L 4 R 902/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 410/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 902/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Februar 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Der Kläger ist am 1968 geboren und bei der Beklagten rentenversichert. Am 29. April 2009 beantragte er die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Er fügte dem Antrag die Bemerkung bei, dass der Antrag mit Vorbehalt gestellt sei, weil er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung im Klageverfahren verfolge und diese von den behandelnden Ärzten befürwortet werde.

Die Beklagte stellte daraufhin den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zurück und informierte den Kläger hierüber mit Schreiben vom 19. Mai 2009. Mit Bescheid vom 29. August 2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach. Mit beigefügtem weiteren Bescheid vom 29. August 2012 "stellte" sie dem Kläger Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben "in Aussicht". Sie erklärte sich in diesem Bescheid grundsätzlich bereit, einen Eingliederungszuschuss an den Arbeitgeber zu leiten. Voraussetzung hierfür sei, dass der Arbeitgeber die zum Erreichen der vollen Leistungsfähigkeit notwendigen beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten am Arbeitsplatz vermittele oder einen dem Leistungsvermögen des Klägers angemessenen Dauerarbeitsplatz biete. Sollte ein abschließender Vermittlungsvorschlag nicht bis zum 31. August 2013 vorliegen, werde ihre Zusage durch Fristablauf unwirksam.

Der Kläger erhob am 8. Oktober 2012 Widerspruch gegen den "Bescheid vom 29.08.2012". Eine Wiedereingliederung in den vorigen Beruf sei nicht möglich.

Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2013 zurück. Der Widerspruch sei wegen Fristversäumnis unzulässig. Der angefochtene Bescheid sei am 29. August 2012 mit einfachem Brief zur Post gegeben worden und gelte als am 1. September 2012 bekanntgegeben. Die bis zum 1. Oktober 2012 laufende Widerspruchsfrist sei daher versäumt. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.

Hiergegen erhob der Kläger am 7. Februar 2013 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG). Er habe seinen Widerspruch am 26. September 2012 mit einfachem Brief abgeschickt, so dass dieser am 27. September 2012 als bekanntgegeben gelte. Da der Brief von der Beklagten durch die Post nicht angenommen worden sei, habe er diesen am 8. "September" (gemeint wohl Oktober) 2012 selbst zur Beklagten gebracht.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie verwies auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 10. Februar 2015 ab. Die Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Der Bescheid vom 29. August 2012 habe sich durch Zeitablauf erledigt. Mit diesem Bescheid sei dem Kläger ein Eingliederungszuschuss an den Arbeitgeber bis längstens 31. August 2013 bewilligt worden. Mit Ablauf des 31. Augustes 2012 (gemeint ist: 2013) entfalte der Bescheid keine Regelungswirkung mehr und eine Anfechtungsklage komme nicht mehr in Betracht.

Gegen das ihm am 14. Februar 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10. März 2015 Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Februar 2015 sowie die Bescheide der Beklagten vom 29. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf die erstinstanzliche Urteilsbegründung und die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Der Berichterstatter hat die Beteiligten auf die Absicht des Senats, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Kläger hat daraufhin vorgebracht, ihm sei eine anständige Akteneinsicht verwehrt worden. Er hat zudem einen "Antrag auf Vergangenheit der Richter in diesem Fall" gestellt, weil er keine Akteneinsicht bekomme, die Beklagte Schriftsätze einreiche, welche nichts mit dem Fall zu tun hätten und auch seine Klageschrift ignoriert werde. Es könne nicht sein, dass ein unklarer Fall ohne mündliche Verhandlung abgeschlossen werde.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

1. Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss, da er die Berufung des Klägers einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat der Senat die Beteiligten angehört. Der Kläger hat am 14. September 2015 zudem auf der Geschäftsstelle des Senats Einsicht in alle dem Senat vorliegenden Akten genommen.

2. Der Senat konnte auch in der aus dem Rubrum ersichtlichen Besetzung entscheiden, obwohl der Kläger einen "Antrag auf Vergangenheit der Richter in diesem Fall" gestellt hat. Der Senat geht zu Gunsten des Klägers davon aus, dass es sich um ein Ablehnungsgesuch im Sinne des § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 44 Zivilprozessordnung (ZPO) handelt. Jedoch darf der zur Sachentscheidung berufene Spruchkörper in ursprünglicher Besetzung unter Mitwirkung der abgelehnten Richter ohne förmliche Entscheidung über das Ablehnungsgesuch in der Sache selbst entscheiden, wenn das Ablehnungsgesuch offensichtlich unzulässig ist (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss des Dreier-Ausschusses vom 22. Februar 1960 – in juris, Rn. 8; BVerfG, Beschluss vom 2. November 1960 – 2 BvR 473/60 – in juris, Rn. 14; zuletzt BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Juni 2015 – 2 BvR 740/15 – in juris, Rn. 8 m.w.N.; Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 11. Juni 2015 – B 13 R 19/15 B – in juris, Rn. 6 m.w.N.). Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn der Beteiligte – wie hier der Kläger – pauschal alle Richter eines Spruchkörpers ohne Namensnennung ablehnt (BVerfG, Beschluss des Dreier-Ausschusses vom 22. Februar 1960 – in juris, Rn. 8; BSG, Beschluss vom 11. Juni 2015 – B 13 R 19/15 B – in juris, Rn. 6 m.w.N.). Es kann auch durch Auslegung nicht ermittelt werden, gegen welche Richter sich das Ablehnungsgesuch richten soll. Im Zusammenhang mit der vom Kläger gerügten unvollständigen Akteneinsicht ist kein Richter des Senats tätig geworden. Insbesondere lehnte keiner der Richter des Senats es ab, dem Kläger Akteneinsicht zu gewähren. Vielmehr erhielt der Kläger Akteneinsicht, war aber mit dem Ablauf der Akteneinsicht nicht einverstanden (siehe auch Vermerk der Mitarbeiterin der Geschäftsstelle des Senats vom 14. September 2015).

3. Die gemäß § 143 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, denn die Klage betrifft einen auf eine Geld- bzw. Sachleistung gerichteten Verwaltungsakt und der Beschwerdegegenstand übersteigt einen Wert von EUR 750,00 (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG); der Senat geht davon aus, dass die bewilligten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben diesen Betrag überstiegen hätten, wenn der Kläger sie in Anspruch genommen hätte.

Gegenstand des Verfahrens sind seit Beginn beide Bescheide der Beklagten vom 29. August 2012, die der Sache nach eine Einheit bilden, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2013.

4. Die Berufung ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.

Dem Kläger fehlt bereits die Klagebefugnis. Eine Klagebefugnis liegt dann vor, wenn ein Kläger (schlüssig) behauptet, durch den angegriffenen Verwaltungsakt beschwert zu sein (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dies kann bei ausschließlich begünstigenden Verwaltungsakten, durch die dem Adressaten keine Rechtspflichten auferlegt oder solche festgestellt werden, in der Regel nicht der Fall sein.

Bei den Bescheiden vom 29. August 2012 handelt es sich jedoch um ausschließlich begünstigende Bescheide. Die Beklagte hat dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bewilligt. Belastungen des Klägers oder andere Nachteile für ihn waren damit nicht verbunden.

Überdies fehlt es dem Kläger auch am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis. Denn die Bescheide vom 29. August 2012 haben sich – worauf das SG zutreffend hingewiesen hat – durch Zeitablauf erledigt. Die als Einheit zu betrachtenden Bescheide waren ausdrücklich bis zum 31. August 2013 befristet. Sie haben sich mit Ablauf des 31. August 2013 erledigt (§ 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch [SGB X]). Der Kläger hat (auch deswegen) kein rechtlich relevantes Interesse an der Feststellung, dass die Bescheide rechtswidrig gewesen seien. An einem solchen Interesse fehlte es auch, wenn man annehmen würde, dass der Kläger seine Klage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt hätte.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

6. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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