L 3 SB 1749/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 25 SB 829/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1749/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. April 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die behördliche Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50.

Er ist in Deutschland wohnhaft. Am 01.01.2013 beantragte er erstmals die Feststellung eines GdB. Auf diesen Antrag hin stellte das Landratsamt - Außenstelle Stuttgart - als das für den Stadtkreis Stuttgart zuständige Versorgungsamt (LRA) mit Bescheid vom 26.11.2013 einen GdB von 20 seit Antragstellung fest. Den Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium Stuttgart als Landesversorgungsamt mit Bescheid vom 04.02.2014 zurück. Darin ist ausgeführt, bei dem Kläger sei ein GdB von 20 für eine psychische Erkrankung anzuerkennen, während die Beschwerden auf orthopädischem Fachgebiet allenfalls leichtgradig seien und keinen GdB bedingten.

Der Kläger hat am 13.02.2014 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Dieses hat zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers Dr. A. und Dr. B. als sachverständige Zeugen vernommen. Auf die schriftlichen Aussagen vom 29.04. und 06.06.2014 wird Bezug genommen. Sodann hat das SG den Kläger von Amts wegen bei Dr. C. auf psychiatrischem Fachgebiet begutachten lassen. Dieser Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 14.01.2015 bekundet, bei dem Kläger handle es sich um eine Dysthymia und eine Persönlichkeitsakzentuierung mit selbstunsicheren, narzisstischen, über-ich-strukturierten Zügen und um Somatisierungsstörungen. In Folge daraus sei der Kläger zwar noch voll berufstätig, aber in seinen sozialen Kontakten reduziert, jedoch im familiären Kreis, wenn auch eingeschränkt, gut eingebunden. Es bestehe ein erheblicher Leidensdruck mit gedanklicher Einengung auf die als negativ empfundene Lebensbilanz. Dr. C. hat insoweit einen GdB von 30 vorgeschlagen. Für die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule hat er nach orientierender neurologischer Untersuchung, bei der keine Nervenwurzelreizungen und keine Sensibilitätsstörungen gefunden worden seien, einen GdB von 10 vorgeschlagen. Der Gesamt- GdB betrage 50.

Nachdem ein Vergleich über diesen GdB nicht zu Stande gekommen war, hat das SG mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 10.04.2015 hat das SG den Beklagten unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide zur Zuerkennung eines GdB von 30 ab dem 01.10.2013 verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Es hat dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu einem Drittel auferlegt. Zur Begründung hat das SG unter ausführlicher Darlegung der rechtlichen Grundlagen für die Feststellung eines GdB auf die Aussagen der behandelnden Ärzte und die Feststellungen und Schlussfolgerungen Dr. C.s verwiesen.

Ob der Beklagte den genannten Gerichtsbescheid ausgeführt hat, ist nicht aktenkundig.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger am 04.05.2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Er trägt vor, in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Zeugen Dr. B.s müsse auf psychiatrischem Fachgebiet ein GdB von 50 anerkannt werden.

Er beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. April 2015 abzuändern und den Beklagten unter weiterer Abänderung des Bescheids vom 26. November 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04. Februar 2014 zu verurteilen, bei ihm ab dem 01. Oktober 2013 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Berichterstatter des Senats hat unter dem 23.07.2015 Hinweise zur Sach- und Rechtslage gegeben und einen Antrag auf Einholung eines Wahlgutachtens anheimgestellt

Der Kläger hat sich unter dem 28.07.2015, der Beklagte mit Schriftsatz vom 29.07.2015 mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter und ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Im Nachgang dazu hat der Kläger unter dem 04.08.2015 einen Allergen-Testbogen von Dr. D. vom 27.07.2015 zur Akte gereicht

Entscheidungsgründe:

Über die Berufung entscheidet im Einvernehmen beider Beteiligter der Berichterstatter als Einzelrichter (§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und ohne mündliche Verhandlung (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG), weswegen auch die ehrenamtlichen Richter nicht zu beteiligen sind (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 155 Rn. 11).

1. Die Berufung des Klägers ist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 SGG statthaft; insbesondere nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG zulassungsbedürftig. Sie ist auch im Übrigen zulässig, vor allem frist- und formgerecht erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG).

2. Sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) abgewiesen. Es besteht kein Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als ihn das SG zuerkannt hat. Die Zuerkennung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch hat der Kläger ohnehin nicht beantragt, sie liegt unabhängig davon auch nicht vor.

a) Die rechtlichen Voraussetzungen der Zuerkennung eines GdB nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und die medizinischen Anforderungen an die Bewertung einzelner Behinderungen mit einem GdB sowie die Bildung eines Gesamt-GdB hat das SG in dem angegriffenen Urteil zutreffend dargelegt. Sie beruhen auf den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VersMedGr), der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV). Diese gilt auch nach den Neuregelungen in den §§ 69 Abs. 1, 70 Abs. 2, 159 Abs. 7 SGB IX durch das Gesetz vom 07.01.2015 (BGBl I S. 15) für die Bemessung des GdB vorläufig weiter. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher auf die Ausführungen des SG verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).

b) In Anlegung dieser Maßstäbe ist beim dem Kläger ein GdB von 30 festzustellen:

Auf psychiatrischem Gebiet liegt eine stärker behindernde Störung mit bereits wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nach Teil B Nr. 3.7 VersMedGr vor, die jedoch noch nicht in Richtung einer schweren Störung mit sozialen Anpassungsschwierigkeiten geht, sodass der untere Wert aus der Spanne von 30 bis 40 anzusetzen ist. Auch der Senat schließt sich insoweit den Feststellungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen Dr. C. an. Der Diagnose von Dr. B. in der Zeugenaussage vom 06.06.2014, wonach eine rez. depr. Störung, ggfs. mittelgradig (wohl F33.1 nach ICD-10 GM 2014), bestehe, kann zumindest ab der Begutachtung nicht mehr gefolgt werden. Dr. C. hat - lediglich - eine Dysthymia (F34.1) diagnostiziert. Seine Feststellungen und Schlussfolgerungen erscheinen überzeugend. Der Kläger ist sicher psychisch belastet, schon auf Grund der Biografie, der kulturellen (Dr. C.: "subkulturell") Prägung und wegen des Unfalls. Daraus folgen auch einige Beeinträchtigungen auf psychischer Leidensdimension (Vorwurfshaltung, Narzissmus, Kränkungsgefühle). Dagegen ist die physische Leidensdimension nur gering ausgeprägt, wenn man überhaupt die geklagten Schmerzen an der Wirbelsäule auf die psychische Erkrankung zurückführen will (es liegen ja leichte degenerative Veränderungen bzw. eine leichte Verkrümmung vor). Vor allem ist die soziale Interaktion nicht eingeschränkt. Der Kläger ist berufstätig, er ist grundsätzlich in die Haushaltsarbeit eingegliedert, er hat soziale Kontakte in Familie und wohl auch in der Nachbarschaft, er macht Urlaub in der Türkei. Daraus folgt, dass die mittelgradige Episode der rez. Depression, die ja nicht nur Dr. B., sondern - 2013 - auch das Klinikzentrum E. diagnostiziert hatten, inzwischen abgeklungen sein muss. Auch wenn zwischenzeitlich wieder eine leichte depr. Episode (F33.0) vorläge statt der (wohl dauerhaften) Dysthymie, so würde es bei der Bewertung mit einem GdB von 30 bleiben, da die Bewertung nur den Funktionseinbußen, aber nicht der Diagnose folgt.

Die orthopädischen Beschwerden bedingen einen GdB von 10 (Teil B Nr. 18.9 VersMedGr), es sind keine nennenswerten Beweglichkeitseinschränkungen an der Wirbelsäule dokumentiert. Der sachverständige Zeuge Dr. A. hat lediglich eine muskuläre Fehlhaltung diagnostiziert und sich der Beurteilung durch das Versorgungsamt angeschlossen. Bei der stationären Rehabilitation des Klägers in der Klinik E. im Sommer 2013 waren ein Finger-Boden-Abstand (FBA) von 0 und eine freie Beweglichkeit von Schultern und aller Gelenke festgestellt worden. Es liegen daher in keinem Wirbelsäulenabschnitt mittelgradige funktionelle Auswirkungen vor, die aber für einen GdB von 20 oder mehr notwendig wären.

Aus dem nachträglich zur Akte gereichten Allergen-Testbogen von Dr. D. vom 27.07.2015 ergibt sich, dass der Kläger im Mai und Juni an einer allergischen Rhinopathie bzw. einer Bronchitis leidet, vor allem wegen einer Allergie auf Gräser. Insoweit kann kein GdB festgestellt werden, da nicht feststeht, ob, mit welcher Frequenz und welcher Stärker Anfälle auftreten. Da die Allergie saisonale Allergene betrifft, kommen allenfalls seltene (saisonale) Anfälle in Betracht, die nach Teil B Nr. 8.5 VersMedGr einen GdB von 0 bis 20 bedingen. Nachdem diese Allergie bislang nicht diagnostiziert worden ist und auch keine Behandlung dokumentiert ist, geht der Senat davon aus, dass sie allenfalls einen - weiteren - GdB von 10 bedingt, der den Gesamt-GdB nicht erhöht (Teil A Nr. 3 Buchst. d Doppelbuchst. ee Satz 1 VersMedGr). Sofern sich die Beeinträchtigungen verstärken, kann der Kläger ggfs. Neufeststellung beantragen.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

4. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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