L 10 R 4474/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 21 R 2286/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 4474/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 25.09.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Erwerbsminderungsrente streitig.

Die 1965 geborene Klägerin erlernte den Beruf der Friseurin und war nach Umschulung zur Bürokauffrau zuletzt als Hilfsarbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt. Seit Dezember 2010 bezieht die Klägerin Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Im Frühjahr 2011 befand sich die Klägerin in einer stationären Rehabilitationsbehandlung in der Reha-Klinik am K. Bad K ... Im dortigen Entlassungsbericht wurden unter anderem ein chronisch-pseudoradikuläres myotendinotisches Zervikobrachialsyndrom bei Fehlhaltung, ein chronisch-myostatisches Lumbalsyndrom bei Stabilisationsdefizit, Fehlhaltung, ohne Funktionseinschränkungen und eine depressive Erkrankung seit Jahrzehnten, medikamentös behandelt, diagnostiziert. Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten, überwiegend im Stehen, im Gehen oder Sitzen, in Tages-, Früh- und Spätschicht, unter Vermeidung von länger anhaltenden Tätigkeiten in Zwangshaltungen sowie von Nachtschicht sechs Stunden und mehr ausüben.

Den Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente vom 08.11.2011 lehnte die Beklagte unter Bezugnahme auf den Reha-Entlassungsbericht mit Bescheid vom 05.12.2011 ab. Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin den Entlassungsbericht der Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie B. - Haus am M. - vom Dezember 2011 über die dortige Behandlung seit Juli 2011 vor. Bei der Klägerin wurde unter anderem eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode mit somatischem Syndrom, sowie eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und abhängigen Zügen diagnostiziert. Man unterstütze "unbedingt" eine Rentenantragstellung. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.03.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 20.04.2012 Klage zum Sozialgericht Stuttgart erhoben. Das Sozialgericht hat zunächst die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Der Internist Dr. R. hat mitgeteilt, die erhobenen Befunde würden eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit nicht begründen. Der Orthopäde Dr. M. hat erklärt, die orthopädischen Beschwerden der Klägerin seien Folge der psychiatrischen Beschwerden. Der Nervenarzt Dr. Dr. R. hat bei der Klägerin eine rezidivierende/anhaltende depressive Störung festgestellt, bei der es sich um eine Dysthymie handele. Erforderlich sei eine stufenweise Steigerung der Arbeitsleistung, ausgehend von zunächst unter vier Stunden täglich. Diplom-Psychologin O.-K. hat bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und abhängigen Zügen gesehen und ein wenigstens sechsstündiges Leistungsvermögen der Klägerin in Zweifel gezogen.

Das Sozialgericht hat weiterhin den Nervenarzt Dr. P. mit der Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens beauftragt. Dr. P. hat bei der Klägerin auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung im März 2013 Anpassungsstörungen bei psychosozialen Belastungen vor dem Hintergrund einer Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und abhängigen Zügen sowie Somatisierungsstörungen - somatoforme Schmerzstörung ohne wesentliches neurologisches pathologisches Korrelat - diagnostiziert. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden täglich und mehr unter Vermeidung von Nachtarbeit, Akkord und Tätigkeiten mit orthopädischen Einschränkungen ausüben. Die Klägerin hat eine "Ärztliche Stellungnahme zum Antrag auf Erhöhung des Grades der Behinderung" vom Juli 2013 von Dr. G. , Haus am Maienplatz, vorgelegt, in welcher eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, mit somatischem Syndrom, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und abhängigen Zügen diagnostiziert worden ist. Mit Gerichtsbescheid vom 25.09.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich zur Begründung im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. P. gestützt.

Gegen den der Klägerin am 07.10.2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese am 15.10.2013 Berufung eingelegt und sich zu deren Begründung auf die Einschätzungen des Dr. Dr. R. , der Diplom-Psychologin O.-K. , der Ärzte des Hauses am M. sowie auf das Ergebnis der im Berufungsverfahren nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) veranlassten Begutachtung durch Dr. E. berufen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 25.09.2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.03.2012 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig

Der Senat hat von Amts wegen eine Begutachtung durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. veranlasst. Dieser hat bei der Klägerin auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung im Januar 2014 u.a. eine Somatisierungsstörung mit deutlich konversionsneurotischer Färbung, eine von jeher vorbestehende kombinierte Persönlichkeitsstörung sowie ein Karpaltunnelsyndrom links diagnostiziert. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig ausüben. Auszuschließen seien Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Konfliktfähigkeit, mit überdurchschnittlich fordernden sozialen Interaktionen, unter ständigem Zeitdruck, in ständiger nervöser Anspannung, auf Leitern oder Gerüsten, an unmittelbar gefährdenden Maschinen und Tätigkeiten mit Nacht- oder Wechselschicht. Die Klägerin hat einen weiteren Entlassungsbericht des Hauses am M. über ihre teilstationäre Behandlung von Juli bis Oktober 2013 vorgelegt, in welchem bei Einweisungsdiagnose einer Dysthymie des Dr. Dr. R. u.a. eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelschwere bis schwere Episode, mit somatischem Syndrom diagnostiziert worden ist. Dr. B. hat in einer ergänzenden Stellungnahme auch in Ansehung des Entlassungs¬berichtes an seiner Beurteilung festgehalten.

Die als sachverständige Zeugin schriftlich vernommene Schmerztherapeutin Dr. C. hat bei der Klägerin ein Fibromyalgiesyndrom und eine langjährige mittelgradige depressive Störung diagnostiziert. Psychotherapeutin O.-K. hat in ihrer schriftlichen Zeugenaussage vom Juli 2014 von einer Verschlechterung aufgrund einer schleichend hinzugetretenen Angststörung berichtet. Dr. Dr. R. hat in seiner ergänzenden schriftlichen Zeugenaussage vom September 2014 von einem im wesentlichen unveränderten Befund bei Hinzutreten einer generalisierten Angststörung berichtet.

Der Senat hat auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Dr. E. , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat, beruhend auf einer Untersuchung im März 2015, bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung, überwiegend reaktiv, gegenwärtig mittelschwere Episode mit somatischem Syndrom, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit histrionischen, abhängigen und emotional instabilen Zügen diagnostiziert. Aufgrund der deutlich schmerzabhängigen und stark wechselnden körperlichen und seelischen Leistungsfähigkeit der Klägerin sei von einer durchschnittlichen Leistungsfähigkeit von drei bis unter sechs Stunden unter Beachtung weiterer qualitativer Einschränkungen auszugehen; dies bereits seit 2011.

In einer sozialmedizinischen Stellungnahme hierzu hat Dr. E.-D. , Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, die Beurteilung durch Dr. E. angezweifelt, da dieser sich auf die subjektiven Schilderungen der Klägerin verlassen habe.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 05.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.03.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Es ist nicht festzustellen, dass die Klägerin aufgrund der bei ihr bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen in ihrem beruflichen Leistungsvermögen in einem rentenrelevanten Ausmaß eingeschränkt und mithin volle oder teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Die Klägerin hat deshalb keinen Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist in erster Linie § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser (Abs. 1 Satz 1 der Regelung) bzw. voller (Abs. 2 Satz 1 der Regelung) Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind. Ein Anspruch der Klägerin nach dieser Vorschrift scheidet bereits deshalb aus, weil sie im Jahr 1965 und damit nach dem vorgenannten Stichtag geboren ist.

Die Klägerin ist auch nicht nach § 43 SGB VI erwerbsgemindert, weil sie leichte berufliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung von qualitativen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann und mit diesem Leistungsvermögen, wie ausgeführt, weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Zu vermeiden sind danach Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Konfliktfähigkeit, mit überdurchschnittlich fordernden sozialen Interaktionen, unter ständigem Zeitdruck, in ständiger nervöser Anspannung, auf Leitern oder Gerüsten, an unmittelbar gefährdenden Maschinen und Tätigkeiten mit Nacht- oder Wechselschicht; die Tätigkeiten sollten weiterhin überwiegend im Stehen, im Gehen oder Sitzen und unter Vermeidung von länger anhaltenden Zwangshaltungen erfolgen. Ein mindestens sechsstündiges arbeitstägliches Leistungsvermögen unter Berücksichtigung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus der umfangreichen medizinischen Sachverhaltsaufklärung im Klage- und Berufungsverfahren, insbesondere aus dem Gutachten des Dr. B. , welches im Hinblick auf die erhobenen Befunde und die Leistungsbeurteilung weitestgehend in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Dr. P. steht.

Dabei stehen bei der Klägerin nach übereinstimmender Beurteilung sämtlicher ärztlicher Befundberichte und Stellungnahmen die Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Gebiet ganz im Vordergrund. Insbesondere liegen bei der Klägerin keine internistischen oder orthopädischen Beschwerden mit Rentenrelevanz vor. So hat der Internist Dr. R. anhand der von ihm erhobenen Befunde keine Gründe, die gegen eine täglich achtstündige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sprechen könnten, feststellen können. Er hat einen regelrechten kardiopulmonalen Auskultationsbefund erhoben und keine Hinweise auf eine Belastungskoronarinsuffizienz oder hypertensive Schädigungszeichen feststellen können. Der Stellungnahme des Orthopäden Dr. M. kann wiederum entnommen werden, so Dr. P. , dass orthopädische Beeinträchtigungen im eigentlichen Sinne nicht vorliegen.

Indes erreichen auch die Gesundheitsbeeinträchtigungen auf nervenärztlichen Gebiet kein rentenrelevantes Ausmaß. Bei der Klägerin liegen eine Somatisierungsstörung und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung, ferner ein Karpaltunnelsyndrom links, vor. Dies ergibt sich aus dem Gutachten von Dr. B. , ferner aus demjenigen von Dr. P. und von Dr. E ... Entgegen der Einschätzung des letztgenannten Sachverständigen wie auch der Beurteilung der Ärzte der Tagesklinik Haus am M. und wohl auch des Dr. Dr. R. kann sich der Senat nicht davon überzeugen, dass bei der Klägerin eine überdauernde depressive Störung vorliegt. Weder Dr. B. noch Dr. P. haben eine solche Symptomatik feststellen können. Die Klägerin hat in der Untersuchung bei Dr. B. bis zuletzt eine ausgesprochen lebendige Antriebslage und inhaltliche Auslenkbarkeit gezeigt, wobei zu berücksichtigen ist, so Dr. B. , dass die insgesamt fünfstündige gutachterliche Untersuchungsprozedur eine auch psychisch überdurchschnittliche Belastung für jeden Probanden darstellt. Die Darstellungen der Klägerin und die Begleitgestik sind dabei bis zuletzt ausgesprochen lebendig geblieben, wobei sich die Klägerin liebenswürdig, zugewandt, in Nebenthemen auch ausgesprochen humorvoll, auch zwischendurch lachend und geradezu munter plaudernd gezeigt hat. Auch Dr. P. hat bei der Klägerin ein durchgängig sehr auskunftsbereites, mitteilsames Verhalten festgestellt. Kontakt und Rapport haben sich auch ihm ohne Befund gezeigt. Mangels wesentlicher depressiver Hinweise haben beide Sachverständige für den Senat schlüssig und nachvollziehbar eine relevante depressive Gesundheitsstörung verneint.

Der behandelnde Nervenarzt Dr. Dr. R. hat zwar eine Dysthymie diagnostiziert; eine solche Erkrankung, so Dr. P. , erreicht indes nicht das Bild einer leichten oder gar mittelschwere Depression, ist im Rahmen einer charakterologisch bedingten Entwicklung der psychischen Grundhaltung zu deuten und ist im Übrigen von den beiden nachfolgenden Sachverständigen Dr. P. und Dr. B. nicht bestätigt worden.

Im Widerspruch zu Dr. P. und Dr. B. berichtet Dr. E. über das Vorliegen von Symptomen einer Depression im von ihm erhobenen Untersuchungsbefund. Zu berücksichtigen ist dabei, dass sowohl Dr. Dr. R. wie auch die Psychotherapeutin O.-K. nicht von einer Verschlechterung der von ihnen angenommenen depressiven Erkrankung berichtet haben und auch Dr. E. von einem im Wesentlichen seit 2011 unveränderten Befund ausgeht, so dass eine nach erfolgter Begutachtung durch Dr. P. und Dr. B. eingetretene nachteilige Entwicklung der depressiven Gesundheitsstörung nicht in Betracht kommt. Der von Dr. P. und von Dr. B. - dort sehr ausführlich und umfangreich - erhobene psychopathologische Befund lässt sich indes mit der Annahme einer depressiven Störung mit gegenwärtig mittelschwerer Ausprägung, so aber Dr. E. , nicht in Einklang bringen. Andererseits hat Dr. E. berichtet, die Klägerin sei sehr logorrhoeisch und weitschweifig gewesen, was, so Dr. E.-D. , jedenfalls gegen eine höhergradige depressive Symptomatik spricht. Gegen eine schwerwiegendere depressive Erkrankung spricht weiterhin, so Dr. P. , auch die seit Jahren unveränderte Medikation, die mit Venlafaxin in einer Dosierung von 75 mg deutlich steigerungsfähig ist.

Letztlich kann die Klärung der exakten Diagnose dahingestellt bleiben, da die von den Sachverständigen erhobenen tatsächlichen Funktionsstörungen in den für die Leistungserbringung relevanten Funktionsbereichen eine quantitative Leistungsminderung nicht belegen. Sowohl bei Dr. P. als auch bei Dr. B. hat sich die Klägerin wach, klar, sicher in allen Qualitäten orientiert und im Denken formal geordnet gezeigt. Auch in den mehrstündigen Untersuchungen sind Auffassung, Konzentration, Merkfähigkeit, Gedächtnis und Aufmerksamkeit bis zuletzt ungestört geblieben und hat sich keinerlei Erschöpfung oder Ermüdung eingestellt. Das Einstellungs- und Umstellungsvermögen ist nicht erschwert gewesen. Die Antriebslage ist auch bei der fünfstündigen Untersuchung durch Dr. B. bis zuletzt lebendig geblieben. Auch die Verhaltensbeobachtung in den jeweiligen Untersuchungen und die Angaben der Klägerin zum außerberuflichen Alltag, welche in gleicher Weise Rückschlüsse auf erhaltene Ressourcen oder etwa auch weiterreichende überdauernde Funktionsstörungen erlauben, so Dr. B. , haben den dargelegten klinischen Untersuchungsbefund bestätigt, so etwa die sehr lebendigen Schilderungen über das Lesen mit einzelnen Interessensgebieten, zum Fernsehkonsum wie aber auch die beiläufigen Ausführungen zum Stricken. Im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachte Schmerzproblematik hat sich zwischen den reklamierten Beschwerden und dem hiermit überhaupt nicht korrespondierenden Verhaltensaspekt eine gravierende Diskrepanz gezeigt, wobei, so Dr. B. nachvollziehbar, gerade bei im somatischen Bereich beklagten Beschwerden ohne oder ohne ausreichend erklärendes organisches Korrelat der Verhaltensbeobachtung samt weiterem psychopathologischen Befund sozialmedizinisch ausschlaggebende Bedeutung zukommt. So hat sich die Klägerin, die nach wie vor ihre Einkäufe selbst vornimmt und das Eingekaufte dann vier Stockwerke zu ihrer Wohnung hochtragen muss, in der Untersuchung bei Dr. B. lebendig-flott und schwungvoll erhoben, bei der Untersuchung hat sich auch in den Einzelprüfungen eine allseits kräftige Muskulatur und eine gute Feinmotorik der Hände gezeigt. Der Vorhalteversuch der Arme und Beine ist der Klägerin ungestört, sogar im Knie gestreckt gehalten und dabei unbekümmert plaudernd, möglich gewesen. Eine etwaige Schmerzbeeinträchtigung ist in der gesamten, über mehrere Stunden erfolgenden Untersuchung bei Dr. B. nicht im Ansatz erkennbar gewesen. Es steht deshalb für den Senat fest, dass die bei der Klägerin vorliegenden psychischen Gesundheitsstörungen, ungeachtet der genauen diagnostischen Zuordnung, nicht mit einer quantitativen Leistungsminderung einhergehen, diesen vielmehr mit den bereits dargelegten qualitativen Leistungseinschränkungen ausreichend Rechnung getragen werden kann. Dies gilt auch in Hinblick auf das Karpaltunnelsyndrom, welches nicht mit überdauernden klinischen Ausfällen einhergeht und die Klägerin bspw. auch nicht am Stricken - eine ihrer Leidenschaften - hindert.

Demgegenüber vermag die deutlich ungünstigere Leistungseinschätzung des Dr. E. nicht zu überzeugen. Er begründet formal die Abweichung zu den Vorgutachten mit der von ihm festgestellten rezidivierenden depressiven Störung und der Berücksichtigung dieses Krankheitsbildes im Zusammenwirken mit den weiteren psychischen Störungen. Unabhängig davon, dass bereits die Diagnose einer depressiven Störung erheblichen Zweifeln begegnet und die Persönlichkeitsstörung, so Dr. B. , seit jeher vorbestehend war, begründet die von ihm angenommene rezidivierende depressive Störung mittelgradiger Ausprägung auch unter Berücksichtigung einer somatoformen Schmerzstörung, so zutreffend Dr. E.-D. , im Regelfall allenfalls qualitative, nicht jedoch quantitative Einschränkungen. Im Übrigen stützt Dr. E. , so zu Recht Dr. E.-D. , seine gutachterliche Einschätzung in hohem Maße auf die subjektiv geschilderten Beschwerden der Klägerin, ohne diese zu verifizieren. So stützt er sich auf den von der Klägerin geschilderten Tagesablauf, ohne zu thematisieren, weshalb sich dieser nunmehr im Gegensatz zu den Angaben bei den früheren Begutachtungen - ohne dass eine Verschlechterung vorgetragen oder von den behandelnden Ärzten behauptet wird - so deutlich reduziert zeigt. Die nach Auffassung des Dr. E. vorliegenden erheblichen Schwankungen der Leistungsfähigkeit sieht er dabei letztendlich schmerzbedingt. Eine Verifizierung der Schmerzangaben der Klägerin wird indes nicht ersichtlich. Vielmehr führt der Sachverständige aus, die Ausführungen der Klägerin seien "hier nachvollziehbar und schlüssig". Dies steht aber in deutlichem Widerspruch zu den Feststellungen des Dr. B. , wonach sich eine "wirklich krasse Diskrepanz" zwischen beklagten Beschwerden und (subjektivem) Befinden einerseits und tatsächlichem Aspekt bzw. auch objektivem Befund andererseits im Rahmen der Untersuchung ergeben hat. Dr. P. wiederum hat von einem durchaus zweckgerichteten Verhalten der Klägerin im Rahmen ihrer Begehrenshaltung berichtet. Spätestens vor diesem Hintergrund hätte es einer nachvollziehbaren Objektivierung der Beschwerdeangaben der Klägerin im Gutachten bedurft, die aber weitestgehend unterbleibt. Sofern Dr. E. dann doch objektive Verhaltensaspekte benennt, vermögen diese die von ihm behauptete quantitative Leistungseinschränkung nicht zu begründen. So berichtet er von im Laufe der mehrstündigen Untersuchung aufgetretenen leichten Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, wobei eine zunehmende Müdigkeit erkennbar werde, stellt aber andererseits fest, dass über die gesamte Zeit gesehen kein eindeutiger Abfall der Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit zu beobachten gewesen sei. Wie Dr. B. nachvollziehbar dargelegt hat, stellt aber eine gutachterliche Untersuchung über mehrere Stunden für den zu Untersuchenden eine überdurchschnittliche psychische Belastung dar, so dass der von Dr. E. referierten erhalten gebliebenen bzw. nur leicht eingeschränkten Aufmerksamkeit und Konzentration keine richtungsweisende Bedeutung beigemessen werden kann. Wenig ergiebig ist bei der Klägerin auch der von Dr. E. den Berichten der Tagesklinik entnommene soziale Rückzug. Denn ausweislich ihrer Angaben gegenüber Dr. P. und gegenüber Dr. B. pflegt die Klägerin bereits seit jeher nur sehr eingeschränkte Sozialkontakte. So ist sie seit der Scheidung von ihrem Mann 1989 keine Partnerschaft mehr eingegangen und hat in dieser Zeit letztlich lediglich eine gute Freundin gehabt, die aber vor längerem verzogen ist, daneben eine deutsche Bekannte, die schon über 80 Jahre alt ist. Der Kontakt zur Familie ist nach Angaben der Klägerin bereits 1993 weitestgehend abgebrochen. Bei der Anamneseerhebung scheint sich auch der Umstand nachteilig auszuwirken, dass Dr. E. nach eigenen Angaben die freie Schilderung durch die Klägerin aufgrund der aus seiner Sicht wenig ergiebigen Darstellung der Alltagssituation abgebrochen und dann konkret im Einzelnen nachgefragt hat. Denn insbesondere Dr. B. hat - unter Inkaufnahme der vom Untersucher hierbei aufzuwendenden erheblichen Zeit, Konzentration und Geduld, so Dr. B. - der Klägerin im Rahmen der Anamnese weiten Raum gelassen, im Zuge dessen es dann zu einer deutlichen Auflockerung der Klägerin gekommen ist: So hat sich die Klägerin bei Dr. B. munter, unkompliziert, zwischendurch regelrecht "vergnüglich" gezeigt und zu allem und jedem gerne noch einen munteren Kommentar abgegeben, sich dabei auch mit persönlichen Fragen an den Untersucher gewandt, wo denn dieser herstamme, wie lange er schon in der Praxis sei etc. Das von Dr. B. auf vielen Seiten seiner umfassenden Anamnese entworfene Bild der Klägerin kontrastiert dabei deutlich mit demjenigen des Dr. E ... Zusammenfassend kann sich der Senat aus den vorgenannten Gründen von der Leistungsbeurteilung des Dr. E. nicht zu überzeugen.

Auch die Berichte und Stellungnahmen der verschiedenen behandelnden Ärzte und Psychotherapeuten sind nicht geeignet, eine quantitative Leistungseinschränkung zu belegen. So sind die Stellungnahmen der Tagesklinik Haus am M. nicht nachvollziehbar. Im Entlassungsbericht vom Dezember 2011 wird die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere Episode, gestellt. Gegen diese Diagnose spricht bereits, dass in diesem Falle, so Dr. P. , es der Klägerin ohne Hilfestellungen überhaupt nicht mehr möglich wäre, Aktivitäten des Alltags zu verrichten und ihre Selbstversorgung, insbesondere ihren Haushalt zu bewältigen. Dies war ihr aber noch ihren eigenen Angaben gegenüber den Behandlern und Sachverständigen während der gesamten Dauer des Rechtsstreits stets möglich. Auch hätte, so Dr. P. , der behandelnde Nervenarzt Dr. Dr. R. dann intensivere Behandlungsmaßnahmen veranlasst bzw. veranlassen müssen. Bemerkenswert erscheint an diesen Bericht auch die Formulierung, wonach die Ärzte der Tagesklinik Haus am M. "unbedingt die Rentenantragstellung" unterstützen würden. Im Hinblick auf den weiteren Entlassungsbericht der Tagesklinik Haus am M. vom Januar 2014 hat Dr. B. zutreffend auf die dortige unscharfe Abgrenzung von Befinden und Befund im psychopathologischen Befund hingewiesen. Soweit sich dort eine ausführliche biografische Anamnese findet, wird die Klägerin überhaupt nicht in ihrem konkreten aktuellen psychosozialen Kontext und üblichen Alltag abgebildet. Die dortige Diagnose einer mittelschweren bis schweren depressiven Episode ist wiederum nicht in Einklang mit der niedrigen Dosierung der Entlassmedikation zu bringen. Bemerkenswert erscheint auch, dass die Einweisungsdiagnose des Dr. Dr. R. lediglich auf Dysthymie gelautet hat. Die im Kurzbericht der Tagesklinik Haus im Maienfeld angesprochenen Empfehlungen an die Klägerin zu "weitere(r) Arbeit am Aktivitätenaufbau, z.B. Engagement in der Hausaufgabenhilfe" lassen in deutlichem Widerspruch zur Leistungseinschätzung im Entlassungsbericht den Schluss auf eine doch noch vorhandene Belastbarkeit der Klägerin zu, so Dr. B ...

Auch den verschiedenen Stellungnahmen des Dr. Dr. R. lassen sich keine Umstände entnehmen, die eine quantitative Leistungsminderung belegen würden. Dr. Dr. R. entzieht sich letztlich einer definitiven Stellungnahme zur Leistungsfähigkeit, so zutreffend Dr. P ... Allerdings geht wohl auch Dr. Dr. R. zumindest in seiner Stellungnahme gegenüber dem Sozialgericht durchaus von einem vollschichtigen Leistungsvermögen unter qualitativen Einschränkungen aus, wenn er leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes für möglich hält, allerdings je nach Befindlichkeit nicht anhaltend zuverlässig und bei Verneinung jeglicher Form von hoher Konzentration. Soweit er in seiner ergänzenden Stellungnahme gegenüber dem Senat vom September 2014 mitteilt, ihm erscheine eine kontinuierliche berufliche Tätigkeit von sechs Stunden kaum möglich, stützt er sich dabei offensichtlich auf das subjektive Beschwerdevorbringen der Klägerin, räumt aber zugleich ein, dass ihm eine genaue Einschätzung nicht möglich ist. Die von ihm gestellte Diagnose einer zusätzlich aufgetretenen generalisierten Angststörung ab 2012 wird von keinem der Sachverständigen in den drei nachfolgenden Gutachten geteilt, auch nicht von Dr. E ... Ein richtungsweisendes Vermeidungsverhalten, so Dr. B. , hat bei der Klägerin nicht erhoben werden können. Die Anästhesiologin Dr. C. geht in ihrer Beurteilung von einer seit mehr als zehn Jahren andauernden mittelgradigen depressiven Störung aus, wogegen der langjährige Behandler der Klägerin, Dr. Dr. R. , eine depressive Störung erstmalig im Jahr 2009 diagnostizierte und dabei von einer Dysthymie ausging. Sie hat ihre Leistungsbeurteilung (bei bis dato nur sehr kurz andauernder Behandlung der Klägerin) auf die von ihr beobachtete Erschöpfung der Klägerin in einer Extremsituation im Februar 2014 (der Vater der Klägerin hat sich zu diesem Zeitpunkt auf der Intensivstation befunden) gestützt und auch ausdrücklich auf diese besondere Belastungssituation bezogen ("Zu diesem Zeitpunkt "). Anhaltspunkte für eine überdauernde Leistungseinschränkung in quantitativer Hinsicht ergeben sich hieraus nicht. Der Einschätzung der Psychotherapeutin O.-K. kann bereits deshalb nicht gefolgt werden, da sie im Widerspruch zu sämtlichen Sachverständigen von einer depressiven Störung mit Wechsel zwischen schweren und mittelschweren Episoden und einer Angststörung, verbunden mit Panikattacken, ausgeht. Befunde, die ihre Diagnosen bestätigen könnten, nennt sie nicht. Die Verneinung jedweder Belastungsfähigkeit der Klägerin wird von ihr nicht weiter begründet; auch insoweit steht sie in deutlichem Widerspruch zu den Ergebnissen der drei Begutachtungen, so dass ihre Einschätzung nicht überzeugt.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 133 SGG.
Rechtskraft
Aus
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