L 5 R 2166/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 271/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2166/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 04.03.2013 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1961 geborene Kläger hat den Beruf des Elektroinstallateurs erlernt. Bis März 2001 übte er versicherungspflichtige Beschäftigungen (unterschiedlicher Art) aus. Im April 2001 war der Kläger geringfügig (nicht versicherungspflichtig) beschäftigt. Danach war er (bis 2009) als Elektroinstallateur selbstständig erwerbstätig. Seit Januar 2005 ist ihm die Schwerbehinderteneigenschaft mit einem GdB von 60 zuerkannt.

Im Versicherungsverlauf des Klägers sind (ab 1992) Pflichtbeitragszeiten vom 01.01.1992 bis 31.03.1995 und vom 01.08.1995 bis 31.08.1995 gespeichert. Vom 10.03.1999 bis 31.03.1999 ist Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug und vom 01.04.1999 bis 31.03.2001 sind wiederum Pflichtbeitragszeiten gespeichert. Danach hat der Kläger Pflichtbeitragszeiten (erst) wieder ab 01.10.2009 zurückgelegt.

Am 25.08.2008 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Zuvor hatte er vom 22.04.2008 bis 13.05.2008 eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in der B.-Klinik, Bad K., absolviert. Im Entlassungsbericht vom 15.05.2008 sind die Diagnosen Morbus Crohn, ED 86, Ileozökalresektion 88, Strikturoplastik bei Stenosa neoterm. Ileum 10/07, post OP Schub, seit der Strikturoplastik anhaltende Bauchschmerzen und Muskelkrämpfe, Crohn-assoziiert, Vitamin-B-12-Mangel, Nikotinabhängigkeit und pseudoradikuläres, chronisch-rezidivierendes HWS-Syndrom festgehalten. Der Kläger könne als selbstständiger Elektroinstallateur 6 Stunden täglich und mehr arbeiten und in gleichem Umfang mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) verrichten; eine Toilette müsse in der Nähe erreichbar sein.

Die Beklagte erhob das Gutachten des Internisten und Sozialmediziners Dr. C. vom 24.11.2008. Dieser diagnostizierte einen Morbus Crohn des terminalen Ileum mit anhaltender entzündlicher Aktivität, Crohn-Arthritis, Untergewicht und eine Vitamin-B-12-Resorptionsstörung. Die Morbus-Crohn-Erkrankung sei seit 1986 bekannt. In den neunziger Jahren und bis 2006 habe die Erkrankung einen relativ blanden Verlauf genommen. Im Jahr 2007 seien zunehmend Beschwerden durch eine schon länger bekannte Anastomosenstenose aufgetreten, was im Oktober 2007 zu einer Strikturenplastik und zur Operation einer enterokolischen Fistel geführt habe. Seitdem leide der Kläger unter anhaltenden Beschwerden im Sinne von Bauchkrämpfen, Durchfällen und blutigen Stuhlentleerungen; außerdem habe sich neuerdings eine Crohn-Arthritis manifestiert. Seit Oktober 2007 sei der Kläger ununterbrochen krankgeschrieben. Auf der Basis der aktuellen Befunde wie des dokumentierten Krankheitsverlaufs sei die Leistungsfähigkeit des Klägers seit Oktober 2007 auf unter 3 Stunden täglich abgesunken. Der Verlauf des Morbus Crohn sei oft sehr wechselhaft, so dass vorerst von einer zeitlich befristeten Leistungsminderung bis Oktober 2009 ausgegangen werde. Für eine (ggf. aus versicherungsrechtlichen Gründen notwendige) Rückdatierung des Leistungsfalles auf das Jahr 1983 gebe es keinerlei medizinischen Beleg.

Mit Bescheid vom 27.11.2008 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rentengewährung seien nicht erfüllt. In den letzten fünf Jahren vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung (Zeitraum 01.10.2002 bis 09.07.2007) habe der Kläger keine mit Beiträgen belegten Zeiten zurückgelegt.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, wegen der schweren chronischen Morbus-Crohn-Erkrankung sei er schon seit langer Zeit erwerbsgemindert. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rentengewährung seien zum 01.05.1997 erfüllt. Nach Maßgabe des bisherigen Krankheitsverlaufs liege es nahe, dass Erwerbsminderung bereits zu diesem Zeitpunkt vorgelegen habe. So sei schon 1988 eine Operation mit Entfernung erkrankter Darmabschnitte nach einem Darmdurchbruch notwendig geworden mit langwierigen Nachwirkungen. Außerdem sei es infolge der OP-Vernarbung zu einer Stenose gekommen, die nach langjähriger Krankheitsgeschichte schließlich im Jahr 2007 habe operiert werden müssen. Da er nicht mehr in der Lage gewesen sei, einer regulären Erwerbstätigkeit nachzugehen, habe er ab 1995 geringfügige Beschäftigungen bzw. zwischen 1999 und 2001 geringfügige selbstständige Erwerbstätigkeiten ausgeübt.

Die Beklagte holte die ergänzende Stellungnahme des Dr. C. vom 01.12.2009 ein. Darin ist (zu vorliegenden Arztunterlagen) ausgeführt, in einem Attest der Dr. R.-K. (Internistin und Hausärztin des Klägers) vom 09.03.2009 heiße es, der Kläger werde seit 2002 ständig behandelt. Ein bis zweimal im Jahr sei es zu akuten Schüben des Morbus Crohn mit Beschwerden gekommen, die Arbeitsunfähigkeit begründet hätten. Weitere Schreiben der Dr. R.-K. vom 23.03.1999 und 21.06.1999 (an das Versorgungsamt F.) bescheinigten die bekannte chronische Darmerkrankung mit häufigen Durchfällen, die sich durch Medikation besserten und eine Dauermedikation erforderlich machten. Schließlich gebe es einen Befundschein aus der Zeit vom 01.01.1997 bis 07.02.1997 (offenbar für das Versorgungsamt) der im Wesentlichen die bekannten Beschwerden beschreibe. Diese Unterlagen genügten nicht, um ein durchgehend auf unter 3 Stunden täglich abgesunkenes Leistungsvermögen für leichte Arbeiten im Zeitraum Mai 1997 bis Oktober 2007 zu belegen. Eine Begutachtung im Jahr 2009 könne über den Gesundheitszustand des Klägers zwischen 1997 und 2007 keine Aussagen treffen. Die Rückdatierung des Leistungsfalls um über 10 Jahre sei daher nur durch medizinische Befunde aus dem infrage kommenden Zeitraum zu belegen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, beim Kläger liege eine zeitlich begrenzte volle Erwerbsminderung seit 10.10.2007 bis voraussichtlich 31.10.2009 vor. Ein früherer Leistungsfall könne nicht angenommen werden. Die allgemeine Wartezeit sei zum 25.08.2008 erfüllt. Im für die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rentengewährung maßgeblichen Zeitraum vom 25.08.2003 bis 24.08.2008 könne der Kläger keine Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen aufweisen. Der Zeitraum vom 01.01.1984 bis 31.07.2008 sei nicht durchgehend mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rentengewährung wären nur erfüllt, wenn der Leistungsfall (Erwerbsminderung) spätestens am 31.05.1997 eingetreten wäre. Dies sei nicht nachgewiesen. Hierfür trage der Kläger die objektive Beweislast.

Am 15.01.2010 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Freiburg. Er trug vor, Erwerbsminderung habe mindestens seit Mai 1997 vorgelegen. Dafür spreche der Krankheitsverlauf mit häufigen Krankheitsschüben unterschiedlicher Intensität. Die Krankheitsschübe habe er mit Hilfe seiner Hausärztin ohne Klinikaufenthalt zu überstehen versucht. Eine Cortisontherapie sei wegen Steroidabhängigkeit bald nicht mehr möglich gewesen. Teilweise habe er vollständige Nahrungskarenz einhalten müssen. Eine Umschulung zum Feinmechaniker habe er krankheitsbedingt nicht beenden können. Ab 1995 habe er eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt, weil dabei auf die Krankheitsschübe habe Rücksicht genommen werden können. Ab 01.09.1991 sei ein GdB von 60 festgestellt. Das sei nach den einschlägigen Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht bei Morbus Crohn nur mit schwerer Auswirkung möglich (anhaltende oder häufig rezidivierende erhebliche Beschwerden, erhebliche Beeinträchtigungen des Kräfte- und Ernährungszustands, häufige, tägliche, auch nächtliche Durchfälle). Schließlich leide er seit 1984 auch unter arthritischen Hüftbeschwerden als Folge des Morbus Crohn. Arbeitsunfähigkeit und Krankengeldbezug hätten vom 09.12.1985 bis 07.06.1987 und vom 05.11.1991 bis 31.12.1991 vorgelegen. In einem MDK-Gutachten vom 20.12.1991 sei die Gefährdung der Erwerbsfähigkeit (auf längere Zeit) festgestellt worden.

Die Beklagte trug vor, abgesehen vom März 1992 habe der Kläger bis Anfang 2008 weder weitere Rehabilitationsmaßnahmen beantragt noch einen Rentenantrag gestellt. Deswegen sei zu vermuten, dass der Leidensdruck während dieser Zeit nicht besonders ausgeprägt gewesen sei.

Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte (zum Zeitraum 01.01.1996 bis 31.12.2007) und erhob Gutachten (mit ergänzenden Stellungnahmen). Die Beklagte legte hierzu jeweils beratungsärztliche Stellungnahmen vor.

Der Internist und Gastroenterologe Dr. Sch. (Oberarzt am Universitätsklinikum F.) teilte unter dem 13.07.2010 mit, er habe den Kläger im Zeitraum 01.01.1996 bis 31.12.2007 nicht behandelt.

Dr. R.-K. führte im Bericht vom 30.07.2010 aus, sie betreue den Kläger seit 01.01.1997 als Hausärztin. Der Kläger habe über ständige Durchfälle sowie über immer wieder auftretende Schmerzen (u.a.) im HWS-Bereich und im LWS-Bereich geklagt. Außerdem bestehe eine Arthritis der Hüften, der Knie, des Sprunggelenks und der HWS. Der Gesundheitszustand des Klägers sei sehr wechselhaft. Es gebe Phasen, in denen er halbtags (4 Stunden täglich) arbeiten könne. Eine sechsstündige Erwerbstätigkeit sei jedoch meistens nicht möglich. Im Hinblick auf die Aufbewahrungsfrist von 10 Jahren seien Befunde vor dem Jahr 2000 nicht mehr verfügbar.

Die Praxisvorgängerin der Dr. R.-K., Dr. St., führte unter dem 31.01.2012 aus, mangels noch vorhandener Unterlagen könne sie über den Kläger, an den sie sich gut erinnere, nur aus dem Gedächtnis berichten. Seit der Operation des Darmdurchbruchs mit nachfolgender entzündlicher Verengung der Anastomose sei der Kläger wegen Bauchkoliken, Durchfällen und Gewichtsverlust sehr geschwächt und häufig krankgeschrieben gewesen. Eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit von bis zu 6 Stunden täglich sei aufgrund allgemeiner Schwäche, aus Krankheitsgefühl und wegen immer wieder auftretender Bettlägerigkeit nicht möglich gewesen. Da der Kläger die seinerzeit verfügbaren Medikamente nicht vertragen habe, habe man eine Behandlung mit Diät, Bettruhe und Bauchwickeln versucht. Beginnend in den achtziger Jahren, vermehrt in den neunziger Jahren, hätten sich Schmerzen im Bereich des Rückens, der großen Gelenke und der Muskulatur gezeigt. Sie dürften Zeichen eines entzündlichen Geschehens als Folge des Morbus Crohn gewesen sein und hätten die Erwerbsfähigkeit des Klägers deutlich eingeschränkt.

Im (vom Kläger vorgelegten) MDK-Gutachten vom 20.12.1991 ist ausgeführt, die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei auf längere Zeit gefährdet. Es werde die Durchführung eines Heilverfahrens empfohlen.

Das vom MDK empfohlene Heilverfahren fand vom 25.03.1992 bis 22.04.1992 in der Reha-Klinik K., M.-M., statt. Im Entlassungsbericht vom 20.05.1992 ist als Hauptleiden der Morbus Crohn mit Zustand nach Ileocoecalresektion angegeben. Der Kläger werde in gutem Allgemeinzustand als arbeitsfähig mit 4 Schontagen entlassen. Derzeit bestehe ein relativ guter Zustand. Eine weitere Prognose hinsichtlich des Morbus Crohn sei nicht möglich. Die im September 1991 aus gesundheitlichen Gründen abgebrochene Umschulung zum Feinmechaniker solle wieder aufgenommen werden.

Das Sozialgericht erhob zunächst das Gutachten des Prof. Dr. A. (Direktor der Medizinischen Klinik des Evangelischen Diakoniekrankenhauses F.) vom 10.11.2011 (mit ergänzenden Stellungnahmen vom 03.05.2012 und 03.08.2012). Der Gutachter hielt Diagnosen - u.a. Morbus Crohn, ED 1985 - fest und führte aus, derzeit komme es beim Kläger wegen des Morbus Crohn zu ca. 5 Stühlen am Tag (selten nachts) ohne Blutbeimengungen. Zusätzlich bestünden anhaltende Hüft- und Rückenbeschwerden und rezidivierende, vermutlich am ehesten haltungsbedingte Kopfschmerzen. Der Kläger habe bei ordentlichem Allgemeinzustand und normalem Ernährungszustand wenig beeinträchtigt gewirkt. Im Hinblick auf die Morbus-Crohn-Erkrankung sei eine regelmäßige täglich sechsstündige Erwerbstätigkeit (unter qualitativen Einschränkungen) möglich. Sanitäre Anlagen sollten rasch erreichbar sein. Nach Aktenlage und im Hinblick auf die Anamnese zur Krankengeschichte sei bereits 1986 Arbeitsunfähigkeit durch Morbus Crohn und Untergewicht attestiert und eine deutliche Besserung infrage gestellt worden. Der MDK habe die Erwerbsfähigkeit des Klägers 1991 als gefährdet eingestuft. Diese Einschätzung habe sich in weiteren Gutachten, zuletzt im April 2011, wiederholt. Lege man diese Gutachten und die Anamnese des Klägers zu Grunde (Arztberichte aus der frühen Krankheitsphase fehlten), habe zumindest seit 1986 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorgelegen, die sich auch 1988 nach der ersten Operation mit anschließendem Kurzdarmsyndrom sicherlich nicht verbessert, sondern eher weiter verschlechtert habe. Erst 1989 habe die Therapie der cologenen Diarrhoen begonnen und es sei eine gewisse Besserung eingetreten. Das Körpergewicht sei seinerzeit langsam angestiegen, allerdings immer wieder unterbrochen durch akute Schübe der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung. Erschwerend seien progrediente Gelenkschmerzen, im Nachhinein als extraintestinale Manifestation des Morbus Crohn eingestuft, hinzugekommen. Zusammenfassend bestehe die festgestellte Einschränkung der Erwerbsfähigkeit seit Anfang 1986. Eine weitere Besserung in nächster Zukunft sei nicht wahrscheinlich.

Die Beklagte legte die beratungsärztliche Stellungnahme des Sozialmediziners Dr. H. vom 02.03.2012 vor. Darin ist ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass mindestens bis Ende Mai 1997 immer wieder Zeiten der Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hätten. Der Kläger habe nach Morbus-Crohn-Schüben immer wieder neu angefangen zu arbeiten. Aufgrund der sehr spärlichen medizinischen Informationen aus der Zeit bis 1997 sei von einer dauereingeschränkten Leistungsfähigkeit eher nicht auszugehen. Gegenüber der Situation im Jahr 1997 habe sich die derzeitige gesundheitliche Lage gebessert bzw. stabilisiert.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.05.2012 führte Prof. Dr. A. aus, im Hinblick auf die Morbus-Crohn-Erkrankung mit breiigen bis festen, ca. fünfmal täglich auftretenden Stühlen, sei eine Wegstrecke von ca. 45 Minuten zumutbar. Etwaige weitere Leistungseinschränkungen durch die extraintestinale Manifestation des Morbus Crohn müssten ggf. orthopädisch geklärt werden. Die in seinem Gutachten vom 10.11.2011 festgestellte Einschränkung der Erwerbsfähigkeit liege seit 1982 vor.

Das Sozialgericht erhob sodann das Gutachten des Orthopäden Dr. B. vom 20.06.2012. Dieser diagnostizierte ein akutes Nacken-Schulter-Syndrom rechts, nach Anamnese und Befund V.a. chronische Sakroiliitis links, mäßige Funktionseinschränkung der linken Sprunggelenke mit Kraftminderung der Plantarflexion und leichter Muskelminderung des linken Beins sowie leichte Varusabweichung der Beinachsen und Hohl-Sichelfuß, links mehr als rechts. Außer der chronischen Sakroiliitis links seien keine extraintestinalen Manifestationen des Morbus Crohn erkennbar. Die Gelenke der oberen und unteren Extremitäten seien (abgesehen von einer in jüngerer Zeit aufgetretenen Achillessehnenruptur) frei von entzündlichen Erscheinungen, nicht deformiert und auch frei beweglich. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Er sei auch wegefähig.

In der (weiteren) ergänzenden Stellungnahme vom 03.08.2012 führte Prof. Dr. A. aus, unstreitig liege beim Kläger ein anfänglich sehr schwerer fistulierender/steosierender Morbus Crohn vor, der multiple operative Eingriffe erforderlich gemacht, jedoch nach der letzten operativen Therapie 2007 eher einen stabilen Verlauf mit nur mäßiger Aktivität genommen habe. Zunehmend sei es zu vermehrten Beschwerden durch die extraintestinale Manifestation des Morbus Crohn gekommen. Therapeutisch sei in der Anfangszeit die einzig mögliche therapeutische Option durch Steroide gegeben gewesen. Im Verlauf habe sich eine Steroid-Abhängigkeit des Morbus Crohn gezeigt. Spätere, die Therapie ergänzende bzw. eine Remission erhaltende Therapien hätten aufgrund von Unverträglichkeiten und Nebenwirkungen nicht erfolgen können. In den vorliegenden Unterlagen seien keine eindeutig der dauerhaften Steroid-Therapie zuzuordnenden Begleiterscheinungen ersichtlich, die zu einer weiteren gesundheitlichen Einschränkung führen würden. Psychische Nebenwirkungen unter Cortisonmedikation und Gelenkschmerzen könnten nicht belegt werden. Soweit sich aus der bekannten Aktenlage, Anamnese, Krankengeschichte und den Befundberichten herleiten lasse, sei eine zumindest intermittierend seit 1984 bestehende Minderung der Erwerbsfähigkeit mit einer Reduzierung des Leistungsvermögens auf unter 3 Stunden täglich anzunehmen. Erst nach mehrfachen Operationen und Therapien des Kurzdarmsyndroms habe sich seit 2007 eine Stabilisierung des bis dahin schweren Krankheitsverlaufs gezeigt mit jedoch weiterhin bestehenden rezidivierenden Krankheitsschüben und in den Vordergrund tretenden Beschwerden, bedingt durch die extraintstinale Manifestation des Morbus Crohn.

Am 09.11.2012 hat der Kläger erneut einen Rentenantrag gestellt, über den (im Hinblick auf das anhängige Klageverfahren) nicht entschieden worden ist. Hierzu hat die Beklagte (mit Schriftsatz vom 11.09.2013 im Berufungsverfahren) vorgetragen, bei Stellung dieses Antrags wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rentengewährung erfüllt (im Zeitraum vom 09.11.2007 bis 08.11.2012 38 mit Pflichtbeiträgen belegte Monate). Allerdings sei der Leistungsfall bereits am 10.10.2007 eingetreten, weshalb die nach diesem Zeitpunkt vorhandenen Pflichtbeiträge nicht berücksichtigt werden könnten. Es sei auch nicht nachgewiesen, dass der Kläger zwischenzeitlich wieder erwerbsfähig geworden und danach erneut Erwerbsminderung eingetreten wäre.

Das Sozialgericht erhob sodann das Gutachten des Internisten und Rheumatologen Dr. A. vom 08.10.2012 (mit ergänzender Stellungnahme vom 04.02.2013). Dr. A. führte in seinem Gutachten aus, der Kläger könne einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen. Das Leistungsvermögen sei auf unter 3 Stunden täglich abgesunken.

Mit Urteil vom 04.03.2013 verurteilte das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27.11.2008 und des Widerspruchsbescheids vom 15.12.2009, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.08.2008 bis 31.07.2014 zu gewähren. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, der Kläger könne mindestens seit 31.05.1997 (vor allem) wegen der Folgen seiner Morbus-Crohn-Erkrankung leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht mehr 6 Stunden täglich verrichten. Das gehe aus dem Gutachten des Prof. Dr. A. und den Berichten der Dres. St. und R.-K., den Angaben des Klägers sowie aus dem persönlichen Eindruck vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 04.03.2013 hervor. Prof. Dr. A. habe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers bereits seit 1996 bzw. 1986 angenommen. Nach der ersten Operation 1988 mit anschließendem Kurzdarmsyndrom habe sich eine Besserung nicht eingestellt. Vielmehr sei es zu weiteren Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit gekommen. Eine gewisse Besserung sei erst 1989 mit Beginn der Therapie der cologenen Diarrhoen eingetreten. Allerdings sei das Leistungsvermögen des Klägers seit 2008 durch eine Iliosakralgelenksarthritis eingeschränkt. Die Festlegung des Leistungsfalls auf (spätestens) 31.05.1997 werde auf die Berichte der Dres. St. und R.-K. gestützt. Nach der glaubhaften Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 04.03.2013 sei sein Gesundheitszustand sehr wechselhaft. So habe der Kläger von einem starken Gewichtsverlust in den achtziger Jahren berichtet. Deswegen habe er eine Berufstätigkeit (im Kundendienst für gastronomische Betriebe) aufgeben müssen, weil er nicht mehr habe zuverlässig arbeiten können. Aus den Angaben des Klägers gehe hervor, dass er die selbstständige Erwerbstätigkeit als Elektromonteur letztendlich auf Kosten der Restgesundheit ausgeübt habe. Bei Annahme eines Leistungsfalls zum 31.05.1997 seien auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rentengewährung erfüllt. Dem Kläger stehe daher - für 6 Jahre - Erwerbsminderungsrente zu.

Auf das ihr am 30.04.2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21.05.2013 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, eine seit Mai 1997 durchgehend bestehende rentenberechtigende Leistungsminderung sei den vorliegenden Arztunterlagen und Gutachten nicht zu entnehmen. Unter dem 08.02.2010 habe der Kläger selbst dargelegt, von 1995 bis 2000 nach eingetretener Beruhigung des Morbus Crohn kein Cortison mehr eingenommen und die Krankheitsschübe (2 bis 3 im Jahr) u.a. durch Essenskarenz und Naturheilmittel behandelt zu haben.

Die Beklagte hat zur weiteren Begründung der Berufung die beratungsärztliche Stellungnahme des Internisten, Rheumatologen und Sozialmediziners Dr. L. vom 13.05.2013 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, aus sozialmedizinischer Sicht treffe die Festlegung des Leistungsfalls auf den 31.05.1997 nicht zu. Der große zeitliche Abstand von fast 16 Jahren mache eine Leistungsbeurteilung zu diesem Zeitpunkt praktisch unmöglich. Das gelte erst recht im Hinblick auf den sehr wechselhaften Gesundheitszustand des Klägers im zeitlichen Verlauf. Es sei nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die Leistungsminderung seit 31.05.1997 über längere Zeit, geschweige denn dauerhaft, bestanden habe. Selbst aus dem Jahr 2010 gebe es Befundbeschreibungen, aus denen eine nur relativ geringe Beeinträchtigung des Klägers hervorgehe. Im Gutachten des Prof. Dr. A. vom 10.11.2011 werde der Kläger ebenfalls als relativ wenig beeinträchtigt beschrieben und ein Leistungsvermögen von 6 Stunden täglich angenommen. Entsprechendes gelte für das orthopädische Gutachten des Dr. B. vom 20.06.2012. Insgesamt könne ein Leistungsfall im Mai 1997 ausreichend fundiert nicht festgestellt werden. Der persönliche Eindruck vom Kläger führe, insbesondere bei stark wechselnden Krankheitsausprägungen, nicht weiter.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 04.03.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Die von der Beklagten vorgelegte beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. L. dürfe im Berufungsverfahren nicht verwertet werden. Dem Beratungsarzt fehle außerdem der persönliche Eindruck. Er sei voll erwerbsgemindert. Aus seinem Lebenslauf, insbesondere der Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit, könnten Schlüsse auf seine berufliche Leistungsfähigkeit nicht gezogen werden. Wegen vieler Ausfallzeiten sei er nicht arbeitsfähig gewesen. Als selbstständig Erwerbstätiger habe er seine Arbeit der Erkrankung anpassen und insbesondere die Arbeitszeit frei einteilen können. Einen Rentenantrag habe er zunächst nicht gestellt, weil man ihm immer Hoffnung auf eine Genesung oder zumindest eine wesentliche Besserung seines Gesundheitszustands gemacht habe. Er leide an einer besonders schwer verlaufenden Form des Morbus Crohn.

Der Senat hat zunächst die ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. A. vom 04.07.2013 eingeholt. Darin ist ausgeführt, aus den vorliegenden (spärlichen) Unterlagen ergäben sich klare Hinweise, die eine Erwerbsminderung belegten, jedoch in seinem Gutachten nicht weiter quantifiziert würden. Soweit dokumentiert habe zwischen Dezember 1985 bis Juni 1987 für 78 Wochen ununterbrochen Arbeitsunfähigkeit bestanden; das gelte auch für die Zeit von September 1991 bis April 1992. Weiter lasse sich der dokumentierte BMI als Maß des seinerzeit sehr schweren Krankheitsverlaufs heranziehen; der BMI habe 1986 16,5 betragen und sei bis Februar 1997 nur auf 17,2 angestiegen. Das entspreche schwerem Untergewicht und erlaube Rückschlüsse auf eine sicherlich bestehende erhebliche Leistungsminderung. Zudem seien in den Anamneseerhebungen wiederholt neben häufigen Durchfällen bis zu 15-mal pro Tag auch häufige krampfartige abdominelle Schmerzen mit einer Dauer bis zu 3 Stunden dokumentiert. Weitere zusätzliche, die Erwerbsminderung belegende Unterlagen seien nicht mehr vorhanden. Dennoch lasse sich aus den wenigen dokumentierten Befunden, die die Selbsteinschätzung des Klägers bestätigten, eine klare Erwerbsminderung mit einer deutlichen, auf unter 6 Stunden täglich verminderten Arbeitszeit in den Jahren 1986 bis 1997 herauslesen. Die Festlegung genauer Zeiträume und des Ausmaßes der Erwerbsminderung sei nicht möglich.

Die Beklagte hat hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme des Sozialmediziners Dr. Sch. vom 14.08.2013 vorgelegt; diesem haben auch die (vom Senat beigezogenen) Schwerbehindertenakten des Landratsamts (Versorgungsamt) B.-H. vorgelegen.

Dr. Sch. hat ausgeführt, ein aus dem errechneten BMI angenommenes Untergewicht sei keineswegs mit einer generellen Minderung des quantitativen Leistungsvermögens auf unter vollschichtig oder gar weniger als 6 Stunden täglich gleichzusetzen. Das beim Kläger angenommene Untergewicht rechtfertige nur eine Reduktion der Arbeitsschwere, begründe aber keine generelle Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens auch für leichte Arbeiten. In diesem Sinne seien auch Befundberichte in der Schwerbehindertenakte ab 1992 zu interpretieren, wenn darin ausgeführt werde, der Kläger sei untergewichtig und deutlich in seiner Leistungsfähigkeit behindert. Das bedeute (nur), dass der Kläger aufgrund seiner Konstitution nicht in der Lage sei, körperliche Schwerarbeit zu leisten; er könne jedoch nicht generell als leistungsunfähig eingestuft werden. Von einer Leistungsunfähigkeit sei in den Befundscheinen der Schwerbehindertenakte nicht die Rede.

Im Rahmen einer akuten Krankheitsaktivität mit der Notwendigkeit operativer Eingriffe habe naturgemäß vorübergehend Arbeitsunfähigkeit bestanden. Das sei 1986 der Fall gewesen, als die Morbus-Crohn-Erkrankung im Rahmen eines ersten stationären Aufenthalts diagnostiziert worden und anfänglich hochdosiert mit Cortison behandelt worden sei. Gleiches gelte für das Jahr 1988 mit dem erneuten Auftreten eines entzündlichen Schubs; damals sei die Ileocoecalresektion durchgeführt worden. Eine Leistungsminderung für jegliche Tätigkeit sei in den Jahren 1991/1992 definitiv nicht festzustellen. Der MDK habe im Gutachten vom 20.12.1991 auch nur eine Gefährdung der Erwerbsfähigkeit des Klägers für längere Zeit festgestellt und deshalb die Durchführung eines Heilverfahrens empfohlen. Auch dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik K. vom 20.05.1992 könne ein generell abgesunkenes Leistungsvermögen nicht entnommen werden. Man habe den Kläger seinerzeit arbeitsfähig entlassen mit den damals üblichen 4 Tagen Schonfrist (trotz Untergewicht).

Aus den Berichten in der Schwerbehindertenakte könne klar belegt werden, dass zwischen 1992 und 1994 und 1997 bis 1999 keine relevante Änderung eingetreten sei. Es habe immer die Situation vorgelegen, dass der Kläger unter Medikation mit Quantalan nur wenige Stühle pro Tag (2 bis 3) gehabt habe und nicht wirklich durchfällig gewesen sei. Daneben hätten kürzere Zeiträume anhaltender Bauchbeschwerden bestanden. Zwischen 1999 und 2007 seien relevante medizinische Einschränkungen nicht mehr dokumentiert. Entsprechende Dokumentationen lägen erst wieder ab 2007 vor, und zwar relativ akut. Deswegen gebe es für einen Leistungsfall im Jahr 1997 keinerlei medizinische Evidenz. Aufgrund der qualitativen Einschränkungen, die auch 1992 festgestellt worden seien, habe der Kläger als Elektroinstallateur nicht mehr in voller Breite tätig sein können. Das gelte aufgrund der Gesamtdokumentation auch bereits für die Zeit ab der Erstdiagnose des Morbus Crohn 1986. Leichte bis mittelschwere Arbeiten (unter qualitativen Einschränkungen) bei gut erreichbarer Toilette seien aber vollschichtig zumutbar gewesen. Eine überdauernde Minderung des zeitlichen Leistungsvermögens auf weniger als vollschichtig, oder auf weniger als 6 Stunden täglich ab 1997 könne medizinisch nicht gerechtfertigt werden.

Der Senat hat sodann das Gutachten des Prof. Dr. St. (Ärztlicher Direktor der Abteilung Innere Medizin IV - Gastroenterologie, Infektionskrankheiten und Vergiftungen - der Universitätsklinik H.) vom 30.05.2014 (mit ergänzender Stellungnahme vom 12.11.2014) erhoben. Darin ist ausgeführt, bis zum 01.05.1997 habe beim Kläger (u.a.) ein Morbus Crohn (ED 1985) vorgelegen; dabei handele es sich um die führende Gesundheitsstörung. Die Krankheit stelle eine chronische Entzündung hauptsächlich des Darmes dar, wobei prinzipiell der gesamte Gastrointestinaltrakt befallen werden könne und extraintestinale Manifestationen (z.B. eine Arthritis) auftreten könnten, wie es auch im späteren Krankheitsverlauf des Klägers der Fall gewesen sei. Der natürliche Verlauf eines Morbus Crohn könne sehr verschieden ausfallen. Ein Teil der Patienten erleide lediglich einen einmaligen Schub und sei danach unter Medikation beschwerdefrei. Die meisten Patienten litten unter einem schubförmigen Verlauf, welcher gekennzeichnet sei durch wiederkehrende akute Krankheitsphasen mit zwischenzeitlichem Wohlbefinden. Ein nicht unerheblicher Teil der Patienten - zu denen auch der Kläger gehöre - leide aber an einer kontinuierlich aktiven Erkrankung, möglicherweise aggraviert durch Phasen noch weiter erhöhter Krankheitsaktivität; dieser Verlauf liege beim Kläger vor. Dies zeige sich dadurch, dass er sich einer Ileocoecalresektion habe unterziehen und außerdem fortgesetzt Cortikosteroide habe einnehmen müssen, die eigentlich nur im akuten Schub zur Anwendung kommen sollten und als Dauertherapie aufgrund der Nebenwirkungen lediglich die letzte Wahl darstellten. Die klassischen Symptome des Morbus Crohn, die auch beim Kläger vorgelegen hätten, seien u.a. dauerhafte oder kolikartige Bauchschmerzen, häufige Durchfälle auch mit imperativem Stuhldrang, Mangelernährung, allgemeines Krankheitsgefühl sowie Reduzierung des Allgemeinzustandes. Es sei davon auszugehen, dass sich diese Symptome deutlich auf die berufliche Leistungsfähigkeit des Klägers ausgewirkt hätten. Dieser habe lediglich leichte Tätigkeiten verrichten können. Außerdem hätte eine Toilette prompt verfügbar sein und es habe die Möglichkeit bestehen müssen, Arbeiten auch für längere Zeit unterbrechen zu können. Bei den oft unvorhersehbaren äußerst schmerzhaften Darmkrämpfen wäre zudem ein Ruheraum mit Liegemöglichkeit notwendig gewesen. Die noch möglichen Tätigkeiten hätte der Kläger nicht mehr vollschichtig ausführen können. Hinsichtlich besonderer Arbeitsbedingungen sei auf die prompte Verfügbarkeit einer Toilette, die Möglichkeit zu auch länger andauernder Arbeitsunterbrechung und die Notwendigkeit eines Ruheraums mit Liegemöglichkeit hinzuweisen. Der Kläger hätte zwar Wegstrecken von 500 Meter bewältigen können, allerdings wäre die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zur Hauptverkehrszeit nicht zu empfehlen gewesen. Prinzipiell sei die retrospektive Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers (zum 01.05.1997) nach über 17 Jahren enorm schwierig. Aufgrund des dargestellten komplizierten Krankheitsverlaufes beim Kläger sollten die genannten Leistungseinschränkungen aber als für länger als 6 Monate bestehend angesehen werden. Dies zeige sich durch die langen Phasen der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit von 1988 bis 1997, die mehrfachen Rehabilitationsmaßnahmen sowie die dokumentierte fortgesetzte Krankheitsaktivität mit der Notwendigkeit zur fortgesetzten Steroideinnahme und den Nachweis einer entzündlichen Verengung der Anastomose nach Ileocoacalresektion. Hier sei festzuhalten, dass Laborwerte die Entzündungsparameter Leukozytenanzahl und das C-reaktive Protein (CRP), welche als Indikator für die Krankheitsaktivität herangezogen werden könnten, durch die kontinuierliche Steroidtherapie falsch negativ sein könnten. Als Prädikator, dass die Krankheit keineswegs zum Stillstand gekommen sei, könnten die mannigfaltigen Crohn-assoziierten Komplikationen, welche nach 1997 aufgetreten seien, herangezogen werden. Diese träten in der Regel erst nach einem langjährig aktiven Verlauf der Erkrankung auf. Somit sei insgesamt der Auffassung des Prof. Dr. A. zu folgen. Die Ansicht des Dr. Sch., wonach der BMI nicht generell als Anhaltspunkt für eine Leistungseinschränkung angesehen werden könne, treffe zwar zu. Jedoch könne aus dem Fehlen von Krankheitsunterlagen von einem Zeitraum, der teilweise über 20 Jahre zurückliege, nicht auf das Fehlen einer Krankheitsaktivität geschlossen werden.

Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. Sch. vom 04.08.2014 vorgelegt und geltend gemacht, es sei nicht mit der notwendigen Sicherheit nachgewiesen, dass beim Kläger bereits zum 31.05.1997 eine rentenberechtigende (andauernde) Leistungsminderung vorgelegen habe.

Dr. Sch. hat ausgeführt, es sei zwar richtig, dass aus dem Fehlen von Unterlagen nicht auf das Fehlen der Krankheitsaktivität geschlossen werden könne. Andererseits sei eine entsprechende Krankheitsaktivität dann aber auch nicht nachzuweisen. Dass der Kläger sich im Jahr 1988 einer Ileocoacalresektion habe unterziehen müssen, besage nicht, dass vorab über lange Jahre ein kontinuierlich aktiver Verlauf vorgelegen habe. Daraus könne auch nicht geschlossen werden, dass ein solcher Verlauf nach der Ileocoacalresektion stattgefunden habe. Hierauf habe Prof. Dr. St. aber seine Leistungseinschätzung (für den maßgeblichen Zeitpunkt) gestützt. Es treffe auch nicht zu, dass der Kläger fortgesetzt habe Cortikosteroide einnehmen müssen. Aus den spärlichen medizinischen Unterlagen gehe das nicht hervor. Im sozialmedizinischen Gutachten von 1991 sei davon die Rede, nach der Ileocoacalresektion 1988 sei vorübergehend bis 1990 eine Steroidtherapie durchgeführt worden, während aktuell (12/1991) lediglich Quantalan - also kein Steroid - verordnet worden sei. Auch aus dem Reha-Entlassbericht von 1992 sei zu entnehmen, dass zu diesem Zeitpunkt keine Cortisonmedikation stattgefunden habe. Im weiteren Verlauf könne man den Befundscheinen in der Schwerbehindertenakte erst 1999 wieder entnehmen, dass phasenweise Cortison gegeben worden sei. Damit sei die Annahme des Prof. Dr. St. hinsichtlich der fortgesetzten Einnahme von Cortikoiden als Dauertherapie auch in der Zeit vor 1997 aber nicht belegt. Beim Kläger hätten über viele Jahre, wie aus den Befundscheinen der 90er Jahre ersichtlich sei, auch keine häufigen Durchfälle mit imperativem Stuhldrang, sondern unter der Quantalan-Medikation lediglich 2 bis 3 breiige Stuhlgänge pro Tag vorgelegen, also höchstens 2 während einer vollschichtigen Arbeitszeit; Prof. Dr. St. sei auch darauf nicht eingegangen. Zudem habe der Kläger selbst in seinem Lebenslauf angegeben, über weite Zeiten sogar nicht nur leichte Arbeiten verrichtet zu haben. So sei er zwischen 1988 und 02/1990 als Kundendienstmonteur tätig gewesen. Von 1999 bis 2001 habe er als Kurierdienstfahrer und von 2001 bis 2009 als selbstständiger Elektriker gearbeitet. Für 1995 bis 1999 werde noch eine Nebentätigkeit im Konzerthaus F. in der Bühnentechnik angegeben. Dabei handele es sich weder um durchweg körperlich leichte Tätigkeiten noch erfüllten sie die von Prof. Dr. St. postulierten qualitativen Einschränkungen. Auch wenn der Kläger die genannten Tätigkeiten nicht vollschichtig ausgeübt haben sollte, stellten sie erhebliche Indizien gegen die von Prof. Dr. St. angenommene Leistungsunfähigkeit dar. Das Vorliegen einer rentenberechtigenden Leistungseinschränkung über mehr als 6 Monate sei im Ergebnis nicht belegt. Dafür genügten auf konkrete Tätigkeiten bezogene Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht. Auch die Durchführung einer (einmaligen) Reha-Maßnahme 1992 besage hierfür nichts, zumal der Kläger aus der Behandlung arbeitsfähig (mit der seinerzeit üblichen Schonzeit von 4 Tagen) entlassen worden sei. Zwar sei 1991 eine entzündliche Verengung der Anastomose dargestellt worden. Diese sei aber nicht hochgradig gewesen und werde erst 2007 als filiform beschrieben. Auch aus der Tatsache, dass 2008 eine Sakroiliitis als dem Morbus Crohn zugeordnete Arthritis diagnostiziert worden sei, könne nicht geschlossen werden, dass irgendwelche Rückenbeschwerden 10 bis 15 Jahre zuvor Ausdruck einer Morbus-Crohn-Arthritis gewesen wären. Insgesamt habe der Gutachter die vorliegenden Unterlagen - etwa zur Cortison-Pflichtigkeit - nicht sorgfältig genug ausgewertet und hinsichtlich der für die Vergangenheit zu treffenden Aussagen nur Mutmaßungen ohne ausreichende Belege geäußert.

Prof. Dr. St. hat in der ergänzenden Stellungnahme vom 12.11.2014 ausgeführt, die medizinische Beurteilung eines mindestens 17 Jahre zurückliegenden Lebensabschnittes sei freilich extrem schwierig, vor allem im Hinblick auf die nur spärlich vorliegenden ärztlichen Befunde und die langen Zeiträume ohne jedweden medizinischen Befund. Jede Aussage bezüglich der Wahrscheinlichkeit/Sicherheit des Eintretens einer Erwerbsminderung vor dem 01.05.1997 müsse als spekulativ angesehen werden. Insofern habe Dr. Sch. zu Recht dargelegt, dass aufgrund des Fehlens medizinischer Unterlagen kein Beleg einer Krankheitsaktivität erbracht werden könne. Andererseits könne, wie Dr. Sch. ebenfalls eingeräumt habe, aus dem Fehlen von Krankheitsunterlagen nicht automatisch auf die Abwesenheit von Krankheitsaktivität geschlossen werden. Die wenigen Unterlagen aus der Zeit vor 1997 ergäben jedoch deutliche Indizien für das Vorliegen einer kontinuierlich aktiven Erkrankung.

Laut dem Eigengutachten des Klägers vom 08.02.2010 habe in den zwei Jahren vor der Ileocoercalresektion 1988 eine kontinuierliche Steroidtherapie stattgefunden. Die Angabe, man habe zu keinem Zeitpunkt die Cortisongabe aussetzen können, sei ein starkes Indiz für eine kontinuierliche Krankheitsaktivität. Die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) definiere in der Leitlinie "Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn" einen steroidrefraktären und damit komplizierten Verlauf, wenn eine Steroidtherapie nicht innerhalb von 4 Monaten komplett ausgeglichen werden könne. Auch das Auftreten einer krankheitsbedingten Enge der Ileoascendostmie (Naht zwischen dem letzten Teil des Dünndarms und des Dickdarms) 3 Jahre nach der Operation zeige, dass es keinesfalls zu einem Sistieren der Krankheitsaktivität gekommen sei. Die Einnahme von Cortison über insgesamt vier Jahre (zunächst zwei Jahre vor der Ileocoecalresektion und zwei Jahre danach) und die Unmöglichkeit des Aussetzens einer solchen Therapie weise auf einen komplizierten Verlauf der Erkrankung hin. Somit müsse aus medizinischer Sicht von einer Cortisondauertherapie gesprochen werden.

2 bis 3 breiige Stuhlgänge schienen objektiv keine große Zahl zu sein. Jedoch könnten selbst diese für den Patienten eine enorme Belastung darstellen (z.B. verzögerte Entleerung, ausgeprägte Schmerzen, Krämpfe etc.) und ihn für lange Zeit unpässlich werden lassen. Zudem komme es bei Morbus Crohn auch zu Darmkrämpfen und ausgeprägten Schmerzen ohne anschließenden Stuhlgang, welche sich somit jedoch nur schwer objektivieren bzw. quantifizieren ließen.

Wie von Dr. Sch. selbst aufgezeigt, habe sich die entzündliche Stenose der Ileoascendostomie im Verlauf der Zeit von einer mäßigen Enge bis zu einer "filiformen" Stenose weiter entwickelt. Diese weiter zunehmende Stenosierung mit schließlich erfolgter operativer Intervention 2007 setze eine fortgesetzte Krankheitsaktivität voraus. Insgesamt bleibe er daher bei der Auffassung, welche er in seinem Gutachten vom 20.05.2014 dargelegt habe.

Die Beklagte hat hierzu die abschließende beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. Sch. vom 23.02.2015 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, aus einem medizinisch komplizierten Verlauf folge nicht zwangsläufig eine rentenberechtigende Leistungsminderung; viele Morbus-Crohn-Patienten mit kompliziertem Verlauf arbeiteten über lange Zeiträume in vollem Umfang. Zwar habe in der Zeit von 1986 bis 1990 eine Cortisondauertherapie stattgefunden. Die Formulierung, über den gesamten Zeitverlauf, also auch über die Jahre danach sei eine Cortisoneinnahme erforderlich gewesen, sei aber nicht richtig. Man könne dies mit Fug und Recht dahingehend deuten, dass einige Zeit nach der Ileocoecalresektion der Krankheitsverlauf doch deutlich weniger aktiv gewesen sei als in der Zeit vorher. Gerade die Tatsache, dass danach (ab 1990) über viele Jahre kein Cortison erforderlich gewesen sei, spreche im hohen Maße (neben der Tatsache der Beschäftigung) dafür, dass in dieser Zeit der Verlauf eben doch deutlich weniger aktiv als zuvor (1986 bis 1990) und danach gewesen sei. Die Belastung des Klägers durch Stuhlgänge und Darmkrämpfe in der Zeit zwischen 1990 und 1997 beruhe auf einer Mutmaßung. Richtig sei, dass es zwischen 1991 und 2007 irgendwann zu einer stärkeren Krankheitsaktivität gekommen sein müsse, so dass die 1991 diagnostizierte (geringe) Verengung 2007 so hochgradig ausgeprägt gewesen sei, dass sie als "filiform" (fadenförmig) bezeichnet worden sei. Daraus zu folgern, dass es sich dabei um einen kontinuierlich aktiven entzündlichen Verlauf über all die 16 Jahre gehandelt habe, stelle wiederum eine Mutmaßung dar. Viel wahrscheinlicher sei angesichts der spärlichen Dokumente, dass nach einer relativ ruhigen Phase (bis zumindest 1999) in der Zeit vor 2007 das Krankheitsgeschehen wieder an Aktivität gewonnen, die Darmwand sich in deutlich stärkerem Maße entzündlich verdickt und somit die Engstelle in ausgeprägter Form hervorgerufen habe. Dafür bedürfe es keiner jahrelangen Vorlaufzeit. Bei entsprechender Krankheitsaktivität genügten dafür durchaus Wochen bis Monate. Insgesamt könne für die Zeit vor 2007 oder gar vor 1997 eine generelle Minderung des quantitativen Leistungsvermögens nicht mit der nötigen Sicherheit festgestellt werden.

Die Beteiligten haben abschließend zum Ergebnis der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme Stellung genommen. Der Kläger hat seine Auffassung bekräftigt und ergänzend vorgetragen, in der Zeit von 1984 bis 1995 sei die ärztliche Dokumentation ohne elektronische Unterstützung durchgeführt worden, was das von der Beklagte monierte Fehlen von Befundunterlagen teilweise erkläre. Er sei ausschließlich durch niedergelassene Ärzte behandelt worden. 2 bis 3 breiige Stuhlgänge habe er nur in Remissionsphasen, nicht aber bei aktiven Schüben gehabt, zu denen es zwei bis dreimal im Jahr gekommen sei. Auch in den Remissionsphasen sei die Krankheit freilich aktiv gewesen. Jedenfalls seit 1992 habe er die Tätigkeit als Elektriker infolge der qualitativen Leistungseinschränkungen nicht mehr verrichten können. Auf einfache Arbeiten (so Dr. Sch. in der Stellungnahme vom 14.08.2013) hätte man ihn seinerzeit nicht verweisen dürfen. Die Therapie habe den aggressiven Verlauf seiner Krankheit nie wirklich unter Kontrolle bringen können. Nach der Rehabilitationsbehandlung im Jahr 1992 hätte die Beklagte weitere Maßnahmen zur Wiedereingliederung in das Berufsleben einleiten müssen; zu dieser Zeit sei das Risiko der Berufsunfähigkeit noch versichert gewesen. Er sei schon im Jahr 1984 berufsunfähig gewesen, was daraus folge, dass die Arbeitsverwaltung eine Umschulung gewährt habe. Er habe zu dieser Zeit, noch ohne es zu wissen, unter Morbus Crohn gelitten. Hinzu kämen (seit 1994 belegt) psychische Folgen der Krankheit, wie ein schwerer psychosomatischer Erschöpfungszustand. Mit seiner Erkrankung hätte er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht tätig sein können, zumal mit überdurchschnittlich vielen Krankheitstagen hätte gerechnet werden müssen. Die zum Teil vollschichtige Erwerbstätigkeit in den Jahren 1982 bis 1984 und die geringfügige Tätigkeit in den Jahren 1988 bis 1991 habe er nur unter Einnahme von Schmerzmitteln und unter Nahrungsentzug einigermaßen bewerkstelligen können. Das sei nur auf Kosten der Restgesundheit möglich gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die Berufung der Beklagten ist gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthaft und auch sonst zulässig (§ 151 SGG). Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.08.2008 bis 31.07.2014; hierzu hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil behält im Berufungsverfahren Bestand.

Für die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung sind die seit 01.01.2001 geltenden Vorschriften in §§ 43, 240 SGB VI maßgeblich. Das bis dahin geltende Recht (Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit gem. §§ 43, 44 SGB VI a.F.) ist nicht einschlägig, auch wenn der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente aus versicherungsrechtlichen Gründen den Eintritt des Versicherungsfalls vor dem 01.01.2001, nämlich zum 01.05.1997, voraussetzt. Aus der Übergangsvorschrift des § 302b Abs. 1 Satz 1 SGB VI folgt nichts anderes. Zwar besteht danach ein am 31.12.2000 bestehender Anspruch auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze weiter, solange die Voraussetzungen vorliegen, die für die Bewilligung der Leistung maßgebend waren; vor dem 01.01.2001 entstandene Ansprüche auf Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sollten mit der Neuregelung des Erwerbsminderungsrechts nicht untergehen. Allerdings gehört zur Erfüllung aller Voraussetzungen des Rentenanspruchs auch der Rentenantrag. Der Eintritt von Erwerbsminderung vor dem 01.01.2001 nach dem bis dahin geltenden Recht ist deshalb nicht ausreichend und auch nicht mehr maßgebend für einen Rentenanspruch am 31.12.2000, wenn der Rentenantrag nicht spätestens bis zum 31.03.2001 gestellt war (KassKomm-SGB VI § 302b Rdnr. 2; BSG, Urt. v. 29.11.2007, - B 13 R 18/07 R -). Hier ist Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erstmals am 25.08.2008 beantragt worden.

Gem. § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie (1.) teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, (2.) in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und (3.) vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Volle Erwerbsminderung liegt vor, wenn das Leistungsvermögen auf unter 3 Stunden täglich abgesunken ist (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Gem. § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Die Erwerbsminderung besteht auf nicht absehbare Zeit i. S. d. § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 SGB VI, wenn sie, was aus § 101 Abs. 1 SGB VI folgt, voraussichtlich über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten andauern wird (vgl. jurisPK-SGB VI/Freudenberg, § 43 Rdnr. 93).

Das Sozialgericht hat diese Bestimmungen rechtsfehlerfrei angewandt und die Beklagte zu Recht dazu verurteilt, dem Kläger auf seinen am 25.08.2008 gestellten Antrag Rente wegen voller Erwerbsminderung (für die Zeit vom 01.08.2008 bis 31.07.2014) zu gewähren. Unter den Beteiligten ist dabei nicht streitig, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Gewährung von Erwerbsminderungsrente im Hinblick auf den am 25.08.2008 gestellten Rentenantrag des Klägers letztmals zum 01.05.1997 erfüllt sind. Streitig ist (allein), ob der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung - wofür der Kläger die objektive Beweislast trägt - bis dahin eingetreten ist. Das Sozialgericht hat das - im Wesentlichen gestützt auf die Ergebnisse der Beweisaufnahme im Verfahren des ersten Rechtszugs, namentlich das Gutachten des Prof. Dr. A. und die Berichte der behandelnden Ärztinnen Dres. St. und R.-K. - rechtsfehlerfrei angenommen und in seinem Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen wird, näher dargelegt. Die Ergebnisse der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren haben die Einschätzung des Sozialgerichts zur Überzeugung des Senats bestätigt. Dafür sind im Einzelnen folgende Erwägungen des Senats maßgeblich:

Der Kläger leidet (unstreitig) an einer schwerwiegenden Darmerkrankung (Morbus Crohn) mit weitreichenden Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und am Erwerbsleben. Freilich kommt es für die Gewährung von Erwerbsminderungsrente nicht auf Erkrankungen (Diagnosen) und deren Ausprägungsgrade als solche, sondern auf sozialmedizinisch (rentenrechtlich) beachtliche Auswirkungen auf das quantitative (zeitliche) Leistungsvermögen an. Der gegenwärtige Gesundheitszustand des Klägers lässt - was unter den Beteiligten ebenfalls nicht streitig ist - tragfähige Rückschlüsse auf das sozialmedizinisch relevante Leistungsvermögen zum Stichtag 01.05.1997 nicht zu; schon deswegen kann es ausschlaggebend auf den persönlichen Eindruck vom Kläger in einer mündlichen Verhandlung (des Sozialgerichts oder des Senats) nicht ankommen. Ausschlaggebend sind vielmehr Befunde bzw. Arztberichte (vor allem) aus den neunziger Jahren, die zeitnah zum 01.05.1997 Aussagen zum gesundheitlichen Leistungsvermögen des Klägers treffen bzw. zulassen.

Prof. Dr. A. hat den Kläger in seinem Gutachten vom 10.11.2011 zwar für aktuell wenig beeinträchtigt befunden und auch für aktuell fähig erachtet, 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Angesichts des stark wechselhaften Krankheitsverlaufs besagt dies für die hier maßgebliche Zeit bis zum Stichtag 01.05.1997 freilich nichts. Dr. A. hat für die weitere Beurteilung die Aktenlage und die Anamnese des Klägers aus ärztlicher Sicht ausgewertet und darauf gestützt nachvollziehbar dargelegt, dass es ausgehend von der im Jahr 1986 eingetretenen und lang andauernden Arbeitsunfähigkeit (im krankenversicherungsrechtlichen Sinn) durch die Morbus-Crohn-Erkrankung bzw. durch deren Auswirkungen auf das gesundheitliche Leistungsvermögen des Klägers zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit gekommen ist, die sich nach der ersten Operation im Jahr 1988 eher verschlechtert haben werde und dass es erst 1989 mit der Behandlung der cologenen Diarrhoen zu einer - aber auch nur: gewissen - Besserung gekommen sei. An seiner Einschätzung hat Prof. Dr. A. auch auf die Kritik in der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. H. vom 02.03.2012 festgehalten und in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 03.05.2012 und (vor allem) vom 03.08.2012 betont, dass beim Kläger eine anfänglich schwere fistulierende bzw. stenosierende Morbus-Crohn-Erkrankung vorgelegen hat und deswegen multiple operative Eingriffe notwendig geworden sind. Therapieerfolge durch die anfangs einzige (medikamentöse) Therapieoption mit Steroiden haben wegen der aufgetretenen Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten haben - so Prof. Dr. A. - nicht gesichert werden können. Prof. Dr. A. hat in der Summe aus vorliegenden - wenngleich lückenhaften - Befunden und den angesichts des dokumentierten langjährigen Krankheitsverlaufs und der Angaben behandelnder Ärzte (wie Dr. St. - Bericht vom 31.01.2012) glaubhaften anamnestischen Angaben des Klägers zu seiner Krankheitsgeschichte auf das Vorliegen von Erwerbsminderung (unter 3 Stunden abgesunkenes Leistungsvermögen) seit Mitte der 80er Jahren geschlossen.

Prof. Dr. A. hat seine Einschätzung auch im Berufungsverfahren - auf ergänzende Befragung des Senats - bekräftigt und weiter untermauert. In der ergänzenden Stellungnahme vom 04.07.2013 hat er dargelegt, dass sich aus den vorliegenden, wenngleich spärlichen Unterlagen, aus seiner Sicht doch klare Hinweise ergäben, die das Vorliegen von Erwerbsminderung belegten. Unbeschadet der Unterscheidung von Arbeitsunfähigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinn (§ 44 SGB V) und Erwerbsminderung im rentenversicherungsrechtlichen Sinn (§ 43 SGB VI) können lange Arbeitsunfähigkeitszeiten - wie hier in den Jahren 1985 bis 1987 (78 Wochen) und in den Jahren 1991/1992 - doch auch Hinweise auf das Vorliegen einer überdauernden Minderung der Erwerbsfähigkeit geben. Dass Prof. Dr. A. in der genannten Stellungnahme hierauf abgestellt hat, stellt deshalb einen grundlegenden Mangel nicht dar. Das gilt auch für die Bewertung des schweren Untergewichts des Klägers, dessen BMI von 16,5 im Jahr 1986 nur unerheblich auf 17,2 im Jahr 1997 (dem Jahr des maßgeblichen Stichtags 01.05.1997) angestiegen ist. Prof. Dr. A. hat darin überzeugend einen - weiteren - Hinweis auf den schweren Krankheitsverlauf des Morbus Crohn bzw. in sozialmedizinischer Hinsicht einen - weiteren - Hinweis auf das Vorliegen einer erheblichen Leistungsminderung gesehen. Die anamnestischen Angaben des Klägers, der wiederholt über häufige Durchfälle (bis zu 15-mal am Tag) und über ebenfalls häufige krampfartige abdominelle Schmerzen bis zu 3 Stunden Dauer berichtet hat, sind mit dem schweren Krankheitsverlauf konsistent und - so Prof Dr. A. - durch die vorliegenden (wenigen) Befunde auch bestätigt. Sie belegen nach der auch für den Senat überzeugenden Ansicht des Gutachters das Vorliegen einer klaren Erwerbsminderung aufgrund eines auf unter 6 Stunden täglich abgesunkenen Leistungsvermögens in den Jahren 1986 bis 199, wenngleich genaue Zeiträume und genaues Ausmaß im Nachhinein nicht mehr exakt festgelegt werden können. Das ist auch nicht erforderlich, nachdem es der Eintritt einer entsprechenden zeitlichen Leistungseinschränkung jedenfalls für die Dauer eines halben Jahres genügt. Davon ist hier in der Gesamtwürdigung der gutachterlichen Erkenntnisse nach Auffassung des Senats ungeachtet der Einwendungen des Dr. Sch. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 14.08.2013 mit ausreichender Sicherheit auszugehen. Dr. Sch. hat zwar zu Recht (u.a.) darauf verwiesen, dass auch erhebliches Untergewicht für sich allein genommen keine rentenberechtigende (zeitliche) Leistungsminderung zur Folge haben muss und dass das Leistungsvermögen des Klägers im Zeitverlauf durchaus erheblichen Schwankungen unterlegen hat (etwa: Entlassung als arbeitsfähig aus der Rehabilitationsbehandlung in der Klinik K. im Jahr 1992. Das erschüttert die aus der Gesamtschau der vorliegenden Befunde, der Eigenart des (schweren) Krankheitsverlaufs beim Kläger und dessen anamnestischen Angaben gewonnene Einschätzung des Gutachters jedoch nicht, entzieht ihr insbesondere nicht die Grundlage im (sozialmedizinisch zu bewertenden) medizinischen Sachverhalt. Hierfür genügt auch der Hinweis auf die Berichte in der Schwerbehindertenakte des Klägers nicht, aus denen entnommen werden kann, dass es auch bei der Durchfall- und Krampfbelastung des Klägers ein wechselhaftes Krankheitsgeschehen gegeben hat mit teils weniger Stuhlgängen oder teils anhaltenden Bauchbeschwerden. Das Untergewicht des Klägers ist nicht allein maßgeblich für die Leistungseinschätzung, sondern stellt vielmehr ein Indiz für die zum damaligen Zeitpunkt in rentenrelevanter, leistungsmindernder Ausprägung bestehende Morbus-Crohn-Erkrankung dar.

Das im Berufungsverfahren erhobene Gutachten des Prof. Dr. St. hat die Einschätzung des Prof. Dr. A. schließlich (ebenfalls) bestätigt. Auch Prof. Dr. St. hat beim Kläger einen schweren Krankheitsverlauf konstatiert mit einer im Schwergrad schwankenden kontinuierlich aktiven Erkrankung. Er hat dies nachvollziehbar aus der durchgeführten operativen und medikamentösen Therapie geschlossen. Er hat bei seiner Würdigung die besonderen Schwierigkeiten der retrospektiven Leistungseinschätzung für einen lange zurückliegenden Zeitraum bedacht und - wie Prof. Dr. A. - bei der Gesamtwürdigung aller Einzelfallumstände eine bis zum Stichtag 01.05.1997 vorliegende jedenfalls über 6 Monate andauernde rentenberechtigende (zeitliche) Leistungsminderung angenommen. Er hat diese Einschätzung für den Senat überzeugend neben dem Schwergrad der Morbus-Crohn-Erkrankung des Klägers und den damit einhergehenden Folgewirkungen für die Fähigkeit zur Teilnahme am Erwerbsleben u.a. auf die langen Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers, die fortgesetzt dokumentierte Krankheitsaktivität mit der Notwendigkeit einer entsprechenden Steroidbehandlung und den Nachweis einer entzündlichen Verengung der Anastomose nach Ileocoecalresektion gestützt und zusätzlich die mannigfaltigen Crohn-assoziierten Komplikationen beim Kläger als Hinweis darauf herangezogen, dass die Krankheit nicht zu einem Stillstand hat gebracht werden können.

Die Kritik des Dr. Sch. vermag auch die Überzeugungskraft des Gutachtens des Prof. Dr. St. nicht zu erschüttern. Dr. Sch. hat in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 04.08.2014 einen über lange Zeit aktiven Krankheitsverlauf beim Kläger in Zweifel gezogen; darauf könne allein aus der Notwendigkeit einer Ileocoecalresektion im Jahr 1988 nicht geschlossen werden. Prof. Dr. St. hat sich für seine Leistungseinschätzung hierauf aber auch nicht ausschließlich gestützt. Hinzukommt, dass die anamnestischen Angaben des Klägers, die, wie bereits dargelegt worden ist, (nicht nur) durch Berichte behandelnder Ärzte gestützt sind, die Annahmen des Prof. Dr. St. zum Verlauf und zur Intensität der Morbus-Crohn-Erkrankung stützen; Dr. Sch. hat dies bei seiner Kritik nicht hinreichend bedacht. Schließlich kommt es für die sozialmedizinische Leistungseinschätzung im vorliegenden Fall auf die genaue Zeitdauer der fortgesetzten oder phasenweise ausgesetzten Cortisonanwendung oder auf die Gabe anderer Medikamente oder auch auf die genaue Zeitdauer der Phasen mit häufigen (imperativen) Stuhlgängen und deren Zahl letztendlich nicht ausschlaggebend an. Zur Überzeugung des Senats geht aus den im sozialgerichtlichen Verfahren und im Berufungsverfahren erhobenen Gutachten (ergänzenden gutachterlichen Stellungnahmen) und Arztberichten mit ausreichender Sicherheit hervor, dass beim Kläger vor dem maßgeblichen Stichtag 01.05.1997 jedenfalls über mehr als ein halbes Jahr der Zustand einer rentenberechtigenden Leistungsminderung vorgelegen hat; das genügt. Dass der Kläger ungeachtet seiner erheblichen Beeinträchtigung durch die Folgen der Morbus-Crohn-Erkrankung zeitweise - teils als Selbständiger bzw. in geringfügigen Umfang - gearbeitet hat, ändert daran nichts. Der Kläger war insoweit (1988 bis 1991) nicht vollschichtig und ersichtlich unter Schmerzmitteleinnahme und Nahrungsentzug auch auf Kosten der Gesundheit erwerbstätig. Der Rentenanspruch ist deswegen nicht ausgeschlossen.

Prof. Dr. St. hat in seiner abschließenden gutachterlichen Stellungnahme vom 12.11.2014 ungeachtet der Kritik des Dr. Sch. an seiner Auffassung festgehalten. Dass er dabei den Begriff "spekulativ" verwendet hat, ist unerheblich, nachdem er - wie im Gutachten überzeugend näher dargelegt - hinreichend Indizien für das Vorliegen einer kontinuierlich aktiven Erkrankung angenommen hat. Ob (insbesondere) mit den vorliegenden Gutachten und Arztberichten der Leistungsfall der Erwerbsminderung ausreichend sicher festzustellen oder mangels ausreichend sicherer Feststellung eine Beweislastentscheidung zu treffen ist, ist Gegenstand der (rechtlichen) Beurteilung des Senats und nicht der (sachverständigen) Beurteilung durch Gutachter oder Beratungsärzte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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