L 3 U 267/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 1316/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 267/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Antrag der Beklagten, die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 04. Dezember 2013 auszusetzen, wird abgelehnt.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Aussetzungsverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Weitergewährung der Verletztenrente anlässlich des Arbeitsunfalles vom 14.02.2009 über den 31.01.2012 hinaus.

Die Beklagte gewährte nach einer Begutachtung durch Prof. Dr. A. mit Bescheid vom 15.03.2010 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 20 v.H ... In der Begründung ihrer Entscheidung führte sie aus, als Unfallfolgen bestünden:

"Einschränkung der Beweglichkeit der rechten Schulter, Minderung der Muskulatur des rechten Armes, nach Prellung der rechten Schulter mit Infektverlauf nach diagnostischer Arthroskopie."

Demgegenüber lägen unfallunabhängig vor:

"Impingement-Syndrom (Funktionsbeeinträchtigung des Schultergelenks durch mechanische Irritation der Rotatorenmanschette), Schultereckgelenksarthrose und Rotatorenmanschettenschaden an der rechten Schulter."

Nachdem Prof. Dr. A. unter dem 30.11.2011 ein zweites Rentengutachten erstattete und darin zu der Einschätzung gelangte, dass die MdE ab dem Untersuchungstag (29.11.2011) nur noch um 10 v.H. gemindert sei, entzog die Beklagte nach Anhörung des Klägers ihm mit Bescheid vom 27.12.2011 die bislang als vorläufige Entschädigung bewilligte Rente mit Ablauf des Januar 2012. Hierbei verwies sie darauf, dass der Rotatorenmanschettenschaden nicht als Unfallfolge anzusehen sei. Der Kläger erhob nach erfolglos eingelegtem Widerspruch Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG). Das SG hat zwei Gutachten eingeholt. Das von Dr. B. am 03.12.2012 erstattete Gutachten hat das klägerische Begehren nicht zu stützen vermocht. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Kläger von einem vorbestehenden Schaden an der Supraspinatussehne auszugehen sei. Die in Zusammenhang mit der Schulterverletzung erfolgten zwei Operationen seien nicht wegen des erlittenen Arbeitsunfalles notwendig gewesen. Demgegenüber hat Prof. Dr. C. in seinem Gutachten vom 03.05.2003 die Einschätzung vertreten, dass der Rotatorenmanschettenschaden unfallunabhängig sei und die hieraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen eine MdE von 20 v.H. verursachen würden.

Das SG ist dem Gutachten des Prof. Dr. C. gefolgt und hat die Beklagte zur Weitergewährung der Verletztenrente nach einer MdE vom 20 v.H. über den 31.01.2012 hinaus verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 20.01.2014 Berufung eingelegt und beantragt, die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil auszusetzen. Sie hat zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, der Beurteilung von Prof. Dr. C. könne nicht gefolgt werden, nachdem drei unfallversicherungsrechtlich betraute Ärzte (Prof. Dr. A., Dr. B. und der Beratungsarzt Dr. D.) eine vorbestehende Schadensanlage bestätigt hätten. Zudem habe der Kläger immer angegeben, auf die Schulter gestürzt zu sein, was einen Rotatorenmanschettenschaden nicht verursachen könne. Ferner hat sich die Beklagte auf die Bindungswirkung des Bescheids vom 15.03.2010 berufen, in welchem die Anerkennung des Rotatorenmanschettenschadens als Unfallfolge verneint worden sei.

Der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil sei mit Blick auf die dargelegten Erfolgsaussichten begründet. Die in Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer in Rn. 8 f zu § 199 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vertretene Ansicht, wonach nur in Ausnahmefällen die Aussetzung der Vollstreckung in Betracht komme, werde durch neuere Rechtsprechung nicht gestützt. Hierzu hat die Beklagte auf die Beschlüsse des Bayerischen Landessozialgerichts vom 06.07.2005 - L 17 U 346/05 und vom 13.11.2008 - L 18 U 392/08 hingewiesen.

Der Kläger hat einer Aussetzung der Vollstreckung nicht zugestimmt.

II.

Der Antrag, die Vollstreckung aus dem Urteil des SG vom 04.12.2013 auszusetzen, ist statthaft und zulässig (§ 199 Abs. 2 Satz 1 SGG). Danach kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Eine aufschiebende Wirkung kommt der von der Beklagten erhobenen Berufung gemäß § 154 Abs. 2 SGG nur zu, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen.

Der Antrag der Beklagten ist jedoch unbegründet. Bei der zu treffenden Entscheidung über die Aussetzung nach § 199 Abs. 2 SGG ist eine Interessen- und Folgenabwägung vorzunehmen, wobei der in § 154 Abs. 2 SGG zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers zu beachten ist, dass Berufungen in der Regel keine aufschiebende Wirkung hinsichtlich der für die Zeit nach Erlass des Urteils zu zahlenden Beträge haben sollen. Eine Aussetzung kommt daher nur in Ausnahmefällen in Betracht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 199 Rn. 8 f; BSG, Beschluss vom 28.10.2008 - B 2 U 189/08 B). Bei der Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, sind im Rahmen der Interessen- und Folgenabwägung zunächst die Erfolgsaussichten der Berufung zu berücksichtigen. Diese sind für die Entscheidung nur maßgeblich, wenn sie offensichtlich fehlen oder offensichtlich bestehen. Sind die Erfolgsaussichten jedoch nicht in dieser Weise eindeutig abschätzbar, ist im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung insbesondere zu berücksichtigen, ob die Beklagte - über den Nachteil hinaus, der mit jeder Zwangsvollstreckung als solcher verbunden ist - ein im nachhinein nicht mehr zu ersetzender Schaden entstehen würde. Maßgeblich sind dabei die Umstände des Einzelfalles, die vom Vollstreckungsschuldner glaubhaft vorzutragen sind (BSG, Beschluss vom 05.09.2001 - B 3 KR 47/01 R).

Nach der gegenwärtigen Gutachtenslage dürfte der Erfolg der Berufung ungewiss sein. Sowohl die Berufungsklägerin als auch der Berufungsbeklagte können für sich ein Gutachten anführen, auf das sich ihre unterschiedliche Bewertung stützen lässt. Ob die Berufung schon aus rechtlichen Gründen Erfolg haben dürfte, lässt sich ebenfalls nicht mit der gebotenen Offensichtlichkeit feststellen. Zwar dürfte die Bindungswirkung des die vorläufige Rente gewährenden Bescheides vom 15.03.2010 lediglich hinsichtlich des Grades der MdE beseitigt werden, wie sich aus § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII entnehmen lässt. Damit besteht grundsätzlich eine Bindung an die Anerkennung des Unfalles als Arbeitsunfall, an die festgestellten Unfallfolgen und an die Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes (Schmid, SGB VII, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Auflage, § 62 Rn. 13; BSG, Urteil vom 30.10.1962 - 2 RU 225/59 und vom 22.06.2004 - B 2 U 36/03 R). Zu beachten ist, dass die materielle Bestandskraft (Bindungswirkung) eines Verwaltungsakts sich nach der ständigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich auf den Entscheidungsausspruch, den sogenannten Verfügungssatz beschränkt (BSG, Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 36/03 R). Hier sind die Unfallfolgen nicht im Verfügungssatz festgestellt, sondern lediglich in der Begründung. Selbst wenn die Feststellung von Unfallfolgen im Begründungsteil des Bescheides als weiterer Verfügungssatz bewertet werden könnte (sowohl BSG, Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 36/03 R bei Verwaltungsakten, die eine Rente als vorläufige Entschädigung gewähren), ist immer noch fraglich, ob dies nur für die positive Feststellung von Unfallfolgen gilt, oder auch für die negative Feststellung von Unfallfolgen (hier: keine Unfallfolge ist der Rotatorenmanschettenschaden).

Weiterhin ist bislang kein nicht wieder gutzumachender Nachteil von der Berufungsklägerin dargelegt worden. Vorsorglich wird hierzu auf die Niederschrift im Verfahren S 1 U 3791/10 des Sozialgerichts Mannheim verwiesen. Dort hat der Kläger angegebenen, dass er keine Hartz IV-Leistungen beansprucht habe und er sich nicht für bedürftig erachte, da er Eigentümer von Immobilien sei.

Soweit die Beklagte ausführt, die Ansicht, dass nur in Ausnahmefällen die Aussetzung der Vollstreckung in Betracht komme, werde durch die neuere Rechtsprechung nicht gestützt und sich hierbei auf neuere Beschlüsse des Bayerischen LSG bezieht (Beschlüsse vom 06.07.2005 - L 17 U 346/05 und vom 13.11.2008 - L 18 U 392/08), ist darauf hinzuweisen, dass im Anschluss an diese Beschlüsse das Bayerische LSG mehrfach entschieden hat, dass ein Regel-/Ausnahmeverhältnis besteht (so z.B. Beschluss vom 05.09.2011 - L 2 U 345/11 ER, Beschluss vom 08.09.2011 - L 2 U 327/11 ER und Beschluss vom 12.1112.2011 - L 6 R 1065/11 ER).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar; er kann jederzeit aufgehoben werden (§ 199 Abs. 2 Satz 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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