L 10 R 1088/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 5837/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1088/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23.02.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt höhere Altersrente unter Berücksichtigung jeweils eines weiteren persönlichen Entgeltpunkts für die Erziehung ihrer vier Kinder.

Die am 1942 geborene Klägerin bezieht seit 01.11.2002 Altersente für Frauen (Bescheid vom 24.07.2002), die anfänglich in Höhe von brutto 497,07 EUR gewährt wurde. Unter Berücksichtigung von Pflichtbeiträgen für Kindererziehung von jeweils zwölf Monaten für die vier Töchter der Klägerin (K. , geboren am 10.03.1975, A. , geboren am 06.02.1977, C. , geboren am 26.11.1978, S. , geboren am 01.11.1981) lagen der Rentenberechnung dabei persönliche Entgeltpunkte im Umfang von 15,8720 zu Grunde. Hinsichtlich der Einzelheiten der Rentenberechnung wird auf den Bescheid verwiesen.

Mit Bescheid vom 04.09.2014 berechnete die Beklagte die Altersrente der Klägerin für die Zeit ab 01.07.2014 neu (brutto nunmehr 655,16 EUR), wobei sie für die Kindererziehung eines jeden Kindes einen Zuschlag in Höhe eines persönlichen Entgeltpunktes berücksichtigte (sog. Mütterrente), mithin insgesamt nunmehr 19,8720 persönliche Entgeltpunkte. Hiergegen legte die Klägerin mit der Begründung Widerspruch ein, im Gegensatz zu Müttern, deren Kinder ab 1992 geboren worden seien, die je Kind drei Entgeltpunkte erhielten, würden bei ihr nur zwei Entgeltpunkte berücksichtigt. Dies verstoße gegen das Grundgesetz. Sie begehre, der Rentenberechnung ebenfalls drei Entgeltpunkte zu Grunde zu legen, hilfsweise das Verfahren bis zum Vorliegen einer höchstrichterlichen Entscheidung auszusetzen. Ein entsprechendes Verfahren sei beim Bundessozialgericht (BSG) auf Grund der gegen die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 04.11.2013 ( L 2 R 352/13) eingelegten Revision bereits anhängig (B 13 R 31/13 R). Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.2014 und der Begründung zurückgewiesen, nach dem Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) vom 23.06.2014 (BGBl. I, 787) erhielten ab 01.07.2014 Mütter oder Väter, die am 30.06.2015 bereits Anspruch auf eine Rente hätten, zu ihrer Rente einen Zuschlag in Höhe eines persönlichen Entgeltpunktes je Kind. Entgeltpunkte in dem von der Klägerin begehrten Umfang sehe dieses Gesetz nicht vor. Auch seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das RV-Leistungsverbesserungsgesetz gegen das Grundgesetz verstoßen könnte. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe bereits die bis zum 30.06.2014 gültig gewesene Regelung (zwölf Monate Kindererziehungszeiten für vor dem 01.01.1992 geborene Kinder) für mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar erklärt (Urteil vom 07.07.1992, u.a. 1 BvL 51/86) und seither alle Beschwerden, soweit sie die Ungleichbehandlung von Kindererziehungszeiten im Rahmen der Stichtagsregelung betrafen, nicht mehr zur Entscheidung angenommen (u.a. Beschlüsse vom 29.03.1996, 1 BvR 1238/95 und vom 21.10.2004, 1 BvR 1596/01).

Am 16.12.2014 hat die Klägerin dagegen beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben und an ihrem Begehren festgehalten, bei der Rentenberechnung für die Erziehung ihrer vier Kinder jeweils einen weiteren Entgeltpunkt zu berücksichtigen. Die Ungleichbehandlung der Kinder in der Rentenversicherung, die vor 1992 und ab 1992 geboren sind, verstoße gegen das GG.

Mit Gerichtsbescheid vom 23.02.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Dem Begehren der Klägerin ermangele es an einer gesetzlichen Grundlage. Denn § 307d des Sechsten Buches Sozialgesetzbuchs (SGB VI) sehe für die Kindererziehung eines vor dem 01.01.1992 geborenen Kindes lediglich einen Zuschlag für jedes Kind von einem persönlichen Entgeltpunkt vor. Es bestehe weder Grund, das Ruhen des Verfahrens bis zum Vorliegen einer Entscheidung des BSG in dem Verfahren B 13 R 31/13 R anzuordnen noch Anlass, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen. Bereits in seiner Entscheidung vom 07.07.1992 (a.a.O.) habe das BVerfG deutlich gemacht, dass die Stichtagsregelung im Hinblick auf die ab 01.01.1992 geborenen Kinder keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, dem Gesetzgeber insoweit eine weite Einschätzungsprärogative zustehe und er bei der Frage einer (weitergehenden) Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten auch die personelle Situation der Rentenversicherungsträger berücksichtigen dürfe und vor diesem Hintergrund auch berechtigt sei, die Neuregelung auf die Rentenzugänge zu beschränken, wenn die Einbeziehung der Bestandsrentner mit einem besonders großen Aufwand verbunden wäre.

Am 17.03.2015 hat die Klägerin dagegen beim SG Berufung zum Landessozialgericht (LSG) eingelegt und ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat darauf hingewiesen, dass die Entscheidung des BVerfG zwischenzeitlich mehr als zwanzig Jahre zurückliege und es nicht das erste Mal wäre, dass dieses Gericht seine Urteile ändere oder der Entwicklung anpasse.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23.02.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 04.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2014 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung je eines weiteren persönlichen Entgeltpunktes für die Erziehung ihrer Kinder K. , A. , C. und S. höhere Altersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetztes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig; die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zur Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 04.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere Altersrente. Denn ein Anspruch auf Berücksichtigung von jeweils einem weiteren persönlichen Entgeltpunkt für die Erziehung ihrer vier Kinder steht ihr nicht zu.

Nach dem mit Wirkung ab dem 01.07.2014 durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz in Kraft getretenen § 307d Abs. 1 SGB VI wird - soweit am 30.06.2014 Anspruch auf eine Rente bestand - ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung für ein vor dem 01.01.1992 geborenes Kind berücksichtigt, wenn in der Rente eine Kindererziehungszeit für den 12. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet wurde (Nr. 1) und kein Anspruch nach den §§ 294 und 294 a besteht (Nr. 2). Gemäß Absatz 2 Satz 1 der Regelung beträgt der Zuschlag für jedes Kind einen persönlichen Entgeltpunkt.

Auf der Grundlage dieser Vorschrift berücksichtigte die Beklagte bei der Berechnung der Altersrente der Klägerin zusätzlich zu den der Rentenberechnung bisher zugrundeliegenden 15,8720 persönlichen Entgeltpunkten für die Erziehung eines jeden ihrer vier Töchter einen weiteren persönlichen Entgeltpunkt, mithin nunmehr 19,8720 persönliche Entgeltpunkte, und gewährte ihr ausgehend hiervon ab 01.07.2014 höhere Altersrente. Die so erfolgte Neuberechnung der Altersrente der Klägerin begegnet keinen Bedenken und ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin kann insbesondere keine noch höhere Rente unter Berücksichtigung von jeweils einem weiteren persönlichen Entgeltpunkt für die Erziehung jedes ihrer Kinder beanspruchen. Denn eine gesetzliche Grundlage hierfür besteht, worauf das SG zutreffend hingewiesen hat, nicht.

Dementsprechend kann auch die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben und ist zurückzuweisen.

Ebenso wie das SG sieht auch der Senat keinen Grund dafür, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen. Ein derartiges Vorgehen ist gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dann vorgesehen, wenn das Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt für verfassungswidrig hält. Der Senat erachtet die vorliegend anzuwendende Regelung, soweit diese von der Klägerin beanstandet wird, indes nicht für verfassungswidrig. Für den Senat sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die in Rede stehende Regelung deshalb mit der Verfassung unvereinbar sein könnte, weil der Gesetzgeber mit der zum 01.07.2014 in Kraft getretenen Ausdehnung der in der Rentenversicherung zu berücksichtigenden Zeiten der Kindererziehung für die vor dem 01.01.1992 geborenen Kinder nur eine Verbesserung verwirklichte, nicht aber im Sinne des Begehrens der Klägerin eine Angleichung an die Regelungen für die ab dem 01.01.1992 geborenen Kinder traf, für die § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Kindererziehungszeiten in den ersten drei Lebensjahren vorsieht.

Dass eine solche Angleichung aus verfassungsrechtlichen Gründen zum 01.07.2014 geboten gewesen wäre ist nicht ersichtlich. Zwar hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 07.07.1992 (a.a.O.) ausgeführt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, den Mangel des Rentenversicherungssystems, der in den durch Kindererziehung bedingten Nachteilen bei der Altersversorgung liegt, in weiterem Umfang als bisher auszugleichen. Diesem Auftrag ist der Gesetzgeber mit der zeitlichen Ausdehnung der Kindererziehungszeiten ab den Geburtsstichtag 01.01.1992 nachgekommen. Im Hinblick auf die erforderlichen Reformschritte hat das BVerfG in seinem Kammerbeschluss vom 29.03.1996 (1 BvR 1238/95) jedoch deutlich gemacht, dass die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers unzulässig beschränkt würde, wenn es ihm verwehrt wäre, eine derart komplexe Reform wie die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei der Altersversorgung in mehreren Stufen zu verwirklichen. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat keinen Grund für die Annahme, dass der Gesetzgeber mit der nun erfolgten weiteren Verbesserung der Leistungen für Kindererziehung den ihm eingeräumten Gestaltungsspielraum deshalb überschritten haben könnte, weil er zum 01.07.2014 lediglich eine weitere Verbesserung, nicht jedoch eine Angleichung an die Leistungen eingeführt hat, wie sie bereits für die Erziehung der ab dem 01.01.1992 geborenen Kinder besteht. Denn das BVerfG hat dem Gesetzgeber keine zeitliche Grenze zur Erfüllung seines Verfassungsauftrags gesetzt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht vor dem Hintergrund der dargelegten Gesichtspunkte keine Veranlassung. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in seiner Entscheidung vom 04.11.2013 die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat. Denn ungeachtet der hierfür maßgeblichen Gründe, hat der Gesetzgeber mit Inkrafttreten des § 307d SGB VI zum 01.07.2014 zwischenzeitlich einen weiteren Reformschritt umgesetzt, der in der seinerzeitigen Entscheidung noch keine Berücksichtigung finden konnte. Die gegen jenes Urteil eingelegte Revision hat das BSG im Übrigen mit Beschluss vom 28.01.2014 als unzulässig verworfen.
Rechtskraft
Aus
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