L 11 R 300/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 1346/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 300/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 13.01.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der am 03.06.56 geborene Kläger erlernte in Italien den Beruf des Dachdeckers und übte diesen Beruf seit seiner Übersiedlung 1972 bis 2008 in Deutschland aus. Zuletzt war er bis April 2010 als Trockenbauer in Teilzeit beschäftigt. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung von 70 festgestellt. Seit August 1999 bezieht er eine Rente wegen Berufsunfähigkeit von der Beklagten.

Einen Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 15.02.11 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 31.03.11 und Widerspruchsbescheid vom 02.09.11 ab. Medizinische Grundlage war ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. B. aufgrund einer Untersuchung am 29.07.11. Er stellte folgende Gesundheitsstörungen fest: &61485; Depressive Entwicklung &61485; somatoforme Schmerzstörung &61485; vorbestehend leicht narzisstische, wohl auch unreife Persönlichkeitszüge &61485; latentes Carpaltunnelsyndrom beidseits &61485; alte diskrete sensible Ulnarisläsion links &61485; chronifizierter Tinnitus, Hörgerät-kompensierte Schwerhörigkeit Dr. B. verwies auf unzureichend genutzte aber zumutbare Behandlungsmöglichkeiten bezüglich der depressiven Erkrankung und auf eine bei der Untersuchung nicht erkennbare Schmerzbeeinträchtigung. Er war der Ansicht, dass der Kläger körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten weiterhin mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig verrichten könne.

Ein anschließendes Überprüfungsverfahren gemäß § 44 SGB X, Widerspruchs- und Klageverfahren (SG Mannheim, S 10 R 1408/12) war erfolglos. Die diesbezügliche Berufung nahm der Kläger mit Schreiben vom 19.04.13 nach Androhung von Missbrauchskosten durch das Gericht zurück (LSG Baden-Württemberg, L 2 R 4644/12). Mit Schreiben vom 11.04.13 beantragte der Kläger bei der Beklagten formlos die Umwandlung der Rente wegen Berufsunfähigkeit in eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Formblattantrag ging am 12.11.13 ein. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20.12.13 ab. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.14 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 29.04.14 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Das SG hat vom Hausarzt des Klägers, Dr. S., ärztliche Befunde eingeholt und den Internisten, Neurologen und Psychiater Dr. S. mit der Erstellung eines Gutachtens gemäß § 106 SGG beauftragt. Dr. S. hat den Kläger am 25.09.14 untersucht und folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: &61485; Chronische depressive Verstimmungen im Sinne einer Dysthymia bei prädisponierender Persönlichkeitsstruktur &61485; akzentuierte Persönlichkeitszüge &61485; somatoforme Beschwerden mit vorwiegender Projektion auf das muskulo-skelettale System &61485; arterielle Hypertonie, medikamentös behandelt &61485; Thalassämie &61485; Zustand nach Hepatitis B &61485; Polytope Gelenkbeschwerden &61485; degenerative Wirbelsäulenveränderungen ohne radikuläre Reiz- oder Ausfallsymptomatik &61485; Tinnitus-Leiden beidseits, Schwerhörigkeit mittels Hörgeräten korrigiert &61485; Prostatahypertrophie

Der Kläger hat Beschwerden am ganzen Körper und eine depressive Symptomatik wegen des Tinnitus und der Schwerhörigkeit angegeben. Wesentliche neurologische Auffälligkeiten sowie eine signifikante Antriebsminderung oder gar psychomotorische Hemmung haben sich nicht ergeben. Dr. S. ist der Ansicht gewesen, dass der Ausprägungsgrad der psychischen Symptomatik als leicht bis mittel einzuschätzen sei. Eine Aggravation könne nicht sicher ausgeschlossen werden. Die psychische Symptomatik könne auch ohne Therapie sogleich überwiegend überwunden werden. Der Kläger könne leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als sechs Stunden täglich verrichten. Auch aus den vorliegenden ärztlichen Befunden ergebe sich keine relevante Einschränkung im qualitativen Leistungsbild, auch nicht durch die internistischen Leiden.

Mit Urteil vom 13.01.15 hat das SG die Klage abgewiesen und sich bei der Begründung hauptsächlich auf die Ausführungen des Gutachters gestützt. Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 21.01.15 zugestellte Urteil hat dieser am 23.01.15 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.

Der Senat hat die behandelnden Ärzte Dr. S. (Psychiater) und Dr. M. (Orthopäde) als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen. Dr. S. hat ausgeführt, dass die Behandlung vor 2013 häufiger zuletzt jedoch niederfrequent gewesen sei. In 2013 habe es zwei Konsultationen, in 2014 drei Konsultationen gegeben. Aus den vom Kläger geäußerten Beschwerden ergebe sich durchgehend eine schwere bis minimal mittelgradig ausgeprägte depressive Störung. Wegen Nebenwirkungen bzw. Unverträglichkeiten und einer ausgeprägten Ängstlichkeit des Klägers hinsichtlich Schädigungen sei die medikamentöse Therapie insgesamt weitgehend erfolglos geblieben. Erwerbsunfähigkeit bestehe seit längerem. Dr. M. hat ausgeführt, dass der Kläger zwischen Januar 2011 und Juli 2013 nicht in Behandlung gewesen sei und danach nur einmalig im August 2013. Zuletzt habe der Kläger Schmerzen im HWS- und LWS-Bereich angegeben.

Auf Antrag des Klägers ist Dr. W. gemäß § 109 SGG zum Sachverständigen ernannt worden. Aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 07.07.15 hat er folgende Gesundheitsstörungen seit November 2013 festgestellt: &61485; Schwere bis mittelschwere Depression mit ängstlicher Färbung &61485; beginnende hypertensive Nephropathie bei arterielle Hypertonie und NAST links (70%) &61485; unklare ANA Erhöhung, disseminierte Gelenkbeschwerden und Kraftlosigkeit &61485; Thalassämie vom Alpha Typ (Minor Form) &61485; Ohrversorgung beidseits bei Innenohrschwerhörigkeit, Tinnitus III. Grades &61485; Unfall 1978 Arbeitsunfall, S. KH, Prellungen im LWS Bereich &61485; Unfall 1987 Arbeitsunfall mit Kopfverletzung und Gehirnerschütterung &61485; Unfall 16.11.90 schwerer Arbeitsunfall mit Oberarmtrümmer links, degenerative HWS Veränderungen mit Schmerzen und Bewegungseinschränkungen &61485; chronisches, rezidivierendes Cervicobrachialsyndrom &61485; Unfall 28.9.1998 Leitersturz mit Bruch des rechten Handgelenks &61485; degenerative Kniegelenksveränderungen des rechten und jetzt auch des linken Knies &61485; schwere arterielle Hypertonie mit rezidivierenden Entgleisungen &61485; Hämorrhoiden OP 14/15 &61485; beidseits Gehhilfen nach 2014 wegen Fuß-OP wegen zunehmenden Schmerzen im Rücken

Dr. W. hat ausgeführt, dass die psychischen Beschwerden stark somatisiert und körperlich fixiert seien. Dies zeige sich auch daran, dass der Kläger nur noch mit Gehstöcken laufen könne, obwohl die degenerativen Störungen im Knie beidseits nicht zu einer funktionellen Bewegungseinschränkung führen müssten. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, die chronifizierten Störungen zu überwinden. Es bestehe keine Möglichkeit mehr, Tätigkeiten in den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Besonders einschränkend seien die erheblichen sekundären, kognitiven Leistungsdefizite auf dem Boden der depressiven Erkrankung. Wegen der Schmerzproblematik und eines entgleisten Blutdrucks bestünde keine Wegefähigkeit.

Der Kläger ist der Ansicht, dass insbesondere die psychische Erkrankung bislang nicht ausreichend berücksichtigt sei. Auch aufgrund der Vielzahl von überwiegend chronischen Erkrankungen sei irgend eine körperliche Tätigkeit, welche regelmäßig zu verrichten sei, nicht mehr möglich.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13.01.15 sowie den Bescheid vom 20.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 15.04.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die beigezogenen Akte L 2 R 4644/12 sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Gegenstand der Berufung ist der Bescheid der Beklagten vom 20.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2014, mit dem der Antrag des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung abgelehnt worden ist.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Bescheide rechtmäßig sind und der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt ist. Er hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Versicherte haben gemäß §§ 43 Abs 2 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Die Voraussetzungen des §§ 43 Abs 2 SGB VI liegen beim Kläger nicht vor.

Zur Überzeugung des Senats kann der Kläger noch vollschichtig leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten in abwechselnder Körperhaltung in Tagesschicht oder Früh-/Spätschicht ohne Tätigkeiten mit vermehrter Beanspruchung des rechten Armes, der rechten Hand und der linken Schulter und ohne vermehrt geistige oder psychischer Belastungen verrichten. Bei dieser Einschätzung stützt sich der Senat insbesondere auf die schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Gutachters Dr. S., die im Einklang mit dem Gutachten von Dr. B. stehen.

Der Schwerpunkt der gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers liegt ohne Zweifel auch nach seinen eigenen Angaben auf dem psychiatrischen Fachgebiet und dort insbesondere auf der chronisch depressiven Verstimmung und einer Somatisierungsstörung.

Auf dem internistischen Fachgebiet ergab sich mit Ausnahme des Bluthochdrucks, der bei der Untersuchung durch Dr. W. entgleist war, ein unauffälliger Befund. Das Bluthochdruckleiden ist beim Kläger jedoch grundsätzlich gut einstellbar. Darauf weist auch Dr. W. hin.

Auf orthopädischem Fachgebiet lässt sich eine zeitliche Limitierung der Leistungsfähigkeit nicht begründen. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule war bei allen Untersuchungen, auch durch den Behandler Dr. M. im Juli 2013, noch ausreichend erhalten. Es ergab sich keine radikuläre Symptomatik. Die vom Kläger geltend gemachten Kniebeschwerden wurden nach der Aktenlage zumindest in den Jahren 2013 und 2014 gar nicht orthopädisch behandelt. Vielmehr gingen 2008 vorhandene Schmerzen unter Infiltrationsbehandlung vollständig zurück. Dies ergibt sich aus der sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. M ... Die von Dr. W. beschriebene dauerhafte Verwendung von Gehstützen ist auch nach dessen Aussagen medizinisch nicht notwendig. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit ist deshalb nicht nachgewiesen Der Kläger hat auch bei Dr. S. keine Benutzung von Gehstützen angegeben. Gleiches gilt für Dr. M ... Vielmehr war der Kläger bei seinem Orthopäden zumindest von August 2013 bis März 2015 gar nicht in Behandlung. Es ist deshalb für den Senat nicht ersichtlich, woraus sich orthopädisch eine relevante Verschlechterung zwischen der Untersuchung von Dr. S. im September 2014 und der Begutachtung durch Dr. W. im Juli 2015 ergibt. Im Übrigen hat der Kläger bei der Untersuchung durch Dr. W. selbst angegeben, dass er kurze Strecken mit einem Kfz fahren könne. Auch dies führt zur Bejahung von Wegefähigkeit.

Das Hörvermögen ist mittels Hörgeräteversorgung ausreichend korrigiert, so dass sich weder internistisch, orthopädisch noch HNO-ärztlich eine zeitliche Leistungsminderung begründen lässt.

Dies gilt jedoch auch für die psychiatrischen Gesundheitsstörungen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (zB Urteile vom 14.12.2010L 11 R 3243/09, vom 20.07.2010, L 11 R 5140/09 und vom 24.09.2009, L 11 R 742/09) wird der Schweregrad psychischer Erkrankungen und somatoformer Schmerzstörungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgeleitet und daran gemessen. Es ist jedoch zu beachten, dass die Tagesstrukturierung mit jedem Gutachten dürftiger ausfallen kann. Außerdem ist zu berücksichtigen, ob und in welcher Form der Betroffene versucht, einem sich aus der Schmerzstörung ergebenden Leidensdruck durch angemessene therapeutische Bemühungen entgegenzuwirken.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich beim Kläger kein untervollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus den psychischen Beschwerden nachweisbar ableiten. Der von Dr. S. objektiv erhobene psychische Untersuchungsbefund ergab nur eine leicht- bis mittelgradige depressive Verstimmung im Sinne einer Dysthymia mit akzentuierten Persönlichkeitszügen bei Hinweisen auf Aggravation. Eine signifikante Antriebsminderung oder gar psychomotorische Hemmung zeigte sich nicht. Der Antrieb war verhalten. Der Kläger war geistig gut flexibel. Kognitive oder mnestische Defizite konnten nicht erhoben werden. Es ergab sich kein Anhalt für eine hirnorganisch bedingte psychische Symptomatik. In der Grundstimmung wirkte der Kläger subdepressiv bzw. dysthym, insgesamt klagsam. Die affektive Resonanzfähigkeit war eingeschränkt und zum negativen Pol hin verschoben, aber nicht aufgehoben. Dieser Befund deckt sich mit dem Befund bei der Untersuchung durch Dr. B. am 29.07.11.

Der Senat teilt die Einschätzung von Dr. S., dass sich die psychische Symptomatik nicht gänzlich der zumutbaren Willensanstrengung entzieht. Sie kann auch ohne Therapie sogleich überwiegend überwunden werden. Zudem sind die therapeutischen Optionen des psychiatrischen und psychotherapeutischen Fachgebietes bei weitem nicht ausgeschöpft. Es fehlt an einer adäquaten fachpsychiatrischen, medikamentösen und psychotherapeutischen Behandlung. Es fällt auf, dass die Behandlung beim Psychiater Dr. S. zumindest in den Jahren 2013 und 2014 nur sehr niederfrequent stattgefunden hat. Nach dessen sachverständiger Zeugenaussage vom 19.03.2015 fanden im Jahr 2013 zwei Konsultationen und im Jahr 2014 drei Konsultationen statt.

Solange zumutbare Behandlungsmöglichkeiten auf psychischem bzw psychiatrischem Gebiet gar nicht versucht werden und noch ein entsprechend erfolgversprechendes Behandlungspotential besteht, kann eine dauerhafte quantitative Leistungsminderung grundsätzlich nicht auf eine aktuell Arbeitsunfähigkeit verursachende psychische Erkrankung gestützt werden (Bayerisches LSG 15.02.2012, L 19 R 774/06; hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG 29.05.2013, 1 BvR 1522/12, BVerfGK 20, 139; siehe auch Senatsurteil 22.04.2015, L 11 R 5112/14; LSG Berlin-Brandenburg 18.09.2008, L 3 R 1816/07, juris RdNr 36).

Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. in dessen Gutachten führen zu keinem anderen Ergebnis. Denn Dr. W. stützt seine Leistungsbeurteilung überwiegend auf die subjektiven Angaben des Klägers und die Testergebnisse, ohne diese genügend zu objektivieren und zu validieren. Eine Konsistenzprüfung findet nicht statt. Insbesondere lässt sich alleine aus Testergebnissen keine objektive Leistungsbeurteilung ableiten. Die aufgeführten Arbeitsunfälle spielen für sich keine Rolle bei der Leistungsbeurteilung, da nur tatsächlich noch vorhandene Einschränkungen maßgeblich sind. Dr. W. wertete den Umstand, dass der Kläger "trotz seiner schweren depressiven Störung mit Rückzug und Antriebsminderung in den Jahren 2010 bis 2013 insgesamt 3 x die volle Erwerbsunfähigkeit beantragt" hat, als Indiz dafür, wie hoch der innere Druck gewesen sein müsse. Der Senat hält es nicht für überzeugend, aus der Anzahl der Rentenanträge auf den Leidensdruck zu schließen.

Im Übrigen lassen sich auch aus der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. S. keine objektiven Befunde ableiten. Seine Diagnosenstellung erfolgte nur über die vom Kläger angegebenen Beschwerden. Deshalb stützt auch dieser Befundbericht kein untervollschichtiges Leistungsvermögen.

Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person des Klägers eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre bestehen nicht, ein Teil der qualitativen Beschränkungen wird bereits durch den Umstand, dass nur leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten zumutbar sind, mitberücksichtigt. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit dem Kläger noch leidensgerecht und zumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs 3 letzter Halbsatz SGB VI).

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Das vorliegende Gutachten von Dr. S. hat dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Dieses Gutachten geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne eine weitere Sachaufklärung zu betreiben. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG 08.12.2009, B 5 R 148/09 B, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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