L 11 KR 1983/15 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 19 KR 1883/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 1983/15 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 20.04.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Versorgung mit einem Dusch-WC VAmat (WC-Aufsatz mit Wascheinrichtung) der Firma S. R. GmbH.

Der am 07.11.1931 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich versichert. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung von 90 sowie das Merkzeichen B festgestellt. Er beantragte im Februar 2015 über die Firma S. R. GmbH eine Versorgung mit einem Dusch-WC VAmat. Dem Antrag beigefügt war ein Kostenvoranschlag iHv 3.711,37 EUR sowie ein Rezept des Allgemeinmediziners Dr. F. vom 06.02.2015 über das Hilfsmittel wegen erheblichen funktionellen Defiziten in beiden Händen und Fingeramputation linke Hand sowie Zn OP rechte Hand.

Mit Bescheid vom 26.02.2015 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren erstellte der MDK am 02.04.2015 ein medizinisches Gutachten. Der Gutachter verwies auf ein Pflegegutachten bezüglich des Antragstellers aufgrund einer Untersuchung am 19.12.2014. Darin wurde festgestellt, dass die Funktionsprüfungen der oberen Extremitäten prompt und zielgerichtet durchgeführt wurden, beide Arme über den Kopf angehoben werden konnten, die Händekraft beidseits ausreichend war und der Pinzettengriff mit der rechten Hand komplett, mit der linken Hand bedingt durch fehlende Finger nicht möglich war. Im Pflegegutachten war beschrieben, dass der Antragsteller blasen- und darmkontinent sei, keine Vorlagen trage und die Toilettengänge korrekt selbstständig bewältige. Im Pflegegutachten wurde zudem ausgeführt, dass ein vollautomatisches WC mit Reinigungs- und Trocknungsfunktion vorhanden sei. Der Gutachter des MDK kam zum Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung nicht erfüllt seien. Die beim Antragsteller vorliegenden Einschränkungen der Hände könnte nicht mit einer Ohnhändigkeit gleichgesetzt werden.

Am 27.03.2015 hat die Bevollmächtigte des Antragstellers beim Sozialgericht Stuttgart den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Versorgung mit einem Dusch-WC VAmat beantragt. Sie hat ein Attest des Facharztes für Neurologie Dr. R. vom 17.03.2015 beigefügt, der aufgrund des Zustands in der rechten Hand ein Handicap bei der Versorgung der täglichen Notdurft bescheinigt hatte.

Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 20.04.2015 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es an einem Anordnungsanspruch mangele. Der Antragsteller habe weder einen Naturalleistungsanspruch auf Versorgung mit einem Dusch-WC VAmat der Firma S. R. GmbH noch einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für das von ihm ausgewählte Gerät. Dieses Hilfsmittel sei weder erforderlich, um eine Behinderung auszugleichen, noch sei die Versorgung zur Sicherung der Grundbedürfnisse notwendig. Der Antragsteller bewältige seine Toilettengänge korrekt selbstständig und verfüge über ein vollautomatisches WC mit Reinigungs- und Trocknungsfunktion. Er sei auch in der Lage gewesen, sich bis auf den Rücken und seine Füße selbstständig zu waschen. Dies ergebe sich aus dem schlüssigen, nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Pflegegutachten vom 19.12.2014. Das Gericht sei deshalb der Auffassung, dass der Antragsteller trotz der eingeschränkten, aber nicht gänzlich aufgehobenen Handfunktion links bei Zustand nach Amputation des ersten bis dritten Fingers als Folge einer Kriegsverletzung und der eingeschränkten, wiederum nicht aufgehobenen, Funktion der rechten Hand bei Zustand nach Operation eines Karpaltunnelsyndroms in der Lage sei, seinen Intimbereich nach der Toilettennutzung mithilfe seines vollautomatischen WCs mit Reinigungs- und Trocknungsfunktion selbstständig und auf herkömmliche Weise zu reinigen. Aus dem Attest von Dr. R. ergebe sich keine wesentliche Verschlimmerung. Eine Folgenabwägung falle nicht zu Gunsten des Antragstellers aus. Da dieser derzeit seinen Intimbereich selbstständig und auf herkömmliche Weise reinigen könne, sei es ihm zuzumuten, seinen Versorgungsanspruch gegebenenfalls in einem Hauptsacheverfahren weiterzuverfolgen. Im Übrigen wäre eine stattgebende Entscheidung mit einer endgültigen Vorwegnahme der Hauptsache verbunden.

Gegen den der Bevollmächtigten des Antragstellers am 24.04.2015 zugestellten Beschluss hat diese am 07.05.2015 Beschwerde eingelegt.

Der Antragsteller ist der Auffassung, dass die Versorgung mit einem Dusch-WC VAmat medizinisch notwendig sei. Seit der Operation der rechten Hand lägen zusammen mit den Fingeramputationen links erhebliche funktionelle Defizite in beiden Händen vor. Diese Defizite würden es ihm unmöglich machen, die Intimpflege selbstständig durchzuführen. Der Zustand sei mit einer Ohnhändigkeit vergleichbar. Der Hausarzt befürworte ausdrücklich die dringende Versorgung. Eilbedürftigkeit sei deshalb gegeben. Alternativprodukte seien für seine Bedürfnisse wegen der komplizierten Bedienung und zu wenig warmem Wasser im Boiler nicht geeignet. Der Dusch-WC VAmat beinhalte einen Durchlauferhitzer und spende deutlich mehr warmes Wasser. Aufgrund des Umstands, dass er alleine nicht in der Lage sei, seine Intimspflege durchzuführen, lägen erhebliche Unannehmlichkeiten und Eingriffe in seine persönliche Intimsphäre vor. Unter Berücksichtigung der langen Bearbeitungszeit bei den Sozialgerichten sei die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erforderlich, um gesundheitliche Nachteile abzuwenden.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 20.04.2015 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, die Kostenübernahme für ein Dusch-WC VAmat zu erklären und ihn vorläufig damit zu versorgen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verweist insbesondere auf das vorhandene vergleichbare funktionsfähige Produkt.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 172 Abs 1, 173 Satz 1 SGG). Sie ist jedoch unbegründet.

Nach § 86 Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).

Vorliegend begehrt der Antragsteller die Versorgung explizit mit einem Dusch-WC VAmat (Kosten iHv 3.711,37 EUR). Insoweit richtet sich die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes auf den Erlass einer Regelungsanordnung. Diese verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 920 Abs 2 ZPO).

Im Ergebnis zutreffend hat das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung vorläufiger Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes abgewiesen. Denn es ist weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dabei bezieht sich die Prüfung ausschließlich auf das konkrete Produkt "Dusch-WC VAmat der Firma S. R. GmbH", weil ausweislich des Antrags und der Begründung nur dieses vom Antragsteller begehrt wird.

Die Eilbedürftigkeit ist schon deshalb nicht glaubhaft gemacht, weil sich aus dem Pflegegutachten vom 19.12.2014 ergibt, dass ein vollautomatisches WC mit Reinigungs- und Trocknungsfunktion in der Wohnung des Antragstellers vorhanden ist. Die Funktionsfähigkeit dieses WCs wurde vom Antragsteller erstmals auf den richterlichen Hinweis des Berichterstatters vom 22.06.2015 bestritten, obwohl bereits das Sozialgericht wie auch die Antragsgegnerin auf das vorhandene WC hingewiesen haben. Allerdings belässt es die Bevollmächtigte ausschließlich bei der Behauptung, dass das vorhandene WC defekt sei und nicht repariert werden könne. An einer Glaubhaftmachung gemäß § 920 Abs 2 ZPO fehlt es trotz entsprechendem richterlichen Hinweis.

Es ist nicht ersichtlich, weshalb es dem Antragsteller nicht zumutbar ist, dieses WC zumindest bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache weiter zu benutzen, nachdem eine Benutzung wohl seit 2010 möglich und ausreichend war. Die Operation an der rechten Hand fand bereits im März 2014 statt, also fast ein Jahr vor dem Antrag auf Versorgung mit dem Dusch-WC VAmat. Die von der Bevollmächtigten aufgezeigte Dringlichkeit ist demnach nicht nachvollziehbar.

Sollte das derzeit vorhandene vollautomatische WC tatsächlich defekt sein, was bislang noch nicht einmal glaubhaft gemacht ist, kommt im Übrigen gegebenenfalls eine Ersatzbeschaffung für die Ehefrau infrage, nachdem die Bevollmächtigte vorträgt, dass diese seinerzeit in 2010 dieses Hilfsmittel erhalten habe. Eine Begründung, weshalb eine Neuanschaffung für den Antragsteller erforderlich ist, wenn eine Versorgung für die Ehefrau erfolgt ist, bleibt die Bevollmächtigte schuldig.

Unabhängig von der Eilbedürftigkeit fehlt es jedoch auch am Anordnungsanspruch. Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 ausgeschlossen sind. Gem § 12 Abs 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

Nach den Regelungen im GKV-Hilfsmittelverzeichnis (Produktgruppe 33 - Toilettenhilfen, Anwendungsort 40 - häuslicher Bereich, Produktuntergruppe 05 - WC-Aufsätze) besteht eine Indikation für WC-Aufsätze mit Wascheinrichtung für Krankheitsbilder oder Behinderungen mit erheblichen funktionellen Defiziten der oberen Extremitäten, die der Ohnhändigkeit gleichkommen mit der Folge, dass die selbstständige Reinigung des Intim- und Analbereiches nach der Toilettennutzung auf herkömmliche Weise nicht möglich ist. Damit wird die von § 33 SGB V geforderte Erforderlichkeit des Hilfsmittels im Einzelfall zutreffend wiedergegeben.

Unter Zugrundelegung der derzeit vorliegenden medizinischen Befunde ist für den Senat nicht nachgewiesen, dass die Versorgung des Antragstellers mit dem beantragten Dusch-WC VAmat erforderlich ist, um seine Behinderung auszugleichen. Aus dem nachvollziehbaren Pflegegutachten aufgrund der persönlichen Untersuchung vom 19.12.2014 ergibt sich, dass der Antragsteller sich in einem guten Ernährungs-, Pflege- und Kräftezustand befindet. Er trägt keine Vorlagen und bewältigt nach seinen eigenen Angaben Toilettengänge korrekt selbstständig. Gleiches gilt mit Ausnahme von Füßen und Rücken für die Waschung, bei der Zahnpflege, beim Haare kämmen und bei der Rasur. Er ist frei ohne Hilfsmittel selbstständig und ausreichend sicher mobil. Sitzend nach vorn gebeugt erreicht er mit den Fingerspitzen die Fußknöchel. Die Funktionsprüfung der oberen Extremitäten wurde freistehend prompt und zielgerichtet durchgeführt, beide Arme konnten über den Kopf angehoben werden, der Schürzengriff war beidseits komplett möglich und die Händekraft beidseits ausreichend. Der Pinzettengriff war mit der rechten Hand komplett durchführbar, der Faustschluss möglich, ein Tremor bestand nicht.

Aus diesen Funktionsbefunden lässt sich zwar eine Einschränkung beim Gebrauch der Hände nachvollziehen, jedoch nicht die Erforderlichkeit eines vollautomatischen WCs ableiten. Insbesondere ist der Antragsteller nicht mit jemanden vergleichbar, der keine Hände mehr hat. Aus dem kurzen Rezept von Dr. F. vom 06.02.2015 ergeben sich keine abweichenden Befunde. Gleiches gilt für das ärztliche Attest von Dr. R. vom 17.03.2015. Vielmehr wird hier eher eine Verbesserung nach der Operation des Karpaltunnelsyndroms an der rechten Hand im März 2014 beschrieben. Neue Befunde enthält das Attest nicht. Auch aus den im Beschwerdeverfahren zusätzlich eingereichten Arztberichten ergeben sich keine neuen relevanten Befunde.

Es ist deshalb derzeit noch nicht einmal die Notwendigkeit eines vollautomatischen WCs nachgewiesen. Umso mehr gilt dies für den explizit beantragten Dusch-WC VAmat, der zusätzliche Funktionsvorteile bietet. Die diesbezüglichen Ausführungen der Bevollmächtigten zur Erforderlichkeit gerade des besseren Produkts überzeugen nicht. Befunde, die eine verlängerte Zurverfügungstellung von warmem Wasser durch den Durchlauferhitzer erforderlich machen würden, sind noch nicht einmal geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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