L 8 SB 4282/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SB 668/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4282/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 18.09.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Wege eines Überprüfungsverfahrens gemäß § 44 SGB X streitig, ob das Landratsamt Ludwigsburg (LRA) mit Bescheid vom 02.05.2012 den Grad der Behinderung (GdB) des Klägers zurecht mit 80 festgestellt und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche (Merkzeichen) "G" (gehbehindert) und "aG" (außergewöhnlich gehbehindert) abgelehnt hat.

Der Kläger beantragte am 17.02.2012 (Blatt 1/7 der Beklagtenakte) die Feststellung einer Behinderung und der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "G" und "aG". Zu diesem Antrag verwies der Kläger auf eine Leberzirrhose bei chronischem Alkoholabusus, eine hepatische Enzephalopathie, ein hepatorenales Syndrom, einen Ikterus, gastrointestinale Blutung sowie eine hypochrome mikrozytäre Anämie. Der Kläger legte ärztliche Unterlagen (Blatt 18 der Beklagtenakte) vor, darunter den Entlassbericht vom 09.09.2011 über die zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung in der R.-K. ob der T., B. M., durchgeführten stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation.

Das LRA zog von der Universitätsklinik Tübingen (nach Blatt 19/22 der Beklagtenakte) Befundberichte bei. Dr. W. schlug in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.04.2012 (Blatt 24/25 der Beklagtenakte) vor, den GdB für Leberzirrhose, Blutarmut und Pfortaderstauung auf 70 festzustellen. In einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.04.2012 (Blatt 28/29 der Beklagtenakte) schlug Dr. V.-M. vor, den GdB wie folgt zu bemessen: Leberzirrhose, Blutarmut, Pfortaderstauung Einzel-GdB 70 Alkoholkrankheit, in Heilungsbewährung, Einzel-GB 30 Gesamt-GdB 80 Das hepatorenale Syndrom und die hepatische Enzephalopathie seien als Ausdruck der Leberzirrhose dort berücksichtigt. Ortsübliche Wegstrecken könnten zurückgelegt werden.

Mit Bescheid vom 02.05.2012 (Blatt 31/34 der Beklagtenakte) stellte das LRA den GdB des Klägers mit 80 seit dem 17.02.2012 fest. Die gesundheitlichen Merkmale "G", "Gl", "B", "H", "aG", "Bl" und "RF" könnten nicht festgestellt werden, weil die erforderlichen Voraussetzungen nicht vorlägen.

Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 27.06.2012 (Blatt 37/38 der Beklagtenakte) beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 02.05.2012 nach § 44 SGB X. Der GdB sei mit 100 zu bewerten und es seien insbesondere die Merkzeichen "G" und "aG" zu erteilen. Die Alkoholerkrankung sei derart fortgeschritten, dass eine Lebertransplantation notwendig sei. Er leide unter hepatischer Enzephalopathie und Ikterus. Er habe einen massiven Leberschaden, Polyneuropathie, auch hirnorganische Ausfälle und organisch-psychische Veränderungen. Er sei weder berufstätig noch verfüge er über eine eigene Wohnung. Durch die Alkoholerkrankung sei ihm sein gesamtes Leben entglitten.

Auf Befragung durch das LRA teilte der Facharzt für Orthopädie Dr. G. (Blatt 50/58 der Beklagtenakte) mit Schreiben vom 17.10.2012 Befunde mit und legte Berichte vor.

Der Versorgungsarzt D. schlug in seiner Stellungnahme vom 09.11.2012 (Blatt 60 der Beklagtenakte) vor, den Gesamt-GdB mit 80 zu bewerten. Hirnorganische Anfälle seien zwar erwähnt, es lägen jedoch keine Unterlagen vor und in den Berichten fänden sich keine Angaben, sodass nicht von einem Anfallsleiden ausgegangen werden könne. Hinweise auf eine wesentliche Gehbehinderung oder Notwendigkeit der Benutzung von Gehhilfen ergäben sich nicht.

Mit Bescheid vom 14.11.2012 (Blatt 61/62 der Beklagtenakte) lehnte das LRA die Rücknahme des Bescheids vom 02.05.2012 ab.

Den Widerspruch des Klägers vom 11.12.2012 (Blatt 64/65 der Beklagtenakte), mit dem dieser u.a. geltend machte, er sei alkoholkrank, die Krankheit sei weit fortgeschritten, sodass eine Lebertransplantation notwendig sei, wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 24.01.2013 (Blatt 69/71 der Beklagtenakte) zurück.

Der Kläger hat am 27.02.2013 beim Sozialgericht (SG) Heilbronn mit dem Ziel eines höheren GdB als 80 sowie der Merkzeichen "G" und "aG" Klage erhoben, zu deren Begründung er u.a. vorgetragen hat, er leide unter einem massiven Leberschaden aufgrund einer Alkoholkrankheit sowie unter Polyneuropathie. Weiter leide er unter hepatischer Enzephalopathie sowie unter einem hepatorenalen Syndrom. Seine Leber würde maximal noch drei Jahre funktionieren. Auch leide er unter erheblichen Kniebeschwerden. Aufgrund seiner geringen Gehstrecke sei ihm das Merkzeichen "G" zu erteilen. Daneben leide er unter Schmerzen und massiven Einschränkungen aufgrund des Tumors unter der linken Fußsohle (Morbus Ledderhose). Auch leide er unter Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisverlust und einem allgemeinen Erschöpfungssyndrom.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Befragung wird auf Blatt 21/27, 41/42, 44/55, 66/66a und 67/78 der SG-Akte Bezug genommen. Prof. Dr. M., Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik des U. T., teilte mit Schreiben vom 10.07.2013 mit, der Kläger sei zuletzt im Mai 2012 in Behandlung gewesen, eine aktuelle Aussage sei daher nicht möglich. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. G. hat dem SG am 23.07.2013 geschrieben, er sei mit den Feststellungen des Beklagten grundsätzlich einverstanden. Es fehle der Morbus Ledderhose, der in der Fußsohle erhebliche Beschwerden verursache. Die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" wurden verneint. Zur Gehstrecke könne keine Aussage getroffen werden. Dr. Zipse hat in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 30.07.2013 den Feststellungen des Beklagten zugestimmt. Außergewöhnlich gehbehindernde Erkrankungen lägen nicht vor. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. M. hat dem SG am 27.09.2013 mitgeteilt, der GdB betrage bei erheblichem Knorpelschaden des rechten Kniegelenkes zumindest 10, bei häufiger rezidivierendem Lumbalsyndrom bei leichter Spondylolisthese L5/S1 20. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung läge nicht vor.

Das SG hat auch Unterlagen des Klinikums Markgröningen beigezogen.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 18.09.2014 die Klage abgewiesen. Die angefochtene Entscheidung des Beklagten sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser habe weder einen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 80 noch habe er einen Anspruch auf die Feststellung der Merkzeichen "G" und "aG". Die Bewertung der als Leberzirrhose, Blutarmut und Pfortaderstauung mit einem Einzel-GdB von 70 und der Alkoholkrankheit mit einem Einzel-GdB von 30 erweise sich als rechtmäßig. Weder aus den eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen noch aus den objektiven Befunden lasse sich ein höherer GdB als 80 ableiten. Selbst bei einer - zugunsten des Klägers - Zugrundlegung eines weiteren Einzel-GdB von 10 hinsichtlich des Knorpelschadens im rechten Kniegelenk und eines weiteren Einzel-GdB von 20 hinsichtlich des Lumbalsyndroms ließe sich ein höherer Gesamt-GdB als 80 nicht begründen. Im Übrigen ließen sich den objektiven Befunden lediglich geringgradige Beeinträchtigungen durch das Lumbalsyndrom ableiten, so dass sich ein diesbezüglicher Einzel-GdB von 20 nicht rechtfertigen ließe. Die Voraussetzungen der Merkmale "G" und "aG" ließen sich weder aus den objektiv vorliegenden Befunden, noch aus den sachverständigen Zeugenaussagen ableiten, die Beklagte hat die Voraussetzungen vielmehr zu Recht verneint. Da schon die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" nicht vorlägen, seien auch die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" nicht erfüllt.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 29.09.2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14.10.2014 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt und sinngemäß beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 18.09.2014 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamtes Ludwigsburg vom 14.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 24.01.2013 den Bescheid des Landratsamts Ludwigsburg vom 02.05.2012 abzuändern und bei ihm einen höheren Grad der Behinderung als 80 sowie die Merkzeichen "G" und "aG" seit dem 17.02.2012 festzustellen, hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über die rückwirkende Änderung des Bescheids vom 02.05.2012 erneut zu entscheiden.

Trotz Erinnerung hat der Kläger die Berufung nicht begründet; der Bevollmächtigte hat mitgeteilt, das Mandat niedergelegt zu haben (Schriftsatz vom 13.01.2015).

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Nachdem der ordnungsgemäß mit Zustellungsurkunde (um-)geladene Kläger zum Termin am 22.05.2015, 10:30 Uhr nicht erschienen war, hat der Senat nach Lage der Akten entscheiden können (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG, § 126 SGG), denn die Beteiligten waren in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden. Dem Antrag der im Termin erschienen Beklagtenvertreterin auf Entscheidung nach Aktenlage war deshalb im Rahmen des dem Senat zustehenden freien Ermessens zu entsprechen.

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig aber unbegründet.

Der angefochtene Bescheid des LRA vom 14.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 24.01.2013 ist rechtmäßig, der Kläger wird nicht in seinen Rechten verletzt. Das LRA hat mit Bescheid vom 02.05.2012 zutreffend den GdB auf insgesamt 80 festgestellt (dazu 1.) und die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "aG" (dazu 2.) und "G" (dazu 3.) abgelehnt.

Rechtsgrundlage für die beantragte Rücknahme des Bescheid vom 02.05.2012 und die erneute Entscheidung durch das LRA ist § 44 Abs. 2 SGB X. Nach dieser Vorschrift kann ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden is, für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Satz 2 der Vorschrift). § 44 Abs. 1 SGB X ist eine Spezialregelung für Verwaltungsakte über die Gewährung von sozialrechtlichen Leistungen. Der die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch oder die Höhe des GdB feststellende Statusakt ist keine Leistung in diesem Sinne (st ... Rspr. BSG 29.05.1991 - 9a/9 RVs 11/89 – juris; zuletzt BSG 07.04.2011 - B 9 SB 3/10 R – juris; LSG Baden-Württemberg 21.02.2013 – L 6 SB 4007/12 – juris). Die rückwirkende Aufhebung der bindenden Feststellung mit Wirkung für die Vergangenheit steht im pflichtgemäßen Ermessen und ist nur dann vorzunehmen, wenn die tatsächlichen Verhältnisse offenkundig sind (LSG, Baden-Württemberg 12.10.2011 - L 6 SB 5658/10 - juris).

Nachdem der Senat schon die Tatbestandsvoraussetzungen einer Rücknahme nach § 44 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X – die Rechtswidrigkeit der insoweit nicht begünstigenden Verwaltungsakte vom 02.05.2012 (Feststellung des GdB auf maximal 80; Ablehnung der Feststellung der Merkmale "G" und "aG") – nicht feststellen konnte, war der angefochtene Bescheid des LRA in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten auch nicht – im Hinblick auf eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit (dazu vgl. auch den Hilfsantrag) – mangels Ermessensausübung rechtswidrig.

Maßgeblicher Zeitpunkt ist insoweit derjenige des Wirksamwerdens des Bescheids vom 02.05.2012, mithin der 05.05.2012 (§ 37 Abs. 2 SGB X i.V.m. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Soweit der Kläger auf eine seither eingetretene Verschlechterung abstellt, ist dies nicht Gegenstand des Verfahrens und müsste in einem gesonderten Verfahren – nach § 48 SGB X – geltend gemacht werden.

1. Der Bescheid vom 02.05.2012 hat den GdB zutreffend insgesamt auf 80 festgestellt.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die der Zuerkennung eines GdB zugrundeliegende Behinderung wird gemäß § 69 Abs. 1 SGB IX im Hinblick auf deren Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Dabei stellt die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2009 (BGBl. I, 2412), den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) auf funktionelle Beeinträchtigungen ab, die zunächst im Allgemeinen nach Funktionssystemen (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG) getrennt, später nach § 69 Abs. 3 SGB IX in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen sind. Die Feststellung der jeweiligen Einzel-GdB folgt dabei nicht einzelnen Erkrankungen sondern den funktionellen Auswirkungen aller derjenigen Erkrankungen, die ein einzelnes Funktionssystem betreffen.

Die Bemessung des Gesamt GdB (dazu s. unten) erfolgt nach § 69 Abs. 3 SGB IX. Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt.

Der Senat ist nach eigener Prüfung und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22.05.2015 zu der Überzeugung gelangt, dass die Funktionsbehinderungen, die im Allgemeinen nach Funktionssystemen (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG) erfasst werden, in ihrer Gesamtschau lediglich einen Gesamt-GdB von 80 rechtfertigen und ein darüber hinausgehender Feststellungsanspruch nicht besteht, weshalb die Berufung zurückzuweisen war.

Im Funktionssystem der Verdauung (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG) war wegen des Leberschadens kein höherer GdB als 70 anzunehmen. Soweit der Kläger angibt, der Leberschaden sei so weit fortgeschritten, es müsse eine Lebertransplantation stattfinden, mag er im Rehabericht vom 09.09.2011 aus der Rehaklinik Bad Mergentheim eine gewisse Stütze finden; jedoch war der Kläger dort lediglich im Hinblick auf eine evtl. mögliche Lebertransplantation an die Sprechstunde des Lebertransplantationszentrums verwiesen worden. Prof. Dr. M. vom Universitätsklinikum Tübingen hat jedoch aufgrund einer Untersuchung des Klägers vom 14.06.2012 und einer transjugulären Leberpunktion vom 03.05.2012 (Blatt 54/55 der Beklagtenakte; siehe auch Blatt 22/23 der SG-Akte) eine gute Leberfunktion feststellen können, weshalb er keine Indikation für eine Listung zur Lebertransplantation sah. Die Leberbiopsie hatte keinen Anhalt für eine primär-sklerosierende Cholangitis gezeigt. Insoweit hat der Beklagte zutreffend einen Einzel-GdB von 70 für die Leberzirrhose samt Blutarmut und Pfortaderstauung annehmen dürfen (B Nr. 10.3.2 VG). Hierin ist der geltend gemachte Leberschaden vollständig erfasst. Die geltend gemachten Oesophagusvarizen Grad 1 bei Hiatushernie ohne Ösophagitis sind ansonsten auch reizlos (Dr. G. vom 17.10.2012, Blatt 58 der Beklagtenakte; Dr. K.-H./Dr. G. vom 23.04.2012, Blatt 52 der Beklagtenakte) und führen auch im Hinblick auf die verbindlichen Vorgaben der VG unter B Nr. 10.1 VG nicht zu einer Erhöhung dieses Einzel-GdB, zumal diese im Oktober 2012 operiert wurden (Blatt 74/75 der SG-Akte). Gleiches gilt für den Ikterus (Gelbsucht).

Das hepatorenale Syndrom, eine funktionelle, progrediente und irreversible Abnahme der Nierenfunktion, ist im Funktionssystem (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG) der Harnorgane (B Nr. 12.1.3) zu berücksichtigen. Zwar wurde beim Kläger ein Serumkeratininwert von 1,4 mg/dl gemessen (vgl. Blatt 53 der Beklagtenakte), auch ergeben sich aus dem Rehabericht Bad Mergentheim vom 09.09.2011 ein mäßiger Allgemeinzustand bei reduziertem Ernährungszustand, jedoch noch bestehender Leistungsfähigkeit für leichte körperliche Tätigkeiten, jedoch konnte Prof. Dr. M. in seinem Bericht vom 03.05.2012 (Blatt 25/27 der SG-Akte, einen guten Allgemeinzustand beschreiben, sodass der Einzel-GdB insoweit jedoch mit maximal 30 zu bewerten war (B Nr. 12.1.3 VG); insoweit ist zu beachten, dass sich diese Funktionsbehinderungen neben den bereits aus der Leberzirrhose stammenden Beeinträchtigungen nicht verstärkend auswirken, sondern sich überlagern.

Soweit eine hepatische Enzephalopathie besteht, ist diese im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG) zu berücksichtigen. Jedoch sind insoweit weder (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG) konkrete funktionelle Auswirkungen objektiviert, noch sind Anfälle oder ein Anfallsleiden nachvollziehbar. Alleine, dass Dr. G. (Blatt 58 der Beklagtenakte) ein solches angibt, bedeutet ohne weitere Befunde nicht, dass eine solche Funktionsstörung der GdB-Bewertung zugrunde zu legen wäre; hirnorganische Anfälle hat Dr. Z. (Blatt 47 der SG-Akte) ausdrücklich verneint. Ein Anfallsleiden konnte der Senat bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt (05.05.2012) daher nicht feststellen. Die angegebene Polyneuropathie findet sich in keinem der vorgelegten Arztberichte objektiviert wieder, auch ergeben sich aus den vorliegenden Berichten keine Befunde, die bezogen auf den 05.05.2012 auf eines solche Polyneuropathie schließen lassen. Dagegen ist die Alkoholkrankheit (vgl. zu Abhängigkeitserkrankungen B Nr. 3.8 VG) vom Beklagten zutreffend mit einem Teil-GdB von 30 bewertet worden. Deshalb kann der Einzel-GdB in diesem Funktionssystem lediglich mit angenommen werden.

Im Funktionssystem der Beine (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG) sind die Funktionsbehinderungen am rechten Knie und dem Fuß zu berücksichtigen. Jedoch hatte Dr. M. im Juli 2013 (Blatt 77/78 der SG-Akte) eine schmerzbehaftete Kniebeweglichkeit beider Knie von 0-0-120o festgestellt. Daraus lässt sich aber auch ein GdB von 10 nicht ableiten (vgl. B Nr. 18.14 VG). Zwar sind Knorpelschäden am rechten Knie beschrieben, doch hat Dr. M. im Juli 2012, damit im unmittelbaren Zusammenhang mit dem maßgeblichen Zeitpunkt im Mai 2012, keine anhaltenden Reizerscheinungen dokumentiert (Blatt 77/78 der SG-Akte), weshalb die Annahme eines GdB von 15 bis 20 ab Nachweis der Kniesymptomatik 09/2012 durch den Versorgungsarzt Dr. K. (Blatt 84 /85 der SG-Akte) jedenfalls keinen Rückschluss auf den vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt zulässt. Im Übrigen liegen weder eine Versteifung eines oder beider Kniegelenke, eine Lockerung des Kniebandapparates, ein Kniescheibenbruch noch habituelle Kniescheibenverrenkungen vor. Ein Teil-GdB konnte daher für die Kniebeschwerden – bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt 05.05.2012 – nicht angenommen werden. Der Morbus Ledderhose, der vom Kläger beschriebene, mehrfach operierte, gutartige Tumor am Bindegewebe der Fußsohle, bedingt ebenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt keinen höheren GdB. Denn aus dem Bericht des Klinikums Ludwigsburg vom 12.09.2012 (Blatt 74/75 der SG-Akte) ergibt sich lediglich ein Zustand nach Morbus Ledderhose. Auch aus dem Rehabericht vom 09.09.2011 aus Bad Mergentheim (Blatt 10/18 der Beklagtenakte) ergeben sich keine Anhaltspunkte für aktuell bestehende funktionelle Einschränkungen – worauf auch das dort angegebene Hobby des Kegelns, das gerade eine im Wesentlichen uneingeschränkte Funktionalität der Füße erfordert, hindeutet. Soweit daher Dr. G. am 17.10.2012 von Beschwerden schreibt (Blatt 58 der Beklagtenakte), sind diese nicht objektivierbar. Ein Einzel-GdB konnte daher zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht festgestellt werden.

Die Funktionsbehinderungen im Funktionssystem des Rumpfes (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG), wozu der Senat auch die Wirbelsäule einschließlich der Halswirbelsäule, zählt sind mit einem Einzel-GdB von 10 ausreichend bewertet. Denn aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen konnte sich der Senat auf der Grundlage der Berichte von Dr. M. und Dr. G. (vgl. Bericht Dr. Meyer vom 13.07.2012, Blatt 77/78 der SG-Akte = Blatt 57 der Beklagtenakte; Dr. Gulden, Blatt 58 der Beklagtenakte) bezüglich des maßgeblichen Zeitpunktes lediglich von rezidivierenden Lumbalsyndromen sowie einer leichten Spondylolisthese L5/S1 überzeugen. Soweit Dr. M. im Bericht vom 13.07.2012 - und von ihm die Angaben des Klägers übernehmend Dr. G. - häufig rezidivierende Lumbalsyndrome dargestellt hatte, beruhte dies allein auf den anamnestischen Angaben des Klägers bei einer einmaligen Untersuchung am 04.07.2012. Dr. M. und Dr. G. haben dann auch in ihren jeweiligen Ausführungen gegenüber dem SG weder entsprechende Diagnosen noch entsprechende Befunde bzw. Beeinträchtigung beim Kläger beschreiben können; beide Ärzte haben insoweit gerade keine die Wirbelsäule betreffenden Befunde und Erkrankungen mehr dargestellt. Auch der Rehabericht B. M. vom 09.09.2011 berichtet (Blatt 15 der Beklagtenakte) über eine Wirbelsäule ohne Befund. Auf dieser Grundlage konnte der Senat mit Dr. K. (Blatt 84/85 der SG-Akte) lediglich von geringen funktionellen Auswirkungen und daher einem Einzel-GdB von 10 ausgehen.

Weitere GdB-relevante Erkrankungen und Funktionseinschränkungen, die einen Teil-GdB von wenigstens 10 bedingen, liegen nicht vor. Der Sachverhalt ist geklärt, weitere Ermittlungen waren von Amts wegen nicht durchzuführen.

Nach Überzeugung des Senats ist unter integrierender Bewertung der Funktionsbehinderungen und unter Beachtung ihrer gegenseitigen Auswirkungen die Feststellung des Gesamt-GdB von 80, gebildet aus Teil-GdB-Werten von - 70 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems der Verdauungsorgane (Leberzirrhose), - 30 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems der Harnorgane, - 30 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems des Gehirns einschließlich der Psyche (Alkoholkrankheit), - 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems des Rumpfes - wobei Teil-GdB-Werte von 10 regemäßig nicht erhöhend wirken -, zutreffend. Insoweit schließt sich der Senat der Bewertung durch das SG und dessen zutreffenden Ausführungen an. Dabei war zu berücksichtigen, dass sich die Funktionsbehinderungen in den Funktionssystemen der Verdauung, der Harnorgane und des Gehirns einschließlich der Psyche wesentlich überlagern und gerade nicht verstärken. Denn insoweit entstehen im Vergleich zu den bereits mit dem Einzel-GdB von 70 abgegoltenen Teilhabebeeinträchtigungen keine wesentlichen, gravierenden zusätzlichen Teilhabebeeinträchtigungen. Damit konnte der Senat lediglich einen Gesamt-GdB von 80 annehmen. Der Bescheid vom 02.05.2012 war insoweit nicht rechtswidrig, die Aufhebungsvoraussetzungen des § 44 Abs. 2 SGB X liegen daher nicht vor.

2. Der Bescheid von 02.05.2012 hat zutreffend die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" abgelehnt.

Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist vorliegend § 69 Abs. 4 SGB IX i.V.m. §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 02.12.2006 (BGBl. I Seite 2742). Danach ist das Merkzeichen "aG" festzustellen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist.

Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvor-schrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, be-richtigt S. 5206) ), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVwV vom 10.04.2006 (BAnz S. 2968). Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlichen Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen - Querschnittsgelähmte, - Doppeloberschenkelamputierte, - Doppelunterschenkelamputierte, - Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind.

Dass zum 15.01.2015 mit §§ 70 Abs. 2, 159 Abs. 7 SGB IX eine entsprechende Rechtsgrundlage geschaffen wurde, kann den Zeitraum seit 15.01.2015 betreffen; eine rückwirkende In-Kraft-Setzung der Rechtsgrundlage bezogen auf den vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt besteht nicht (dazu vgl. auch Senatsurteil vom 22.05.2015 – L 8 SB 70/13).

Der Kläger gehört nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten. Er ist weder querschnittsgelähmt noch doppeloberschenkelamputiert, doppelunterschenkelamputiert oder hüftexartikuliert. Er war auch nicht diesem Personenkreis gleichzustellen, was insbesondere Dr. Z. und Dr. M. bestätigt haben. Auch insoweit konnte der trotz der von Dr. G. dargestellten Beschwerden wegen des Morbus Ledderhose eine relevante Gehbeeinträchtigung nicht feststellen. Aus keinen der medizinischen Befunde, Berichte und auch nicht aus dem Vortrag des Klägers lässt sich objektivierbar ableiten, dass der Kläger nicht mehr in der Lage gewesen wäre, sich ohne fremde Hilfe und nur noch mit großer Anstrengung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an aus eigener Kraft fortzubewegen. Hiergegen spricht insbesondere auch, dass der Kläger noch in der Rehabilitation in B. M. Kegeln, mithin eine gemeinhin mit forciertem Einsatz der Füße auszuübende Sportart, als Hobby angegeben hatte.

Auf dieser Grundlage ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger nicht im Sinne der dargestellten Rechtsgrundlagen außergewöhnlich gehbehindert ist, weshalb Merkzeichen "aG" nicht festzustellen war. Der Bescheid vom 02.05.2012 war insoweit nicht rechtswidrig, die Aufhebungsvoraussetzungen des § 44 Abs. 2 SGB X liegen daher nicht vor.

3. Der Bescheid von 02.05.2012 hat zutreffend auch die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "G" abgelehnt.

Gemäß § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Die AHP besaßen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhten. Sie waren vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirkten, und deshalb normähnliche Auswirkungen hatten. Auch waren sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3-3870 a.a.O.).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB.

Allerdings konnte sich der Beklagte bezogen auf den hier maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (05.05.2012) hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs "G" nicht auf die VG berufen. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthalten weder § 30 Abs. 17 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich "G" sind damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de). Rechtsgrundlage sind daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen.

Dass zum 15.01.2015 mit §§ 70 Abs. 2, 159 Abs. 7 SGB IX eine entsprechende Rechtsgrundlage geschaffen wurde, kann den Zeitraum seit 15.01.2015 betreffen; eine rückwirkende In-Kraft-Setzung der Rechtsgrundlage bezogen auf den vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt besteht nicht (dazu vgl. auch Senatsurteil vom 22.05.2015 - L 8 SB 70/13).

In der Sache konnte der Senat trotz der von Dr. G. dargestellten Beschwerden wegen des Morbus Ledderhose eine relevante Gehbeeinträchtigung nicht feststellen. So hatte Dr. Z. gerade ausgeführt, der Kläger sei in der Lage, Wegstrecken von 2 km zu Fuß zu gehen (Blatt 47 der SG-Akte); innere oder orthopädische Leiden sowie entsprechende Beeinträchtigungen der unteren Extremitäten lägen nicht vor. Gleiches hat Dr. M. (Blatt 67/68 der SG-Akte) ausgeführt; auch der Rehabericht vom 09.09.2011 aus der Rehaklinik Bad Mergentheim hat keine wegstrecken-relevanten Beeinträchtigungen dargelegt. Auf dieser Grundlage ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger nicht im Sinne der dargestellten Rechtsgrundlagen gehbehindert ist, weshalb Merkzeichen "G" nicht festzustellen war. Der Bescheid vom 02.05.2012 war insoweit nicht rechtswidrig, die Aufhebungsvoraussetzungen des § 44 Abs. 2 SGB X liegen daher nicht vor.

4. War der Bescheid vom 02.05.2012 weder vollständig noch teilweise rechtswidrig, so liegen die Voraussetzungen gemäß § 44 Abs. 2 SGB X nicht vor. Das LRA und der Beklagte durften das Begehren des Klägers auf Aufhebung des Bescheids vom 02.05.2012 ablehnen, ohne dass der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wird.

Die Berufung war zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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