L 4 KR 2942/15 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KR 1181/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2942/15 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 1. Juni 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die vorläufige Versorgung mit dem in den Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada und der Schweiz, nicht aber in der Bundesrepublik Deutschland und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassenen Arzneimittel Xeljanz (Wirkstoff Tofacitinib).

Die 1943 geborene Klägerin ist Mitglied der beklagten Krankenkasse. Sie leidet unter anderem an einer rheumatoiden Arthritis (Erstdiagnose Februar 2005). Ärztin für Innere Medizin/Rheumatologie Dr. H. beantragte unter dem 17. November 2014 für die Klägerin die Übernahme der Kosten des Arzneimittels Xeljanz. Sie beschrieb die bisher erfolgte Basismedikation, bezeichnete diese als nicht effektiv oder teileffektiv wegen aufgetretener (im Einzelnen bezeichneter) Nebenwirkungen und führte aus, trotz kontinuierlich rheumatologischer Therapie seit Beginn der Erkrankung habe der bisherige aggressive Verlauf der Erkrankung nicht aufgehalten werden können. Aufgrund des entzündlichen Befalls der oberen Halswirbelsäule sowie des cardiovaskulären Risikos sei die Erkrankung indirekt auch lebensbedrohlich. Die Klägerin habe bisher zwei der fünf verfügbaren TNF-Alpha-Blocker erhalten. Aufgrund der Teileffektivität und des Sekundärversagens halte sie die erneute Gabe eines TNF-Alpha-Blockers für nicht sinnvoll. Wegen der allergischen Reaktion und der schweren Infusionsreaktion auf Remicade (Infliximab) sehe sie bei deutlich erhöhtem Risiko für die Klägerin für eine erneute schwere allergische Reaktion keine Indikation für das prinzipiell noch zur Verfügung stehende Mabthera (Rituximab). In ihrem (beigefügten) Arztbrief vom selben Tag empfahl sie unter anderem die Fortführung der (zumindest seit April 2014 durchgeführten) Basistherapie mit dem Kostimulationsblocker Orencia (Abatacept) 500 mg in 100 ml Natriumchlorid alle vier Wochen unter engmaschigen Laborkontrollen. Unverändert sei die derzeitige Basistherapie mit diesem Arzneimitteln nur teileffektiv. Bei bekanntem entzündlichem Befall des cervikokranialen Übergangs bestünden unverändert erhebliche Nackenschmerzen mit Ausstrahlung zum Hinterkopf.

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Dr. M., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), das sozialmedizinische Gutachten vom 5. Januar 2015. Der Wirkstoff von Xeljanz sei in Deutschland nicht als Arzneimittel zugelassen und als Fertigarzneimittel nach § 37 Arzneimittelgesetz (AMG) nicht als Einzelimport in Deutschland verkehrsfähig, weil die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) aufgrund ihres Prüfberichts vom 26. Juli 2013 die Genehmigung für das Inverkehrbringen aufgrund wesentlicher Bedenken im Hinblick auf das Sicherheitsprofil von Xeljanz versagt habe. Es liege trotz des Befalls des Atlantooccipitalgelenks keine lebensbedrohliche, regelmäßig tödlich verlaufende oder gleichgestellte Erkrankung vor. Als allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsalternative stehe eine zusätzliche Behandlung mit Corticosteroiden trotz des Diabetes unter antidiabetischer adäquater Therapie zur Verfügung. Zudem sei eine Infusionsreaktion unter Remicade nur sehr vage geschildert. Es könne nicht bestätigt werden, dass die Behandlung mit Mabthera unter den in der Fachinformation benannten begleitenden antiallergischen Maßnahmen nicht möglich wäre. Auch die Schilderung einer "Infekterhöhung" unter anderen Biologica sei sehr vage. Es sei nicht zu bestätigen, dass vital bedrohliche unzumutbare Infektneigungen aufgetreten seien und dass nicht gegebenenfalls ein erneuter Therapieversuch mit einem in der Indikation zugelassenen Biologicum in Kombination mit einem DMARD (disease-modifying anti-rheumatic drugs) nicht möglich wäre. Auch eine Therapie mit Azathioprin wäre möglich. Zur Stabilisierung der Kopfgelenke kämen zudem operative Maßnahmen infrage.

Die Beklagte lehnte es ab, die Kosten für das Arzneimittel Xeljanz zu übernehmen (Bescheid vom 9. Januar 2015). Die Klägerin erhob Widerspruch. Dr. B., MDK, vertrat in dem daraufhin von der Beklagten veranlassten weiteren sozialmedizinischen Gutachten vom 29. April 2015 unter Verweis auf die negative Bewertung des Zulassungsantrags für Xeljanz durch die EMA und das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. März 2015 (B 3 KR 2/05 R, in juris) die Auffassung, bei Verordnung von Xeljanz liege ein Verstoß gegen das Arzneimittelrecht vor, weil Xeljanz nach § 30 Abs. 4 AMG nicht importiert werden dürfe. Bei einem Verstoß gegen das Arzneimittelrecht könne keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen. Die Klägerin sei durch die Krankheitsausprägung sicherlich schwer beeinträchtigt. Es handle sich jedoch nicht um eine in der Regel tödlich verlaufende Erkrankung im Sinne des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98, in juris) oder nach § 2 Abs. 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Die zugelassenen Therapieoptionen seien weitestgehend ausgeschöpft. Von Bedeutung sei jedoch, dass unter Therapie mit Infliximab zwar keine vollständige Remission der Beschwerden erreicht worden sei, dies jedoch zumindest als teileffektiv beschrieben werde. Unter diesem Gesichtspunkt erscheine eine erneute Therapie mit einem anderen TNF-Alpha-Blocker sinnvoll, z.B. mit Etanercept, das keine Mausprotein-Anteile enthalte, gegebenenfalls in Kombination mit Erhöhung der Prednisolon-Dosis, auch wenn hierunter vermehrte Nebenwirkungen in Kauf genommen werden müssten.

Am 18. Mai 2015 beantragte die Klägerin beim Sozialgericht Reutlingen (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen der Übernahme der Kosten für die Behandlung mit Xeljanz. Zur Begründung machte sie - wie im Wesentlichen auch mit ihrem Widerspruch - geltend, in ihrem Einzelfall müsse die Abwägung gegenüber der Einnahme von Xeljanz anders ausfallen als die getroffenen allgemeinen Abwägungen hinsichtlich des Risikos und der Nebenwirkungen der EMA. Wegen des aggressiven Verlaufs der Erkrankung sei sie inzwischen auf den Rollstuhl angewiesen. Kurz- bis mittelfristig bestehe eine lebensbedrohliche Situation. Seit Februar 2014 liege ein zunehmender entzündlicher Befall des cervikokranialen Übergangs mit basilärer Impression und zunehmender Bandinstabilität vor, wodurch ein hohes Risiko für eine hohe Querschnittlähmung bis hin zu einer Atemdepression als lebensbedrohliche Situation bestehe. Instabilitätgeschuldete Minderdurchblutungen der Vertebral- oder Basiliararterien könnten zu Schwindel, Übelkeit, Gangstörungen sowie plötzlichen Bewusstseinsverlusten führen. Bei einem ineffektiven oder unbehandelten schwerwiegenderen Verlauf komme es zu Kurzatmigkeit, Schluckstörungen und Stimmstörungen bis hin zur Atemlähmung und dem plötzlichen Tod durch akute Einklemmung des oberen Halsrückenmarks. Durch die chronischen und akuten entzündlichen Reaktionen bestehe eine langfristig erhöhtes C-reaktives Protein mit deswegen deutlich erhöhtem cardiovaskulärem Risiko und damit ein erhöhtes Risiko eines Herzinfarkts. Deshalb liege eine notstandsähnliche Situation vor. Die bisher verordneten und zur Linderung der Beschwerden dringend erforderlichen Medikamente hätten bei ihr aufgrund des aggressiven progredienten Verlaufs weder zu einer Stagnation noch zu einer Besserung der Erkrankung geführt. Ihr stünden keine verträglichen ausreichend wirksamen und zugelassenen Antirheumatika zur Verfügung. Die verfügbaren Medikamente seien wegen erheblicher Nebenwirkungen oder Unwirksamkeit wieder abgesetzt worden. Derzeit bestehe ebenfalls eine nur teileffektive Therapie mit Abatacept, deren Dosis wegen der Nebenwirkungen bereits habe reduziert werden müssen. Der steroinduzierte Diabetes mellitus verschlechtere sich erheblich unter der erhöhten Dosis von Steroiden. Sie reichte die weiteren Stellungnahmen der Dr. H. vom 13. April und 19. Mai 2015 ein, in der diese wiederum darauf verwies, die für die Indikation der rheumatoiden Arthritis zugelassenen Arzneimitteloptionen und andere Therapieoptionen seien ausgeschöpft. Die Behandlung mit Corticosteroiden sei keine Alternative. Diese sei nicht ausreichend wirksam, verschlechtere den Diabetes mellitus und sei ein zusätzlicher cardiovaskulärer Risikofaktor.

Die Beklagte trat dem Antrag entgegen. Bei Xeljanz handle es sich um ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel. Eine Zulassung sei bislang jedoch weder durch die deutsche Zulassungsbehörde (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) noch durch die EMA erfolgt. Vielmehr habe die EMA den Zulassungsantrag für dieses Arzneimittel am 25. April 2013 negativ bewertet und die Zulassung am 25. Juli 2013 abgelehnt. Eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen sei daher grundsätzlich ausgeschlossen. Soweit Xeljanz in Kanada, den Vereinigten Staaten von Amerika und der Schweiz zugelassen sei, ermögliche dies keine andere Beurteilung. Auch unter Berücksichtigung des § 2 Abs. 1a SGB V sei eine Kostenübernahme für Xeljanz im Hinblick auf die schlüssigen Ausführungen des MDK in den Gutachten vom 5. Januar und 29. April 2015 nicht möglich. Zur Bejahung einer Lebensbedrohlichkeit reiche es nicht aus, dass eine Krankheit unbehandelt zum Tode führe. Im Übrigen bestünden keine schweren und unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteile, wenn die Klägerin auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werde.

Das SG lehnte den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab (Beschluss vom 1. Juni 2015). Es fehle an der für die Leistungspflicht der Beklagten notwendigen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Behandlung mit einem Arzneimittel, wenn das verwendete Arzneimittel nach den Regeln des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedürfe und diese Zulassung nicht erteilt worden sei. Für das zulassungspflichtige Arzneimittel Xeljanz liege weder in Deutschland noch EU-weit eine Arzneimittelzulassung vor. Die beschränkt auf die Vereinigten Staaten von Amerika und die Schweiz erteilte Zulassung entfalte nicht zugleich entsprechende Rechtswirkungen für Deutschland. Mangels Zulassung von Xeljanz komme eine zulassungsüberschreitende Anwendung von vornherein nicht in Betracht. Auch eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen Regelungen des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zur Arzneimittelversorgung führe nicht zu einem Anspruch. Die vor der Behandlung mit dem nicht zugelassenen Arzneimittel Xeljanz erforderliche abstrakte und konkret auf die Klägerin bezogene Nutzen-Risiko-Analyse falle vorliegend unter Beachtung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs negativ aus, da diesem Arzneimitteln von der EMA am 25. Juli 2013 die Genehmigung für das Inverkehrbringen versagt worden sei. Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) sei zwar zu der Auffassung gelangt, die Daten aus fünf Hauptstudien hätten insgesamt gezeigt, dass eine Behandlung mit Xeljanz eine Verbesserung der Anzeichen und Symptome der rheumatoiden Arthritis sowie der körperlichen Funktionsfähigkeit der Patienten bewirkt habe. Allerdings hätten die Studien nicht für den Nachweis einer beständigen Verminderung der Krankheitsaktivität und der strukturellen Schäden der Gelenke ausgereicht. Im Rahmen einer im Juli 2013 auf Vorschlag des Herstellers durchgeführten Überprüfung sei der CHMP aufgrund des Fehlens von robusten Beweismaterials über den Schutz vor strukturellen Schäden von Xeljanz in der vorgeschlagenen Dosis und Patientengruppe zu der (erneuten) Ansicht gelangt, der Nutzen der Behandlung überwiege nicht gegenüber den bedeutenden und nicht entkräfteten Sicherheitsbedenken. Aufgrund der negativen Entscheidung der EMA stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Nutzen von Xeljanz nicht ausreichend nachgewiesen sei, weshalb es an der erforderlichen Voraussetzung für die Bejahung einer Leistungspflicht der Beklagten hinsichtlich der begehrten Behandlung mit diesem nicht zugelassenen Arzneimittel fehle. Es könne offenbleiben, ob bei der Klägerin überhaupt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliege und ob bezüglich dieser Krankheit eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehe, sowie ob es für den Erlass einer einstweiligen Anordnung auch an dem hierfür erforderlichen Anordnungsgrund mangele.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2015). Er wiederholte die Begründung in der Erwiderung auf den Antrag auf einstweiligem Rechtsschutz. Gegen diesen Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin am 24. Juli 2015 Klage beim SG, die dort anhängig ist (S 1 KR 1767/15).

Gegen den ihrer Prozessbevollmächtigten am 8. Juni 2015 zugestellten Beschluss des SG hat die Klägerin am 8. Juli 2015 beim SG Beschwerde eingelegt. Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen und macht unter Verweis auf die (vorgelegte) Stellungnahme der Dr. H. vom 3. Juli 2015 weiter geltend, bei einer im Juni 2015 eingeleiteten Basistherapie mit Etanercept (= Enbrel) habe sie nach drei Injektionen mit einer erheblichen Zunahme ihrer schmerzhaften Gelenksschwellungen, Knochenschmerzen, starken Unruhe und Schlafstörungen reagiert, so dass dieses Arzneimittel abgesetzt worden sei. Zwischenzeitlich sei die Behandlung mit den verfügbaren zugelassenen Antirheumatika ausgeschöpft. Sie auf einen nochmaligen Therapieversuch unter begleitenden antiallergischen Maßnahmen zu verweisen, stelle eine unzumutbare Forderung dar. Die entstehenden Kosten für eine Therapie mit Xeljanz seien in etwa gleich wie die Kosten einer Therapie mit Etanercept (= Enbrel). Das Einführen des in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimittels Xeljanz sei gemäß § 73 Abs. 3 AMG möglich, wie dies im Übrigen mittels ärztlicher Verordnung im Fall einer anderen Patientin, die bei einer anderen gesetzlichen Krankenkasse als der Beklagten versichert sei, erfolgt sei. Auf Nachfrage des Senats hat sie unter Verweis auf eine (vorgelegte) erneute Stellungnahme der Dr. H. vom 21. Juli 2015 weiter vorgetragen, die Behandlung mit Xeljanz werde nicht durchgeführt, weil sie sich dieses Arzneimittel auf eigene Kosten (ca. EUR 22.000,00 jährlich) nicht leisten könne. Sie verfüge über eine monatliche Rente von EUR 700,00 und kein nennenswertes Vermögen, ihr Ehemann über eine monatliche Rente von EUR 820,00. Derzeit erfolge ihre Behandlung nur mit Cortison. Xeljanz sei im Rahmen eines zulässigen Off-Label-Use jedenfalls im Rahmen der grundrechtsorientierten Auslegung verordnungsfähig und könne auf legalem Weg über die Apotheke beschafft werden.

Die Klägerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 1. Juni 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie vorläufig mit dem Arzneimittel Xeljanz zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen und die Gründe des angefochtenen Beschlusses des SG. Sie hat das (auch vom SG in den Gründen seines Beschlusses angeführte) Informationsblatt der EMA vom 26. Juli 2013 über die Versagung der Genehmigung für das Inverkehrbringen von Xeljanz vorgelegt.

Die Klägerin hat unter dem 1. Juli 2015 bei der Beklagten wegen der (nicht erfolgreichen) Basistherapie mit Etanercept (= Enbrel) um eine nochmalige Überprüfung des Sachverhalts gebeten. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 22. Juli 2015 entschieden, den Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2015 nicht nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückzunehmen. Hiergegen hat die Klägerin Widerspruch erhoben.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats, die Akten des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig. Die Klägerin hat die Beschwerde form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerde ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen. Denn eine Berufung in der Hauptsache bedürfte nicht der Zulassung. Für die von der Klägerin begehrte Versorgung mit Xeljanz fallen jährlich Kosten in Höhe von ca. EUR 22.000,00 an, so dass der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG überschritten ist.

2. Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit Xeljanz.

Da vorliegend kein Fall der Anordnung der aufschiebenden Wirkung oder der sofortigen Vollziehung nach § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG. Im Betracht kommt insoweit allein die Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Danach sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, sodass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein.

a) Zutreffend kam das SG zum Ergebnis, dass ein Anordnungsanspruch der Klägerin nicht besteht.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs. 1 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen müssen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Die Leistungen der Krankenkassen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V).

aa) Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Die Versorgung mit Arzneimitteln können Versicherte aber nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem sie angewendet werden sollen. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 3, § 12 Abs. 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs. 1 AMG) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (ständige Rechtsprechung, vgl. neben den vom SG im angefochtenen Beschluss genannten Urteilen des BSG auch Urteile vom 3. Juli 2012 - B 1 KR 25/11 R - und 2. September 2014 - B 1 KR 11/13 R - beide in juris m.w.N.). Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30. Juni 2008 - 1 BvR 1665/07 - in juris). Die notwendige arzneimittelrechtliche Zulassung für Deutschland und die Europäische Union fehlt für Xeljanz, wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen. Die EMA lehnte die Zulassung ausdrücklich ab.

bb) Da die arzneimittelrechtliche Zulassung für Xeljanz fehlt, scheidet ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit diesem Arzneimitteln nach den Grundsätzen des Off-Label-Use (dazu z.B. BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 - B 1 KR 25/11 R - a.a.O. und Urteil vom 13. August 2014 - B 6 KA 38/13 R - in juris) aus. Denn dies setzt die Anwendung eines zugelassenen Arzneimittels für einen anderen Indikationsbereich als den der Zulassung voraus.

Unabhängig davon sind auch die Voraussetzungen für den Off-Label-Use nicht gegeben. Dieser kommt unter anderem nur in Betracht, wenn es aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Von solchen hinreichenden Erfolgsaussichten ist nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Es müssen also Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sein und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen (z.B. BSG, Urteile vom 3. Juli 2012 - B 1 KR 25/11 R - und 13. August 2014 - B 6 KA 38/13 R - ,a.a.O.). Solche Studien sind nicht erkennbar. Solche Studien nennen Dres. M. und B. in ihren Gutachten vom 5. Januar und 29. April 2015 nicht. Die Klägerin selbst hat auch keine solche Studien aufgezeigt. Im Hinblick auf die Ausführungen der EMA unter dem 26. Juli 2013 zur Versagung der Zulassung für Xeljanz, die das SG im angefochtenen Beschluss wiedergegeben hat, worauf der Senat Bezug nimmt, ist zudem davon auszugehen, dass die fünf Hauptstudien, die der Hersteller im Zulassungsverfahren bei der EMA vorlegte, einen überwiegenden Nutzen von Xeljanz bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis nicht belegen. Insbesondere ergaben sich wesentliche Bedenken im Hinblick auf das Sicherheitsprofil von Xeljanz hinsichtlich des Risikos für schwere Infektionen sowie der Art der im Zusammenhang mit Tofacitinib beobachteten Infektionen, die durch die immunsubversive Wirkung von Xeljanz bedingt sind, sowie andere schwere Nebenwirkungen (gewisse Krebserkrankungen, Magen-Darm-Perforationen, Leberschäden und Probleme im Zusammenhang mit erhöhten Blutfettwerten).

cc) Ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit Xeljanz ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V, eingefügt mit Wirkung vom 1. Januar 2012 durch Art. 1 Nr. 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG) vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2983). Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Mit dieser Vorschrift setzte der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BVerfG im Beschluss vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98, a.a.O.) zur grundrechtsorientierten Auslegung der Leistungspflichten in der gesetzlichen Krankenversicherung um. Die Grundsätze dieser grundrechtsorientierten Auslegung finden für Arzneimittel nur eingeschränkt unter Beachtung verfassungskonformer Wertungen des AMG Anwendung (BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 - B 1 KR 25/11 R - a.a.O.).

(1) Eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung ist nur zu bejahen, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches gilt für den gegebenenfalls gleichzustellenden, nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion. Es reicht nicht aus, dass eine Erkrankung unbehandelt zum Tode führt, weil dies auf nahezu jede schwere Erkrankung ohne therapeutische Einwirkung zutrifft (z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - B 1 KR 70/12 R - in juris m.w.N.). Der Senat vermag dies nicht festzustellen. Der Verlauf der rheumatoiden Arthritis, an der die Klägerin leidet, führt nicht innerhalb eines kürzeren Zeitraums zum Tode. Soweit die Klägerin auf den Verlust ihrer Gehfähigkeit verweist und dies als wertmäßig einer lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung gleichstellen will, vermag dies vorliegend nicht durchzugreifen. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin ist ihre Gehfähigkeit bereits beeinträchtigt und sie ist auf den Rollstuhl angewiesen.

(2) Auch eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf von Xeljanz bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis lässt sich aus den unter bb) genannten Gründen, insbesondere unter Berücksichtigung der genannten Nebenwirkungen, nicht feststellen. Das SG hat deshalb zu Recht ausgeführt, dass die abstrakte und konkret auf die Klägerin bezogene Nutzen-Risiko-Analyse (vgl. BSG, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R - in juris) nicht zu Gunsten der Klägerin ausfällt.

dd) Bei dieser Sachlage kann dahingestellt bleiben, ob im Hinblick auf die negative Zulassungsentscheidung der EMA für einen Import von Xeljanz aus dem Ausland die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 3 AMG gegeben sind. Ein Import nach dieser Vorschrift kommt nur in Betracht, wenn keine negative Zulassungsentscheidung vorliegt; ist eine solche vorhanden, bleibt es beim allgemein Importverbot nach § 30 Abs. 4 AMG (vgl. BSG, Urteil vom 17. März 2005 - B 3 KR 2/05 R -, a.a.O.). Im vorliegenden Fall liegt eine negative Zulassungsentscheidung der EMA vor. Diese würde bei einem Einzelimport umgangen.

ee) Dass die Klägerin sowie die sie behandelnde Ärztin Dr. H. einen positiven Verlauf der Erkrankung bei der Gabe von Xeljanz annehmen, reicht nicht aus, um eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung zu begründen (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 2. September 2014 - B 1 KR 11/13 R - a.a.O.).

ff) Die Behauptung der Klägerin, die entstehenden Kosten für eine Therapie mit Xeljanz seien in etwa gleich wie die Kosten einer Therapie mit Etanercept (= Enbrel), ist unerheblich. Ein Sachleistungsanspruch besteht nicht schon deshalb, weil die Krankenkasse vermeintlich keine höheren Aufwendungen haben soll oder Aufwendungen anderer Art erspart. Denn sonst könnte die krankenversicherungsrechtliche Beschränkung auf bestimmte Formen der Leistungserbringung letztlich ohne Weiteres umgangen werden (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 13. Oktober 2010 - B 6 KA 48/09 R - in juris m.w.N.).

b) Da ein Anordnungsanspruch nicht besteht, braucht der Senat nicht zu prüfen, ob ein Anordnungsgrund gegeben ist.

3. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved