L 9 AS 3442/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 982/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 3442/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Mai 2014 wird in Bezug auf die Sanktionsbescheide vom 7. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. März 2011 und vom 20. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2011 als unzulässig verworfen und im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen.

Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig sind vorliegend die Absenkung der Leistungen in den Monaten März bis Mai 2011 wegen des Eintritts zweier Sanktionen sowie verschiedene Feststellungsanträge des Klägers.

Der 1962 geborene Kläger, der im EDV-Bereich als Programmierer und Elektroniker bis einschließlich 2008 selbständig tätig gewesen war, bezieht seit Januar 2005 von dem Beklagten Arbeitslosengeld II (ALG II) als laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) einschließlich Kosten für Unterkunft und Heizung

Seit Beginn des Leistungsbezugs trägt der Kläger vor, unter psychosomatischen bzw. psychischen Beschwerden zu leiden. Meldeaufforderungen des Beklagten kommt der Kläger seit 2005 nicht nach unter Hinweis auf seine psychischen Beschwerden und trug hierzu u.a. vor (Bl. 282 Band 1 der V-Akten), sich aufgrund seiner traumatischen Erlebnisse mit Ämtern/Behörden derzeit psychisch nicht in der Lage zu sehen, mit fremden Personen über seine Lebenssituation zu sprechen. Sein Rechtsbeistand könne dies im Zusammenhang mit Sozialamtsbesuchen bezeugen. Zunächst benötige er eine Therapie. Der Anforderung, eine Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht zu übersenden (Bl. 474 Band 2 der V-Akten), kam der Kläger mit der Begründung nicht nach, einer pauschalen Schweigepflichtsentbindung könne er nicht zustimmen, da aus dem Vordruck nicht ersichtlich sei, welche Information der Beklagte konkret zu welchem Zweck erlangen wolle und mit welchen Ärzten er hinter seinem Rücken welche Daten austauschen wolle. Einer Einladung zur psychologischen Begutachtung am 26.05.2010 folgte der Kläger nicht. Im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG, S 7 AS 4239/11 ER) legte der Kläger ein Attest der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. S. vom 07.06.2011 vor, die die Diagnose einer Angst- und Depression gemischt stellte. Im Vordergrund stünden seine Kraftlosigkeit, seine wechselhafte Stimmung, seine reduzierte Freude, ausgeprägte Grübel- und Sorgenneigung, die Ein- und Durchschlafstörungen. Vor allem stehe aber auch ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten aufgrund seiner Ängste, z. B. an einem Herzinfarkt zu leiden, im Vordergrund. Belastungen oder auch Sport führten zu Ängsten, die er deswegen zu meiden suche. Eine psychopharmakotherapeutische Behandlung und/oder eine psychotherapeutische Behandlung seien die im Vordergrund stehenden Therapiemöglichkeiten. Weiterhin legte der Kläger in dem Verfahren S 7 AS 2563/11 ER ebenfalls vor dem SG neben einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 18.04.2011 über eine voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 06.06.2011 einen Arztbrief von Dr. H. S. vom 28.02.2011 mit der Diagnose einer Angst- und Depression, gemischt, vor, die in weiten Teilen geschwärzt wurde. In den lesbaren Abschnitten dieses Arztbriefes führte Dr. S. aus, der Kläger habe dann 2000 gar nichts mehr machen können, habe nicht schlafen können. Es seien monatelange stationäre Aufenthalte erfolgt, danach ein Jahr lang Arbeitsunfähigkeit, seit 2000 nicht arbeitsfähig und deswegen auch Hartz IV-Empfänger; seit etwa 10 Jahren teilt Medikation mit bedarfsweise. Dr. S. vermute, dass der Kläger im Jahr 2000 eine schwere depressiv (Rest geschwärzt).

Da der Kläger seit 2005 keinen Meldeaufforderungen nachgekommen war, kam es in der Folgezeit aufgrund verhängter Sanktionen zu etlichen Klagen bzw. Eilrechtsschutzverfahren vor dem SG und dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG).

Mit Bescheid vom 07.01.2010 (Widerspruchsbescheid vom 22.02.2010) wurden wegen eines Meldeversäumnisses die Leistungen des Klägers im Zeitraum vom 01.02.2010 bis 30.04.2010 in Höhe von 10 % der Regelleistung abgesenkt, mit weiterem Bescheid vom 09.02.2010 (Widerspruchsbescheid vom 22.02.2010) erfolgte eine weitere Absenkung im Zeitraum vom 01.03.2010 bis 31.05.2010, wiederum in Höhe von 10 % der Regelleistung. Diese Bescheide sind Gegenstand des Verfahrens L 9 AS 3432/14.

Mit Bescheid vom 19.03.2010 verfügte der Beklagte eine erneute Absenkung des Alg II aufgrund eines Meldeversäumnisses für den Zeitraum vom 01.04.2010 bis 30.06.2010 in Höhe von 20 %, anschließend mit Sanktionsbescheid vom 28.04.2010 für den Zeitraum vom 01.06.2010 bis 31.08.2010 in Höhe von 30 %. Mit Sanktionsbescheid vom 21.10.2010 wurde das Alg II für die Zeit vom 01.11.2010 bis 31.01.2011 wiederum wegen Meldeversäumnisses um 40 % abgesenkt. Im Rahmen eines Antrags nach § 44 SGB X und anschließenden Klageverfahrens (S 7 AS 6853/10 ) hob der Beklagte nach Teilanerkenntnis vom 24.11.2010 den Sanktionsbescheid vom 19.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2010 auf. Weiterhin reduzierte der Beklagte mit Teilanerkenntnis im Verfahren S 7 AS 4795/10 die mit Bescheid vom 28.04.2010 verfügte Absenkung des Alg II auf 20 % (Teilanerkenntnis vom 25.11.2010). Mit Bescheid vom 26.11.2010 wurde anschließend der Sanktionsbescheid vom 21.10.2010 aufgehoben und für den Zeitraum vom 01.11.2010 bis 31.03.2011 ungekürztes Alg II in Höhe von 784,99 EUR bewilligt (Regelbedarf 359,- EUR, KdUH 425,99 EUR; Bl. 1330 Band 6 der V-Akte).

Mit Schreiben vom 25.10.2010 (Bl. 1352 Band 6 der V-Akte) lud der Beklagte den Kläger erneut zu einem Meldetermin am 05.11.2010 um 11 h ein, um mit ihm über sein Bewerberangebot bzw. seine berufliche Situation zu sprechen. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass bei erneutem unentschuldigten Meldeversäumnis eine Kürzung der Leistung um 50 % erfolgen werde. Eine Kürzung in der genannten Höhe erfolge, da bei der letzten Kürzung bereits ein Absenkung von 40 % erfolgt sei.

Nachdem der Kläger den Meldetermin nicht wahrgenommen hatte, wurde er mit Schreiben vom 13.12.2010 zu der Versäumung des Meldetermins angehört und darauf hingewiesen, dass die Sanktion in Höhe von 30 % erfolgen werde, da die Sanktionsbescheide vom 19.03.2010 sowie 21.10.2010 aufgehoben worden seien. Der Kläger äußerte sich hierzu nicht.

Mit Bescheid vom 07.02.2011 (Bl. 1358 Band 6 der V-Akte) senkte der Beklagte das Alg II des Klägers für den Zeitraum vom 01.03.2011 bis 31.05.2011 um monatlich 30 % der maßgeblichen Regelleistung in Höhe von 107,70 EUR monatlich ab. Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung vom 26.11.2010 werde insoweit für den Monat März 2010 aufgehoben.

Hiergegen stellte der Kläger am 16.02.2011 beim SG Stuttgart einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (S 7 AS 975/11 ER), erhob gleichzeitig Klage und legte Widerspruch ein. Zur Begründung seines Antrags legte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von Dr. S. (Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie) vom 28.02.2011 über eine Arbeitsunfähigkeit vom 28.02.2011 bis voraussichtlich 18.04.2011 vor. Diese AU-Bescheinigung sei eine fachärztliche Bestätigung über eine festgestellte Erkrankung, bei der er weder zum Jobgespräch zu erscheinen noch mit dem Sachbearbeiter über Befund und Therapie zu reden habe. Auch solle das Gericht den Beklagten zur Antwort und Bescheidung verpflichten, welche Pseudoneurologen und Pseudogutachter er anbiete. Der Beklagte solle ab jetzt jedwede Bestrafungssanktion unterlassen. Alle medizinische Korrespondenzen hätten aus Datenschutzgründen über ihn zu erfolgen; dieses Recht darauf wolle er gerichtlich festgestellt haben.

Mit Beschluss vom 09.03.2011 hat das SG den Eilrechtsschutzantrag abgelehnt.

Am 28.03.2011 erging ein Bewilligungsbescheid (Bl. 1399 Band 6 der V-Akten), worin für die Zeit vom 01.04.2011 bis 31.05.2011 unter Berücksichtigung einer 30 %-igen Sanktion Leistungen in Höhe von insgesamt 692,06 EUR (Regelbedarf 364 EUR, KdUH 437,26 EUR, Minderung aufgrund von Sanktionen 109,20 EUR) bewilligt wurden. Ab dem 01.06.2011 erfolgte eine ungekürzte Bewilligung von Alg II.

Nachdem der Kläger einer Einladung vom 15.02.2011 (Bl. 1408 Band 7 der V-Akte) zu einem Meldetermin am 07.03.2011 um 15 h, in der auf die Folgen unentschuldigten Fehlens sowie die dann beabsichtigte Senkung des Alg II um 40 % hingewiesen worden war, nicht Folge geleistet hatte, hörte der Beklagte den Kläger zur bevorstehenden Kürzung der Alg II- Leistung an und erließ anschließend am 20.04.2011 einen Sanktionsbescheid (Bl. 1414 Band 7 der V-Akten), worin eine Absenkung des Alg II in Höhe von 145,60 EUR monatlich ab dem 01.05.2011 bis 31.07.2011 verfügt wurde. Der Bewilligungsbescheid vom 28.03.2011 werde insoweit aufgehoben. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 05.05.2011, Bl. 1422 Band 7 der V-Akten).

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.03.2011 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 07.02.2011 als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid W 349/2011, Bl. 1379 Band 6 der V-Akten).

Mit Urteil vom 23.05.2014 hat das SG die - nach Erlass des Widerspruchsbescheids zulässig gewordene - Klage abgewiesen mit der Begründung, die Absenkung der Regelleistung des Klägers im Zeitraum vom 01.03.2011 bis 31.05.2011 um 30 % gem. § 31 Abs. 2 SGB II a.F. sei rechtmäßig, da der Kläger trotz Kenntnis der Meldeaufforderung zum Meldetermin am 05.11.2011 um 11 h nicht erschienen sei, obwohl eine wirksame Meldung vorgelegen habe, die den Meldezwecken des § 309 Abs. 2 SGB II entspreche. Ein wichtiger Grund sei nicht nachgewiesen worden. Zwar habe der Kläger vorgetragen, dass er u.a. an einem Burnout leide und nicht vermittelbar sei, ohne jedoch entsprechende Nachweise vorzulegen noch konkrete Angaben über sein Krankheitsbild und die daraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen zu machen. Die AU-Bescheinigung ab 28.02.2011 sage nichts darüber aus, ob der Kläger bei dem Meldetermin am 05.11.2010 hätte erscheinen können, und auch nicht, ob der Kläger generell erwerbsunfähig sei. Hinzu komme, dass selbst wenn der Kläger erkrankt sein sollte, eine Besprechung mit dem Arbeitsvermittler des Beklagten sinnvoll sein könne, da unter Umständen auch die berufliche Wiedereingliederung des Klägers durch den Beklagten als Rehabilitationsträger gefördert werden könne. Da sich der Kläger in der Vergangenheit auch geweigert habe, den insoweit vom Beklagten angebotenen Untersuchungstermin beim Psychologischen Dienst wahrzunehmen, sei das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht glaubhaft gemacht. Der Beklagte sei auch nicht verpflichtet, dem Kläger die Namen potenzieller Gutachter zu nennen, so dass dieser sich vorab mit ihnen in Verbindung setzen könne. Wenn der Kläger weder Befundberichte vorlegen wolle noch einen Begutachtungstermin wahrnehme, bestehe auch die Möglichkeit, dass er zunächst den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinde und den Beklagten dazu ermächtige, diesen zu seinen gesundheitlichen Einschränkungen zu befragen. Es bestehe aber kein Anspruch darauf, dass die medizinischen Ermittlungen ausschließlich über den Kläger und nach von ihm vorgegebenen Vorgaben erfolgten. Der Kläger sei auch hinreichend über die Rechtsfolgen belehrt worden. Insbesondere sei die Belehrung über eine Sanktion in Höhe von 50 % zum damaligen Zeitpunkt angesichts der vorausgegangenen Sanktionen zutreffend gewesen und sei im Hinblick darauf, dass der Kläger in der Einladung auf einen für ihn stärkeren Eingriff (Absenkung um 50 %) hingewiesen worden sei, als dann tatsächlich erfolgt sei (30%) unproblematisch. Der Sanktionszeitraum sei zutreffend festgelegt worden, der Absenkungsbetrag zutreffend ermittelt worden. Soweit der Kläger zudem beantragt habe, dass der Beklagte zu verpflichten sei mitzuteilen, welche "Pseudoneurologen und Pseudogutachter" er anbiete, festzustellen, dass alle medizinischen Korrespondenzen über ihn erfolgen müssten sowie dass der Beklagte jedwede Bestrafungssanktion zu unterlassen habe, sei die Klage unzulässig.

Gegen dieses Urteil (und gegen zwölf weitere Urteile des SG vom selben Tag) hat der Kläger am 14.08.2014 Berufung beim LSG eingelegt mit der - jeweils identischen - Begründung, die Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums sei ein unantastbares Menschenrecht, und alle Sanktionsbescheide seien nichtig, weil dieses Menschenrecht verletzt werde. Das Jobcenter und SG hätten nicht nachweisen können, dass in der Regelleistung kürzungsfähige Zulagen von 10 % – 40 % über dem Existenzminimum enthalten seien. Alle strittigen Meldeaufforderungen seien wegen erheblicher Aufklärungs- und Formmängel, unvollständiger Rechtsfolgenbelehrung und mangelnden Rechtsbehelfs nichtig. Die Beweispflicht werde überspannt. Er sei nicht verpflichtet, teure Atteste und Gutachten auf Regelleistungskosten zu erbringen. Er müsse sich nicht von Unbekannten ohne Qualifikationsnachweis psychologisch untersuchen lassen, die im Jobcenter tätig seien. Die gegenwärtige Fassung des § 31 SGB II verstoße gegen das Grundgesetz. Weil Jobcenter und Sozialgericht seine Anträge abgelehnt hätten, die Kosten für Fachgutachter zu übernehmen, mache er ab sofort von seinem Beweisführungsrecht gemäß § 294 ZPO Gebrauch. Das SG habe Verfahrens- und Beweisanträge aus den Jahren 2011 bis 2014 unterschlagen. Zitierte BGH- und Bundesverfassungsgerichtsurteile seien ignoriert, Eilrechtsschutz verweigert und Beweise unterdrückt worden. Gleiches gelte für Prozesskostenhilfe, Anwaltsbeiordnung und Fachgutachter. Das Jobcenter schulde ihm bis dato Ersatzleistungen. Lebensmittelgutscheine genügten den Anforderungen nicht. Aus § 309 SGB III ergebe sich keine Gesprächspflicht, da dieses Wort dort nirgends auftauche. Der Kläger habe sich persönlich schriftlich gemeldet und damit seiner Mitwirkung genügt und sei seiner Meldepflicht nachgekommen. Die Einladungen litten unter einem Rechtsbehelfsmangel, da nicht bürgerverständlich vermittelt werde, welche Verhaltens-, Schutz- und Abwehrrechte er habe. Der Einladungstext sei kein wichtiger Meldezweck, sondern es handle sich nur um eine pauschale Einladungsfloskel. Aus seinen vorgelegten medizinischen Unterlagen ergebe sich, dass eine neurologische Langzeiterkrankung vorliege, dass er Psychopharmaka einnehme und therapiebedürftig sei. Es sei somit von einer überwiegenden Nichtvermittelbarkeit auszugehen. Aufgrund der Unmöglichkeit, dass Ärzte seine häusliche Medikamenteneinnahme, Schlafdauer, Tagesstruktur oder ähnliches überwachten bzw. überprüfen könnten, sei die SG-Beweisforderung ins Unmögliche überspannt worden. Er versichere gemäß § 294 ZPO an Eides statt, dass er seit 14 Jahren schwere Schlafstörungen und keine normale Tagesstruktur habe, dass er zu den meisten Jobcenter-Meldeterminen medikamentenbedingt nicht wach gewesen sei oder wegen Schlafmangels und Depression keine mentale Kraft für Zwangsgespräche gehabt habe, dass ihm seine Neurologin eine Broschüre mitgegeben habe, mit der er dem SG nachgewiesen habe, dass er bei dieser Erkrankung das Recht habe, sich zurückzuziehen, sich für sein Tun nicht zu rechtfertigen und auch zu nichts zwingen zu lassen. Auch leide er an schweren Folgeerkrankungen (u.a. Psychotrauma/PTBS, Existenzangst, Verfolgungsangst, nervösen Herzbeschwerden, nervösen Magenbeschwerden). Aufgabe seiner Ärzte sei es, die Diagnose zu stellen und ihm Behandlungen bzw. Medikamente anzubieten, nicht jedoch, gutachterlich bzw. kostenlos für das Gericht zu ermitteln, welche Folgeschäden und Traumen die Verfolgungen des Jobcenters bei ihm ausgelöst hätten und ob er belastende Behördengespräche mit bedrohenden Verfolgern führen könne. Es sei keine Rechtspflicht, einen Arzt/Facharzt mit Anamnesearchiv zu haben oder diesen nachzuweisen. Er habe selber ein Selbstbestimmungsrecht über seine Psychotherapie, Belastungsgrenzen, Einnahme und das Absetzen von Medikamenten und könne diese frei entscheiden. Diese Grundrechte müsse er nicht über Atteste/Gutachten belegen. Einer unkontrollierten Datenübermittlung hinter seinem Rücken (totale Schweigepflichtentbindung) müsse er nicht zustimmen. Auf die weitere ausführliche Begründung wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragt (zum Teil wörtlich, zum Teil sinngemäß),

1. das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Mai 2014 aufzuheben, 2. den Bescheid des Beklagten vom 7. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2011 sowie den Bescheid vom 20. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides 5. Mai 2011 in Bezug auf den Monat Mai 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 28.03.2011 zu verurteilen, ihm für den Zeitraum von April bis Mai 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ohne Absenkung aufgrund von Sanktionen zu gewähren. 3. den Beklagten zu verpflichten mitzuteilen, welche "Pseudoneurologen und Pseudogutachter" er anbietet, 4. festzustellen, dass aus Datenschutzgründen alle medizinische Korrespondenzen über ihn erfolgen müssen, 5. festzustellen, dass die ARGE ab jetzt jedwege Bestrafungssanktion zu unterlassen hat.

Weiterhin beantragt der Kläger in allen Berufungsverfahren,

- die Feststellung der Rechts- und Verfassungswidrigkeit der derzeitigen Ersatzleistungspraxis, - die Feststellung aller Sätze seines Berufungsschreibens, - das Verfahren auszusetzen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Gotha vom 26. Mai 2015 zur Verfassungsmäßigkeit der Sanktionsregelungen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Schreiben vom 12.08.2015 hat der Senat eine Entscheidung durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bzw. § 158 SGG in Aussicht gestellt und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten (7 Bände), der genannten Akten des SG sowie der Akten des Senats Bezug genommen.

II.

Die form - und fristgerecht eingelegte Berufung ist zum Teil bereits unzulässig und im Übrigen unbegründet.

Gegenstand der Klage sind vorliegend der Sanktionsbescheid vom 07.02.2011 (Sanktion 30 % März bis Mai 2011) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.03.2011, aber auch der Bewilligungsbescheid vom 28.03.2011, soweit die Monate April und Mai 2011 betroffen sind, weil diesbezüglich Sanktionsbescheid und Bewilligungsbescheid eine rechtliche Einheit bilden (vgl. hierzu BSGE 102, 201; Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 15.12.2010, B 14 AS 92/09 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.03.2012, L 12 AS 3569/11, in Juris). Außerdem ist gem. § 96 SGG der Sanktionsbescheid vom 20.04.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2011 in Bezug auf den Monat Mai 2011 Gegenstand des Verfahrens geworden, weil durch diesen die im Bewilligungsbescheid vom 28.03.2011 für den Monat Mai 2011 bewilligten Leistungen weiter abgesenkt worden sind (Absenkung von zuvor 30 % auf nun 40 %). Überdies sind noch Feststellungsanträge und ein Auskunftsbegehren Gegenstand des Verfahrens.

1. Minderung des Alg II Soweit die Minderung der Alg II - Leistungen für die Monate März bis Mai 2011 betroffen ist, ist die Berufung bereits unzulässig, da der Beschwerdewert nicht erreicht wird. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der hier anwendbaren, ab 1. April 2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Diese Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dieser Beschwerdewert wird vorliegend nicht erreicht; der Ausnahmetatbestand des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG liegt nicht vor.

Da durch die Sanktionsbescheide vom 07.02.2011 und 20.04.2011 die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes im März um 107,70 EUR, im April um 109,20 EUR und im Mai um 145,60 EUR abgesenkt wurden, summiert sich der Beschwerdewert auf lediglich 362,50 EUR. Der Wert des Beschwerdegegenstandes erreicht damit nicht den maßgeblichen Wert von 750,- EUR. Auch handelt es sich nicht um wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr. Zwar ist der maßgebliche Wert des Beschwerdegegenstandes bei mehreren geltend gemachten Ansprüchen gemäß § 202 SGG i.V.m. § 5 ZPO zusammen zu rechnen. Doch gilt die Berufungsbeschränkung nur für Klagen, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt zum Gegenstand haben. Insoweit können von einer Zusammenrechnung nach § 5 ZPO auch nur Klagen erfasst sein, die auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt gerichtet sind. Andere, also nicht auf die in § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG genannten Streitgegenstände gerichtete Klagen, können hierzu nicht hinzugerechnet werden. Werden im Wege objektiver Klagehäufung - die auch durch eine Verbindung mehrerer ursprünglich selbständiger Klagen nach § 113 SGG entstehen kann - einerseits Ansprüche verfolgt, die Geldleistungen oder hierauf gerichtete Verwaltungsakte zum Gegenstand haben, und andererseits Ansprüche anderer Art, so können die auf diese verschiedenen Ansprüche entfallenden Gegenstandswerte nicht zusammengerechnet werden (s. hierzu LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.12.2010, L 13 AS 2698/09 NZB m.w.N.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29.04.2013, L 5 AS 434/13 B ER, beide Juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 144 Rdnr. 16 m.w.N). Eine solche Zusammenrechnung schließen Wortlaut und Zweck des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG aus. Sie ziehen der sonst geltenden Grundregel des § 202 SGG i.V.m. §§ 2, 5 ZPO für ihren Sachbereich Schranken. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG regelt das Rechtsmittelverfahren unterschiedlich, je nachdem, ob es sich um eine Klage handelt, die eine Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, oder um eine Klage mit einem anderen Streitgegenstand. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG knüpft für diese Differenzierung an den Streitgegenstand an und erst innerhalb der dort beschriebenen Klagen an den Wert des Beschwerdegegenstandes (s. LSG Baden-Württemberg a.a.O.). Die Beschränkung der Berufungsmöglichkeit hängt also zunächst nicht vom Wert des Beschwerdegegenstandes, sondern vom Streitgegenstand der Klage ab. Damit mag es noch vereinbar sein, den Wert des Beschwerdegegenstandes mehrerer Klagen zusammenzurechnen, die Geldleistungen oder hierauf gerichtete Verwaltungsakte betreffen. Das System des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG würde indes durchbrochen, wenn zum Wert des Beschwerdegegenstandes auch noch der Streitwert von Ansprüchen hinzugerechnet wird, die durch § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht erfasst werden, und es gibt auch kein "Mitziehen" eines zulassungsbedürftigen Teils der Berufung durch einen zulassungsfreien Teil (s. hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.09.2010, L 10 AS 886/10, Juris). Damit führt die hier vorliegende objektive Klagehäufung (Klage gegen die Sanktionen, Feststellungsklage) nicht dazu, dass die Berufung des Kläger in Bezug auf die Sanktionsbescheide bzw. dazugehörigen Bewilligungsbescheide deshalb zulässig wäre, weil er gleichzeitig auch Feststellungsklage erhoben hat, gegen die die Berufung zulässig ist, weil sie nicht von § 144 SGG erfasst wird.

Nach § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt worden ist. Die Entscheidung kann nach § 158 Satz 2 SGG durch Beschluss ergehen. Der Senat hat hiervon nach dem ihm eingeräumten Ermessen und nach Anhörung der Beteiligten Gebrauch gemacht. Gründe, die gegen eine Entscheidung durch Beschluss sprechen, sind weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Die Berufung war somit gem. § 158 Satz 1 SGG in Bezug auf die Sanktionsbescheide und den dazugehörigen Bewilligungsbescheid als unzulässig zu verwerfen.

Da die Berufung bereits unzulässig war, war der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gemäß § 114 SGG bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Rechtmäßigkeit der Sanktionsregelungen durch unanfechtbaren Beschluss (§ 177 SGG) abzulehnen, da es auf die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen vorliegend nicht ankommt.

2. Feststellungsanträge des Klägers

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG nach vorheriger Anhörung der Beteiligen die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Soweit der Kläger vorliegend beantragt festzustellen, dass aus Datenschutzgründen alle medizinische Korrespondenz über ihn erfolgen müsse, fehlt es am Feststellungsinteresse, da nicht ersichtlich ist, dass die Beklagte je gegen Datenschutzvorschriften verstoßen hätte. Der Antrag des Klägers, der Beklagte habe ab jetzt jedwede Bestrafungssanktion zu unterlassen, kann nur als vorbeugende Unterlassungsklage verstanden werden, die aber voraussetzt, dass ein auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse vorliegt (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., vor § 51 Rdnr. 17 a, § 54 Rdnr. 42 a). Ein solches fehlt, wenn der Betroffene auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann (Keller a.a.O. unter Zitierung der st. Rspr.). Vorliegend ist es dem Kläger zumutbar abzuwarten, wann und ob Sanktionsbescheide ergehen, um dann hiergegen ggf. gerichtlich vorzugehen.

Soweit der Kläger die Verpflichtung des Beklagten beantragt, mitzuteilen welche "Pseudoneurologen und Pseudogutachter" er anbiete, ist eine Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich. Auch besteht kein Rechtsschutzbedürfnis für eine solche Auskunft.

Soweit der Kläger "sämtliche Sätze seines Berufungsschreibens nicht nur als Begründung, sondern auch als Feststellungsanträge" verstanden haben und Rechtswidrigkeit der Ersatzleistungspraxis festgestellt haben will, ist die Klage unzulässig. Zum einen beinhalten diese neuen Anträge eine Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG, die nicht sachdienlich ist. Zum anderen kann zwar gem. § 55 Abs. 1 Ziffer 1 SGG mit der Klage auch die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Jedoch ist die Feststellungsklage unzulässig, wenn bereits im Rahmen einer anhängigen Anfechtungs-, Verpflichtungs- oder Leistungsklage über die Sach- und Rechtsfragen zu entscheiden ist, die der begehrten Feststellung zugrunde liegen, ohne dass ein weitergehendes Feststellungsinteresse besteht (Subsidiarität der Feststellungsklage; vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 55 Rdnr. 19 f. m.w.N.). Vorliegend sind allein beim LSG 13 Berufungen anhängig und darin annähernd sämtliche Bescheide (und auch sonstige Schreiben des Beklagte) aus den Jahren 2010 bis 2013 vor allem im Rahmen von Anfechtungsklagen der gerichtlichen Überprüfung unterworfen, so dass nicht ersichtlich ist, worin noch ein weitergehendes Feststellungsinteresse liegen soll.

Die Berufung war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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