L 8 SB 3859/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 3116/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3859/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. August 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Hauptsacheverfahren das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs (Merkzeichen) "B" (Berechtigung für eine ständige Begleitung) streitig.

Bei der 1964 geborenen Klägerin stellte das Versorgungsamt H. mit Bescheid vom 28.10.2002 die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "G" und das Landratsamt Schwäbisch Hall - Amt für Sozialwesen - (LRA) mit Bescheid vom 27.09.2006 wegen einer seelischen Krankheit, Depression (GdB 60), einer Funktionsbehinderung des Kniegelenks bei degenerativen Gelenkveränderungen, degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und Adipositas (GdB 50), einer chronischen Bronchitis und respiratorischen Insuffizienz (GdB 40), Diabetes mellitus (GdB 30) einem Schlafapnoe-Syndrom (GdB 20), Bluthochdrucks (GdB 10) sowie einem Carpaltunnel-Syndrom (GdB 10) den Grad der Behinderung (GdB) mit 100 seit dem 09.05.2006 neu fest. Die Feststellung der Merkzeichen "B" und "H" wurde abgelehnt.

Am 26.04.2012 beantragte die Klägerin beim LRA erneut die Feststellung des Merkzeichens "B". Das LRA nahm medizinische Befundunterlagen zu den Akten (Berichte Dr. G. vom 24.06.2012, Dr. B. vom 02.04.2012, Klinikum am W. vom 05.04.2012 und Diakonie-Klinikum S. H. vom 22.05.2012) und ließ diese durch seinen ärztlichen Dienst auswerten. In der gutachtlichen Stellungnahme vom 03.11.2012 schlug der Versorgungsarzt H. wegen einer seelischen Krankheit, Depression (GdB 60), einer Kniegelenkstotalendoprothese rechts bei degenerativen Gelenkveränderungen, degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und Adipositas (GdB 50), einer chronischen Bronchitis und respiratorischer Insuffizienz (GdB 40), eines Diabetes mellitus (GdB 30), eines Schlafapnoe-Syndroms (GdB 20), eines Bluthochdrucks (GdB 10), einer Mittelnervendruckschädigung (GdB 10) und eines Teilverlustes des Dickdarms und des Dünndarms (GdB 30) den Gesamt-GdB weiterhin mit 100 vor und verneinte die Voraussetzungen für das Merkzeichen "B". Entsprechend dieser gutachtlichen Stellungnahme entsprach das LRA mit Bescheid vom 11.01.2013 dem Antrag der Klägerin auf Feststellung des Merkzeichens "B" nicht.

Gegen den Bescheid vom 11.01.2013 legte die Klägerin am 11.02.2013 Widerspruch ein. Sie machte geltend, um wenigstens etwas zu befördern, sei sie auf fremde Hilfe angewiesen. Das LRA zog das Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des MDK vom 03.01.2006 bei, das die Pflegestufe I vorschlug. Nach Einholung der weiteren gutachtlichen Stellungnahme des Versorgungsarztes Schneider vom 24.07.2013, der die Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" verneinte, wurde der Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart - Landesversorgungsamt - vom 14.08.2013 zurückgewiesen. Die Zuerkennung des Merkzeichens "B" lasse sich nicht begründen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 06.09.2013 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG). Sie machte zur Begründung geltend, sie sei nicht in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel überwiegend ohne Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels zu benutzen. Ihr sei ein Tragen/Heben von maximal 1,5 kg erlaubt und möglich. Sie besitze einen Rollator. Dieser müsse in den Bus gehoben werden, was ohne Hilfe einer Begleitperson nicht möglich sei. Sie benötige Hilfe beim Ein- und Aussteigen. Die Klägerin legte ärztliche Bescheinigungen vor (Dr. D. vom 17.03.2014 und Dr. W. vom 31.03.2014).

Das SG hörte die Klägerin behandelnde Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen an. Der Orthopäde Dr. H. teilte in seiner Stellungnahme vom 06.11.2013 die Diagnosen und Befunde mit. Zur Frage der Notwendigkeit einer Begleitperson äußerte er sich nicht. Dr. G. teilte in ihrer Stellungnahme vom 27.12.2013 -unter Vorlage von Befundberichten- die Befunde und Diagnosen mit. Sie hielt bei der Klägerin eine beaufsichtigende Hilfe für notwendig, weil sie aufgrund ihrer psychischen Erkrankung zu Fehlentscheidungen neige und daher sich und/oder andere Personen gefährden könne.

Anschließend holte das SG das orthopädische Gutachten des Dr. K. vom 20.05.2014 ein. Dr. K. diagnostizierte ein chronisches, degeneratives Lumbalsyndrom, Adipositas, Bauch- und Narbenhernien, Depressionen und einen Zustand nach einer schizophrenen Psychose. Unter Ausnahme des neurologisch / psychiatrischem Krankheitsbildes gelangte er zu der Bewertung, die Klägerin könne das Ein- und Aussteigen bei öffentlichen Verkehrsmitteln zweifelsohne selbstständig ausführen. Problematisch sei das Mitführen des Gehwagens. Dieser könne definitiv nicht eigenständig und ohne fremde Hilfe in ein öffentliches Verkehrsmittel hinein oder wieder heraus bewegt werden, insbesondere wenn hierbei, häufig erforderlich, ein oder mehrere höhere Stufen überwunden werden müssten. Hinsichtlich des neurologisch/psychiatrischen Krankheitsbildes bedürfte es gegebenenfalls einer fachspezifischen Begutachtung.

Mit Gerichtsbescheid vom 26.08.2014 wies das SG, gestützt auf das Gutachten des Dr. K., die Klage ab. Nach den Ausführungen von Dr. K. sei die Klägerin bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen, sondern eine fremde Verkehrsmittel auch alleine benutzen. Ein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "B" bestehe nicht.

Gegen den der Klägerin am 28.08.2014 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die von der Klägerin am 09.09.2014 eingelegte Berufung. Zur Begründung ihrer Berufung hat sie vorgetragen, die Entscheidung des SG beruhe zumindest auf unter anderem nicht aktuellen medizinischen Unterlagen. Sie könne die ihr durch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" eingeräumten Vorteile nicht uneingeschränkt nutzen, da sie ohne Begleitperson nicht in der Lage sei, alle Verkehrsmittel zu besteigen. Allein daher müsse ihr das Merkzeichen "B" zuerkannt werden. Bereits im Verfahren erster Instanz habe sich ergeben, dass sie nicht in der Lage gewesen sei, die Strecke zur Begutachtung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Nach dem Gutachten des Dr. K. könne sie lediglich eine Strecke von bis zu 200 Meter ohne fremde Hilfe und ohne Gehhilfe zurücklegen, bis zu 500 Meter mit einem Rollator. Weiter komme sie nicht. An ihrem Wohnort (Tübingen) könne sie öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzen. Hinzu käme eine bestehende Stuhlinkontinenz, weshalb sie ohne fremde Begleitung nicht ihr Haus verlassen mag. Zudem sei bestätigt, dass sie ohne beaufsichtigende Hilfe zu schweren Fehlentscheidungen neige und daher sich oder andere Personen gefährden könne. Sollte dies unterwegs ohne Begleitperson auftreten, sei sie hilflos. Die Einholung eines psychologischen sowie orthopädischen Gutachtens werde beantragt. Ihr Gesundheitszustand habe sich in den letzten Monaten massiv verschlechtert (Schriftsätze vom 25.09.2014 und 18.02.2015).

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. August 2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 11. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "B" festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Aus dem Berufungsvorbringen der Klägerin ergäben sich keine neuen Argumente. Die Stuhlinkontinenz sei unbeachtlich. Eine Orientierungslosigkeit wegen der depressiven Erkrankung liege nicht vor.

Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat die Klägerin am 17.02.2015 beim wegen Umzugs nunmehr zuständigen LRA T. einen Änderungsantrag auf Feststellung der Merkzeichen "B" und "H" gestellt. Eine Verwaltungsentscheidung zu diesem Antrag ist bislang nicht erfolgt. Auf Nachfrage des Berichterstatters (Schreiben vom 19.02.2015) zum Änderungsantrag hat die Klägerin mitgeteilt, die Berufung werde nicht zurückgenommen. Das Berufungsverfahren solle fortgeführt werden. Ihr Zustand habe sich verschlechtert (Schriftsatz vom 12.03.2015). Weiter hat der Senat mit Beschluss vom 26.05.2015 einen Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Berufung abgelehnt. Mit Schriftsatz vom 08.09.2015 hat der Beklagte - kommentarlos - einen dem LRA T. übersandten Bericht des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie F. vom 22.06.2015 mit Anlagen (Befundberichte des Universitätsklinikums Tübingen vom 16.02.2015, 24.04.2015 und 28.04.2015 sowie Schreiben der Klägerin an den Facharzt F. - ohne Datum - sowie an die K. Klinik vom 16.01.2015) vorgelegt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsätze des Klägerbevollmächtigten vom 30.07.2015 und 24.09.2015 sowie des Beklagten vom 11.06.2015 und 24.09.2015).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG über die Berufung ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, denn er hat eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten und die Beteiligten haben sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt. Sie haben auch nach Eingang der vom Beklagten mit Schreiben vom 08.09.2015 übersandten Unterlagen ausdrücklich an ihrer zuvor erteilten Einverständniserklärung festgehalten.

Der Senat hat den Berufungsantrag der Klägerin sachdienlich gefasst.

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 11.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "B" zu.

Nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "H" (Hilflosigkeit) hat, wie die Klägerin mit dem im Verlauf des Berufungsverfahrens beim Beklagten gestellten Änderungsantrag vom 17.02.2015 geltend macht. Die Klägerin hat dieses Begehren nicht ausdrücklich zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht, worüber der Senat auf Klage zu entscheiden hätte. Unabhängig davon wäre eine Klage auf Zuerkennung des Merkzeichens "H" unzulässig und damit als Klageänderung (im Sinne einer Klageerweiterung) auch nicht sachdienlich. Denn eine Verwaltungsentscheidung des LRA über den Antrag auf Feststellung des Merkzeichens "H" ist hierzu durch das Landratsamt (noch) nicht ergangen.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "B" liegen bei der Klägerin nicht vor. Zur Mitnahme einer Begleitperson sind schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind, § 146 Abs. 2 SGB IX. Nach § 145 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX wird eine Begleitperson eines schwerbehinderten Mensch im Sinne des Absatzes 1 unentgeltlich im öffentlichen Nahverkehr befördert, wenn die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson nachgewiesen ist und dies im Schwerbehindertenausweis eingetragen ist. Schwerbehinderte Menschen im Sinne des § 145 Abs. 1 SGB IX sind Personen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, hilflos oder gehörlos sind, denen also das Merkzeichen G, H oder Gl zuerkannt ist. Das bedeutet, dass die Zuerkennung des Merkzeichens "B" nur erfolgt, wenn "G", "H" oder "Bl" zuerkannt ist (BSG, Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 6/86, SozR 3870 § 38 Nr. 2).

Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 -, BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB.

Bislang konnte sich der Beklagte hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichen "B" nicht auf die VG (Teil D Ziff. 3) berufen. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthielten nach Auffassung des Senats weder § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis 30.06.2011 bzw. § 30 Abs. 16 BVG in der ab 01.07.2011 gültigen Fassung, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche war bislang auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich aG (und G) waren damit nach ständiger Rechtsprechung des Senats mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 L 8 SB 3119/08 und vom 14.08.2009 L 8 SB 1691/08 , beide veröff. in juris und www.sozial-gerichtsbarkeit.de; so auch der ebenfalls für Schwerbehindertenrecht zuständige 6. Senat des LSG Baden Württemberg, vgl. stellvertretend Urteil vom 04.11.2010 L 6 SB 2556/09 , unveröffentlicht; offen lassend der 3. Senat, vgl. Urteil vom 17.07.2012 L 3 SB 523/12 unveröffentlicht). Entsprechendes gilt für das Merkzeichen "B". Rechtsgrundlage waren daher bislang allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu nach ständiger Rechtsprechung zulässig anzuwendenden Verwaltungsvorschriften.

Zwischenzeitlich hat jedoch der Gesetzgeber mit Wirkung zum 15.01.2015 in § 70 Abs. 2 SGB IX eine Verordnungsermächtigung eingeführt und in § 159 Abs. 7 SGB IX eine Übergangsregelung getroffen (eingefügt durch Art. 1a des am 15.01.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015; BGBl. II S. 15).

§ 70 Abs. 2 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 lautet nunmehr: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Von der Verordnungsermächtigung ist bislang kein Gebrauch gemacht worden.

Nach der ebenfalls am 15.01.2015 in Kraft getretenen Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 gelten, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des Bundesversorgungsgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend.

Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber mit der Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX ab dem 15.01.2015 wirksam und mit hinreichend bestimmtem Gesetzeswortlaut eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "B" geschaffen. Die so geschaffene Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "B" entfaltet jedoch keine Rückwirkung, sondern ist erst ab dem Datum des Inkrafttretens am 15.01.2015 wirksam (Urteil des Senats vom 22.05.2015, - L 8 SB 70/13 -, juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de zum Merkzeichen "aG"). Folglich stellt der Senat für die Zeit bis zum 14.01.2015 auf die von der Rechtsprechung für die Feststellung des Merkzeichens "B" entwickelten Kriterien und für die Zeit ab dem 15.01.2015 auf die in den VG geregelten Kriterien ab.

Hiervon ausgehend sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "B" bei der Klägerin nicht erfüllt. Zwar ist der Klägerin das Merkzeichen "G" zuerkannt. Bei ihr ist jedoch die Notwendigkeit einer Begleitperson zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist nicht gegeben, da sie regelmäßig in der Lage ist, ohne eine Begleitperson öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Auf orthopädischem Gebiet liegen bei der Klägerin keine Behinderungen vor, die das Angewiesensein auf eine regelmäßige fremde Hilfe bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel plausibel machen. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. K. vom 20.05.2014. Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule, der oberen und/oder unteren Extremitäten der Klägerin, die plausibel machen, dass die Klägerin bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen ist, beschreibt Dr. K. in seinem Gutachten nicht. Auch eine bedeutsame Einschränkung der Beweglichkeit der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule beschreibt Dr. K. in seinem Gutachten nicht. Eine Bewegungseinschränkung der Schulter-, Ellenbogen- und der Handgelenke sowie der Finger liegt bei der Klägerin nicht vor. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Beweglichkeit der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke sowie der Zehen. Wesentliche neurologische bzw. motorische Defizite hat Dr. K. nicht feststellen können. Das von der Klägerin demonstrierte Gangbild ist - zumindest bei kurzer Strecke - sicher und unauffällig. Zwar liegt bei der Klägerin eine Beschwerdesymptomatik von Seiten der Lendenwirbelsäule vor, weswegen nach der Bewertung des Dr. K. von einer Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit beim regelmäßigen Heben und Tragen von Lasten über 5 kg auszugehen ist. Weiter sind Tätigkeiten in gebückter Haltung oder in Zwangshaltungen sowie hinsichtlich einer Kniegelenkssymptomatik im Knien oder in der Hocke nicht ausführbar. Ein gelegent-liches Bücken ist der Klägerin möglich, wie der von Dr. K. beschriebene, von der Klägerin erreichte FBA von 20 cm bei maximaler Inklination der Wirbelsäule und gestreckten Kniegelenken zeigt. Auch eine nicht auf Dauer erforderliche Hüft- und Kniebeugung ist bei gemessener freier Beweglichkeit der Gelenke möglich. Die von Dr. K. angenommenen Einschränkungen beeinträchtigen das selbständige Ein- und Aussteigen bei öffentlichen Verkehrsmitteln nicht wesentlich. Danach überzeugt die Bewertung von Dr. K., dass die Klägerin das Ein- und Aussteigen bei öffentlichen Verkehrsmitteln selbstständig ausführen kann. Dieser Bewertung schließt sich der Senat an. Auch Dr. H. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft vom 06.11.2013 die Frage des SG nach der Notwendigkeit einer Begleitperson bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht bejaht, sondern unbeantwortet gelassen.

Dass die Klägerin wegen der Notwendigkeit der Benutzung eines Rollators (Gehwagens) einer regelmäßigen Hilfe durch eine Begleitperson bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel bedarf, ist zur Überzeugung des Senats nicht belegt. Dagegen spricht bereits der oben beschriebene orthopädische Befund, der gegen die Notwendigkeit der Benutzung eines Rollators / Gehwagens spricht. Soweit Dr. K. in seinem Gutachten davon ausgeht, problematisch sei das Mitführen eines Gehwagens, ist diese Bewertung nicht plausibel. Dr. K. geht bei der Klägerin wegen der Lendenwirbelsäulensymptomatik lediglich von einer Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit beim regelmäßigen Heben und Tragen von Lasten über 5 kg aus, was beim gelegentlichen Besteigen und Verlassen von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht anfällt, ebenso wenig Tätigkeiten im Knien oder in der Hocke. Weshalb es der Klägerin bei den festgestellten Befunden definitiv nicht eigenständig möglich sein soll, einen Rollator bei - gelegentlichen - Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln ohne fremde Hilfe in ein öffentliches Verkehrsmittel hinein bzw. heraus zu bewegen, legt er in seinem Gutachten nicht nachvollziehbar dar. Auch die im Gutachten des Dr. K. beschriebenen Angaben der Klägerin sprechen gegen das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens "B". Danach führt die Klägerin regelmäßige Krankengymnastik und selbstständig Übungen durch. Beschwerden treten insbesondere (erst) bei längerem Stehen oder Gehen auf, weshalb sie einen Gehwagen benutze. Zudem fühlt sie sich durch die Benutzung des Gehwagens sicherer. Im Anschluss an die Untersuchung durch Dr. K. hatte die Klägerin mit der Physiotherapeutin eine Walkingstunde vereinbart, weshalb sie zur Untersuchung bei Dr. K. mit zwei am Gehwagen befestigten Walkingstöcken erschienen ist. Dass die Klägerin tatsächlich lediglich eine Gehstrecke von bis zu 200 Meter ohne fremde Hilfe und ohne Gehhilfe zurücklegen kann (bis zu 500 Meter mit einem Rollator) und dass sie auf die Benutzung eines Rollators (Gehwagens) angewiesen sei, wie sie geltend macht, ist damit zur Überzeugung des Senats auch nicht belegt.

Dass die Klägerin wegen ihrer psychischen Erkrankung zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel eine Begleitperson bedarf, worauf Dr. G. in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 27.12.2013 abstellt, ist nicht belegt. Dr. G. erachtet eine "beaufsichtigende" Hilfe für notwendig, weil die Klägerin aufgrund ihrer psychischen Erkrankung zu Fehlentscheidungen neige und daher sich und/oder andere Personen gefährden könnte. Dass die Klägerin deswegen regelmäßig die Hilfe einer Begleitperson benötigt, lässt sich diesen Angaben jedoch nicht entnehmen, sondern allenfalls, dass die Klägerin wegen ihrer psychischen Erkrankung lediglich gelegentlich (vorsorglich) - und nicht regelmäßig - einer Hilfe durch Dritte bedarf. Dass die Klägerin zu Fehlentscheidungen neigt, lässt sich den medizinischen Befundunterlagen zudem nicht plausibel entnehmen. Nach dem von Dr. G. vorgelegten Bericht der Psychiatrie S. H.l vom 14.11.2013 ist die Klägerin wach, bewusstseinsklar und allseits orientiert. Das etwas weitschweifige und umständliche formale Denken ist in den Grundzügen jedoch durchgehend geordnet. Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen bestehen unter suffizienter Behandlung nicht. Dem entspricht auch die Beschreibung des pathologischen Befundes auf Seite 2 des Berichts der Universitätsklinik T. vom 16.04.2013 (Blatt 33a der Akte des SG), die auf Anforderung des Gerichts zur Komplettierung des Berichts von Dr. G. nachgereicht worden war und in dem bei der Klägerin zudem eine Selbst- oder Fremdgefährdung sowie inhaltliche Denkstörungen verneint und das Gedächtnis, die Konzentration und die Aufmerksamkeit als nur leicht beeinträchtigt beschrieben werden. Dass bei der Klägerin eine geistige Behinderung besteht, die die Zuerkennung des Merkzeichens "B" rechtfertigt, kann danach nicht angenommen werden. Der vom Beklagten mit Schriftsatz vom 08.09.2015 vorgelegte Bericht des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie F. vom 22.06.2015 zeigt keine (neuen) Gesichtspunkte auf, die eine andere Entscheidung rechtfertigen. Zwar teilt der Facharzt F. mit, dass die Klägerin (u.a.) in der Fähigkeit, sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewegen insbesondere durch überraschende und lang anhaltende dissoziative Zustände mit Hilfs- und Orientierungslosigkeit deutlich beeinträchtigt sei und hält deswegen die Zuerkennung des Merkzeichens "B" für dringend indiziert. Der Facharzt F. stützt seine Einschätzung maßgeblich auf übernommene Angaben der Klägerin, die durch die von ihm vorgelegten Befundberichte des Universitätsklinikums Tübingen nicht belegt sind. Vielmehr bestätigen diese Befundberichte nach den beschriebenen psychischen Befund die bisherige Befundlage. Danach besteht bei der Klägerin eine depressive Stimmung, ein formalgedankliches Grübeln, eine reduzierte Schwingungsfähigkeit, ein Gefühl von fehlender Energie, Kraftlosigkeit und leichte Ermüdbarkeit, eine deutliche Verminderung des Antriebs sowie chronisch lebensmüde Gedanken. Psychische Störungen, die auf anhaltende (dauerhaft) auftretende dissoziative Zustände schließen lassen, lässt sich dem in den Befundberichten beschriebenen psychischen Befund jedoch nicht entnehmen. Danach ist die Klägerin wach, bewusstseinsklar, allseits orientiert. Kognitive Defizite, inhaltliche Denkstörungen, Wahrnehmungsstörungen, Ich-Störungen oder ein Anhalt für wahnhaftes Erleben bzw. Sinnestäuschungen bestehen nicht. Eigene klinisch gesicherte Befunde, die seine Ansicht nachvollziehbar und plausibel machen, teilt der Facharzt Fischer in seinem Bericht nicht mit. Der Bewertung des Facharztes Fischer vermag sich der Senat deshalb nicht anzuschließen.

Der von der Klägerin geltend gemachten Stuhlinkontinenz ist für die Zuerkennung des Merkzeichens "B" keine relevante Bedeutung beizumessen, worauf der Beklagte zutreffend hinweist.

Anlass zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen besteht nicht. Der Sachverhalt ist durch die vom insbesondere vom SG durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen vollständig aufgeklärt und vermitteln dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Gesichtspunkte, durch die sich der Senat zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müsste, hat die Klägerin im Berufungsverfahren nicht aufgezeigt. Allein durch die bloße Behauptung " ins Blaue hinein", ihr Gesundheitszustand habe sich in den letzten Monaten massiv verschlechtert, sieht sich der Senat nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt. Substantiierte Angaben zu einer angeblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes hat die Klägerin nicht gemacht. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist auch sonst nicht ersichtlich/greifbar. Vielmehr beschreiben die nachgereichten Befundberichte des Universitätsklinikums Tübingen vom 16.02.2015, 24.04.2015 und 28.04.2015 aufgrund der Untersuchungen im Februar und April 2015 einen im Wesentlichen unveränderten Gesundheitszustand der Klägerin, der die ab Februar/März 2015 behauptete Verschlechterung des jedenfalls für das streitige Merkzeichen "B" maßgebenden Behinderungszustandes nicht belegt. Vielmehr ist dem Nachtrag im Befundbericht des Universitätsklinikums Tübingen vom 28.04.2015 zu entnehmen, dass ab 12.05.2015 keine Indikation für eine Behandlung in der tagesklinischen Abteilung (mehr) bestand. Die Zunahme von Beschwerden trotz der Stabilisierung durch die Tagesklinikbehandlung im April 2015 mit behauptetem Weiterbestehen dissoziativer Zustände, die nach Angaben der Klägerin zu hilflosen Zuständen für mehrere Stunden bei Aufenthalten in der Stadt geführt haben sollen (Befundbericht von Facharzt Fischer vom 22.06.2015, Bl. 48ff der Senatsakte) - was im Arztbrief des Universitätsklinikums Tübingen vom 28.04.2015 gerade nicht bestätigt worden ist -, wäre darüber hinaus auch bei unterstellter Richtigkeit nicht entscheidungserheblich. Eine ab Ende April 2015 eingetretene Verschlechterung besteht zum Entscheidungszeitpunkt des Senats noch nicht sechs Monate und es ist daher noch nicht absehbar inwieweit es sich um einen dauerhaften Behinderungszustand, der keiner weiteren Behandlung mehr zugänglich ist, handelt. Nachforschungen "ins Blaue hinein" sind durch die Amtsermittlungspflicht nicht geboten (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 03.04.2003 -B 13 RJ 39/02 R, SozR 4-1300 § 31 Nr. 1; BSG Urteil vom 05.04. 2001, SozR 3-2600 § 43 Nr. 25; BSG, Urteil vom 07.05.1998 - B 11 AL 81/97 R, veröffentlicht in juris). Dem Antrag der Klägerin auf Einholung von Sachverständigengutachten im psychologischen sowie im orthopädischen Bereich brauchte der Senat nicht nachzugehen, nachdem die Klägerin keine Gesichtspunkte aufgezeigt hat, die weitere medizinische Ermittlungen durch Einholung von Sachverständigengutachten geboten erscheinen lassen. Im Übrigen ist der Beweisantrag mit der Zustimmung zur Entscheidung nach § 124 Abs. 2 SGG überholt (vgl. BSG vom 31.05.2000 - B 2 U 142/00 B, juris); er wurde auch nicht hilfsweise aufrechterhalten.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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