L 3 SB 2662/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 877/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2662/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des beim Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) streitig. Bei dem im Jahr 1985 geborenen Kläger stellte das Landratsamt A. (LRA) mit Bescheid vom 5.5.2011 einen GdB von 50 seit dem 15.2.2011 fest. Es berücksichtigte hierbei, entsprechend einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B. vom 2.5.2011, als Funktionsbeeinträchtigungen "Schlaganfallfolgen, kognitive Teilleistungsschwäche, Seelische Störung" mit einem Einzel-GdB von 40 und eine "inkomplette homonyme Hemiansopathie rechter oberer Quadrant" mit einem solchen von 20. Am 17.10.2012 beantragte der Kläger beim LRA die Erhöhung des GdB. Er verwies hierzu auf die Folgen zweier Schlaganfälle und legte den Bericht der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Heidelberg vom 19.6.2012 über seine dortige stationäre Behandlung vom 14. - 20.6.2012 wegen eines aktuellen Mediainfarkts rechts sowie den ärztlichen Entlassungsbericht der Kliniken Schmieder, Heidelberg, vom 20.7.2012 über eine dort vom 29.6. - 20.7.2012 durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme vor. Nach versorgungsärztlicher Überprüfung durch Dr. B., der unter dem 29.10.2012 für die "Folgen nach mehrfachem Schlaganfall, kognitive Leistungsschwäche, seelische Störung" einen Einzel-GdB von 50 und für eine "inkomplette homonyme Hemiansopathie rechter oberer Quadrant" unverändert einen solchen von 20 und insg. einen GdB von 60 vorschlug, stellte das LRA mit Bescheid vom 2.11.2012 den GdB des Klägers seit dem 17.10.2012 mit 60 fest. Den hiergegen eingelegten Widerspruch, mit dem der Kläger vorbrachte, eine Erhöhung des GdB auf 70 sei angemessen, wies der Beklagte nach einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch Dr. Bürkle vom 19.12.2012 mit Widerspruchsbescheid vom 7.2.2013 als unbegründet zurück. Die Erhöhung des GdB auf 60 gebe das tatsächliche Ausmaß der eingetretenen Veränderungen wieder. Maßgeblich hierfür seien nicht die Anzahl der erlittenen Schlaganfälle, sondern vielmehr die dauerhaft verbliebenen Folgen. Hiergegen hat der Kläger am 7.3.2012 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er vorgetragen, er habe bereits fünf Schlaganfälle erlitten. Er leide unter Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und Panikanfällen, so dass von einer erheblichen Leistungsbeeinträchtigung auszugehen sei. Daneben bestünden psychische Störungen und eine Gesichtsfeldeinschränkung, weswegen ein GdB von 70 angemessen sei. Das SG hat bei Dr. C., Facharzt für Innere Medizin, die dort vorliegende Befundberichte und Arztbriefe, u.a. von Dr. D., Facharzt für Neurologie, vom 10.7.2012 eingeholt, in dem Dr. D. die Ergebnisse einer Untersuchung des Klägers am 3.7.2012 (regelgerechte Hirnnerven, keine Paresen und keine Koordinierungs- oder Sensibilitätsstörungen) beschrieben hat.

Das SG hat sodann auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Dr. H., Oberarzt der Medizinischen Klinik, Schwerpunkt Neurologie, an der E.-F.-Klinik, G., zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem neurologischen Sachverständigengutachten vom 28.2.2014 hat Dr. H., Facharzt für Neurologie, beim Kläger einen Zustand nach mehreren ischämischen Schlaganfällen im Versorgungsgebiet der mittleren Hirnarterie bds. sowie im Versorgungsgebiet der hinteren Hirnarterie links benannt. Diese führten zu einer Quadrantenanopsie rechts oben, die klinisch gut kompensiert sei und bei einer fingerperimetrischen klinischen Untersuchung nicht habe erfasst werden können. Ferner bestehe eine leichte Beeinträchtigung der Wortflüssigkeit bzw. eine Wortfindungsstörung, die in Stresssituationen und bei schwierigen Themen auffalle. Auch bestehe beim Kläger ein Post-stroke-fatigue-Syndrom mit leichter Erschöpfbarkeit, vermindertem Leistungsniveau sowie rezidivierend auftretenden Panikattacken und Angstzuständen sowie vegetativen Störungen in Form von Ein- und Durchschlafstörungen. Der Einzel-GdB für das Post-stroke-fatigue-Syndrom sei mit 40, der für die verbliebene Restaphasie mit 30 und der für die Quadrantenanopsie mit 20 anzusetzen. Den Gesamt-GdB für die Folgen der rezidivierenden ischämischen Schlaganfälle hat Dr. H. mit 60 eingeschätzt.

Mit Gerichtsbescheid vom 16.5.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, dass mit der Erhöhung des GdB von 50 auf 60 den eingetretenen Veränderungen zutreffend Rechnung getragen sei. Eine weitergehende Veränderung, die einen GdB von 70 rechtfertigen könnte, sei nicht eingetreten. Der behandelnde Neurologe Dr. D. habe einen regelhaften neurologischen Befund beschrieben. Auch der gutachterlich gehörte Neurologe Dr. H. habe unter Berücksichtigung der vorgetragenen klägerischen Beschwerden nach dem erneuten Schlaganfall einen Gesamt-GdB von 60 angenommen.

Gegen den am 19.5.2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 23.6.2014 Berufung eingelegt. Er bringt unter Beantragung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor, weder ihn noch seine bevollmächtigte Rechtsanwältin treffe ein Verschulden an der verspäteten Einlegung des Rechtsmittels. In der Kanzlei würden einzuhaltende Fristen von der Rechtsanwaltsfachangestellten Walther (W.) berechnet und in den Kanzleikalender eingetragen. Die geschulte und stets äußerst zuverlässige Bürofachkraft, die die ihr übertragenen Aufgaben sehr gewissenhaft ausführe, habe vorliegend die einzuhaltende Berufungsfrist fehlerhaft auf den 23.6. anstatt auf den 20.6.2014 eingetragen. Hierzu hat der Kläger eine Versicherung an Eides statt von W. vorgelegt, nach der sie fälschlicherweise davon ausgegangen sei, dass der Feiertag am 19.6.2014 auf einen Freitag falle und die Frist daher erst am darauffolgenden Montag, dem 23.6.2014 ablaufe. Inhaltlich bringt der Kläger vor, der Gutachter Dr. H. habe auf neurologischem Fachgebiet einen GdB von 60 angenommen. Unter Berücksichtigung der Gesichtsfeldeinschränkung, die einen Einzel-GdB von 20 bedinge, sei ein GdB von insg. 70 angemessen. Die Panikattacken hätten sich überdies auch durch eine psychotherapeutische Behandlung nicht gebessert.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. Mai 2014 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 2. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2013 zu verurteilen, die bei ihm bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Grad der Behinderung von 70 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet die Berufung, unabhängig davon, ob sie fristgerecht erhoben wurde, auch inhaltlich für unbegründet. Hierzu hat er eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Götz vom 6.2.2015 vorgelegt.

Der Senat hat die Dipl.-Psych. I. schriftlich als sachverständige Zeugin einvernommen. Diese hat unter dem 23.10.2014 berichtet, dass der Kläger vom 19.5.2011 - 9.3.2012 von ihr behandelt worden sei. Der Kläger leide an einer Agoraphobie mit Panikstörung, die zu Störungen im Bereich der Aufmerksamkeit, der Konzentrationsfähigkeit, des Gedächtnisses, des Antriebs der Affektivität und zu einer verminderten Belastbarkeit führe. Der Kläger zeige ein soziales Rückzugsverhalten, es bestehe eine mittelgradige soziale Anpassungsstörung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die beim Beklagten für den Kläger geführte Schwerbehindertenakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 19.8.2015 geworden sind, sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 19.8.2015 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung führt für den Kläger nicht zum Erfolg. Obschon die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 16.5.2014 erst am 23.6.2014, d.h. außerhalb der Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 SGG von einem Monat ab Zustellung des Gerichtsbescheides, die vorliegend mit dem 20.5.2014, dem Tag nach dessen Zustellung am 19.5.2014, zu laufen begann (§ 64 Abs. 1 SGG) und mit Ablauf des 19.6.2014, dem Freitag nach dem gesetzlichen Feiertag Fronleichnam, endete (vgl. §§ 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SGG), ist die Berufung zulässig, da dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 Abs. 1 SGG). Verschulden i.S.d. § 67 Abs. 1 SGG ist das Versäumen einer Verfahrensfrist, wenn ein Beteiligter nicht die ihm nach seinen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt beachtet, die unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles zur gewissenhaften Prozessführung nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise erforderlich ist. Dabei muss sich der Beteiligte das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nach § 73 Abs. 4 SGG i.V.m. § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) zurechnen lassen. Hingegen ist ein etwaiges Verschulden des Kanzleipersonals, soweit es nicht auf ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten selbst zurückzuführen ist, dem Beteiligten nicht zuzurechnen, da das Hilfspersonal des Rechtsanwalts nicht zu den Bevollmächtigten i.S.d. § 73 Abs. 6 Satz 6 SGG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zählt (Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., 2014, § 67, Rn. 8b). Im gegebenen Zusammenhang dürfen Rechtsanwälte Hilfstätigkeiten, die mit der Prozessführung zusammenhängen, gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Angestellten übertragen. Dies gilt auch für die Eintragung einer Berufungsfrist, deren Berechnung i.d.R. keine größeren Schwierigkeiten aufweist (vgl. Bundesgerichtshof [BGH], Beschluss vom 13.1.2011 - VII ZB 95/08 - veröffentlicht in juris, dort Rn. 9 f.). Kommt es in diesem Zusammenhang zu einer Fristversäumnis, kann Wiedereinsetzung daher gewährt werden. Gründet ein fehlerhaftes Handeln des Hilfspersonals jedoch in einem Auswahl-, Überwachungs- oder Organisationsverschulden des Anwalts, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich. In diesem Zusammenhang hat der Rechtsanwalt zur Sicherung von Fristen bestimmte Mindestvorkehrungen zu treffen (vgl. hierzu Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 15.12.1997 - 10 BLw 8/97 - veröffentlicht in juris, dort Rn. 5). Ein Rechtsanwalt darf das Empfangsbekenntnis über die Urteilszustellung erst dann unterschrieben zurückgeben, wenn der Zeitpunkt der Zustellung (hier der 19.5.2014) und damit der Beginn der Rechtsmittelfristen entweder auf dem zugestellten Schriftstück selbst oder sonst in den Handakten vermerkt ist. Anhand dieses Vermerks sind die Fristen zu berechnen und das Ergebnis ist in den Handakten festzuhalten. Sodann ist grds. zu verfügen, dass die Notierung der Fristen im Fristenkalender zusammen mit einer sog Vorfrist erfolgt. Die Eintragung der Fristen in den Kalender ist durch einen Erledigungsvermerk in der Handakte zu dokumentieren. In der von der Klägerbevollmächtigten vorgelegten Kopie des Gerichtsbescheides ist i.d.S. sowohl der Eingangsstempel der Kanzlei, der einen Eingang am 19.5.2014 ausweist, als auch die von der Rechtsanwaltsfachangestellten W. vorgenommene Fristberechnung ersichtlich. Auch ist die Eintragung der Frist in den Kalender durch den unterschriftlichen Erledigungsvermerk dokumentiert. Zwar ist aus der vorgelegten Kopie des Gerichtsbescheides keine Vorfrist vermerkt, indes ist eine Vorfrist für die Einlegung eines Rechtsmittels, anders als bei etwaigen Rechtsmittelbegründungspflichten, nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 6.12.2006 - XII ZB 99/06 - veröffentlicht in juris, dort Rn. 8). Da nicht ersichtlich ist, dass aufgrund besonderer Umstände im vorliegenden Fall Anlass für eine Kontrolle im Einzelfall bestand, durfte die Bevollmächtigte des Klägers darauf vertrauen, dass ihre Vorgaben betr. die Fristen befolgt werden und sie deswegen nicht verpflichtet war, jeden Einzelschritt der beauftragten Hilfskraft zu überwachen (vgl. BGH, Beschluss vom 29.6.1995 - III ZB 6/95 - veröffentlicht in juris). Da mithin die Bevollmächtigte kein Verschulden trifft und auch die weiteren Voraussetzung des § 67 Abs. 1 SGG (Antragstellung binnen eines Monats und Nachholung der versäumten Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist) erfüllt sind, ist dem Kläger Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist zu gewähren. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der angefochtene Bescheid vom 2.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.2.2013 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die bei ihm bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen mit einem höheren GdB als 60 festzustellen sind.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung - vorliegend dem vom 5.5.2011 - vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Eine wesentliche Änderung ist im gegebenen Zusammenhang im Hinblick auf die Feststellung des GdB anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustandes eine Herabsetzung oder Erhöhung des festgestellten (Gesamt-) GdB um wenigstens 10 ergibt (u.a. BSG, Urteil vom 22.10.1986 - 9a RVs 55/85 - veröffentlicht in juris). Die Änderung der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen oder das Hinzutreten weiterer Funktionsbeeinträchtigungen ohne Auswirkung auf den GdB stellen hingegen keine wesentliche Änderung in diesem Sinne dar (BSG, Urteil vom 24.6.1998 - B 9 SB 18/97 R - veröffentlicht in juris). Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, ist durch einen Vergleich der gegenwärtigen - d.h. den Verhältnissen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - mit dem verbindlich festgestellten objektiven Behinderungszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des zuletzt bindend gewordenen Bescheides zu ermitteln. Bei einer derartigen Neufeststellung handelt es sich nicht um eine reine Hochrechnung des im letzten maßgeblichen Bescheid festgestellten GdB, sondern um dessen Neuermittlung unter Berücksichtigung der gegenseitigen Beeinflussung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19.9.2000 - B 9 SB 3/00 R - veröffentlicht in juris).

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die zur Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist hierbei nur dann zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX). Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der Fassung des am 15.1.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 7.1.2015 (BGBl. II S. 15) ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht, indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der ab dem 15.1.2015 geltenden Fassung, dass, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs.1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 1.1.2009 an die Stelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG; die jeweilige Seitenangabe bezieht sich auf das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebene Printexemplar) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung [VersMedV]) heranzuziehen, die auf Grundlage von § 30 Abs. 16 BVG erlassen wurde.

In Anlegung der dortigen Maßstäbe sind die beim Kläger bestehenden funktionellen Beeinträchtigungen nicht mit einem höheren GdB als 60 zu bewerten.

Der Zustand der Behinderung des Klägers wird maßgeblich durch die Folgen mehrfacher Schlaganfälle geprägt. Bei Hirnschäden ist nach Nr. 3.1 Buchst. b) der VG (S. 35) das Ausmaß der bleibenden Ausfallerscheinungen für die GdB-Bewertung bestimmend. Dabei sind die neurologischen Befunde, die Ausfallerscheinungen im psychischen Bereich und ggf. das Auftreten von zerebralen Anfällen zu beachten. Hirnschäden mit geringer Leistungsbeeinträchtigung sind mit einem Einzel-GdB von 30 - 40, solche mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung mit einem solchen von 50 - 60 und Hirnschäden mit schwerer Leistungsbeeinträchtigung mit einem solchen von 70 - 100 zu bewerten (Nr. 3.1.1. der VG [S. 36]). Dr. H., der im erstinstanzlichen Verfahren gutachterlich gehört wurde, hat in seinem Gutachten beschrieben, dass die neurologischen Auswirkungen der Infarkte gering bzw. unwesentlich seien. Eine nach dem Mediateilinfarkt rechts vom Juni 2012 initial bestehende Hemisymptomatik sei im weiteren Verlauf komplett regredient. I.d.S. hat Dr. H. lediglich von einer residuellen aphasischen Störung mit einer leichten Beeinträchtigung der Wortflüssigkeit bzw. einer Wortfindungsstörung berichtet, die indes nur bei schwierigen Themen bzw. in Stresssituationen auftrete. Die zeitnah aufgetretenen konsekutiven Lähmungserscheinungen hätten sich, so Dr. H. weiter, im Verlauf der intensiven rehabilitativen Behandlung weitgehend normalisiert. Dementsprechend hat Dr. H. anlässlich seiner Untersuchung keine weitergehenden Ausfallerscheinungen beschrieben. Auch der behandelnde Facharzt für Neurologie, Dr. D., hat anlässlich seiner Untersuchung am 3.7.2012 beim Kläger einen unauffälligen neurologischen Befund beschrieben und mitgeteilt, die Hirnnerven seien regelrecht, es bestünden keine Paresen und keine Koordinierungs- oder Sensibilitätsstörungen. Korrespondierend zu den vom Kläger geschilderten aktuellen Beschwerden, dem Auftreten von Panikattacken, Angstzuständen, Ein- und Durchschlafstörungen, Konzentrationsstörungen und einer raschen Erschöpfbarkeit hat Dr. H. die Beeinträchtigungen maßgeblich und folgerichtig auf der psychischen Ebene verortet und in diesem Zusammenhang ein Post-stroke-fatigue-Syndrom diagnostiziert. Die von Dr. H. beschriebenen Folgen rechtfertigen unter Einschluss der beim Kläger bestehenden Restaphasie, die nach den Bekundungen von Dr. H. nur bei schwierigen Themen bzw. in Stresssituationen zu Tage tritt, in Anlegung der oben angeführten Maßstäbe die Annahme einer mittelgradigen, sich im Alltag deutlich auswirkenden Ausprägung. Eine weitergehende Berücksichtigung innerhalb des hierdurch eröffneten GdB-Rahmens für mittelgradige Störungen von 50 - 60 ist hingegen nicht möglich. Zwar ist insofern zu berücksichtigen, dass Nr. 3.1.2. der VG (S. 36) ergänzend zu Nr. 3.1.1 der VG festlegt, dass bei Hirnschäden mit isoliert vorkommenden bzw. führenden Syndromen, die mit psychischen Störungen einhergehen, bei einer leichten, sich im Alltag nur gering auswirkenden Ausprägung ein Einzel-GdB von 30 - 40, bei einer mittelgradigen, sich im Alltag deutlich auswirkenden Ausprägung mit ein solcher von 50 - 60 und bei schweren Störungen mit ein solcher von 70 - 100 einzustellen ist, Dr. H. hat insofern jedoch ausgeführt, dass der Kläger bei interpersonellen Aktivitäten und in seinen Beziehungen nicht beeinträchtigt sei. Auch könne er seinem Hobby, dem Tennisspielen, unverändert nachgehen und sei in der Lage, selbstständig im Außendienstbereich tätig zu sein. Da Dr. H. schließlich eine Beeinträchtigung weiterer psychischer Dimensionen (Antrieb, Bewusstsein, Orientierung, Affekt) verneint hat, können die Folgen der Schlaganfälle auch unter maßgeblicher Berücksichtigung der psychischen Folgen, nicht mit einem höheren GdB als 50 bewertet werden. Soweit die behandelnde Dipl.-Psych. Nowotny in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Senat noch weitergehende Beeinträchtigungen benannt hat, fällt auf, dass die bis zum 9.3.2012 andauernde Behandlung des Klägers weder von Dipl.-Psych. Nowotny noch anderweitig fortgeführt wurde, so dass davon auszugehen ist, dass der Kläger selbst keine Behandlungsbedürftigkeit mehr gesehen hat und sieht. Eine weitergehende Bewertung der psychischen Folgen scheidet daher aus. Mithin können die Folgen der Schlaganfälle einschließlich der Restaphasie nicht mit einem höheren Einzel-GdB als 50 bewertet werden. Daneben besteht beim Kläger eine inkomplette homonyme Hemiansopathie des rechten oberen Quadranten. Nach Nr. 4.5 der VG (S. 48) sind Gesichtsfeldausfälle bei einem vollständigen Halbseiten- und Quadrantenausfall bei einer homonymen Hemianopsie mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten. Bei einem unvollständigen Halbseiten- und Quadrantenausfall ist der GdB entsprechend niedriger anzusetzen. Da beim Kläger ausschließlich der obere rechte Quadrant betroffen ist, Dr. H. hierzu angegeben hat, die Einschränkung sei klinisch gut kompensiert und bei einer fingerperimetrischen Untersuchung klinisch nicht erfassbar, sind die Auswirkungen der Gesichtsfeldeinschränkung nicht mit einem höheren Einzel-GdB als 20 zu bewerten.

In Zusammenschau der beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ist zur Überzeugung des Senats ein GdB von mehr als 60, wie klägerseits begehrt, nicht festzustellen. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist, bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft, der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Eine Zusammenschau der beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ergibt vielmehr, dass das Gesamtbild der Behinderung maßgeblich durch die (psychischen) Schlaganfallfolgen geprägt wird und sich durch die Gesichtsfeldeinschränkung nur um 10 Punkte erhöht.

Mithin ist der GdB des Klägers ab dem 17.10.2012 zutreffend mit 60 festgestellt worden.

Der Gerichtsbescheid des SG vom 16.5.2014, mit dem die Klage gegen den Bescheid vom 2.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.2.2013 abgewiesen wurde, ist mithin nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers ist zurückzuweisen.
Rechtskraft
Aus
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