Damit ist der Bescheid vom 27.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2010 hinsichtlich der Ablehnung einer Hochtonschallempfindungsschwerhörigkeit links als Unfallfolge teilweise bestandskräftig geworden. Somit überschreitet das SG im angefochtenen Urteil mit der von ihm getroffenen Feststellung, dass eine Hochtonschwerhörigkeit Folge des Arbeitsunfalls vom 17.03.1995 ist, den Klageantrag des Klägers, weshalb das Urteil bereits aus diesem Grund insoweit abzuändern war. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Feststellung eines Tinnitus aurium rechts als Unfallfolge. Zwar hat das SG im angefochtenen Urteil im Tenor seiner Entscheidung insoweit eine eindeutige Aussage dazu, welche Seite des Gehörs von einem Tinnitus als Unfallfolge betroffen ist, nicht gemacht. Aus den Entscheidungsgründen, die insoweit zur Auslegung des Tenors heranzuziehen sind, ergibt sich jedoch, dass das SG einen Tinnitus des Klägers beidseits als Folge des Arbeitsunfalles festgestellt hat, weshalb das Urteil auch hinsichtlich der Feststellung des Tinnitus rechts als Unfallfolge wegen Überschreitung des Klageantrags abzuändern war.

Zudem hat Professor Dr. Z. in seinem Gutachten 16.02.2009 einen Unfallzusammenhang hinsichtlich der Minderung der Hörfähigkeit des Klägers und eines Tinnitus rechts nachvollziehbar und überzeugend verneint. Die davon abweichende Ansicht von Professor Dr. R. in seinem Gutachten vom 15.03.2012, dem sich das SG im angefochtenen Urteil angeschlossen hat, überzeugt nicht. Professor Dr. R. stützt seine abweichende Bewertung hauptsächlich darauf, dass eine beidseitige Hochtonschwerhörigkeit des Klägers nach den audiometrischen Befunden als Innenohrschwerhörigkeit anzusehen sei, die asymmetrisch, links mehr als rechts ausgeprägt sei, wobei deutlich mehr Anhaltspunkte für eine unfallbedingte Genese als für eine Lärmgenese sprächen. Hiermit lässt sich jedoch eine unfallbedingte Innenohrschwerhörigkeit beidseits nicht überzeugend begründen. Allein die Annahme, dass eine lärmbedingte Genese weniger wahrscheinlich sei, begründet noch keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Annahme eines Zusammenhangs mit dem Ereignis vom 17.03.1995, worauf Professor Dr. J. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 06.10.2014 überzeugend hinweist. Außerdem lässt Professor Dr. R. unberücksichtigt, dass beim Kläger hinsichtlich des rechten Gehörs nach den zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen ein Gesundheitsschaden durch das Ereignis vom 17.03.1995 nicht belegt ist. Auch ist nach den Befunden, die in der Zeit nach dem Unfall vom 17.03.1995 erhoben wurden, belegt, dass zu dieser Zeit kein signifikanter Hörverlust des rechten Gehörs vorgelegen hat, was ebenfalls gegen die Bewertung des Dr. R. spricht, wie Dr. P. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 25.02.2013 nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt hat.

Im Übrigen erweist sich die Berufung der Beklagten jedoch als nicht begründet.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Auch wenn der Versicherte schon wiederholt Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X gestellt hat, darf die Verwaltung einen erneuten Antrag nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten muss sie in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden (BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18 m. w. H.). Dabei ist innerhalb des Zugunstenverfahrens maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des zur Überprüfung gestellten Bescheides der Zeitpunkt seines Erlasses (vgl. Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 44, RdNr. 24 i.V.m. RdNr. 9). Zur Beurteilung der Fehlerhaftigkeit des streitgegenständlichen Bescheids kommt es im Übrigen nicht auf den Stand der Erkenntnis bei Erlass, sondern bei Überprüfung an. Erforderlich ist dazu eine rückschauende Betrachtungsweise im Lichte einer - eventuell geläuterten - Rechtsauffassung zu der bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsaktes geltenden Sach- und Rechtslage. In diesem Sinne beurteilt sich die Rechtswidrigkeit nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht (vgl. Schütze, a.a.O., RdNr. 10 m.w.N.).

Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr. vgl. zuletzt BSG vom 12.04.2005 - B 2 U 2. R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, jeweils RdNr 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. dazu nur Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl. 2006, Vorb. v § 249 RdNr. 57 ff m. w. N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr. 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.

Bei mehreren Ursachen ist sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende (Mit-)Ursache auch wesentlich war, ist unerheblich. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BSG, Urteile vom 09.05.2006, a.a.O.).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (st. Rspr. BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a. F. RVO; BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr. 15 zu § 1263 a. F. RVO; BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr. 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 09.05.2006 a.a.O. m.w.H.). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i.S.d. "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N.).

Nach diesen Grundsätzen liegt (auch) zur Überzeugung des Senats entgegen der Ansicht der Beklagten eine unfallbedingte Kausalität für die vom Kläger geltend gemachten Ohrgeräusche (Tinnitus) links vor, weshalb sich der vom Kläger gemäß § 44 SGB X angegriffene Bescheid der Beklagten vom 08.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.08.2008 insoweit als rechtswidrig erweist. Insoweit ist das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden.

Für den Senat steht fest, dass der Kläger am 17.03.1995 durch Eindringen von Schweißperlen in den Gehörgang links einen Gesundheitsschaden erlitten hat. So wird im Durchgangsarztbericht des Professor Dr. R. vom 20.03.1995 eine "Verätzung" des linken äußeren Gehörgangs diagnostiziert. Das Kreiskrankenhauses O. diagnostizierte am 19.03.1995 eine Verbrennung im linken äußeren Gehörgangs (Arztbericht vom 19.03.1995). In der ärztlichen Unfallmeldung von Dr. G. vom 22.03.1995 wird mitgeteilt, dass am 22.03.1995 aus dem Gehörgang links drei Schweißperlen entfernt worden sind bei leicht geröteter Gehörganghaut; das Trommelfell beidseits wird als grau, matt und intakt beschrieben. Dr. S. beschreibt in seinem Bericht vom 30.11.2006 an die Beklagte über eine am 24.03.1995 erfolgte Untersuchung des Klägers als wesentliche Befunde für das linke Ohr ein gering gerötetes und retrahiertes Trommelfell ohne Defekt. Damit ist für den Senat ein Gesundheitsschaden des Klägers im linken Gehörgang durch den Eintritt von Schweißperlen am 17.03.1995 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegt. Dem entspricht auch der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 08.05.2008, mit dem die Beklagte das Ereignis vom 17.03.1995 als Arbeitsunfall anerkannt hat. Auch Professor Dr. J. geht in seiner von der Beklagten vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahme vom 12.02.2015 von einer - oberflächlichen - Schweißperlenverletzung des linken Gehörganges aus.

Für den Senat steht weiter fest, dass der bei dem Unfall erlittene Gesundheitsschaden des Klägers im linken Gehörgang - entgegen den Feststellungen im Bescheid vom 08.05.2008 - nicht folgenlos verheilt ist, weshalb sich der Bescheid jedenfalls insoweit als rechtswidrig erweist. Der Unfall hat vielmehr dauerhaft einen Tinnitus links verursacht.

Bereits bei der Erstvorstellung bei Professor Dr. R. am 19.03.1995 hatte der Kläger über ein "Stogen" in den Ohren geklagt (Durchgangsarztbericht vom 20.03.1995). Nach dem Arztbericht des Kreiskrankenhauses Offenburg vom 19.03.1995 hat der Kläger über einen "Singen" im Ohr geklagt. Der Tinnitus wird (zunächst) nur für das linke Ohr und ausdrücklich nicht für das rechte Ohr beschrieben. Dr. S. hat beim Kläger am 24.03.1995 einen therpiebedürftigen Tinnitus links diagnostiziert. Nach der Beschwerdeschilderung im Entlassungsbericht der Reha-Klinik Klausenbach vom 22.09.2000 wird ein seit sechs Jahren verstärkt links bestehender Tinnitus beschrieben, was zeitlich mit dem Ereignis vom 17.03.1995 korreliert. Dass die von Dr. S. eingeleitete Therapie erfolgreich den Tinnitus beseitigt hat, ist damit nicht belegt und lässt sich auch den sonst vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht entnehmen. Anhaltspunkte dafür, dass beim Kläger bereits vor dem Ereignis am 17.03.1995 ein Tinnitus links bestanden hat, finden sich nicht. Solche Anhaltspunkte lassen sich insbesondere dem von der Beklagten beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers der AOK O. vom 08.01.2007 nicht entnehmen. Auch der Bericht des Dr. V. vom 27.12.2006 an die Beklagte bestätigt einen vorbestehenden Tinnitus des Klägers nicht. Dr. V. hat lediglich mitgeteilt, dass sich der Kläger seit 14.02.1988 in seiner hausärztlichen Behandlung befindet. Eine Tinnitusbehandlung vor dem 17.03.1995 lässt sich seinem Bericht nicht entnehmen. Ein Tinnitusleiden des Klägers ist nach den zu den Akten gelangten Unterlagen vielmehr erst für die Zeit nach dem 17.03.1995 belegt. Auch sonst finden sich keine Anhaltspunkte, dass beim Kläger ein Tinnitusleiden vor dem 17.03.1995 vorgelegen hat.

Diesen Brückenbefunden kommt vorliegend für die Beurteilung der Zusammenhangsfrage die entscheidende Bedeutung zu. Denn weitere die Zusammenhangsfrage klärende medizinische Ermittlungen sind nicht ersichtlich. Die dargestellten Brückenbefunde beweisen einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Schadensereignis und den Tinnitusbeschwerden des Klägers am linken Ohr. Nach dem Gutachten von Professor Dr. Z. vom 16.02.2009 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24.05.2011 ist vorliegend der belegte unmittelbare zeitliche Zusammenhang zwischen der Gehörgangverletzung und den Beschwerden des Klägers so evident, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang mit dem Ereignis am 17.03.1995 festgestellt werden kann. Dass am 17.03.1995 eine andere unfallfremde Ursache zu der Erstauslösung der Tinnitusbeschwerden links geführt hat, ist nicht belegt. Eine unfallunabhängige Alternativursache ist nicht zumindest ebenso wahrscheinlich wie der Unfallzusammenhang des diagnostizierten Tinnitus. Der Senat gelangte zu der Überzeugung, dass durch die nachgewiesene Verbrennung (Arztbrief vom 19.03.1995) bzw. Verätzung (Professor Dr. R. vom 22.03.1995) davon ausgegangen werden kann, dass die in den Gehörgang gelangten Schweißperlen entweder eine, wenn auch winzige Trommelfellverletzung hervorgerufen haben oder ohne Trommelfellverletzung auf die von Prof. Dr. Z. ausgeführten Weisen mechanisch oder thermisch-chemisch den Tinnitus verursachten. Nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. R. ist es mit – kleinen – Verletzungen des Trommelfells vereinbar, dass 5 Tage nach dem Unfall Dr. G. einen unauffälligen Trommelfellbefund beidseits erhoben hatte bzw. den 7 Tage später in der Praxis Dr. K.-S. erhobenen differenten Trommelfellbefund mit links gerötetem und retrahiertem Trommelfell übersehen hatte. Für das Entstehen entzündlicher Reaktionen des Mittelohrs reichen aber nach Prof. Dr. R. Kleinstverletzungen des Trommelfells aus. Auch Professor Dr. T. hat bei dieser Befundlage eine Trommelfelldurchlöcherung nicht ausgeschlossen. Diese von Prof. Dr. Z. und Prof. Dr. R. als nahe liegende Kausalverläufe des Tinnitus bewerteten Faktoren erklären auch besser den Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens und die Lokalisation des einseitigen Tinnitus als die von der Beklagten angeführten Alternativursachen, wie z.B. einer HWS-Problematik. Unter dem Gesichtspunkt der zeitlichen Koinzidenz bejahte auch Professor Dr. T. in den von der Beklagten veranlassten beratungsärztlichen Stellungnahmen den Unfallzusammenhang des Tinnitus. Auch wenn die medizinische Erklärung des Entstehens der Tinnitusbeschwerden durch die Schweißperlen aus Sicht der Beklagten unklar bleibt, da ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten eines Tinnitus nach Schweißperlenverletzung bei intaktem Trommelfell und unkompliziertem Heilungsverlauf auch nach Professor Dr. Z. durch wissenschaftliche Untersuchungen nicht belegt ist, erachten Professor Dr. Z. wie auch Professor Dr. T. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 17.09.2007 übereinstimmend die Brückensymptomatik für so eindeutig, dass sie höher zu bewerten ist. Professor Dr. R. hat in der vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 19.01.2015 nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass vorliegend wissenschaftliche Untersuchungen nicht zu erwarten sind, weshalb zur Überzeugung des Senats dem Fehlen wissenschaftlicher Untersuchungen vorliegend keine entscheidende Bedeutung beizumessen ist. Die Beklagte verkennt mit ihrer diesbezüglichen Rüge an den Beurteilungen von Professor Dr. Z. und Professor Dr. R., dass im Sinne einer evidenzbasierten Medizin nicht jede medizinische Erfahrungstatsache, die einer Diagnosestellung oder Therapie zugrundegelegt wird, durch klinische Studien, die wiederum auch unterschiedlichen Studienkategorien unterliegen, belegt sein muss. In der wissenschaftlichen medizinischen Diskussion werden mehrere Evidenzstufen unterschieden und zur Evidenzstufe V gehören u.a. Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellung usw. sowie die nicht mit Studien belegten Meinungen anerkannter Experten und Berichte von Expertenkomitees oder Konsensuskonferenzen (vgl. hierzu Professor Dr. S. R. in Sozialgerichtsbarkeit 2003, 140 m.w.N.). Der Hinweis von Professor Dr. J. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 12.02.2015, solche Verletzungen gebe es seit mehr als 50 Jahren, weshalb entsprechende Ergebnisse vorliegen müssten, ist zum einen nicht zwingend und widerlegt zum anderen nicht die plausiblen Kausalverläufe, die aus fachlicher Sicht von Professor Dr. Z. und Professor Dr. R. beschrieben wurden. Dem von der Beklagten nicht widersprochenen Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, Professor Dr. J. sei als - ehemaliger - Leiter der Phoniatrie und Pädaudiologie der HNO-Klinik U. auch nicht einschlägig sachkundig, kommt aus Sicht des Senats jedenfalls insoweit Bedeutung zu, dass er in seiner Funktion als Leiter dieser speziellen HNO-Abteilung der Universitätsklinik U. über weniger einschlägige Erfahrung aus traumatisch bedingten Hörstörungen verfügt als die Professoren Z., R. und T ... Sein Arbeitsgebiet Phoniatrie (Stimmheilung) und Pädaudiologie (Hörstörungen im Kindesalter) ist Teilgebiet der Audiologie (der Wissenschaft des Hörens) als auch ein Gebiet der Medizin. Die Pädaudiologie bildet zusammen mit der Phoniatrie die Grundlage des Facharztes für Sprach-, Stimm-, und kindliche Hörstörungen. Den beratungsärztlichen Stellungnahmen von Professor Dr. J. vom 06.10.2014 und 12.02.2015 ist eine Facharztbezeichnung nicht zu entnehmen, weshalb der Senat auch deshalb den gutachterlichen Bewertungen von Professor Dr. Z., Professor Dr. R. und Professor Dr. T. die überzeugendere Aussagekraft beimisst.

Nach der Bewertung von Professor Dr. T. müssen auch differentialdiagnostische Zweifel - wie Auslösung des Tinnitus durch ein HWS-Syndrom oder durch Lärmschwerhörigkeit - als spekulativ zurückgestellt werden. Auch Professor Dr. Z. misst konkurrierenden Ursachen vorliegend keine relevante Bedeutung zu. Auf der Grundlage der von ihnen aus fachlicher Sicht begründbaren physikalisch-philosophischen Kausalkette gehen Professor Dr. Z. und Professor Dr. T. übereinstimmend davon aus, dass mit hinreichender überwiegender Wahrscheinlichkeit der bestehende Tinnitus links auf das Unfallereignis vom 17.03.1995 zurückzuführen ist. Auch Professor Dr. P. geht in den von der Beklagten (zur Berufungsbegründung) vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 05.02.2013 und 05.05.2013, Professor Dr. Z. zustimmend, davon aus, dass Schweißperlen im Gehör auch ohne Verletzung des Trommelfells auf gleichem Wege durch eine Haarzellschädigung Ursache des Tinnitus sein kann. Auch er sieht den Tinnitus links als Folge des Unfalles vom 17.03.1995 an. Für die Annahme von Professor Dr. P. einer Haarzellschädigung spricht, dass nach dem Gutachten von Dr. D. vom 14.02.2008 durchgeführte Hörprüfungen ausnahmslos auf einen Haarzellschaden der Innenohren hindeuten. Eine die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs nicht rechtfertigende bloße Möglichkeit, wovon die Beklagte ausgeht, liegt danach zur Überzeugung des Senates nicht vor.

Der abweichenden Bewertung von Dr. D. in seinem Gutachten vom 14.02.2008 kann nicht gefolgt werden. Dr. D. berücksichtigt bei seiner Bewertung einer fehlenden Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Ohrgeräuschen durch das Unfallereignis vom 17.03.1995 die für einen solchen Zusammenhang sprechende Brückensymptomatik nicht ausreichend. Hierauf weist Professor Dr. P. in der zur Berufungsbegründung von der Beklagten vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahme vom 25.02.2013 zutreffend hin. Soweit Dr. D. außerdem als Hinweis für eine unfallunabhängige Erkrankung des Innenohrs links einen von Dr. W. am 15.01.2007 beschriebenen niederfrequenten spontan- und Lage-Nystagmus nach rechts wertet, überzeugt dies nicht. Für die Zeit des Unfallereignisses am 17.03.1995 ist ein solcher Befund nicht belegt, weshalb es nicht überzeugend ist, wenn Dr. D. aus dem von Dr. W. erst am 15.01.2007 erhobenen Befund auf den Zeitpunkt des Unfallereignisses am 17.03.1997 Rückschlüsse zieht. Dass es beim Kläger entsprechend der Unfallmeldung von Dr. G. vom 22.03.1995 (tatsächlich) zu einem Hörsturz links gekommen war, ist nach den vorliegenden (medizinischen) Unterlagen nicht belegt. Zudem wäre hierdurch aufgrund der dargestellten Brückensymptomatik auch insoweit ein Zusammenhang mit dem Ereignis vom 17.03.1995 nicht ausgeschlossen. Entsprechendes gilt auch für die nach dem Erörterungstermin am 23.09.2014 von der Beklagten vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahmen von Professor Dr. J. vom 06.10.2014 und 12.02.2015. Unabhängig von dem bereits oben Ausgeführten berücksichtigt auch Professor Dr. J. bei seiner Bewertung der Zusammenhangsfrage die bestehende Brückensymptomatik nicht hinreichend. Im Übrigen zeigt Professor Dr. J. zur Zusammenhangsfrage des Tinnitus links keine neuen Gesichtspunkte auf, die zu einer anderen Beurteilung Anlass gibt.

Die Berufung der Beklagten war daher insoweit zurückzuweisen.

Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seine unselbstständige Anschlussberufung zurückgenommen hat, hat der Senat hierüber nicht mehr entscheiden müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass der Kläger, soweit die Berufung der Beklagten bereits aufgrund der unzutreffenden Fassung des Klageantrags durch das SG Erfolg hat, keine den Rechtsstreit insoweit erledigende Erklärung abgegeben hat, weshalb der Senat keinen Anlass sieht, den Kläger insoweit von seinen außergerichtlichen Kosten zu entlasten.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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