L 13 R 718/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 4408/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 718/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. Februar 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Umstritten ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1961 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Einen Beruf hat er nicht erlernt. Seit dem Jahr 1984 ist er in Deutschland wohnhaft und hier als Hilfsarbeiter im Tiefbau beschäftigt gewesen. Seit Oktober 2012 arbeitet er nach seinen Angaben nicht mehr; nachfolgend hat er nach seinen Angaben Krankengeld bezogen.

Den ersten Rentenantrag des Klägers vom 11. Januar 2007 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. April 2007 ab, weil weder Erwerbs- noch Berufsunfähigkeit vorliege. Den hiergegen erhobenen Widerspruch nahm der Kläger wieder zurück.

Am 11. Januar 2013 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Februar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 2013 ab. Grundlage der Entscheidung waren u.a. der Entlassungsbericht des Diakonieklinikums S. über den stationären Aufenthalt vom 6. November bis 13. November 2012 sowie Berichte der behandelnden Ärzte.

Hiergegen hat der Kläger am 24. August 2013 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, anhaltende Ohrgeräusche machten einen erholsamen Schlaf unmöglich. Der inzwischen an Taubheit grenzende Hörverlust sowie immer stärker werdende depressive Verstimmungen würden bereits Probleme bei einfachsten Erledigungen im Alltag bereiten. Ferner habe er Schmerzen im Rücken und in den Beinen.

Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt. Der behandelnde Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie Dr. G. hat unter dem 27. September 2013 mitgeteilt, der Kläger sei aus kardiologischer Sicht in der Lage sechs Stunden und mehr zu arbeiten (Diagnosen: Hypertensive Herzerkrankung, Diabetes mellitus). Die Internistin/Nephrologin Dr. H. hat in ihrer Auskunft vom 20. Oktober 2013 angegeben, bei dem Kläger liege ein Metabolisches Syndrom mit Verdacht auf eine diabetische Nephropathie vor. Als Einschränkungen seien zu beachten: Keine Arbeiten unter besonderem Zeitdruck, keine Früh-, Spät-, Nacht- und Wechselschicht, kein häufiges Ersteigen von Leitern und Gerüsten, kein Tragen und Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel. Die HNO-Ärztin Pf. hat in ihrer Auskunft vom 24. Dezember 2013 angegeben, sie habe einen beidseitigen Höherverlust durch Schallempfindungsstörung, einen Tinnitus aurium beidseits und ein Schlafapnoesyndrom diagnostiziert. Der Kläger sei nur in der Lage, eine hinsichtlich körperlicher und intellektueller Beanspruchung leichte Tätigkeit bis zu drei Stunden auszuüben.

Die Beklagte hat dem Kläger während des Klageverfahrens eine stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation in der Helios Klinik, B. G. bewilligt. In dem vom SG beigezogenen Entlassungsbericht über den stationären Aufenthalt vom 24. Oktober bis 21. November 2013 ist der Kläger von den dortigen Ärzten für fähig angesehen worden, leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr zu verrichten (Diagnosen: Hochgradige Schwerhörigkeit, chronisch dekompensierter Tinnitus aurium Schweregrad III, Diabetes mellitus, ausgeprägte psychovegetative Erschöpfung).

Das SG hat weiter Beweis erhoben, durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, forensische Psychiatrie Dr. H ... In seinem Gutachten vom 30. April 2014 hat der Sachverständige unter Auswertung der vorliegenden Berichte und der Angaben des Klägers bei der Untersuchung sowie der von ihm erhobenen Befunde ausgeführt, der Kläger sei in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Überforderung durch Akkord- und Nachtarbeit, besonderen Zeitdruck, besonders hohe Ansprüche an Auffassung, besonders hohe Verantwortung und geistige Beanspruchung sechs Stunden und länger auszuüben. Auf neurologischem Gebiet habe sich eine Erkrankung nicht nachweisen lassen. Auf psychiatrischem Gebiet habe sich eine depressive Erkrankung gezeigt, wobei aktuell eine leichte depressive Episode im Grenzbereich zu einer mittelgradigen depressiven Episode vorgelegen habe (ICD 10 F 32.00).

Der Kläger hat daraufhin Berichte des Klinikums S., Klinik für Dermatologie und Phlebologie, vom 5. Oktober 2014 sowie des Radiologiezentrums S. über eine Computertomographie des Thorax vom 23. Oktober 2014 vorgelegt (Bl. 111 und 119 SG-Akten).

Mit Urteil vom 12. Februar 2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die – näher dargelegten – Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung seien nicht erfüllt. Der Kläger sei in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung von qualitativen Leistungseinschränkungen vollschichtig auszuüben. Es müssten Überforderungen durch Akkordarbeit, Nachtarbeit oder durch Arbeiten unter besonderem Zeitdruck vermieden werden. Dies gelte auch für hohe Ansprüche an Auffassung und besonders hohe geistige Beanspruchung. Im Übrigen stünden gesundheitliche Einschränkungen einer leichten Tätigkeit nicht entgegen. Bestehende Sprachschwierigkeiten beruhten nicht auf gesundheitlichen Einschränkungen und seien deshalb für eine Erwerbsminderungsrente nicht relevant. Das SG hat sich bei seiner Einschätzung hauptsächlich auf das schlüssige und nachvollziehbare nervenärztliche Gutachten von Dr. H. und auf den Heilverfahrensentlassungsbericht gestützt.

Der Kläger hat gegen das ihm am 18. Februar 2015 zugestellte Urteil am 25. Februar 2015 Berufung eingelegt und für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe beantragt. Er nehme auf den "Kurentlassungsbericht" Bezug. Dort sei ihm gesagt worden, dass er Rente wegen seiner "Gesundheitseinschränkungen" bekommen müsse. Ferner verweise er auf die bei ihm anerkannte Schwerbehinderteneigenschaft (GdB 70, Merkzeichen RF). Die Ärzte Dr. B. (Hausarzt), Dr. Pf. (Ohrenärztin) und Dr. St. (Diabetologe) seien zu hören.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. Februar 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss (§ 153 Abs. 4 SGG) hingewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten sowie auf die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen. II.

Der Senat entscheidet über die nach §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit hatten, sich hierzu zu äußern.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte Rente - § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine solche Rente nicht erfüllt, weil er ihm zumutbare Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens 6 Stunden arbeitstäglich verrichten kann und damit auch nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert ist und auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, die die Benennung einer möglichen Tätigkeit erforderlich machen würde. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung und unter Mitberücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend ist zunächst anzumerken, dass der Kläger auf seinen Antrag vom 11. Januar 2013 keinen Anspruch auf die begehrte Rente wegen Erwerbsminderung hat, weil eine entsprechende Einschränkung des Leistungsvermögens auf weniger als sechs Stunden arbeitstäglich oder auch eine schwere spezifische Leistungseinschränkung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ab diesem Zeitpunkt nicht feststellbar sind und somit teilweise oder gar volle Erwerbsminderung nicht vorliegt. Das SG hat sich insofern zu Recht auf das schlüssige und überzeugende Sachverständigengutachten des Dr. H. gestützt. Danach hat sich der Kläger bewusstseinsklar und allseits orientiert gezeigt. Eine Verständigung ist mit Hilfe des Dolmetschers ohne Schwierigkeiten möglich gewesen. Die Konzentration und das Durchhaltevermögen zeigten ebenfalls keine Einschränkungen. Auch mnestische Störungen haben sich nicht nachweisen lassen, weder im Hinblick auf die Merkfähigkeit oder das Kurzzeitgedächtnis noch auf das Langzeitgedächtnis. Ausreichend geordnet und präzise hat der Kläger auch über seine Lebensgeschichte berichtet. Der formale Gedankengang war geordnet und nicht verlangsamt. Inhaltliche Denkstörungen haben sich nicht gezeigt. Beeinträchtigungs- und Verfolgungsideen haben ebenso wenig wie Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen beobachtet werden können. Die Stimmungslage wird vom Sachverständigen als schwankend beschrieben, insgesamt leicht gedrückt, bei der Besprechung der Beschwerden auch mäßig gedrückt. Andererseits ist es nach Darlegung des Sachverständigen themenabhängig auch zu einer Auflockerung gekommen. Die affektive Schwingungsfähigkeit wird als insgesamt leicht reduziert beurteilt. Unter Berücksichtigung dessen ist die Leistungseinschätzung von Dr. H. für den Senat schlüssig und nachvollziehbar.

Das SG hat weiter zutreffend ausgeführt, dass die vorliegende Hörstörung und die internistischen Gesundheitsbeeinträchtigungen eine zeitliche Minderung des Leistungsvermögens auch in Übereinstimmung mit den Ärzten des durchgeführten Heilverfahrens im November 2013 nicht begründen, nachdem die Verständigung mit dem Kläger auch bei der Untersuchung durch Dr. H. problemlos möglich gewesen ist. Auch die Internisten Dr. G. und Dr. H. haben keine Befunde mitgeteilt, die Zweifel daran aufkommen ließen, dass der Kläger sechs Stunden und länger täglich leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten kann.

Nachdem das SG bereits den Sachverhalt umfassend ermittelt hat und Anhaltspunkte für eine weitergehende Verschlechterung des Gesundheitszustandes weder vorgetragen sind noch sich aus sonstigen Gründen ergeben, sind weitere Ermittlungen durch den Senat nicht erforderlich.

Da der Kläger somit keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat, weist der Senat die Berufung zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 197a SGG Rdnr. 3; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren war abzulehnen, weil der Kläger die ihm übersandte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht innerhalb der vom Senat bis zum 22. Mai 2015 gesetzten Frist vorgelegt hat (§ 73a SGG i. V. m. § 118 Abs. 2 S. 4 Zivilprozessordnung (ZPO). Hierauf ist der Kläger schriftlich hingewiesen worden. Im Übrigen hat die gemäß § 73a SGG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht der Berufung zu keinem Zeitpunkt vorgelegen.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved